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Tobias Grimbacher

Über dem Wasser

Gottesfrage in zwei Akten


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Tobias Grimbacher

Dr. sc. nat., Jahrgang 1975, arbeitet als Metereologe und IT-Experte in Zürich. Er schreibt vor allem Lyrik, Kurzprosa und Theaterstücke für Zeitschriften und Anthologien, darunter dulzinea und macondo, und engagiert sich als Regisseur, etwa bei Aufführungen von Robert Gernhardts «Toscana-Therapie» oder Hendrik Ibsens «Peer Gynt».

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.d-nb.de abrufbar.

Umschlag: Simone Ackermann, Zürich

Layout und Satz: Claudia Wild, Konstanz

ISBN 978-3-290-20100-5 (Buch)

ISBN 978-3-290-20110-4 (E-Book)

|XX| Seitenzahlen des E-Books verweisen auf den Beginn der jeweiligen Seite der gedruckten Ausgabe.

© 2014 Theologischer Verlag Zürich

www.edition-nzn.ch

Alle Rechte vorbehalten

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

Über dem Wasser Personen

Ort und Zeit

Prolog

Chor der Bischöfe

1. Akt

Szene 1 Wahrscheinlich kein Gott

Szene 2 Von Kohelet zum Multiversum

Exkurs: Multiversum

Exkurs: Gödel’scher Unvollständigkeitssatz

Szene 3 Gottesbeweise

Exkurs: Die Tropen des Agrippa und das Münchhausen-Trilemma

Szene 4 Symbolisch von Gott sprechen

Szene 5 Religion und Glaubensfragen

Szene 6 Der Wunderbeweis: über das Wasser gehen

Szene 7 Wirtschaft

Szene 8 Pascal’sche Wette oder Wann entstand der Atheismus?

Exkurs: Pascal’sche Wette

Szene 9 Ämterfrage und Schäfchenproblem

Szene 10 Aufbruch zur Tat

Chor der Atheisten

2. Akt Szene 1 Olympische Spiele

Exkurs: Mythenbildung

Szene 2 Offenes Meer

Szene 3 Glaube und Freiheit

Szene 4 Der Liturgiebeweis

Szene 5 Salz der Erde

Exkurs: Jesus und die Sünder

Szene 6 Gerechtigkeit

Szene 7 Opium

Szene 8 Negatives in Gott

Szene 9 Vergebung

Szene 10 Gott ist Liebe: die Wahrheit

Szene 11 Ein Spiel

Schlusschor

Epilog |6|

Anhang

Theologische Deutungsmuster des Stücks Reden von Gott

Atheisten und A-Theisten

Zwei Grundparadigmen

Fundamentaltheologische Kernthemen

Religionen und das Göttliche

Gott töten?

Christus

Die katholische Kirche

Über dem Wasser

Zuletzt: Gott!

Zum Weiterlesen

2. Akt, Szenen 1 und 2 (überschneidend)

Szene 2 Offenes Meer

Abkürzungen

Anmerkungen zum Dialogstück

Anmerkungen zum Anhang

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Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser

Keine Angst. Nicht frömmlerisches Gesäusel erwartet Sie, wenn Sie sich auf die vorliegenden Dialoge über die Gottesfrage einlassen. Keine Beschwichtigung wird Sie über die drängenden Nöte und Prob­le­­me von uns Menschen verharmlosend hinwegtrösten. Tobias Grimbacher führt Sie vielmehr hinein in die aktuellen Debatten über existenzielle Grundfragen, die die Menschen seit je umtreiben. Dem Ringen um Gott, um den Sinn des Ganzen, um Schöpfung und Leiden, um die Tragfähigkeit von Religion und Glauben, um die Glaubwürdigkeit von Bibel und Kirche haben sich Menschen über Jahrtausende hinweg immer wieder neu gestellt. Und diese Fragen gehen ans Eingemachte. Da helfen nicht vorschnelle Antworten, und alle vordergründigen Glücksverheissungen aus Werbung und Wirtschaft zerschellen daran. Als Menschen sind wir alle mit letzten Fragen konfrontiert, die ernsthaft erwogen zu werden verdienen.

Aber viele Menschen fühlen sich in ihrem Suchen und Fragen alleine gelassen. Die herkömmlichen Antworten der Religionen und Kirchen vermögen sie oft nicht mehr zu überzeugen oder nicht genügend zu nähren. Zugleich finden sie kaum Zugang zu den anspruchsvollen philosophischen und theologischen Fachbüchern. Genau deshalb bedient sich Grimbacher einer anderen literarischen Gattung und einer dramatisch-szenischen Umsetzung des menschlichen Ringens um die Gottesfrage. Sein Dialog-Stück in zwei Akten bietet Hilfen an zur persönlichen Aus­ei­nan­der­set­zung und Vertiefung mit menschlichen Grundfragen. Der erfahrene Theatermacher weiss, dass Dialoge, Sprechchöre und szenische Bilder uns Menschen auf einer viel tieferen Ebene anzusprechen vermögen, als jede noch so gewiefte Predigt und jedes noch so gründliche Fachbuch es jemals vermöchten. Dabei schöpft er seine philosophischen und seine theologischen Argumente aus seriösen Quellen und tiefgründigen Debatten. Er will jedoch niemanden indoktrinieren, sondern bietet dem Leser und der Theaterbesucherin jene Erklärungsmodelle dar, die heute intensiv diskutiert werden. |8| Ein eigenes Urteil im Konzert der vielfältigen und sich zum Teil widersprechenden Argumente muss jede und jeder sich selbst bilden.

Dem Stück sind viele Theaterschaffende zu wünschen, die sich an eine Inszenierung dieser «Gottesfrage in zwei Akten» wagen – und zunächst einmal unzählige Leserinnen und Leser.

Machen Sie sich, liebe Leserin, lieber Leser, auf eine aufwühlende Lektüre und hoffentlich schon bald auf einen existenziell herausfordernden Theaterbesuch gefasst!

Felix Senn

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Einleitung

Als Menschen hören wir irgendwann von Gott (oder Göttern), und jede und jeder bildet sich eine Haltung dazu. Wer über Gott schreibt, ist also nie neutral; so verfasse ich diesen Text aus einem dezidiert gläubigen Interesse he­­raus – genauer: aus der Haltung eines kritischen Christen in der katholischen Kirche. Der Text ist Teil meiner Suche nach einem tragfähigen und lebbaren Gottesverständnis, einem Fundament, von dem aus ich glauben und Kirche und Welt mitgestalten kann.1

Es geht also um Gott – und wenn es um Gott geht, dann geht es auch um (fast) alles andere: vom Ursprung und Sinn unseres Daseins über das Entwicklungspotenzial von Menschen und Menschheit bis zum Grund unseres Glaubens und zum Wesen menschlichen Miteinanders. Mein Zweiakter antwortet auf diese wesentlichen Gottes- und Lebensfragen oder stellt sie vielmehr in dialogischer Form neu. Die Dialoge bieten dabei die Möglichkeit, gezielt Lücken zu lassen und Horizonte zu öffnen. Die Folgen der Gespräche sind oft dramatisch, denn meine Charaktere sind selbst Betroffene ihrer unterschiedlichen Welt- und Gottesbilder, die sich teils harmonisch ergänzen, oft aber auch konfliktreich aufeinanderprallen. So entwickeln sich der Disput über Gott und die mögliche Handlungskonsequenz über verschiedene Szenen hinweg in den konkreten menschlichen Beziehungen und Begegnungen.

Den Auftakt meines Stückes bildet ein Gedicht von Robert Gernhardt, das in seiner ganz eigenen Art auf wesentliche Thesen der folgenden Akte vorausweist. Dazu gehört zuerst, dass Gernhardt für das Gedicht «Psalm» den Vorsatz fasst, unvollständig zu bleiben – und dies auch umsetzt. Dies geht dem gesamten Dialog-Stück nicht anders, denn Gott ist wohl das Thema, zu dem in der Menschheitsgeschichte am meisten gedacht und geschrieben wurde. Der Versuch, die Geschichte der Gottesfrage vollständig zu umreissen oder diese gar zu beantworten, müsste deshalb scheitern. Dieses Lob der Unvollständigkeit, nicht alles über Gott wissen und erst recht nicht alles sagen zu müssen, möchte ich besonders hervorheben. |10|

Zum Zweiten setzt sich Gernhardts Gedicht literarisch-spöttisch mit einer biblischen Passage – dem Tanz ums goldene Kalb2 – aus­ei­n­an­der, so wie sich auch mein Dialog-Stück, ernsthaft und teils augenzwinkernd, mit biblischen, liturgischen und weltlichen Tänzen auseinandersetzt.

Mehr noch, grosse Namen des Alten Testaments werden mit markigen Sprüchen versehen, wobei es für Gernhardt keine Rolle spielt, dass diese Personen zum Teil verschiedenen Epochen angehörten. Auch im folgenden Zweiakter werden grosse Namen quer durch die Geschichte gesammelt und nicht immer in ihrer vollständigen Komplexität zitiert oder verstanden.

Schliesslich verbindet uns das grundlegende Thema: Das goldene Kalb, das als Metall gewordene Gottheit verehrt wird, steht gleichzeitig für den Wunsch der Menschen nach anfassbaren, greifbaren Gottesbildern und für das Missverständnis, Gott immer im Sichtbaren, Dinglichen zu suchen. Dabei drückt der beschriebene Tanz ums Kalb in seiner ganzen Kuriosität aber auch eine archaische, ursprüngliche Lebensfreude aus, die im weiteren Verlauf des Stücks manchmal sehnlichst vermisst wird. Historisch ist bei dem Götzenbild wohl an die Darstellung eines auf einem Kalb reitenden Gottes zu denken – doch da dieser Gott unsichtbar ist, wird schliesslich statt seiner das Kalb angebetet, das für unseren Verstand leichter wahrnehmbar ist und sich leichter – anschaulich – vermitteln lässt.3 Die Parallelen zu heutigen Gottes- und Götterbildern sind gegeben …

Nun aber lade ich Sie ein, meinem Weg durch die Untiefen, Stürme und Klippen der Gottesfrage zu folgen. Lassen Sie dabei Ihr eigenes Gottes- und Menschenbild nicht aus dem Blick, halten Sie es fest, aber hinterfragen und ergänzen Sie es bei Bedarf. Wir sind gemeinsam unterwegs auf dem Ozean des Lebens und Glaubens: über dem Wasser.

Tobias Grimbacher

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Über dem Wasser

Personen

Die Personen repräsentieren jeweils prototypisch eine breite Denkrichtung, ohne freilich in reine Klischees abzudriften.

B: Barkeeper sorgt berufsbedingt für das leibliche Wohl der Gäste, nimmt aber auch inhaltlich und emotional an manchen Gesprächen teil.

E: Episcopos (Bischof) ist ein typischer Institutionenvertreter der römisch-katholischen Kirche. Theologisch bewandert, aber ohne allzu viel Enthusiasmus vertritt er eine eher konservative Glaubensposition und verteidigt die kirchliche Deutungshoheit. Seine eigenen, über die kirchliche Lehrmeinung hinausgehenden Ansichten lässt er nur selten durchscheinen.

F: Freidenker ist ein moderater, aber konsequenter Gesprächspartner mit breit gefächerter atheistischer Meinung.

M: Mensch (bzw. in direkter Anlehnung an Nietzsche vielleicht konkret «der tolle Mensch»4) steht mit seiner Suche nach Gott und Lebenssinn im Zentrum des Stückes.

S: Sprecher liest oder spricht den Prolog und den Epilog. Als neutrale, ausserhalb der Handlung stehende Instanz gibt er damit dem Stück einen umfassenden Rahmen. Wenn es bei einer Inszenierung oder szenischen Lesung aufgrund der Zielsetzung und der Vorkenntnis des Publikums angebracht scheint, kann S auch einige oder alle Exkurs-Texte vortragen.

T: Theologe vertritt eine moderne, lebensfreundliche und durchaus kirchenkritische christliche Theologie.

W: Wirtschaftsanalyst stellt den wirtschaftlichen Machbarkeitswahn infrage und vertritt eine negativ gefärbte, defaitistische Weltsicht.

Weitere Bischöfe und Atheisten5 als Teil der drei Chöre. |12|

Ort und Zeit

Das Stück spielt in einer Bar oder einer Kneipe in unserer Zeit. Der erste Akt spielt am frühen, der zweite am späteren Abend. |13|

Prolog

S tritt auf und rezitiert.

Bei dem Tanz ums goldene Kalb

gab es unschöne Szenen.

Ich will hier nur dreieinhalb

der unschönsten erwähnen:

David beispielsweise trat

Aaron auf die Zehen,

was er mit dem Satz abtat,

es sei gern geschehen.

Oder Saul, der plötzlich schrie,

er sei Gottes Enkel,

denn er trage seine Knie

unterhalb der Schenkel.

Oder Habakuk, der Hirt,

der beim Tanz so patzte,

dass sein Leitbock sich verwirrt

an den Leisten kratzte.

Oder Mose, der das Kalb,

statt es zu erschiessen –

doch das sind schon dreieinhalb

Szenen. Ich muss schliessen.6

S tritt wieder ab. |14|

Chor der Bischöfe

Der Chor der Bischöfe tritt auf. Er besteht aus mindestens vier bis sechs Männern in bischöflichem Ornat (da­­run­ter auch E, aber nicht T).

Die Texte des Chors sind staccato-artig zu sprechen, ohne Pausen zwischen den einzelnen Aussagen, aber auch ohne dass sich Sätze überlappen. Der Gesamtchor ist somit fliessend, ohne hektisch zu wirken. Die Bischöfe können sich beim Sprechen nach jeder Aussage oder auch innerhalb der Aussagenblöcke ablösen, sie können Aussagen/Teilaussagen allein, zu zweit oder zu dritt oder im Gesamtchor sprechen.

Wir sind ein sehr altes Modell für Veränderung. Von uns kann man lernen, wie man überlebt.7

Unser sittliches Leben wurzelt im Glauben an Gott, der uns seine Liebe offenbart. Wir haben Gott gegenüber die Pflicht, an ihn zu glauben und ihn zu bezeugen.8

Dieser alleinige wahre Gott hat in seiner Güte und allmächtigen Kraft aus völlig freiem Entschluss vom Anfang der Zeit an aus nichts zugleich beide Schöpfungen geschaffen, die geistige und die körperliche, nämlich die der Engel und die der Welt.9

Jedoch hat es seiner Weisheit und Güte gefallen, auf einem anderen, und zwar übernatürlichen Wege sich selbst und die ewigen Ratschlüsse seines Willens dem Menschengeschlecht zu offenbaren.10

Wenn die Kirche durch ihr oberstes Lehramt etwas als von Gott geoffenbart und als Lehre Christi zu glauben vorlegt, müssen die Gläubigen solchen Definitionen mit Glaubensgehorsam anhangen.11

Der imperiale Staub, der sich seit Konstantin auf dem Stuhl des heiligen Petrus abgelagert hat, muss weggewischt werden.12

Es wird noch mindestens fünfzig Jahre dauern, bis alle Fehler und Torheiten des Konzils repariert sein werden.13

Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen.14

Die Welt wurde auf die Kirche hin erschaffen. Die Kirche ist das Ziel aller Dinge.15 |15|

Man kann auf verschiedene Weisen gegen den Glauben sündigen: Freiwilliger Glaubenszweifel besteht in der Vernachlässigung oder Weigerung, für wahr zu halten, was Gott geoffenbart hat und die Kirche zu glauben vorlegt. Unfreiwilliger Zweifel besteht im Zögern, zu glauben.16 Einer aus dem Chor beginnt Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen, und allen Brüdern und Schwestern,

Alle anderen fallen spätestens hier ein dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe. Ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine grosse Schuld. Darum bitte ich die selige Jungfrau Maria, alle Engel und Heiligen und Euch, Brüder und Schwestern, für mich zu beten bei Gott, unserem Herrn.17

Die Bischöfe halten kurz inne und gehen dann eilig ab.

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1. Akt

Eine Bar oder Kneipe. Zwei Tische mit Stühlen, ein Tresen mit Barhockern. Der Raum ist leer bis auf B, der hinter dem Tresen steht. Während des ganzen ersten und zweiten Akts ist B hauptsächlich hinter dem Tresen. Von dort aus beobachtet er das Geschehen und kümmert sich um seine Aufgaben als Barkeeper. Von Zeit zu Zeit geht er zu Gästen an die Tische, nimmt Bestellungen auf oder serviert Getränke, bringt kleine Schälchen mit Erdnüssen oder kontrolliert den Füllstand von Salz- und Zuckerstreuern. Auf diese Weise kann er sich immer wieder in Gespräche an den Tischen einklinken, ohne das gesamte Gespräch mitzuverfolgen. Längere Gespräche führt er sonst am Tresen, wobei B auch dann oft nur höflich zuhört.

Szene 1 Wahrscheinlich kein Gott

F tritt auf und geht auf B zu.

F Entschuldigung, eine Frage: Dürfte ich wohl dieses Plakat bei Euch aufhängen?

B Um was geht es denn?

F Eine Aufklärungskampagne der Freidenker: «Es gibt wahrscheinlich keinen Gott … sorge dich nicht, und geniess das Leben!»18

B Na, wenn Sie keine anderen Sorgen haben. Sie können’s da drüben dazuhängen, neben Verkehrsinitiative und Welthungerhilfe.

F Zapfst Du mir in der Zwischenzeit ein Bier, bitte?

B Gern.

F hängt das Plakat auf und kommt dann zum Tresen zurück.

B Verzeihen Sie mir eine dumme Frage: «Geniess das Leben» verstehe ich, aber: Was ist eigentlich «Gott», den es wahrscheinlich nicht gibt?

F Wenn Sie das mit dem Geniessen verstehen, dann ist doch schon alles in Ordnung. Wieso wollen Sie sich für etwas interessieren, das es nicht gibt? Was Gott ist, hängt ganz vom Betrachter ab. Sehr oft ist Gott eine Verschleierungstaktik für Menschen, die nicht nachdenken wollen oder die nicht glauben, dass alles naturwissenschaftlich |17| erklärbar ist. Gott sendet den Regen nach langer Dürre. Er straft mit dem Erdbeben. Er schleudert den Blitz. Oder er ist eine Verschleierungstaktik, weil jemand das eigentliche Wort nicht nennen will. Dann meint «Gott» das Leben selbst. Oder den Sinn. Oder einen Zufall.

B Aber Leben und Sinn gibt es doch?

F Ja, nur: Wer «Gott» sagt, dem reicht das anscheinend nicht! Wenn Sie das Wort Gott hören, können Sie an dessen Stelle eigentlich immer ein anderes Wort setzen, das die betreffende Sache besser erklärt und begründet.19 Versuchen Sie das mal! Manche brauchen auch Gott, weil sie nicht wissen, woher wir kommen oder wohin wir gehen. Das wissen wir aber inzwischen von der Naturwissenschaft: Urknall und entropische Endharmonie.

B Entro … was für Harmonie?

F Nach den Gesetzen der Physik nimmt die Entropie, also die thermische Unordnung in einem abgeschlossenen System, zum Beispiel in unserem Universum, immer zu. Wenn Sie an einer Stelle Ordnung schaffen, müssen Sie Arbeit aufwenden, und das erzeugt irgendwo anders ungeordnete Wärmebewegung, also gleich viel oder noch mehr Unordnung. Irgendwann wird das ganze Universum lediglich aus gleichmässiger Wärmebewegung bestehen, ungeordnet, aber widerspruchsfrei; harmonisch.20

B Kein Platz für Gott?

F Kein Platz für Gott! Er sieht E am Eingang des Lokals. Aber, wie sagt der Volksmund: Wenn man vom Teufel spricht … Fragen Sie doch den örtlichen Vertreter Gottes. Der erzählt sicher so von Gott, als hätte er mit ihm im Sandkasten gespielt.

Szene 2 Von Kohelet zum Multiversum

E kommt in das Lokal. Er ist jetzt nicht mehr im Ornat, wie noch im Chor, trägt aber Soutane oder zumindest römischen Kragen.

E Ein Bier bitte.

B Entschuldigen Sie, aber sind Sie von der Kirche?

E Ja, ich bin Bischof.

B Der Herr hier hat eben ein Plakat aufgehängt, und jetzt fragen wir uns, was eigentlich «Gott» ist. |18|

E Gott ist anders.21 Was immer Sie sich unter Gott vorstellen, seien Sie sich bewusst, dass Gott auch noch ganz anders ist. Es ist eine komplizierte Frage, die Sie sich da stellen.

F Es ist eine einfache Frage. Und die Antwort ist auch einfach: Gott kommt aus der Angst. Angst vor dem Tod. Angst vor der Natur um uns. Angst vor den Menschen, vor allem natürlich vor den bösen Menschen, von denen wir täglich hören. Gott ist etwas, das es nicht gibt. Aber es eignet sich prima, um den Menschen noch mehr Angst zu machen, um sie besser unterdrücken zu können, um ihnen eine Wahrheit und fixe Moral aufzuzwingen, um Kirchensteuer abzupressen und um die Herrschaft der mächtigen Klasse zu zementieren.

E Das hat für viele historische Götterkulte gegolten, und ich gebe zu, dass auch die christlichen Kirchen immer wieder in diese Macht-Falle getappt sind. Eine Falle übrigens, die jede Religion und jede Ideologie kennt. Aber heute geht es den Kirchen um das Wohl der Menschen: Die Trauer und die Ängste der Menschen, das sind auch Trauer und Angst der Jünger Christi,22 so haben es die Bischöfe aus aller Welt auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil formuliert, und so gilt es bis heute.

F Die Kirchen torpedieren doch überall das Schöne im Leben. Ihr drückt mit Eurem Gott die Menschen doch lediglich noch tiefer in ihr Leid und lasst sie da hängen: Tragt euer Kreuz, wie Christus. Oder etwa nicht? Es gibt wahrscheinlich keinen Gott … sorge dich nicht, und geniess das Leben!

E Iss und trink, und freu dich an der Liebe.

F Genau.

E Jeden Tag deines Lebens.

F Wenn möglich! Für mich wäre das das Ziel.

E nimmt eine Bibel aus seiner Tasche und blättert darin Dann iss und trink, und freu dich an der Liebe jeden Tag deines Lebens voll Windhauch, den der Herr, dein Gott, dir gegeben hat. Kohelet.23

F Wie bitte?

E Kohelet.

F Doch nicht etwa ein Kirchenlehrer?

E Ein jüdischer Weisheitslehrer. Aber es ist auch unsere Weisheit!

B Na, dann seid Ihr Euch ja einig: Ob es ihn gibt oder nicht, iss, trink, freu dich. |19|

F Mach Dir keine Sorgen. Macht die Kirchen dicht – die Frage nach Gott ist hinfällig. Es bleibt das «freu dich jeden Tag deines Lebens».

E Nicht ganz.

F Wusst’ ich es doch. Ihr seid ewig uneinsichtig – sogar wenn’s in der Bibel steht!

B Freu dich an der Liebe?

E Auch, aber wichtiger: Voll Windhauch. Unser Leben ist von Vergänglichkeit durchzogen, es ist nur hingehaucht; es ist oft zu schnell ausgehaucht. Das ist der Grund, warum wir uns Sorgen machen müssen; das ist der Grund für unser Hinterfragen; das ist der Grund, warum wir nicht jeden Tag essen, trinken, noch nicht einmal jeden Tag uns an der Liebe – in Liebe – freuen können. Und es ist auch der Grund dafür, dass dieser Satz nicht allein steht in der Bibel.

F Sondern der andere: Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst und nehme täglich sein Kreuz auf sich.24

E Setzen wir uns?

Sie gehen zu Tisch 1 und setzen sich dort.

F Von wegen Windhauch …

E Jedenfalls geht es auch bei Jesu Botschaft um Essen, Trinken, Freuen, in voller Übereinstimmung zu Kohelet: «Ich muss heute in Deinem Haus zu Gast sein»25, lädt er sich selbst ein. «Gib mir zu trinken»26, bittet er. «Gebt den Menschen zu essen»27, sagt er den Jüngern, «freu Dich, denn Dein Bruder lebt»28 zum verlorenen Sohn.

B bringt E seine Bibel nach, schlägt zufällig auf und liest Und: «Wenn ich die Dämonen durch den Finger Gottes austreibe, dann ist doch das Reich Gottes schon zu euch gekommen.»29

E nimmt seine Bibel wieder zurück Danke.

F Ja, Danke! Dämonen! … ewiggestrig. Dämonen gibt es bestimmt nicht.

B Wieso gibt es überhaupt etwas und nicht nichts?30

F Falsche Frage. Denn auch Nichts ist ja ein sehr bestimmtes Etwas. Es lässt sich da­­rü­ber lediglich keine Aussage treffen. Schon gar keine Existenzaussage.

E Und was ist mit dem Existenzgrund der Welt, und nicht nur der physikalischen Welt – also dem Grund des Ganzen? |20|

F Benötigt das existierende Ganze denn einen Grund? Und dann dürfte dieser Grund ja wiederum nicht zum Existierenden gehören. Anders gesagt: Das Ganze hat keinen Grund. Die Welt kommt ohne Gott aus. Allenfalls unser Universum, das Weltall in dem wir leben, könnte einen Grund haben, der sich dann im grösseren Ganzen erschliesst – und das grössere Ganze jenseits des Universums ist uns nur sehr begrenzt zugänglich.

Exkurs: Multiversum

Da an den Grenzen unseres Weltalls (Universums) auch Raum und Zeit enden, ist es nicht sinnvoll, von «ausserhalb» des Universums zu reden. Mit den Mitteln der Physik ist es auch (noch) nicht möglich, etwas von «jenseits des Universums» zu messen. Physikalische Theorien rechnen aber damit, dass es neben unserem Universum weitere Universen geben könnte, die möglicherweise nebeneinander existieren, als Paralleluniversen mit unserem verschachtelt sind oder sich sogar in einer Evolution der Universen gegenseitig hervorbringen könnten. Solche anderen Universen sind zumindest denkbar und physikalisch beschreibbar. Die Gesamtheit der Universen nennt man Multiversum.

Einige Multiversum-Theorien lösen auch ein weiteres Prob­lem der Physik: In den Naturgesetzen, mit denen sich unser Weltall physikalisch beschreiben lässt, gibt es Konstanten, die sich nicht berechnen lassen, sondern als Gegeben hinzunehmen sind (z. B. Gravitationskonstante, Lichtgeschwindigkeit oder Planck’sches Wirkungsquantum). Der genaue Wert dieser Konstanten ist dabei entscheidend dafür, dass unser Universum so ist, wie es ist: dass sich das Weltall ausgedehnt hat, dass sich Atome bildeten, letztlich dass Leben möglich wurde. Man kann hier einen Schöpfergott am Werk sehen, der die Naturkonstanten exakt so justiert hat, dass wir da sind und ihn erkennen können. Vielleicht gibt es aber auch ein Multiversum mit unendlich vielen Universen, in denen alle Werte der Naturkonstanten durchgespielt werden.31 Vielen Physikern wäre diese Lösung lieber, als an eine zufallsbedingte Setzung der Konstanten zu glauben.

B Ich habe einmal gehört, unser Universum sei ein flacher Teller, der auf dem Rücken einer riesigen Schildkröte liegt.32

E Wie bitte? |21|

B Ja. Und die steht auf dem Rücken einer anderen Schildkröte.

E Und diese?

B Steht wiederum auf dem Rücken …

F … einer Schildkröte. Genau das ist der Punkt. Es gibt keine unterste Schildkröte, keinen Grund des grössten Ganzen, keinen Unbewegten Beweger33, keinen Beweis für Gott.

E Ja, weil Sie voraussetzen, was Sie begründen wollen. Ich kann nicht eine Schildkröte mit einer Schildkröte begründen. Aber Gott ist unbedingt und voraussetzungslos. Er ist nicht notwendig. Er ist mehr als notwendig.34

F Nach den Massstäben der Logik ist er überflüssig.

E Aber dennoch möglich. Immerhin kennt die Logik Sätze, die nicht beweisbar und doch wahr sind.

B Quasi ein Gödel’scher Gott, der für die Logik des Universums den Unvollständigkeitssatz erfüllt?

E Für die Logik des Universums und für jede Logik.

Exkurs: Gödel’scher Unvollständigkeitssatz

In jedem hinreichend komplexen widerspruchsfreien System gibt es Aussagen, die innerhalb des Systems nicht beweisbar oder widerlegbar sind. Der österreichische Mathematiker Kurt Gödel (1906–1978) konnte diesen Unvollständigkeitssatz 1931 beweisen und machte damit die Hoffnung und das Bestreben zunichte, die Widerspruchsfreiheit der Mathematik beweisen zu können (Hilbertprogramm).35

Da es sich um eine Aussage der Logik handelt, gilt dieser Satz natürlich nicht nur in unserem Universum, sondern auch in jedem anderen (denkbaren) Universum. Allerdings: Gott ist ganz anders. Deshalb glaube ich, dass Gott sich nicht um die Gesetze unserer Logik kümmert, ja, seine ganz eigene Logik hat. Zwei sich widersprechende Aussagen, von denen nach unserer Logik nur eine wahr sein kann, sind im Lichte des Göttlichen manchmal beide richtig und erst zusammen sinnvoll.

F Und was hat Gott mit jeder Logik zu tun? Gott ist lediglich ein Wort. Er ist noch nicht einmal denkbar!

E Das ist er tatsächlich nicht: Denn Gott zu denken hiesse, Gott zu definieren, und das wieder hiesse, die Menge seiner Eigenschaften |22| zu begrenzen.36 Wie ich eingangs gesagt habe: Gott ist anders. Es gibt ihn trotzdem – auch wenn er mehr ist, als wir denken können. Er spricht zu unserem Herzen.37

F Ja. Er ist hörbar im Rascheln des Laubes wie die Wühlmaus und sichtbar nach dem Sonnenuntergang als erster Stern. Ich muss passen. So wie die Logik heute nunmal steht, stehe ich auf festem Grund: Ich brauchen keinen Gott für meine Argumentation und für meine Vernunft. Ich brauche überhaupt keinen Gott. Und wenn ich einen bräuchte, weiss ich, dass es ihn nicht gibt.

E Aber …

F Aber lassen Sie mich ausreden: Ich lasse Ihnen auch Ihren Gott, wenn Sie ihn brauchen. Er schaut auf sein Handy. Ich muss mich entschuldigen. Vielleicht setzen wir das Gespräch ja später fort.

F legt eine Geldnote unter sein Glas und geht eilig hi­­naus.

B Darf ich nachfragen, was dieser Kohelet für einer war?

E Ein weiser Mann im dritten vorchristlichen Jahrhundert, der seine Sprüche und Erkenntnisse über Gott, die Weisheit und das Leben zusammengestellt hat.38

B Was hatte er für Sorgen?

E Wir kennen natürlich nur seine Texte. Und da geht es um den Windhauch, um Vergänglichkeit, und eben um die Kunst, sich am Leben zu erfreuen. Er war wohl eine Art religiöser Philosoph.

B Gebildet?

E Sicher.

B Und wohlhabend?

E Man kann es vermuten.

B Also hatte er keine existenziellen Sorgen. Kein Hunger, kein Krieg, keine Flucht.

E Nein, wieso?

B Seine Weisheit ist also eine für gebildete, wohlhabende Menschen, die den Armen und Unterdrückten eher wenig hilft. Vielleicht ist sie deshalb so kompatibel mit unserem Genuss-Atheisten.

E So gesehen haben Sie recht.

Szene 3 Gottesbeweise

M kommt herein. Er ist nervös. Als er E sieht, geht er auf ihn zu.

M Entschuldigen Sie, sind Sie Geistlicher? |23|

E Ich bin Bischof, ja. Wieso?

M Das ist gut. Darf ich mich zu Ihnen setzen? Setzt sich, ohne eine Antwort abzuwarten. Ich habe ein dringendes Prob­lem: Können Sie mir Gott beweisen?

E Das ist allerdings ein Prob­lem. Wie kommen Sie denn zu der Frage? Glauben Sie an Gott und wollen es jetzt genau wissen? Hat er Ihnen etwas getan? Hat jemand versucht, Sie für Gott zu überzeugen?

M Nein, ich brauche einfach einen Grund. Etwas, woran ich mich festhalten kann, einen neuen Ansatzpunkt zum Handeln.

B Nehmen Sie auch ein Bier?

M Ja, gern. Zu E Können Sie mir Gott beweisen?

E Ich kann es gerne versuchen. Aber bevor wir mit Beweisen anfangen, müssen wir uns die Fallstricke klar machen, die auf den Beweis immer lauern.

Exkurs: Die Tropen des Agrippa und das Münchhausen-Trilemma

Der antike Philosoph Agrippa, genannt «der Skeptiker», lebte wahrscheinlich um die Zeitenwende. In seinen fünf Tropen der Skepsis zeigt er auf, woran eine philosophische, logisch-mathematische oder auch naturwissenschaftliche Beweisführung scheitern bzw. wie eine Behauptung angezweifelt werden kann.39

1. Tropos: Dissens: Philosophen liegen stets im Streit über alle möglichen Behauptungen, es gibt keine Übereinstimmung und keine verlässliche Lehrautorität.

2. Tropos: Regress ad infinitum: Jeder Satz bedarf einer Begründung, für die eine Begründung nötig ist, die aber angezweifelt werden kann, so dass sie einer Begründung bedarf, die aber ohne eine Begründung nicht auskommt, und so fort.

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