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Dieser politischen Veränderung entsprechen Veränderungen im Götterhimmel. Die hattischen Ureinwohner Kleinasiens hatten eine Sonnengöttin Eschtan und einen Sturmgott Taru verehrt. Die hethitischen Einwanderer hingegen verehrten an der Spitze ihres Pantheons einen Sonnengott (Sius, Sawel) und einen Sturm- und Wettergott (dieus, dyew). Die Hethiter verbanden beides miteinander, machten aus der Sonnengöttin einen männlichen Sonnengott namens Ischtanu, der fortan als „Vater“ und „König“ verehrt wurde. Neben ihm wird die Sonnengöttin Arinna als „Königin“ verehrt, die die Tradition der alten Erd- und Sonnengöttin Eschtan fortsetzt. Noch später wird die Göttin Arinna zu Hepat, die dem Sturmgott Tessub (Teššub), der den Sonnengott Tiwat (luwisch) oder Tiyat (palaisch) entthront hat, als Gemahlin beigegeben wird. Der Würzburger Altorientalist Daniel Schwemer fasst das Ergebnis dieses Prozesses wie folgt zusammen:

Die in der zentralanatolischen Stadt Arinna verehrte Sonnengöttin stand neben ihrem Gemahl, dem Wettergott, an der Spitze des hethitischen Reichspantheons. Ihr hethitischer Name war Istanu; dieser wiederum geht auf den Namen der hattischen Sonnengöttin Estanu zurück. Die Göttin gehörte also bereits zum Pantheon der vor den Hethitern in Zentralanatolien siedelnden Hattier. Die Hethiter unterschieden zwei Sonnengottgestalten: Istanu, die Sonnengöttin der Erde (bzw. Unterwelt), als Nachtgestalt des Gestirns, und den männlichen Sonnengott des Himmels als seine Taggestalt. Im Zuge der Aufnahme hurritisch geprägter nordsyrisch-südanatolischer Vorstellungen in die hethitische Theologie wurde die Sonnengöttin mit der nordsyrischen Hepat identifiziert. Diese steht (...) in der Hauptszene des Felsreliefs von Yazilikaya ihrem Gemahl, dem Wettergott, gegenüber. 21

Halten wir fest, dass es neben einem männlichen Sonnengott im kleinasiatischen Bereich eine „Sonnengöttin der Erde“ Istanu-Hepat gibt, die stark nächtlich-erdhafte Züge trägt und ursprünglich einen männlichen Sonnengott als Partner hat. Volkert Haas fasst zusammen: „In der von den Hethitern übernommenen, autochthonen hattischen Vorstellung ist die Sonne sowohl eine Göttin des Himmels als auch der Unterwelt (…) Die Sonnengöttin der Erde ist die Nachtsonne und unter diesem Aspekt die Herrin der Unterwelt.“22 Dieser chthonische Aspekt der Göttin verkörpert sich in hethitischer Zeit insbesondere in der hattischen Unterweltsgöttin Lelwani, die an der Spitze der im hešta-Haus verehrten unterweltlichen Göttergruppe steht. Typisch für ihren Kult ist u. a. die Verwendung von schwarzen Libationsgefäßen und die Opferung schwarzer Schafe, die anscheinend nicht erstochen, sondern mit einem speziellen Stein erschlagen wurden.23 Ihre Riten erinnern außerdem frappant an die Rituale, mit denen später bei den Griechen Hekate beschworen wird:

Will man sie in ihrem Aspekt als Unterweltsgöttin beschwören, so begibt man sich zu Höhlen oder man gräbt eine Grube, bringt blutige Opfer dar und spricht die Beschwörungen:

[Frühmorgens] begibt sich der Beschwörungspriester nach Nera-Lala und bringt dort dem Wettergott von Nerik ein Schaf als Blutopfer dar. Drei Schafe bringt er der Ereškigal – der Wurunsemu – und den uralten Göttern als Blutopfer dar. Man schlachtet die Schafe in eine Höhle hinab... Und der Beschwörungspriester ruft dreimal in die Höhle hinunter: ‚Herbei, herbei, Dämon der Erde, Dämon der Erde!’ Und dort spricht er fernerhin eine Beschwörung.

Sie öffnet den Unterweltsgöttern das „Tor der Unterwelt“, auf dass sie hervorkommen und das „Böse an Füßen und Händen fesseln“ und es „hinab in die Unterwelt schaffen“. Die Unterweltsgötter nehmen als Figürchen geformt an den Beschwörungshandlungen teil. Die Ritualhandlungen z.B. gegen Behexung werden als prozessuales Geschehen betrachtet: Kläger ist der Behexte, Beklagter der Hexer, Richter aber sind die Unterweltsgötter.24

Das Opfertier dient dabei als Substitut für den Behexten, wobei kein Zweifel besteht, dass in besonders schweren Fällen auch Menschen geopfert wurden, um die erzürnten Götter zu besänftigen.25 In den magischen Ritualen, in denen die Sonnengöttin häufiger erscheint als in anderen Ritualtexten, erscheint sie vor allem „in der Phase, in der es zunächst um die Beseitigung des Bösen, des Übels geht (bevor das Gute/Heile wieder aufgebaut wird)“26.

Wir werden später noch griechische Texte kennen lernen, in denen Hekate in einer Höhle lokalisiert wird, oder in denen das Ausheben einer Grube geschildert wird, in der ihr dann schwarze Schafe geopfert werden. Dass Opfertiere für die Manen und Götter der Unterwelt schwarz sein müssen, erwähnt bereits Homer (Ilias III, 104 - 105; Odyssee X und XI; vgl. auch Arnobius, Adv. Nat. VI, 20); und die vermittelnde Stellung der Hekate wird uns noch in den spätantiken Zaubertexten begegnen.

In diesem kleinasiatischen Umfeld, zwischen Syrien und Phrygien, müssen wir den Ursprung der Göttin Hekate suchen. Meiner Ansicht nach erklären sich viele rätselhafte Züge der Hekate, ihre Unheimlichkeit, ihre Rolle als Hexengöttin, ihre unabhängige Stellung im griechischen Pantheon aus ihrer ursprünglichen Rolle als machtvolle kleinasiatische Sonnen- und Erdgöttin. Hekate verkörpert einen Rest spezifisch weiblicher Macht und Magie, der sich die ganze Antike hindurch behaupten konnte.

Beziehungen zwischen Griechenland und Kleinasien bestanden bereits in mykenischer Zeit, wovon sich noch Spuren in den griechischen Sagen finden, nicht zuletzt in der Sage vom trojanischen Krieg. Dass sich hethitische und mykenische Kultur in der Bronzezeit an der Westküste Asiens überschnitten und durchdrangen, lassen die archäologischen Funde (z. B. in der Umgebung von Ephesos) erkennen. An die Griechen vermittelt wurde Hekate jedoch von dem rätselhaften Volk der Karer.

Die Karer

Als die Griechen im Laufe der ägäischen Völkerwanderung, die um 1250 v. Z. einsetzte, die Karer von ihren ursprünglichen Wohnsitzen in der Ägäis vertrieben, nahmen diese die Landschaft Karien in Besitz und gaben ihr ihren Namen, wobei sie eine ältere Bevölkerung (die Leleger) ins Landesinnere abdrängten:

Von den vielen Angaben über die Carier ist dieß die allgemeinste, dass die Carier von Minos Gesetze erhielten, und damals Leleger hießen, und die Inseln bewohnten. Dann begaben sie sich auf das feste Land und besetzten einen großen Theil der Küste und des innern Landes, den sie den vorigen Besitzern entrissen. Und auch dieß waren größtentheils Leleger und Pelasger; ihnen aber entrissen wiederum die Griechen einen Theil, die Ionier nämlich und die Dorier. Ihre Liebe für das Kriegswesen beurkunden die Handhaben der Schilde, die Wappen und Helmbüsche.27

Ob Leleger und Karer anfangs unterschiedliche Völker waren, ist nicht ganz klar, eine Stelle bei Homer (Ilias 10,42828) und Strabons Kommentar dazu (XIII, 58 f.) legen dies jedoch nahe. Jedenfalls scheinen die Karer, bevor sie selbst von den Griechen ins Landesinnere abgedrängt wurden, ursprünglich selbst über das Meer gekommen zu sein. Nach einer Sage sollen sie von der Insel Samos stammen. Auf Samos wuchs ein uralter Lygos-Baum (Agnus castus, Keuschlamm) der der Hera geweiht war. Unter diesem Baum soll die Göttin die Ureinwohner der Insel geboren haben. Dieser bis zu zwei Meter hohe Strauch mit bläulichvioletten Blumen ist seit jeher eine beliebte Bienenweide. Da die Biene schon bei den Hethitern ein Symboltier der Erdgöttin war, wie wir noch sehen werden, lag es dann nahe, die Pflanze ebenfalls der Göttin zuzuordnen.

Die Karer konnten, obwohl sie zunehmend hellenisiert wurden, doch eine gewisse kulturelle Eigenart bewahren. Um dies zu verstehen, müssen wir zunächst auf die Geographie Kariens eingehen. Karien ist eine Bergregion, die von drei großen Flüssen durchzogen wird, dem Morsynos (heute: Dandala Çay), dem Harpasos (Ahçay) und dem Marsyas (Çine Çay), die in den Mäander (Menderes) münden. Das Bergland fällt zur Küste hin steil ab, die stark zerklüftet ist. Karien erstreckte sich vom Mäander im Norden bis zum Indos in Süden und grenzte an Lydien, Lykien und Phrygien. Die Bergzüge im Norden bestehen aus Gneis, Granit und Glimmerschiefer, während im Süden mesozoisch-alttertiäre Sedimente überwiegen. Die wichtigsten Städte an der Küste waren die ionischen Siedlungen Ephesos, Milet und Halikarnassos, die Heimat des Historikers Herodot. Während die berühmten Seestädte wie Milet und Halikarnassos Handelsverbindungen bis nach Griechenland und Indien hatten, war das Hinterland fast gänzlich von der Landwirtschaft geprägt, die Wein, Oliven, Feigen und Honig erzeugte. Die Kiefern- und Pinienwälder des Latmos-Gebirges lieferten Holz für den Schiffsbau der Küstenstädte. Viele Karer aus dem Landesinneren verdingten sich als Söldner, Seeleute und Handwerker. In der Tat waren die Karer in der Antike allgemein als gute Soldaten und Seefahrer bekannt (auch als Piraten scheinen sie sich betätigt zu haben, s. Herodot 2,152). Karische Söldner werden schon in der Bibel erwähnt (2 Könige 11,4) und standen auch im Dienste der ägyptischen Pharaonen (Herodot 2,152 und 3,11).

Am Südufer des Bafa-Sees (der in der Antike noch nicht vom Meer abgeschnitten war) wurde Marmor abgebaut, der zum Bau der Tempel in Iasos, Milas, Herakleia, Aphrodisias usw. verwendet wurde. Die Siedlungsstruktur im Landesinneren war dörflich geprägt. Die Architektur der Karer, wie sie heute noch in Latmos (oberhalb von Herakleia am Nordufer des Bafa-Sees), Alinda und Labranda erkennbar ist, unterscheidet sich deutlich von der griechischen. Die Bauten wirken klobig und wuchtig, passen sich aber geschickt dem gebirgigen Gelände an und haben eine gewisse herbe Schönheit. Typisch karische Ortsnamen sind oft an der nichtgriechischen Endung auf –anda erkennbar (Labranda, Alabanda, Alinda). Karische Personennamen erkennt man an den Endungen auf –assis, -ollos und –omos. Einige karische Wörter: ala (Pferd), banda (Sieg), gela (König), gissa (Stein), Soua (Grab). Seitdem der Ägyptologe John D. Ray die karische Schrift in den 1980er Jahren entziffern konnte, hat sich herausgestellt, dass Karisch zu den anatolischen Sprachen gerechnet werden muss. 29

Über die Frühgeschichte Kariens ist wenig bekannt, da sie bisher kaum erforscht wurde. Anneliese Peschlow-Bindokat, die in den 1990er Jahren im Latmos-Gebirge steinzeitliche Felsmalereien entdeckte, nimmt aber an, dass es schon im 8. Jahrtausend v. Z. einen Kult des Wettergottes und einer großen Muttergottheit gegeben hat.30 Die Felsmalereien im Latmos stammen ihrer Ansicht nach aus dem 8. - 4. Jahrtausend vor Z. Älteste Spuren einer minoischen Kolonisation an der Küste stammen aus dem 2. Jahrtausend v. Z. „Über die Geschichte Kariens in den ersten Jahrhunderten des 1. Jahrhunderts v.Chr. erfahren wir aus den Quellen nichts.“31 Erst in den letzten Jahren hat man Spuren gefunden, die auf Beziehungen zum Hethiterreich hinweisen. Um 1000 vor Z. entstand dort die karische Rückzugssiedlung Latmos.

Die Karer bildeten ab dem 6.Jahrhundert v. Z. einen Bund (chrysaorischer Bund), dessen Zentrum zunächst Mylasa, später das Heiligtum des Zeus Chrysaor in Stratonikeia war, „in welchem sie zusammenkommen, um zu opfern und sich über gemeinsame Angelegenheiten zu beraten“ (Strabon XIV, 2,25). Während des ionischen Aufstandes der griechischen Küstenstädte 500 v. Chr. standen die Karer auf Seiten der Griechen, unterwarfen sich aber bald wieder dem Perserkönig Dareios. Im 4. Jahrhundert wurde Karien von der Herrscherfamilie der Hekatomniden beherrscht, deren Name offenbar von Hekate abgeleitet ist. Der bekannteste Herrscher aus diesem Satrapen-Geschlecht war Mausolos (377 - 351), dessen Frau Artemisia in Halikarnassos (Bodrum) das berühmte Mausoleion errichtete. Als Alexander der Große Karien eroberte, bestätigte er Mausolos’ Schweser Ada in der Herrschaft über Karien und ließ sich sogar von ihr adoptieren. Die Kultur der Karer war wie die der Lyder mutterrechtlich organisiert; was auch erklären mag, warum bei den Hekatomniden nach dem Tod eines Königs Schwestern und Gattinnen offenbar ganz selbstverständlich die Herrschaft übernehmen konnten. Die verwickelte Familiengeschichte der Hekatomniden und das selbstbewusste Handeln der beiden Königinnen Artemisia und Ada wird von Strabon in Buch XIV seiner Erdbeschreibung erwähnt:

Hekatomnus nämlich, der König von Karien, hatte drei Söhne, Mausolos, Hidrieus und Pixodarus, und zwei Töchter, mit deren älterer, Artemisia, der älteste der Brüder, Mausolus, vermählt war, während der zweite, Hidrieus, die andere Schwester, Ada, zur Gemahlin hatte. Als jener kinderlos starb, hinterließ er das Reich seiner Gattin, von welcher ihm das erwähnte Grabmahl errichtet wurde. Als aber auch sie aus Gram über den Verlust des Gatten an der Auszehrung verschieden war, herrschte Hidrieus, und ihm folgte, als er an einer Krankheit starb, seine Gemahlin Ada; diese aber verdrängte der Pixodarus, der noch übrige von den Söhnen des Hekatomnus. Dieser, ein Freund der Perser, ließ einen Satrapen zur Teilnahme an der Herrschaft kommen, und als auch er aus dem Leben schied, behielt der Satrap Halikarnassus, da er die Ada, eine Tochter des Pixodarus und der Aphneis, einer Kappadocierin, zur Gemahlin hatte. Als aber Alexander heranzog, hielt er eine Belagerung aus; Ada jedoch, die Tochter des Hekatomnus, welche Pixodarus verdrängt hatte, flehte den Alexander an und beredete ihn, sie in das ihr entrissene Königreich zurückzuführen, indem sie ihm ihre Mitwirkung in Bezug auf die abgefallenen Städte versprach, da ja deren jetzige Besitzer ihre Verwandten wären; auch übergab sie ihm Alinda, wo sie sich damals aufhielt. Alexander erklärte seine Zustimmung, ernannte sie zur Königin und überließ ihr, nachdem er die Stadt bis auf die Burg erobert hatte, die Belagerung jener.32

Ab 129 v. Z. gehörte Karien zur römischen Provinz Asia, ab 305 wurde es eigene Provinz (Caria), aus dieser Zeit stammt auch das Preisedikt des Diokletian in Stratonikeia. In byzantinischer Zeit gehörte es zum Thema Kibyrrhaiton, bis sich ab 1260 die Seldschuken und Osmanen in Karien festsetzten.

Ob die Karer die Gottheit Hekate aus ihrer ursprünglichen Heimat mitbrachten oder erst auf dem Festland kennen lernten, ist unklar, es spricht aber einiges dafür, dass Hekate eine autochthone kleinasiatische Gottheit ist. Karien war im Landesinneren eine eher unzugängliche Region, so dass sich dort altertümliche Sitten und Kulte länger hielten als andernorts (auch die Christianisierung verlief langsamer als andernorts). Nachdem man in den letzten Jahren die Schrift der Karer entziffern konnte und die wenigen Inschriften lesen konnte, ordnen Sprachwissenschaftler heute das Karische der Gruppe der anatolischen Sprachen zu, zu denen auch das Luwische gehört. Karisch wäre also eine indogermanische Sprache und folglich mit dem Hethitischen verwandt33. Eine Stelle bei Homer (Ilias II, 867) belegt jedenfalls, dass ihre Sprache von den Griechen als „rau“ empfunden wurde: Nastes führte die Karer, die rauh, ganz ungriechisch, sprechen 34

Strabon (XIV,2, 28) bemerkt zu diesem Vers, dass nicht etwa das Karische an sich „rau“ klinge, sondern das gebrochene Griechisch der karischen Söldner, die in ganz Griechenland angeheuert wurden.

Herodot geht jedenfalls davon aus, dass Lyder, Mysier und Karer stammverwandt sind; Strabon (XIV, 2,3) erwähnt überdies, die Einwohner von Kaunus hätten dieselbe Sprache wie die Karer und seien ursprünglich aus Kreta gekommen. Auch wenn die Karer also eine indogermanische Sprache sprachen, hatte ihre Kultur doch mit ziemlicher Sicherheit ein starkes Substrat aus der bronzezeitlichen ägäischen Kultur. In einem Gedicht des Kritias (460 - 403 v. Z.) wird den Karern die Erfindung des Schiffs zugeschrieben, eine Kulturleistung, die sie auf dieselbe Stufe wie die Phönizier stellt:

Der Phoiniker erfand, Stütze des Geistes, die Schrift.

Theben baute zum ersten Male den Wagen - die Karer,

kluge Beherrscher der See, stellten die Lastschiffe her.35

Eine andere Theorie besagt hingegen, dass Hekate ursprünglich eine thrakische Göttin sei, da ihr Kult in Makedonien und Thrakien sehr alt war. Darauf lässt der Paian Pindars für Abdera36 schließen, in dem Hekate der Stadt an Neumond das Schicksal verkündet, sowie eine Stelle bei Pausanias (II,30), der zufolge die Bewohner der Insel Ägina behaupteten, Orpheus habe den Hekate-Kult zu ihnen gebracht. Jedoch wurden dem Orpheus bei den Griechen alle möglichen Kulte zugeschrieben, so dass man diese Aussage nicht überbewerten sollte, auch Nilsson spricht sich gegen den thrakischen Ursprung aus: „Vor allem hat man das Zeugnis der Personennamen übersehen, das unwiderleglich beweist, dass der feste Sitz der Hekate in den kleinasiatischen Städten und auf den Inseln im Südosten zu suchen ist. Von hier stammen fast alle Träger der Namen Hekataios, Hekatomnos usw., die wir kennen.“37

Auf der durch den Mysterienkult der Kabiren berühmten Insel Samothrake hatte sie eine eigene Höhle, in der ihr bei Fackelschein Mysterien gefeiert und Hunde geopfert wurden; Hundeopfer sind auch für Böotien, Kos, Thrakien und Kolophon belegt.38 Von den Griechen wurden sie sogar gelegentlich als „karisches Opfer“ (karikòn thyma) bezeichnet. Vermutlich wurde Hekate auf Samothrake mit einer vorgriechischen Göttin namens Zerynthia gleichgesetzt, die auf samothrakischen Münzen als thronende Göttin mit zwei Löwen dargestellt wird. Der Löwe ist, wie schon Alfred Laumonier zu Recht hervorhebt, auch das Symboltier der hethitischen Hauptgöttin von Yazilikaya, der Atargatis, Kybele, Artemis, Hera, Dea Syriaca, Kirke, Cyrene und Nemea (vgl. Porphyrios, De abstinentia, III, 16 - 17). Auf Münzen aus Stratonikeia wird Hekate mehrfach mit einem Löwen als Reit- oder Begleittier abgebildet.39 Bezeichnenderweise wird Hekate auch öfters als „despoina“ (Herrin) bezeichnet, eine Anrede, die sonst nur orientalischen Göttinnen zuteil wird. In den anderen Regionen Kleinasiens wurde Hekate allem Anschein nach stets mit mächtigen Erdgöttinnen gleichgesetzt: In Kilikien war sie mit Gê (Gaia) identisch, in Phrygien hieß sie Nenena und wurde mit Zeus Brontôn verbunden, in Lykien war sie äquivalent mit Leto, in Pisidien hingegen Partnerin des Sonnengottes Helios, während sie in Chalke und auf Kreta anstelle von Hera an die Seite des Zeus trat. In Kolophon wurde sie mit Kybele geglichen.40 Die Göttinnen, die in Karien am meisten verehrt wurden, sind Aphrodite (Aphrodisias), Artemis (Ephesus) und Hekate (Lagina-Stratonikeia).

Eine weitere Besonderheit der Karer war der Kult des Zeus Labrandeos, des Zeus mit der Doppelaxt. Nun ist die Doppelaxt ein altes Symbol der Potnia, der „großen Herrin“, die unter den Namen Diktynna, Rhea und Gaia verehrt wurde. Dass der karische Wettergott dieses Symbol übernahm, deutet darauf hin, dass er ursprünglich der Gefährte der großen Göttin war und rückt ihn in die Nähe des syrischen Zeus Dolichenus, des lydischen Zeus Targunnos und des hethitischen Tessub, die alle Blitz und Doppelaxt führen. Der Gipfel des Latmos war ihm heilig und war noch im Mittelalter das Ziel von Bittprozessionen, die bei anhaltender Trockenheit veranstaltet wurden: „Der Stein besaß Heilkräfte und verlieh den Äbten die Gabe der Erleuchtung.“41 So berichtet in einer Vita des heiligen Paulos des Jüngeren, die kurz nach 955 entstanden ist! Mit dem „Stein“ ist der 1375 Meter hohe „Radberg“ (Teherledag) oberhalb des Styrosklosters gemeint. Der Wettergott mit der Doppelaxt, der auf Berggipfeln haust, ist selbst den Türken heute noch als sagenhafter „Regenvater“ (Yamurbaba) geläufig.

Der Tempel in Lagina

Das berühmteste Heiligtum der Hekate war Lagina in der Nähe von Stratonikeia.42 Dass der Tempel berühmt war und bei einem alljährlichen Fest viele Menschen anzog, berichtet der Geograph Strabon in seiner Erdbeschreibung (XIV, 2,25); in der Nähe befand sich der bereits erwähnte Tempel des Zeus Chrysaoreus. Lagina gehörte ab 189 v. Z. zum Herrschaftsgebiet von Rhodos, das mit Rom verbündet war; der Tempel wurde 40 v. Z. Von den Parthern geplündert und 27 v. Z. von Augustus renoviert. Der Tempel genoss Asylie, der entsprechende Senatsbeschluss aus dem Jahre 81 v. Z. wurde laut Tacitus (Annalen 3,62) von Cäsar und Augustus bestätigt.

Das heutige Turgut (früher Leyne) liegt 15 Kilometer nordwestlich von Yatağan in der türkischen Provinz Muğla. 8 Kilometer vor Turgut befindet sich ein riesiges Kohlekraftwerk, in dem die Kohlevorkommen, die in der Umgebung von Stratonikeia im Tagebau gewonnen werden, verheizt werden. Die heilige Straße nach Lagina wird heute nördlich des Stadttors von Stratonikeia durch Aufschüttungen versperrt, die durch den Kohleabbau verursacht wurden.

Das Tempelareal wurde erstmals 1891 - 93 ausgegraben, die derzeitigen Grabungen werden von Ahmet A. Tirpan geleitet. Das Gelände steigt nach Westen hin an, nach Osten hat man einen schönen Blick auf die Berge am Horizont. Das Heiligtum der Göttin bestand aus einem von dorischen Säulenhallen umgebenen Temenos mit einem um 27 v. Z. errichteten Propylon, welches ein Portal aus drei Monolithblöcken besitzt. An der Südseite des Bezirkes befinden sich Sitzstufen für Zuschauer der jährlichen Festspiele für die Göttin; in jüngster Zeit (2008) hat man auch im Nordwesten des Tempels Sitzstufen freigelegt. Der Tempel, ein Preudodipteros mit 8 x 11 korinthischen Säulen, stammt aus der 2. Hälfte des 2. Jhrs. v. Z. Er misst 21,50 auf 28,02 Meter. Die Cella des Tempels ist relativ klein, die Vorhalle (Pronaos) besitzt 2 eingestellte Säulen ionischer Ordnung. Der Tempel besitzt keinen Opistodomos (Raum hinter der Cella). Der Fries des Tempels mit Szenen der Hekate befindet sich heute im archäologischen Museum in Istanbul.

Der Fries zeigt die Göttin als Zentralgestalt eines kleinasiatischen Pantheons sowie als Geburtshelferin des Zeus. Der Westfries zeigt den Gigantenkampf und imitiert in vielen Einzelheiten den im 2. Jahrhundert v. Z. geschaffenen Pergamonaltar. Hekate ist hier eingestaltig als starre, stehende Gestalt dargestellt, wie sonst auch in der kleinasiatischen Tradition, und bildet den Mittelpunkt des Geschehens. Sie hält die Arme weit von sich gestreckt und hält eine Fackel in der rechten Hand. Im Zentrum des Nordfrieses reichen eine Amazone und ein Krieger sich die Hand zum Vertrag. Hekate, die eine Fackel und eine Schale in den Händen hält, macht eine Libation (Trankopfer) und verleiht dem Bündnis ihren Segen. Der Ostfries zeigt den Mythos der Zeusgeburt, wobei Hekate dem jungen Gott das Leben rettet, indem sie die Rolle der Rhea übernimmt und Zeus‘ Vater Kronos den Stein überreicht, den er anstelle seines Sohnes verschlingt. Hekate erscheint hier also in der Funktion der Kourotróphos, der Kinderschützerin. Der Südfries zeigt das karische Götterpaar Zeus und Hera mit vier Knaben; neben der sitzenden Hera steht Hekate, zu deren Füßen ein Hase kauert (!); zwischen dem thronenden Zeus und Hera steht Hermes, der einen Knaben am Kopf berührt. Hekate berüht das Kleinkind in Heras Armen am Kopf; diese Geste steht in auffälliger Entsprechung zur Segensgeste des Hermes. Beide Gottheiten sind hier wohl als kourotrophoi, Schützer des Nachwuchses, dargestellt. Rechts sind noch zwei karische Ortsnymphen und andere Götter erkennbar. Diese merkwürdige Zusammenstellung beruht sicherlich auf einer regionalen Überlieferung43. In Stratonikeia befand sich eine weitere Darstellung der stehenden Hekate, die ebenfalls in ziemlich starrer Haltung dargestellt war44.

Höhepunkt des Hekate-Kultes in Lagina war die jährliche Schlüsselprozession (kleidòs pompé), bei der ein Schlüssel und ein der Göttin geweihtes Gewand umhergetragen wurden. Der Schlüssel wurde meistens von Frauen getragen, es sind aber in den Inschriften auch einige Männer als Träger überliefert. Das Symbol des Schlüssels scheint jedoch stets mit der Vorstellung von Schicksal und Gerechtigkeit verbunden gewesen zu sein, denn kein Geringerer als Parmenides spricht von der „Schlüsselhalterin Gerechtigkeit“ (klêidoûchos Díkê), die mit der Ananke, der Notwendigkeit, identisch ist; diese bewacht das Tor, „wo sich die Pfade des Tages und der Nacht scheiden“, also den Ort, wo die Sonne untergeht.45 In der babylonisch-assyrischen Kultur wird jedoch des Öfteren davon gesprochen, dass ein Gott „das Schloss des reinen Himmels öffnet“46, wie es von Ischtar und Šamaš überliefert ist, im Falle von Hekate öffnet der Schlüssel aber sicher vor allem den Weg zur Unterwelt. Außerdem sind durch Inschriften regelmäßige Gastmähler und Geldausteilungen belegt, weißgekleidete Knaben zogen täglich zum Tempel und sangen zu Ehren der Göttin feierliche Hymnen47. „Welchen Platz die Mysterien einnahmen und worin sie bestanden, ist völlig unbekannt. Über die wahre Natur der Göttin gibt das Fest keinen Aufschluss; sie war sicher eine Karierin wie Zeus Panamaros und seine Gemahlin.“48 Eine Verbindung zu den kretischen Kureten und den Korybanten des Dionysos-Kultes stellt Strabon her, der davon berichtet, dass „einige die Kureten für Diener der Hekate und für dieselben mit den Korybanten“ halten (XIV, 3,20).

In Lagina fand man 198 Inschriften, die die Bedeutung des Kultortes bezeugen. Eine Inschrift stammt von einem Eunuchen, der Priester des Tempels war (Lagina 188/IStraton 544). Dass die Hekate-Priester aber keineswegs alle Eunuchen waren, wird z. B. durch die Inschrift Nr. 193 belegt, in der ein ungenannter Priester bezeugt, dass seine Frau und seine Tochter ebenfalls priesterliche Funktionen wahrnahmen. Die in ionischem Dialekt abgefasste, altertümelnde Inschrift ist schwer zu übersetzen, sie lautet:

Alles, was Kraft für die Armut beständig erlangte, sei dein Opfer, Göttin, du Erhabne. Auch meine Gattin habe ich zu deiner Priesterin gemacht, aus Asien, das eine reizende Art hat, Moschion, dazu noch Klodiane, ein reizendes Mädchen, das die Schlüssel mit ihren zarten Händen berührt, zur Schlüsselhüterin. Wieviel ich beim Mahl und Gelage geopfert, weiß zahlreich mein Zuhause zu bezeugen. Alles habe ich geopfert, wie es ärmliche Kraft mir gegeben, ja für dich und um dich, Dämon (oder: Göttin) fernzuhalten.49

Die Hekate-Priesterschaft war im Übrigen „die höchste Ehre, die den Mitgliedern des Priesteradels zuletzt nach der des Zeus Panamaros und des Zeus Chrysaor gewöhnlich nur einmal verliehen wurde“50 .

Ein weiteres Hekataion befand sich in Ephesus hinter dem Artemis-Tempel; dort befand sich laut Strabon (XIV, 1,23) eine Hekate-Statue des Thrason, von welcher der ältere Plinius behauptet, die Marmorstatue der Göttin habe einen so blendenden Schein von sich gegeben, dass die Fremdenführer die Besucher aufforderten, die Augen zu schützen (in cuius contemplatione admonent aeditui parcere oculis, tanta marmoris radiatio est, Nat. Hist. XXXVI, 32).

Das älteste archäologische Zeugnis der Hekate-Verehrung ist ein archaischer Rundaltar, der im Heiligtum des Apollon Delphinios zu Milet stand. Aus der Inschrift auf dem Stein geht nur hervor, dass drei Prytanen während ihrer Amtszeit den Altar stifteten, so dass „Hekate eine gewiss nicht unbedeutende Rolle im offiziellen Kult Milets gespielt haben dürfte“51. Die meisten Fundstücke lassen erkennen, dass Hekate (zusammen mit dem ithyphallischen Hermes oder Hermes Enodios, „Hermes Wegschützer“) im Kultus die Funktion einer Türhüterin und Entsühnerin zukam. So wird im Kultgesetz des Molpos, das um 100 v. Chr. aufgezeichnet wurde, festgelegt, dass bei der großen Prozession nach Didyma zwei gylloi (wahrscheinlich Steinwürfel) mitgeführt werden sollen, von denen der erste, bekränzt und mit ungemischtem Wein besprengt, παρ’ Έκάτην τήν πρόσθεν πυλέων, par’ Hekatên tên prosthen pyléôn, bei der Hekate vor den Toren, niedergelegt werden sollte.52 Dieser Brauch bedeutete wohl eine Entsühnung der Schwelle, die Unheil abwehren sollte, möglicherweise ist das Besprengen mit Wein Ersatz für ein Blutopfer in früherer Zeit. Ein ausdrücklicher Bezug zur Unterwelt ist nicht direkt zu erkennen, aber durchaus wahrscheinlich, da Hekate später ausschließlich mit chthonischen Göttinnen verschmolz: „Es ist unbedingt davon auszugehen, dass bereits die kleinasiatische Hekate in irgendeiner Weise unterweltliche Züge trug.“53

Eine Inschrift auf einer Asklepios-Säule aus Hassanlar (in Lydien) erwähnt Hekate und Men, den kleinasiatischen Mondgott, und weist darauf hin, dass Hekate auch eine Heilgöttin gewesen sein muss: Als Erfinderin der Gifte kann Hekate mit ihnen auch heilen statt schaden (auf die Dosis kommt es an). Dass Aristaios, der Vater des legendären Götterarztes Paion (Ilias 5, 401 u. 900), in einem Scholion zu Apollonios von Rhodos (3, 467) auch zum Vater der Hekate gemacht wird, bestätigt dies. Auf dem berühmten Pergamon-Fries kämpft Hekate an der Seite der olympischen Götter gegen die Titanen.

In Thrakien assimilierte Hekate jedenfalls Züge der Jagdgöttin Bendis, während sie in Thessalien mit der Wegegöttin Enodia und der wilden Brimo („die Wutschnaubende“) von Pherai verschmolz. Enodia wird auf Münzen aus Pherai als fackeltragende Reiterin dargestellt, die zur Nachtzeit erscheint und einen Bezug zur Unterwelt hat, da auch das Pferd als Todestier galt und Tote in Thessalien als Reiter dargestellt wurden (s. LIMC II, 1, 687 ff.). Anführerin der „wilden Jagd“ bleibt Hekate dann auch in der Folgezeit. In dieser Hinsicht ähnelt sie der deutschen Holle bzw. Percht.

In Antiochien soll Kaiser Diokletian (284 - 305) neben einem Apollo-Tempel einen unterirdischen Tempel der Hekate gebaut haben, der 365 Stufen hatte, wie der byzantinische Historiker Johannes Malalas berichtet (XII,38).54 Sollten die 365 Stufen darauf hindeuten, dass Hekate auch Herrin der Zeit ist? Jedenfalls wird sie in den spätantiken Zaubertexten auch als akroubórê bezeichnet, d.h. als die, die ihre Schwanzspitze frisst, was auf das in sich selbst zurücklaufende Jahr bezogen ist.55

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23 декабря 2023
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9783944180007
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