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A › Aufschiebende Bedingung § 158 Abs. 1 BGB
Aufschiebende Bedingung § 158 Abs. 1 BGB
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Unter einer aufschiebenden Bedingung versteht man ein zukünftiges Ereignis, dessen Eintritt zum Zeitpunkt des Rechtsgeschäftes (Rechtsgeschäft) noch ungewiss ist, von dessen Eintritt aber das Wirksamwerden eines Rechtsgeschäfts abhängig gemacht wird.
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Erläuterungen
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Rechtsgeschäftliche Bedingungen sind in den § 158 ff. BGB geregelt. Unterschieden wird hierbei die auflösende von der aufschiebenden Bedingung. Da die auflösende Bedingung in der Praxis eine äußerst untergeordnete Rolle spielt, wird im Folgenden nur auf die aufschiebende Bedingung eingegangen. Die aufschiebende Bedingung kann sich sowohl auf die Wirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts (Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte) – beispielsweise Kaufvertrag – als auch auf die Wirksamkeit des Verfügungsgeschäfts (Eigentumsübertragung) beziehen.
Beispiel:
Kauft Lea Müller eine schicke Eigentumswohnung unter der Bedingung, dass ein Kreditinstitut ihr diese finanzieren wird, so bezieht sich die Bedingung auf den Kaufvertrag, also auf das Verpflichtungsgeschäft. Macht Simon Neumüller die Übertragung des Eigentums an seinem Auto auf Alina Klein davon abhängig, dass diese den vollständigen Kaufpreis zahlt, so bezieht sich die Bedingung auf das Verfügungsgeschäft.
Eine solche Bedingung nennt man Eigentumsvorbehalt (Eigentumsvorbehalt).
Weiterführende Literatur
Stephan Lorenz/Veronika Eichhorn, Grundwissen – Zivilrecht: Bedingungen und Befristung, JuS 2017, S. 393-397. Sebastian Martens, Grundfälle zu Bedingung und Befristung – Teil 1, JuS 2010, S. 481-486; – Teil 2, S. 578-582.
A › Auslegung §§ 133, 157 BGB
Auslegung §§ 133, 157 BGB
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Durch Auslegung einer Willenserklärung (Willenserklärung) wird deren rechtlich erheblicher Sinn ermittelt.
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Erläuterungen
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Nicht nur Gesetze bedürfen häufig der Auslegung, sondern auch Willenserklärungen. Denn manchmal ist es nicht eindeutig, was ein Erklärender überhaupt erklärt hat. In solchen Fällen muss die Willenserklärung des Erklärenden ausgelegt werden. Das BGB enthält zwei Paragrafen, die sich auf die Auslegung von Willenserklärungen beziehen; nämlich § 133 und § 157 BGB. § 133 BGB sagt, dass „der wirkliche Wille“ des Erklärenden „zu erforschen ist“ und nicht stur der Wortlaut der Erklärung als Maß aller Dinge gelten soll. § 157 BGB besagt, dass „Verträge nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte“ auszulegen sind. Allerdings gilt § 157 BGB entgegen seinem Wortlaut auch für einseitige Rechtsgeschäfte (Rechtsgeschäfte). Das Verhältnis zwischen den beiden Paragrafen ist streitig. Allerdings ist dies im Ergebnis von wenig Bedeutung, da es einen allgemein anerkannten Kanon an Auslegungsregeln gibt; wie die vorrangig zu beachtende Auslegungsregel des übereinstimmenden Willens der Vertragsparteien. Weitere Punkte, die bei der Auslegung zu berücksichtigen sind, sind die Begleitumstände, der Kontext, die Vorgeschichte, gesetzliche Vermutungen, die Interessenslage der Parteien und natürlich, da fast alle Willenserklärungen empfangsbedürftig sind, der Empfängerhorizont, d. h. wie ein durchschnittlich intelligenter Empfänger die Worte des Erklärenden hat verstehen müssen.
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Zu der erst genannten Auslegungsregel gibt es einen berühmten Fall, der bereits seit fast einem Jahrhundert Jurastudenten vorgetragen wird; nämlich den „Haakjöringsköd-Fall“[1] aus dem Jahre 1920:
Zwei Deutsche schließen einen Kaufvertrag (Kaufvertrag) über „Haakjöringsköd“ ab. Beide dachten, dass „Haakjöringsköd“ Walfisch bedeutet; tatsächlich bedeute es aber, wenn man es aus dem Norwegischen ins Deutsche übersetzt, Haifisch. Das Reichsgericht ging von einem Kaufvertrag über Walfisch aus, da beide Parteien bei Vertragsschluss Walfisch und nicht Haifisch als Kaufgegenstand betrachteten.
Dieser Fall ist ein schönes Beispiel dafür, dass der übereinstimmende Parteiwille allen anderen Auslegungsregeln vorgeht. Nach der Auslegungsregel „Wortverständnis“ (die besagt, dass vom Wortlaut auszugehen ist) hätte man zum Schluss kommen müssen, dass ein Vertrag über Haifisch geschlossen wurde. Da beide Vertragsparteien sich jedoch einig waren, dass ein Vertrag über Walfisch geschlossen wurde, ist ihr übereinstimmender Parteiwille entscheidend. Denn: falsa demonstratio non nocet (eine Falschbezeichnung schadet nicht).
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Übungsfall Auslegung
Der Restaurantinhaber und Koch Walter Kahl und der Gemüsehändler Willy Vogel sind große Frankreichliebhaber und tätigen deswegen auch ihre Geschäftskorrespondenz auf Französisch, obwohl ihre Französischkenntnisse nicht überragend sind. Am 08.06.2019 bestellt Walter Kahl bei Willy Vogel per E-Mail „100 endives“. Sowohl Walter Kahl als auch Willy Vogel meinen, dass „endives“ auf Deutsch „Endivien“ bedeutet. Tatsächlich heißt es „Chicorée“. Willy Vogel, der einen Großteil seines Gemüses von französischen Bauern bezieht, gab die Bestellung des Walter Kahl textgleich an einen französischen Bauern weiter. Er hat nunmehr 100 Chicorée erhalten und liefert sie an Walter Kahl. Walter Kahl aber möchte kein Chicorée und besteht auf der Lieferung von Endivien. Zu Recht?
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Lösung
Der Käufer Kahl kann auf der Lieferung von Endivien gem. § 433 Abs. 1 S. 1 BGB bestehen, wenn zwischen ihm und dem Verkäufer Vogel ein Kaufvertrag gem. § 433 BGB über Endivien und nicht über Chicorée geschlossen wurde. Im vorliegenden Fall liegt eine Diskrepanz zwischen dem Wortlaut der Vereinbarung („endives“ = Chicorée) und dem Gemeinten (Endivien) vor. Die Willenserklärungen der Vertragsparteien müssen somit gem. §§ 133, 157 BGB ausgelegt werden.
Hierbei gilt der Grundsatz: Wenn sich beide Vertragspartner bei Vertragsschluss einig waren, gilt der Vertrag so, wie sie ihn gemeinsam verstanden hatten. Der überstimmende Wille der Parteien geht jeder anderen Auslegung vor und: falsa demonstratio non nocet. Deshalb hat Herr Kahl Endivien gekauft und kann folglich auch auf der Lieferung von Endivien gem. § 433 Abs. 1 S. 1 BGB bestehen.
Weiterführende Literatur
Lukas Beck, Gesetzesauslegung aus methodentheoretischer Sicht, JURA 2018, S. 330-338. Björn Biehl, Grundsätze der Vertragsauslegung, JuS 2010, S. 195-200. Johannes Cziupka, Die ergänzende Vertragsauslegung, JuS 2009, S. 103-109. Hein Lötz, Dispositives Recht und ergänzende Vertragsauslegung, JuS 2013, S. 289-296. Thorsten Süß, Geld oder Leben! Zum Verhältnis von Auslegung, Anfechtung und Mentalreservation, JURA 2011, S. 735-740.
Anmerkungen
[1]
RG, Urt. v. 8.6.1920, RGZ 99, S. 147-149.
B
Beweislastumkehr
Bürgschaftsvertrag
B › Beweislastumkehr
Beweislastumkehr
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Hierunter versteht man die Umkehr vom Grundsatz, dass jede Partei die ihr günstigen Tatsachen darlegen und beweisen muss.
B › Beweislastumkehr › Erläuterungen
Erläuterungen
Im deutschen Zivilrecht gilt der Grundsatz, dass jede Partei die für sie günstigen Tatsachen darlegen und beweisen muss.
Beispiel:
Anton Ast behauptet, dass Martin Biehl ihm 1.000 € schuldet. In diesem Fall obliegt es Anton Ast, dies zu beweisen (beispielsweise durch ein Schreiben, aus dem die Schuld von Martin Biehl hervorgeht).
In manchen Fällen trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass es für den grundsätzlich Beweispflichtigen schwer ist, einen solchen Beweis zu erbringen. So normiert das BGB in § 477 BGB, dass bei einem Verbrauchsgüterkauf (Verbrauchsgüterkauf) innerhalb der ersten sechs Monate nach Gefahrübergang (Gefahrübergang) zugunsten des Käufers vermutet wird, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war. Will sich der Verkäufer exkulpieren, trifft ihn die Beweislast dafür, dass die Sache bei Gefahrübergang mangelfrei war. Auch im Schadensersatzrecht gibt es solche Regelungen (Schadensersatz neben der Leistung).
Weiterführende Literatur
Lars Klöhn, Beweislastumkehr beim Verbrauchsgüterkauf (§ 476 BGB), NJW 2007, S. 2811-2815. Eike Schmidt, Die Beweislast in Zivilsachen, JuS 2003, S. 1007-1013. Fabian Stein, Die Darlegungs- und Beweislast im Zivilprozess – Ein Überblick, JuS 2016, S. 896-901.
B › Bürgschaftsvertrag § 765 BGB
Bürgschaftsvertrag § 765 BGB
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Der Bürgschaftsvertrag ist ein Vertrag (Vertrag), in welchem sich der Bürge gegenüber seinem Vertragspartner, dem Gläubiger (Gläubiger und Schuldner) der Bürgschaft, verpflichtet, für die Schuld eines Dritten einzustehen.
B › Bürgschaftsvertrag § 765 BGB › Erläuterungen
Erläuterungen
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Der Bürgschaftsvertrag ist in den §§ 765 ff. BGB geregelt. Der Bürge übernimmt im Bürgschaftsvertrag ein großes Risiko, denn er muss eventuell eine Schuld tilgen, von der er selbst keinerlei Vorteile genossen hat. Je nach Umfang der Schuld, kann dies den finanziellen Ruin für den Bürgen bedeuten.
Der Bürgschaftsvertrag ist ein einseitig verpflichtender Vertrag (einseitig verpflichtender Vertrag). Er wird zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger der Bürgschaft geschlossen. Der Gläubiger der Bürgschaft ist häufig ein Kreditinstitut. Zweck der Bürgschaft ist die Sicherung des Gläubigers: Sie soll sein Risiko mindern, die vom Hauptschuldner geschuldete Leistung nicht zu bekommen. Sie ist eine Personalsicherheit.
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Beispiel:
Daniel Hase nimmt bei der Dagobert Bank einen Kredit auf. Die Dagobert Bank verlangt zur Absicherung ihres Kredites Sicherheiten. Daniel schlägt vor, dass sich seine gut verdienende Freundin Bianca Beil für seinen Kredit verbürgt, womit die Bank einverstanden ist. Der Bürgschaftsvertrag wird also zwischen der Gläubigerin der Bürgschaft, der Dagobert Bank, und der Bürgin, Bianca Beil, geschlossen.
Die Bürgschaftserklärung muss schriftlich (Form) abgegeben werden. Dies geht aus § 766 BGB[1] hervor. In unserem Beispiel bedeutet dies, dass Frau Beil ihre Bürgschaftserklärung schriftlich (§ 126 BGB) abgegeben muss; die Dagobert Bank aber ihr Einverständnis mit der Erklärung der Bürgin Beil auch mündlich oder per E-Mail ausdrücken kann. Diese einseitige Formbedürftigkeit ergibt sich aus dem Bedürfnis, den Bürgen vor einer übereilten Bereitschaft zur Übernahme einer Bürgschaft zu warnen. Denn nochmals: Durch die Bürgschaft, übernimmt der Bürge nur Pflichten, erwirbt aber keine Rechte. Der Gläubiger der Bürgschaft, der ausschließlich von der Bürgschaft profitiert, braucht hingegen nicht gewarnt zu werden.
Die Bürgschaft ist akzessorisch. Dies bedeutet, dass die Verpflichtung des Bürgen vom jeweiligen Bestand der Hauptschuld abhängt; s. § 767 BGB. Sollte in unserem Beispielsfall Herr Hase bereits sein Kredit zur Hälfte getilgt haben; könnte die Dagobert Bank Frau Beil auch nur in dieser Höhe (nebst Zinsen, Kosten etc.) in Anspruch nehmen.
Dem Bürgen stehen mehrere Einreden (Einreden und Einwendungen) zu. Die für den Bürgen (theoretisch) wichtigste Einrede ist die Einrede der Vorausklage gem. § 771 BGB. Die Einrede der Vorausklage bedeutet, dass der Bürge sich solange weigern kann, den Gläubiger zu befriedigen, bis dieser noch nicht erfolglos in das bewegliche Vermögen des Schuldners der Hauptverbindlichkeit vollstreckt hat (§§ 771, 772 BGB). Der Bürge soll nur für den Notfall einstehen und nicht wie ein Mitschuldner behandelt werden. Allerdings wird in der Praxis meist vom Bürgen verlangt, dass dieser auf die Einrede der Vorausklage verzichtet. In diesem Fall wird die Bürgschaft als selbstschuldnerische Bürgschaft (§ 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB) bezeichnet. Eine selbstschuldnerische Bürgschaft liegt auch dann vor, wenn für den Bürgen die Bürgschaft ein Handelsgeschäft ist (§ 349 HGB). Des Weiteren gibt es noch eine Reihe von anderen besonderen Bürgschaften: Höchstbetragsbürgschaft (für den vorsichtigen Bürgen), Zeitbürgschaft, Bürgschaft auf erstes Anfordern etc.
Ein kleiner Trost für den Bürgen ergibt sich aus § 774 BGB, der einen gesetzlichen Forderungsübergang (Abtretung), cessio legis, für den Fall vorsieht, dass der Bürge den Gläubiger teilweise oder vollständig befriedigt hat.
Übungsfall Bürgschaft
Herr Dieter Dunker nimmt bei der Krumm-Bank ein Darlehen in Höhe von 100.000,- EUR auf. Sein Freund Arno Beier verbürgt sich in Form einer selbstschuldnerischen Bürgschaft in Höhe der Darlehenssumme nebst Zinsen und Nebenkosten.
Es stellt sich heraus, dass Herr Dunker von der Krumm-Bank arglistig getäuscht wurde. Dieter Dunker ficht den Vertrag dennoch nicht an. Herr Beier wird aus der Bürgschaft von der Krumm-Bank in Anspruch genommen.
a) | Herr Beier fragt Sie, ob er den Darlehensvertrag selbst anfechten kann oder ob die arglistige Täuschung seitens der Bank sich für ihn ansonsten „irgendwie vorteilhaft“ auswirkt? |
b) | Außerdem will er wissen, ob die Krumm-Bank nicht zuerst seinen Freund Dieter in Anspruch nehmen muss. |
Lösung
a) | Herr Beier kann als Bürge, der nicht Partei des Darlehensvertrages ist, den Darlehensvertrag selbst nicht anfechten. Er kann jedoch gem. § 770 Abs. 1 BGB die Befriedigung der Krumm-Bank verweigern, solange sein Freund Dieter (theoretisch) das Recht hat, den Darlehensvertrag anzufechten. |
b) | Da im folgenden Fall eine selbstschuldnerische Bürgschaft gem. § 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB vorliegt, steht Herrn Beier nicht die Einrede der Vorausklage gem. § 771 BGB zu. |
Weiterführende Literatur
Hans-Joachim Musielak, Die Bürgschaft, JA 2015, S. 161-169.
Anmerkungen
[1]
es sei denn die Bürgschaft wäre für den Bürgen ein Handelsgeschäft (§ 350 HGB).
D
Dauerschuldverhältnis
Dienstvertrag
Dissens
D › Dauerschuldverhältnis
Dauerschuldverhältnis
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Dauerschuldverhältnisse (Schuldverhältnis) sind Verträge (Vertrag), die sich nicht in der einmaligen Erbringung einer Leistung erschöpfen, sondern vielmehr durch Leistungen über einen gewissen bzw. unbestimmten Zeitraum geprägt sind.
D › Dauerschuldverhältnis › Erläuterungen
Erläuterungen
54
Es gibt zahlreiche Schuldverhältnisse, welche nur einmalige Leistungen vorsehen – wie z. B. der Kauf- oder der Werkvertrag –; andere Schuldverhältnisse hingegen sind auf Dauer angelegt (und heißen deswegen auch Dauerschuldverhältnisse) – wie z. B. der Miet- oder der Arbeitsvertrag. Hier zahlt der Mieter nicht nur einmal seine Miete, sondern tut dies über einen längeren Zeitraum; genau wie sein Vertragspartner, der Vermieter, ihm den Gebrauch der Mietsache für diese Dauer gewährt. Ein Arbeitnehmer erbringt nicht nur eine einmalige Leistung, sondern arbeitet regelmäßig für eine gewisse oder eine unbestimmte Dauer für einen Arbeitgeber und erhält im Gegenzug vom Arbeitgeber einen wiederkehrenden Lohn für seine Leistungen. Sogenannte Sukzessivlieferungsverträge – wie z. B. der Bierlieferungsvertrag – sind ebenfalls Dauerschuldverhältnisse. Kein Dauerschuldverhältnis ist allerdings der Ratenkauf, weil hier lediglich die Zahlung des Kaufpreises „in die Länge gezogen wird“.
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Dauerschuldverhältnisse können gekündigt (Kündigung) werden; manchmal sogar ohne die Einhaltung einer Frist, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ein wichtiger Grund liegt gem. § 314 BGB dann vor, wenn „dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses […] nicht zugemutet werden kann.“ Dies ist z. B. dann der Fall, wenn der angestellte Buchhalter Geld seines Arbeitgebers unterschlagen hat. Hier kann dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden, die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten. Dies ergibt sich aus den für den Arbeitsvertrag speziellen Vorschriften des § 626 BGB.
Weiterführende Literatur
Patrick Meier, Zur Abgrenzung zwischen Dauerschuldverhältnis und Ratenvertrag, ZfPW 2016, S. 233-256.
D › Dienstvertrag § 611 BGB
Dienstvertrag § 611 BGB
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Unter einem Dienstvertrag versteht man einen gegenseitigen Vertrag (gegenseitiger Vertrag), durch welchen der Dienstverpflichtete sich zur Leistung einer qualifizierten Tätigkeit und der Dienstberechtigte sich im Gegenzug zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.
D › Dienstvertrag § 611 BGB › Erläuterungen
Erläuterungen
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Der Dienstvertrag ist in den §§ 611 ff. BGB geregelt. Die beteiligten Parteien am Dienstvertrag sind der Dienstverpflichtete und der Dienstberechtigte, also derjenige der die Dienste des Dienstverpflichteten in Anspruch nimmt.
Der Dienstvertrag ist ein gegenseitiger Vertrag (gegenseitiger Vertrag). Er bedarf keiner Form (Form), kann also auch mündlich abgeschlossen werden.
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Im Unterschied zum Werkvertrag (Werkvertrag) schuldet der Dienstverpflichtete dem Dienstberechtigten keinen konkret definierten Erfolg, sondern lediglich eine qualifizierte Tätigkeit.
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Der bekannteste und im Wirtschaftsleben der bedeutendste Dienstvertrag ist der Arbeitsvertrag (§ 611a BGB). Dieser wird zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer geschlossen. Das Recht des Arbeitsverhältnisses ist nur zum kleinen Teil im BGB geregelt. Die meisten Regelungen finden sich in zahlreichen Sondergesetzen, wie beispielsweise im Kündigungsschutzgesetz oder im Bundesurlaubsgesetz.
Weitere Dienstverträge sind z. B. der Unterrichtsvertrag, der Telekommunikationsvertrag bzw. zahlreiche Geschäftsbesorgungsverträge (Geschäftsbesorgungsvertrag) mit Dienstleistungscharakter wie der Vertrag mit einem Rechtsanwalt oder einem Steuerberater.
Der Behandlungsvertrag (medizinische Behandlung) ist wie der Arbeitsvertrag ein besonderer Typ des Dienstvertrages; geregelt in den §§ 630a ff. BGB.
Weiterführende Literatur
Christian Alexander, Leistungsstörungen im Dienstvertrag, JA 2015, S. 321-328.
D › Dissens §§ 154, 155 BGB
Dissens §§ 154, 155 BGB
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Ein Dissens liegt vor, wenn die Parteien sich nicht über alle Punkte der Vereinbarung einig geworden sind.
D › Dissens §§ 154, 155 BGB › Erläuterungen
Erläuterungen
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Der Gesetzgeber unterscheidet dabei zwischen einem offenen und einem versteckten Dissens.
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Der offene Dissens ist in § 154 Abs. 1 BGB geregelt. Wurde zumindest nach dem Willen eines Vertragspartners über mindestens einen bestimmten Punkt keine Einigung getroffen – was den Vertragsparteien auch bewusst ist –, so ist der Vertrag (Vertrag) regelmäßig auch im Übrigen nicht bindend. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Vertragsparteien bereits mit der Erfüllung (Erfüllung) des Vertrages begonnen oder auf andere Weise kundgetan haben, dass sie sich an den Vertrag gebunden fühlen.
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Ein versteckter Dissens liegt gem. § 155 BGB dann vor, wenn die Vertragsparteien sich über einen einzelnen oder einzelne Punkte nicht geeinigt haben, obwohl sie davon ausgingen, dass diesbezüglich Einigkeit besteht.
Ein versteckter Dissens kann vorliegen, wenn die Parteien sich versehentlich über Vertragspunkte nicht oder nur unvollkommen geeinigt haben (beispielsweise fehlt die Einigung über den Kaufgegenstand) oder sie haben mehrdeutige Begriffe verwendet, die von den Vertragsparteien unterschiedlich verstanden worden sind (beispielsweise die unterschiedliche Zusammensetzung von Titeln eines sog. Best of-Albums). Liegt ein solcher Dissens hinsichtlich entscheidender Vertragspunkte (essentialia negotii) vor, so gilt der Vertrag als nicht geschlossen. Liegt der Dissens nur in Bezug auf einen Punkt, der als nicht wesentlich zu betrachten ist (denn der Vertrag wäre auch ohne Einigung bezüglich dieses Punktes geschlossen worden), vor, so bleibt der Vertrag gültig und die Einigungslücke ist durch gesetzliche Vorschriften bzw. durch eine ergänzende Vertragsauslegung (Auslegung) zu schließen.
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Übungsfall Dissens
Die verwöhnte Studentin Frieda Fallersleben nennt sowohl einen ein Jahr alten Fiat 500 als auch einen zwei Jahre alten Mini Rover ihr Eigentum. Da sie mittlerweile den Mini Rover leid ist, möchte sie ihn verkaufen, um eine kostspielige Kreuzfahrt zu finanzieren. Sie sagt deswegen zu ihrer Kommilitonin Marie, dass sie ihr ihr Fahrzeug für 9.999 € verkaufen würde. Marie, die davon ausgeht, dass der Fiat 500 gemeint ist, willigt in den Kauf ein.
a) | Liegt ein Dissens vor und wenn ja, welcher? |
b) | Welche Rechtsfolge zieht der Dissens nach sich? |
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Lösung
a) | Es liegt ein versteckter Dissens vor, denn sowohl Frieda als auch Marie gehen davon aus, dass sie sich einig geworden sind. |
b) | Der Dissens bezieht sich im vorliegenden Fall auf den Kaufgegenstand, also einen wesentlichen Vertragspunkt. Infolgedessen gilt der Vertrag als nicht geschlossen (§ 155 BGB). |
Weiterführende Literatur
Ute Jung, Die Einigung über die „essentialia negotii“ als Voraussetzung für das Zustandekommen eines Vertrages, JuS 1999, S. 28-32.