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Susanne Wiborg

Mein Garten, mein Paradies

Mit Bildern von

Rotraut Susanne Berner


Verlag Antje Kunstmann


Neues vom Alten: Burgunder

Rauhes Klima, Sandboden, Regen überreichlich: Weinbaugebiet sieht irgendwie anders aus. Weil ich trotzdem von prächtigen Reben geträumt habe, waren Enttäuschungen lange reihenweise vorprogrammiert: Sorten, die unser Klima angeblich vertragen sollten, taten es mitnichten. So hatte mich die harte Heide-Realität irgendwann gelehrt, dankbar zu sein, falls sich wenigstens ein paar Blätter bis zur Herbstfärbung hielten, und weitergehende Winzer-Träume aufzugeben.

Bis der Alte kam. Genauer gesagt: Er kam nicht, ich entführte ihn. Unter dem wartenden Abrissbagger weg schaffte ich es noch, einige Ranken von einem uralten Weinstock zu bergen, der mich an der Wand eines kleinen, jahrelang leer stehenden Bauernhauses schon lange fasziniert hatte. Dort, längst tief im Schatten und inmitten von Müll und Verfall, war er als lebende Unmöglichkeit nicht nur zu einem sagenhaft üppigen und gesunden, sicher gut hundertjährigen Stock herangewachsen, der zum Schluss das ganze Haus überwucherte, sondern hatte auch noch unermüdlich Unmengen kleiner dunkelblauer Trauben getragen. Kurzum: Unter den denkbar ungünstigsten Umständen verkörperte er die größte Stärke von Vitis vinifera: diese fröhliche, schier unbezähmbare Vitalität.

Die zeigte sich auch an den Stecklingen: Alle trieben prompt aus, und bald war ich stolze Besitzerin von mehreren kräftigen kleinen Reben. Einige zogen um, um das alte Backhaus eines emsländischen Bauernhofes zu besiedeln, die anderen lieferten mir den willkommenen Grund, endlich einiges vom überalterten Vorbesitzer-Gestrüpp aus dem Revier zu verbannen. Bisher hatte ich es aus Pietät nicht angetastet, doch nun brauchte mein Nachwuchs eine Pergola, also: Rotwein statt Riesenberberitzen!

Der erste Frühjahrsaustrieb lehrte mich dann, die Neuzuwächse wirklich zu lieben: Er war von einem wunderschönen, intensiven Burgunderrosa, die Triebspitzen weiß bepudert. Schien die Sonne, funkelte die aparte Farbe regelrecht über dem frisch ergrünten Garten – ein absolut bezaubernder Effekt. Später waren die großen, rauen dunkelgrünen Blätter rund, nur leicht gekerbt und unterseits weißlich-rosa. Über mieseste Regenperioden hinweg blieben sie gesund, und die Stöcke wucherten mit genau diesem Überschwang, der die Weinrebe zum Symbol von Lebensfreude und Fruchtbarkeit gemacht hat.

Da entging mir vor Entzücken zunächst völlig, dass es mit der Fruchtbarkeit nicht weit her war: Mein sorgfältig nach Winzer-Rat gestutzter Wein blühte nicht und trug erst recht keine Früchte. Aus dem Emsland kam indessen schon die Kunde von einem ganzen Backhaus voller üppiger Trauben – Erfolgsgeheimnis: einfach in Ruhe lassen. Ich verzichtete also auf jeden Rückschnitt, und im vierten Standjahr war es so weit: Meine Weinstöcke blühten reichlich, und im Herbst baumelten von der Pergola blauschwarze Trauben gesunder Beeren, viel dicker, als sie es am Ursprungsstandort je gewesen waren. Ein Anblick, von dem ich im eigenen Garten schon längst nicht einmal mehr zu träumen gewagt hätte. Profis würden die Trauben zwar vermutlich als höchstens mittelgroß einschätzen, aber für diese Gegend ist das schon dicht am Paradies. Sie hatten derart dicke Schalen, dass sowohl Wespen als auch Vögel sie in Ruhe ließen, kein Mistwetter und kein Pilz brachten sie zum Platzen, und ihr Aroma wurde noch über den ersten Frost hinaus jeden Tag besser, sodass ich schließlich bis tief in den Herbst hinein frische Trauben ernten konnte.

Sie schmecken nach Burgunder, aber mit wem genau wir es zu tun haben, wissen wir immer noch nicht. Die Beschreibung des Schwarzrieslings, wegen des wie mehlbestäubten Austriebs auch »Müllerrebe« genannt, kommt dem Alten recht nahe, passt aber nicht ganz. Vermutlich ist es einfach eine lokale Bauerngarten-Sorte aus Kaisers Zeiten, die so robust war, dass sie sogar das raue Heide-Leben bereitwillig versüßte, und die mit dem Abriss des alten Hauses endgültig in der Vergessenheit verschwunden wäre. Vor diesem Schicksal vieler lokaler Kulturpflanzen hat ihre Vitalität sie zum Glück einstweilen bewahrt: Im Emsland hat sie – außer dem Backhaus – inzwischen eine komplette Stallwand erobert, Tendenz buchstäblich: steigend, und längst gedeiht sie auch weithin im Freundeskreis.

Selbst hier, auf dem so ärgerlich beschränkten Raum, grüble ich schon wieder, wo noch eine Pflanze mehr hinpassen könnte. Was schwer werden dürfte, denn einen Nachteil hat der wuchskräftige Beinahe-Wildling leider doch: Er hasst Einschränkungen. Muss ich die Reben hart zurückschneiden, nehmen sie das schwer übel, treiben weniger stark aus und tragen im folgenden Jahr kaum. Dürfen sie sich frei entfalten, was bedeutet: bedecken, was immer ihnen vor die Ranken kommt, hängen sie prompt voller Trauben. Also eher ein Bauernhof- als ein Minigarten-Mitbewohner, doch wo ein Wille ist, ist für eine Kletterpflanze ja bekanntlich meist auch ein Weg – nach oben. Mangelnder Wille ist wirklich das Letzte, was man dem Alten nachsagen könnte, und so wird es für ihn hoffentlich auch weiterhin heißen: Fortsetzung folgt!


Einer geht immer: Efeu

Typisch Februar: Sobald die Sonne schon steigt, der Frühling aber noch hoffnungslos weit weg scheint, übersteigt mein gärtnerischer Frustpegel regelmäßig den Intelligenzquotienten. Die Weihnachts-Gartenbücher sind längst gelesen, die Kataloge sowieso, und immer noch zieht sich der Winterrest dermaßen zähe, dass ich in einem Anfall akuten Grünentzugs sogar schon im Schuppen die Werkzeuge geölt habe. Ich will endlich wieder raus, aber was kann ich da bloß machen?

Als die Sonne zum ersten Mal mühsam über die Nachbarsfichten geklettert war und es frühlingshaft warm zu werden schien, fiel mein gartengieriges Auge auf ein paar alte Blätter hinter dem Birnbaum. Normalerweise hätte ich die nicht mal registriert und gern den Regenwürmern überlassen. Aber es war eben nicht normal, es war Februar. Ich war fast ein Vierteljahr lang nur noch in dickem Regenzeug durchs Revier gehuscht, hatte höchstens mal Schneematsch räumen dürfen und die Nase voll vom Winter. Also schnappte ich mir die Fächerharke und stürzte mich mit vollem Frühlings-Elan auf die Blätter – nur um dann festzustellen, dass sie allesamt am Boden angefroren waren.

Während dieses slapstickverdächtigen Leerlauf-Harkens zupfte mich jemand unablässig an Haar und Jackenkragen: Der Efeu am Birnbaum reckte schon wieder kecke Ranken in die Luft. Hedera helix ist so ziemlich der Einzige hier, dem nicht nur die Jahreszeiten beneidenswert egal zu sein scheinen, sondern der sich im immer tieferen Fichtendunkel auch uneingeschränkt wohlfühlt. Einst haben ihn die Vögel mitgebracht, und seine Anfänge waren zart und täuschend niedlich: apart geschnittene und gemusterte Blättchen, die sich bescheiden in den Schatten duckten. Allerdings nicht lange. Inzwischen gilt: Wo ich dem Efeu keinen Platzverweis erteile, gehört alles ihm.

»Es gibt kaum ein treueres Grün«, begeistert sich ein Gartenbuch aus Kaisers Zeiten, »eine idealere Blattform, eine herrlichere Liane als den Efeu.« »Treu« ist hier allerdings ein absolutes Understatement. Was der Efeu hat, das hat er. Seine Festklammer-Fähigkeit grenzt an Magie, und wie schwer es ist, die vitale Liane auch nur einigermaßen im Zaum zu halten, brauche ich niemandem zu erklären, der mit Hedera helix ein kleineres Revier teilen muss als eine zünftige Burgruine.

Neuaustriebe, denen man zum zigsten Mal die Einbruchsversuche durch jede Fensterritze verwehren will, knicken dabei ständig ganz kurz ab, bis die Fingernägel brechen, und bei alten Ranken gibt im Zweifelsfall zuerst der Putz nach. Anschließend folgt der Magie zweiter Teil: Hat man endlich freigelegt, was der Efeu nicht haben soll, braucht man ihm nur den Rücken zu drehen, und er ist sofort wieder da.

Was im Sommer eher entnervend wird, kommt für Februar mehr als recht: Wenn im Garten sonst nichts geht, Efeubändigen geht eigentlich immer: Die erlaubte Hauswandhöhe war schon längst wieder deutlich überschritten, von den nächsten Einsteigversuchen gar nicht zu reden. So zerrte, kratzte und riss ich alles, was sich schon wieder zwischen Mauerwerk und Fenster zu mogeln versuchte, in Ministücken von der Hauswand. Während ich die gemauerten Fensterbretter freilegte, ließ der reichlich mitkommende Fünfzigerjahre-Mörtel die Ruinen-Vorliebe von Hedera helix in einem ziemlich düsteren Licht erscheinen: Offenbar lässt er auch hier nichts unversucht, um sich ein artgerechtes Biotop zu erschaffen.

Nach diesem Aufwärmen kamen Apfel- und Birnbaum an die Reihe, die mit ihren knapp mannshohen grünen Pullovern gewöhnlich sehr adrett aussehen, ganz zu schweigen davon, dass ihr Efeupelz ein beliebtes Weinbergschnecken- und Zaunkönigdomizil ist. Im Moment war da allerdings nichts mehr mit adrett: Die beiden erinnerten eher an indignierte alte Damen, die erschrocken aus einem heftig ausfransenden Spitzenkragen spähten, so energisch strebte der Efeu schon wieder kronenwärts. Der Uralt-Apfelbaum hatte deutlich unter seiner malerischen Umklammerung gelitten, denn beim Efeu-Abreißen kam nicht nur die Rinde in ganzen Stücken mit, vielmehr sah das Freigelegte auch noch unerfreulich modrig aus. So verordnete ich Malus kurzerhand eine Efeupause zum Erholen, sprich: Ich legte den Stamm und seine Umgebung so weit frei, dass der Wucherer einige Zeit für den Rückweg brauchen würde. Dass dabei für mich endlich auch richtige Gartenarbeit raussprang, war der Vorteil am Rande: Das Ziehen der langen Triebe war anstrengend und daher wunderbar befriedigend, und die Belohnung folgte buchstäblich auf dem Fuße: auf dem des Apfelbaums nämlich. Überall rundum kamen jetzt die ersten zaghaften Spitzen der Krokusse zum Vorschein, die ich unter mehreren Schichten Efeu längst vergessen hatte. Während ich wie ein wandernder, tentakelgeschmückter Riesenbusch einen Schwung Endlosranken nach dem anderen kompostwärts beförderte, genoss ich die allerbeste Saisonauftakt-Laune dabei von Herzen: Zum ersten Mal nach all den dunklen Monaten konnte ich wirklich glauben, dass selbst im fiesen Februar der Frühling eigentlich schon um die Ecke wartet.


Spontane Zwerge: Elfenkrokus

Es gibt zwei Sorten von Vorfrühlings-Blühern: die Geduldigen und die Spontanen. Die Ersten erlauben es winterfrustrierten Gärtnern netterweise, sich über die längsten, dunkelsten Monate des Jahres hinweg wenigstens an ihrem Wachstum mitzufreuen. Narzissen und Schneeglöckchen gehören dazu, deren elegante grüne Spieße im Stop-and-Go-Verfahren jedes bisschen Wärme mit einem vielversprechenden Schub quittieren, um dann bei Kälte wieder still abzuwarten. Oder die Helleborus, die meine ewigen gärtnerischen Ungeduldstouren rund ums Revier schon sehr früh mit sichtbaren Knospenansätzen belohnen. Die ducken sich dann wochenlang an die Hauswand wie winzige, in eine üppige Krause gekuschelte Eier – das lebende, tröstliche Prinzip Frühlings-Hoffnung.

Auf der anderen Seite steht der botanische Knalleffekt: Blüten, die mit der ersten kräftigen Vorfrühlingssonne so urplötzlich da sind, dass ich eigentlich nur noch auf ein fröhliches »Peng!« warte, wenn sie aus der Erde und mir buchstäblich in den Weg zu springen scheinen. Denn dass diese temperamentvollen Typen auch noch eine Vorliebe für unkonventionelle Standortwahl haben und jede Pflasterritze nutzen, versteht sich von selbst. Prototyp solcher Schnellblüher sind hier die zierlichen Elfenkrokusse: Zwar weiß ich eigentlich, wo sie stehen, aber ihr blitzschnelles Erscheinen ist jedes Mal eine glückliche Frühlingsüberraschung: Ist es wirklich endlich so weit? Abends schien noch alles kahl, aber in der ersten vollen Sonne leuchten sie dann überall: helle, fast durchsichtig violette Kelche, von Flieder bis dicht an Purpur, in der Mitte ein aparter safrangelber Stempel. Crocus tommasinianus wirkt ganz besonders zart und elegant, weil die Unterseite nicht – wie bei vielen anderen Krokussen – kräftig gestrichelt, sondern einfarbig hell ist. Dieses matte, pudrige Silberweiß verstärkt das Blassviolett der Kelche, und so schimmern dann lauter graziöse kleine Amethyste da, wo eben noch winterliche Tristesse herrschte.

Ich liebe Elfenkrokusse nicht nur wegen ihres unwiderstehlichen Charmes, ich liebe sie ebenso, weil sie mich lieben. Oder vielmehr: Sie lieben meinen Garten – und das ist alles andere als selbstverständlich. Die meisten Krokusse tendieren hier dazu, sich von der Kombination aus bindigem Boden und rauem Klima unverzüglich schaudernd zu verabschieden. Die Elfenkrokusse aber blühen und vermehren sich gleichermaßen üppig, ohne dass sie dabei mehr Unterstützung benötigen als gar keine. Sie möchten einfach nur in Ruhe gelassen werden, bis sie Samen gebildet und eingezogen haben. Beides geht sehr schnell, und sobald sie wieder in der Zwiebel ruhen, stört sie nichts mehr, weder Dürre noch Dauerregen. Die violetten Zwerge sind also ebenso robust wie dekorativ – und was mehr kann man von einer Pflanze verlangen?

Hier in Norddeutschland gehört der Elfenkrokus, der ursprünglich aus Dalmatien stammt, zu den »Stinsenpflanzen«, abgeleitet vom friesischen Wort für »Steinhaus«. Steinhäuser waren einst den Wohlhabenden vorbehalten, die es sich auch leisten konnten, ihre Residenzen mit seltenen Pflanzen zu umgeben. Viele von ihnen, etwa Märzenbecher und Milchsterne, verwilderten später, sowohl in der Natur als auch am Ursprungsstandort. Berühmtestes Beispiel ist der jahrhundertealte, überwältigende Krokusteppich am Husumer Schloss mit seinen etwa fünf Millionen Crocusnapolitanus-Pflanzen.

Wer ähnliche Pracht en miniature nachpflanzen möchte, findet dafür in dem robusten Elfenkrokus einen willigen Partner auch an ungünstigeren Standorten. Es muss nicht gleich ein Schlosspark, es muss nicht einmal Rasen sein: Am Gehölz- und Wegrand macht der kleine Violette eine wunderbare Figur, und meine Beete sind inzwischen voller eingewanderter Elfenkrokusse, die sich nach der Blüte, ihr verwelkendes Laub bestens verdeckt durch andere Pflanzen, fröhlich vermehren, während der Ruhephase gärtnerische Aktivitäten in keiner Weise übel nehmen und mit ihrem großen Vorfrühlings-Auftritt sowohl mich als auch die ersten Insekten restlos begeistern.

Elfenkrokusse en masse haben eigentlich nur einen einzigen Nachteil: Man muss sie erstmal ansiedeln. Die Zwiebeln sind winzig und überdies im Großhandel verlockend preiswert – eine tückische Kombination: Im ersten hochsommerlichen Anfänger-Überschwang bestellte ich gleich neunhundert, und die verpassten mir im Herbst eine Art gärtnerischen Realitätsschock. Verstärkt wurde der noch dadurch, dass die Zwiebelchen so dankenswert robust sind wie die ganze Pflanze und ich daher prompt der Versuchung erlag, all die Empfindlicheren vorzuziehen. Und weil eine Blumenzwiebel bekanntlich nie allein kommt – bei mir schon mal gar nicht – wurde es Advent, bis die Elfenkrokusse endlich an der Reihe waren. In düster-feuchter Kälte kniend, mit klammen Fingern all diese Minis einzeln einzubuddeln, war schon ein Gartenerlebnis der besonderen Art. Aber wie sehr sich so etwas schließlich lohnt, brauche ich ja keinem glücklich verrückten Gärtner zu erzählen – erst recht nicht jetzt zum Saisonbeginn!


Das Gewässer des Grauens

Dass der schöne letzte Arktiswinter auch einen hohen Preis kosten würde, zeichnete sich schon beim ersten Zwischen-Tauwetter ab: Etwas Rötliches leuchtete unter dem Teicheis hervor. Es war Shui. Glänzend in sattem Orange, von langen Flossen umwallt, makellos bis zur letzten blanken Schuppe – aber tot. Ausgerechnet Shui! Sie war nicht nur die Schönste meiner Goldfische, sie und Feng waren auch die, mit denen das Wasser im Garten buchstäblich gewachsen war: vom Holzfass über die Riesen-Mörtelwanne zogen die Fische schließlich in einen kleinen Teich. Dass sie den nicht einmal mehr vorübergehend zu verlassen gedachten, machten sie mir dann schon im ersten Herbst nachdrücklich klar. Sie verschwanden unauffindbar ins mehr als Metertiefe, sobald es kalt wurde, und ins Wohnzimmer-Aquarium zog stattdessen ihr Nachwuchs: winzige schwarze Fischchen, die über den Winter eine fast magische Verwandlung vollführten: Sie wechselten zunächst in eine metallische Messingfarbe, dann in reines Gold und schließlich ins erwachsene Strahlendrot. Einige hatten von Mutter Shui die lang gezogenen Flossen und das lebhafte Temperament geerbt, andere schlugen mehr nach Fengs behäbiger Karpfenseite – und alle sahen sie verschieden aus.

Ja, ich weiß: Goldfische sind der flossentragende Horror ökologisch korrekter Teichbesitzer, aber mir war das egal: Ohne Feng und Shui hätte es hier überhaupt keinen Teich gegeben, und ich liebte sie einfach allesamt. In seinem grünen Rahmen brachte der Schwarm gleichzeitig Leben und Ruhe in die Gartenmitte, und wenn die schimmernden roten Rücken auftauchten und mit dieser lautlosen, fast meditativen Gelassenheit wieder versanken, verstand ich genau, weshalb Goldfische, das allererste Luxus-Haustier der Menschheit, in so vielen Kulturen als Glückssymbole gelten. Nützlich waren meine übrigens auch, denn sie vertilgten begeistert so ziemlich alles Krabbelzeug, das ich im Garten loswerden wollte, am liebsten massenhaft Blattläuse.

Im Winter leisteten mir einige Fische im Haus Gesellschaft, die anderen überwinterten problemlos draußen, selbst bei längerem Frost. Als letzten Herbst jedoch Terrier Erbse einzog, entschloss ich mich, zum ersten Mal auf das große Aquarium zu verzichten. Kabel und Wasserschläuche im Wohnzimmer sind mit einem überaus nagefreudigen Junghund nur sehr bedingt kompatibel, und im Teich hatte es jahrelang nie Verluste gegeben. Es sollte also gut gehen. Eigentlich. Doch spätestens, als nach Rekordschneefall, Tauwetter und dann hartem Frost sogar der Eisfreihalter komplett im massiven, undurchsichtigen Gefrorenen verschwunden war, wurde klar, dass es diesmal kaum gut gehen konnte.

Es ging auch nicht gut: Im März schaukelten gleich im ersten getauten Spalt zwischen Eis und Teichwand traurig zwei leblose Goldfische, und was dann unter den schmelzenden Schollen hervorkam, war nichts als Tod und Verwesung. War der Verlust der Fische besonders schmerzhaft, weil er etwas wie den Abschied von vertrauten Freunden bedeutete, so erinnerten die vielen toten Frösche an einen ganz besonders brechreizerregenden Horrorfilm. Die armen Viecher hatten sich zwischen den Steinen im Flachen verkrochen und waren da monatelang komplett ins Eis eingeschlossen gewesen. Jetzt ragten überall erst lange bläulichblasse Beine wie gruselige Tentakel aus den verhängnisvollen Verstecken hervor, denen dann aufgequollene Körper folgten – ein Anblick, der mich inständig wünschen ließ, das Gewässer des Grauens kurzerhand zuzuschütten und schnurstracks in die Karibik zu fliehen. Immer neue Leichen rutschten aus jeder Spalte nach, und je weiter der Frühling fortschritt, desto weniger ansprechend sahen sie aus.

Der Massenbeerdigung folgte dann eine Grundreinigung per Teichsauger – jedenfalls bis dessen Abfluss verstopfte und ich versuchte, mit den Fingern zu entfernen, was ich für alte Blätter hielt. Mit einem satten »pflopp« löste sich schließlich der Pfropfen, und blitzschnell wickelten sich in einem Schwall eisigen Wassers sehr lange und nicht mehr sehr frische Froschbeine wie winzige Gummihandschuhe um meine Finger, gefolgt von einer amorphen, gallertartigen Masse. Der Schock war so groß, dass er sogar den Fluchtreflex ausschaltete: Ich glotzte fassungslos auf den surrealen Anblick und verstand erst mit Verzögerung, was ich da eigentlich anstarrte. Dafür wurde ich in den nächsten Tagen schon beim bloßen Gedanken an meinen Teich von unheimlicher, garantiert psychosomatischer Übelkeit geplagt.

Inzwischen ist das kleine Gewässer längst wieder ansehnlich und ökologisch einwandfrei dazu. Selbstverständlich freut es mich, dass es von Libellenlarven nur so wimmelt, aber die kleinen grauen Killer-Torpedos – die übrigens die spärliche Brut der wenigen überlebenden Frösche komplett vertilgt haben – besitzen nun einmal nicht die dekorativen Qualitäten schimmernder Goldfische, von den meditativen ganz zu schweigen. Feng, Shui und Familie werden hier zwar keine Nachfolger bekommen, weil ich ein derartiges Desaster nie wieder erleben möchte – aber sie fehlen schon sehr!

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9783888979934
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