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Der
schmerzfreie
Körper
STEFAN WEGENER
Der
schmerzfreie
Körper
Arthrostic
Die neue Übungsmethode gegen Gelenkschmerzen und Arthrose
Stefan Wegener ist Physiotherapeut, Personal Trainer und Autor. Er ist Spezialist für Faszien und Bewegungstherapie. Motiviert durch eigene intensive Knieprobleme mit Arthrosebefund, entwickelte er Arthrostic. Er ist heute beschwerdefrei.
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Copress Verlag
erschienenen Printausgabe (ISBN 978-3-7679-1258-8).
Umschlagabbildung und alle Fotos Innenteil vom Autor, außer:
(Seitenangabe bezieht sich auf die Printausgabe) Seiten 10, 11, 13, 14, 15, 16, 17, 20, 21 (oben), 22, 24/25, 28/29, 32/33, 34, 35, 37, 42, 46, 146, 151 sind von der Bildagentur Shutterstock;
Seite 30/31 ist von der Bildagentur Alamy, Foto von Frank Bienewald
Umschlaggestaltung: Stiebner Verlag
Lektorat, Layout/DTP-Produktion (Printauflage):
VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2020 Copress Verlag in der Stiebner Verlag GmbH, Grünwald
Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlags.
ISBN 978-3-7679-2090-3
Inhalt
Vorwort
Ein Buch aus Überzeugung!
Das gesunde Gelenk
1. Allgemeine Anatomie
Echte Gelenke
Unechte Gelenke
Freiheitsgrade
Gelenkformen
2. Die Bedeutung der Faszien
3. Gesunde Muskelkraft
Das kranke Gelenk
1. Volksleiden Arthrose
2. Andere Gelenkleiden
Rheuma
Gicht
Gelenkfehlstellungen
Hypermobilität
Frozen Shoulder
Impingement-Syndrom
Gelenkschmerzen ohne Ursache
3. Zivilisatorische Bewegungseinschränkungen
Die Theorie zu ARTHROSTIC
1. Was sind maximale Gelenkbewegungen und Komplementärbewegungen?
Maximale Gelenkbewegungen
Komplementärbewegungen
2. Der Unterschied zu Dehnübungen und Mobility
3. Weiterlaufende Bewegungen
4. Körperhaltung
Die richtige Ausführung der ARTHROSTIC-Übungen
1. Aktive und assistiv-passive maximale Gelenkbewegungen
2. Komplementärbewegungen
3. Übungskonzept
Die ARTHROSTIC-Übungen
Maximale Gelenkbewegungen
1. Kiefergelenke
2. Wirbelsäulengelenke
Halswirbelsäule
Brustwirbelsäule
Lendenwirbelsäule
3. Schultergelenke und Gelenke des Schultergürtels
Schultergelenke
Gelenke des Schultergürtels
4. Ellbogengelenke
5. Handgelenke
6. Daumen- und Fingergelenke
7. Hüftgelenke
8. Kreuzdarmbeingelenk (ISG)
9. Kniegelenke
10. Sprunggelenke und Zehengelenke
Komplementärbewegungen
1. Handflächen außen
2. Körperdrehung zum Türrahmen
3. Blick nach oben
4. Kopf zu den Knien
5. Tiefe Hocke
Die tiefe Hocke mit Hüftbewegungen in die Spreizung
Die tiefe Hocke mit Hüftbewegungen in die Adduktion, die Beine zusammenführen
Die tiefe Hocke mit Änderung der Fußpositionen
Die tiefe Hocke mit Überkopfbewegung der Arme
6. Rückenlage, Arme zurück
Das ARTHROSTIC-Programm
TAG 1: Komplementärbewegungen
TAG 2: Arme und Hände
TAG 3: Kopf und Wirbelsäule
TAG 4: Beine und Füße
Bewegung und Ernährung
Wie ich mich selbst therapierte
Literatur und Quellen
Danksagung
Vorwort |
Unbeweglichkeit und Gelenkschmerzen sind verbunden mit einem enormen Verlust an Lebensqualität. Millionen Menschen leiden an Arthrose, und die Tendenz ist steigend. Doch stehen wir »hilflos« daneben und müssen zuschauen, wie unsere alternden Gelenke zunehmend verschleißen und sich unsere Wehwehchen stetig verschlimmern? Nein! Denn meist liegt es an unserer Lebensweise. Der zivilisatorische Komfort ermöglicht dem Menschen ein Leben mit minimaler Bewegung. Doch dadurch wird unser Körper täglich unterfordert. Bewegungsmangel ist heute ein medizinisch anerkanntes Problem. Unbeweglichkeit und schmerzende Gelenke sind nur ein Teil der Folgen. Doch besonders bei Gelenkbeschwerden entsteht ein Teufelskreis. Wie der Fisch das Wasser, so brauchen Gelenke Bewegung, um gesund zu bleiben. Doch wer sich mit Gelenkschmerzen plagt, will sich nicht bewegen. Aber genau dieser selbst auferlegte Mangel an Bewegung verschlimmert den Zustand. Nun sind es nicht mehr nur die Gelenke, bald leidet der ganze Körper unter dem Bewegungsmangel.
ARTHROSTIC bedient sich einer seit Jahrzehnten bewährten Methode aus der Physiotherapie: Gelenkmobilisation in das Bewegungsmaximum. Verschiedene physiotherapeutische Techniken erzielen eine Schmerzlinderung durch die verbesserte Beweglichkeit des betroffenen Gelenks. Bei diesen Therapien werden die Patienten von Physiotherapeuten begleitet.
ARTHROSTIC ist eine neue Übungsmethode, mit der die maximale Beweglichkeit jedes einzelnen Gelenks selbstständig in einem präzisen Programm trainiert wird. Die Übungen sind unkompliziert und für jeden durchführbar. Durch den Aufbau des ARTHROSTIC-Programms erhalten Sie systematisch und mit wenig Zeitaufwand jedes einzelne Gelenk gesund und beweglich. Auch kleine Gelenke wie die Finger- und Zehengelenke werden trainiert. Ergänzt werden die maximalen Gelenkbewegungen durch die Komplementärbewegungen, die ebenfalls der Mobilisation, doch zusätzlich der Aktivierung von Muskelketten dienen. Auch bei bestehenden Gelenkbeschwerden kann ARTHROSTIC eine wichtige Hilfe sein. Denn maximale Gelenkbewegungen haben ebenfalls einen heilenden Effekt, wie die Anwendung in der Physiotherapie beweist.
Noch nie wurde über Arthrose so viel diskutiert wie heute. Arthrose ist eine Volks- und eine Zivilisationskrankheit. Auch wenn das Ziel von ARTHROSTIC die allgemeine Gelenkgesundheit ist, wird der Arthrose besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Wissenschaftlich wird in diesem Buch erklärt, warum Arthrose kein Problem der Abnutzung ist. Tatsächlich handelt es sich um einen aktiven Krankheitsprozess. Zudem wird eine logische Theorie aufgestellt, warum Arthrose eine Erkrankung aufgrund von Bewegungsmangel sein könnte. Sie zeigt auch, weshalb in der Physiotherapie maximale Gelenkbewegungen seit Jahrzehnten Arthroseschmerzen so erfolgreich lindern.
Am Ende dieses Buchs beschreibe ich, wie sehr ich mir durch die Anwendung maximaler Gelenkbewegungen selbst helfen konnte und präsentiere Ihnen erstaunliche objektive Ergebnisse.
ARTHROSTIC schließt eine Lücke im Bewegungstraining und Gesundheitssport. Denn ARTHROSTIC ist die einzige selbst durchführbare Übungsmethode, bei der alle Gelenke gezielt in das Bewegungsmaximum mobilisiert werden. Dabei können Sie ARTHROSTIC zu Hause, im Fitnessstudio oder sogar in freier Natur ausführen.
Den schmerzfreien Körper gibt es natürlich nicht. Doch Sie haben viel mehr Einfluss, als Sie es wahrscheinlich für möglich halten!
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und lebenslange Beweglichkeit!
Ein Buch ausÜberzeugung! |
Gelenke, die zu wenig bewegt werden, verlieren mit den Jahren an Beweglichkeit. Kein Mensch ist von Natur aus steif und unbeweglich. Natürlich spielt auch Veranlagung eine Rolle. Frauen sind häufig beweglicher als Männer. Dennoch sind unbewegliche Gelenke primär eine durch Bewegungsmangel erworbene Einschränkung. Wenn dann nicht rechtzeitig aktiv entgegengewirkt wird, können mit zunehmendem Alter gesundheitliche Probleme auftreten.
Schmerzlinderung durch das Bewegungsmaximum Es ist sehr wichtig, gezielt die Beweglichkeit jedes einzelnen Gelenks zu trainieren – idealerweise, ehe es zu Beschwerden kommt. Doch auch bei Gelenkproblemen ist Bewegung das wahrscheinlich wichtigste Heilmittel. Gezielte Übungen in Form von Krankengymnastik werden von Ärzten meistens als Erstes verordnet. Viele Übungen werden vom Physiotherapeuten am Patienten durchgeführt. Mit Grundtechniken wie passiver, assistiver (unterstützender) und aktiver Mobilisation wird gezielt im Bewegungsmaximum des betroffenen Gelenks gearbeitet. Ziel ist eine Schmerzlinderung durch verbesserte Beweglichkeit. Oft führt bereits diese Urform der Krankengymnastik zu guten Ergebnissen. Inzwischen haben sich in der Manuellen Medizin viele Techniken entwickelt, bei denen es primär um eine Beweglichkeitsoptimierung geht. Einige Methoden werden von den Krankenkassen durch höhere Sätze gefördert. Eines verbindet die meisten Methoden: Es wird fokussiert an einem möglichst großen Bewegungsumfang einzelner Gelenke gearbeitet. Üblicherweise werden diese Techniken vom Therapeuten ausgeführt.
Die Lücke im Gesundheitssport Im Leistungs-, Gesundheits- und Rehasport wird aus meiner Sicht die Beweglichkeit der einzelnen Gelenke zu wenig gefördert. Dies gilt für die Bewegungstherapie von Gelenkbeschwerden, aber auch besonders für präventive Gymnastik. Ich halte es für herausragend wichtig, das maximale Bewegungsvermögen von Gelenken zu fördern oder auch zu erhalten. Verschiedene therapeutisch wirksame Mobilisationstechniken aus der Physiotherapie (Manuelle Therapie, FBL, Cyriax), bei denen auch im Bewegungsmaximum behandelt wird, weisen in die gleiche Richtung.
Dieses Thema ist neu Bereits 2016 machte ich mir viele Gedanken zu diesem Thema. Ich dachte über eine gezielte Übungsmethode nach, durch die maximale Gelenkbewegungen trainiert werden. Das Konzept müsste einfach und für jeden anwendbar sein, und jedes Gelenk sollte einzeln beübt werden. Durch intensive Recherche fiel mir auf, dass es scheinbar keine Gymnastik oder Übungsmethode gibt, in der systematisch jedes einzelne Gelenk bis ins Bewegungsmaximum bewegt wird. Stets werden komplexe Bewegungsabläufe durchgeführt, wodurch es zu Kompensationen kommen kann. Bei Bewegungen, in denen mehrere Gelenke zusammenarbeiten, übernehmen die besser funktionierenden Gelenke die Hauptaufgabe. Doch insbesondere die Gelenke, die bereits leicht eingeschränkt sind, müssen ja trainiert werden.
Physiotherapie für zu Hause Physiotherapeutisch werden Gelenkschmerzen und Steifigkeit seit Jahrzehnten durch Bewegungen im Bewegungsmaximum erfolgreich behandelt. Nach über 20 Jahren Erfahrung als Physiotherapeut erscheint es mir wichtig und logisch, das Bewegungsmaximum bereits beschwerdefrei gezielt zu trainieren. ARTHROSTIC habe ich für alle entwickelt, die sich entschieden haben, aktiv Gelenkprobleme und Unbeweglichkeit anzugehen. Aber natürlich auch für all jene, die beweglich und frei von Gelenkbeschwerden bleiben wollen. Seit 2016 wende ich maximale Gelenkbewegungen in der Physiotherapie und im Personal Training an. Auch in meiner täglichen Bewegungsroutine ist ARTHROSTIC von zentraler Bedeutung – mit hervorragenden Resultaten.
ARTHROSTIC bedarf keiner speziellen Hilfsmittel und ist die erste Übungsmethode, in der selbstständig das Bewegungsmaximum jedes einzelnen Gelenks trainiert wird.
Viel Erfolg! Das einfache, spezielle Training für maximale Gelenkbewegungen und die Komplementärbewegungen bilden die neue Übungsmethode für gesunde Gelenke: ARTHROSTIC!
Helfen Sie aktiv Ihren Gelenken, lebenslang beweglich zu bleiben. Viel Erfolg!
Das gesunde Gelenk
1. Allgemeine Anatomie
Gelenk = lateinisch: articulatio; altgriechisch: árthron (ἄρθρον)
In der Anatomie ist ein Gelenk eine bewegliche Knochenverbindung. Wenn die Verbindung aus zwei Knochen besteht, wird von einem einfachen Gelenk gesprochen. Die Hüftgelenke oder auch alle Gelenke der Zehen und Finger sind typische Beispiele. Gelenke können sich jedoch auch aus mehreren Knochen zusammensetzen. Diese bezeichnet man als zusammengesetzte Gelenke. So besteht das Ellbogengelenk aus dem Oberarmknochen, der Elle und der Speiche. Das Handgelenk wiederum wird durch die Speiche und drei Handwurzelknochen gebildet, also aus vier Knochen.
Einfache Gelenke sind häufiger als zusammengesetzte Gelenke.
Echte Gelenke
Es werden echte und unechte Gelenke unterschieden. In einem echten Gelenk sind die Gelenkpartner mit sehr druckelastischem hyalinem Knorpel überzogen; zwischen den Gelenkpartnern gibt es einen Gelenkspalt. Zudem verfügt ein echtes Gelenk über eine Gelenkkapsel, durch die ein abgeschlossener Gelenkraum entsteht, in dem sich die Gelenkflüssigkeit (die Synovia oder auch Gelenkschmiere) befindet. Die Gelenkkapsel besteht aus zwei Schichten. Die innere Schicht produziert die Gelenkflüssigkeit. Gelenkkapseln sind unterschiedlich fest und maßgeblich an der natürlichen Beweglichkeit eines Gelenks beteiligt. Bei Arthrose baut sich der Gelenkknorpel ab und der Gelenkspalt wird schmaler. Arthrose gibt es also nur in echten Gelenken.
Unechte Gelenke
Knochen können auch durch Knorpel, Bindegewebe, Muskeln oder auch knöchern verbunden sein. Hier spricht die Anatomie von unechten Gelenken. Die Beweglichkeit in den unechten Gelenken ist eher gering bis kaum feststellbar. Gute Beispiele für unechte Gelenke sind der Rippenknorpel im Brustkorb, die Verbindung der einzelnen Wirbel durch die Bandscheiben, aber auch die kräftige Bindegewebsplatte zwischen Elle und Speiche. Auch die Verbindungen der einzelnen Schädelknochen untereinander (Schädelnaht oder auch Sutur) werden als unechte Gelenke bezeichnet.
Rippenknorpel
Schädelnaht oder auch Sutur
Freiheitsgrade
Es gibt drei Bewegungsarten, die ein Gelenk ausführen kann: die sogenannten drei Freiheitsgrade eines Gelenks.
Beugen und Strecken = Flexion und Extension
Abspreizen und Heranführen bzw. vom Körper weg oder zum Körper hin = Abduktion und Adduktion
Drehbewegungen = Rotation
Je nach Gelenkform sind ein bis drei Freiheitsgrade möglich.
Gelenkformen
Sechs Gelenkformen werden unterschieden.
1. Beweglichkeit in einem Freiheitsgrad
Scharniergelenk: Im Scharniergelenk sind nur Beugung und Streckung möglich. Es gibt also nur einen Freiheitsgrad. Die Endgelenke der Finger und Zehen sowie das Gelenk zwischen Oberarm und Elle im Ellbogengelenk sind zum Beispiel Scharniergelenke.
Zapfengelenk: Das Zapfengelenk lässt nur Drehbewegungen zu. Nur ein Freiheitsgrad ist möglich. Die Verbindung zwischen Elle und Speiche im Ellbogengelenk sowie das Gelenk zwischen erstem und zweitem Halswirbel sind Zapfengelenke.
Von oben nach unten: Kugelgelenk Zapfengelenk Sattelgelenk Eigelenk Scharniergelenk Plangelenk
2. Beweglichkeit in zwei Freiheitsgraden
Eigelenk oder Ellipsoidgelenk: In einem Eigelenk können wir beugen und strecken sowie abspreizen und heranführen. Drehbewegungen erlaubt ein Eigelenk nicht, es sind also zwei Freiheitsgrade möglich. Die Handgelenke sind Eigelenke.
Sattelgelenk: Das typische Sattelgelenk befindet sich im Daumen als Verbindung zwischen Handwurzelknochen und dem Daumen-Mittelhandknochen. Auch hier sind keine Drehbewegungen möglich. In Form von Beugung und Streckung sowie Abspreizen und Heranführen des Daumens erlaubt das Sattelgelenk zwei Freiheitsgrade.
Plangelenk oder planes Gelenk: Das plane Gelenk wird in der Fachliteratur nicht grundsätzlich genannt. Es lässt Drehbewegungen sowie die Beugung und Streckung zu. Es kommt beispielsweise zwischen den Fußknochen vor. Die Bewegungen sind hier minimal.
3. Beweglichkeit in drei Freiheitsgraden
Kugelgelenk: Kugelgelenke erlauben die größtmögliche Beweglichkeit. Es sind Beugung und Streckung, Abspreizen und Heranführen und Rotation möglich, also alle drei Freiheitsgrade. Die Schultergelenke und die Hüftgelenke sind die Kugelgelenke in unserem Körper.
2. Die Bedeutung der Faszien
Faszien gewinnen im Sport und der Physiotherapie, aber auch in der Medizin an Bedeutung. Wenn vom Bindegewebe gesprochen wird, dann sind Faszien gemeint und umgekehrt. Auf dem ersten internationalen Faszienkongress 2007 einigten sich die Teilnehmer jedoch auf den Begriff Faszien. Endgültig durchgesetzt hat sich der Begriff in der Medizin allerdings noch nicht. Manualtherapeutisch sieht das anders aus. Bereits vor über 100 Jahren sprach der Begründer der Osteopathie, Andrew Taylor Still, von der Bedeutung der Faszien. Spezialisten zählen auch Bänder und Sehnen zum Fasziengewebe.
Die Struktur von Faszien kann man sich ähnlich wie diese Nahaufnahme eines Spinnennetzes vorstellen.
Warum sind Faszien plötzlich so interessant? Das ist schnell beantwortet: Faszien verfügen über ein hochsensibles Innenleben. Lange hielt man Faszien für eine Art biologisches Füllmaterial im Körper, ohne wichtige Funktionen. Doch bereits zur Jahrtausendwende gab es wissenschaftliche Arbeiten, die auf das Gegenteil hinwiesen. Immer mehr Forschungen führten zu faszinierenden Ergebnissen. Nach und nach wurde klar, dass Faszien alles andere als funktionslos sind.
Der Blick ins Innere Faszien enthalten zahlreiche Nervenfasern, die Schmerz vermitteln, oder auch Nerven, die verantwortlich für Koordination und Gleichgewicht sind. Es gibt Blutund Lymphgefäße, die an der Nährstoffversorgung und dem Flüssigkeitshaushalt beteiligt sind. Die Forschung ist keineswegs abgeschlossen, denn bei vielen Entdeckungen ist die Funktion noch ungeklärt.
Vor einigen Jahren gelang es dem französischen Chirurgen Jean-Claude Guimberteau, mittels neuartiger Kameratechnik in lebendiges Gewebe zu blicken. Vor Operationen holte er sich dafür das Einverständnis der Patienten. Die Ergebnisse veränderten vieles, denn zum ersten Mal bekamen Faszien ein Gesicht. Die Medizin wurde auf die Welt der Faszien aufmerksam. Im Hinblick auf ihre vielfältigen Aufgaben ist es wahrscheinlich, dass Störungen in den Faszien eine mögliche Ursache für zahlreiche Beschwerden sind.
Faszien teilen sich auf, ganz ohne Unterbrechungen. Genau genommen gibt es nur eine Faszie, so wie sich ein einzelner Baum in Ästen und Wurzeln immer weiter verzweigt.
Eindrucksvoll zeigt dieser Speerwerfer, wie er durch Drehung und weite Ausholbewegung seine Faszien auf Spannung bringt. Gemeinsam mit der Muskelspannung wird die gespeicherte Energie in den Faszien explosionsartig freigegeben, um den Speer möglichst weit zu werfen.
Das alles verbindende Netzwerk
Faszien sind eine dreidimensionale, flüssigkeitsgefüllte, netzartige Struktur. Die weiße dünne Haut auf einem Stück Fleisch ist Fasziengewebe. Faszien erstrecken sich in alle Bereiche unseres Körpers. Sie umhüllen uns wie ein Taucheranzug. Und jedes Organ, jeder Muskel, jeder Knochen, jedes Blutgefäß, sogar jede Nervenzelle besitzt eine Faszienhülle. Dabei gibt es keine Unterbrechungen oder einzelnen Schichten. Wie die Wurzeln eines Baums teilen sich die Faszien vom Großen zum Kleinen. Faszien gehen mit dem sie umgebenden Gewebe immer eine Verbindung ein. Auf diesem Weg präsentieren sich Faszien als das alles verbindende Netzwerk unseres Körpers.
Die weiße dünne Haut auf einem Stück Fleisch ist Fasziengewebe.
Die fasziale Biomechanik Faszien sind von zentraler Bedeutung für die Bewegung. Sie wirken wie Gummibänder in unserem Bewegungsapparat und geben uns elastische Stabilität. Weites Ausholen beim Werfen oder auch das Schwungholen beim Springen basieren darauf, dass die Faszien wie ein Gummiband auf Spannung gebracht werden, um diese Energie dann in der Bewegung zu nutzen. Ohne unsere Supergummibänder wären dauerhaftes Laufen oder zahlreiche Bewegungen im Sport nicht möglich. Gesunde Faszien sind notwendig für gesunde Bewegung.
Die Bedeutung für die Gelenke Kein Gelenk im menschlichen Körper ist allein durch die Knochenform stabil. Ohne die sie umgebenden Strukturen würden die Gelenke einfach auseinanderfallen. Die Gelenkkapsel und die oberflächlichen Faszien inklusive Bänder geben den Gelenken ihre elastische Stabilität. Dabei ist es abhängig von der Funktion, ob die umgebenden Faszien und ihr innerer Aufbau eher auf Stabilität oder auf Elastizität ausgelegt sind. Im Zusammenhang mit den Faszien, als Verbindungsglied der einzelnen Knochen untereinander, wird für unseren Körper oft ein bestimmter Vergleich herangezogen.
Das Tensegrity-Modell Tensegrity ist eine neue Wortschöpfung aus den englischen Worten tension (Spannung, Zugspannung) und integrity (Zusammenhalt, Einheit). Es beschreibt eine stabile Konstruktion, bei der feste Elemente ausschließlich durch Zugspannung (z. B. durch Seile) zusammengehalten werden. Die festen Elemente, meist sind es Holzstäbe, berühren sich dabei nicht. Nur die Zugspannung erhält die Stabilität. Tatsächlich haben die Faszien, gemeinsam mit der Muskulatur, einen sehr ähnlichen Effekt auf unser Skelettsystem.
Faszien brauchen Bewegung Um gesund zu bleiben, brauchen Faszien fasziengerechte Bewegung. So muss Faszientraining die Faszien in ihrer Gummibandfunktion nutzen. Springen, dynamisches Dehnen und insbesondere Schwungbewegungen dienen gezielt der Fasziengesundheit. Da Faszien zudem als Stoßdämpfer wirken, haben auch Übungen mit Faszienrollen einen sehr guten Effekt auf das Fasziengewebe.
Gelenkschmerzen durch fasziale Störungen Wenn ein Gelenk als schmerzhaft wahrgenommen wird, ist oft nicht das Gelenk selbst die Ursache. Es sind die Strukturen um das Gelenk herum, die durch Schmerz eine Störung im Gelenk vermitteln. Sehr häufig sind gezielte Bewegungen und manuelle Behandlungen der Faszien sehr erfolgreich gegen den Gelenkschmerzen.