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Simone Heiland

WIE DAS LEBEN SO SPIELT

Episodenbändchen

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Inhaltsverzeichnis

Titel

NACHTBLIND.

REIFE ZÄHNE.

DIE KUHLE IST WEG.

ALTER VOR SCHÖNHEIT.

MODE FÜR DIE DAME AB 40.

PIGMENTFLECKE - VON DER SONNE VERWÖHNT.

SOWEIT DIE FÜSSE TRAGEN.

HEUTE SCHON GEHOSTET?

HASTE MAL ‘NEN JOB?

DA IST MUSIK DRIN.

GANZ SCHÖN VERMESSEN.

TROCKENEN AUGES.

HORMONE NIX GUT!

Impressum neobooks

NACHTBLIND.

"Können Sie denn mit dem Computer umgehen?", fragte mich der Direktor einer Behörde beim Vorstellungsgespräch für die Neubesetzung der PR-Stelle im Hause. Ich hatte mir keine bestimmte Taktik für diese Unterhaltung vorgenommen, war ein bisschen nervös. Doch schon beim Betreten des Zimmers, in das mich die Sekretärin hineinführte, hatte ich diesen Typen gefressen. Es gibt ja so etwas: Man sieht jemanden und bekommt direkt einen dicken Hals. Für mich war in der ersten Sekunde klar: Das kann nichts werden mit uns beiden.

Der Mensch saß bräsig hinter seiner Festung Schreibtisch - beides, Mensch und Schreibtisch, Modell frühe 50er Jahre. Also mein Jahrgang und doch so ganz anders. Er streckte mir im Sitzen über den Schreibtisch hinweg seine rechte Pranke zu. Und dann kam nach ein paar Eingangsfloskel diese Frage. Und ich antwortete wie ferngesteuert: "Zumindest hab' ich einen Laptop auf dem Schreibtisch stehen, im Gegensatz zu Ihnen."

Er müsse ja mit dem Gerät nicht arbeiten, entgegnete er.

"Und wie findet dann die tägliche Kommunikation mit Ihren Mitarbeitern statt?", fragte ich zurück. Dafür habe er seine Leute, meinte er. Ich gab ihm einen kurzen Abriss zu meiner Person und meinem beruflichen Werdegang. Ich war mir ziemlich sicher, dass er gar nicht zuhörte und es ihn auch nicht interessierte. "Das besprechen Sie dann mit unserer Personalabteilung", sagte er mitten in meinen Satz.

"Gut, dann sind wir fertig?", stellte ich halb fragend, halb bestätigend fest und fügte hinzu, dass es mir sehr recht sei. Ich müsse mich auf den Rückweg machen, da ich gerne noch vor Einbruch der Dunkelheit zuhause ankommen wolle. Der Herr Direktor zeigte Verständnis, da seine Frau auch nachtblind sei und er das daher gut nachvollziehen könne.

Auch? Nachtblind? Ich hatte nicht behauptet, nachtblind zu sein. Zu schade um die Zeit, das richtig zu stellen. Sollte er doch denken, was er wollte. Dieses Haus sah mich gewiss nie wieder. Die ganze Stadt behagte mir nicht. Ich war froh, das Ortsschild alsbald im Rückspiegel zu sehen.

Nun hatte ich vor lauter Empörung über diese seltsame Begegnung vergessen zu tanken und steuerte dann auf der Autobahn die erstbeste Tankstelle an. Ich hatte immer noch diesen Mann im Kopf. Wie kann so jemand Direktor einer Behörde sein? Ich sah zur Anzeigentafel und blickte plötzlich in ein mir wohl vertrautes Gesicht. Es tankte eine Reihe weiter rechts, also nicht nur das Gesicht sondern der ganze Mensch. Und der wiederum war mein ehemaliger Chef in meinem früheren Berufsleben. Mein Lieblingschef. Als ich meinen Beruf nach vielen schönen Jahren aus eigenem Wunsch wechselte, hatte ich keine Gelegenheit, mich von ihm zu verabschieden, weil er sich zu jener Zeit für mehrere Wochen in Fernost aufhielt. Beruflich. Und jedes Mal, wenn ich in der Folgezeit seine Sekretärin anrief, verfehlte ich ihn. Und wann immer er zurückrief, verfehlte er mich. Handys waren damals noch nicht geboren. Und so verloren wir uns aus den Augen.

Jetzt hing er da an der Zapfsäule und ich traute meinen Augen kaum.

"Hallo Chef", rief ich rüber.

"Nein!" Er fiel aus allen Wolken. "Was machen Sie denn hier?"

"Das gleiche wie Sie. Tanken", entgegnete ich trocken.

"Ihnen ist ja wohl klar, dass Sie hier ohne einen Kaffee mit mir nicht weg kommen", meinte er freudestrahlend.

"Das hab' ich befürchtet", konterte ich ebenso hoch erfreut.

"Ich würde Sie ja gern an mich drücken, aber ich hänge am Tropf", trötete er herüber.

"Dito", sagte ich.

"Man kann die Dinger aber auch feststellen", belehrte er mich.

"Das weiß ich, warum tun Sie's dann nicht?", fragte ich zurück.

"Mein Schlitten ist gleich voll", meinte er und beendete bereits den Tankvorgang.

Dann kam er zu mir rüber gesprungen, nahm mir die Pistole aus der Hand und tankte, ganz Gentleman, voll. Das gab mir Gelegenheit, ihn nach so vielen Jahren, fast 20, wieder einmal aus nächster Nähe zu betrachten. Mir fielen unsere Montagskonferenzen ein. Jour fix. 14 Uhr. Und wehe, man war nicht exzellent vorbereitet. Wir saßen uns stets direkt gegenüber. Er sah gut aus und es machte Spaß, ihn zu beobachten. Er gab sich meistens ziemlich streng. Doch nur zum Schein. Aus Spaß. Er war ein richtig toller Chef. Mit viel Humor und einem offenen und vertrauensvollen Führungsstil. Das war zu Beginn der strengen 80er Jahre alles andere als üblich. Das machte ihn so beliebt. Wir waren ein taffes und erfolgreiches Team.

"Was gucken Sie so, ich seh' immer noch gut aus. Oder etwa nicht?", fragte er und strahlte mich mit seinen stahlblauen Augen an.

Dann hängte er die Zapfpistole in die Halterung zurück und wir fielen uns in die Arme. Die Tankstelle bot nur Platz für einen Stehcafé, darauf hatten wir keine Lust, zumal der einzige Bistro-Stehtisch bereits von zwei breitschultrigen Fernfahrern, die Doppeldecker-Hamburger in sich hineinschlangen, belagert war. Das musste nicht sein. Also steuerten wir mit unseren frisch betankten Autos die Raststätte an. Wir suchten uns eine Ecke und ließen im Schnelldurchlauf die vergangenen 20 Jahre Revue passieren.

Natürlich erzählte ich ihm auch von dem dusseligen Behördenchef, von dem ich gerade kam. Über Führungsstil gestern und heute. Über Kompetenz und Unvermögen. Über das finanziell abgesicherte Beamtenleben und ein Leben in Selbständigkeit, das einen immer wieder an den Rand der Existenz führen kann. Ungerechte Welt.

Wir wollten gerade gehen, da ging die Tür auf, und eben jener Behördenmensch kam zur Tür herein. In Begleitung einer, wohl seiner, der nachtblinden Gattin.

"Ich fass' es nicht, das isser", zischte ich meinem Ex-Chef zu.

"Der sieht ja schon aus, als könne er nicht bis drei zählen", zischte er zurück.

Da hatte mich der Herr Direktor auch schon entdeckt, steuerte direkt auf uns zu und fragte, ob sie sich dazusetzen dürften.

"Bitte", wies ihm mein Ex-Chef mit der entsprechenden Handbewegung die Plätze zu.

Ich ergänzte: "Sie können sich hier breit machen, wir wollten gerade gehen."

"Jetzt müssen Sie ja doch ins Dunkel fahren", meinte der Direktor.

Mein wiedergefundener Chef warf mir einen fragenden Blick zu. Ich schüttelte kaum merklich den Kopf.

"Sind Sie etwa nachtblind?", fragte mich die Direktorengattin.

"Nein, nein", entgegnete ich. "Ihr Mann erwähnte, dass Sie nachtblind sind", sagte ich und fügte hinzu, dass ich lediglich gerne vor Einbruch der Dunkelheit zuhaus sein wollte.

"I wo, ich bin doch nicht nachtblind", sagte die Direktorengattin und schmunzelte. Ihr Mann schaute sie verdutzt an.

"Ich hab' mal eine Zeit lang nachts so gut wie nichts gesehen. Ich dachte, es liegt an meinen Augen. Das Alter. Man weiß ja nie. Aber dann stellte sich bei einer Autoinspektion heraus, dass die Scheinwerfer falsch eingestellt waren und der Lichtkegel im rechten Winkel auf den Boden zeigte. Deshalb war's beim Fahren stockdunkel." Sie lachte.

"Das hast Du mir ja nie erzählt", beschwerte sich ihr Mann sichtlich verärgert. Und: "Wann war denn das?"

"Ach, das ist schon lange her", entgegnete sie. "Du musst ja nicht alles wissen." Und sie zwinkerte mir zu.

"Da bin ich ja ganz schön blöd gewesen", befand er.

Was heißt gewesen, dachte ich, während mein Ex-Chef es leise aussprach. Wir verabschiedeten uns mit dem festen Versprechen, uns in weniger als 20 Jahren auf einen Café zu treffen.

"Keine Ausrede", rief er mir zu. "Tankstellen gibt's schließlich genug. Da wird schon noch eine für uns dabei sein."

REIFE ZÄHNE.

Dass ich mal mit der Zahnpastatube in der Hand vor meinem Laptop sitzen und googeln würde, das wäre mir noch bis vor kurzem recht unwahrscheinlich vorgekommen. Wohlgemerkt googeln, nicht gurgeln.

Ich möchte wissen, ob es jemanden gibt, der mir sagen kann, ab wann ein Zahn alt ist. Nicht steil, sondern alt. Ich finde nichts. Ich drücke auf die Tube, drehe und wende sie in meinen Händen und versuche unter Nötigung meiner frisch verordneten allerersten Lesebrille das Kleingedruckte auf der Rückseite der Tube zu entziffern.

Die Hinzunahme einer Lupe ist unumgänglich. Vorn steht in großen Lettern, das Produkt stelle dank einer neuen Formel mit Zink eine spezielle Pflege für die reiferen Zähne dar. Für Zähne „40 plus". Nun hatte ich mich gedanklich gerade auf ein Leben im Uralt-Lavendel-Alter von 50 plus eingeschossen und dabei an reichlich Vieles, aber mit wahrhaft keinem einzigen Gedanken an meine treuen Beisserchen gedacht. Seit geraumer Zeit bröckelt zwar eine meiner beiden letzten noch verbliebenen Amalgam-Plomben, aber manchen gehen ja auch schon mit 20 die ersten Haare aus, ohne dass sie deswegen alt wären. Weder die Haare, noch die, denen sie ausgehen. Und solange mir kein Zacken aus der Krone fällt, zahntechnisch gesehen, kann ich mich wahrlich nicht beklagen.

Als vor einigen Jahren die Hysterie-Welle ausbrach, die vor Amalgam im Munde warnte, hatte ich lange überlegt, ob ich mir die beiden Backenzähne aushöhlen und neu befüllen lassen sollte. Um einer möglichen Gesundheitsgefährdung aus dem Wege zu gehen. Bei intensivem Nachdenken darüber ist mir allerdings keine Situation allgemeinen Unwohlseins in den Sinn gekommen, die ich auch nur annähernd auf meine vermeintlichen Giftzähne hätte zurückführen können. Ich zog meinen Zahnarzt zu Rate und wir entschieden uns für den Moment einhellig gegen neue Füllungen.

Der Moment dauert noch an. Bis jetzt vor kurzem nach einem kräftigen Biss in einen rohen Kohlrabi - ich pflege dieses gesunde Gemüse gerne nach Manier eines Apfels zu verspeisen - ein Stück Plombe aus der Fassung geriet. Und ich mit ihr. Aber das war nur der Schreck. Im Grunde genommen finde ich es völlig legitim, dass Füllungen ihren Dienst irgendwann einmal erfüllt haben. Meine Amalgam-Plomben haben lange gehalten und mir null Scherereien bereitet in all den Jahren. Und inzwischen gelten sie auch gar nicht mehr als gesundheitsschädigend. Mein Freund, der nur unwesentliche 14 Tage jünger ist als ich, aber deutlich weniger Haare auf dem Kopf, dafür aber einige mehr auf den verglichen mit den meinen etwa gleich vielen Zähnen hat als ich, hat den Verlust des Plombenstückchens prompt mit der wenig schmeichelhaften Bemerkung kommentiert:

„Jetzt fallen Dir allmählich die Zacken aus der Krone."

Das war eine knallharte Anspielung auf mein hohes Alter von zweimal 25 Jahren, was eher meinem Naturell entspricht als die platte 50. Trotzdem wäre ich von alleine niemals auf die Idee gekommen, das Bröckeln der Plombe könnte auch nur ansatzweise etwas mit dem Alter meiner Zähne zu tun haben.

Bis ich diese Zahnpasta entdeckte.

Da wurde mir auf einen Schlag bewusst, dass ich ja nicht alleine alt werde - sondern alle meine Organe und Körperteile mit mir. Inklusive meiner Zähne. Logisch. Mitgehangen, mitgefangen. Diese Überlegung hatte ich bis dato einfach nur noch nicht angestellt. Man nimmt immer an, die gehen dann halt irgendwann aus, die Zähne. Später einmal. Oder müssen gezogen werden. Aber das ist nicht automatisch bei jedem so. Manche tragen ihre alten Zähne ihr ganzes Leben lang mit sich spazieren. Und zwar nicht in der Schatulle sondern mehr oder weniger fest im Munde verankert.

Ich dachte immer, derjenige kann sich glücklich schätzen, der seine eigenen Zähne noch hat. In fortgeschrittenem Alter sind die Eigenen daran zu erkennen, dass das Zahnweiß sich unter Umständen ein wenig in Richtung Champagner entwickelt. Gegen Champagner ist ja generell nichts einzuwenden. In Verbindung mit Kaviarhäppchen ist er mir allerdings lieber.

Nun lerne ich also, dass es sich bei den eigenen Zähnen ab 40 bereits um reifere Zähne handelt. Da stellt sich die Frage, ob man mit 50 plus noch zur Kategorie ab 40 gehört. Wenn nicht, käme die Zahnpasta für meine Zähne überhaupt nicht mehr in Frage. Ein weiterführendes Produkt für Zähne ab 50 habe ist mir bisher noch nicht unter die Augen und auch nicht in die Finger gekommen. Was also tun? Wie sind 50-plus-Zähne einzustufen, wenn 40-plus-Zähne schon als reifere Zähne bezeichnet werden? Dann sind meine ja überreif. Ich frage mich mit Schrecken: was kommt danach? Was ist weitere zehn Jahre später? Was mit 70 oder 80? Wo ist die Zahnpflege für 90-Jährige mit noch eigenem Gebiss?

Die Menschheit steht vor ganz neuen Fragen. Wir werden immer älter. Warum beissen sich die Zahnpasta-Hersteller dann ausgerechnet bei 40 fest? Sollte das Allgemeingültigkeit haben für alles, was danach kommt? Dann hätten sie ja auch bei 30 beginnen können. Warum ausgerechnet bei 40? Wann ist ein Zahn reif, wenn er ab 40 bereits reifer ist? Meine Hirnwindungen arbeiten auf Hochtouren, doch die Meldung vom Groß- ans Kleinhirn oder umgekehrt bleibt aus. Kein Geistesblitz will mich auf die richtige Spur bringen. Keine Lösung in Sicht. Alles bleibt dunkel. Reifere Zähne ab 40, das bedeutet aus streng grammatikalischer Sicht, dass die Zähne bis 40 schon mal auf jeden Fall „reif“ sein müssen. Denn „reifer“ ist ja bei allem Deutschbanausentum immer noch die Steigerung von „reif“.

Ich drücke erneut auf die Tube. Im Kleingedruckten wird erklärt, was es mit den reiferen Zähnen auf sich hat. Ich zitiere:

„Mit zunehmendem Alter stehen nicht mehr die gleichen Zahnprobleme wie in der Jugend im Fokus."

Ich versuche mich mit aller Macht zu erinnern, welche Zahnprobleme in meiner Jugend im Fokus standen. Ich kann mich an überhaupt keine Zahnprobleme in dieser Zeit erinnern. An Pickel - ja. An Knutschflecken - zur Genüge. Aber Zahnprobleme - Fehlanzeige. Da müsste man überhaupt erst mal definieren, wo Jugend beginnt und wo sie endet. Als Kind hatte ich Zahnprobleme dergestalt, dass ich mich von wackelnden Milchzähnen mit dem berühmten Faden an der Türklinke selbst befreite. Das ging ganz rasant und hatte den Vorteil, dass mit dem Zahn auch sofort das Problem weg war. Der nächste Zahn kam bestimmt. Darauf konnte man blind vertrauen. Bis dahin war Mut zur Lücke angesagt. Andere Zahnprobleme fallen mir nicht ein. Ich gehöre allerdings auch zu den Glücklichen, die als junges Mädchen wegen eventueller Schieflage keine Zahnspange tragen mussten. Ab und zu war mal eine neue Plombe fällig. Vor jedem Bohren verpasste mir mein Zahnarzt dann aber eine Spritze. Der Pieks war dabei das größte Problem.

Mit meinen Weisheitszähnen hatte ich dann erst später Malheur. Die saßen ziemlich fest und mussten dennoch raus. Problematisch war jedoch auch das nicht. Ein bisschen schade vielleicht, weil den Wortspielereien, die sich diesbezüglich um „der Weisheit letzten Schluss“ rankten, ein natürliches Ende beschieden war. Als mich die Weisheit dann endgültig verlassen hatte, war ich allerdings schon Mitte 20 und hatte mein persönliches Jugendzeitalter bereits weit hinter mir gelassen.

Zahntechnisch gesehen begann für mich in jenen Jahren die Zeit der Brücken und Kronen. Die wären mir damals auch mit Zahncreme für reifere Zähne nicht erspart geblieben. Da spielten eher die Gene eine Rolle. Sagt mein Zahnarzt. Da waren reifer werdende Zähne ehrlich gesagt auch noch kein Thema. Noch nicht mal in der Werbung.

„Bei reiferen Zähnen können Probleme auftreten, die auf zurückgehendes Zahnfleisch zurückzuführen sind", steht auf der Tube. Ja, ist es denn die Möglichkeit? Damit einher, so steht weiter geschrieben, gingen freiliegende Zahnhälse, Zahnfleischentzündungen und Zahnhalskaries. Das klingt schwer nach Paradontose. Ich finde ja den Begriff „freiliegende Zahnhälse“ klasse. Das vermittelt stark den Eindruck, als würden Zahnhälse wild in der Gegend herumliegen. Was ja so definitiv nicht stimmt. Ich hab' zumindest noch keinen liegen sehen. Und ich komme viel rum.

Zahnärzte, Kammern, Verbände und Krankenkassen machen jedes Jahr in den Städten mit Aktionen mobil um für das Thema Zahnpflege zu sensibilisieren. Zielgruppe sind Kinder und Schüler. Ich plädiere für eine gleichwertige Aktion für Menschen ab 40. Ich finde das wichtig. Denn wer seine reif gewordenen Zähne vernachlässigt, wird im Extremfall erst gar nicht in den Genuss reiferer Zähne kommen, weil sie sich auf dem Weg dahin schon von ihrem Träger gelöst haben. Dann hätte die 40-plus-Zahnpasta ihr Ziel verfehlt. Ergo wäre es doch sinnvoll, zunächst mal die reifen Zähne in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken, statt sich schon vorher mit den reiferen zu beschäftigen. Das ist das Pferd von hinten aufgezäumt. Aber das hat Methode. Und ist auch an anderer Stelle zu beobachten.

Bei den älteren Menschen nämlich. Kaum dass ein Mensch nicht mehr jung ist, ist er älter. Ohne jemals alt gewesen zu sein. Anders gesagt: Vor dem älteren Menschen mit reiferen Zähnen steht der alte Mensch mit reifen Zähnen. Mit 40 ist der Mensch nicht alt, also hat er auch keine reifen Zähne. Und erst recht keine reiferen.

Dem Kleingedruckten auf der Tube ist das herzlich egal. Und dem, der es verfasst hat, gewiss auch. Es verspricht drei Dinge: Erstens, dass freiliegende Zahnhälse dank einer besonders sanften Formel schonend gereinigt würden. Zweitens, ich zitiere: „Mit der antibakteriellen Formel werden Zahnfleischentzündungen vorgebeugt." Da fällt doch selbst dem letzten zahnlosen Tiger auf, dass hier grammatikalisch nicht alles zum Besten bestellt ist. Es muss natürlich heißen: „… wird Zahnfleischentzündungen vorgebeugt". Ich werde die leere Zahnpastatube mit der grammatikalisch völlig unzumutbaren Aufschrift aufbewahren. Als Beweisstück. Falls Klagen kommen. Vermutlich hatte der Lektor Zahnschmerzen beim Redigieren des Textes. Kann ja mal passieren. Oder Verena Pooth, geborene Feldbusch, war im Spiel. Drittens wird auf der Tube versprochen, dass das Fluorid in der Zahncreme helfen soll, das Zahnhalskaries-Risiko zu reduzieren.

Früher hieß der Leitspruch: „Dreimal täglich Zähne putzen, zweimal jährlich zum Zahnarzt.“ Heute wird zweimaliges Putzen anempfohlen, morgens und abends. Auch die Art des Putzens will gelernt sein. Nicht schrubben, rütteln lautet die Devise. Ehrlich: Rütteln! Heute schon die Zähne gerüttelt? Rütteln sei schonender als schrubben, wissen die Experten. Und weich soll die Bürste sein. Niemals "mittel" oder "hart" verwenden. Fragt sich, warum dieses Henkerswerkzeug dann überhaupt hergestellt wird. Zur Pflege der Zahnzwischenräume wird Zahnseide empfohlen. Wer keine Zahnzwischenräume mehr hat, weil er bereits im Besitze von Zähnen am Stück ist - da kommt vermutlich jeder mal hin, kann getrost auf Zahnseide verzichten. Macht dann ja keinen Sinn, wenn's nichts zum Durchziehen mehr gibt. Und wenigstens einmal pro Jahr sollte, wer seine Zähne gut aufs Alter vorbereiten will, zur professionellen Zahnreinigung zum Zahnarzt pilgern. Und nicht vergessen, sich den Zahnarztbesuch abstempeln zu lassen. Nachweis für die Krankenkasse, damit’s im Ernstfall ein paar Prozente gibt. Zahnreinigung ist allerdings Privatvergnügen und kostete so um die 50 Euro.

Später, wenn die reiferen Zähne ausgefallen sind und den Dritten Platz gemacht haben, genügt es, wenn man sie per Boten zum Zahnarzt schickt. Vorzugsweise im Wasserglas. Ohne Wasser.

Damit es möglichst gar nicht oder erst sehr, sehr spät dazu kommt, wird für den täglichen Umgang zuhause allerorten die bereits erwähnte exakte Technik empfohlen. Neben Zahnseide auch unter Zuhilfenahme von Zungenreiniger, Mundwasser und Co.. Bei der Anleitung zum Gebrauch eines Zungenreinigers finde ich den Zusatz, dass der anfängliche Würgereiz sich mit der Zeit legen würde, besonders appetitlich. Ich drücke wieder auf die Tube. Ich beschließe, einen Test zu machen. Im Drogeriemarkt meines Vertrauens.

Vorher nehme ich meine Zähne noch mal ganz genau unter die Lupe. Ich habe jeden einzelnen Zahn mit dem Spiegel in der Hand und bei Tageslicht auf seinen Reifegrad hin untersucht. Nun gehöre ich ja schon zur Kategorie 50 plus. Da hat sich im Laufe der Zeit die ein oder andere Krone zwischen die Zähne gemischt. Ich erwähnte es schon. Und auch eine Brücke ist in meinem Fall dabei. Beide, Krone und Brücke, lasse ich bei der Beurteilung meiner Zähne außen vor. Fakt ist, dass meine Zähne mit mir gereift sind. Fakt ist aber auch, dass ich auf jeden Fall älter bin als meine Zähne. Das kann ich beweisen. Es gibt Fotos, da feixe ich, wenige Monate alt, in die Kamera ohne jede Scheu. Und ohne jeden Zahn. Meine Zähne kamen erst später. Meine Haare noch später. Aber das ist ein anderes Thema.

Wann genau die Zähne kamen, weiß ich nicht mehr so genau. Auf späteren Fotos halte ich den Mund geschlossen. Das schließt ja aber auf keinen Fall aus, dass meine Zähne, obgleich jünger als ich, doch vielleicht schon reifer als ich sein können. Aussehen tun sie jedenfalls wie immer. Wohingegen ich ab und zu ganz schön alt aussehe, was wiederum nichts mit meinen Zähnen zu tun hat.

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80 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783847631316
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