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MONDE MASKEN UND MAGIE

(Roman)

Sigrid R. Ammer

Copyright: © 2013 Sigrid R. Ammer

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.com

ISBN 978-3-8442-3363-6

1. TEIL

1

Amanda zog den Zügel ein wenig an, Leira hielt inne. Die Reiterin schaute zurück, seufzte beim Anblick der hinter ihr liegenden, unwirklich glänzenden Wälder Maskaniens. Als sie ihren Blick wieder nach Osten wandte, denn dahin führte ihr Weg, erhob sich vor ihr die unsichtbare und doch wahrnehmbare Mauer: Gebündelte Energie.

“1000 Jahre”, sagte sie leise, als könnte die Mauer sie vernehmen, “stehst du hier, unüberwindbare Grenze zwischen diesem Land und meinem. Aber ich werde dich zum zweiten Mal …”

Als Antwort blies ihr ein eisiger Windstoß ins Gesicht. Leiras Mähne flatterte. Amanda legte rasch ihren Arm vors Gesicht. ‘Ja, ja,’ dachte sie, ‘das Zentralgehirn hört alles, sieht alles und weiß alles, trotzdem …’

Von ferne vernahm sie die Stiefel der Grenzpatroullie. Sie lächelte spöttisch, als sie die schwarz uniformierten Männer in sicherem Abstand die Mauer entlangmarschieren sah. Nicht nur beherrschten sie die Städte, das ganze Land, nein, auch hier an der totsicheren Grenze waren sie seit neuestem eingesetzt, sie, der lange Arm des Allerhöchten Herrn des Landes.

“Ich bin euch immer entkommen”, sagte Amanda leise und ließ ihre schlanken Finger über die kostbaren Satteltaschen gleiten.

Leira wieherte und hob den Kopf:

“Sie sind uns gefolgt, Amanda, bald werden sie uns entdecken, schau hinter dich! Sie kreisen uns ein, wenn wir nicht diese veerdammte Mauer hinter uns bringen.”

“Ja, Leira, wir müssen rasch über die Mauer und außerdem – ich sehne mich nach Hause. Wir waren lange fort, vielleicht denken sie in Esoran, dass wir nie wiederkommen, dass wir tot sind, gestorben, ermordet oder verschwunden in einem ihrer Häuser mit eisernen Fenstern. Bis hierher habe ich dich getragen”, sagte Amanda zu der Maske, die sie abgenommen hatte und nachdenklich betrachtete. Dann legte sie sie zu den Dokumenten in eine der Satteltaschen.

“Amanda”, mahnte Leira, “wir haben keine Zeit zu verlieren, bereite dich vor!”

Amanda hängte ihren silbernen Köcher mit den schwarzgefiederten Pfeilen an den Sattelknauf, legte den Bogen vor sich und zog mit geübter Hand die Riemen des Sattels fester. Sie musste noch einmal zurückschauen, sah, wie die braunen wogenden Wolken schwer über Maskanien hingen.

Sie sah vor sich die engen, weißen Gassen der Oberstadt zu. Mit Liebe sprach sie den Namen aus, der ihr so kostbar geworden war: Mafanwy. Wieviel Mühe hatte es sie gekostet, ihr wunderschönes Lächeln sichtbar zu machen!

Schmerz erfüllte Amandas Herz bei dem Gedanken, dass sie vielleicht nie wieder Mafanwys Garten betreten, die Räume ihres Hauses durchwandern würde. Sie sah vor sich die Wände voller Masken, die seidenen, die bestickten, die mit langen Fransen oder schwarzen Trauerrändern, die bei Todesfällen getragen werden mussten und die silbernen und die goldenen für das, was sie dort ‘fröhliche Anlässe’ nennen. Sie ging noch einmal durch die Gänge, in denen jeder Schritt unwirklich klang, fühlte die Kälte der Atmosphäre, der erst Amandas Anwesenheit Wärme und Farbe gegeben hatte.

Unwirsch warf Leira jetzt ihren Kopf zurück:

“Rasch, Amanda, sie kommen näher!”

Sie wurde unsanft aus ihren Träumen in die Gegenwart zurückgeholt. In der Ferne bemerkte sie eine große Schar von Soldaten, die sich einen Weg durch das künstliche Unterholz bahnten.

“Wenn wir jetzt nicht losfliegen, werden uns die Kugeln aus ihren Eisenrohren treffen, Amanda!”

Rasch kreuzte sie die Zügel, wie es notwendig war für einen Flug. Die Stute begann zu tänzeln, drehte sich dreimal langsam um sich selbst und setzte dann zu einem Galopp an. Sie wieherte laut vor Schmerz, denn das Laufen auf dem Steinboden fühlte sie noch immer durch ihre Hufeisen hindurch bis in alle Glieder.

Da krachte es auch schon hinter den Flüchtenden. Amanda hörte auch die eisernen Kugeln an sich vorbeizischen. Die Verfolger hatten sie eingeholt, sie hatte zu lange geträumt.

“Das weiße Pferd!”, schrien die Soldaten, “die nacktgesichtige Reiterin!”

“Fangt sie!”

“Erlegt sie!”

“Wir haben sie, wir haben sie!” Grässliches Lachen erklang.

Ein wenig hastig flüsterte Amanda die Zauberworte in Leiras Ohr, die sich schwer in die Lüfte erhob, aber mit aller Kraft ihrer Hufe die Luft schlug, so dass sie rasch an Höhe gewannen. Trotzdem erreichten sie die Eisenkugeln der Maskanier. Schützend legte Amanda ihre Hand auf die Satteltasche mit den Dokumenten. Obwohl es anstrengend war, schaute Leira zu ihrer Herrin zurück und rief gegen den sie immer höher treibenden Wind voller Sorge:

“Du solltest wissen, dass Träumen tödlich sein kann!”

Die Soldaten, die jetzt unter den Flüchtigen her ihre Geschosse heraufsandten, sahen bedrohlich aus in ihren schwarzen Lederuniformen und den schwarzen Helmen, auf die, genau wie auf ihre gläsernen Schilde, weiße Gitter gezeichnet waren. Amanda erkannte die todbringenden Schützen der Hauptstadt wieder, die Elitetruppen Maskaniens. Sie sandte Silberpfeil auf Silberpfeil auf sie hinunter.

Da schrien die Soldaten:

“Ihre Silberpfeile!”

Sie warfen ihre Eisenrohre weg, liefen hinter Amandas Zauberpfeilen her und vergaßen die Flüchtenden, um wenigstens eines dieser berühmten Geschosse zu erbeuten.

Amanda lachte, schaute zurück und sah die sich balgende Masse schwarzer Körper. Keiner der Maskanier merkte früh genug, dass ihre Pfeile unsichtbar wurden und zu ihr zurückkehrten.

Unter ihr aber brodelte und zischte und züngelte die Mauer. Sie streckte sich, käme näher, heulte auf in zorniger Wut. Amanda wurde schwindlig, sie fühlte ihr Herz schneller schlagen.

Als eine Hitzewelle gegen ihren Bauch stieß, heulte Leira auf und versuchte mit aller Kraft, noch höher zu steigen, um dem Feuer zu entgehen, das unter ihnen aufzuloderte. Ihre Hufe schlugen verzweifelt die Luft, bis eisige Kälte Pferd und Reiterin einschloss und Leira aufstöhnte bei jeder Bewegung, als schlügen ihre Hufe gegen eine Barriere aus Eis.

Ihr Flug wurde langsamer, sie sanken der tödlichen Energie entgegen. Amanda war hörte das höhnische Gelächter der Energiemauer. Mit klammen Fingern öffnete sie die silbernen Bänder einer Satteltasche, fand das Fläschchen, lehnte sich tief über die Mähne, Leira leckte ein paar Tropfen der Essenz von Amandas Fingern, dann trank sie erst selbst. Wärme durchströmte ihre beiden Körper, sie atmeten auf, Leira wieherte laut und erlöst. “Al-Uzza sei Dank!”, flüsterte Amanda, als sie in Sicherheit waren.

Endlich landeten sie glücklich jenseits der Mauer. Sanft setzte Leira ihre Hufe auf die weiche Erde der Ebene, nachdem Amanda überglücklich die Zauberworte für die Ankunft gesprochen hatte.

Während sie durch die Große Ebene ritt, senkte sich dreimal die Sonne, erhob sich dreimal der Mond über die östlichen Berge. Zur Mittagszeit des dritten Tages erreichte sie den Großen See, dessen Wasser tiefblau glänzte. Sie stieg ab, warf die Zügel über Leiras Kopf und erlöste die durstige Stute von Zügel und Trense. Sie senkte ihren Kopf und trank hastig.

Amanda erfrischte sich, nachdem sie ihre Toga und ihr Stirnband ablegte hatte und aus den Untergewändern geschlüpft war. Nackt stieg sie in den See, dessen Wasser sich leicht trübte, da der Grund erdig war. In langen kräftigen Zügen schwamm sie auf den See hinaus, kehrte um und kam tauchend ans Ufer zurück. Hell glitzerten tausend Wasserperlen, liefen an ihrem Körper hinunter, vereinten sich zu winzigen Bächen an ihren Schenkeln, rannen ihre Beine hinunter, um ihre Füße bildeten sich bald kleine schimmernde Pfützen. Ihr langes schwarzes Haar glänzte bläulich in der Sonne.

Sie kniete nieder, berührte mit ihrer Stirn die Erde und sprach:

“Heilige Mutter Erde, nach langer Irrfahrt und zum guten Ende bin ich zu dir zurückgekehrt. Sei gegrüßt, Land meiner Mütter, die Tochter ist heimgekehrt. Ich bringe dir das Lächeln meiner Schwestern mit. Mafanwy, deine gefangene Tochter, kann wieder lächeln.”

Mit diesen Worten erhob sich die junge Frau und ging zum See zurück.

Lange blickte sie sinnend ins Wasser, das wieder glasklar geworden war und auf dessen Grund ihr endlich Daphoines Gesicht erschien. Sie lächelte ihr glücklich zu und sprach:

“Daphoine, ich habe dich so lange entbehren müssen, aber jetzt bin ich dir nahe, bald kann ich dich wieder in meinen Armen halten. Ich habe dein Lächeln vermisst und dein Lachen, die Stärke deiner Arme und die Weichheit deiner Brüste, den Gesang deiner Kehle und deines Körpers. Ich komme zurück, Daphoine, bald. Die Stadt soll sich bereit machen, mich, die Heimgekehrte zu empfangen! Und du, Daphoine, sollst das Lager bereiten für dich und für mich, denn ich bin zurückgekehrt aus dem Land der lebendig Toten, unserer gefangenen und versklavten Schwestern und Brüder.“

Während sie sprach, war Leira aufgestanden und zu ihr getrabt, hatte ihren Kopf an ihre Schulter gelegt und schnaubte leise in ihr Ohr.

“Komm”, sagte sie, “lass uns weitergehen, bis es Nacht wird.”

Sie sattelte die Stute, hängte ihr die Satteltaschen über und legte ihr Trense und Zügel an. Sorgfältig faltete sie ihre Kleider zu einem Bündel zusammen, schlüpfte in die Sandalen und streifte sich das Stirnband über das nasse Haar. Dann schwang sie sich auf Leiras Rücken, ihr Kleiderbündel vor sich auf dem Sattel.

Sie ritt gemächlich nach Osten ihrer Heimat entgegen. Noch brannte die Sonne auf ihrem Rücken. So sehr sie sich nach ihren Schwestern sehnte, so sehr genoss sie auch das Reiten durch die Ebene, wo keiner sie verfolgte, sie bedrohte oder ihr nachstellte, wo sie nackt reiten und das Leder des Sattels unter sich spüren konnte und den weichen Wind, der über die Ebene strich und ihre Schultern und Brüste liebevoll zum Willkommen streichelte. Sie ritt an den violett blühenden Büschen vorbei, die von Bienen umschwärmt waren und unendlich süßen Duft verbreiteten, einen Duft, der ihr fast den Atem benahm. Leira ging schneller, als wollte sie der betäubenden Süße entkommen.

Sie fanden die Wasserstellen der Ebene menschenleer, die Zeit schien stillzustehen, niemand wanderte oder jagte hier. Erst wenn die Sommerhitze vorüber sein würde, würden die Wege sich wieder beleben mit Karawanen und herumstreifenden Jägern.

Amanda war froh, dass Leira einen schnelleren Schritt angeschlagen hatte und einen kleinen Trab einlegte, bis dorthin, wo das Gebüsch dichter, die Bäume zahlreicher wurden und hohes Gras wuchs. Als Amanda den Saum des Waldes erreichte, hielt sie an, um zurückzuschauen. Sie war eine gute Strecke geritten und konnte sich eine frühe Nachtruhe gönnen.

Als sie absteigen wollte, hörte sie das leise Wiehern Leiras. Sie schaute um sich, konnte aber nichts entdecken.

“Sie sind leise”, sagte Leira, “aber ich höre sie trotzdem, die Waldleute.”

Bewegungslos saß Amanda und horchte, bis auch sie ein leises Knacken von Zweigen vernahm.

“Gib ihnen ein Zeichen!”, forderte Amanda die Stute auf, die gleich darauf laut und fern hinschallend wieherte. Kurz darauf brach eine Gruppe von Männern aus dem Dickicht, Amanda lächelte und sagte leise:

“Sie sind schön, unsere Waldleute.”

Freimütig betrachtete sie die Männer, die näher gekommen waren und zu ihr aufblickten. Sie hob die Hand zum Gruß und sagte:

“Ich bin zurückgekehrt.”

Da trat der Anführer der Gruppe einen Schritt vor und antwortete:

“Willkommen in der Heimat. Du musst Amanda sein, deren Weisheit wir alle so lange entbehrt haben!”

“Ja, ich bin Amanda, Tochter der Al-Uzza. Ich bin von weither zurückgekehrt, habe Nachricht mitgebracht über das Land jenseits der Mauer. Hier in meinen Taschen sind die Dokumente verwahrt, denn vieles habe ich erfahren und aufgeschrieben. Viel Wissen und ein großer Plan sind mit mir gekommen aus Maskanien.”

Amanda schaute stolz in die Runde der Männer, in deren Gesichtern Überruschug stand und Freude über ihre Rückkehr und der Stolz, den auch sie empfanden, Stolz auf die Klugheit und den Mut Amandas. Diese war glücklich, endlich wieder in freie, zufriedene Gesichter schauen zu können, Gesichter, die niemals von schrecklichen Masken entstellt worden waren.

Deshalb musste ihr der eine auffallen, dessen Gesicht gezeichnet schien. Er war jung, aber er hatte den Blick eines Menschen, der den Schrecken gesehen hat. Sie schaute ein paar Sekunden in seine ein wenig fiebrig glänzenden Augen. Sie fühlte, wie ihr ganzer Körper die Schwingungen dieses seltsamen Mannes wahrnahm.

Er konnte ihren Blick nicht ertragen, schlug sofort die Augen nieder. Seine hoch aufgerichtete Gestalt stand im Widerspruch zu seinem Ausdruck und seinem Verhalten: Er hielt den Kopf erhoben, seine Haltung war die eines selbstbewussten Menschen. Amanda beschloss, den Mann später anzusprechen und ihn nach seiner Herkunft und seinem Schicksal zu fragen.

In ihre Gedanken hinein sprach der Anführer der Männer:

“Amanda, bleib bei uns für eine Nacht, lass uns einen Altar errichten und deine Heimkehr feiern. Komm mit uns ins Sommerlager.”

Amanda schaute kurz zum Himmel, die Sonne stand tief, sie fühlte ihre Müdigkeit.

“Gut, führt mich zu eurem Lager!”

Der Anführer wollte Leiras Zügel ergreifen, aber diese warf den Kopf hoch und schüttelte seine Hand ab.

“Lass nur”, sagte Amanda, “Leiras Zügel gehört nur in meine Hand.”

“Verzeih”, murmelte er ein wenig verwirrt, “ich hätte dein Pferd gern durchs Unterholz geführt.”

“Schon gut, sie findet überallhin allein.”

Sie machten sich auf den Weg in den Wald, das Gebüsch und die Bäume standen so dicht, dass Amanda absteigen musste, um neben Leira herzugehen.

Endlich erreichten sie die Lichtung, gesäumt von hohen Eichen, zu deren Füßen die Zelte in weitem Kreis standen, in der Mitte eine Feuerstelle. Der Anführer gab leise Anweisungen, einige Männer verschwanden wieder im Wald, andere schleppten Steine neben die Feuerstelle, schichteten sie zu einem Altar auf, schmückten ihn mit Zweigen und Blumen.

Derweil nahm Amanda ihr Kleiderbündel, Köcher und Bogen und die Satteltaschen von Leiras Rücken und trug alles in das ihr vom Anführer bestimmte Zelt. Dort kleidete sie sich an und trat nach einer Weile wieder hinaus.

“Wie heißt du?”, fragte Amanda den Anführer, der näher trat.

“Meine Mutter hat mir den Namen Darmon gegeben. Ich bin in den südlichen Bergen geboren und habe sieben Jahre jenseits der Nebel gelebt und war …”

Amanda hob die Hand, um seinem Redefluss ein Ende zu machen. Sie kannte die Leute von den Bergen: So schweigsam die Männer von dort waren, wenn sie die Gelegenheit bekamen, zu einer Frau aus der Hauptstadt zu sprechen, wollten sie nicht nur ihre, sondern die Geschichte des ganzen Dorfes erzählen. Sie waren gute Erzähler. Manch einer war berühmt geworden durch seine Lieder, die er in der Hauptstadt auf dem Tempelplatz sang. Amanda hatte jetzt keine Lust, sich eine endlose Geschichte anzuhören.

“Verzeih”, stotterte Darmon verlegen, “ich wollte dich nur bitten, eine Schlange für die Feier aus dem Wald zu holen.”

Darmon verbeugte sich und ging. Nach einer Weile kehrte Amanda ins Zelt zurück. Wie so oft in den vergangenen Tagen strich sie zärtlich über die silbernen Bänder, bevor sie die eine der Taschen öffnete. Sie sah die vielen Blätter sorgfältig gebündelt an ihrem Platz liegen. Daneben die Masken, die sie in Maskanien getragen hatte und die Flöte, die sie mit den Worten herausnahm:

“Komm, ich brauche dich, wir müssen zusammen eine heilige Schlange finden.“

Jetzt erst schien Darmons Aufforderung ihre ganze Aufmerksamkeit zu erregen, denn ihr wurde bewusst, dass ein seltsamer Unterton darin geschwungen hatte. Ehrfurcht und noch etwas, was sich Amanda nicht erklären konnte. Dabei fiel ihr ein, dass die Sage ging, manche Männer träumten davon, selbst eine heilige Schlange zu fangen für ihre eigenen Feste. Amanda hatte damals nicht daran glauben wollen, aber jetzt, nach den Erfahrungen in Maskanien, hielt sie es für möglich, dass Männer es wagen könnten, sich am Heiligsten des Tempels zu vergreifen. Damals hatte der Gedanke nur ein mitleidiges Lächeln hervorgerufen. ‘Ich habe viel erfahren‘, dachte Amanda, hüllte sich in ihr langes Gewand und ging langsam in den Wald hinein.

Manchmal schaute sie hinauf in die hohen Wipfel der Bäume, über denen fern und rötlich im Abendlicht der Himmel schwebte. Sie spielte das heilige Schlangenlied und bewegte sich im Takt der Melodie langsam sich drehend über eine Lichtung. Dann setzte sie sich auf einen umgestürzten Baum und spielte, bis die Nacht hereingebrochen war.

Die ersten Sterne funkelten, als Amanda ein Rascheln vernahm und wusste, dass eines der heiligen Tiere gekommen war. Sie beugte sich nach vorn und sah, dass ihr die Schlange ihren Kopf entgegenhob. Sie nahm das Tier auf, legte es sich um den Hals, und ging ihre Flöte spielend durch den Wald zurück. Sie schritt langsam zwischen den Zelten hindurch hinaus auf den Platz. Das Feuer loderte und erleuchtete magisch den Altar.

Die Männer saßen wartend auf der Erde und ein freudiges Oooh erklang, als Amanda mit der Schlange in die Mitte trat. Sie setzte das Tier auf dem Altar ab. Es glitt durch die Blumen und trank von der bereitgestellten Milch. Dann spielte Amanda das Lied der Heimkehr und die heilige Schlange hob ihr Haupt und wiegte sich im Takt der Melodie. Jetzt erst fühlte sich Amanda wirklich in ihrer Heimat angekommen.

Sie setzte die Flöte ab, legte sie auf den Altar und sprach die feierlichen Worte:

“Ich rufe dich Wind des Nordens, Wind des Regens und der Wasser, ich rufe dich Wind des Westens, Wind der Winde und des Todes, ich rufe dich Wind des Südens, Wind der Hitze und des Feuers und des Lebens; ich rufe dich Wind des Ostens, Wind der Erde und der Wiederkehr; ich rufe dich Gold der untergegangenen Sonne und dich, Silber des heraufziehenden Mondes. Ihr habt mich geleitet in der Ferne, ihr habt mich glücklich heimgeführt.”

Die Männer erhoben sie sich, holten ihre Trommeln hervor und begannen den Rhythmus zu schlagen, zu dem sich Amanda in Bewegung setzte. Sie hatte die Schlange wieder an sich genommen und hielt sie nun hoch über die Köpfe der sich ihr anschließenden Männer.

Lange bewegten sie sich feierlich um den Altar, erweiterten den Kreis, bis sie die ganze Lichtung umrundeten, in deren Mitte die Trommler saßen, den Widerschein des Feuers auf ihren Gesichtern. Die tanzenden Männer begannen zu ihren Bewegungen zu summen und erfüllten die Lichtung mit tiefem Rauschen.

Immer rascher drehte sich der Kreis, ekstatischer stampften die Füße die Erde, rauschhafter bewegten sich die erregten Körper, bis sich Amanda aus dem Kreis löste und zum Altar tanzte, an dem sie wie tot auf die Erde stürzte.

Nur langsam beruhigte sich der Tanz der Männer um die am Altar liegende Priesterin. Das Summen, die Trommeln wurden leiser, beschwörend, der Tanz brach ab. Die Männer saßen wieder um Feuer und Altar und um Amanda, neben deren Haupt die Schlange sich zusammengerollt hatte, in das Schweigen der Nacht gehüllt. Spät erhob sich Amanda, nahm die Flöte vom Altar, und die Schlange in ihrer Toga bergend verschwand sie in ihrem Zelt. Sie schloss die Zeltbahn über dem Eingang und war mit sich und dem heiligen Tier allein.

“Verbring die Nacht mit mir”, sagte sie zu der Schlange, während sie die Satteltasche öffnete, um ihre Flöte zurückzulegen. Ihre Hand stieß ins Leere, die Dokumente waren verschwunden. Im selben Augenblick stand das stolze Gesicht des seltsam auffallenden Mannes vor ihren Augen. Darmons Männer hatten ihr langes Haar nach hinten gebunden, dieser trug Strähnen, die ihm ins Gesicht hingen. Wer war dieser Mann? Woher kam er? Amanda setzte sich auf ihr niedriges, mit Fellen bedecktes Bett und stützte den Kopf in die Hände.

Noch konnte sie das Geschehene nicht fassen. Was sie in langer, gefährlicher Arbeit an Erkenntnissen über Maskanien und seine Gesellschaft zusammengetragen hatte, sollte hier in ihrem eigenen Land verschwinden? Was sie gehütet und aus so vielen Gefahren gerettet hatte, sollte verloren sein? Mit leeren Händen sollte sie heimkehren?

Amanda stand auf, öffnete die Zeltbahn und sah Darmon zwischen dem Altar und dem Feuer stehen. Sinnend blickte er auf die welken Blätter zwischen den Altarsteinen nieder. Amanda glaubte, ihn die Augen zu Schlitzen zusammenkneifen zu sehen. Das Feuer, das ihn von unten her beleuchtete, gab ihm einen unwirklichen, gespenstischen Gesichtsausdruck. War etwas Falsches an diesem Mann? War er der Dieb? Aber was sollte Darmon mit den Papieren anfangen?

Als Amanda ein paar Schritte auf ihn zumachte, schrak er hoch, schaute sie an und senkte sofort wieder den Blick.

“Darmon”, sagte Amanda leise, “Darmon”, wiederholte sie, so dass er den Blick heben und ihr in die Augen schauen musste.

“Ja, Amanda?”, fragte er mit ein wenig zitternder Stimme.

“Alle Dokumente, ich meine meine Aufzeichnungen, Notizen, Tagebücher, alles, was ich über Maskanien gesammelt habe, ist verschwunden. Eine meiner Satteltaschen ist leer.”

War Darmon auf die Neuigkeit vorbereitet? Er reagierte kaum, schien von weit herzukommen in die Gegenwart und fragte zurück:

“Die Papiere, die Satteltasche? Verschwunden?”

Erst als er diese Worte aussprach, ergriff Entsetzen seinen ganzen Körper. Er begann zu zittern, hob abwehrend die Hände und stotterte nur:

“Nein, nein, nein”, als wollte er einen schweren Verdacht von sich weisen.

“Folge mir in mein Zelt, Darmon!”, sagte Amanda scharf. Sie schlug die Zeltbahn auf und ließ Darmon an sich vorbei ins Zelt treten.

“Setz dich, Darmon”, forderte sie ihn mit einer entschiedenen Geste auf.

Unsicher ließ sich Darmon auf ein Sitzkissen nieder. Amanda setzte sich auf ihr Lager. ‘Das ist ein anderer Mann, als der, der mich heute empfangen hat. Andererseits ist es doch verdächtig, dass er mit diesem dämonischen Ausdruck am Altar stand, wo sein Platz nicht ist. Was geht in dem Mann vor?’

“Wo waren deine Gedanken, als du am Altar standest, Darmon?”

Erschrocken schaute Darmon auf und hielt dem Blick Amandas nicht stand.

“Ich … ich habe darüber nachgedacht, wie ich morgen die Jagd organisiere und ob du wohl daran teilnehmen wirst”, sagte er. Amanda wusste, dass er log.

“Du verbirgst die Wahrheit schlecht, Darmon, so weiß ich, dass du kein geübter Lügner bist.”

Sie forderte ihn auf, ihr in die Augen zu sehen.

“Wo sind die Papiere, Darmon?”

“Die Papiere, ja, Amanda, ich weiß es nicht. Ich weiß wirklich nicht, wo die Papiere sind.”

Ihr schien, als spräche er die Wahrheit. Sie verbarg ihre Ungewissheit.

“Waren alle deine Männer bei der Feier am Altar?”, fragte sie.

“Ich weiß nicht, wir sind über achzig Männer im Lager …”

“Vielleicht ist es passiert, als ich die heilige Schlange suchte.”

Darmon nickte zustimmend.

“Wer kann Interesse an den Papieren haben? Gibt es einen Verrückten unter deinen Männern?”

Ein leises “Ssss” war zu hören. Die Schlange hob Amanda ihren Kopf entgegen, stieß ihre Zunge wie kleine Flammen immer wieder in die Luft, glitt rasch zum Eingang und verschwand in der Nacht.

Da schien ein heiliger Schreck in den etwas begriffsstutzigen Mann zu fahren. Er sprang auf die Beine, wandte sich, als wollte er die Flucht ergreifen, aber Amandas Blick hielt ihn fest. Er stand wie angewurzelt.

“Lauf nicht weg, Darmon, es hilft nicht.”

Langsam drehte er sich um und flüsterte:

“Ich bürge für ihn.”

“Für wen?”

“Für den fremden, den ohne Sprache.”

Jetzt sprang Amanda ebenfalls auf die Beine und stellte sich ganz nahe vor Darmon:

“Rasch, Wahnsinniger, rasch, bring mir den Kerl!”

Darmon verschwand lautlos in der Nacht.

Amanda setzte sich wieder auf ihr Lager und dachte nach. ‘Hatten die maskanischen Herren einen Weg durch ihre Mauer gefunden? Hatten sie diesen offensichtlich stummen Menschen hindurchgeschickt? Tausend Jahre, seit die Mauer bestand, hatte kein Mensch dieses Monstrum zu überwinden vermocht, außer ihr selbst. Sollten die Herren in den Besitz eines magischen Steins gekommen sein? Welcher Mann in Selenien hatte irgendein Interesse an den Dokumenten? Ist aber einer von Maskanien nach Selenien gekommen, dann ist dieses Land in Gefahr, dann ist eine Invasion möglich.’

Endlich hörte sie Darmon herankeuchen. Als er die Zeltbahn zurückschlug, stieß er tonlos hervor:

“Weg, er ist verschwunden!”

“Meine Stute, rasch!”

Sie rief Leira. Amanda nahm Köcher und Pfeile, zog die Stute hinter sich her über die Lichtung in das Dickicht hinein.

‘Sie wird nur langsam vorwärts kommen,’ dachte Darmon, ‘bis sie das Grasland erreicht hat. Und der Stumme, mein Läufer, hat einen großen Vorsprung.’

“Große Göttin, steh mir bei!”, hörte Darmon Amanda noch rufen, dann hatten die Nacht und der Wald sie verschluckt. Er trat wieder an den Altar, schaute ins Feuer und sprach leise und traurig, als müsste er Abschied nehmen von dieser Welt, die folgenden Worte:

“Ich bin dein Bürge, Stummer. Jeder Mann ist eines anderen Mannes Bürge, mich wird die Strafe treffen, ob Amnada dich findet oder nicht, dein Verbrechen ist mein Verbrechen.

Ich habe einmal davon geträumt, Priester zu werden im Tempel der Männer, oben im Norden, denn der Dienst an der Gottheit, hat mich immer bewegt. Ich bin nie ein guter Jäger gewesen, wie Orpon, mein Bruder, der für mich bürgt. Aber ich bin gern über die Felder gegangen mit den Frauen und Kindern. Ich möchte säen und ernten wie sie, Häuser bauen und Atargatis anrufen wie sie. Ich wollte, ich wäre eine Frau!

Nun sind alle Träume zerronnen, denn unweigerlich wird mich die Strafe für meine Nachlässigkeit dem Fremden gegenüber ereilen. Ich weiß nicht, woher du gekommen bist, ich weiß nicht, wohin du gegangen bist, stummer Bruder, Bruder ohne Namen. Du warst unwissend. Ich habe dich alles gelehrt, du warst mir ein Sohn, ich liebe dich, ich liebe dich noch immer.”

Amanda jagte auf Leira schon durch die Ebene, als Darmon noch seiner Zukunft nachsann. Ihre Toga flatterte im bläulichen Licht des hochstehenden Mondes. Gleichmäßig schlugen die Hufe der Stute den Boden wie eine mechanisch geschlagene Trommel. Als sie eine Weile dahingeflogen war und sie annahm, soweit ungefähr könnte der Flüchtende gekommen sein, ließ sie Leira in Trott fallen, hielt nach einiger Zeit an. Beide horchten in die Nacht.

Nichts. Nur ein paar Nachtvögel schrien, irgendwo heulte ein Steppenhund den Mond an, der schon weit im Westen stand.

“Leira?”

“Ja?”

“Hörst du den Schritt eines Menschen?”

“Nichts, Amanda, ich höre nur die Nachttiere und das feine Klimpern des Mondscheins auf deiner Toga.”

“Lass, Leira, jetzt ist keine Zeit für Romantk”, antwortete Amanda unwillig.

“Amanda, wenn du dich jetzt ärgerst, kannst du nicht klar denken, das ist schlecht für deine Findigkeit.”

“Leira, wirklich, entweder bist du romantisch oder schulmeisterlich, beides kann ich nur schlecht ertragen.”

“Gut, Amanda, ich frage dich etwas: Hat Darmon dir gesagt, dass der Flüchtling ein Schnelläufer ist, der alle Meldungen zum Nebeltal bringt?”

“Nein.”

“Siehst du. Lass uns zum Großen Menhir galoppieren. Möglicherweise erfährst du dort etwas über ihn.”

“Gut, los!”, schon jagten sie weiter nach Westen.

Immer wieder hielt Amanda die Stute an und beide horchten, konnten aber nur die Laute der Nacht vernehmen. Sie erreichten den Menhir, einen hochaufragenden Stein, der den Wanderern die Richtung wies und am Kreuzpunkt dreier Wege stand.

Amanda stieg ab, näherte sich dem Menhir und sprach:

“Ich bin eine Wanderin von Ost nach West, wer meine Straße kreuzt und wer mit mir zieht, dem reiche ich meine Hand.”

Damit legte Amanda ihre Hand auf die von vielen Berührungen spiegelglatte Mulde in der Westseite des Steins. Dann beschwor Amanda den Stein Menhirod:

“Menhirod, wen du gesehen in dieser Nacht, des Gesicht sei ans Licht gebracht.”

Da erschien auf der glatten Fläche des Steins das schweißnasse Gesicht des Flüchtenden, seine traurigen, unendlich müden Augen, seine Stirn, verhangen von feuchten Strähnen seines Haars. Amanda schaute in das gehetzte Gesicht und empfand plötzlich Mitleid, sie wandte sich Leira zu und sagte schweren Herzens:

“Komm, er ist hier schon vorübergekommen, lass mich weiterreiten.”

Viele Fragen bewegten Amanda: ‘Wer ist dieser geheimnisvolle Mann? Wenn er aus Maskanien gekommen ist, wie? Sprach das Leid in seinen Augen dafür, dass er aus Maskanien kommt? Woher hat er aber die Stärke, die seine ganze Person ausstrahlt? Ist er mit einem Auftrag gekommen? In geheimer Mission? Aber in welcher? Die Dokumente zu stehlen? Ein Feind? Ein Freund?’

Leira blieb plötzlich stehen, hob den Kopf. Die Nüstern der Stute öffneten sich weit, zitterten vor Erregung, sie begann unruhig zu werden. Amanda ließ die Zügel hängen, vertraute ganz auf Leiras Sinne.

Sie setzte Huf vor Huf, ging vom Weg ab auf eine nahegelegene Baumgruppe zu. Sie folgte ihrer Witterung mit fast geschlossenen Augen, aber gespitzten Ohren. Als sie näherkamen, erblickten sie den Mann ausgestreckt auf dem Boden liegen, seine Finger um die Wurzeln eines hohen heiligen Eichbaums gekrallt, sein Gesicht zur Erde gekehrt.

“He”, rief Amanda leise, um ihn nicht zu erschrecken, “he, Namenloser, Mann ohne Sprache!”

Da sprang der Fremde auf, griff nach dem Bündel neben sich und wollte weglaufen.

“Bleib”, fuhr Amanda ruhig fort, “mein Pfeil wird dich doch erreichen, also bleib stehen. Es ist sinnlos.”

Der Mann drehte sich um, schaute Amanda an, kam die paar Schritte zurück, die er gelaufen war.

Amanda stieg ab und ging auf ihn zu. Da streckte er sich.

“Wage es nicht, mich anzurühren! Ich verfüge über Kräfte, die den deinen bei weitem überlegen sind!”

390,38 ₽
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311 стр. 2 иллюстрации
ISBN:
9783844233636
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
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