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Shey Koon

Mellow Tior

Der Hüter von Phalanxia

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Der fliegende Brief

Mariana im Licht

Das innere Auge

Der goldene See

Der feurige Griff

Am Stratos

Kreuz und Flügel

Mellows Traumreise

Das Wundertor

Erwacht

Die Wunderwelt

Die Erde brennt

Die Glut der Tauren

Kampf der Taurenmeister

Aurilias Triumph

Impressum neobooks

Vorwort

Überirdische Wunder erscheinen ständig und überall. Sie wirken im und um jeden einzelnen Menschen herum. Funkelnde Sterne, die den geheimnisvollen Kosmos ausleuchten und die Tiefe des Universums widerspiegeln sind wunderlich und majestätisch zugleich. Jedoch, die strahlenden Sternschnuppen sind die zauberhaftesten Erscheinungen, die all das menschliche Sehen ins Staunen verwandeln. Fantastische Geschichten über das faszinierende Mysterium gibt es seit eh und je, weit bevor das Menschengeschlecht über das Angesicht dieser Welt wandelte. Sie sind so schön anzuschauen, direkt bewundernswert, wenn sie für einen kurzen Augenblick nur, leuchtend am geschwärzten Himmel aufflackern, um mit ihrem sprühenden Schweif alsbald wieder in das Unsichtbare zu verglühen. Unzählige Worte sind gesprochen und geschrieben worden, die diesem Unbeschreiblichen Ausdruck verleihen. Vielerorts erzählt man sich, dass es die Boten des Glückes seien. Und sobald man eine dieser Schnuppen erblickt, dann sollen in diesem Moment die Augen ganz fest geschlossen werden, und alle Wünsche, die man in seinem Herzen hegt, sollen leise geflüstert werden, denn bald darauf würden sie wahr werden. Einstmals, vor unglaublich langer Zeit wusste ein jeder Mensch, dass die Sternschnuppen ein kosmisches Geheimnis in sich tragen. Ein wirklich fantastisches Geheimnis.

Der fliegende Brief

Da gab es auf der Erde tatsächlich jemanden, der felsenfest daran glaubte, dass dies der Wahrheit entsprach. Mellow Tior, ein lebhafter Junge von elf Jahren mit silbernen Haaren, die so unbeschreiblich hell waren, dass sich der volle Mond und die glitzernden Sterne darin spiegelten, wünschte sich nichts sehnlicher, als eben diese Sternschnuppen zu erblicken. Entdeckte er sie, wenn sie wie glühende Perlen am nächtlichen Himmel erschienen, hüpfte ihm jedes Mal sein kleines Herz vor Freude. Nach solch einem Spektakel schlief Mellow vor lauter Aufregung die ganze Nacht nicht ein. Auch in jener schicksalhaften Nacht blickte er gebannt mit seinen großen bernsteinfarbenen Augen aus dem Fenster in die überwältigenden Weiten des Alls. Er versuchte verträumt nach dem stillen Feuerwerk zu greifen und fing für einen kurzen Moment den Zauber des Universums ein. Verzaubert kaute er am Ende des leuchtenden Stiftes, tüftelte weiter an seinem Brief. Mellow schrieb seit einer beträchtlichen Zeit an dem schimmernden Schreiben, und es war endlich der Zeitpunkt gekommen, an dem er die letzte Zeile verfasste. Er überprüfte das Schriftstück nochmals sorgfältig, obwohl er es bestimmt schon hunderte Male gelesen hatte. Stolz fügte er zum Abschluss seinen Namen hinzu.

Mellow Tior“

Kurz bevor die warmen Sonnenstrahlen zusammen mit den zwitschernden Vögeln den Morgen begrüßten, fielen ihm vor Müdigkeit die schläfrigen Augen zu. Orangefarbenes Licht färbte gemächlich sein Zimmer, das vollgestopft war mit den vielen bunten Spielzeugraketen und maßstabsgetreuen Modellen von Raumfähren. Allerlei wissenschaftliche Bücher, zu unordentlichen Stapeln aufgetürmt, ragten bis unter die Decke. Dazwischen verteilten sich wild verstreut die verschiedensten Sternenkarten und farbigen Fotos von weit entfernten Planeten und aufregenden Galaxien. Ein weißer Astronautenanzug baumelte neben der Zimmertüre, mit dem er anfangs, als er ihn geschenkt bekommen hatte, wochenlang herumgelaufen war. Der Astronautenhelm zierte den flauschigen Kopf eines neongrünen Stofftieres namens Albo, der in der linken Ecke des Zimmers saß. Albo, der Außerirdische, war Mellows stiller Freund, und er spendete ihm in der Nacht Trost vor seinen Alpträumen, die ihn regelmäßig heimsuchten. In der rechten Ecke des Zimmers stand die Sparbüchse, ein gelber Kristallglobus, darin bewahrte Mellow sein gesamtes Taschengeld auf. Davon wollte er sich eines Tages ein riesiges Teleskop kaufen, mit dem er bis ans Ende des Universums blicken konnte. Nichts wünschte er sich sehnlicher. Während er schlief, öffnete sich die Türe einen schmalen Spalt, und seine Großmutter Aurilia schlich ins Zimmer. Sie war schon sehr, sehr alt, so alt wie das Universum selbst, auch wenn ihr Aussehen eher dem einer lebensfrohen 40-jährigen glich. Aurilia tapste mit ihrem schlanken Körper geschickt um all die angehäuften Dinge herum, setzte sich zum träumenden Mellow ans Bett. Goldgelbe Locken fielen ihr über die Schultern und umrahmten ihr anmutiges Antlitz. Sie lächelte voller Freude als sie Mellow zufrieden schlummern sah. Behutsam legte sie den glimmenden Stift und das Briefpapier zu Boden, nahm sanft die Hand ihres Enkels, und während sie ihn betrachtete, streichelte sie zärtlich über sein silbriges Haar, das für einen flüchtigen Moment aufleuchtete.

„Na, wieder die ganze Nacht den Sternschnuppen nachgejagt?“

Mellow blieb stumm, denn er war bereits selig in das Land der Träume abgetaucht. Aurilia beugte sich über ihn und küsste seine Stirn. Kurzzeitig blitzte es in ihrem Augenwinkel auf. Prüfend wandte sie ihren Blick in den Himmel, der sein schönstes Morgenblau auftrug. Sie bemerkte die vielen funkelnden Sternschnuppen, die seltsamerweise auch am Tage zu sehen waren. Das war eine seltene und ungewöhnliche Erscheinung und rief schmerzliche Erinnerungen in ihr wach.

„Er ist frei!“, stellte sie entsetzt fest. „Jetzt schon? Weit vor seiner Zeit.“, flüsterte Aurilia.

Schlagartig war ihr bewusst, dass für Mellow nun eine schicksalhafte Wendung angebrochen war. Er befand sich in großer Gefahr. Der ahnungslose Junge schmiegte derweil sein Gesicht in den weichen, mit silbernen Engeln bestickten Kissenbezug. Geräuschlos verließ Aurilia das Zimmer. „Wie kann das sein? Unmöglich. Das darf nicht sein.“, stammelte sie fassungslos. Sie huschte eiligst in den ersten Stock des Hauses. Ständig drehte sich dabei nach allen Seiten um, vergewisserte sich, dass sie nicht verfolgt wurde. Aurilia strich mit ihren Fingerspitzen über die lange Wand, solange bis die gesamte Seite im glühenden Licht erstrahlte. Nochmals suchte sie prüfend ihre Umgebung ab, bevor sie hinter dem » Tor des Moooo « verschwand. Mellow hingegen träumte längst, dass er an einen weiten goldenen See mit einer spiegelglatten Oberfläche stand. Das gegenüberliegende Ufer war für ihn nur an den strahlend bunten Farben zu erkennen, die verlockend zu ihm herüber blitzen. Der stille See glitzerte im gleißenden Glanz des Goldes und blendete ihn so stark, dass er gezwungen war, seine Augen soweit zuzukneifen, bis er nur noch durch einen schmalen Schlitz hindurch blinzeln konnte. Er verharrte, ließ seinen Blick geduldig über den geruhsamen See schweifen. Er war nicht zum ersten Mal an diesem geheimnisvollen Ort. In seinen Träumen hatte er schon etliche Male diese Stelle besucht, nämlich immer dann, wenn er zuvor die fallenden Sternschnuppen am Himmel bewundert hatte. Sobald er all seine Aufmerksamkeit bündelte, nahm er ein Flirren wahr, das blitzartig über den See dahinglitt. Schemenhafte Figuren tanzten gleichsam wie eine gespenstische Fata Morgana über das Gold. Sogar an seiner Haut spürte er das Vorbeihuschen der schleierhaften Wesen. Eine kleine Ewigkeit könnte er hier verbringen, wenn ihn nicht die Realität wieder einholen würde.

„Tok, tok, tok.“ Großmutter Auri, wie er sie auch liebevoll nannte, klopfte an die Zimmertüre.

„Komm frühstücken du Schlafmütze! Los, beeile dich! Der Tag ist noch frisch und der Kakao warm.“

Mellow zog sich widerwillig die Bettdecke über den Kopf und lugte müde hervor. Jedoch, Aurilia blieb hartnäckig.

„Komm schon du Träumer, steh endlich auf!“

Mühselig schlupfte Mellow unter der warmen Decke hervor, zog sich seine himmelblauen Pantoffeln an, und schlurfte nach nebenan, in die Küche. Der Geruch von gebratenen Kartoffelecken drang ihm in die Nase und sofort lief ihm das Wasser im Mund zusammen, was er auch sogleich ausposaunte. Denn das war nun einmal seine Lieblingsspeise. Davon bekam er nie, nie, niemals genug. Blitzartig erwachten seine Lebensgeister. Mit einem langen Satz hüpfte er auf den langbeinigen Hocker am Küchentisch, direkt neben dem Herd, griff gierig nach der Gabel und klopfte ungeduldig gegen den gähnend leeren Teller. Aurilia wuschelte Mellow über das silberne Haar, das abermals für einen kurzen Moment aufleuchtete. Mellow schüttelte sich, zupfte sich seine silberne Strähne aus der Stirn.

„Großmutter Auri, 97 Schnupps habe ich heute Nacht gezählt. So

viele hatte ich bisher noch nie gesehen.“

Nachdem er einen kräftigen Schluck süßlichen Kakaos getrunken hatte, wischte er sich mit dem Handrücken den Mund ab.

„Zumindest nicht in einer Nacht.“

„Ja Mellow, das ist ziemlich selten, aber nicht ungewöhnlich. Kein Grund sich zu Sorgen.“

Aurilia kehrte ihm den Rücken zu, atmete schwermütig und zog ihre linke Augenbraue hoch, während sie die brutzelnden Kartoffelecken auf den Teller drapierte. Mellow verputzte hungrig die erste Portion. Aurilia füllte den Teller abermals.

„Poch, Poch, Poch.“ Laut klopfte es an die Fensterscheibe. Minja, ein pummeliges Mädchen mit nussbraunem kurzem Haar spähte herein. Sie war um einiges größer als Mellow, sah in ihren Bewegungen dennoch unbeholfen und tollpatschig aus.

„Mmmmh, das riecht lecker. Da läuft mir ja das Wasser im Mund zusammen!“, rief Minja aufgeregt in die Küche.

Aurilia forderte sie mit einem Schmunzeln auf, einzutreten.

„Das hatte ich eben schon einmal gehört.“

Minja, die gerne reichlich aß, ließ sich nicht zweimal bitten und flitzte eiligst herbei.

„Morgen Mellow, du Schlafmütze. Noch nicht lange wach, oder?“

Mit einem Schulterklopfen begrüßte sie ihren besten Freund,

nahm am schmalen Küchentisch Platz, und Aurilia brachte ihr einen Teller und das Besteck.

„Du hast bestimmt großen Hunger.“

Mit einem erheiterten Blick musterte Aurilia Mellows Freundin.

„Du bist ja schon wieder um einiges gewachsen.“ Minja nickte lächelnd, kniff wohlwollend in ihren fülligen Bauchspeck und stibitzte Mellows Teller. Minja durfte das. Sie kannten sich schon seit der frühesten Zeit im Sandkasten. Unzählige Abenteuer hatten sie erlebt und waren Freunde fürs Leben geworden. Minja schmatze laut, leckte sich wie eine verfressene Katze die Lippen. Aurilia reichte eine weitere Pfanne knusprig Gebratenes zu ihnen herüber, mit dem Ergebnis, dass sich die beiden maßlos überfraßen. Nach dem ausgiebigen Festmahl fläzten sie sich mit ihren kugelrunden Bäuchen auf den Hockern und grienten zufrieden.

„Na, was stellt ihr heute an?“, fragte Aurilia interessiert nach, wohlwissend, dass beide eh nur ihre Schultern zuckten, einen ahnungslosen Blick aufsetzten und sich schnellstens aus dem Haus trollten.

„Minja, komm mit mir! Wir holen uns die goldene Farbe und ein paar Pinsel.“ Er lotste Minja rüber zur Garage, überreichte ihr den vorbereiteten Beutel und schnappte sich den schweren Werkzeugkasten. Sie konnten es kaum mehr erwarten.

Unweit des Dorfes Nuckelon, in dem Mellow und Minja aufwuchsen, befand sich ein Abenteuerspielplatz. Schon seit etlichen Generationen spielten hier die kleinen Buben und Mädchen aus dem nahen Dorf. Die Kinder buddelten mit ihren Spielzeugschaufeln im Sandkasten, rutschten belustigt auf der blauen Rutsche hinunter oder kletterten mutig, wie die kleinen Äffchen, auf den Klettergerüsten. Mellow und Minja hatten tags zuvor, ganz in der Nähe, durch einen glücklichen Zufall während des Ballspielens einen Unterschlupf gefunden. Es war allem Anschein nach, ein ehemaliger Lagerraum für die Dorfbewohner gewesen, der aber längst in Vergessenheit geraten war. Mellow hatte sich auf der Jagd nach dem Ball in das dichte Gestrüpp gezwängt und dabei die moosbesetzte Türe bemerkt. Die klebrigen Spinnenweben verliehen dem Eingang ein düsteres Aussehen, doch ihre Neugierde besiegte die Furcht. Mit aller Kraft hatten sie solange an der Türe gerüttelt, bis sie endlich offenstand. Wie die Detektive schlichen sie jede einzelne Stufe des schmalen Ganges hinunter und verschwanden in einem verstaubten Kellerraum. Jedoch, sie fanden einzig und allein zwei morsche Hochbetten und ein Dutzend klapprige Stühle vor. Für Minja war es augenblicklich klar gewesen, hier wünschte sie sich häuslich einzurichten. Sie wohnte zwar bei ihrem Onkel Klaus, der aber beruflich, oft für viele Wochen am Stück, auf Reisen war. Er beriet namhafte Firmen beim Verkauf von Spielzeug. Sie hatten beschlossen den Kellerraum zu ihrem geheimen Unterschlupf umzubauen und gemütlich einzurichten. Zuallererst reparierten sie eifrig die instabilen Hochbetten, schraubten und hämmerten, verpassten ihnen mit goldener Farbe einen glänzenden Anstrich. Mit dem Werkeln waren sie bis in die Nacht hinein beschäftigt, doch sowie die Dunkelheit hereinbrach, trugen sie die alten Stühle aus dem neuen Quartier und verteilten diese wahllos im gesamten Dorf. Es war die einfachste Art alles Unbrauchbare schnellstens loszuwerden. Bei Minja standen zuhause im Keller zwei königsblaue Ohrensessel, die sie sich fraglos einverleibten, und eine blaue Ledercouch, die vorzüglich in ihr Versteck passen würde. Sie holten den hölzernen Transportwagen aus der Garage von Onkel Klaus und im Schutz der funkelnden Sterne transportierten sie die Möbelstücke zu ihrem neuen Schlupfloch. Auf diese Weise schleppten sie nach und nach tatkräftig alle nur erdenklichen Gegenstände an, und gestalteten einen ansehnlichen Rückzugsort. Mellow stiftete seine goldbeschlagene, tibetanische Truhe, ein Geschenk von seiner Großmutter, als er geboren worden war. Wahrlich, die Stunden verflogen im Fluge. Als ihr Werk endlich vollendet war, standen sie erschöpft aber zufrieden vor dem Gestrüpp, hielten sich lachend ihre Hände und tanzten vor Freude im Kreis. Sie waren nun Besitzer eines geheimen Wohnorts. Was sie jetzt noch unbedingt benötigten, war ein fantasievoller Name, und so nannten sie ihr ausgewähltes Heim begeistert „Wolke 7“.

Bereits am nächsten Tag, nachdem sie sich von der Anstrengung erholt hatten, trafen sie sich, wie besprochen, pünktlich zur Mittagszeit in ihrer Wolke.

„Mellow, hast du die Messer dabei?“, fragte Minja aufgeregt.

„Ja, klar.“, antwortete Mellow nur knapp. Er zückte zwei scharfe Messer aus seinem Beutel und reichte Minja eines hin.

„Hier nimm! Ich hoffe es klappt damit.“

Mellow breitete ein Zeichenblatt aus. Es war eine handgezeichnete Anleitung für den Bau von Pfeilen.

„Ist einfach. Schau, kein großes Hexenwerk. Das bekommen wir locker hin. Und ich brauche nur ein paar.“, ermutige Mellow seine Freundin.

Minja setzte sich auf die Couch, packte reichlich Schokolade auf dem kreisrunden Tisch und probierte das scharfe Werkzeug sofort an den fingerdicken Holzruten aus. Sie schälte behutsam die Rinde vom Holz, naschte nebenher von der Süßigkeit, während Mellow in der verzierten Truhe herumwühlte. Er zog freudestrahlend eine Tüte hervor, die bis oben hin mit bunten Federn aufgefüllt war.

„Die habe ich vor etlicher Zeit im Park gesammelt. Wenn wir sie hinten an den Stöcken ankleben, dann fliegen sie besser. Wie in den Indianerfilmen. Du weißt schon.“

Stolz zeigte er eine lange grünglänzende Feder seines quakenden Freundes, denn er regelmäßig am Entenweiher besuchte.

„Die habe ich von BigBlu. Ein zutrauliches Kerlchen.“

Außerdem überreichte er Minja einen starkhaftenden Kleber und entnahm zwei Bögen, womit sie emsig das Zielen auf die Blechdosen geübt hatten. Die alten Pfeile waren dadurch ziemlich verschließen und taugten nur noch für die Müllhalde. Sein Plan war es, seinen Brief unbedingt am kommenden Wochenende in die Wolken zu schießen. Es gab also keine Zeit zu verlieren und so waren beide eifrig bis in den späten Abend mit dem Anfertigen der Pfeile beschäftigt. Erst als sie die Federn allesamt verklebt hatten, bewunderten sie ihr Ergebnis und begaben sich zufrieden auf den Nachhauseweg.

„Wo kommt ihr so spät noch her?“, fragte Aurilia wie gewohnt nach.

Mellow sprang aufgedreht durch die Türe, rannte ungestüm auf

seine Großmutter zu und drückte ihr einen dicken Schmatz auf die Wange. Er blickte verstohlen zu Minja.

„Großmutter Auri, du bist noch wach?“, fragte er gespielt nach. Sie nickte knapp und zwinkerte Minja zu, ganz so, als ob sie genauestens Bescheid wusste. Doch sie konnte nichts wissen. Mellow und Minja hatten sich gegenseitig ein geheiligtes Versprechen gegeben, dass sie Niemanden, aber auch wirklich Niemanden, ganz ohne Ausnahme, von ihrem eingerichteten Keller erzählen würden.

„Ihr habt wohl schon zu Abend gegessen.“, stellte Aurilia amüsiert fest und wischte die Schokoreste mit einem Tuch aus Mellows grinsenden Gesicht. Mellow packte Minjas Hand und verschwand mit ihr ohne Umschweife in sein Zimmer.

„Siehst du, sie hegt keinen Verdacht. Wir sind für das Wochenende bestens vorbereitet.“, überzeugte Mellow seine Freundin, bevor sie zu Bett gingen und erschöpft einschliefen.

Mitten in der Nacht wachte Mellow auf, begutachtete in gewohnter Weise den Himmel, der jedoch frei von Sternschnuppen blieb. Abermals las er seinen Brief Zeile um Zeile durch, obwohl er ihn mittlerweile bis zum letzten Buchstaben auswendig vorsagen konnte. Zuversichtlich schlüpfte er wieder unter die Bettdecke, doch er bekam kein Auge zu.

Bis zum besagten Wochenende vergingen etliche Tage, die sich die beiden mit kleineren Streifzüge durch ihr Dorf Nuckelon, zeitweiligen Besuche im Zoogeschäft, oder dem nahegelegenen Wald vertrieben. Außerdem ließen sie sich von Aurilia mit allerlei Köstlichkeiten verwöhnen und gingen Mellows Lieblingsbeschäftigung nach, dem stundenlangen Wolkengucken. Seit der Zeit, als er noch ein Baby war, richtete er seinen Blick in den Himmel, zu den Wolken und zu den Sternen. Die Freunde lagen im Gras und erschufen in ihren Gedanken zauberhafte Fantasiegebilde, übertrumpften sich damit gegenseitig. Mellow verspürte dabei stets das untrügliche Gefühl, dass es nicht nur Einbildungen waren, die er mit spielerischen Worten von sich gab. Nein, ganz im Gegenteil. Er war sich ziemlich sicher, dass die Wolken vielmehr waren, als nur Wolken.

Als es endlich soweit war, packten sie ihre Bögen und die hölzernen Pfeile in die Rucksäcke. Den Brief, den Mellow wie einen Schatz hütete, verstaute er in seiner Brusttasche.

„Minja, trödle nicht! Ich will los. Bis du endlich soweit bist,

ist es wahrscheinlich dunkelste Nacht.“, drängelte Mellow.

„Ja, ja. Keine Hektik. Wir kommen schon rechtzeitig an.“, erwiderte Minja und verdrehte ihre braunen Augen.

„Wo ist denn die Limonade? Ohne die brauchen wir überhaupt nicht los. Ah ja, hier ist sie. Nicht dass wir das Wichtigste vergessen.“

Sie verstaute die Dosen in den Rucksack und richtete ihr Haar. Verspätet begaben sie sich auf den langen Weg durch den Wald, zu den weiter gelegenen Bergen. Zum Abschießen der Pfeile benötigte Mellow die höchste Stelle. Das Wetter war hervorragend, und so stimmten sie auf den langen Wanderweg ein trällerndes Lied ein, das sie aus ihrem Schulunterricht kannten. » Das Wandern ist des Müllers Lust. «

Damit erschien ihnen die Mühe des anstrengenden Marsches wesentlich geringer, und während sie eine Rast einlegten, naschten sie leckere Schokopralinen und spülten mit süßer Limonade hinterher. Rund um den Berggipfel versammelte sich ein weißes Wolkenfeld. Hoch oben am Gipfel übten die Zwei nochmals das Zielen an einer der leeren Limonadendosen. Mellow pfiff frohen Mutes. Im Tal hatte es wunderbar geklappt, aber jetzt ging es darum, eine Wolke zu erreichen. Minja fieberte mit, denn was ihr bester Freund für sein Vorhaben dringend benötigte, war eine große Portion Glück. Um zu sehen, wie weit die Pfeile flogen, schoss Mellow zwei Pfeile, einen nach dem anderen, in den Himmel. Als er sich gewiss war, dass er sein Ziel traf, umwickelte er den Brief mit einer reißfesten Schnur am Stecken, spannte den Bogen mit aller Kraft, zielte und schnalzte los. Der Pfeil surrte geradewegs auf die auserwählte Wolke zu. Mellow kribbelte das Freudenfeuer im Magen. Doch oh je, plötzlich schlug ein leuchtend grüner Blitz auf dem Pfeil ein und verschwand mit dem Brief ins Nirgendwo.

Mellow erschrak fürchterlich, traute seinen Augen kaum.

„Mein Brief. Was war das? Minja hast du das gesehen? Das war ein froschgrüner Blitz. Woher kam der?“

„Mellow, du spinnst! Welcher Blitz? Der Pfeil ist abgestürzt. Die Wolke war zu weit entfernt. Du träumst. Ein grüner Blitz. Tsss, das war einer deiner blöden Sinnestäuschungen, glaube mir.“

Mellow nickte zähneknirschend, denn er war sich ziemlich sicher, diesen sonderbaren Blitz gesehen zu haben, wollte aber nicht als Idiot vor seiner Freundin dastehen. Deswegen beließ er es dabei und blieb dennoch ratlos.

„Minja, der Brief ist weg. War keine gute Idee. Was wir jetzt brauchen, ist ein besserer Einfall. Einer, der auch funktioniert.“

Minja legte den Arm um ihren besten Freund. Mit hängenden Köpfen und den Bögen in den Händen trotteten sie nach Hause.

„Ich werde nochmals einen Brief verfassen und bis dahin fällt mir bestimmt etwas ein.“

Ein paar Tage später wurde Mellow, nach dem Misserfolg in den Bergen, von Minja in seiner weiträumigen Garage besucht.

„Was bastelst du denn da?“, erkundigte sich Minja neugierig.

Mellow war gerade mit dem Schraubenzieher zugange, ein bunter

Lackstift klemmte hinter seinem Ohr, er blickte kurz hoch, begrüßte Minja knapp und schraubte konzentriert weiter. Sie schritt um Mellow herum, atmete den scheußlichen Benzingestank ein, der in der Luft lag, und beobachtete erstaunt woran Mellow gerade mit vollem Eifer schraubte.

„Um Himmels Willen. Was hast du denn damit vor? Das ist doch einer deiner Raketen.“

Nach einem irritierten Blick stotterte sie ihre Bedenken los.

„Du wirst doch nicht etwa …, nein, das wirst du nicht …, nicht dieses Ding in die Luft schießen wollen?“, japste sie aufgeregt.

Mellow nahm seinen Kopf hoch, versuchte mit einem Hundeblick so unschuldig wie nur irgend möglich drein zu schauen.

„Ich habe meinen Brief fertig und der muss irgendwie da hoch. Da gehört er schließlich hin.“

Mellow deutete mit seinem Finger nach oben in den Himmel.

„Ab in die Wolken. Glaube mir, dieses Mal gelingt es bestimmt.“, frohlockte er siegesgewiss.

Minja schüttelte ungläubig ihren Kopf.

„Hilf mir besser, bevor du dir unnötig deinen Verstand zermarterst. Es ist eine beschlossene Sache.“

Und so bastelten sie tagelang an der einen Meter hohen Rakete. Sie nutzten, wann immer es ging, die Zeiten, wenn Aurilia außer Haus war. Sie durfte auf keinen Fall von Mellows Plan erfahren. Sie hätte beide Hände entsetzt über den Kopf zusammengeschlagen und es ihm mit strengen Worten verboten.

Nachdem die metallenen Treibstofftanks luftdicht versiegelt und an der Rakete festgeschraubt waren, band Mellow den zweiten Brief mit einer Schnur um den Bauch des blauweißen Luftgeschosses.

Noch in derselben Nacht schlichen sie sich außer Haus, transportierten aufgeregt das vollgetankte Ungetüm auf dem Bollerwagen zu ihrem Versteck Wolke 7.

„Minja, ich habe das Gefühl, wir werden beobachtet.“, flüsterte Mellow. „Vielleicht sollten wir es besser lassen. Zu gefährlich.“

Doch Minja wischte seine Bedenken zur Seite.

„Wie kommst du darauf? Es ist mitten in der Nacht und das Dorf schläft. Mach dir keine unnötigen Sorgen!“

Mellow wurde das Gefühl trotzdem nicht los. Hastig rollte er die mit Schwarzpulver gefüllte Lunte von der Trommel, versuchte so viel Abstand wie nur möglich zwischen sich und dem explosiven Fluggerät zu bekommen. „Ratsch, Ratsch.“ Das Feuerzeug ratschte und Mellow zündete mit zittriger Hand die Zündschnur an. Gebannt verfolgten sie die glühende Spur, die zischend abbrannte, und ihren Weg zielstrebig zu der Rakete fand. Das Vorkammergas entzündete sich blitzartig und feuerte mit einem ohrenbetäubenden Lärm den entweichenden Treibstoff an. Die Schubkraft beschleunigte die Rakete, sie hob vom Boden ab und begab sich auf die Reise zu den Sternen. Sie stieg und stieg. Höher und höher. Mellow wähnte sich im siebten Himmel, ballte seine Fäuste vor Siegesfreude. Eine tonnenschwere Last fiel ihm von den Schultern. Endlich war es geschafft.

„Juhu, es klappt! Schau Minja, es klappt.“, rief er jauchzend aus, tanzte ausgelassen um sie herum.

„Buuuumm.“ Ein lauter Knall zerriss den atemberaubenden Moment. Die Rakete explodierte vor ihren Augen und ein riesiger Feuerball erhellte den dunklen Himmel. Schlagartig flüchteten sie vor den herab prasselnden Teilen, die rund um den Spielplatz einschlugen und verglühten. Sie sahen das Ergebnis ihrer Missetat und versteckten sich, wie zwei angeschossene Karnickel, in ihrem geheimen Quartier. Niedergeschlagen ließen Mellow und Minja abermals ihre Schultern hängen. Abermals scheiterte der Versuch.

„Arrggh, nein, verdammter Mist. Das ist doch wirklich wie verhext.“, polterte Mellow enttäuscht los und knallte das Feuerzeug wütend gegen den Boden. „Was ist dieses Mal schiefgelaufen? Nix klappt. Aber auch gar nix. Verdammt, verdammt, verdammt.“

Minja schwieg, setzte sich bedrückt in den Ohrensessel.

Als er zu Hause war, fiel es ihm schwer einzuschlafen, so entmutigt war er mittlerweile. Jedoch, in dieser Nacht fielen die Sternschnuppen reichlich vom Himmel, und er verstand es insgeheim als Botschaft, auf keinen Fall aufzugeben.

Also tüftelte er auf ein Neues los, Tag um Tag, doch es stellte sich keine brauchbare Idee ein. Der dritte Brief war jedenfalls schnell geschrieben, das war schließlich das geringste Problem für ihn.

„Mellow, komm mit! Lass uns in die Stadt gehen, bevor du verzweifelst.“, forderte Minja ihn auf und grinste über beide Backen. „Wir sind viel zu jung um Trübsal zu blasen. Vielleicht kommst du dann auf andere Gedanken.“

Mit viel Mühe und Überredungskunst schaffte es Minja ihren betrübten Freund umzustimmen. Die Fahrt mit dem Bus nach Fow Fonk dauerte eine knappe Stunde, doch kaum waren sie angekommen, drängte es Mellow in das städtische Zoogeschäft, da es bei weitem größer war, als das in ihrem überschaubaren Dorf. Der Besuch bei den aufgeweckten Tieren hellte seine miese Laune schlagartig auf. Er streichelte die Hasen und die Hamster, bewunderte die exotischen Zierfische und verweilte bei den trägen Amphibien in ihren warmen Terrarien. Aber in der Abteilung der Vögel, da gab es für ihn kein Halten mehr. Mellow hegte von jeher eine tiefsitzende Leidenschaft für jegliche Gattung der gefiederten Tierchen. Hier gab es Arten, die kannte er nur von den bildlichen Zeichnungen aus dem Schulbuch. Er studierte begierig die knappen Beschreibungen auf den Tafeln, die vor den hohen Käfigen aufgestellt waren. Aus jeder Ecke zwitscherte es. Mellow steckte seinen Finger furchtlos durch die Gitterstäbe, streichelte die fedrigen Köpfe. Jedem anderen hätten sie vermutlich mit ihren harten Schnäbeln nervös in die Finger gehackt. Vor allem ein tschiepender Piepmatz tat es ihm an, aufgrund seiner himmelsgleichen Farbigkeit, die ihm das Aussehen eines fliegenden, strahlendblauen Saphirs verlieh. Er las die Beschreibung des faszinierenden Vogels genau durch. Mehr noch, Mellow verspürte eine innige Zuneigung zum dem putzigen Vögelchen.

„Schau mal Minja! Der blaue da. Das ist ein Eisvogel. Die Bezeichnung passt zu ihm.“, stellte Mellow begeistert fest.

Minja stellte sich an den Käfig und stimmte zu. „Ja, wunderschön.“

Mehrere Stunden waren mittlerweile vergangen. Sie beschlossen sich ein leckeres Eis zu besorgen.

„Minja, bleib stehen! Guck mal! Das glaubst du nicht.“

Auf dem Weg zur Eisdiele entdeckte Mellow ein weitflächiges Werbeplakat, das sofort seine gesamte Aufmerksamkeit auf sich zog. Sorgfältig las er den Text. Da stand es in großen Buchstaben.

101 BALLON“

Abgebildet war eine ganze Flotte bunter Heißluftballons.

„Sonntag in ihrer Stadt. Ein einmaliges Spektakel. 101 Ballons streben der grenzenlosen Freiheit entgegen. Bewundern sie den Himmel über ihren Köpfen.“, stand einladend auf dem Plakat.

In Mellow begann es zu brodeln. Nachdem sie ihr leckeres Eis verputzt hatten, beschlossen sie mit dem Bus zurückzufahren.

Am nächsten Tag traf Minja erst am späten Nachmittag im Quartier Wolke 7 ein. Sie hörte ein aufgewecktes Tschiepen, das von unten aus dem Kellerraum zu ihr hochschallte. Neugierig folgte sie den Lauten, blickte geschwind um die Ecke, und sah Mellow, in seiner Hand befand sich der eisblaue Saphirvogel, der ihm in der Stadt am Finger geknappert hatte. Mellow sprach ganz ruhig mit ihm. Der Vogel, so schien es, hörte aufmerksam zu, ganz so als ob er ihn verstand.

„Mellow und sein neuer Freund.“, stellte Minja schnippisch fest, näherte sich, um den Vogel in Augenschein zu nehmen. Herrliches Kobaltblau und Türkisfarben strahlten aus seinem Gefieder und ein leuchtend blauer Streifen zierte seinen Rücken. Selbst sein spitz zulaufender Schnabel war mit einem wundervollen Blau ausgestattet.

„Ja, Minja! Der kleine Freund hier, wird nun mein Bote sein. Ich habe ihn BigBig getauft. Für ihn habe ich mein gesamtes Taschengeld ausgegeben. Aber er ist jede Münze wert. Mit meinem Teleskop werde ich wohl noch warten müssen.“

Mellow streichelte BigBig übers Gefieder.

„Ich werde mit seiner Hilfe den Brief in die Wolken befördern. Und ich weiß auch schon genau wann. Dieses Mal wird es sicher klappen.“

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9783742758354
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