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Rudolf Borchardt

Villa und andere Prosa

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Villa

Veltheim

Eranos-Brief

Stefan Georges "Siebenter Ring"

Impressum neobooks

Villa

Das Italien unserer Ahnen ist, wie man weiß, seit die Eisenbahnen es für den Verkehr verschlossen haben, eines der unbekanntesten Länder Europas geworden. Nirgends kann es selbst für den gemächlicheren, willigeren und durchschnittlich unterrichteten Reisenden schwerer, langwieriger und kostspieliger sein als hier, sich von der Fremde und ihren Bewohnern angemessene Vorstellungen zu bilden, und nirgends findet er bei dem Versuche, sein Urteil zu emanzipieren, so viele und so abgeschmackte Convenus in seinem Wege. Dafür genügt es, an das erste Beste zu erinnern. Das Convenu von italienischer Landschaft entspricht, wie jeder wirkliche Kenner des Landes uns ohne weiteres bestätigen wird, als Stil den wirklichen Formen- und Farbenmöglichkeiten des Gegenstandes, seiner Struktur und Sphäre so wenig, daß man, einige Böcklinsche Fingerzeige abgerechnet, Italien nicht anders als ein malerisch unentdecktes Land nennen kann, zum mindesten neben dem deutschen Mittelgebirge, Schottland, Holland, Schweden, der Normandie. Der citramontane Aberglaube, der alle Künstlerqualitäten von Phantasie und Leidenschaft, genialem und brausendem Blut, Leichtsinn und Idealität auf den Ehrenscheitel des Italieners häuft, kann kaum irgendwo grimmigerem Hohne begegnen als bei den so mißkannten selber, den zähen und rechnerischen, kalten, überlegenen und klaren Kindern einer seit undenklicher Zeit festgewordenen Rasse, so fein von Kopf, wie deutlich, ja grob von Seele, im ausgeträumten Innern schwunglos und streng bei der Sache, so schönen Schein des Schwunges eine elastische Sprache ihnen leihen mag — diesem greisen und ungläubigen Volke von Bauern und Gerichtsleuten, Bürgern im historischen Sinne des Wortes, Händlern und Unterhändlern, Vermittlern und Bankiers, das nur halb aus der Lähmung von Armut und Unfreiheit hat heraustreten dürfen, um sich auch schon mit den immanenten Eigenschaften des Lateiners wieder zu bezeugen. Aber wie mit der Mißbeurteilung im günstigen, so steht es mit der im ungünstigen Sinne, jener häßlichen und eingewurzelten Verkennung, die kulturell wie politisch die Beziehungen zwischen den beiden Nationen beherrscht und leider schädigt. Der Deutsche hört es sich oft sagen, aber er hört es ohne Glauben, daß Italien sich größeren Teiles einer besseren Landessicherheit erfreut als etwa der Stadtwald mancher deutschen Mittelstadt, vom Distrikte der großen und Fabrikstädte ganz zu schweigen; daß das Räuberwesen aber den Fremden überhaupt ignoriert, da es bekanntlich eine manchen italienischen Landschaften liebgewordene Institution zur Regelung komplizierter Privatrechnungen ist, wie Brautraub als zeremonielle Eheform auf Kulturstufen, wie sie Kalabrien etwa noch festhält. Ebenso ist es gang und gäbe, die Begriffe des Italienischen und der Unsauberkeit fast synonym zu verwenden, als ob nicht die Unempfindlichkeit gegen Schmutz aller Art, die man im Osten des Reiches so gelassen hinnimmt, in den wohlhabenderen Landschaften Italiens geradezu mit Grauen würde angesehen werden, als ob in Toskana die Zustände auch nur denkbar wären, die in dieser Hinsicht in Oberbayern herrschen. Nimmt man hiergegen die reifen, gerechten, und dabei nicht übermilden, immer aber ins Ganze gedachten Beurteilungen, die im achtzehnten Jahrhundert und darüber hinaus, so lange nämlich, als eine italienische Reise Italien noch kennen lehrte, diesseits des Gebirges genau so die Regel waren, wie heutigen Tages Mißurteil und Verkennung; verfolgt man, wie dem langsam rückenden Goethe mit jeder Tagereise der Blick für das Eigene und Neue dieses Landes- und Volkswesens und das stille Gefühl aufgeht, es möchte in ihm selber Altes und Eigenes ergänzen, bis wir in die „großen, großen Augen“ sehen, wo Rom und Er einander begegnen: so mischt sich wohl oder übel eine kleine Verachtung in das Mitleid mit dem heutigen Reisenden, den eine Verschwörung von Eisenhahnverwaltungen, schweizerischen und deutschen Hoteliers, Fremdenindustrien, Fremdenstädten, Fremdenführern, Baedeker an der Spitze, von jeder Berührung mit den Realitäten abschließt, den ein Billett von meist sehr beschränkter Zeitdauer zur Rückkehr zwingt, ehe ihm an der Zuverlässigkeit seines Eindrucks nur Zweifel kommen können, und der statt der tiefen Goethischen Wandlung im Geist und Busen nichts heimbringen kann, als Galerieerinnerungen, Langeweile und eine Indigestion.

Inzwischen, immer nur in Steinwurfs Weite vom Bahngleis des halb wider Willen Entführten, unzugänglich wie die gläsernen Häuser eines Traumes, steht hinter einer zauberhaft durchsichtigen Mauer das wirkliche Italien, das ein Bann ihm verschließt. Ja, von seinem Vorhandensein ahnt keiner der Neueren, Gelehrten und Ungelehrten das mindeste, die in Deutschland das Thema der italienischen Reise fortführen, und von den französischen gar wüßte ich keinen, der nicht der bloßen Zumutung von Hintergründen jenseits des Vordersten mit überlegener Heiterkeit begegnen würde. Taines vom deutschen Wohlwollen überschätztes Buch war bei aller Begrenztheit seiner Einstellung auf Kunst und geschichtliche Kuriosität, bei aller bloß rednerischen Schärfe und Flachheit seiner immer leicht zu verschiebenden Antithese doch noch eine anständig vorbereitete Arbeit von Haltung und Absichten. Es ist heute in seinem Lande und leider auch seinem ökumenischen Erfolge durch jenes stillose und ignorante Gemisch von Gemeinplätzen, billigen Lesefrüchten und subalterner Witzelei abgelöst worden, das ein literarischer Coxcomb unter dem dreisten Titel „Sensations d’Italie“ hat ausgehen lassen, als hätten seine Essays nicht schon genug bewiesen, wohin es seit Montaigne mit der französischen Geistigkeit gekommen ist, und es müßte noch das zweite große Thema des unsterblichen Beobachters sich dazu herablassen, die Sterblichkeit M. Paul Bourgets zu erhärten. Die einzigen, die, obwohl auch dort nicht Niveau gehalten worden ist, noch dann und wann den Mut und die Kraft der eignen Augen bei wirklichem Sinn für das Interessante haben, die das Land nicht wie der deutsche Durchschnitt in der Absicht bereisen, das landläufige Convenu in sich unter allen Umständen gegen den etwaigen Eindruck durchzusetzen, statt es vom eigenen Eindruck korrigieren zu lassen, sind die Engländer und Amerikaner. Selbst die naiveren und gröblichen unter ihren Revueartikeln, fast alle ihre höchst lebhaften und freien Reisebücher, wie das Buch des Livorneser Konsuls Carmichael über lombardisches und toskanisches Landleben, bieten eine Fülle des gegenständlich Neuen und Merkwürdigen, neben der die gesamte deutsche Brief- und Kunststättenliteratur in den Abgrund langweiligster Unselbständigkeit und Unbeträchtlichkeit versinkt. Ihr Geheimnis ist, daß sie einer im großen Stile weltreisenden Rasse und einem Volke angehören, in dem kein Vorzug den Mangel der Unabhängigkeit aufwiegen würde, daß sie so wenig als bekannt voraussetzen, als sie meist selber mitbringen, daß sie übrigens von Italien nicht als dem verlorenen Paradiese ihrer Seele, sondern so frisch und kühl wie von Haiti und Uganda reden, auch kaum die Menschheit bessern und bekehren wollen, sondern ohne parti pris und Respektlosigkeit einfach anmerken, was ihnen aufgefallen ist. Wenn sie dabei ihre Grenze oft sehr früh in der mangelnden Fähigkeit finden, das Auge geistig zu ergänzen, so ersetzen sie die Lücken ihrer Vorbereitung durch Tüchtigkeit des Individuums, ihre Unsicherheit in der Stellung zu einem Kulturganzen durch ihre völlige Sicherheit und Freiheit in allem Lebendigen. Jedenfalls aber ist ihre Art, sich mit Italien zu verhalten, die einzig richtige, und hat mit demselben Maße an Nutzen, Teilnahme und Dank zu rechnen wie der Bericht des Weitgereisten.

Es ist nicht der Äquator, der den Entdecker macht, sondern eine Verfasung der Seele, der Widerwille, nur das, was die andern sehen, und gar nur so zu sehen wie sie. Ich könnte von Mann und Frau in Italien sprechen, von Herr und Knecht, von Schuld und Strafe, den Heiligen und den Mördern, vom Staate und dem Einzelnen, vom Alter und der Jugend, könnte ein anderes Mal so von den Städten mitteilen, wie heute vom Lande, vielmehr von Palazzo, Piazza und Land, wie heute von Villa und Stadt. Denn das wirkliche Italien hat nur den Kleiderschnitt und andere Fassaden mit dem nordeuropäischen Zustande von heute gemeinsam; es ist so altertümlich, daß man es in jedem seiner Durchschnitte polar betrachten muß. Die Übergänge von Pol zu Pol, die bei uns durch immer fortschreitende Zwitterung die Gegensätze unter sich vergleichen – und im Grunde das Bild der Welt vernichtet haben, beginnen sich hier erst ganz schattenhaft zu verkündigen; aber hier so wenig als in England werden sie den Konservatismus der Rasse je zu radikaleren Zugeständnissen vermögen können.

Auch die Villa, die Landhäuser, deren schimmernde Fronten und Würfel überall, wo das Land bewohnt ist, den Plan und die Hügel übersäen, kennt der heutige Reisende nur aus wirrer Ferne, als zerrissenes Massenbild, durch ein klirrendes Eisenbahnfenster im Dahinstampfen halb gesehen, rasch verloren. Kaum daß dem Besucher von Florenz das so geschmückte Gebirgsamphitheater, das von diesseits und jenseits des Stromes her besiedelt und höchst künstlich bebaut zur flachen Stadt absinkt, mit den Zypressen von San Miniato verbunden im Gedächtnis bleibt, oder mit den veilchenen und elfenbeinenen Totenfarben des abendlichen Bergfirsts von Fiesole, in dessen Falten die Hunderte von lichten Bauten fast wieder zur Stadt zusammendringen. Bei reichlicher Muße besucht der eine oder andere wohl, dem rotgebundenen Vormund gehorsam, eine der berühmteren Mediceervillen der nächsten Nähe, die in Poggio a Caiano oder die Careggiana, wenn auch nur wie ein Museum oder statt eines Museums, leicht enttäuscht, wenn die Fresken nur von Pontormo sind und die Fontäne nur vom Tacca oder Tribolo. Die Gärten findet man ohnehin fast verwildert und unwirtlich, es sei denn, der Park wäre, wie in Boboli, die Hauptsache und das Haus so gut wie unzugänglich. Unzugänglich aber, oder so schwer erreichbar, daß sie für den Touristen, diesen armselig modernen Typus des Italienreisenden, nicht mehr zählen, sind überhaupt mehr oder minder die schönsten und berühmtesten Villen des Florentinischen Contado. Wer hat denn Artimino gesehn, den Sitz der Passerini, stundenweit bergauf von dem leeren Signa, diesen steingewordenen Traum von königlicher Bergeinsamkeit mit den Wipfeln gefeiter Gärten rings um die lautlose Verwünschung? Wer kennt die Villa von Marlia mit ihrer Schwermut von wilden Blüten und bösem, steilem Lorbeer, das irre Durcheinander der bröckelnden Terrassen und schweren Wasserfälle, die sich aus den Schalen und Füllhörnern geborstener Tritonen unersättlich zu Tode stürzen?

Kommt aber ein Wandernder wirklich gegen Torre del Gallo oder Montuliveto steigend in die Nähe der einzelnen alten Landhäuser — sie beginnen aus den Händen ihrer florentinischen Bauherrn und der Geschlechter nun mehr und mehr in den Besitz reicher und reichgewordener Engländer und Amerikaner oft sehr undeutlicher Art überzugehen —, so wird ihn das Ganze eher befremden und langweilen als entzücken, er müßte denn zu den seltensten gehören, die ihren engsten heimischen Gewöhnungen entwachsen sind. Was er nach dem ermüdenden Wege durch weißen Staub zwischen überhohen Gartenmauern endlich gewahrt, ist eine Einfachheit und Kahlheit, deren sich jede seiner deutschen und englischen Villen schämen würde. Weder die Türmchen, Giebel, Erker und Zinnen, durch die der Mietshaus-Einwohner zeigt, welchen Sinn fürs Höhere er hat, wenn er einmal darf, wie er will, weder Prunkfassaden aus echtem oder unechtem Stein, noch die sinnreichen Sprüche auf Spruchbändern über den Türen, die in Altfraktur zum Eintritt in Quisisana oder Villa Amalie einladen wie in eine verfratzte Schenke; weder Koketterie noch Protzentum, weder die Altertümelei des Kastells mit Wintergarten und Zentralheizung, noch die Neutümelei des wildgewordenen Einfamilienhauses mit seiner Verbindung

von Banalität und Prätention, seinen patzigen Schmuckformen in elendestem Material, seiner schreierischen Unechtheit in jedem Zuge. Dazu kommt, daß die Landhäuser zwar mehr oder minder nahe beieinander stehn, das heißt, mit Grundstücken und Gebäuden sich über die ganze nicht städtisch bebaute Landesbreite erstrecken; daß aber nirgends der fremde Beobachter dem Bilde, ja nur dem ihm so lieb gewordenen Begriffe der Villenkolonie begegnet, den die Parzellenspekulation seiner Heimat völlig in sein Weltbild hinübergeleitet hat. Gebilden wie Gauting oder Wannsee, Meudon oder Twickenham jenseits der Alpen zu begegnen muß er nicht hoffen oder, je nachdem, nicht befürchten. Das Land ist in der Kultur noch weit zurück und beginnt die Spekulation mit Grundstücken erst dort kennen zu lernen, wo, wie in den wenigen Großstädten, die Möglichkeit, Schönheit zu vernichten und Häßlichkeit zu schaffen, durch die Koexistenz von Roheit, Kapital und Camorra gegeben ist. Der Begriff Camorra und seine Verbindung mit Spekulation solcher Art ist ein so fester und allgemeiner, daß man ihn diesseits der Alpen für etwas spezifisch Italienisches zu erklären pflegt, um die Aufmerksamkeit von sich selber abzulenken. Dem widersprechen leider sehr alte deutsche Bezeichnungen derselben Sache, und wem es um die treffendste Übersetzung zu tun ist, der frage in Köln nach Klüngel.

Wer aber mit diesem Begriff von der Villa oder der Villenkolonie durch das Tor blickt, dem wird das italienische Landhaus auch nichts von seinem monumentalen Ernst offenbaren, nichts von der durch- und zu Ende gebildeten Vornehmheit der unscheinbaren Form, an der alles partizipiert, was in diesem Lande ungebrochener Überlieferungen bis an die Wende des vorigen Jahrhunderts und darüber hinaus steinern hingestellt worden ist, um als Form zu bleiben und von Form zu zeugen. Ihm wird kaum das Schweigsame und Zurückgehaltene daran bewußt werden, die architektonische Geste des Zufluchtsortes, der das Auge eher abzuweisen als anziehen zu wollen scheint, mit Fenstern, die nichts verraten, geheimnisvoll mienenlos, wie die Stirnwand eines Klosters. Sondern er wird überhaupt kaum etwas anderes sehen, als große, augenscheinlich recht geräumige und bequeme Wohnhäuser, im groben Rasen stehend und nicht zum besten gehalten, mit Ökonomiegebäuden und Nutzanbauten, recht gelb, Stockflecken auf der Tünche, die Steinfassungen verwitternd, der Bewurf rissig, Moos auf den Wegen, und nirgends Teppichbeete und überhaupt Farbe, schmucklos nach Art deutscher Gutshöfe. Ist das die Villa?

Es ist sie. Genau das ist die italienische Villa. Zwar, es mag Ausnahmen geben. Es mag Vorkommen, daß vor halbmodernen oder ganz geschichtslosen Neustädten in der Lombardei, oder bei Livorno und den neuen Industriezentren der Maremmen ein Parvenu auf eine gekaufte Landparzelle oder in die Nähe seines für die Jagd gepachteten Stücks Macchia einen albernen Kasten oder eine Burgkulisse setzt, gleichviel welche architektonische Grimasse. Zu rasch erworbenen Wohlstand ohne Überlieferung gibt es in Italien schon mehr als genug, und er manifestiert sich im Süden kaum viel bescheidener und kaum viel geschmackvoller als im Norden. Es mag auch Vorkommen, daß als Neustraße irgendwo vor einer neuen Stadtzollbarre sich ein Borgo aus freundlichen und anspruchslosen Häuslein bildet, wie emeritierte Beamte und Offiziere auf Halbsold, Dreitausendfranken-Rentner und ähnliche geringe Bauherrn sie sich für den Lebensabend errichten; aber in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle und im eigentlicheren Wortsinne ist die italienische Villa kein Zufallshaus auf einer Handbreit Land, die ein Lattenstaket oder ein Gitterchen gegen die nächste Parzelle mit dem Zufallshause des Nachbarn abschließt, sondern allerdings ein Gutshof, ein geschichtlich gewordener, an Ort und Stelle vollendeter Übergang von dem Kastell eines Dynasten zu dem mächtigen Hofhause seiner Enkel, oder von Villa und Praedium eines römischen Landbesitzers über Tausende von Stufen fort zum Dorf und den Poderi um die Villa eines italienischen Landbesitzers. Nur wer dies immer gegenwärtig hat, kann die Villa als eine Institution des italienischen Gesamtdaseins begreifen; was sie allerdings nicht weniger ist als Dom und Casino, Palast und Kaffeehaus, Friedhof und Theater.

Die Villa ist der Teil eines Landbesitzes, nämlich sein unwesentlichster Teil. Sie kann daher nicht das unpraktische und unreale Gebäude sein, das modische Neigungen zum sommerlichen Ortswechsel, verbunden mit modischer Abneigung gegen das Reisen en famille, sich an einer Stelle errichtet, wo kein Fußbreit Land über den Garten hinaus dem Bauherrn gehört, wo kein Interesse ihn bindet, er keines sich zu verpflichten wüßte, und der Begriff der Heimat und des Erbes seinen Kindern nur an Zimmern und allenfalls einer Gartenlaube haften wird. Sondern sie ist als altlateinische Lebensform durch und durch real und praktisch, etwas mit Geld und Macht Zusammenhängendes, aus Geld und Macht Entstandenes, zäh festzuhalten, um Macht und Geld zu steigern, zu bezeugen, zu verzinsen, zu vererben. Das scheint landschwärmender Empfindsamkeit ohne Zweifel weitabzustehen von den religiösen, idealen und künstlerischen Antrieben, die sie für das höhere Verhältnis zur Natur fordert und in seinem architektonischen Ausdrucke mitausgedrückt zu finden wünscht. Bleibt nur zu erklären, warum die Villa gerade ästhetisch mit ihrer Landschaft so eins ist, als hätten nur ästhetische Motive ihr dies ergreifende Verhältnis zu Hügel und Nachbarhügel, zu den Hausnestern der Dörfler, Baumgruppen und Einzelwipfeln, Gelände, Weingärten und Ölberg zuweisen können, als verdanke sie dies unbegreiflich geschlossene und unzweifelhaft Ewige der Wirkung aus der Ferne gerade dem Künstlerauge, das, wie bei uns in einem denkbaren Falle, ihr diesen Platz und diese Verhältnisse für die Fernwirkung bestimmt hätte. Aber wenn selbst eine solche Absicht innerhalb der älteren italienischen Denkungsweise möglich gewesen wäre – keine solche Menschenabsicht und keine Menschenhand hätte diese Notwendigkeit des Schönen zu schaffen vermocht: Die Villa ist geschichtlich mit ihrer Landschaft eins und darum, nur darum, auch ästhetisch. Sie hat mit ihr wie Bergwald mit Gebirge eine menschenalterlange Kontinuität der Lose organisch geteilt, und hat sie beherrscht und gestaltet, statt nach ihr gestaltet und gemodelt worden zu sein. Zwar gibt es, seit der Hochrenaissance, Fälle – und Artimino ist ein solcher – in denen ein bel sito, ein bel riguardo oder bello sguardo, ein bel monte, ein bel vedere oder eine bella vista, die dann im Namen fortleben, diesen oder jenen weltmüden großen Herrn, diesen oder jenen Fürstbischof oder Fürsthändler zum Bau in der Wildnis verlockt haben, wie fünfhundert Jahre zuvor jähere Stimmungsumbrüche sich ins Religiöse wandten, und dieselbe Wildnis – Vallombrosa ist ein Beispiel dafür – mit den Klostergründungen ritterlicher Barfüßer segneten, wobei dort das Illusionsbild theokritischer Weltflucht so mitspielt wie hier das der weltflüchtigen Thebais. Aber jene Fälle unvermittelter Gründungen haben vom Lustschloß schließlich doch immer zur Villa zurückgeführt und sind zudem Ausnahmen. Die Regel hat vom Typus auszugehen und stellt aus der Geschichte des Landkomplexes, zu dem die Villa als Zentrum gehört, eine Kontinuität von Jahrtausenden fest, die manchmal die einzige größere Lücke nur mit der Geschichte des Gesamtitalien teilt: Sie liegt dann zwischen der römischen Spätzeit und dem Jahrhundert, in dem die poderi zum ersten Male unter langobardischen Königs- oder Gastalden-Daten bei testierenden Notaren wieder auftauchen: ein Caius, ein Septimius, ein Licinius, ein Lollius, ein Pancellus, Schattennamen verloschener Magnaten, ihr praedium oder ihr ager mit der villa leben in Dorfnamen fort, einem Caiano und Settignano, Lucignano und Lugliano, einem Vicus Pancellorum, wie der lateinisch gebliebene, durch wunderliche lokale Etymologien nicht zu verschleiernde Name des lucchesischen Bergdorfes noch heute lautet. Aber es ist nicht die Villa, die der Name lebendig hält, und Ausnahmen davon, wie das Casciana, wer weiß was für eines Cassius, über dem hohen Limatale, sind singulär; sondern was sich hält, ist das Prädium der Vergessenen, ihr Landkomplex, oder horazischer gesprochen, ihr modus agri, altitalienisch und heute noch poderi genannt, wörtlich genau ihr „Vermögen“. Von jener Zeit an, in der diese poderi, Feldstücke auf Grund urältester Kataster genau umschrieben und mit festen haftenden Flurnamen bezeichnet, urkundlich wieder erscheinen, läßt sich in manchen Gegenden, so im Volterranischen, ihre Geschichte und oft die des dazugehörigen Wohnhauses bis auf den heutigen Tag verfolgen, so lückenlos, daß es unbegreiflich erscheint, warum die einheimischen und fremden historischen Institute nicht endlich die erste Grundlage für die innere Geschichte Toskanas im Mittelalter, ein alttoskanisches Flurbuch herstellen, statt, wie vorkommen soll, sich beim Abschreiben längst abgeschriebener Urkunden, dem Neuverzetteln längst verzettelter Regesten zu versäumen. Oder soll auch hier, wie bei Davidsohns Geschichte von Florenz, wieder die Initiative vom Einzelnen her kommen, und das neueste Prinzip des wissenschaftlichen Arbeitshauses mit verteilten Rationen und Verbot der Kompetenz-Überschreitung durch Gedanken, „wo alles sich zum Ganzen webt“, nach so viel Berliner Reklame kleinlaut werden, sobald das Tretrad abgestellt und die minder mechanische Maschinerie eingesetzt werden muß?

Die Möglichkeiten der so hergestellten Kontinuität sind nun so vielfältig wie die geschichtlichen, geographischen und kulturellen Nuancen, die eine Landschaft einschließt, und lassen sich nur für die Phantasie andeuten. Es stehe etwa bei Volterra in den Trümmern des spätrömischen Landhauses, dem voraufgegangen sei was wolle, eine Villa des Persius vielleicht, mitten in der gedächtnislosen Vigna nur noch die Hütte des Weinberghüters, des saltuarius, die, sobald einem der nachfolgenden Besitzer die Mittel reichlicher fließen, zur neuen Villa wird, daß sie jener Villa Palmieri glich, in der pestflüchtige Schöne aus der Stadt und ihre Galans sich die dreisten und grausigen Novellen des wiedergeborenen Zeitalters erzählen, läßt zwischen den barocken Kartuschen des heutigen Baus – er mag den Incontri gehören oder einem Inghirami – nur noch ein eingemauertes Frätzlein ahnen oder eine übergrazile giotteske Arkade, längst geschlossen in der Hauswand. Unveränderlich bleibt doch um all die Veränderung des Stürzens und Erstehens der Zusammenhang der Flurstücke untereinander mit dem Hofbau, der curtis oder corte, die Abhängigkeit der Villa von den zum Gute geschlossenen poderi, mag immerhin im Laufe der Jahrhunderte Kauf oder Verkauf eine Ecke ausrunden oder abschneiden, Gewalt den Zusammenhang vorübergehend zerreißen. Und das gilt nicht minder für die Fälle, in denen zwischen das altlateinische und das neulateinische Landhaus sich der eigenwillige germanische Wehrbau zu drängen scheint; so wenn der einsam hausende Franke oder Langobarde, nicht immer auf altem Baugrunde, sondern überm Tal des Serchio so frei wie sonst dem der Mosel oder Saale, hoch über dem seingewordenen Lehen, das der Unfreie oder Halbfreie bebaut, mit den Formen des römischen Castrum die Burg schafft, der er durch die eigenen Zugaben der Warten (guardinghi), der Bollwehren (baluardi) und durch die Verbindung mit Fels und Ödland seinen eigenen, landfremden und leidenschaftlichen Charakter, das Ragende und Starrende, den Stolz, die Unbeugsamkeit, die Furchtbarkeit, aber auch etwas von der adligen Selbstgenüge seines Fürsichseins und Insichgehens mitteilt; so wenn in einer Contrada die langobardische Flurrepartition, Völkerwanderungen römisch besiegelnd und in Anlehnung an die alten notariellen Kataster, eine Hörigengemeinschaft (homines) und einen nordischen Herrn (dominus, senior, ser, signor) hinterlassen hat, von denen bald dieser Teil jenen, bald jener diesen zum Turm- oder Kastellbau verhält, um den neuen comune gegen so viel Feinde, als er Nachbarn hat, zu sichern. Baut man zu hoch – und der toskanische Langobarde mauert in die nackten Schroffen von Lucchio wie der provenzalische Burgunde in die von Autafort – so zerreißt der Zusammenhang mit dem Lande, das den Burgherrn ernährt, das podere emanzipiert sich und substituiert sich aus einem seiner Wirtschaftsgebäude ein neues Zentrum zur Villa, während der Herrensitz, mehr und mehr auf den Wehrbau beschränkt, anfangs als gefährlicher und gebrochener Twing, dann als umstrittene Festung in die Geschichte der Landschaft übergeht, die schließlich nur Trümmer seines Gerippes, eine verhauene Stätte, gewaltig auf Mälern der Berge hinterläßt. Immer schon hoch, aber doch dem angebauten Boden näher, vermag die Herrschaftsveste ihrer Isolierung noch vorzubeugen; sie zieht das höchste ihrer poderi am letzten Zipfel zu sich hinauf, legt den Wald nieder, der am Wege ist, terrassiert den Hang und führt den Weinstock bis an die Grenze, an der er nur noch ein saures hellrosa Tränklein für den neugesiedelten Bergbauern der jungen Flurstücke gibt, durchschlingt ihn oben schon mit Oliven und sieht bald darüber hinaus silbernen Ölwald auf verrenkten Stämmen über den weitausholenden Wurzeln die Halde erklimmen, über der sich ihre eigene Miene in Jahrhunderten langsam alternd besänftigt. Man sieht es auf Darstellungen der Zeit, etwa auf den Fresken der Lorenzetti, vom „stato pacifico“ im Seneser Ratspalast, wie sich das Kastell des Magnaten allmählich und organisch zur befestigten Farm und zur wehrlosen milden Villa entwickelt, von der aus Enkel, Erben und Rechtsnachfolger der Gewaltigen von einst Wirtschaft und Herrschaft weiterführen. Nur in diesem Zusammenhange aber mit Wirtschaft und Herrschaft hat die Villa, so friedlich sie beides nach außen stilisieren mag, bis auf den heutigen Tag noch Sinn; erst von dieser unverrückbaren Grundlage, aus diesem realen Zusammenhange mit dem realen Leben entwickelt nun die italienische und lateinische Seele den geistigen und sinnlichen Begriff, den der Klang des ökumenisch gewordenen Wortes für die ganze Welt aushaucht, den dem Lateiner eingeborenen Gegensatz von Land und Stadt, den seine unsterblichen Dichter auch in unser Ewiges hinübergeleitet haben.

Sich Einzelzüge dieses uralten italienischen Traumes vom Lande, den Gezeiten und guten Göttern zusammenzustellen, überläßt ein schematisierender Umriß, wie er hier gezeichnet wird, denjenigen unter seinen Betrachtern, die sie bei Horaz oder Polizian wiederzufinden wissen; wenn man sich auch freilich nicht von dem Ungefähr zweier Zeugen über eine Rasse wird belehren lassen wollen, die keinen unter ihren außerordentlichen Vertretern ohne den mitgeborenen Auftrag entlassen hat, sie auch in diesem tiefsten Instinkte, dem Gegensatz von Fluch und Eden, Stadt und Land, darzustellen, keinen ohne die Kraft, einmal wenigstens im Leben den Traum vom verlorenen Glücke wiederzuträumen, aus diesem Traum heraus die zarteste Sphäre seines Innern neu geboren zu empfangen. Der Erde ist er mit starken und einfachen Rührungen am nächsten vielleicht bei Horaz, wo mitten in bukolischer Affektation ein festäugiger Künstler und ein durch Phrasen nicht zu genierender Geist zum ersten Male ins Greifbare greift und in das Apulien seiner Vätererde, die Sabina seines Eigen, jenen italienischen Alltag von tiefer Drolerie und halber Wehmut hineingestaltet, der seitdem der Welt gehört – am größten in der künstlerischen Entfernung von sich selber, einer Selbstdarstellung, die überall das zähe und bedächtige, rechtliche und halbpfiffige, derbe und weise Bauernkind, scharfe Sinne, nicht überfeine Instinkte, den Schalk im Nacken, den Daumen auf dem Beutel, eine fest auf der eigenen Wurzel blühende Seele mit ganz großem Kontur schreibt – der Selbstironie, die über Spruchweisheit, Volksmund und Bauernfabel sich zu jener nie genug zu bewundernden Novelle vom Großstadtphilister als Landmann wider Willen erheben kann, zwischen Schicksal und Glück, Posse und Tragödie, den Humor an die Grenzen der Menschheit vorwärtsführend. Aber wie viele Seelen flüchten daneben und danach in den gleichen Traum des Stammes! Welche Skala, vom Tone einer tiefen fast leidenden Süßigkeit bis zu dem des Glücks im reinen Ausruhn, umschließt er allein bei Tibull, wie weltweit wird er, wo er sich bei Vergil vor dem Göttertausend heiligt, das ewig sich selber spendet, ohne sich zu erschöpfen! Alle Jahrhunderte kehrt er in eine neue traumreife Seele ein und variiert eine alte, die ovidische im „Ninfale Fiesolano“ des Boccaccio, die tibullische in Polizian und der Akademie, alle und keine in den wundervollen Episteln des Ariost, den einzigen lateinischen Gedichten der nachantiken Zeit, die wirklich durch und durch Poesie sind – dann welches Labyrinth, vom irren Pastorale Tassos zu der herben und deutlichen, Begrenztes und Gestrenges anbetenden Ode Carduccis – bei tiefster Einmütigkeit, welche Wandlung von den wonnevollen Fiktionen Guarinis und Metastasios zu dem halb hellenistischen und theokriteischen, halb petrarkischen und franziskanischen Tone Pascolis, dem fast zu weichen, schuldbewußten und halbverweinten Klange der „Hora von Barga“!

Denn die Gesinnung, die bis auf den heutigen Tag in Italien Palazzo und Villa in Zwillingsschalen vollkommener gegeneinander aufhebt, als selbst in England geschehen kann – der Instinkt, der das Weltbild und das Leben des Jahres so energisch zweiteilt, ist zwar einer allerhöchsten Übersetzung ins Gefühlsmäßige fähig und dann jedem Stile fügsam, aber aus den empfindsamen und falsch empfindsamen Gründen, die wir mit romantischen Namen verkleiden, entstand er allerdings nie, noch entsteht er heute auf diesem alten Bauernboden. Italien ist für den heroischen Griechen schon das Herdenland im Abend, eine ungeheure Herde mythischer Rinder, von Göttern geweidet und gegen räuberische Halbgötter glücklich oder unglücklich verteidigt, Bauerngötter sind Terminus, Janus und Faunus, Silvanus und Feronia, Saturnus und die Wichtlein der Indigitamenta, und was ist die Urbs anders als das Runddorf auf der Kuppe, was der Senat anders als Dorfältester? Der praesul tanzt an Göttertagen dem festlichen Schwarme vorauf, der consul kommt erst hinzu, wie der demokratische Argwohn einen als besten Mann weder im Rate noch im Tanze duldet. Was sind seine Liktoren anders als die Holzfäller im Waldland, deren friedliche Waffe die einzige ist, die auch dem Blutgerichte taugt, was ihr Amtszeichen als die stehengebliebene Last des Berufs, die Holzaxt in eine Tracht frischgemachter Wellen eingebunden, um Unfälle zu verhüten? Was sind die italienischen Ideale von virtus und pudicitia, verecundia und frugi, probitas und modestia – was anders sind sie als ein Dorfkodex nüchterner Sitte, wie ferne den überschwenglichen Anforderungen an die Menschennatur, den wilden Aufopferungen an das Schicksal, die in ritterlichen Wandervölkern zu Odysseus und Tristan werden, zu Artus und Meleager, Brunhild und Achill, zu todbeständigen tätigen Überwindern wie Herakles und König Dietrich! Wen hier der Pflug des Cincinnatus nicht lehren kann, wohin die Rasse tendiert, dem zeigen es Cato und Varro vom Landbau, Feldmesserliteratur und Bauernkalender. Nun hat man sich bei uns langsam genug der Torheit entwöhnt, dem Bauern das Naturgefühl des Dichters und des gerührten Bourgeois zuzumuten, ja, es scheint die Ahnung schon allgemeiner zu werden, der an die Elemente Gebundene, Erde Besitzende und Zähmende möchte wohl mit Grund und Himmel in einer minder schwätzerischen, wortlos heiligeren Weise verknüpft sein als die noch so ehrlich ergriffene Sommerfrische. Das Naturgefühl des antiken Italikers aber und seines Enkels, das die gleich reinen, dem tiefsten Erbe des Blutes zunächst vergrabenen Quellen speisen, hat noch immer diese pedantischen und pathetischen Rekriminationen auszustehen, gegen die alle Verwahrung berufener Richter, wie Viktor Hehns, fruchtlos bleibt, und daß den Enkeln des Horaz kein Anspruch auf Empfindung der Natur zusteht, haben die deutschen Erben des Alfius bis zum Überdrusse unter sich ausgemacht.

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9783738023893
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