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Читать книгу: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 222»

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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-558-3

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Jetzt, zu Beginn des Monats März 1591, befand sich die „Isabella VIII.“ wieder in den Gewässern der nördlichen Erdhalbkugel und lief in einer warmen Tropennacht unweit des Äquators und des gewaltigen Deltas der Amazonas-Mündungen eine stille, geschützt liegende Inselbucht an.

Die Insel hieß „Ilha de Maracá“ und gehörte zu einem kleinen Archipel nahe der Ostküste der „Tierra Firme“, wie die Spanier und die Portugiesen den südlichen Teil der Neuen Welt zu nennen pflegten.

Es gab eine kleinere Insel weiter im Norden, die offenbar noch keinen Namen hatte, und vier bis fünf Meilen im Südosten der „Ilha de Maracá“ lag ein Eiland namens „Ilha Jipioca“, das allerdings nicht einmal halb so groß wie die Nordinsel war. Wieder etwas weiter südlich schließlich lag das „Cabo Norte“, das Nordkap, das in den Atlantik hinausragte.

Der Seewolf bezog alle diese Daten aus seinem umfangreichen Kartenmaterial. Er hatte am Vortag mit Dan O’Flynn zusammen Berechnungen angestellt, und dank ihres navigatorischen Geschicks war es ihnen gelungen, die Insel in der Dunkelheit zu finden, indem sie sich am Mond und an den Sternbildern orientierten.

Hier, wo der zweite nördliche Breitenkreis die „Ilha de Maracá“ in ihrer Mitte durchschnitt, wollte sich Philip Hasard Killigrew auf die Suche nach Frischfleisch und Trinkwasser begeben – nach jagbarem Wild und einer Quelle also, die seiner Meinung nach auf der Insel anzutreffen sein mußten.

Die erbarmungslose Hitze und die große Feuchtigkeit des Amazonasgebietes hatten die Vorräte an Bord der Galeone stark reduziert. Fleisch und Speckseiten waren verdorben, vom Frischgemüse und vom Obst ganz zu schweigen. Das Brot war zum größten Teil so stark angeschimmelt, daß es nicht mehr genießbar war, im Mehl krochen die Würmer, in der Fässern faulte das Süßwasser, und das Salz war zerflossen wie ein gärender Brei.

Da sich auch keine lebenden Tiere mehr an Bord befanden, die man hätte schlachten können, sah sich der Seewolf vor die dringende Notwendigkeit gestellt, größere Mengen Nachschub für die Kombüse und die Vorratslasten der „Isabella“ zu beschaffen. Das Festland wollte er jedoch nicht mehr anlaufen, um nicht zuviel Zeit zu verlieren, und so schien ihm die „Ilha de Maracá“ für seine Zwecke genau der richtige Platz zu sein.

Vor Morgengrauen wählte er die Männer aus, die ihn als Landtrupp bei der Erkundung der Insel begleiten sollten. Es waren Ben Brighton, Big Old Shane, Ed Carberry, Ferris Tucker, Blacky, Dan O’Flynn und Smoky. Old Donegal Daniel O’Flynn übernahm auf Hasards Anweisung hin für die Zeit seiner Abwesenheit das Kommando an Bord der „Isabella“.

Im Hereinbrechen des neuen Tages schickte Old O’Flynn einen argwöhnischen Blick zum Strand der Bucht hinüber. Er stand an der Backbordseite des Quarterdecks, hatte die Hände auf das Schanzkleid gelegt und schien angestrengt nachzudenken. Keiner der Männer, die in seiner Nähe waren, bezweifelte im geringsten, daß es wieder die üblichen düsteren Vorstellungen waren, die seinen Geist beschäftigten.

Shane wollte den Alten ansprechen, aber Ferris Tucker hielt ihn zurück und gab ihm durch eine Geste zu verstehen, daß es besser wäre, Old Donegal in Ruhe zu lassen. In der Tat gerieten Old O’Flynn und der graubärtige Riese schon oft genug aneinander, besonders dann, wenn es um die „Gesichter“ und die üblen Ahnungen des Alten ging.

Der Seewolf trat nun allerdings neben Old O’Flynn und sagte: „Nun rück schon heraus mit der Sprache, Donegal. Du kannst uns ruhig verraten, was uns erwartet, wenn wir die Insel betreten. Wir sind auf alles vorbereitet.“

Der Alte wandte den Kopf, und plötzlich hellten sich seine Züge auf. „Wie, du meinst, ich würde euch euren Untergang prophezeien und alle möglichen Fallen wittern? Nein, nein, diesmal täuschst du dich.“ Er lachte kurz auf. „Wenn du mich schon fragst, also, ich glaube, daß wir diesmal eine richtig schön gelegene Insel und eine nette freundliche Bucht erwischt haben.“

Hasard hob verblüfft die Augenbrauen. „Ist das dein Ernst?“

„Mein voller Ernst.“

„Und wir werden auch Wild und eine Quelle entdecken?“

„Bin ich ein Hellseher?“ fragte der Alte mit verschmitzter Miene zurück. „Bei der Vegetation, die ich von hier aus sehe, könnte das gut der Fall sein, aber es bleibt eben nur eine Vermutung.“

Big Old Shane trat einen Schritt näher und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Sag mal, willst du uns auf den Arm nehmen, Donegal?“ fragte er drohend. „Du bist doch sonst nicht so zimperlich mit deinen verdammten Voraussagen.“

Old O’Flynn musterte ihn angriffslustig. „Shane, paß auf, daß du an Land nicht hinfällst und dir die Ohren brichst. Ich sehe ein paar knorrige Wurzeln auf deinem Weg und eine giftige Schlange, die dir in den Hintern beißt, wenn du der Länge nach am Boden liegst. Genügt das?“

„Ja, mir reicht’s“, entgegnete der ehemalige Schmied von Arwenack. „Dir bringe ich einen Skorpion mit, du Witzbold, und den stecke ich dir heute abend in die Hosentasche. Mal sehen, was dann passiert.“

Höhnisch verzog Old O’Flynn seinen Mund. „Du findest ja doch keinen, du krummbeiniger Eisenbieger. Ich in meinem Alter sehe noch so gut wie ein Seeadler, aber du kannst auf eine Kabellänge Entfernung ja nicht mal einen Felsen von einer Jungfrau unterscheiden.“

Shane wollte ihm eine geharnischte Antwort geben, doch Hasard unterband den beginnenden Streit in seinem Ansatz.

„Abentern an Bord der Jolle“, befahl er. „Wir setzen jetzt über und fangen mit der Erforschung der Insel an. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“

Das Boot war bereits abgefiert worden und dümpelte an der Bordwand des Schiffes. Hasard stieg aufs Hauptdeck hinunter, kletterte über das Schanzkleid und hangelte an der Jakobsleiter nach unten.

Die sieben Männer folgten ihm. Wenig später hatte sich die Jolle von der „Isabella“ gelöst und glitt unter gleichmäßigem Riemenschlag zum Strand der Bucht hinüber.

Grau kroch das erste Licht des Tages von Osten her über die Insel und löste die milchigen Schleier auf, die sich vom Wasser der Bucht bis zu den flachen Kuppen der Hügel im Inneren der Insel emporzogen.

Hasard, der die Ruderpinne der Jolle hielt, blickte zu den Hügeln auf und fragte sich im stillen, ob sich Old O’Flynn in seiner ausgesprochen optimistischen Äußerung über das, was sie auf der „Ilha de Maracá“ erwartete, diesmal nicht ein wenig geirrt hatte.

Keiner konnte auch nur ahnen, was sich wirklich ereignen würde.

Die Ankerbucht der „Isabella“ befand sich am Ostufer der Insel, und von dort aus war es unmöglich, alles zu überblicken. So erhoben sich zwischen dem Ostufer und den sandigen kleinen Buchten der Südseite die Hügel, die auch Bill, dem Ausguck im Großmars, die Sicht bis dorthin versperrten.

Folglich vermochten weder die an Bord der „Isabella“ zurückgebliebenen Männer noch Hasard und seine sieben Begleiter zu verfolgen, was sich um diese Zeit an einer der halbkreisförmigen, mit weißem Sand ausgefüllten Buchten im Süden tat.

Als der Seewolf mit seinem kleinen Trupp gerade landete und das Boot verließ, stiegen fünf Mädchen von einem der mit Buschwerk und niedrigen Bäumen bewachsenen Hänge ab und liefen auf den Strand. Sie stießen kurze, entzückte Rufe aus, lachten und benahmen sich völlig unbeschwert.

Sie hießen Ilana, Mileva, Ziora, Saila und Oruet, und sie gehörten dem kleinen Stamm von Indios an, der auf dieser Insel ein ziemlich sorgenfreies Leben führte.

Ilana blieb stehen und streifte als erste ihren engen Rock ab. Danach öffnete sie ihr kunstvoll besticktes Hemd, das in seinen bunten Mustern an eine der Molas im Dorf erinnerte, Applikationsnähereien, wie sie vor allen Hütten hingen.

Sie ließ das Hemd wie achtlos sinken und schritt auf die Brandung zu, mit anmutigen Bewegungen und leicht schwingenden Hüften, ihrer vollendeten Schönheit bewußt. Die anderen folgten ihrem Beispiel und gingen ihr nach. Sie waren unbekümmert in ihrer Nacktheit und benahmen sich so ausgelassen wie Kinder, als sie das Wasser erreichten.

Sie liefen lachend durch die Brandung. Oruet geriet ins Stolpern und fiel, aber Ilana drehte sich sofort um und half ihr wieder auf.

Die drei anderen kicherten. Mileva wollte Ilana und Oruet mit Wasser bespritzen, doch der zurechtweisende Blick Ilanas hielt sie zurück.

Ilana und Oruet waren die besten Freundinnen, sie benahmen sich wie Schwestern, und stets war Ilana hilfreich um das etwas schwerfälligere Mädchen bemüht, als habe ihr das jemand besonders ans Herz gelegt.

Als sie noch Kinder gewesen waren, hatte Ilana, die Kessere und Mutigere von beiden, bei einer ihrer Eskapaden nur hundert Schritte vom Dorf entfernt einmal eine höchst unliebsame Begegnung mit einer giftigen Schlange gehabt. Das Reptil hatte sich vor ihr aufgerichtet, um zuzustoßen, und Ilana war vor Schreck wie gelähmt gewesen. Oruet jedoch, die alles beobachtet hatte, hatte überraschend geistesgegenwärtig gehandelt und einen Stein aufgehoben, der so groß war, daß sie ihn kaum halten konnte. Diesen Stein hatte sie auf die Schlange geworfen – und Ilana hatte ihr dies nie vergessen.

Oruet prustete und sagte: „Danke, Ilana. Ich bin aber auch zu ungeschickt. Ich glaube, ich bin ein richtiger Tolpatsch.“

„Unsinn. Komm, ich will, daß du jetzt endlich richtig schwimmen lernst.“

„Das lerne ich nie.“

„Du mußt dich dazu zwingen“, sagte Ilana. „Eines Tages könnte es lebenswichtig für uns alle sein, uns im Wasser fortzubewegen.“

„Du meinst, weil Surkuts Männer kommen könnten?“

„Ja.“

„Tubuago, dein Vater, sagt, daß Surkut es niemals wagen würde, uns zu überfallen. Surkut hält große Reden, aber im Grunde seines Herzens ist er ein Hasenfuß.“

„Das mag sein“, sagte Ilana. „Aber er versteht es, seine Männer gegen uns aufzuwiegeln. Bald wird ihr Haß gegen uns so groß sein, daß sie sich nur noch wünschen, uns alle totzuschlagen.“

Entsetzt riß Oruet die Augen auf. „Rede doch nicht so, Ilana. Ich kann es nicht ertragen, wenn du so etwas sagst.“

Ilanas Miene veränderte sich, sie lächelte plötzlich wieder. „Du hast wirklich recht. Wir sollten uns unser Morgenbad nicht verderben. Laß uns ins tiefere Wasser waten.“

„Ilana“, sagte Oruet. „Wenn Kewridi dich jetzt so sehen könnte – wenn er wüßte, daß du hier bist, würde er bestimmt dort drüben zwischen den Büschen hocken und dich beobachten.“

„Er weiß es aber nicht. Keiner von den jungen Burschen aus dem Dorf weiß, daß wir hier sind, und das ist auch gut so, denn sie sind alle viel zu stürmisch und können sich nicht zurückhalten.“ Ilana lachte, griff nach Oruets Arm und zog sie mit sich zu den anderen, die inzwischen schon bis zur Brust im Wasser standen und ihnen zuwinkten.

Kewridi war ein junger Jäger und Fallensteller, der Ilana seit einiger Zeit den Hof machte, jedoch von Tubuago, dem Häuptling der Maracá-Indios, immer wieder energisch zurückgewiesen wurde. Ilana stand seinem Werben halb angetan, halb reserviert gegenüber, denn sie wußte selbst nicht genau, wie sie sich verhalten sollte.

Die fünf Mädchen bewegten sich im klaren, türkisfarbenen Wasser und blickten zum Himmel auf, der sich über ihnen allmählich blau zu färben begann. Die Brise aus Südosten, die den herben Duft der See landeinwärts trug, spielte mit ihren schwarzen Haaren, und das Licht der Sonne setzte ihren Körpern einen bronzefarbenen Schimmer auf.

Ilana bemühte sich darum, Oruet das Schwimmen in Rückenlage beizubringen. Sie tat das nicht zum erstenmal, aber ihre Geduld schien unerschütterlich zu sein. Immer wieder erklärte sie ihrer Freundin, daß man den Rücken durchdrücken und die Beine so ausgestreckt wie möglich halten müsse – und immer wieder ging Oruet unter.

Die Vertrautheit mit dem nassen Element war bei den Inseln-Indios eine Selbstverständlichkeit und Notwendigkeit, die meisten von ihnen waren gute Schwimmer und Bootsfahrer. Jede Mutter pflegte mit ihrem Neugeborenen zuallererst ein kaltes Bad zu nehmen, um es abzuhärten und an das Wasser zu gewöhnen. Auch den Mädchen brachte man das Schwimmen bei, und die größte Zahl von ihnen waren überdies hervorragende Taucherinnen, die Muscheln und Korallen aus der Tiefe holten.

Nur bei Oruet waren bislang alle Versuche fehlgeschlagen, sie diese Fertigkeiten zu lehren. Ihre Eltern, ihre Brüder und alle anderen Verwandten hatten es schon aufgegeben, sie entsprechend zu unterrichten. Nur Ilana hielt nach wie vor fast starrsinnig an ihrem Vorhaben fest.

Oruet tauchte wieder auf. Sie spuckte etwas Wasser aus und rieb sich die Augen.

„Hör jetzt mal gut zu“, sagte Ilana. „Das Wasser trägt dich, du darfst nur keine Angst davor haben. Das Wasser ist dein Freund, wenn du die Furcht verlierst. Du kannst dich darauf ausruhen wie auf deiner Schlafmatte, du brauchst es nur zu wollen. Oruet – du bist ja schon wieder mit den Gedanken woanders!“

„Sieh doch“, sagte Oruet. Sie blickte an Ilanas Schulter vorbei, und ihre Stimme hatte einen seltsam belegten Klang.

Ilana wandte sich um.

Jetzt sah sie die kleinen Wasserfahrzeuge, die das Südkap der Insel von Westen her gerundet haben mußten. Es waren Kanus und Piraguas, mehr als ein halbes Dutzend an der Zahl. Sie waren voll besetzt mit braunhäutigen Männern, die die Paddel wie große Messer ins Wasser stachen.

„Da!“ rief jetzt auch Ziora. „Das sind bestimmt Surkuts Männer!“

„Ilana“, sagte Oruet. „Du hattest recht mit deinen Befürchtungen. Oh, wie recht du hattest.“

Ilana fuhr im Wasser zu ihr herum. „Fort!“ stieß sie aus. „Ans Ufer, ehe es zu spät ist. Ich gehe mit dir, Oruet.“ Sie beschrieb eine hastige Gebärde zu Mileva, Ziora und Saila hin und rief: „Ihr schwimmt dort hinüber – so schnell ihr könnt!“ Sie wies zum nordöstlichen Bereich des Strandes und fügte hinzu: „Sie dürfen uns nicht erwischen!“

Sie wagte nicht, sich auszumalen, was geschah, wenn die Flucht vor den Männern mißlang. Sie zerrte Oruet mit sich fort, gelangte in etwas flacheres Wasser und kam schneller voran. Bald hatten sie sich beide der Brandung so weit genähert, daß sie laufen konnten. Hoch spritzte das Naß auf. Hinter ihrem Rücken ertönten das Lachen und Grölen der Männer, die jetzt sehen konnten, daß die Mädchen völlig unbekleidet waren.

Mit geradezu unheimlicher Schnelligkeit schoben sich die Kanus und Piraguas auf den weißen Sandstrand zu. Die Distanz schrumpfte, und schon richteten sich einige der Indios in den Booten auf, um über die Bordwand zu springen und den Mädchen nachzuhetzen.

Sie betrachteten die fünf Mädchen als ihre Beute, eine Beute, die es zu nehmen und zu unterwerfen galt.

2.

Ilana hatte Oruets Arm losgelassen. Nebeneinander verließen sie das flache Wasser. Ilana wagte nicht, sich umzudrehen. Leicht geduckt lief sie über den Sand und hoffte, daß ihre Freundin mithalten würde, doch Oruet fiel zurück.

Ilana drehte sich zu ihr um. Voll Panik gewahrte sie, daß die ersten Kanus die Brandung erreicht hatten. Vier, fünf, sechs und noch mehr Gestalten ließen sich ins Wasser fallen, richteten sich blitzschnell wieder auf und stürmten lachend ans Ufer.

„Beeil dich!“ schrie Ilana. „Mach doch jetzt nicht schlapp!“

„Ich komme“, stieß Oruet hervor. „Lauf weiter. Kümmre dich nicht um mich!“

Mit einem Satz war Ilana bei ihr, griff ihre Hand und zog sie hinter sich her.

Surkuts Männer waren jetzt ebenfalls auf dem Strand und nahmen die Verfolgung der Mädchen auf. Einer wollte eine Lanze schleudern, doch ein anderer hielt ihn zurück.

„Nicht!“ brüllte er. „Wir wollen sie doch nicht verletzen! Für uns taugen sie nur, wenn sie gesund und kräftig sind!“

Die anderen lachten wieder.

Mileva, Ziora und Saila versuchten, schwimmend und tauchend zur anderen Seite des Strandes zu fliehen, doch auch ihnen waren die Männer dicht auf den Fersen. Zwei Kanus und zwei Piraguas glitten ihnen nach, und schon forderten einige der Männer sie durch Zurufe auf, sich zu ergeben.

Die Männer stammten von der Nordinsel. Surkut, ihr Anführer, hatte sie geschickt, und sie waren fast die ganze Nacht über unterwegs gewesen, um die Entfernung zwischen der Nordinsel und der Insel Maracá zu überbrücken und anschließend am Westufer der „Ilha de Maracá“ entlangzupaddeln.

Sie sollten eigentlich nur auskundschaften, wie es um die Bewachung der Insel Tubuagos bestellt war, damit Surkut seinen Überfall auf die Insel Maracá – den er schon seit langer Zeit durchführen wollte – entsprechend planen konnte. Jetzt aber hatten die Späher die fünf Mädchen ganz überraschend entdeckt und wollten sich ihr brutales Vergnügen nicht nehmen lassen.

Oruet strauchelte und fiel. Sie wollte sich von Ilana losreißen, doch Ilana stürzte mit ihr, und ehe sie sich wieder aufrappeln konnten, waren die wild grölenden Kerle über ihnen.

Die Mädchen wehrten sich mit Händen und Füßen, sie schlugen um sich, kratzten und bissen, doch die Übermacht war zu groß.

Drei Angreifer packten Ilana, zwei andere hielten Oruet an den Armen und an den Beinen fest, ein sechster beugte sich über die Mädchen und betrachtete sie, als seine Kumpane sie derart fest im Griff hatten, daß sie sich nicht mehr regen konnten.

„Borago!“ rief einer von den beiden, die die stöhnende Oruet auf den Boden preßten. „Auf was wartest du? Fällt dir die Auswahl so schwer? Ich an deiner Stelle würde die Schlanke, Langbeinige nehmen. Überlaß uns die Kleine hier mit den großen Brüsten, wir werden sie schon zähmen.“

Borago war ein großer Mann mit dichtem, schwarzem Haar, breiten Schultern und einem muskulösen Körper. Er zählte zu den besten Kriegern des Stammes der Nordinsel, und Surkut hatte ihn zum Führer der Bootspatrouille ernannt, die die Ufer der „Ilha de Maracá“ erkunden sollte.

Er beugte sich über Ilana und las in ihren Zügen. Doch in ihren Augen war keine Angst, an der er sich weiden konnte.

Zornig rief sie: „Laßt mich los! Ihr werdet es sonst schwer bereuen, was ihr tut!“

„Was tun wir denn?“ fragte Borago mit unverhohlenem Spott in der Stimme. „Bislang ist dir doch noch gar nichts geschehen, mein Täubchen. Vielleicht will ich dich nur beschützen, wer weiß?“

„Sag deinen Kerlen, daß sie mich freigeben sollen!“

„Ich gebe ihnen nur dann den Befehl dazu, wenn du mir versprichst, dich nicht vom Fleck zu rühren.“

„Ihr habt kein Recht, uns festzuhalten!“ stieß Ilana aus. „Ich bin die Tochter des Häuptlings Tubuago, und wenn ihr mir und meinen Freundinnen auch nur ein Haar krümmt, geschieht ein großen Unheil. Dann erklärt mein Vater euch den Krieg!“

Die Kerle lachten, und Borago erklärte mit hämischer Miene: „Es wird mir eine besondere Ehre sein, die Tochter des Feiglings und Tagediebes Tubuago ein Stück über diesen schönen weißen Sand zu schieben.“

Wieder brüllten die Kerle vor Vergnügen.

Ilana biß sich auf die Unterlippe. Sie wußte jetzt, daß sie einen Fehler begangen hatte. Der Hinweis auf ihren Vater und darauf, wer sie war, hatte die Strolche nicht im geringsten beeindruckt – im Gegenteil. Es würde ihnen jetzt eine doppelte Freude bereiten, sie zu entehren und zu erniedrigen.

Sie begriff, daß sie wohl besser den Mund gehalten hätte, doch die Einsicht erfolgte zu spät.

Im Wasser schrie eins der drei anderen Mädchen auf. Es war Mileva, die jetzt von einem der Kerle, die inzwischen von den Kanus und Piraguas in die Fluten gesprungen waren, gefaßt worden war. Er zog sie unter die Oberfläche, tauchte wieder mit ihr auf und lachte, als sie ihm die Faust ins Gesicht hieb.

Ein paar andere stellten Ziora und Saila nach und holten sie ein, noch ehe sie durch die Brandung auf den Strand gelangen konnten. Auch sie setzten sich zur Wehr und schrien, doch jeder Widerstand, alle Schläge und Tritte, die sie austeilten, nutzten ihnen nichts.

Borago kniete sich hin und streckte die Hände aus, um Ilanas Körper zu betasten.

„Schrei, soviel du willst“, sagte er. „Ich glaube nicht, daß jemand aus eurem verfluchten Dorf euch hört, denn meines Wissens liegt es ziemlich weit im Inneren der Insel.“

Ilana preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Sie war bleich unter ihrer braunen Gesichtsfarbe, und plötzlich verspürte sie Angst, doch sie zwang sich dazu, die Angst nicht zu zeigen.

Oruet jedoch schrie auf, so verzweifelt und gellend, daß einer der Männer ihr fluchend den Mund zuhielt. Sein Kumpan richtete sich halb auf und traf Anstalten, sich seines Lendenschurzes zu entledigen.

Hinter den ersten Hügeln begann die eigentliche tropische Vegetation der Insel: ein dichter Regenwald, wie ihn die Seewölfe zur Genüge kannten. Eine Laune der Natur hatte verhindert, daß die Mangroven und Lianen und all die anderen üppig wuchernden Pflanzen der „Selvas“ bis über die östlichen Hänge der Insel hinaus zum Ufer krochen. Hasard nahm an, daß dies mit der Beschaffenheit des Untergrundes zusammenhing, der ihm in Küstennähe härter und lehmiger erschien als hier, am Saum des Dschungels.

Im Busch erwachte das Leben. Bunte Vögel flatterten zwischen den Baumriesen auf und ab und stießen empörte und warnende Schreie aus. Äffchen keckerten, Insekten tanzten im ersten Morgenlicht, und irgendwo verschwand ein scheues Reptil lautlos im verfilzten Unterholz. Neugierige Augen schienen die Männer zu beobachten.

Sir John, der karmesinrote Aracanga, der mit Carberry die „Isabella“ verlassen hatte und bisher zahm und sittsam auf der Profos-Schulter gehockt hatte, erhob sich mit einem krächzenden Laut in die Luft und flog zu seinen Artgenossen. Hier fühlte er sich in seinem Element, hier war er ja praktisch zu Hause, denn Carberry hatte ihn seinerzeit bei einer Fahrt auf dem Amazonas aufgelesen.

Der Seewolf beschloß, den Waldrand in südlicher Richtung abzuschreiten. Vorerst wollte er nicht in das Dickicht eindringen.

Er hatte Glück mit seiner Strategie: Nicht sehr viel später trafen sie hart am Saum des Dschungels auf eine Quelle, die aus einem kleinen Gesträuch hervorsprudelte.

Hasard bückte sich und untersuchte zunächst, ob sich in dem Gebüsch etwa Schlangen verborgen hielten. Aus Erfahrung wußte er, daß besonders die giftigen Exemplare mit Vorliebe in den frühen Morgen- und während der späten Nachmittagsstunden die Nähe des Wassers anstrebten, um ihren Durst zu löschen.

Big Old Shane und Ben Brighton standen schon mit ihren Entermessern bereit, um nötigenfalls auf die Reptile einzuschlagen, aber ihre Vorsicht erwies sich in diesem Fall als übertrieben.

„Die Quelle ist sauber“, sagte Hasard. „Um so besser, das erspart uns eine längere Säuberung und unliebsame Überraschungen. Mal sehen, wie das Wasser schmeckt.“

Er wollte beide Hände zu einer Art Schale formen, um etwas von dem Naß zu schöpfen, doch plötzlich hielt er inne und hob lauschend den Kopf.

„Hört ihr das?“ fragte er.

„Sicher, Sir“, erwiderte Ferris Tukker. „Der Dschungel ist voller merkwürdiger Geräusche, und man muß sich wundern, daß man bei dem Lärm überhaupt noch sein eigenes Wort versteht.“

„Unsinn, Ferris, das meine ich nicht. Ich habe ganz deutlich einen Schrei gehört.“

„Du meinst – den Schrei eines Raubtiers?“ fragte Smoky, der Decksälteste.

Der Seewolf schüttelte den Kopf und richtete sich auf. „Nein. Das war der Ruf eines Menschen, und wenn mich nicht alles täuscht, befindet er sich in höchster Gefahr. Vorwärts, sehen wir mal nach, was da los ist. Der Laut kam von Süden.“

Er lief los und steuerte am Busch vorbei auf die sanften, nur mit Strauchwerk und niedrigen Bäumen bewachsenen Kuppen zu, die im Süden jetzt zu erkennen waren. Ben, Shane, der Profos, Ferris, Blacky, Dan und Smoky schlossen sich ihm an und hatten Mühe, nicht hinter ihm zurückzubleiben. Wieder einmal bewies der Seewolf, daß er nicht nur ausgezeichnete Seebeine hatte. Er lief sehr schnell, mit langen Sätzen, und wich geschickt Unebenheiten und anderen Hindernissen im Gelände aus.

Big Old Shane, der neben Ben Brighton lief, entsann sich der Worte Old O’Flynns. Er hatte den Mahnungen und Prophezeiungen des Alten nie Glauben geschenkt, aber jetzt mußte er doch daran denken.

Plötzlich hakte er mit dem rechten Fuß hinter eine Buschwurzel und geriet ins Taumeln. Um ein Haar wäre er hingefallen, nur durch rasche Beinarbeit und wildes Rudern mit den Armen konnte er sein Gleichgewicht halten. Fluchend lief er weiter.

„Siehst du, Shane“, sagte Dan O’Flynn hinter ihm. „Mein Alter hat mal wieder recht gehabt. Paß bloß auf, daß du nicht noch hinfliegst und dir die Ohren brichst.“

„Der Teufel soll den Alten holen!“ rief Shane. Er wollte noch etwas hinzufügen, aber der Seewolf drehte sich zu ihm um und gab ihm durch seinen Blick zu verstehen, daß er still sein sollte.

Hasard hatte die letzte Kuppe fast erreicht, die ihn und seine Männer noch vom südlichen Ufer der Insel trennen mußte, und wieder vernahm er jetzt einen Schrei, diesmal erstickt, aber nicht minder verzweifelt als der vorherige.

Er duckte sich zwischen die Büsche, verlangsamte seine Schritte und hielt nach dem Ausschau, was sich offenbar direkt am Ufer abspielte. Von dort war jetzt das rauhe Lachen von Männern zu hören, dann ein paar Worte, die Hasard nicht verstand.

Als er seinen Kopf wieder etwas anhob, konnte er den halbkreisförmigen Streifen weißen Strandes erkennen, auf dem sich mehrere Gestalten bewegten – Männer und Frauen, man brauchte kein Spektiv, um sie unterscheiden zu können.

Ben, Shane und der Profos waren neben ihrem Kapitän, und auch Ferris, Blacky, Smoky und Dan trafen in diesem Moment ein.

Der Seewolf drehte sich zu ihnen um.

„Wir müssen den Mädchen aus der Klemme helfen“, sagte er leise. „Es ist unsere verdammte Pflicht. Versuchen wir also, diese Kerle zu verjagen. Geschossen wird nur im äußersten Notfall, und auch mit den Blankwaffen haltet ihr euch zurück, verstanden? Ich will kein unnötiges Blutvergießen.“

„Aye, aye, Sir“, murmelten die sieben.

Borago blickte plötzlich auf, weil einer seiner Männer einen warnenden Laut ausgestoßen hatte. Borago kniff die Augen etwas zusammen, und seine Miene veränderte sich. Sie wurde hart und undurchdringlich, denn er sah jetzt die acht weißen Männer, die den Hang hinunterstürmten. Keinen Moment gab er sich Illusionen darüber hin, was ihre Absichten sein mochten.

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