Читать книгу: «Wenn die Seelen Trauer tragen», страница 2
Ein wenig später stand sie Mister Weinberg auf der Hotelterrasse gegenüber. Er musterte sie von Kopf bis zu den Füßen, anschließend zog ein breites Grinsen über sein Gesicht.
„Was ist … habe ich etwas Absonderliches an mir?“, fragte Nora.
„Och, ich hätte zumindest das kleine Schwarze erwartet“, aber so führe ich Sie selbstverständlich auch zum Dinner aus.
Nach dieser Aussage war sie sichtlich verärgert weil sie seiner Zeichensprache gefolgt war. „Ich kann ja wieder gehen“, zischte sie ihm entgegen, anschließend warf sie beleidigt den Kopf in den Nacken, und gerade als sie die Flucht antreten wollte, spürte sie seine warme Hand der ihren Arm umfasste. „Nicht anfassen“, zischte sie ihm sogleich entgegen.
Er ließ auch sofort los, „ups … ich mag Kratzbürsten, man hat immer das Gefühl, dass man auf der Hut sein muss“, entgegnete er mit einem spitzbübischen Grinsen. „Geben Sie mir noch eine Chance? … Ja? … Bitte!“, gleichzeitig hielt er ihr ein Glas Champagner entgegen. „Hier, als Wiedergutmachung“, sagte er in Begleitung eines verführerischen Lächelns, und dieses Lächeln hatte etwas, dem man sich nicht so leicht entziehen konnte.
Noch ehe sie etwas sagen oder tun konnte, hielt sie das Glas in ihrer Hand.
Sanft, stieß er mit seinem Glas gegen das Ihrige, „auf einen erfolgreichen Abend!“, sagte er augenzwinkernd.
Blödes Spiel, dachte sie, aber auch okay – ganz wie du willst, und so nahm sie innerlich seine Herausforderung an. „Nun denn, Mister Weinberg, darf ich fragen wie Sie sich einen erfolgreichen Abend mit mir vorstellen?“
Er nahm tief Luft und antwortete: „Hm … während wir den köstlichen Champagner genießen könnten wir ein wenig plaudern, sozusagen uns ein wenig beschnuppern. Jaaa, und danach, wenn unsere Sinne von den Champagnerperlen benebelt sind, könnten wir zu mir, in meine Penthousewohnung gehen, dort werde ich Ihnen, gepaart mit einer traumhaften Aussicht, einen erstklassigen Wein kredenzen“, dann kam er noch etwas näher an sie heran, er vertiefte sich in ihre Augen und flüsterte: „ja, und anschließend, da könnten wir gemeinsam – in meinem großen King-Size-Bett – ein Spiel für große Jungs und Mädchen spielen“, wobei nun ein breites Grinsen über sein Gesicht zog, „und danach, ja, da könnten wir zum Dinner gehen – sofern Sie dann noch hungrig sind!“
Leicht irritiert sah sie ihn an – oh, und viele Antworten schwirrten ihr jetzt durch den Kopf, sie zwang sich aber zur Contenance und sagte stattdessen: „Können Sie eigentlich auch ernsthaft sein?“, wobei sie ihn mit ihrem Ellenbogen abrupt auf Distanz stieß.
„Ja – zu Befehl!“ salutierte er mit vorgespieltem Ernst, dem sogleich ein verführerisches Lächeln folgte.
Bei diesem Anblick wurde Nora bewusst, dass ihr Kopf nicht frei für seine Spielereien war, und sie auch nicht in der Stimmung war zu kontern – ihr Herz war viel zu verkapselt, als dass sein verführerischer Blick es hätte aufsprengen können. Entgeistert sah sie ihn an, im gleichen Moment schoss ihr eine Frage durch den Kopf: Was machst du eigentlich hier? Kurzerhand drehte sie sich um, nun wollte sie ihn endgültig stehen lassen.
Doch er war wieder einmal schneller und versperrte ihr sogleich den Weg.
„Hey, das war ein Scherz! Kommen Sie, lassen sie uns etwas essen und ein wenig reden“, wiederum zierte ein überaus charmantes Lächeln sein Gesicht. „Ich werde mich auch benehmen – versprochen“, dabei erhob er seine rechte Hand zum Schwur, „bitte“, flehte er.
Wie kann man nur so ein unwiderstehliches Lächeln haben, ging es Nora durch den Kopf. Ja, und sein Lächeln wurde noch einen Tick charmanter.
„Also gut“, sagte sie, „aber ich warne Sie, noch einen dieser Sprüche und Sie sehen mich nie wieder!“
Woraufhin er sein Haupt zum Dank kurz beugte. Dann hakte er sich bei ihr unter und führte sie galant zum Restaurant.
Im Laufe des Abends ersetzten ernsthafte Gespräche das anfängliche Wortgeplänkel, und erst nachdem sie ihn als Mensch einschätzen konnte, willigte sie, auf ein Glas Wein, in seiner Wohnung ein.
Gegen Mitternacht waren sie in seiner Penthousewohnung angelangt. Es war eine traumhafte Immobilie mit einer großen Dachterrasse von der man eine herrliche Aussicht über die gesamte Bucht, bis hinunter zum Yachthafen hatte. Während er sich um den Wein kümmerte, genoss sie die Aussicht. Staunend, wie ein kleines Mädchen das zum ersten Mal den Horizont entdeckte, trat sie zur gläsernen Balustrade vor, um die Schönheit in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Ein Ausblick, der in Verbindung mit Alkohol, noch um einiges imposanter wirkte – ja sogar Einfluss auf ihre mentale Stimmung nahm. Hier würde ich gerne leben wollen, dachte sie, diese Aussicht würde mich, bei meiner kreativen Arbeit, mehr als nur inspirieren – sie würde meiner Fantasie geradezu Flügel verleihen. Ein kleiner Seufzer des Bedauerns kam leise über ihre Lippen und mit ihm erwuchs eine leichte Melancholie. – Doch da lauerte noch ein anderer Gedanke der sich wieder langsam durch die Hintertür einschlich. Wer war der Tote in ihrem Vorgarten? Könnte der Tote wirklich der Mann gewesen sein, der bei ihren letzten Lesungen zugegen war? Sie schloss für einen Moment die Augen und versuchte krampfhaft beide Gesichter nebeneinander zu bringen – Ja, die Ähnlichkeit schien jedenfalls frappierend, mal davon abgesehen, dass der Tod sein Gesicht entstellt hatte.
Mittlerweile war Mister Weinberg neben sie getreten.
„Na, beeindruckt?“ fragte er und überreichte ihr ein Glas Rotwein.
Ihren Gedanken jäh entrissen, blickte sie ihn nur erschrocken an.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte er mit besorgter Miene.
„Ja, ja, alles in Ordnung“, antwortete sie abrupt, wobei ihr Blick wieder in die Ferne schweifte.
„Ganz sicher?“, hakte er nach.
Sie nickte nur.
„Übrigens, ich bin Clemens, wenn es der Nora recht ist?“, dabei stieß er mit seinem Glas gegen das Ihrige.
Sie lächelte und merkte, dass es ihm wieder gelungen war sie ihren Gedanken zu entreißen. „Einverstanden“, sagte sie „aber nur wenn du mir nicht wieder mit deinem King-Size-Bett kommst?“
„Versprochen! … An was denkst du?“, fragte er neugierig.
„Hm … nichts! Aber sag, warum deine Bemühungen mich kennenzulernen? Gibt es einen bestimmten Grund?“
Er lächelte, „der Grund ist eine schöne, attraktive Frau! Ist das nicht ausreichend genug?“
Verlegen senkte sie ihren Blick, „danke für das Kompliment, aber das alleine ist es doch nicht …“
„Stimmt! Und wenn ich ehrlich sein soll, hat es einen ganz trivialen Grund“, er stützte beide Arme auf die Balustrade, dann nahm er tief Luft und sagte: „Weißt du, ich lebe seit einigen Jahren hier, und ich lebe gerne hier, berufsbedingt lerne ich viele Menschen aus unterschiedlichen Nationen kennen, die Unterhaltung ist fast immer in englischer Sprache. Doch dann kommt es vor, dass mich das Heimweh nach Deutschland packt“, verlegen senkte er kurz seinen Blick, „und da habe ich dich gesehen und gehört, dass du Deutsche bist“, er lächelte, „ja, du hattest passgenau diesen Moment erwischt, wo das Heimweh mich gepackt hatte, und da ging es einfach mit mir durch … ich musste dich kennenlernen! Kannst du das verstehen?“
Mit einem verstehenden Lächeln, nickte sie ihm zu. Eine Antwort, die ihm, wegen seiner Ehrlichkeit, Sympathiepunkte einbrachte.
Danach lauschten beide, gedankenverloren in die Stille der Nacht.
Nora war es, die zuerst wieder aus der Unterwelt ihrer Gedanken aufgetaucht war, denn die Erfahrung hatte sie gelehrt, nicht zu lange dort zu verweilen, denn das würde jede weitere Kommunikation unmöglich machen. Sie sah zum Himmel und sagte: „Es ist kälter geworden, die Nebelschicht des Tages hat sich aufgelöst, auch einige Sterne sind zu sehen … siehst du“, dabei verwies sie mit ihrem Glas Richtung Himmel, „sogar der Vollmond kann sein Spiegelbild auf der Meeresoberfläche bestaunen“, fügte sie mit einem milden Lächeln an.
Clemens folgte stumm ihrem Hinweis und nippte nachdenklich an seinem Glas.
„Ein Anblick der mich an meine letzte Liebe erinnert“, bemerkte Nora leise.
„Ja, ja … die Liebe!“, seufzte Clemens, und so wie er es sagte, schien er noch in seiner Gedankenwelt unterwegs zu sein.
Kurz schnippte Nora mit dem Finger gegen ihr Glas, der zarte Klang ließ ihn aufblicken.
Für ihren dezenten Hinweis bedankte er sich mit einem Lächeln, dann kam er etwas näher an sie heran, sodass sie seine Körperwärme spüren konnte. „Möchtest du über deine letzte Liebe reden?“, fragte er, wobei er zärtlich mit seinem Zeigefinger über ihren Arm strich.
Ihr Blick folgte seinem Zeigefinger – wie zärtlich er dich in das Thema zwingt, dachte sie. Plötzlich – sie konnte gar nicht anders – musste sie ihn ansehen. Es war, als ob sein Blick nur darauf gewartet hätte. Sie spürte, wie dieser Blick kurz ihr Herz berührte. Die Verkapselung, die sich seit ihrer letzten Liebe um ihr Herz gebildet hatte, schien einen Riss bekommen zu haben. Einen zeitlosen Augenblick waren ihre Blicke ineinander versunken – wobei beiden die Gefährlichkeit der Intensität ihrer Blicke bewusst war. Ob sie darüber glücklich sein sollte, vermochte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu sagen. Verlegen und mit leicht geröteten Wangen schlug sie die Augenlider nieder.
Erst nach einem kaum hörbaren Seufzer erzählte sie ihre Geschichte, die ihr Herz nach der langen Zeit endlich freigeben konnte. „Nun, vor einigen Jahren begegnete ich auf einer Reise einem Menschen der mein ganzes Leben veränderte. Wir lernten uns in einer Vollmondnacht, genau wie diese, kennen, der Mond der sich auf der Meeresoberfläche spiegelte, fand unser beider Interesse. Tja …“, seufzte sie, „ich dachte, es wäre die große Liebe, dabei war es nur ein Wegweiser des Schicksals der mich auf einen ganz anderen Pfad führte, einen Pfad der ebenso schmerzvoll wie auch arbeitsintensiv meine Lebensspur prägte. Den Gedanken an ihn, den Hoffnungsschimmer ihm jemals wieder zu begegnen, war ein Haltegriff an dem ich mich über Jahre emporzogen hatte. – Aber jetzt, wo ich im Begriff bin den Haltegriff wieder loszulassen, bin ich froh, dass der Hoffnungsschimmer erloschen ist, denn wir wären mit Sicherheit unglücklich geworden“, für einen Moment hielt sie inne, dann fuhr sie mit leiser Stimme fort: „Er war nur ein Wanderer auf einem einsamen und lieblosen Pfad, dem eine Frau nur hin und wieder den Weg ausleuchten sollte – nicht mehr und nicht weniger!“
„Das klingt nicht nur sehr poetisch, sondern auch sehr wehmütig!“, wobei Clemens sanft mit seinem Zeigefinger über ihren Handrücken streifte.
Nora drehte sich zu Clemens um, ihre Blicke trafen erneut aufeinander, diesmal durchströmten warme Wellen ihren Körper. Gleichzeitig, vielmehr aus einer Verlegenheit heraus, erhoben beide ihre Weingläser und stießen an, ein heller Klang verdrängte das beharrlich aufsteigende und dürstende Verlangen nach körperlicher Liebe.
Mit einem bitteren Lächeln fuhr sie fort: „Hm … sozusagen war ich die Alchimistin, die aus der Begegnung die große Liebe machen wollte … leider bin ich kläglich daran gescheitert. Aber, ich habe andere Dinge daraus gelernt …!“
„Oh … das klingt sehr philosophisch“, bemerkte Clemens, „kann es sein, dass der Rotwein seine ersten Spuren zeigt?“, wobei er sein Glas gegen den Schein des Mondes hielt und dabei den Rest des Weines spielerisch kreisen ließ.
Sie lächelte, wobei sie eigentlich hätte weinen mögen, aber irgendetwas hielt ihre Tränen zurück. Auch war sie kurz davor ihm von dem Toten in ihrem Vorgarten zu erzählen, aber diese Geschichte würde die wundervolle Atmosphäre nur zerstören – und nein, das wollte sie keinesfalls. Diese Augenblicke der völligen Harmonie waren eine Seltenheit in ihrem Leben geworden und verlangten beachtet, ja, gewürdigt zu werden. Sie setzte das Glas an und nahm einen großen Schluck Wein.
„Lebst du alleine hier?“, fragte sie das Thema wechselnd.
Kurz sah er sich suchend um, „ja, so wie es den Anschein hat … oder siehst du noch jemanden?“
„Es gelingt dir immer nur kurz ernsthaft zu bleiben oder …?“, lächelte sie.
Er kam etwas näher, legte zärtlich seinen Arm um ihre Hüfte und flüsterte: „Hey, ich verrate dir etwas, nur wenn ich verlegen bin … oder verliebt!“
„Und was bist du jetzt?“
„Beides!“ flüsterte er ihr ins Ohr und küsste sie dabei auf die Schläfe.
Verlegenheitsröte stieg in ihr auf, sanft stieß sie ihn mit dem Ellenbogen auf Distanz.
Mit einem Lächeln prostete er ihr zu, ihre Gläser trafen kurz aufeinander, ein klirrender Ton verhallte in der Nacht und vibrierte durch ihr eh schon aufgewühltes Innenleben. Doch so schnell würde sie sich nicht verführen lassen, das hatte sie sich nach ihrer letzten Liebe geschworen – die Zeit war noch nicht reif.
Nun, galt es das Thema in eine andere Richtung zu bringen. „Wie finanziert man eigentlich so eine traumhafte Immobilie?“, fragte sie.
„Du bist aber gar nicht neugierig?“, lachte er, „durch Immobilien und Anlageberatungen! Und du? Was machst du beruflich?“
„Nun, ich bin vor einiger Zeit, um es genauer zu sagen, nach den Irrungen meines Herzens, zur Autorin konvertiert.“
„… konvertiert? Hm … interessant!“, wobei er bei dem Wort: konvertiert, sichtlich irritiert schien.
Was sie zwar bemerkte aber ohne Kommentar so stehen ließ. Sie fand das Wort passend!
„Über was schreibst du?“
„Nun, ich schreibe mich durch die ganze Klaviatur der Leidenschaften“, sie nippte an ihrem Wein und beobachtete seine Reaktion. Denn immer wenn sie diese Antwort gab, konnte sie in den Augen des Gegenübers erkennen welche Impulse diese Antwort auslöste. Viele versuchten dann die seltsame Komposition ihrer Wortwahl zu definieren, bei unkreativen Menschen blieb ein Fragezeichen in den Augen zurück; die kreativen begriffen sofort die Vielfalt die sich dahinter verbarg, und manchmal, ja, da ergaben sich auch sehr aufschlussreiche Themen daraus.
„Klaviatur der Leidenschaften! Hm … das klingt in der Tat nicht nur vielversprechend im erotischen Sinne, sondern verspricht auch theatralische Auswüchse!“ In seinen Augen lag nun ein ganz besonderes Strahlen – ein sehnsüchtiges Bedürfnis nach Liebe flackerte auf.
Sie ahnte, nein, vielmehr spürte sie, dass er die Kunst der Liebe beherrschte und lächelte ihm nur wissend zu, was ihn wiederum animierte noch etwas näher an sie heranzutreten, so nahe, dass ihre Körper sich berührten. Und sie musste sich selbst eingestehen, dass sein Körper sich gut anfühlte. In ihren Schläfen pochte bereits aufsteigendes Blut, ihr Körper fing zu beben an. Er spürte ihre Erregung und war sichtlich angetan von dem, was er bei ihr erreicht hatte. In seinem Gesicht lag schon dieses Siegerlächeln und gerade als er im Begriff war seinen Sieg auskosten zu wollen, wandte sie sich mit einem wissenden Lächeln von ihm ab. „Nein, mein Freund“, sagte sie augenzwinkernd, „so war das nicht gemeint“, anschließend nahm sie die Weinflasche, füllte die die Gläser wieder auf und prostete ihm zu.
Er lachte, „Goldmündchen … ich krieg dich noch“, neckte er.
„Mag sein, aber nicht heute Abend. Zum Wohlsein“, sie erhob ihr Glas und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Und nun aber mal zu dir. Du bist mir noch eine Antwort schuldig. Gibt es nun ein weibliches Wesen an deiner Seite … ja oder nein?“
Sein Blick schweifte zum Horizont, „man sagte mir einmal ich sei ein Scheusal“, dann lachte er kurz auf, „ich wäre ein großer Junge – ein Scheusal mit schmutzigen Gedanken“, dann stoppte er, „manchmal denke ich, wir Männer werden nie erwachsen. Ich jedenfalls, ich bin es nie geworden“, er trank einen Schluck Wein und versank in Gedanken.
Nora dachte an ihre erste Begegnung und dachte über seine Anmache nach, sie verkniff sich jedoch eine Antwort und lächelte ihm stattdessen nur zu.
Dann redete er weiter: „Mein Liebesleben verlief eher unspektakulär, genauer gesagt, es gab einige Affären“, achselzuckend fügte er an, „naja, darunter waren auch zwei feste Beziehungen, und die letzte Dame wollte mich besitzen“, ein bitteres Lachen drang aus seiner Kehle. „Ach, ich war einfach zu viel unterwegs und sie fühlte sich halt einsam, so einsam, dass sie nach einem anderen Ausschau hielt, einem der mehr Zeit für sie hatte, einem mit dem sie eine Familie gründen konnte – was sie kurze Zeit später auch tat“, anschließend leerte er sein Glas zur Hälfte, „tja“, seufzte er, „leider habe ich einen Job der mich zum Reisen zwingt. Fazit: keine Zeit für eine feste Bindung!“
„Vielleicht waren es auch immer die falschen Frauen?“, fügte Nora schmunzelnd an.
Er lächelte, sah zu ihr hin und sagte: „Mag sein oder auch nicht. Darüber zu sinnieren ist verlorene Zeit, Zeit die ich nicht habe!“ Doch seine Augen sprachen eine andere Sprache, nämlich die der Sehnsucht, Sehnsucht nach einer festen Bindung, nach Verständnis, nach Geborgenheit und Liebe!
Mit einer zweiten Flasche Rotwein sowie anregenden Gesprächen wurde die restliche Nacht versüßt.
Am kommenden Morgen wurde sie durch fremdklingende Geräusche geweckt, und beim genaueren Hinhören könnte dieses zischende, das in ein klackendes Geräusch überging, nur von einer Espressomaschine stammen. Mist! Wo war sie? Zuerst öffnete sie nur ein Augenlid, dann das zweite, anschließend folgte ein Blick unter die Bettdecke – ausgezogen, verdammt! Ihr Körper war erst einmal starr vor Entsetzen. Im Schnelldurchgang durchforstete sie ihr Gedächtnis nach Merkmalen die ihr vielleicht eine erotische Nacht mit ihm vor Augen führten, doch nach kurzer Zeit konnte ihr Erinnerungsvermögen Entwarnung geben. Puuuh … nichts passiert! Ihr Körper entspannte sich wieder. Sie hob kurz ihren Kopf an, um sich eine erste Orientierung im Raum zu verschaffen, vielleicht auch um nach Clemens Ausschau zu halten. „Autsch“, das war wohl doch etwas zu viel Alkohol in der letzten Nacht! Ihr Kopf fiel wieder schwer-brummend aufs Kopfkissen zurück. Verrückt, verrückt, verrückt … aber in diesem Augenblick dachte sie noch nach, ob sie nun beruhigt oder beleidigt darüber sein sollte, dass er sie nicht angefasst hatte. Ein Gedankengang der vorerst unbeantwortet blieb, denn im nächsten Augenblick wurde die Zimmertür langsam geöffnet.
„Guten Morgen Goldmündchen. Na wie hast du in meinem King-Size-Bett geschlafen?“, grinste Clemens übers ganze Gesicht, „es ist ein herrlicher Tag und der Kaffee ist fertig. Wir warten auf dich.“
„Danke!“ woraufhin sie ihm das Kopfkissen entgegenschleuderte. Aber was meint er mit WIR? Sofort saß sie aufrecht im Bett, und ihre Gedanken kreisten in ihrem dröhnenden Kopf um das WIR! Wer ist bei ihm? Und verflixt, wie sehe ich überhaupt aus? Und wo war noch mal das Bad?
Nach der Einnahme einer Kopfschmerztablette, sowie einem notdürftigen Styling, trat sie kurze Zeit später unsicher dem WIR entgegen. Gleich beim Öffnen der Tür fiel ihr Blick auf Clemens, danach auf eine zierliche männliche Gestalt, die, wie sie erkennen konnte, einen bedrückten Eindruck machte. Beide saßen an der Küchentheke, die Küche und Wohnraum voneinander trennte.
Oh, und wie gerne wäre sie in diesen Sekunden unsichtbar gewesen. „Guten Morgen“, sagte sie mit leiser Stimme, „ich geh dann mal“, hauchte sie den beiden Herren noch im Vorrübergehen zu, dabei verwies sie mit der Hand Richtung Aufzug, ihre Schritte wurden schneller und insgeheim hoffte sie, sie könnte sich so davonstehlen.
„Guten Morgen, Nora“, schallte es durch den ganzen Raum, sogleich hüpfte Clemens vom Hocker, eilte ihr hinterher und zog sie mit resolutem Griff Richtung Küchentheke zurück. „Darf ich dir Jacob vorstellen. Jacob, das ist Nora Goldmund, auch Goldmündchen genannt“, wobei er sehr vertraut seinen Arm um ihre Hüfte legte.
Einen Kosenamen auf nüchternen Magen … das war einfach zu viel. Beherrschung war angesagt!
„Guten Morgen Jacob, es freut mich Sie kennenzulernen“, zeitgleich hielt sie ihm freundlich lächelnd ihre Hand zur Begrüßung entgegen.
Wortlos, ohne eine Emotionsregung, legte er seine schmale kalte Hand in ihre, doch bevor sie zudrücken und die Begrüßung vollziehen konnte, war seine Hand ihrer schon wieder entglitten. Ihr schauderte bei dem Gefühl seiner kalten Hand. Leicht irritiert nahm sie ihn nun etwas genauer in Augenschein. Große dunkle Augen, die mit einem schwarzen Kajal umrandet waren, blickten ihr traurig entgegen, sein ebenmäßiges Gesicht war von schwarz-glänzendem Haar umhüllt und seine äußerst gepflegte Haut schimmerte bronzen. Er wirkte verlassen und irgendwie schutzbedürftig. Wer er wohl war? Und in welcher Verbindung stand er zu Clemens? Und während sie darüber nachdachte, wechselte ihr Blick mehrmals zwischen den beiden Herren.
„Jetzt trinkst du zuerst einmal einen Espresso mit uns, danach darfst du dich gerne verabschieden“, drängten Clemens Worte mitten in das Bild das sie sich gerade von den beiden Herren zurechtzusetzen versuchte.
Widerwillig gehorchte sie, dann ließ sie sich in den Dunstkreis zweier merkwürdiger Herren, die eigentlich Fremde für sie waren, nieder. Danach folgte eine befremdliche Stille. Nochmals wechselte ihr Blick zwischen den beiden Männern. Starke Parfümdüfte stiegen ihr in die Nase: ein schwerer süßer Duft konkurrierte mit einem herben Männerduft. Eine Duftkombination die erneut ihr Interesse weckte und eine erste Mutmaßung formte.
Jacob war es, der das Schweigen unvermittelt brach. „Alle, die ich je geliebt habe, haben mich verlassen. Ist das nicht traurig?“, fragend sah er zu Nora, doch sein Blick schien durch sie hindurchzugehen. Seine Worte klangen klar, seine Augen wirkten nun, nachdem er sie ausgesprochen hatte, beängstigend leer. Eine nüchterne Mitteilung die nackt im Raum stand und Unbehagen bei Nora verursachte.
„Er will damit sagen, dass alle, die ihm, in seinem Leben etwas bedeutet haben, verstorben sind“, versuchte Clemens die Worte des jungen Mannes zu verdeutlichen.
„Oh, Sie sind in Trauer, das tut mir leid“, antwortete Nora und rührte verlegen in ihrem schwarzen doppelten Espresso.
Erneut stellte er einen Satz in den Raum. „Meine Eltern kommen mir heute, nachdem sie tot sind, lebendiger vor als zu Lebzeiten – in meiner Erinnerung sehe ich sie als eine Art Zweigespann, das nichts und niemanden trennen konnte! Ja, und ich war nur der Zweitgeborene, ein nicht mehr gewolltes Nebenprodukt ihres spießigen Lebens … der durch seine Andersartigkeit ihre kleine perfekte Familien-Idylle störte.“ Mit dem letzten Halbsatz warf er Clemens einen verächtlichen Blick zu.
Fragend sah Nora zu Clemens, der sogleich betroffen seine Augenlidern senkte und im nächsten Moment seine Hand tröstend auf Jacobs Hand legte. Eine Geste die erneut Fragen aufwarf: Sind beide anders? Sollte sie sich in Clemens so getäuscht haben! War sie schon so lange alleine, dass sie nicht einmal mehr in der Lage war, diesen kleinen feinen Unterschied zu erkennen? Ein Gedanke der sie innerlich schmerzlich berührte.
Die eigenartige Stille, die sich mittlerweile zwischen ihnen aufgebaut hatte, empfand Nora als äußerst unangenehm, ja, irgendwie peinlich. Ich muss hier weg, schoss es ihr durch den Kopf, und just in dem Moment wo sie aufstehen wollte, erhob Jacob wieder seine Stimme …
„Aber jetzt wo ER tot ist, tauchen auch SIE wieder aus meinem Unterbewusstsein auf, SIE durchkreuzen meine Gedanken und quälen mich – besonders in der Nacht, wenn ich nicht schlafen kann, dann kommen SIE und stoßen mich mit anschuldigenden Blicken hinab in die Tiefen meiner Erinnerungen“, dann sah er zu Nora und fragte: „Glauben Sie, dass Tote sich rächen können?“
Oh mein Gott, ich muss hier weg! Wieso stellte er ausgerechnet ihr diese Frage? Und wieso gerade jetzt? Wo sie doch selbst mit quälenden Fragen zu kämpfen hatte!
Im Grunde erwartete er keine Antwort, sondern beantwortete seine Frage selbst. „Nie hatte ich ein gutes Verhältnis zu meinen Eltern, sie konnten meinen Lebenswandel – so wie sie ihn missbilligend bezeichneten – nie verstehen“, fügte er überspitzt an. „Und später, als sie kurz hintereinander verstarben, war es mir nicht möglich um sie zu trauern, denn zu tief hatten sie meine Gefühle verletzt. Ja, zu tief! Doch jetzt, wo ich um meine Liebe trauere, drängen sie wieder in meine Gedanken und spielen sich mit Ermahnungen in den Vordergrund“, kurz hielt er inne, „ich glaube das ist ihre Rache – ja, ihre Rache!“ Kopfnickend, mit einem bitteren Lächeln auf den Lippen stand er auf, dann huschte sein ganz in schwarz gekleideter schlanker Körper geräuschlos, fast wie ein Schatten, durch den Wohnraum Richtung Aufzug. Er drehte sich nicht mehr um, auch dann nicht, als er bereits im Fahrstuhl stand. Mit einem Zischlaut ging die Aufzugstür hinter ihm zu. Das einzige was zurückblieb, war sein schwerer süßer Parfümduft der im Raum verharrte.
Jacobs Abgang erinnerte Nora an ein Theaterstück: … der Teufel, der sich auf Erden eine menschliche Regung erlaubt hatte, ist danach reumütig in den Hades zurückgekehrt, um sich seiner Bestrafung hinzugeben. Ein mulmiges Gefühl kroch in ihr hoch, hastig trank sie ihren Espresso. „Es ist besser wenn ich jetzt gehe“, sagte sie zu Clemens ohne ihn nochmals anzusehen, denn zu sehr schämte sie sich jetzt für ihr zärtliches Geflüster in der Nacht – wo er doch vielleicht anders war!
„Aber wir sehen uns wieder … ja … versprochen?“, bedrängte Clemens sie mit einem charmanten Lächeln, als ob er ihre Befürchtungen ahnen konnte.
Um unnötige, vielleicht auch peinliche Fragen zu vermeiden, nickte sie ihm nur stumm zu.
„Gibt es hier auch eine Treppe?“, fragte sie, „ich würde gerne die Treppe nehmen!“ Denn der eben emporgestiegene Gedanke – mit dem Aufzug in den Hades hinabzufahren – erschauderte sie.
„Ja, gleich neben dem Aufzug rechts! Und bis bald, Goldmündchen“, sagte er mit sichtlicher Freude über ihre Einwilligung.
Nachdem die Haustür hinter ihr ins Schloss gefallen war, legte sie den Kopf in den Nacken, erleichtert atmete sie zuerst einmal die frische und salzige Luft, die vom Meer herüberwehte, tief und bewusst ein. Wieso hatte sie nicht bemerkt, dass er anders ist? Sie schloss ihre Augen und ließ den Abend nochmals Revue passieren. – Nein, sein Verhalten war doch ganz normal! Nichts, aber auch gar nichts war andersartig an ihm und an den gemeinsamen Gesprächen. Nachsinnierend an die beiden Herren schweifte ihr Blick zum Horizont, um sich dann in der Endlosigkeit zu verlieren. Ja, auch wenn sie ihr kleines Wortgeplänkel zwar äußerst anregend fand, so blieben dennoch Zweifel zurück.
Im Laufe des Vormittags beschloss sie dann zur kleinen Felseninsel, nahe der Hafen-Einfahrt von Saint Helier, zu fahren. Auf ihr thronte die Elizabeth Castle, eine der eindrucksvollsten Burgen der Channel Islands, die nur bei Ebbe und mit dem Shuttletransfer zu erreichen war. Während ihrem Besichtigungsausflug zur Insel dachte sie nochmals über Clemens und Jacob nach. Sollte sie sich in Clemens wirklich so getäuscht haben? Jedenfalls vermittelte er nicht den Eindruck anders zu sein, ja, anders – das Wort schwul mochte sie nicht, es ließ keine Ausweichmöglichkeiten mehr zu.
Kurze Zeit später schlenderte sie gedankenverloren hinter der Besuchergruppe durch die Burg, doch irgendwann muss sie wohl die Gruppe, in einen der vielen Räume verloren haben. Sie schlenderte zurück zum Ausgang und sah wie der Shuttletransfer bereits auf der Rückfahrt war – die Flut war hereingebrochen. „Shit! Shit! Shit! Was nun?“, kam es fluchend über ihre Lippen. „Tja, dann wirst du wohl oder übel für einige Stunden hier festsitzen“, seufzte sie. Und so setzte sie sich auf einen Felsvorsprung und ließ die Umgebung erst einmal auf sich einwirken, und wenn sie nun genauer darüber nachdachte, so war es geschenkte Zeit, Zeit um über alles und in aller Ruhe nachzudenken. Oh ja, und die benötigte sie in ihrer jetzigen Situation. Ein schwarzer Rabe war zwischenzeitlich gleich neben ihr auf der Kaimauer gelandet. Langsam breitete er seine Schwingen aus, dann verharrte er in dieser Position. Ganz offensichtlich war es eine Art Drohgebärde, dachte sie. Auch bei den Möwen schien die Hölle los zu sein. Ein großer Schwarm war vom Meer hereingebrochen und besetzte einen großen Teil der Burg; wildes Geschrei und wütendes Geplapper aufeinandertreffender Schnäbel wirkten ebenfalls bedrohlich. Sie dachte mit Entsetzen an Die Vögel von Alfred Hitchcock. Warum nur diese Aufruhr? Ach, mit Sicherheit war Paarungszeit, versuchte sie selbst das Verhalten der Vögel mit einem Lächeln zu erklären. Etwas verunsichert beobachtete sie das Geschehen, im nächsten Moment fiel ihr Blick auf einen ganz in schwarz gekleideten Mann, der vor dem geschlossenen Eingangstor zur Burg stand. War das etwa Jacob? Aber was macht er hier? In langsamen Schritten kam er auf sie zu. Plötzlich, in der Hälfte des Weges, blieb er stehen. Nun konnte sie ihn erkennen. Ja, es war Jacob! Und so unvermittelt wie er stehengeblieben war, setzte er seinen Weg auch wieder fort. Seine Schritte ähnelten nun einem Seiltänzer, seine Arme waren ausgebreitet und der Wind wirbelte seinen schwarzen offenstehenden Mantel angsteinflößend nach hinten. Seine ganze Erscheinung wirkte in ähnlicher Weise wie die Drohgebärde des Rabens. Dann stand er vor ihr. Seine Augen waren noch stärker mit schwarzem Kajal umrandet als am Morgen, seine Haare waren mit Pomade straff nach hinten frisiert und ein seltsames Lächeln lag in seinem totenblassen Gesicht. Ein Anblick der sie erschauderte.
„Ich … ich …“, stotterte er, „ich wollte mich in die Tiefe stürzen, aber ich war zu feige mich dem Tod in die Arme zu werfen.“ Ein krankhaftes Lachen schüttelte seinen Körper bevor er dann zusammenbrach und er bitterlich zu weinen anfing.
Unbeholfen stand Nora vor diesem bedauernswerten Geschöpf das sich nicht mehr der Worte bedienen konnte, sondern nur noch in der Lage war zu weinen. Unfähig etwas zu sagen blickte sie sich erst einmal hilfesuchend um, doch sie waren sie die Einzigen hier. Verzweifelt suchte sie in ihrer Handtasche nach ihrem Handy um Clemens anzurufen – nichts! Immer, wenn man dieses blöde Ding braucht, ist es nicht da, schoss es ihr durch den Kopf. Kurz überlegte sie wie sie ihn trösten könnte, aber wie tröstet man einen Fremden von dem sie nur wusste, dass er anders war und um einen geliebten Menschen trauerte. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend setzte sie sich neben ihn, tröstend legte sie ihren Arm um seinen vor Kummer gebeugten Rücken. Allein schon ihre Berührung war für ihn Anlass genug, Schutz in ihren Armen zu suchen. Erschrocken von dem kalten fremden Körper saß Nora zuerst einmal irritiert und handlungsunfähig da. Großer Gott, was nun? Nach einigen Sekunden fing sie schließlich an, ihn, wie ein schutzbedürftiges Kind, in ihren Armen zu wiegen – irgendwann war er still. Auch sie gab sich, mehr aus Unbeholfenheit als aus Absicht, der Stille hin. Es muss wohl so nach einer Stunde etwa gewesen sein, als er schließlich aus seiner Lethargie erwachte und sich zeitlupenähnlich aus ihren Armen löste. Der von den Tränen aufgelöste Kajal überzog nun schwarz seine Wangen und zeichnete sein Gesicht zu einer furchterregenden Maske – er schien nicht mehr von dieser Welt zu sein! Oh mein Gott, wie deprimierend das auf sie wirkte – auf sie – der sie doch selbst mit einem tragischen Ereignis zu kämpfen hatte. Der Anblick war so unerträglich, dass sie ein Taschentuch hervorziehen musste, um ihn von seinem elenden Aussehen zu befreien. Ganz allmählich fand er wieder in die reale Welt zurück, er richtete sich auf und während sein Blick in die Ferne schweifte, fing er zögerlich und mit gebrochener Stimme zu reden an …