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IV. Der gute und der jähe Tod – im Mittelalter
Die Redeweise vom guten Tod taucht explizit im späten Mittelalter auf, und zwar in konkreter Abgrenzung zum schlechten Tod. Der gute Tod – bona mors – steht dem schlimmen Tod – mala mors – gegenüber. Eindeutig definiert ist der gute Tod als solcher, der bewusst und vorbereitet erlebt wird, und das heißt wiederum, dass der Sterbende versehen mit den Sterbesakramenten aus dem Leben scheidet. Wer einen guten Tod stirbt, hat das Bußsakrament, die letzte Ölung und die Eucharistie empfangen, wodurch ihm seine Sünden vergeben sind. Im Bewusstsein, nach dem Tod vor das göttliche Gericht treten zu müssen, wollte man sich der Heilsmittel der Kirche bedienen. Im Umkehrschluss bedeutete dies, dass der schlechte Tod jener war, der plötzlich und unvorbereitet eintrat. Andere Kriterien für den guten bzw. schlechten Tod kannte das Mittelalter nicht. Gefürchtet waren demnach vor allem Unglücksfälle mit tödlichem Ausgang, oder es herrschte die Angst, einem Verbrechen zum Opfer zu fallen. Möglicherweise hat die Pest ihren Anteil an dieser Ausprägung des Todesverständnisses. Seit 1347 überzog sie in mehreren Wellen ganz Europa und hinterließ vielerorts chaotische Verhältnisse, in denen weder eine medizinische noch eine seelsorgerliche Versorgung der Erkrankten möglich war. Und sie starben ohne priesterlichen Beistand einen schlimmen Tod. Die Sorge um den jähen Tod war außerdem durch eine theologische Entwicklung gesteigert worden, die das Seelenheil ganz vom Verhalten in der Sterbestunde abhängig machte. Nur wer hier geistlichen Beistand erfuhr, durfte auf ein gnädiges Gericht hoffen.
ars moriendi – die Kunst zu sterben
Eine Unterweisung im rechten Sterben bot die im 15. Jahrhundert entstandene Gattung von Erbauungsschriften, die unter dem Namen ars moriendi bekannt ist – die Kunst des Sterbens. Solche Sterbehandbücher waren zunächst für die Seelsorger gedacht, erfuhren jedoch vor allem durch ihre Bebilderung eine populäre Verbreitung. Die Illustrationen stellen den Sterbenden in jeweils antithetischen Bildpaaren gegenüber, einmal umringt von Teufeln und Dämonen, die versuchen, ihn vom Glauben abzubringen, das andere Mal umsorgt von Engeln, Heiligen und der Gottesmutter, die ihn unter Verweis auf den erlösenden Tod Jesu am Kreuz im Glauben bestärken wollen. Die Kunst des Sterbens bestand also darin, den Versuchungen der bösen Geister zu widerstehen und den Glauben zu bewahren.
Doch konnte man sich dieses Beistandes angesichts der Möglichkeit eines unvorbereiteten Todes nicht sicher sein, und aus der Sorge vor einem jähen Tod schuf sich der Volksglaube Abwehrstrategien gegen den schlimmen Tod. Schon um 1300 wurden in Predigten die Segnungen der Messfeier beschrieben: „Wer den Leib des Herrn in der Messe gesehen, wird an diesem Tag weder der notwendigen Nahrung entbehren, noch wird er das Augenlicht verlieren oder ihn gar der Tod treffen, und sollte er doch plötzlich sterben, so gilt er von Gott mit den Gnaden des Sakraments versehen.“11 Daraus entwickelte sich der Brauch, täglich in die Kirche zu laufen, um zumindest einen kurzen Blick auf die in einer Monstranz auf dem Altar ausgesetzte Hostie zu werfen, und diese Augenkommunion wurde gewissermaßen zum Garant, an diesem Tag keinen jähen Tod erleiden zu müssen.
Der heilige Christophorus bewahrt vor dem jähen Tod
Eine wichtige Rolle im Volksglauben spielte auch der heilige Christophorus. Ein Blick auf seine Gestalt sollte ebenfalls vor dem jähen Tod bewahren. Vermutlich hängt dieser Volksglaube eng mit der eben geschilderten Augenkommunion zusammen, denn der Heilige trägt Christus in bzw. auf sich. Daraus sind die an vielen Kirchen oder Kirchtürmen gemalten, weit überlebensgroßen Darstellungen des Heiligen abzuleiten. Nicht selten erreichen sie eine Höhe von fünf, sechs Metern und waren aufgrund ihrer Größe weithin sichtbar. Durch seinen Anblick glaubte man sich für diesen Tag vor dem jähen Tod geschützt.12
Vermutlich reicht diese Hinwendung zum Heiligen schon ins 12. Jahrhundert zurück, nachweislich erscheint er in der Funktion des Patrons wider den jähen Tod auf einem Holzschnitt, dem sog. Buxheimer Christophorus, dessen holprige lateinische Beischrift ausdrückt, dass sein täglicher Anblick vor dem bösen Tod (mala mors) schützt. „Cristofori faciem die quacumque tueris, Illa nempe die morte mala non morieris. Millesimo CCCC XX tertio“ – Betrachtest du das Antlitz des Christophorus an diesem Tag, so wirst du an jenem Tag fürwahr den bösen Tod nicht sterben. 1423. Dieser Holzschnitt stammt aus dem Allgäuer Kartäuserkloster Buxheim bei Memmingen und ist auf 1423 datiert.13 Ähnliche Christophorus-Drucke sind etwa fünfzig bekannt, sie waren also eine weit verbreitete Massenware. Man trug sie bei sich, um sich sein Bild ständig vergegenwärtigen zu können. Reisende schufen sich einen billigen Tragaltar, indem sie Blätter mit dem Heiligenbild auf die Innendeckel ihrer Truhen hefteten. Aber Christophorus hielt auch Einzug in die Häuser und Wohnstuben, die seit dem 15. Jahrhundert zunehmend mit Bildern für die private Frömmigkeit ausgestattet wurden.14
Freilich wollten alle diese Vorkehrungen das Gebet um eine gute Sterbestunde nicht ersetzen, und so betete man für einen guten Tod. Im Wissen darum, dass man diese Gebete aus Nachlässigkeit, Vergesslichkeit oder welchen Gründen auch immer auch versäumen konnte, konnte man derartige Gebetsanliegen einer entsprechenden Bruderschaft anvertrauen. Im breiten Spektrum solcher Gebetsgemeinschaften, bei denen das Totengedenken immer gepflegt wurde, entstanden seit dem 15. Jahrhundert besondere Gut-Tod-Bruderschaften, welche die Bruderschaftsmitglieder in ihre Fürbitten um einen guten Tod aufnahmen.
Wie sehr sich die Betrachtungsweise geändert hat, zeigt der Funktionswandel des Heiligen, der den Autofahrern der Nachkriegszeit zu einem beliebten Amulett geworden war. Als Aufkleber oder Metallplakette prangte Christophorus am Armaturenbrett und sollte Fahrer und Insassen vor einem Unfall bewahren – nicht jedoch vor dem jähen Tod in seinem ursprünglichen Sinn. Er sollte vielmehr vor Verletzung oder schlimmeren Unbill generell bewahren. Gott schütze dich oder Komm heil an lauteten deshalb auch die Aufschriften. Heute ist er eher selten zu finden, denn die Fahrer moderner Kraftwagen vertrauen lieber auf EPS, ABS, Airbag oder andere technische Fahrassistenten. Der Funktion, er sei Retter und Bewahrer, ist auch die Namensgebung der Rettungshubschrauber geschuldet, die den Namen Christophorus tragen. Eher erinnert an die Sorge vor dem jähen Tod der SOS-Aufkleber, der seit den 1950er-Jahren im Falle eines schweren Unfalls den Beistand eines Geistlichen erbittet: Ich bitte bei schwerem Unfall und Lebensgefahr um Ihre Hilfe und Ihren Beistand. Beten Sie mit mir und, wenn möglich, rufen Sie auch einen Seelsorger. Wer auf seinem Kraftfahrzeug die SOS-Plakette angebracht hat oder diese sichtbar bei sich trägt, lässt erkennen, dass er bei Lebensgefahr oder Tod nach einem katholischen Priester verlangt. Aber auch diese Aufkleber sind selten geworden, wenngleich sie heute immer noch vertrieben werden.
Noch radikaler zeigt sich der Mentalitätswandel jedoch darin, dass die Mehrheit der Deutschen einen raschen und plötzlichen Tod wünscht. Exemplarisch sei der Refrain aus einem Lied von Reinhard Mey zitiert, in dem er sein Ende bedenkt, Wenn’s wirklich gar nicht anders geht:
Ich möcht’ im Stehen sterben. Wie ein Baum, den man fällt, Eine Ähre im Feld, Möcht’ ich im Stehen sterben.
In einer Emnid-Umfrage im Auftrag der Deutschen Hospiz-Stiftung äußerten sich mehr als 60 % der Befragten in diesem Sinne. Ein Viertel gab an, sich darüber noch keine Gedanken gemacht zu haben, und lediglich 12 bzw. 14 % gaben an, einen begleiteten bzw. bewussten Tod vorziehen zu wollen.15 Die Wirklichkeit ist allerdings anders, denn 95 % sterben an Krankheiten, und der Sterbeprozess verläuft über Tage, Wochen, Monate oder sogar Jahre. Gerade die Furcht vor einem langen Siechtum, vor unwürdigen Umständen des Leidens und Sterbens hat die Angst vor dem unvorbereiteten Tod in Sünde verdrängt. Gleichwohl weiß man nicht, was in den Angehörigen vorgeht, wenn sie über die Todesanzeige setzen: plötzlich und unerwartet. Man wird unterscheiden müssen, ob die Frage nach dem guten Tod aus der Sicht des Betroffenen oder der Angehörigen gestellt wird. Mag aus der Perspektive des Betroffenen der plötzliche Tod erbarmungsvoller erscheinen als eine lange Leidenszeit, so kann ein unerwarteter Tod für die Angehörigen wie ein Schock wirken.
Jesus, Maria und Josef
Die Pest mag im ausgehenden Mittelalter einer der Auslöser der Angst vor dem jähen Tod gewesen sein, doch es kam noch eine weitere Entwicklung dazu, durch die die Angst vor dem Tod geschürt und das Verlangen nach einem Beistand im Sterben befördert wurde. Die Vorstellung vom Fegefeuer als einem Reinigungsort der abgeschiedenen Seelen gab es zwar schon vereinzelt in der Alten Kirche, doch erst ab dem 12. Jahrhundert begann es das volkstümliche Denken zu beherrschen. Es hat fast den Anschein, als wäre die Furcht vor dem Fegefeuer größer gewesen als vor der ewigen Verdammnis. Im allgemeinen Denken scheinen sich Fegefeuer und Hölle überlappt zu haben. Zugleich verbreitete die Kirche die Lehre, man könne durch verschiedene fromme Vorkehrungen die Zeit der Qualen im Fegefeuer abkürzen. Ein Weg war, sich im Sterben des Beistandes Christi und seiner Heiligen zu versichern, und an erster Stelle stand die Gottesmutter, deren Fürsprache sich der Mensch im Tode anvertraute. Es kommt nicht von ungefähr, dass das bereits seit dem 11. Jahrhundert geläufige Ave Maria genannte Mariengebet im 13. Jahrhundert um die Bitte des Beistandes in der Todesstunde erweitert wurde: „Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes.“
Der heiligen Mechthild von Hackeborn (1241–1299), einer großen Mystikerin aus dem Kloster Helfta bei Eisleben, gab Maria für das tägliche Beten von drei Ave Maria das folgende Versprechen: „Ich werde dir in der Todesstunde beistehen, dich trösten und alle Macht des Teufels von dir fernhalten. Ich werde dir das Licht des Glaubens und der Erkenntnis eingießen, damit dein Glaube nicht durch Unwissenheit oder Irrtum versucht werde. Ich werde dir in der Stunde des Hinscheidens nahe sein und in deine Seele die Wonne der göttlichen Liebe überströmen lassen, damit kraft ihrer Übermacht alle Todespein und Bitterkeit durch Liebe sich in Glückseligkeit wandle.“ Überliefert ist diese Verheißung im Buch der besonderen Gnade16, das zu Beginn des 14. Jahrhunderts rasch eine weite Verbreitung gefunden hatte. So ist verständlich, dass sich die Jungfrau Maria zur vorzüglichsten Sterbepatronin entwickelte, der die Menschen ihre Bitte um einen guten Tod anvertrauten. Inwieweit diese Verheißung Mariens nicht nur der Linderung der seelischen, sondern auch der körperlichen Todespein gilt, lässt sich aus diesem Text freilich nur schwer erheben.
Gleich neben Maria nimmt Josef, der Nährvater Jesu, den Rang des vorzüglichsten Sterbepatrons ein, zu dem man in Todesnöten Zuflucht nimmt. Zwar erzählt das Evangelium nichts von seinem Tod, aber in der Überlieferung wird ihm zugeschrieben, ihm sei die Gnade zuteil geworden, im Beisein von Christus und Maria sterben zu dürfen. Hatte Josef ihren Beistand erfahren, so konnte er seinerseits zum Patron der Sterbenden werden, wie es ausdrücklich im Katholischen Katechismus (Nr. 1014) dem Gläubigen anempfohlen wird, sich auch an Josef zu wenden: „Die Kirche ermutigt uns, uns auf die Stunde des Todes vorzubereiten, die Gottesmutter zu bitten, in der Stunde unseres Todes für uns einzutreten, und uns dem hl. Josef, dem Patron der Sterbenden, anzuvertrauen.“ Vor allem in der Barockzeit wurde der Tod des heiligen Josef zu einem beliebten und verbreiteten Bildmotiv. Christus und Maria stehen an seinem Sterbebett und trösten ihn. Als Zeichen des Trostes und der himmlischen Verheißung hält Josef die Sterbekerze in den Händen.
Somit bilden Jesus, Maria und Josef die Trias der wichtigsten Sterbepatrone, und ihre gleichzeitige Anrufung geschah in höchster Todesnot. Das muss in Zeiten, als die Todesgefahr durch die verschiedensten Umstände größer war als heute, sehr häufig geschehen sein – so häufig, dass sich der zumal im Süddeutschen zu Jesses, Maria und Josef mutierte Schreckensruf bald auch in weniger dramatischen Lebenslagen fand. Schon bei Kleinigkeiten entfuhr den Menschen dieses kurze Stoßgebet und zeigt, wie volkstümlich diese Trias geworden war. Außerdem konnten die Namenspatrone oder die Zunftheiligen in Sterbensnöten angerufen werden. Alle Schutzheiligen, die sich die Zünfte oder Berufsgruppen erwählt hatten, konnten als Sterbepatrone angerufen werden, etwa die heilige Barbara bei den besonders gefährdeten Bergleuten. Es gab noch keinen Sanitäter oder Notarzt, den man hätte rufen können, um das Leben zu retten; stattdessen vertraute man sich den Mittlern zwischen Himmel und Erde an, damit, wenn schon nicht das Leben, dann wenigstens die Seele gerettet würde.
Seelgeräte
Bildeten das Gebet und die Anrufung der Sterbepatrone den spirituellen Teil der Vorsorge für einen guten Tod, so konnte man das Seelenheil zusätzlich durch gute Werke und materielle Leistungen absichern. Die Kirche bot dem Menschen an, sich auf verschiedenen Wegen einen Schatz im Himmel anzulegen, der dann gegen die zeitlichen Strafen im Fegefeuer aufgewogen wurde. Die Summe dieser Vorsorgemöglichkeiten bezeichnet man als Seelgerät. Die Vorstellung, man könne irdische und vergängliche Dinge in himmlische und ewige Güter verwandeln, führte im Alltag zum Almosengeben, nährte aber auch den Entschluss, der Kirche zu Lebzeiten oder posthum Teile des eigenen Vermögens zu vermachen. Daraus resultierten kleinere, größere und umfassende Stiftungen zugunsten von Kirchen und Klöstern. Die damit verbundene Vergewisserung, Sterben und Tod letztlich zu einem guten Ende führen zu können, war eine ungeheure Motivation, sich von irdischem Reichtum zumindest in Teilen zu trennen. Daraus bestritten kirchliche Institutionen ihre Aufgaben, häuften damit selbst Reichtum an, leisteten damit aber auch ihren seelsorgerlichen Beitrag zur Besänftigung der Angst vor dem Tod.
Theologisch gesehen, konnten all diese Seelgeräte zwar nur die zeitlichen Strafen im Fegefeuer verkürzen helfen, doch in der Volksfrömmigkeit hatten sich Fegefeuer- und Höllenstrafen miteinander verquickt. Man hegte durchaus die Vorstellung, durch materielle Leistungen auch der ewigen Verdammnis entgehen zu können. Deshalb waren auch die Ablassprediger so erfolgreich, die selbst gegen kleines Geld wahrhaftige Erlösung versprachen. Ihr berühmtester und erfolgreichster Vertreter seiner Zunft, der Dominikanermönch Johann Tetzel, hatte mit seiner Parole Sobald der Gülden im Becken klingt im huy die Seel im Himmel springt überaus großen Zulauf. Selbst die Armen waren bereit, sich zugunsten ihres Seelenheiles von einem Groschen zu trennen. Immerhin hatte der Ablasshandel sogar die Möglichkeit eröffnet, etwas für das Seelenheil der bereits Verstorbenen zu tun: Wenn ihr mir euer Geld gebt, dann werden eure toten Verwandten auch nicht mehr in der Hölle schmoren, sondern in den Himmel kommen, soll Tetzel marktschreierisch verkündet haben. Den Menschen war es recht, denn die Angst vor dem Tod und vor allem vor dem, was danach kommt, war groß. Zugunsten ihrer Verstorbenen bezahlten sie Seelenmessen und sorgten durch Messstiftungen zu Lebzeiten dafür, dass auch für sie selbst nach ihrem Tod Seelenmessen gelesen wurden.
Unverkennbar verfolgten die Stiftungen neben ihrem religiösen Charakter die profane, innerweltliche Absicht, das Gedächtnis an die Person über den Tod hinaus zu bewahren. In vielen Kirchen bestand die gesamte Ausstattung vom Abendmahlkelch bis zum Altar aus gestifteten Objekten, die mit dem Hinweis auf den Namen des großzügigen Spenders versehen waren. Selbst Türen und Fenster waren oftmals fromme Gaben. Sie dienten der Bewahrung vor dem sozialen Tod und legten die Grundlage für ein fortdauerndes Gedenken. Diese Entwicklung ist seit dem Ausgang des Mittelalters zu beobachten und schlug sich auch in der Gestaltung und Beschriftung von Grabsteinen nieder. Zu einem üblichen Motiv der Vorsorge für die Zeit nach dem Tod wurden die Stiftungen seit der Mitte des 16. Jahrhunderts, nachdem durch die Reformation die Hoffnung zunichte gemacht worden war, man könne durch Geld und Testament sein Seelenheil sichern. An die Stelle einer religiös motivierten Vorsorge war der Wunsch nach einer innerweltlichen memoria getreten. Der Wunsch, nicht umsonst gelebt zu haben, hatte alle erfasst, die zu Lebzeiten eine gewisse soziale Stellung in der Gesellschaft eingenommen hatten.17 Es ist die Zeit der Renaissance, in der sich der Mensch als Individuum begreift und beginnt, die Spanne seines Lebens für einmalig und erinnerungswürdig zu halten. Die Hoffnung auf das Leben nach dem Tod genügte nicht mehr, und man wollte festhalten, was eigentlich vergänglich ist. Ein Lebenswerk geschaffen und vollendet zu haben besaß einen tröstlichen Aspekt.
Die Epoche hat begonnen, in der die Sorge um einen guten Tod sich nicht mehr auf das Seelenheil allein fokussierte, sondern auch das Leben in den Blick nahm. Es konnte doch nicht sein, dass alles vergebens war, denn die irdische Existenz hatte einen eigenen Wert angenommen. Es sollte doch etwas bleiben von der Spur des Lebens. Seit dieser Zeit wächst allein die Zahl der Namen, die erinnert werden, verbunden mit Grabsteinen, Stiftungen und schließlich Straßennamen und Nachschlagewerken. Nur der ist wirklich tot, der vergessen ist. Oder er lebt zumindest im Herzen seiner Lieben fort. Sang- und klanglos von der Welt zu verschwinden stand als neue Sorge vor dem Tod im Raum.
V. Der sanfte und der selige Tod – Gedanken der Reformation
Mit der Reformation hatte sich viel verändert, aber nicht alles. Aus theologischen Gründen hatte man zwar die Bedeutung der Sterbestunde für das Seelenheil drastisch reduziert, ihr aber weiterhin große Aufmerksamkeit gewidmet. In der Literaturgattung der Leichenpredigten, die zwischen 1550 und 1750 ihre größte Blüte vor allem im lutherischen Raum erlebte, nahm neben der Leichenpredigt und der Abhandlung des Lebenslaufes des Verstorbenen die Schilderung seines Sterbens einen breiten Raum ein. Idealerweise konnte davon berichtet werden, dass der Sterbende im größten Gottvertrauen sanft entschlief.18 Konkret wird beschrieben, dass sich seine Glieder nicht verkrampften und ebenso sich seine Augen nicht verdrehten, er nicht klagte und keine Angst äußerte, sondern stattdessen betend und fromme Lieder singend seine Augen schloss. Solch sanftes Sterben galt gewissermaßen als Beleg dafür, dass dieser Mensch ein gottgefälliges Leben geführt hat und deshalb mit größter Zuversicht seinem Richter entgegentreten konnte. Vermutlich entstand dieser Topos auch deshalb, um gegenüber den Katholiken zu verdeutlichen, dass man auch als Protestant auf ein seliges Ende vertrauen konnte. Daraus kann man schließen, dass aus reformatorischer Sicht ein guter Tod darin gesehen wurde, sanft und ohne Qual sterben zu dürfen, weil man sein Leben auf Gott und die verheißene Gnade in Jesus Christus ausgerichtet hatte.
Freilich wird man nicht annehmen dürfen, dass der solcherart beschriebene gute Tod der Regelfall war. Man wird angesichts der medizinischen Möglichkeiten dieser Zeit eher vermuten müssen, dass Sterben viele Facetten hatte, dass es leichten und schweren Tod, langsames und rasches Sterben gab. Interessant ist jedoch, dass die Inanspruchnahme ärztlichen Beistandes nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten war. Zumindest in den gehobenen Schichten, die sich allein den Druck solcher Leichenpredigten leisten konnten, wurden Arzt und Medikamente reichlich in Anspruch genommen. Das war auch theologisch begründet, denn dem Menschen war es nicht erlaubt, den Tod durch Unterlassung ärztlichen Beistandes herbeizuführen; er musste alles daran setzen, das Leben zu erhalten. So wenig man als frommer Christ den Tod herbeisehnen wollte, um endlich bei Christus zu sein, „so wenig dürfe man den Tod selbst herbeiführen helfen und seinen Zeitpunkt festsetzen“. Galt also schon die Verweigerung medizinischer Hilfe als unchristlich, so wäre erst recht eine bewusste Sterbehilfe abzulehnen, die es so allerdings damals noch gar nicht gab.
Verallgemeinernd kann man sagen, dass ein vorbereiteter Tod mit einer sanften Sterbephase als Ideal galt. Gleichwohl gab es eine veränderte Einstellung gegenüber dem jähen Tod, den die katholischen Glaubensgenossen so fürchteten. Der jähe Tod bedeutete nur noch für den Ungläubigen ein schlimmes Ende, weil er keine Gelegenheit mehr fand, sich zu bekehren. Für den Frommen jedoch, der ohnehin im Glauben lebte, konnte der Tod kommen, wann immer er wollte: „Ein schneller gäher Todt ist wol erschröcklich dem Gottlosen, so in seinen Sünden ergriffen wirdt, Den frommen ist es ein gnediger Tod, dann derselbig ist gerüst, willig und bereyt, es komb Gott, wann er wöll“, heißt es in einer Leichenpredigt.
Schildern demnach die Leichenpredigten einen sanften Tod, so müssen sie als eine verklärte Sichtweise eingestuft werden. Neben der Funktion, den Angehörigen Trost zu spenden, die ihren Heimgegangenen nun in der göttlichen Obhut wähnen durften, verfolgten sie zudem eine pädagogische Absicht. „Leichenpredigten waren in erster Linie eine Form der Erbauungsliteratur, dazu bestimmt, am Beispiel des oder der Verstorbenen das rechte christliche Sterben zu lehren.“ Damit stehen die Leichenpredigten durchaus in der Tradition der mittel- und spätmittelalterlichen Sterbeliteratur, zu der auch die ars moriendi gehörte. Einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Sterbeschilderungen innerhalb der gedruckten Leichenpredigten hat die von Justus Jonas verfasste Beschreibung des Sterbens Martin Luthers ausgeübt, die der Freund des Reformators unmittelbar nach dessen Tod verfasst hat. Luther ist krank. Am vorletzten Tag seines Lebens, so erzählt Jonas, hört man aus der Kammer des Reformators Gebete. Abends nahm er noch am Abendessen teil, habe trotz Beschwerden gut gegessen und sei fröhlich gewesen. Als er sich dann schlafen legte, habe er mit den Worten aus Psalm 31 erneut gebetet: „In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott.“ Als Luther kurz nach Mitternacht unter Schmerzen wieder aufwacht, rechnet er nüchtern mit seinem baldigen Tod. Nun verlangte er nach dem Stadtschreiber, den beiden Ärzten der Stadt und Graf Albrecht mit seiner arzneikundigen Frau. Er schwebt nun zwischen Leben und Tod, wobei man ihm mit warmen Tüchern und durch das Einreiben mit Rosenöl und Aquavit Linderung verschafft. Schließlich wird er von Justus Jonas gefragt, ob er auf den Namen Christi sterben und dessen Lehre bekennen wolle, worauf Luther mit einem einfachen Ja antwortete. Darauf schlief Luther friedlich ein. Luthers Sterben geriet zu einem exemplarischen Sterben, und die wichtigsten Stationen finden sich in vielen Leichenpredigten.
Ist ein Mensch schwer erkrankt, so bedenkt er zwar seinen möglichen Tod, doch zunächst wird die ärztliche Kunst bemüht, um sein Leben zu erhalten. Zeichnet sich jedoch ab, dass sich die Krankheit deutlich verschlechtert, so fällt es dem Menschen nicht schwer, sich auf den Tod vorzubereiten. Er ordnet seine weltlichen Dinge, um sich dann von ihnen abzuwenden. Er verlangt nach einem Geistlichen, beichtet seine Sünden, verlangt nach der Absolution und wünscht das Abendmahl zu nehmen. Wenn er allen, die ihm etwas schuldig sind, vergeben und seinerseits Vergebung erfahren hat, so verabschiedet er sich von seinen Angehörigen und Freunden. Er verbringt die Zeit mit Beten, Singen und dem Lesen erbaulicher Schriften. Auftretende Schmerzen erträgt er geduldig und bekennt, dass er unverbrüchlich an seinem Glauben festhält und dass er sich nun danach sehnt, diese Welt gegen das himmlische Leben einzutauschen, um schließlich sanft zu entschlafen.
Bis zum Ende der Blütezeit der Leichenpredigten um 1750 blieb das sanfte, von schweren körperlichen Beeinträchtigungen verschonte Sterben ein entscheidendes Kriterium für den guten Tod. „Die Formeln vom Tod, der sanft und selig, sanft und still usw. eintritt, sind meist unmittelbar verbunden mit vielfältig variierten, toposartigen Aussagen darüber, dass im Moment des Sterbens keine noch so kleine äußere Veränderung zu bemerken war“, resümiert Werner Friedrich Kümmel in seiner Analyse von mehr als 3000 ausgewerteten Leichenpredigten. Ein leidloser Tod erscheint als idealtypisches Sterben des frommen Menschen. Erst nach der Mitte des 18. Jahrhunderts scheint sich die Beurteilung des Sterbens vom rein körperlichen Aspekt hin zur friedlichen Seelenstimmung zu verschieben. Nun werden zunehmend ein verklärter Gesichtsausdruck bzw. eine fröhliche Miene zum Indikator für ein gutes Sterben.
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