Читать книгу: «Eringus, der Drache vom Kinzigtal», страница 7
* * * * *
Das Kaninchen wird noch einige Male hin und her gewendet, während Magda versucht, sich ihrer Gefühle klar zu werden. Dann enden ihre Überlegungen praktisch: Das ist das Essen. Nun braucht sie noch Kleider. Es bleibt nichts anderes übrig, als weiter zu jagen. Mit einer Schnur aus dem Flickzeug für die Netze hängt sie ihre Beute an einen Baum auf der Grenze zwischen der Wiese und einem Acker. Sie stellt die Kiste wieder auf das Loch und kontrolliert, dass die anderen Ausgänge nach wie vor verschlossen sind. Dabei klopft sie auch gleich mal mit ihrem Stock auf den Boden, um eventuell dahinter lauernde Nager in die gewünschte Richtung zu treiben. So verbringt sie den Tag mal vor, mal hinter der Hecke und gegen Abend haben sich wirklich noch drei weitere Karnickel erbeuten lassen. Beim Halsumdrehen stellt Magda an sich den Anflug einer Gewohnheit fest. Man stumpft ab.
Jetzt sinkt die Sonne im Westen und Magda wandert mit den Kaninchen zur Dorfmitte. Sie will Linda ihre Beute zeigen und bereden, wie es nun weiter gehen soll. Kochen hat sie noch nicht recht gelernt. Ihre Arbeitskraft auf dem Feld und beim Vieh hüten war wichtiger gewesen, für den Onkel. Doch schon als sie den Fuß auf die Brücke setzt, brandet ihr großer Jubel von den Bänken her zu.
„Hurra! Bravo! Hoch die junge Jägerin!“, und was alles gerufen wird. Überrascht bleibt Magda stehen.
Eine strahlend lächelnde Linda kommt ihr entgegen. „Ich gratuliere, Magda. Mit so schnellem Erfolg habe ich nicht gerechnet. Komm, bück dich herab und lass dich drücken.“ Und kaum, dass sich Magda hingekniet hat, versucht die Frau des Dorfmeister, mit ihren kleinen kurzen Armen Magdas Hals zu umfassen. Es misslingt leicht, weswegen sie sich mit einem möglichst heftigen Schulterklopfen begnügt. Natürlich will auch Adalbert Eichenlaub dem nicht nachstehen und klopft seinerseits ganz heftigst auf die andere Schulter.
„Lass uns deinen Erfolg feiern, Magda.“, spricht er. „Hier neben uns am Baum ist Platz für dich.“ Und laut und unbestimmt in die Runde der kleinen Menschen ruft er: „Bringt Magda etwas zu trinken und bereitet die Kaninchen zum Braten vor. Heute ist ein Festtag und unsere große Freundin soll diesen Tag nie vergessen.“
Dafür bekommt er allerdings einen ordentlichen Rippenstoß von seiner Frau. Ist dies doch eigentlich ihre Sache, solches zu verkünden. Doch das breite Lächeln über alle Pausbacken Lindas zeigt, dass es diesmal nicht so ernst zu nehmen ist.
Was folgt, ist die erste Feier Magdas bei den Halblingen und tatsächlich hat sie diesen Tag auch nie vergessen.
Obwohl Midsommar erst vierzehn Tage vorbei ist dunkelt es schon, als Magda zu Eringus Höhle steigt. „Ich möchte dir auch gratulieren, Menschenkind Magda. Du hast die Prüfung bestanden. Sicher willst du dich jetzt ein wenig ausruhen, nach der Anstrengung.“
„Ich danke dir, Eringus und ganz im Gegenteil. Ich habe Gefallen gefunden am Lernen. Auch wenn ich dir eigentlich böse sein müsste, weil du mich so allein gelassen hast. Es macht Spaß Neues kennen zu lernen. Ich habe mich auch schon mit Linda besprochen, ich darf sie jetzt Linda nennen“, bekundet Magda voll stolz, „und bereits morgen werde ich bei den Fischern helfen und lernen. Und dann beim Kochen, Schneidern und alles was es gibt. Man muss viel können, um zu leben. Und bei den Bauern werde ich dann bestimmt auch verstehen wie das funktioniert, mit dieser Wirtschaft auf drei Feldern. Du kannst das nicht so gut erklären. Gute Nacht!“ Damit geht sie in die Höhle, kuschelt sich in ihre Grasmulde und schläft mehr als zufrieden ein.
Zurück bleibt ein erstaunter Drache, der im Geiste nur den Kopf schütteln kann. Solch eine Wendung der Ereignisse konnte auch er nicht erwarten.
Grafen unter sich
Während dessen ist auch außerhalb der Hecke das Leben weiter gegangen. Man erinnere sich daran, dass Graf Guntbert von Lanczengeseze in Begleitung zweier Knechte, einen Tag nach Magda und einen Tag vor seinem Sohn, die Motte zur Jagd verließ.
Nun, dies war ein Vorwand. Es fiel natürlich nicht auf, dass er jagen ging, war es doch sein Lieblingsvergnügen. Diesmal aber war sein Ziel sein Freund Buodo. Innerlich schalt er sich einen Narren und Feigling, der sich unter der Fuchtel seines Weibes duckte. Doch zunächst wollte er sich Gewissheit in Vielem verschaffen. War sein Verdacht unberechtigt, so brauchte er sich nicht zu entschuldigen und musste nicht das Gezänke der Gräfin erdulden. Fand sich aber Bestätigung, so gab es noch Gelegenheit genug, auf den Tisch zu schlagen und alle in die Schranken zu weisen. Er war der Herr und ihm musste man gehorchen. Dies würde dann auch für Weib und Kind gelten.
Mit zwei Knechten im Anhang wollte er aber nicht zu den Buodingern reiten. Am Ende hätten die armen Kerle seiner Frau unter Druck noch vorzeitig etwas verraten müssen. So war denn sein Plan, den beiden davon zu reiten, was er genau jetzt in die Tat umsetzt.
Um gar keinen Verdacht aufkommen zu lassen führt der Weg zurzeit ziemlich in westliche Richtung. Graf Guntbert erreicht gerade die Lichtung, die er sich für seinen Plan erwählt hatte. Seine Begleiter sind bestimmt drei Pferdelängen hinter ihm, denn der Weg ist hier so eng, dass nur hintereinander geritten werden kann. Leise sprechen die beiden miteinander.
„Der Hirsch!“, ruft Guntbert und treibt sein Pferd an. Quer über die Wiese fliegt der Hengst, der des Grafen ganzer Stolz ist. Kein anderes Tier in seinem Stall ist so schnell wie dieses. Bevor die Knechte begreifen, was soeben geschieht, hat der Graf schon fast den Weg in den Wald auf der anderen Seite der Lichtung erreicht. Eiligst versuchen die Begleiter hinterher zu kommen. Ein vergebliches Unterfangen, wie sie schnell feststellen müssen.
„Verdammt, wo ist der hin?“. Die Knechte haben die Stelle erreicht, an der sie den Grafen zuletzt gesehen haben.
„Ich habe keine Ahnung.“, lautet die Erwiderung. „Wir sollten dem Weg folgen. Ich denke nicht, dass wir den Herrn im Unterholz suchen müssen.“
„Er muss schon weit voraus sein. Ich kann nicht mal mehr Hufgetrappel hören. Wir sollten uns beeilen.“ Und das machen sie dann auch sogleich. Schnell ist von ihnen nichts mehr zu sehen und zu hören.
Als wieder alles ruhig ist, führt Guntbert sein Ross hinter einer dichten Heckengruppe hervor zurück auf den Weg, besteigt es und reitet dicht am Waldrand entlang; nun nach Norden, nach Buodingen. Auch wenn er nur wenig bekannte Schleichwege nutzt wird es bis zum Abend dauern, bis er bei seinem Freund ankommt. Sein Sohn, so weiß er, reitet immer den bequemen Weg und wird erst in zwei Tagen dort eintreffen. Genug Zeit für ihn.
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Während seines Rittes überlegt der Graf, wie er ungesehen seinen Freund Buodo sprechen könne. Falls er ihn überhaupt erreiche. Wenn die Nachrichten nicht gelogen waren, weilte Graf Buodo zurzeit beim König, irgendwo im Reich. Dann wäre aller Umstand umsonst. Wäre er aber zugegen, könnte er nicht einfach hinein stiefeln und Hallo sagen. Dies würden mit Sicherheit wiederum sein Sohn und dann auch seine Frau erfahren. Das sollte sobald aber nicht geschehen. Eventuell fände sich ein Bauer, den er dem Freunde schicken könne, damit man sich in der Nähe träfe. Doch jeder Plan Guntberts weist irgendeine Schwachstelle auf, die den Grafen ihn wieder verwerfen lässt.
Er ist tief in seinen Gedanken versunken und achtet nicht seines Weges. So wundert es nicht, dass der Graf im Sattel aufschreckt, als ihn eine Stimme anspricht.“
„Guntbert, mein Freund! Was macht Ihr hier? Man sagte mir, ihr wäret im Reiche der Boiern unterwegs.“ Es ist ein Mann im Alter Guntberts mit einer Glatze. Doch der Vollbart ist kräftig und dunkelbraun, fast schwarz. Er ist nicht ganz so groß wie der Graf, doch deutlich stärker um die Hüften. Seine graugrünen Augen strahlen Graf Guntbert unter wild buschigen Brauen an. Seine Füße stecken in roten Lederstiefeln, die bis zu den roten Wickelstrümpfen hoch reichen. Tunika und Mantel sind in verschiedenen Blautönen und herrlich bestickt. Ein prächtiger Metallknopf hält den Mantel.
„Buodo!“, so die freudige Erwiderung Guntberts. „Wie freue ich mich, dich zu sehen. So lange ist es her. Mit den Boiern habe ich nichts zu tun. Ich vernahm, du seiest des Öfteren mit dem König unterwegs.“
„Mitnichten, mein Freund. Wie käme ich dazu?“, antwortet Buodo. „Meine Frau sähe gerne, wenn unser Kontakt zum König besser wäre. Doch mich zieht es nicht so sehr dahin. Ich habe mich um meine Dörfer zu kümmern. Nicht alles will ich meinem Meier überlassen. Wo kämen wir denn dahin?“
Mit Erschrecken stellt Guntbert fest, dass er diesen Fehler begangen hat. Sein Meier wusste besser Bescheid, was in den Ländereien vor sich ging, als er selbst. Auch das würde sich wohl ändern. Mit zwiespältigem Gefühl vernahm Guntbert die Antwort seines Freundes. Also wurde er belogen. Das musste geklärt werden, darum fragte er: „Wann hast du denn den König letztmals gesehen?“
„Mich deucht, es war vor fast drei Jahren. Damals, als er drüben bei Franconovurd lagerte. Waren wir nicht gemeinsam dort?“
„Doch ja, ich erinnere mich.“ Graf Guntbert ist erschüttert. Lug und Trug um ihn herum. Das nun alles gilt es zu ergründen. So nimmt er sich ein Herz und spricht: „Buodo, ich habe ein Problem und hoffe auf deine Hilfe.“
Verwundert blickt der Freund zu Guntbert. „Sprich frei von der Seele. Wie werde ich meinem Freund nicht helfen. Was bedrückt dich?“
Mit einem Blick auf Buodos Gefolge antwortet Guntbert: „Nicht hier und nicht jetzt. Um ehrlich zu sein: Ich bin nicht hier. Verstehst du?“ Die letzten Worte wurden nur geflüstert.
„Noch nicht so ganz, doch sei versichert,“ und dabei dreht er sich zu seinen Knechten, „man wird dieses Treffen sicher schnell wieder vergessen haben.“ Dies sprach er mit deutlich warnendem Tonfall. „Wann willst du reden? Darf ich dich als Gast begrüßen?“
„Nein, nur nicht. Dann wäre ich auf offenem Wege in dein Haus gekommen. Ich will nicht gesehen werden. Zuhause glaubt man sicher, ich habe mich bei der Verfolgung eines Hirschs in fremdem Wald verirrt.“
„Dann nächtige in der Jagdhütte am Bach, keine Stunde Ritt von hier. Speis und Trank wird man dir bringen. Sobald es geht, werde ich dorthin kommen und wir können ungestört reden. Ich freue mich darauf. Schon viel zu lange ist es her, da wir zusammen saßen.“
„Ich dank dir sehr, Buodo. Auch ich freue mich. Als dann!“ Graf Guntbert treibt sein Pferd an und reitet in Richtung der Hütte davon. Buodo blickt ihm noch kurz hinterher, dann wendet er sich den Knechten nochmals zu: „Wer dies Treffen je erwähnt, wird reichlich mit Stockschlägen belohnt werden.“ Nun treibt er auch sein Ross an und reitet weiter nach Buodingen.
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Anderntags sitzen die beiden Männer vor der Hütte am Bach. Auf dem Tisch stehen die Reste eines ausgiebigen und reichlichen Mahles. Jeder hat einen großen Humpen Bier in Händen.
„Das sind ja fürchterliche Zustände, mein lieber Guntbert.“, stellt Buodo gerade fest. „Wie konnte es nur soweit kommen?“
„Das ist alles das Werk meines hinterlistigen Weibes.“, folgt die ernüchterte Antwort des Grafen. „Gelobt sei deine treue und ehrbare Frau. Dank ihr weiß ich nun, dass Hildgard unsere Treffen so lange verhindert hat. Doch glaube ich nicht einen Moment die Begründung, es sei unschicklich und dem neuen Glauben zuwider. Sie ist zwar oft mit dem Priester zusammen, doch habe ich sie noch niemals beten sehen. Und du sagst, ihr habt seit Monaten keinen Brief mehr von mir erhalten. Wie kann das gehen?“
„Machen wir uns nichts vor. Es ist zwischen uns kein Geheimnis, dass wir des Schreibens nicht mächtig sind. Also sagst du deinem Schreiberling den Brief an. Richtig?“
„Richtig. Der Priester schreibt für mich und ich setze dann mein Zeichen darunter. Dann gebe ich den Brief meinem Meier, ihn zu besorgen.“
„Dann steckt der Meier mit deiner Frau unter einer Decke. Hier kommt kaum ein Brief an. Vor langer Zeit lud ich dich zu einem Feste ein. Man schrieb zurück, du seiest gerade im Boierischen und verhindert.“
„Ewigkeiten ist es her, da ich bei den Boiern war. Und eine Einladung von dir erhielt ich auch nicht. Auf meine Einladung zum letzten Midsommerfest erhielt ich, angeblich von dir, die Antwort, du seist beim König und unabkömmlich.“
„Dein Sohn bestätigte mir sogar deine Abwesenheit, als ich danach fragte.“
„So steckt er also auch mit drunter, grad wie der Meier.“
„Und vielleicht sogar der Priester, der sicher meine Briefe liest und an deiner Statt beantwortet.“, ergänzt Buodo.
„Wohl möglich, mein Freund. Verflucht das Volk der Schreibkundigen, allesamt. Gelobt das offene Wort eines freien Mannes.“ Guntbert schaut sinnierend in seinen nur noch wenig gefüllten Humpen. Schließlich steht er auf und füllt ihn neu. „Was, wenn auch mein Weib der Schrift kundig wäre? Wozu sonst, wenn nicht in Glaubensangelegenheiten, gluckt sie mit dem Pfaffen?“
„Was willst du tun?“ Buodo tritt neben ihn ans Fass und füllt seinen Humpen auch.
„Ich werde sie alle zum Teufel jagen. Gleich, welche Entschuldigung sie auch nennen werden. Alles nur Lügen.“ Langsam zeigt das Bier Wirkung. Die Zungen werden schwerer.
„Hüte dich. Sie sind zu viert. Es möchte geschehen und man meuchelt dich. Man wird nur schwer Beweis führen können. Mir scheint, du bist in großer Gefahr. Auf wen kannst du dich noch verlassen in deiner Motte?“
Überrascht blickt Guntbert Buodo an. „Wie recht du hast. So habe ich das noch nicht bedacht. Muss ich nun wohl stets mit Waffen am Bette ruhen.“
„Solange niemand ahnt, dass du die Schliche erkanntest, wohl nicht. Doch achte sehr darauf, was du sagst und tust. Wie leicht verrät man sich ungewollt.“, warnt Buodo. „Die Zeit ist kurz, einen Plan zu schmieden. Schon morgen wird dein Sohn hier wieder eintreffen. Sicher wird er keinen Brief für mich haben. Mag sein, er hat sogar schon eine Antwort hier, die er dann in meinem Namen besorgen lassen will. Lassen wir das Spiel noch laufen, so schöpft keiner Verdacht. In Bälde werde ich dir Nachricht zukommen lassen, mir ginge es schlecht und ich wünsche dich zu sehen. So hab ich dich dann hier in Sicherheit bei mir und wir haben Zeit, die Schande aufzudecken. Wie denkst du darüber?“
„Wohl dem, der einen Freund wie dich sein eigen nennt.“ Herzlich umarmt Guntbert ihn.
Stunden später trennt man sich, nicht ohne das Fässchen gänzlich gelehrt zu haben.
„Denke dran, Guntbert, in zehn Tagen wird der Bote kommen und dich holen. Es wird keine Briefe mehr geben zwischen uns.“
„Ich danke dir herzlichst, Freund Buodo. Bis dahin, leb wohl.“ Kurz noch zügelt er das Pferd. „Sag, Buodo, letztes Frühlingsfest – war da mein Sohn bei dir?“
„Nein, die Burschen waren auf der Jagd. Ich weiß nicht wo.“
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Keine Stunde zu früh haben sich die Grafen getrennt. Kaum, dass Guntbert auf seinem Schleichweg außer Sicht ist, reitet sein Sohn Hermann an dieser Stelle vorbei. Da auch Buodo bereits auf dem Heimweg ist, wird keinem dieses Treffen kund. Beim Eintreffen bei den Buodingern versäumt Hermann nicht, den Brief seiner Mutter nach Hause zu schicken. Alles läuft wie geplant und er begibt sich zu seinem Freund, dem Sohne Buodos. Morgen würde wieder der Unterricht in edlen Künsten beginnen. Sie würden schon ihren Spaß mit dem Lehrer treiben.
Am selben Tage sind die Knechte Graf Guntberts wieder in der Motte angelangt. Nach langem erfolglosen Suchen hat man sich entschlossen, zurückzukehren und Bericht zu erstatten. Furchtsam stehen sie vor Gräfin Hildgard, hinter ihnen der Meier.
„Wie konnte es geschehen, dass ihr meinen Mann verliert? Habt ihr wieder einmal nur getrödelt und geschlafen, statt auf den Herrn zu achten. Ich verspüre gute Lust, euch dafür hart zu strafen, doch krieg ich dadurch meinen Mann nicht zurück. Macht euch auf und sucht ihn weiter. Ihr kommt zurück, wenn ihr ihn wieder habt. Findet ihr ihn nicht, so finde ich euch und es wird euch schlecht bekommen. Verschwindet jetzt.“ Mit einer Handbewegung scheucht sie die Männer hinaus. Grinsend tritt der Meier näher. Noch in Rage schimpft Hildgard: „Was grinst ihr so dämlich?“
Des Meiers Blick verdunkelt sich. Er schüttelt seine strähnigen grauen Haare nach hinten. Trotzig erwidert er: „Was faucht ihr mich so an? Ich kann gerne gehen. Dann seht nur zu, wie´s euch ergeht.“
Erschrocken blickt ihn die Gräfin an. Nein, mit dem durfte sie es sich nicht verscherzen; noch nicht. „Verzeih, Feist, das war noch der Schwung ges gespielten Ärgers. Das könnt ihr doch verstehen, oder? Ihr seid doch sonst nicht so empfindsam.“ Dabei hat sie sich vom Stuhl erhoben und ist auf ihn zugegangen. Nun, dicht vor ihm, erhebt sie ihren Kopf und bietet den Mund zum Kusse. Hart greift der Meier ihren Zopf, reißt den Kopf noch mehr nach hinten und küsst wild den willigen Mund. Dabei umfasst er die Gräfin um die Hüfte und presst sie an sich. Mit leichtem Druck löst sich Hildgard wieder.
„Sicher wäre es wunderbar einfach, käme Guntbert nach diesem Ausflug tot zurück. Getötet von einem Bären. Doch leider glaube ich nicht an solch ein Wunder. Dafür ist er zu stark und jagdgeübt. Er kennt sich hier in den Wäldern wohl aus. Eher hat er sich ein Spiel erlaubt und die Knechte mit Absicht zurück gelassen, damit er seine Ruhe hat. Solche Tage fürchte ich, denn ich weiß nie, ob er dann nicht doch einmal zu Buodo reitet. Dann muss ich zumindest erklären, warum ich ihn belog. Ist erst einmal Misstrauen erwacht, so werden wir unser Ziel nur schwer noch erreichen. Hast du schon mit dem Priester gesprochen, wie ihr ihn beseitigen wollt? Mach ihm wohl klar, dass ohne diese Tat er keine Kirche haben wird.“
„Noch zögert er, versteckt sich hinter seinem Kreuze. Mir scheint, man könne ihm nicht trauen.“
„Nun, dann hab ich eine Idee für euch. Erinnert euch des Bauern, des Onkels dieses dummen Kindes. Bestellt ihn her, wenn Guntbert wieder bei uns ist, als habe er nach ihm verlangt. Ist er im Haus bei meinem Mann, stich den Grafen in die Brust. Der Priester soll den Bauern halten, damit er nicht flüchten kann. Sodann erstichst du auch ihn. So gilt er als Mörder seines Herren, weil der sein geliebtes Bruderkind genommen hat.“
„Der Plan klingt wahrlich gut. So möchte es gehen. Ich gehe gleich, es mit dem Pfaffen zu bereden.“
„Überlass das mir, Liebster.“ Erneut drängt Hildgard sich an ihn. „Ich habe noch mit ihm zu reden. Ich will ich ihn bei der Stange halten.“, flüstert sie in sein Ohr. Dann haucht sie einen Kuss und stößt ihn lachend von sich.
„Wie ihr befehlt, Herrin.“ Gibt der Meier zurück, verbeugt sich übertrieben tief und geht wieder grinsend. Das Weib würde er hinterher zähmen oder los werden müssen.
Wieder allein bedenkt Hildgard zum wiederholten Male ihren Plan und seine Risiken. Und des Nachts hat sie dann den Priester bei der Stange gehalten.
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Am anderen Tag dankten die Knechte allen ihnen bekannten Göttern, als ihnen Graf Guntbert wieder in die Arme ritt und sie ihn nach Hause geleiten konnten. Scheinbar erschöpft hat er sich dann in sein Zimmer zurück gezogen und seinem Weib nur einen flüchtigen Kuss gegeben. Nach seinem Heimritt, während dessen er wieder und immer wieder sich alles überlegte, war ihm dieses Weib zuwider. Nun ließ er kaum einen an sich heran. Auch ritt er weniger als sonst durch seine Wälder und Ländereien. Doch das fiel auf und manch einer machte sich so seine Gedanken. Die Bauern munkelten, er habe ein Ungeheuer gesehen. Erstaunen gab´s in den Dörfern als man hörte, dass Arnfried erneut zum Grafen gerufen worden war.
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Arnfried kommt über die Brücke in den Hag. Es dauert eine Weile, bis er den Meier findet, bei dem er sich melden soll.
„Es wird auch Zeit, dass du endlich erscheinst, Bauer.“, lautet die unfreundliche Begrüßung. Der Meier wirkt ein wenig nervös. Unablässig überblicken seine braunen Augen den Hag, als würde er etwas suchen.
Das fällt Arnfried aber nicht auf; er ist noch nervöser. „Es tut mir leid, Hofmeier. Ein Schwein ist aus dem Dorf verschwunden und so wollte ich zuerst des Herrn Eigentum retten. Ich bitte um Verzeihung.“
„Nun gut, ich werde es dem Herrn berichten. Ich hoffe für dich, dass er guter Laune ist. Warte hier, bis ich dich hole.“ Er lässt Arnfried mit ängstlichem Blick stehen und eilt zum Priester in die Kapelle. Jener kniet gerade vor dem Kreuz im Gebet. „Erhebe dich, es ist soweit. Der Bauer ist endlich erschienen. Heute musst du die Treue zur Gräfin unter Beweis stellen.“
Wohl ist dem dürren Priester nicht in seiner Kutte und mit fragendem Blick schaut er auf das schmucklose Kreuz vor sich auf dem Tisch, als erhoffe er sich davon Hilfe. Eine der Bäuerinnen hatte ein Leinentuch mit schönen Stickereien versehen müssen, als Dienst für die Gräfin. Dieses schmückt nun den Altar. Neben dem Kreuz flackern je eine Kerze zur Rechten wie zur Linken. Gottgefällig wird diese Tat mit Sicherheit nicht, das weiß er. Und als sei es ein Fingerzeig des Himmels bläst der Luftzug, als der Meier die Tür öffnet, die beiden Kerzen aus. Seufzend erhebt sich Didericus, der Priester, greift neben der Tür zu dem bereit liegenden Dolch, den er in den Ärmeln versteckt und folgt dem Meier über den Hof.
Arnfrieds Verwirrung steigt, als er den Meier in Begleitung des Priesters auf sich zu kommen sieht. Was mochte dies wohl bedeuten? Zur Rechten und zur Linken von den beiden Männern geleitet geht es gemeinsam zum Grafen in dessen Arbeitsraum. Vor der Tür bleibt der Meier stehen. „Wartet hier, ich werde sehen, ob des dem Grafen nun passt.“
Inzwischen erklärt der Priester: „Du wirst vor dem Grafen zunächst den Mund halten und warten bis er dich anspricht, du Wurm. Und egal was passiert: Ich stehe hinter dir.“ Dabei zieht er die Hände aus den Ärmeln und zeigt Arnfried den Dolch. Der erblasst und beginnt am ganzen Leib zu zittern.
„Ich habe doch nichts verbrochen!“ bricht es jämmerlich aus ihm heraus.
„Das werden wir noch sehen.“, orakelt der Priester. In dem Moment öffnet der Meier die Tür und sie führen den armen Bauern vor Graf Guntbert, der, wie üblich, den Lesenden mimt und den Bauern eine kurze Weile schweigend warten lässt. Das gibt dem Meier Zeit, sich hinter seinen Herrn zu stellen. Der Priester steht hinter Arnfried und drückt das Messer in dessen Rücken.
Entgegen seiner sonstigen Gepflogenheit, eventuell aus Intuition heraus, steht heute der Graf von seinem Stuhl auf und geht um den Tisch. Das schon halb gezückte Messer des Meiers verschwindet vorerst wieder im Futteral. Der Hofmeier will folgen, doch erneut macht ihm Guntbert ungewollt einen Strich durch die Rechnung. Er setzt sich halb auf die Vorderseite des Tisches, wodurch der Abstand zwischen ihm und seinem Meier ein Stück größer wird. Groß genug, um einen schnellen Stich zu verhindern. Guntbert verschränkt die Arme vor der Brust. „Also, Bauer, was habt ihr vorzubringen? Geht es um die zusätzlichen Säcke?“
Das Gesicht des Bauern wechselt zwischen Überraschung und Angst, ob des Messers hinter ihm, ständig hin und her. „Verzeiht, Herr, doch ihr hattet nach mir schicken lassen.“
Guntbert dreht sich nach seinem Hofmeier um und schaut ihn fragend an. Dieser macht zwei oder drei kurze Schritte um den Tisch auf Graf Guntbert zu, als in dem Moment die Tür aufgerissen wird. „Dringende Nachricht für Graf Guntbert von Graf Buodo.“
Der vor zehn Tagen vereinbarte Bote platzt in den Raum. Schleunigst versteckt der Priester seinen Dolch und auch der Meier geht wieder einen Schritt zurück. Graf Guntbert scheint es, als habe er in dessen Hand unter der Tunika ein Messer blitzen sehen. Schnell erhebt er sich vom Tisch und stellt sich so, dass er alle im Raum Anwesenden im Blick hat. „Ich bin Graf Guntbert! Sprecht!“ Die Stimme Guntberts hat einen erregt zittrigen Unterton und er blickt nicht den Boten, sondern seinen Meier an.
„Herr Graf! Graf Buodo richtet euch seine Grüße aus und bittet dringend um euren Besuch. Er liegt zu Bett und der Medicus weiß nicht so recht, ob es noch etwas werden möge mit ihm. So wünscht er, euch nochmals zu sehen, bevor es denn vielleicht zu Ende gehen möge. Mit eurem Einverständnis, Herr, soll ich euch nicht mehr von der Seite weichen, als bis ihr bei meinem Herrn eingetroffen seid.“, spricht der Bote laut und deutlich.
Der Meier hat sich als Erster von der Überraschung erholt. „Dann muss der Bauer warten, Herr. Graf Buodo geht selbstverständlich vor.“ Buckelnd tritt Meier Feist weiter von Graf Guntbert zurück und verlässt den Raum. Auf ein Zeichen von ihm erwacht auch der Priester aus seiner Starre, packt Arnfried, diesmal ohne Messerdruck, und schafft diesen nach draußen. Dort macht ihm der Meier klar: „Wenn du auch nur ein Sterbenswörtchen zu irgend jemandem sprichst, bring ich dich um. Verstanden? Und jetzt mach dich nach Hause und an die Arbeit.“ Grob stößt er ihn Richtung Ausgang und Arnfried stolpert eiligst davon. Dabei stürzt er über seine eigenen Füße in den Staub. Schleunigst rappelt er sich auf, entschuldigt sich bei dem Meier, der ihm drohend folgt und ist verschwunden.
Drinnen atmet Graf Guntbert tief durch.
„Verzeiht, wenn ich störte, Herr Graf. Aber mein Herr sagte, …“
„Es ist schon gut.“, unterbricht ihn Guntbert. „Ihr kamt zu rechter Zeit. So hatte der gute Buodo doch recht gehabt. Im eigenen Hause bin ich nicht sicher. Folgt mir.“ Der Graf tritt vor die Tür. Dort sieht er nicht nur den Meier mit dem Priester in eindringlichem Gespräch, sondern noch weitere vier bewaffnete Männer mit Wappen der Buodinger. Er geht kein Risiko ein, denkt sich Guntbert. Er wendet sich, um in den Stall zu gehen, da erscheint eine Gruppe von Händlern mit ihren schwer beladenen Ochsenkarren voller Waren und unter starker Bewachung vor dem Tor in der Hecke.
„Ist dies der Hof von Graf Guntbert?“, ruft einer der Händler.
„So ist es.“, gibt der Graf zurück. „Was habt ihr anzubieten?“
„Glas, Gewürze, Schmuck und Stoffe. Und eine Nachricht für den Grafen.“
„Ich bin Graf Guntbert von Lanczengeseze. Tretet näher.“
Der Händler springt vom Kutschbock und tritt auf Guntbert zu. „Ich grüße euch, Graf Guntbert.“, dabei verneigt er sich. Unterwegs trafen wir einen Mönch, der sich Servatius nannte. Er bat, euch folgendes mitzuteilen: Das Mädchen ist mir entflohen und trotz Einsatz aller meiner Möglichkeiten war ich außer Stande, sie zu halten. So geschehen kurz vor Steinaha.“ Dabei verneigt er sich erneut, jedoch Lohn fordernd die Hand vorgestreckt. „Dies waren seine Worte und wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf, Herr: Wer dort vom Weg abkommt, wird wohl nie mehr wiederkehren. Es ist dort nicht geheuer und ein Drache soll auch dort hausen. Armes Mädchen.“
Heute ist wahrlich ein Tag der Überraschungen für Graf Guntbert. Mit Erstaunen hat er die Nachricht des Mönchs aufgenommen. Noch etwas, das er unbedingt mit Buodo bereden musste. An den Drachen glaubte er nicht. Zu lange schon hatte man nichts mehr von diesem Untier gehört. Zuletzt zu Römerzeiten soll er gesehen worden sein. Sicher gab es den schon lange nicht mehr. Doch geheuer war die Gegend dort oben trotzdem nicht. Viel wurde erzählt von allen nur erdenklichen Geistern und Kobolden und Trollen und so. Sicher alles nur Ammenmären. Gern wäre er sogleich aufgebrochen, um nach dem Kind zu suchen. Doch zunächst will er Buodo aufsuchen. Als Unbeteiligter wusste er sicher besseren Rat, als ihm wohl einfallen möchte. Zu dem Händler sagt er: „Für Schmuck und Stoffe schick ich euch mein Weib. Sie kümmert sich um den schönen Schein. Den dreckigen Rest verhandelt mit meinem Meier dort. Mich drängt die Zeit; ich hab zu tun.“ Damit setzt er den begonnenen Weg zum Stall fort und lässt den verdutzt drein blickenden Händler stehen. Im Stall gibt er Anweisung, sein Pferd zu satteln. Im Haus scheucht er die Dienerschaft, seine Sachen zu packen und auf das Pferd schnallen.
Seine Frau findet er in ihrer Kemenate. „Graf Buodo verlangt nach mir. Er liegt schwer danieder. Ich werde also für einige Zeit nicht hier sein. Sicher wirst du mit Meier und Priester dir die Zeit gut vertreiben.“ Schwer beherrscht er seine Stimme, da nun Wut in ihm aufkocht. Dir werde ich das Handwerk legen. Deine Strafe kenn ich schon, denkt Guntbert sich.
„Ach daher die Reiter mit seinem Wappen auf dem Hof.“ Gräfin Hildgard ist um Beherrschung bemüht. Fürchtete sie doch zunächst, der ruchlose Plan sei aufgeflogen. Doch auch so gefiel ihr das Zusammentreffen der beiden Männer nicht. Nun würde offenbar, was sie so lange intrigiert hatte. Zumindest dafür würde sie Erklärungen finden müssen. Doch auch die Andeutung mit Meier und Priester blieb ihr nicht verborgen. Ahnte ihr Mann etwas? Noch hatte sie keinen Bericht, was soeben vor sich gegangen war. Möglicherweise kannte der Graf noch nicht die ganze Wahrheit. Er hätte anders jetzt gesprochen. Nun doch etwas sicherer fährt sie in ihrer gewohnt ketzerischen Weise fort: „Nimm dir ein Beispiel an ihm. So werden Leute von Stand zu Besuch gebeten. Mit einer stattlichen Eskorte lässt er dich reisen. Ich hoffe, mein Sohn lernt viel von deinem Freund. Ich schicke meine besten Wünsche für ihn mit euch. Er möge sich schonen und bald genesen.“
Dies eiskalte Weib, denkt Guntbert sich. Sogar jetzt, da der Mordversuch gescheitert, spielt sie noch immer die Rolle einer treuen Gemahlin. „Ich werde deine Wünsche überbringen.“ Damit verlässt er das Zimmer, dicht gefolgt von Buodos Boten und nach kurzer Zeit verlässt er sein Zuhause, in dem er seines Lebens nicht mehr sicher ist.
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