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Petra Urban

Der Duft von Glück

Selbstbegegnung im Spiegel der Jahreszeiten


Vier-Türme-Verlag

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.




Printausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2020

ISBN 978-3-7365-0296-4

E-Book-Ausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2020

ISBN 978-3-7365-0319-9

Alle Rechte vorbehalten

E-Book-Erstellung: Dr. Matthias E. Gahr

Lektorat: Marlene Fritsch

Covergestaltung: Finkun und Bumiller, Stuttgart

Covermotiv: Christopher Hall / shutterstock.com

www.vier-tuerme-verlag.de

Inhalt

Ein Wort vorab

Vom Gehen

Frühling I. - Das blaue Band

Von der Selbstliebe - "Ich lieb mich, ich lieb mich nicht!"

Frühling II. - Ein Strauß von Blüten

Sommer I. - Rosenknospen

Vom Nein-Sagen

Sommer II. - Wolkenweiß

Herbst I. - Goldenes Licht

Das Leben - ein Buffet

Herbst II. - Nebelschleier

Winter I. - Weiße Flocken

Der Unfall

Winter II. - Weihnachtsgeflüster

Schluss

Quellen

Für Irina

Ein Wort vorab

Frühling, Sommer, Herbst und Winter

sind vier Jahreszeiten. Keine weniger und keine mehr.

Vier verschiedene Fröhlichkeiten.

Leo Lionni

Ein kalter Wintermorgen. Strahlend blauer Himmel. Sonnenschein. Tief in Gedanken versunken war ich eine Anhöhe hinaufspaziert, als plötzlich ein Auto neben mir hielt, die Scheibe surrend herunterfuhr und ein Freund mich lächelnd grüßte. »Ich wollte nicht achtlos an dir vorbeieilen!«, sagte er und war, kaum dass ich seinen Gruß erwidert hatte, schon wieder auf und davon. Erstaunt blickte ich ihm hinterher. Und während seine Worte in mir nachhallten, fiel mir plötzlich auf, wie herrlich die Welt um mich herum funkelte und glitzerte, welch eine schneeweiße, frostige Schönheit sie war. Eine Winterschönheit, an der ich tatsächlich achtlos vorbeigeeilt war.

An jenem Morgen habe ich mir vorgenommen, dem Zauber der Jahreszeiten irgendwann ein Buch zu widmen. Und nun ist es soweit. Lächelnd lade ich Sie ein, mich auf einem Spaziergang durch die wechselnden Farben des Lebens zu begleiten. Die Freundschaft der Blumen und Bäume zu suchen und uns in ihrer wohltuenden Nähe selbst zu begegnen. Denn genau darum geht es: um Selbstbegegnung im Spiegel der Jahreszeiten.

Vom Gehen

Ich ging im Walde

so für mich hin,

und nichts zu suchen

das war mein Sinn ...

Johann Wolfgang von Goethe

Was Johann Wolfgang von Goethe hier leichtfüßig formuliert, schwebt auch uns vor. Nichts suchen müssen auf unserem Weg, uns vielmehr finden und beschenken lassen. Müßiggang im Jahreskreis sozusagen. Ich selbst gehe gern »so für mich hin«. Ich gehe, wenn es mir gut geht, und ich gehe, wenn es mir schlecht geht. Und wenn in meinem Leben so gar nichts geht – was durchaus vorkommt – oder ich nicht mehr weiß, wo es gerade langgeht, dann gehe ich auch. Gehen ist für mich das Gegenteil von Auf-der-Stelle-Treten. Wenn etwas »losgeht«, das weiß der Volksmund, dann kommt eine Sache in Schwung.

Vor gar nicht langer Zeit habe ich eine Szene in einer Kirche erlebt, die mir im Gedächtnis geblieben ist, weil sie so hübsch war. Es war kurz vor Beginn des Gottesdienstes, der Raum bereits in Andacht getaucht. Kein Flüstern, kein Räuspern, kein Herumrutschen auf den Bänken. In diese tiefe, beinah atemlose Stille hinein jubilierte plötzlich eine glockenhelle, durch und durch fröhliche Kinderstimme: »Achtung! Jetzt geht’s los!« Sogleich belebte sich der Raum. Allgemeine Erheiterung, Köpfe drehten sich herum, Hälse reckten sich. Und auch ich habe gelächelt und mich nach der Stimme umgewandt, denn ohne es zu wissen, hatte dieser kleine Mensch uns allen, die wir saßen und warteten, etwas Wichtiges mit auf den Weg gegeben: dass nämlich der Anfang einer Sache wesentlich ist, das Einstimmen darauf.

Und genau das tun wir jetzt. Wir stimmen uns auf unseren Spaziergang durch die Jahreszeiten ein, lauschen dem Flüstern des Windes und dem Herzschlag der Erde. Den Blick in blaue Weiten und Fernen gerichtet, verabschieden wir uns von unserem Alltag und begrüßen stattdessen das Abenteuer, das vor uns liegt. Gehen, so machen wir uns klar, ist das Berühren der Erde mit den Füßen. Gehend sind wir also Berührende und Berührte zugleich. Öffnen wir uns für dieses Wechselspiel. Gehen wir auf Tuchfühlung! Spüren wir die Beschaffenheit des Bodens unter unseren Füßen, lauschen wir der Melodie unserer Schritte.

Aufbrechen. Kein schlechter Begriff, wie ich finde, für das, was wir vorhaben. Denn Aufbrechen heißt, uns auf den Weg zu machen, heißt aber auch, uns zu öffnen, innerlich weit zu werden. Und genau darum geht es uns: in Kontakt mit uns selbst zu kommen und uns dabei als Teil eines großen Ganzen zu erleben. In Weimar, der Stadt der großen Dichter und Denker, steht im Park an der Ilm, recht unscheinbar im Gras versteckt, die Botschaft zu lesen: »Hebe deinen Blick und verweile.« Auch der Physiker Stephen Hawkins hat in seiner bewegenden Abschiedsbotschaft die Menschheit daran erinnert: »Vergesst nicht, zu den Sternen hinauf zu gucken und nicht hinab auf eure Füße.« Und so wollen wir uns auf unserem Weg immer wieder daran erinnern, den Blick nicht der Schwerkraft zu überlassen, ihn vielmehr hinauf ins Grenzenlose zu schicken. Den Kopf zu heben, um uns selbst zu erheben. Weit bleiben im Denken und Fühlen, die Sehnsucht wachhalten, die uns grenzenlos stimmt und sehend macht für alle die Möglichkeiten, die in uns stecken. Ich gehe, also bin ich. Der Weg ist weit wichtiger als das Ziel, ist Freude an sich. Und die Sterne geben uns die Richtung vor. Drei G(eh)-Worte mögen uns begleiten: Gottvertrauen, Geduld und heitere Gelassenheit.

Frühling I. – Das blaue Band

Frühling lässt sein blaues Band

wieder flattern durch die Lüfte.

Eduard Mörike

Laue Luft kommt blau geflossen,

Frühling, Frühling soll es sein!

Joseph von Eichendorff

Über die Jahrhunderte hinweg haben sich Kunstschaffende mit den vier Jahreszeiten beschäftigt, ihre Schönheit in Tönen, Farben und Worten eingefangen. Antonio Vivaldi und Joseph Haydn zum Beispiel haben sie auf ewig in Musik verwandelt. Giuseppe Arcimboldo dagegen, der »Zaubermaler«, hat sie in aberwitzigen Portraits festgehalten, in skurrilen Köpfen, bestehend aus den Früchten und Pflanzen der jeweiligen Jahreszeit. Gleichnishaft erscheint hier der Frühling als heiterer Blumenbote, als farbfroher Herzschlag zwischen winterlicher Erstarrung und neu erwachender Lebendigkeit. »In jeder Blüte schlägt mein Herz«, scheint er zu flüstern, »ich bin Sonne und Wonne.« Für uns ist dieser Freudenbringer mit »holdem, belebendem Blick« (Goethe), dieser Befreier von Eis und Schnee eine vorzügliche Zeit, um den Reigen der Jahreszeiten zu eröffnen. Wie ein riesengroßes Lächeln liegt er auf der Welt, weckt mit ersten wärmenden Sonnenstrahlen die Natur aus ihrem Tiefschlaf und küsst dabei auch unsere müden Lebensgeister wach. Aufbruchsstimmung all überall. Ein jedes drängt ans Licht. Neben Frühblühern und dem kühnen Lied der Amsel melden sich Frühlingsgefühle zu Wort. Ja, der Frühling hat das Zeug, – das Grün-Zeug, hätte ich beinah gesagt –, ungeahnte Gefühle in uns zu wecken. Es ist diese überschäumende Lebensfreude, die er versprüht, diese veilchenblaue, himmelhochjauchzende Lust. Als hätte die Natur plötzlich nichts anderes als Flausen im Kopf, als sei sie trunken vor Glück und ihr Puls ein wenig schneller als gewöhnlich.

So »kribbelt« sie uns, wie es bei Thomas Mann heißt, »auf eine unanständige Weise im Blute«. Der Lenz, ohne Frage, besitzt den Charme der Jugend. Diesen ungezähmten, mitreißenden Schwung, dieses fröhliche Herzflattern, diesen ganz speziellen Jubel. Dennoch ist er keine Sache der Jugend allein. Schließlich grünen auch die alten, selbst die uralten Bäume. Natürlich hat sich in unserem Leben, wenn wir bereits ein wenig in die Jahre gekommen sind, so einiges verändert. Das Alter hat seine Launen. Vielleicht sind wir nicht mehr so temperamentvoll und begeisterungsfähig wie einst, sind im Lauf der Zeit ruhiger, gesetzter und auch ein wenig antriebsloser geworden. Das Leben hat seine Spuren hinterlassen. Und doch – Hand aufs junge, alte Herz! –, der Frühling ist und bleibt eine Herrlichkeit, ein Fest für die Sinne. Das fröhliche Tirilieren der Vögel, das erste zarte Grün, die täglich höher steigende Sonne, der Duft des Neuanfangs, das alles ist süß wie eh und je. Wir müssen uns nur anhauchen, berühren lassen. Kaum ist das geschehen, spüren wir auch schon unser ureigenes Frühlingserwachen. Wir sind erfüllt von Freude, fragen uns, wo auch in unserem Leben etwas neu beginnen möchte, wo unser Lebenslied anders klingen könnte als bisher.

Denn vorbei ist der Winter ...

Auf der Flur erscheinen die Blumen:

Die Zeit zum Singen ist da.

Hohelied 1,11

Und schon lauschen wir der Stimme unseres Herzens, die uns rät, das Schneckenhaus, in das wir uns den Winter über zurückgezogen haben, zu verlassen. Wie die Natur sind wir in Aufbruchsstimmung. Sehnen uns nach einem Quantum Abenteuer. Was will blühen in mir? Wo ist die Zeit für einen Frühjahrsputz gekommen? Wenn wir diesen Fragen genügend Aufmerksamkeit und Zuwendung schenken, dann kommen uns auch Ideen. Ein einziger Gedanke kann entscheidend sein.

Ich habe einmal eine »Kleine Gebrauchsanweisung für ein glückliches Leben« geschenkt bekommen. Da hieß es gleich zu Beginn: »Besuche mindestens zweimal im Jahr einen Kurs der Volkshochschule.« Obwohl dieser Vorschlag nicht nach dem ganz großen Abenteuer klingt, ist er dennoch keine schlechte Idee. Auf Kurs gehen. Allein oder zu zweit, ganz egal. Sympathie entwickeln für das, was es an Möglichkeiten in meiner nächsten Umgebung gibt. Ausprobieren, was für mich noch so alles möglich ist. Begegnungen haben, Gleichgesinnte treffen. Aus diesen regelmäßigen Begegnungen wiederum können tiefere Bekanntschaften werden. Ich selbst habe in meinen Seminaren immer wieder beobachtet, wie sich anfängliche Sympathie in Freundschaft verwandelte, sich Netzwerke bildeten, Menschen miteinander in Beziehung traten und Aktivitäten über den Kurs hinaus entwickelten, sich kunterbunte Fäden von Leben zu Leben spannten. Selbst das schönste aller Gefühle, selbst Liebe habe ich wachsen sehen. Also, warum nicht einmal die Bildungseinrichtungen vor Ort kontaktieren und nach Möglichkeiten neuer, kreativer Beschäftigung suchen? Ausschau danach halten, was uns im Kreis anderer Freude bereiten könnte? Freude, dieser goldene »Götterfunke«, ist ein riesengroßer Energielieferant und die wohl wichtigste, gesundmachende Kraft in unserem Leben. Und sie stellt sich ein, wenn wir tätig werden. Begeistern kann man sich für vieles, Ideen und Angebote gibt es genug. Das Zauberwort heißt: Loslegen! Leinen los und raus aus dem Hafen der Routine und der Gewohnheiten. Hinaus aufs Meer der Möglichkeiten. Auf Entdeckungsreise gehen, den Horizont erweitern, recherchieren, Programme lesen, im Freundes- und Bekanntenkreis herumfragen, Meinungen und Ideen einholen. Aus eingefahrenen Mustern und Strukturen ausbrechen, aufregend anders sein und nicht länger Gründe suchen, warum es nicht geht. Weg mit dem selbstentschuldigenden Wörtchen »wenn, ja, wenn ...«. Wenn wir immer nur das tun, was wir lange schon können und immer schon machen, dann findet kein inneres Wachstum, keine Veränderung statt. Neugier ist eine wunderbare Kraft, um uns und – ab einem gewissen Alter ganz wichtig! – unser Gehirn fit zu halten. Denn wer neugierig ist, nimmt intensiver am Leben teil, bricht aus dem alltäglichen Einerlei aus. Deshalb ist es so wohltuend, auch einmal Neues, Unübliches auszuprobieren. Sich frischen Wind um die Nase wehen zu lassen. Die bequeme Haltung des »ich könnte ja mal ...« zu verlassen und ins Machen, ins Tun zu kommen. Das Alter muss bei der Suche nach neuen kreativen Spielräumen keine Rolle spielen. Was geht, das geht! Experimentieren! Neugierde und die Gottesgabe der Begeisterung sind das Allerwichtigste. Wie heißt es so schön: Wer singen will, der findet auch ein Lied.

In einem meiner Seminare für »Kreatives Schreiben« war der älteste Teilnehmer über achtzig Jahre alt. Er habe immer schon den Wunsch verspürt zu schreiben, hatte er mir am Telefon gesagt, auch wenn die Aufsätze in der Schule mit Abstand das Schlimmste gewesen waren, was ihm passieren konnte. Mit anderen Worten: Das Schreiben von Texten war alles andere als sein bevorzugtes Metier. Trotzdem hatte er sich auf den Weg gemacht, sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Aus dem schönen Grund, dass er seine Erinnerungen festhalten wollte, die sich langsam, ganz langsam, wie er sagte, in seinem Kopf aus dem Staub machten. Um der Vergesslichkeit ein Schnippchen zu schlagen, hatte er sich sogar einen Computer gekauft. Allerdings schrieb er, wenn es ihm mit der Technik nicht schnell genug ging, auch mit der Hand. Sein Eifer und seine Freude beim Niederschreiben seines Lebens haben mich tief beeindruckt. Auch die Gruppe – allesamt Frauen, die gut und gerne seine Enkeltöchter hätten sein können – war zutiefst berührt von seinen Geschichten aus einer längst vergangenen, aber nicht vergessenen Zeit. Wenn er vorlas, war es mucksmäuschenstill im Raum.

Beglückendes erleben. Das Herz zum Lachen bringen. Staunen, welch unentdeckte Talente ans Licht wollen. Menschen, die ein erfülltes, glückliches Leben führen, diese Erfahrung mache ich immer wieder, lieben es, sich auszuprobieren. Sie sind aufgeschlossen für neue Aktivitäten, neue Bekanntschaften und neue Ideen. Und wenn etwas schiefgeht, dann nehmen sie es mit einem gesunden Schuss Humor. Von einer Dame, die sich für einen Zeichenkurs angemeldet hatte, weiß ich, dass sie in der ersten Stunde nicht nur zu spät gekommen ist, weil sie länger arbeiten musste, sondern dass sie, hungrig wie sie war, auch noch den Apfel aufgegessen hat, den sie später zeichnen sollte. Tja, so kann’s gehen!

Leise zieht durch mein Gemüt

Liebliches Geläute.

Klinge, kleines Frühlingslied,

Kling hinaus ins Weite!

Heinrich Heine

Vor soviel Schönheit schweigt mein tiefstes Lied.

Christian Morgenstern

Das Frühjahr ist die Zeit sprießender Farben. Märzenbecher, goldene Winterlinge, die unverwüstlichen Primeln, Persischer Ehrenpreis, Löwenzahn & Co, sie alle melden sich wie ein bunter Willkommensgruß nach langer Winterzeit zurück. Lilafarbene Taubnesseln und Veilchen breiten sich wie Teppiche aus, in den Gärten strecken Forsythien ihre leuchtendgelben Arme gen Himmel, Magnolien, verschwenderisch blühend, verbreiten ihr süßliches Aroma und auch der Flieder duftet »so mild, so stark und voll«, wie es in den »Meistersingern von Nürnberg« heißt. Was wäre die Welt ohne Blumen! Ein trister, zutiefst trostloser Ort. In Kindertagen hatte ich eine Freundin, die im Gegensatz zu mir als »Blumenfee« wohl schon geboren war. Gemeinsam haben wir das Abenteuer Schule gemeistert, vereint um gute Noten gezittert und uns gegenseitig bei den Hausaufgaben geholfen. Auf ihrem Schreibtisch, inmitten von jeder Menge Krimskrams stand immer eine Vase mit einer einzelnen Schnittblume darin. Ich weiß noch genau, wie ich aus allen Wolken gefallen bin, als sie mir verriet, dieses wechselnde Grünzeug von ihrem Taschengeld zu kaufen. Für mich, die ich in jener Zeit ausschließlich in Süßigkeiten und Kinokarten investierte, geradezu unvorstellbar, wie man sein Geld für etwas derart Nutzloses ausgeben konnte, das nach nur wenigen Tagen verwelkt war und in den Müll gehörte. Trotzdem erinnere ich mich gut daran, wie gern ich diese so vergänglichen Wesen auf ihrem Schreibtisch, alle die duftenden Rosen, Lilien und Nelken, beim gemeinsamen Lernen angeschaut habe. Oft hatte ich dabei ein seltsam wohliges Gefühl, mitunter sogar eine Gänsehaut, weil sie von einer solchen Schönheit, Frische und Zartheit waren. So kam es, dass sich in mein Unverständnis im Lauf der Zeit eine leise Bewunderung mischte. Eines Tages dann passierte Folgendes: Ich war auf Rollschuhen in unserer Straße unterwegs gewesen, fröhlich hin- und hergefahren, als plötzlich etwas Grünes mit zwei spitzen, abgespreizten Blättern vor mir auf dem Bürgersteig lag. Eine Pflanze, die aus einem der geöffneten Krankenhausfenster herausgefallen und in die Tiefe gestürzt war. Ihr Topf war zersprungen, die Erde verstreut. Eine Verunglückte also. Eine Hilflose, die mich anstarrte und mit sanfter Zärtlichkeit mein Herz berührte. Und so hob ich sie auf, nahm sie mit nach Hause, setzte sie in frische Erde und stellte sie auf unseren Balkon. Und natürlich beobachtete ich sie. Ich weiß noch, welche Freude ich empfunden habe, als sie mich eines Morgens in voller Blüte begrüßte. Sie war eine prächtige, geheimnisvoll schimmernde Schwertlilie, eine Iris, benannt nach der griechischen Göttin des Regenbogens, jenem weltumspannenden Zeichen, das Himmel und Erde, Gott und die Menschen verbindet. Heute würde ich sagen, dass sie es war, diese vom Himmel gefallene Regenbogenschöne, die mich zu der Blumenfreundin gemacht hat, die ich heute bin. Ein Leben ohne Blühendes – für mich undenkbar.

Seht, meine Freunde, der Frühling ist gekommen!

Die Erde hat die Umarmung der Sonne empfangen

und wir werden bald die Früchte dieser Liebe sehen.

Indianische Weisheit

»... eine Rose als Stütze«, heißt es in einem Gedicht von Hilde Domin. Ja, so erstaunlich es klingt, Blumen können bei aller Zartheit, Sanftheit und Vergänglichkeit eine mächtige Kraftquelle sein. Etwas, woran wir uns in schweren Zeiten »festhalten« können. Als mein Vater völlig überraschend mit nur fünfundfünfzig Jahren in seinem Skiurlaub gestorben war, näherte sich der Februar gerade dem Ende. Es war ein kalter Tag und in Düsseldorf lag der Karneval in der Luft. Unmittelbar nachdem ich das Unfassbare erfahren hatte, war ich zu meiner Mutter gefahren. Ich werde diesen Vormittag nie vergessen. Diese Atmosphäre abgrundtiefer Hilflosigkeit und Traurigkeit, diese Verzweiflung und dieses Gefühl erdrückender Schwere, das auf allem lastete. Schweigend saßen wir im Wohnzimmer, wie tot, wie abgestorben. Ohne Worte. Ohne Trost. Nach und nach schellten Patienten meiner Mutter, die in der Praxis vom Tod meines Vaters gehört hatten. Offensichtlich sprach es sich in Windeseile herum. Schon bald folgten Freunde und Nachbarn. Jede Menge Beileidsbekundungen. Jede Menge Tränen. Und dann erschien eine Freundin meiner Mutter mit einem Blumenstrauß, einem riesigen bunten Frühlingsstrauß. Noch heute sehe ich ihn auf dem Wohnzimmertisch stehen. Für mich war er wie ein Licht in all der Dunkelheit. Wie ein Lächeln, vom Leben vorbeigeschickt. Und ich weiß, dass ich bei seinem Anblick und seinem Duft, der schon nach kurzer Zeit das Zimmer erfüllte, tatsächlich einen Hauch von Trost verspürt habe. Weil er mich im Angesicht des Todes für Augenblicke an die Schönheit des Lebens erinnerte.

Blumen, diese wunderbaren Geschöpfe der Natur, bezaubern durch ihre ureigene Sprache. Sie »sprechen« dort, wo wir verzweifeln, aber auch dort, wo wir im Glück sind, in Glückseligkeit nur so schwelgen. Immer finden sie die richtigen »Worte« zum richtigen Anlass, schenken uns ihre glühenden Farben, ihren Duft, ihre Anmut, ihre freundlichen Blumengesichter. Für mich sind sie Prediger der Liebe, Botschafter des Himmels, die es mit Leichtigkeit schaffen, unsere Herzen zu öffnen. Bei einer Rosenmeditation in einem meiner Seminare hatte eine ältere Teilnehmerin seufzend festgestellt, sich niemals Blumen geschenkt zu haben. Auf diese Idee war sie zeit ihres Lebens nicht gekommen. Der Gedanke, dieses Vergnügen, diese so einfache Freude nachholen zu können, gefiel ihr und sie nahm sich vor, es in der kommenden Zeit zur Herzensangelegenheit zu machen. Sich selbst Blumen zu schenken ist ein wunderbarer Weg, sich Beachtung zu schenken. Ist ein farbenfrohes, zärtliches Geständnis. Ein Liebesbeweis der besonderen Art. Wir verwöhnen uns und versichern uns der eigenen Wertschätzung. Indem wir Blumen sprechen lassen, zaubern wir Liebe in unser Leben. Selbstliebe.

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