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Impressum

Petra Mehnert, »Altes Wissen – Neuer Tod«

www.edition-winterwork.de

© 2020 edition winterwork

Alle Rechte vorbehalten.

Satz: edition winterwork

Umschlag: Robin Mehnert

Druck und E-Book: winterwork Borsdorf

ISBN Print 978-3-96014-734-3

ISBN E-BOOK 978-3-96014-755-8

Altes Wissen - Neuer Tod

von Petra Mehnert

Fünfter Regionalkrimi aus dem „Tal der Liebe“

edition winterwork

Als die vierzigjährige Linda Bockmeyer ein altes Büchlein aus dem Mittelalter findet, glaubt sie, anhand des darin stehenden Heilerwissens des berühmten und gelehrten Mönches Albertus Magnus, ihre Probleme endlich lösen zu können. Doch damit setzt sie Ereignisse in Gang, die sie nicht hatte voraussehen können und die dramatische Folgen nach sich ziehen. Dies alles geschieht im Frühjahr 2020 während der Corona-Krise, welche die Ermittlungen der Göppinger Kripo zusätzlich erschweren. Die junge Ottenbacher Messermacherin Nora wird durch ihren Hund Hasso in den Fall verwickelt und so kann es ihr Freund und Kommissar Joska Kiss auch diesmal nicht verhindern, dass Nora sich einmischt.

Prolog

„Bewährte und approbierte sympathetische und natürliche ägyptische Geheimnisse für Menschen und Vieh, Städter und Landleute - von Albertus Magnus“, murmelte eine Frau in den Vierzigern und versuchte dabei, die dicke Staubschicht, die sich unterhalb des Buchtitels noch hartnäckig hielt, von dem kleinen schwarzen Büchlein zu pusten. Es gelang ihr allerdings nicht, denn der Staub haftete beinahe wie ein flauschiger Einband darauf. Angewidert streifte sie die graue Schicht mit den Händen ab. „Was für ein langer und komischer Buchtitel!“, sagte sie und wollte das Buch schon zu den anderen uralten Büchern werfen, als sie doch die Neugierde packte. Konnte ja nicht schaden, mal einen kurzen Blick hineinzuwerfen ...

Dieser Albertus Magnus lebte wohl zwischen elfhundertdreiundneunzig und zwölfhundertachtzig. Geboren wurde er in Lauingen und gestorben war er in Köln. Zu seiner Zeit nannte man ihn wegen seines unglaublichen Wissens „Doctor universalis“.

„Das kann ich mir gut vorstellen“, flüsterte Linda Bockmeyer, die sich mit der alten Schrift recht schwertat. Die eigentümlichen Worte und Sätze verstand sie auch nicht alle. Doch sie konnte erkennen, dass dieser Doktor Magnus wirklich zu allem etwas beizusteuern gehabt hatte. Egal, ob Mensch oder Tier, Geister, Hexen oder Dämonen - er hatte für alle Eventualitäten ein Rezept, einen Schwur oder eine Zauberformel parat und diese waren zum Teil so hanebüchen, dass die Frau mehrmals den Kopf schüttelte und sich fragte, ob es tatsächlich damals Leute gegeben hatte, die diesen Unsinn wirklich glaubten? Manches jedoch hörte sich recht spannend an und es wäre schon interessant, herauszufinden, ob da was dran war.

Stunden später saß die nachlässig gekleidete Vierzigjährige immer noch in das alte Büchlein vertieft da, während die Sonne hinter dem Hohenstaufen blutrot unterging. Völlig fasziniert hob sie schließlich den Kopf und schaute direkt in den wunderschönen, rötlich-violetten Himmel. Obwohl sie nicht in diesem schönen „Tal der Liebe“ geboren war, hier war ihre Heimat und die würde sie niemals verlassen. Plötzlich wusste sie, was sie tun konnte und vor allem, wie sie es tun musste. Niemand hatte das Recht, sie von hier fortzujagen!

1

„Ist deine blöde Katze immer noch nicht aufgetaucht?“, fragte Bettina Bockmeyer ihren Mann, der gedankenverloren über den Lieblingsplatz seiner Karthäuserkatze strich und dabei traurig aus dem Fenster sah. Langsam drehte er sich zu seiner Frau um, die mit ihren fünfzig Jahren noch strahlend schön war (was man von ihrem Charakter nicht mehr behaupten konnte). Seit sie den Posten als Chefärztin in der Notfallambulanz der Alb Fils Kliniken in Göppingen angetreten hatte, war sie nur noch gereizt und nervlich am Ende. Nun spitzte sich auch noch die Corona-Krise seit Anfang Februar zweitausendzwanzig immer mehr zu. Was in China in der Stadt Wuhan begonnen hatte, breitete sich durch die globale Vernetzung rasend schnell über die ganze Welt aus. Jetzt Mitte März hatte es das Nachbarland Italien von den europäischen Staaten am schlimmsten erwischt. Zwar hatte Deutschland fast die dreifache Menge an Intensivbetten als zum Beispiel Italien, aber dennoch graute Bettina Bockmeyer davor, in kürzester Zeit viele Kranke auf einmal intensivmedizinisch versorgen zu müssen. Darauf waren die meisten Kliniken, zumindest noch nicht, eingerichtet und die Personaldecke zu dünn für solche Ausnahmesituationen. Nun hatte sie heute auch noch erfahren müssen, dass Toilettenpapier und Desinfektionsmittel aus der Klinik gestohlen worden waren! Auch Mundschutzmasken und Schutzanzüge wurden knapp - das durfte echt nicht wahr sein - wie egoistisch waren die Menschen denn? Insgeheim wünschte sie sich, einen von diesen Typen mal auf dem Operationstisch liegen zu haben und ihn ohne sich die Hände zu desinfizieren und ohne Schutzmaske zu operieren! Das machte sie alles so wütend und sie schaffte es nicht mehr, Arbeit und Privates zu trennen. Sie ließ ihren ganzen Frust an ihrem Mann und ihrem Sohn Luca aus. Ihr Mann Harald - im gleichen Alter wie sie, aber mit seinen kurzen grauen Haaren und dem kleinen Bauchansatz deutlich unattraktiver als seine Frau, flüchtete sich deshalb immer mehr zu seinen Tieren. Als ausgebildeter Jäger konnte er sich zu den unmöglichsten Zeiten in den Wald verkrümeln und sich der Ruhe dort hingeben. Daneben kümmerte er sich noch um das Rehgehege des Landratsamtes und hatte zuhause auf ihrem kleinen Hof am Ortsrand von Ottenbach noch Hühner, Hasen, Meerschweinchen und einen Jagdhund, sowie seine schöne graue Katze, die nun schon seit zwei Wochen verschwunden war. Das Hobby Jagen und die vielen Tiere hatte er sich erst angeschafft, als er seine Videothek hatte schließen müssen. Heutzutage lieh kaum mehr jemand Filme aus – es wurde meist nur noch „gestreamt“ - und das hatte ihn seine Existenz als Firmeninhaber gekostet. Seine Frau hatte daraufhin einen neuen, besser bezahlten Vollzeitjob bei der Klinik angenommen, damit sie ihren gewohnten Lebensstandard halten konnten. Obwohl er nichts für die Entwicklung auf dem Videomarkt konnte, nahm es ihm seine Frau übel, dass sie jetzt ganz alleine für den Unterhalt der Familie sorgen musste. Ihren gemeinsamen dreißigjährigen Sohn Luca musste sie auch weiterhin mit durchfüttern - er lebte immer noch bei seinen Eltern, war introvertiert und eigenbrötlerisch und hatte inzwischen bereits sein drittes Studium angefangen, ohne die vorhergehenden abgeschlossen zu haben.

„Nein, meine Mathilda ist noch nicht zurückgekommen, wie du siehst“, konnte sich Harald nicht verkneifen. „Und meinen Meerschweinchen geht es auch nicht gut. Sie haben Durchfall und fressen kaum noch was“, fügte er hinzu, obwohl er wusste, dass Bettina es nicht sonderlich interessieren würde. Sie sagte dann immer:

„Was interessiert mich das, ich bin doch kein Tierarzt!“

So also auch heute – hätte er sich ja denken können. Wortlos drehte er sich um und rief nach seinem kleinen Jagdhund Benno, während er im Flur nach der Leine griff.

„Kochst du heute nichts?“, rief seine Frau ihm hinterher, doch er antwortete nicht und hastete regelrecht mit offenem Mantel und ungeschnürten Stiefeln nach draußen in die kalte Frühlingsluft. An diesem Sonntagnachmittag war es jetzt schon so düster, dass man denken konnte, es wäre bereits Abend.

„Was machst du da, Luca?“, rief Harald schon von Weitem, als er seinen Sohn im Verschlag seiner Meerschweinchen und Hasen sah. Der kümmerte sich doch sonst auch nie um die Tiere! Außer vielleicht um seine Katze Mathilda, die sich auf jeden verfügbaren Schoß setzte, wenn sie gestreichelt werden wollte. Da konnte dann selbst sein eigenwilliger Sohn nicht widerstehen.

„Nichts!“, rief der junge Mann leicht panisch. In den Ohren seines Vaters musste es geklungen haben, als hätte der ihn bei etwas Verbotenem erwischt. Hastig fügte er hinzu: „Deine Tierchen benehmen sich irgendwie anders als sonst und da wollte ich bloß mal nachsehen.“

„Seit wann interessierst du dich für meine Tiere?“, fragte sein Vater übellaunig und bedeutete seinem Sohn, aus dem Gehege rauszukommen. Dieser ließ sich jedoch Zeit damit und schloss nur langsam das Gatter hinter sich. Er brauchte Zeit zum Überlegen, was er antworten sollte, denn es stimmte ja - bis vor ein paar Wochen waren ihm die Tiere seines Vaters wirklich vollkommen egal gewesen. Doch dann hatten seine Tante Linda und ihr behinderter Bruder Hugo ihn in eine verrückte Sache mit hineingezogen, die ihn zunächst sehr fasziniert hatte. Doch inzwischen war er sich nicht mehr so sicher, was er davon halten sollte ...

„Jetzt reg dich net so auf Alter!“, schnappte Luca und freute sich über das zornige Gesicht seines Vaters. Natürlich hasste der es, wenn man ihn „Alter“ nannte, aber Luca war gerade auch auf Krawall gebürstet. Dabei war er eigentlich auf seine Tante wütend, die ihm diese blöde Sache hier überhaupt erst eingebrockt hatte. Beim Hinausgehen rempelte er seinen Vater dann auch heftig an, was ihm eine gewisse Genugtuung verschaffte. Sollte sich sein Alter doch in Zukunft wieder alleine um seine Viecher kümmern, ihm war die Lust daran sowieso vergangen. Oder Linda und Hugo sollten zusehen, wie sie die Tiere wieder hinbekamen. Er war sich wirklich nicht mehr sicher, ob das, was Linda als Medizin für die Tiere gedacht hatte, denen auch tatsächlich gut getan hatte. Sein Gefühl sagte ihm ehrlicherweise genau das Gegenteil, aber warum sollte sie das tun? Sie war doch, soweit er wusste, sehr tierlieb und er konnte sich nicht vorstellen, dass Linda den Tieren absichtlich hatte schaden wollen. Vielleicht hatte sie nur das falsche Rezept ausgewählt? Egal, er war mit dieser Sache durch und würde sich heute nur noch seiner einzigen Aufgabe widmen, die ihm seine Familie aufgebrummt hatte. Danach konnte er endlich wieder in seinem Zimmer seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen - Online-Computer-Spiele und Serien gucken!

Nach all den Jahren war ich wieder zurück auf dem alten Bockmeyer-Hof - ich, der „Ostfriese“, wie sie mich damals immer genannt hatten. Schön war es hier, so hatte ich das Ottenbacher Tal gar nicht mehr in Erinnerung. Eingebettet in bewaldete Hügel, auf der einen Seite mit dem Hohenstaufen und seiner kleinen Ortschaft, die sich wie ein Gürtel um den wie ein Vulkan aussehenden Berg wand. Auf der anderen Seite der Hohenrechberg mit der imposanten Burgruine und mittendrin das kleine Örtchen mit der schönen weißen Kirche im Mittelpunkt. Es hatte sich einiges verändert, seit ich vor über dreißig Jahren weggegangen war. Vor allem die Ortsmitte war neu gestaltet worden. Statt der alten Häuser, die teilweise leer gestanden hatten oder ziemlich verfallen waren, stand nun ein stattliches neues Rathaus, daneben ein großes Mehrfamilienhaus, darunter ein neuer Bäcker inklusive Kreissparkasse und dahinter ein weiteres neues Wohngebäude. Das alles hatte ich gleich als Erstes, als ich hier hergekommen war, auf mich wirken lassen, und hinter dem Rathaus auf dem schönen Platz dem Wasserspiel dort zugeschaut.

Ich konnte kaum glauben, dass ich seit der Geburt meines zweiten Sohnes, diesem behinderten Hugo, nicht mehr hier gewesen war. Als gebürtiger Ostfriese - bin auf Norderney geboren - hatte ich mich hier im Schwabenland nie richtig wohlgefühlt. Meine Ausbildung zum Zimmermann hatte mich hierher verschlagen und durch einen One-Night-Stand war ich an der vier Jahre älteren Edith hängengeblieben, die schwanger geworden war. Ich hatte mich der Verantwortung gestellt und sie geheiratet, doch es war einfach nicht richtig. Die Arbeit auf ihrem Hof hatte mir keinen Spaß gemacht, die Liebe zu Edith war nur vorgetäuscht und von Verantwortungsbewusstsein dem kleinen Harald gegenüber geprägt. Auch vermisste ich meine alte Heimat jeden Tag mehr. Vor allem das Meer hatte mir gefehlt und meine Mutter, die mich mit einer Putzstelle im Hotel „Seesteg“ alleine durchgebracht hat, hatte ich schmerzlich vermisst. Wir hatten schon immer ein sehr enges Verhältnis und die Trennung von ihr tat mir die ganzen Jahre über weh. Auch das war ein Grund, warum ich damals zurück in die Heimat geflohen war und natürlich die Geburt des behinderten Hugo.

Ich weiß, ich bin ein beschissener Vater, aber mit der Behinderung des kleinen Jungen bin ich einfach nicht zurechtgekommen - ich konnte von Anfang an nicht damit umgehen. Auch mit der adoptierten Linda war es immer schon schwierig gewesen - also bin ich damals Hals über Kopf abgehauen. Doch nun war meine Mutter längst tot und ich pleite und deshalb war ich zu meiner Frau zurückgekehrt. Wäre sie nur hartnäckiger geblieben bei der Scheidung damals, denn nun war ich hier, um mir meinen Anteil am Hof zu sichern. Edith hatte versäumt, die Scheidungsunterlagen zu unterzeichnen und so waren wir nach wie vor verheiratet. Kontakt hatten wir seither keinen mehr gehabt, doch nun war ich wieder da ...

2

„Es gibt eine weibliche Leiche in Ottenbach. Möchtest du den Fall übernehmen, Joska? Kurze Wege - du verstehst?“, grinste die Kriminalkommissarin Magdalena Müller-Harnisch am nächsten Morgen ihren jungen Kollegen Joska Kiss an. Dieser konnte nicht glauben, dass es in seinem verträumten Heimatort schon wieder einen Mordfall geben sollte. Die neue Woche ging ja gut los ...

„Was wissen wir?“, fragte er wenig begeistert, denn momentan steckte er mitten in einer Fortbildung, auf die er sich eigentlich voll hatte konzentrieren wollen. Selbstverständlich war ihm klar, dass er als Ottenbacher (immerhin lebte er seit ein paar Monaten mit seiner Freundin Nora Angerer zusammen dort auf dem Hof ihrer Eltern), den Fall übertragen bekam. Da kam er wohl nicht drum herum und so zückte er seinen angenagten Bleistift und kramte auf seinem übervollen Schreibtisch nach einem Block, um sich gleich Notizen machen zu können.

„Leider noch nicht viel. Ihr Enkel Luca Bockmeyer fand seine Großmutter tot in ihrem Bett, als er wie immer nach dem Abendessen noch mal nach ihr schaute. Die Frau heißt Edith Bockmeyer, ist - beziehungsweise - war siebzig Jahre alt und Alkoholikerin, wie ihr Hausarzt, der auch den Totenschein ausgestellt hat, mir soeben verraten hat. Dennoch hat er ein paar Dinge entdeckt, die ihm seltsam vorkamen und uns kontaktiert. Was das genau ist, hat er noch nicht gesagt. Die Kollegen der Streife waren schon vor Ort und haben die Leiche inspiziert, konnten aber keine äußeren Verletzungen feststellen. Man hat daraufhin veranlasst, dass der Leichnam in die Gerichtsmedizin nach Ulm gebracht wird. Die Spurensicherung war auch schon dort, hat aber nichts Relevantes gefunden. Ihr solltet euch trotzdem nochmal am eventuellen Tatort umsehen, die Bilder der Toten schicke ich dir gleich auf dein Handy. Hier sind auch noch die Kontaktdaten des Hausarztes, falls du vorher noch mit ihm sprechen möchtest“, sagte die Chefin und ging bereits in Richtung Türe. „Ach ja ... nimm den Clemens mit. Der hat, soweit ich weiß, momentan nichts Wichtiges zu erledigen.“

Noch vor ein paar Monaten hätte Joska tief aufgeseufzt, wenn er den deutlich älteren Sascha Clemens aufs Auge gedrückt bekommen hätte. Doch inzwischen waren sie ein richtig gutes Team geworden und sie ergänzten sich perfekt. Alles, was der knapp dreißigjährige Joska nicht gerne tat wie zum Beispiel recherchieren und Berichte schreiben, liebte Sascha geradezu und darüber war Herr Kiss besonders froh. Also klappte er sein Buch über Forensik zu, meldete sich am Computer ab und stapfte hinüber in Saschas Büro.

„Es gibt schon wieder ne Leiche in Ottenbach!“, rief er schon von draußen und rauschte wie immer schwungvoll durch die Türe, sodass diese aufflog, jedoch im gleichen Moment wieder zurückprallte und ihn an der Nase traf. Mit einem Schmerzensschrei taumelte Joska ins Büro seines Kollegen.

„Was ist denn mit deiner Türe los, Mann!?“, jammerte er und hielt sich die Hand unter die blutende Nase. Ungerührt streckte Sascha ihm ein Taschentuch entgegen.

„Türstopper mit Gummiringummantelung“, grinste er nur und konnte sich dann beim Anblick seines geschundenen Kollegen das Lachen doch nicht verkneifen.

„Was?“, nuschelte der nur, schniefte und trocknete sich die Tränen ab, die ihm unwillkürlich in die Augen geschossen waren.

„Vielleicht ist dir das endlich eine Leere, nicht immer so temperamentvoll durch die Türen zu rauschen, sodass die jedes Mal an die Wand krachen!“, erklärte sein Gegenüber in hoffnungsvollem Tonfall, doch Joska Kiss schaute seinen Kollegen mit aufkeimendem Ärger an.

„Du brichst mir fast die Nase, nur weil ich etwas schwungvoller als andere Leute einen Raum betrete? Das kann doch nicht dein Ernst sein!“

„Der Türstopper sollte dir doch nicht deinen Riechkolben brechen, sondern die Türe und die Wand schonen! Was denkst du denn?“, sagte Sascha so ernst es ihm möglich war, denn eigentlich hatte er schon gehofft, dass seine Aktion mit dem Türstopper auch eine gewisse Wirkung auf seinen Kollegen haben könnte. Was er selbstverständlich niemals zugeben würde.

„Auch egal ... kommst du jetzt mit zu der Leiche oder nicht?“, näselte Joska mit einem Tempofetzen in der Nase.

„Natürlich - wir sind doch ein Team!“, rief Sascha, als wäre nichts gewesen, schnappte sich seinen Mantel und sein obligatorisches Notizbuch.

„Warte!“, rief Joska und bekam seinen eifrigen Kollegen gerade noch an der Kapuze zu fassen. „Wir sollten, bevor wir in die Gerichtsmedizin fahren, vorher noch mit dem Hausarzt sprechen, der den Totenschein ausgestellt hat. Der hat wohl irgendwas Seltsames bemerkt. Magdalena wusste aber leider noch nicht, was genau. Kannst du das bitte machen? Mich versteht man ja gerade etwas schlecht“, knurrte er mit einem zornigen Blick, während er sich demonstrativ auch noch ein Tempo ins zweite Nasenloch stopfte.

„Okay, ich mach das. Hast du die Nummer von dem Arzt?“, fragte Sascha und setzte sich wieder an seinen Computer. Mit einem Handzeichen bedeutete er seinem Kollegen, der ihm bereits einen Zettel mit Telefonnummer in die Hand gedrückt hatte, sich zu ihm zu setzen. „Ich stell auf laut, dann muss ich dir nachher nicht alles erzählen. Zuhören geht ja auch mit Tempo in der Nase“, konnte er sich nicht verkneifen, während er schon den Hörer in der Hand hatte.

Mit rollenden Augen fläzte sich Joska Kiss auf den Besucherstuhl und streckte seine langen, muskulösen Fußballerbeine von sich.

„Guten Tag, Herr Dr. Menrad. Sascha Clemens - Kripo Göppingen. Meine Chefin, Magdalena Müller-Harnisch hat mir Ihre Nummer gegeben. Wir wollten mit Ihnen über den Todesfall Bockmeyer aus Ottenbach sprechen. Hätten Sie kurz Zeit für uns? Ich habe Sie auf laut gestellt, damit mein Kollege Joska Kiss mithören kann“, eröffnete Sascha das Gespräch mit dem zuständigen Arzt.

„Ja, grüß Gott, die Herren. Einen kurzen Moment noch, bin gleich für Sie da“, sagte Herr Menrad und man hörte, wie er seiner Mitarbeiterin etwas zurief und sich dann gleich wieder meldete. „So, jetzt habe ich kurz Zeit für Sie ... tja, das mit der Ottenbacher Leiche ist ein bisschen merkwürdig, wenn ich das so sagen darf. Frau Bockmeyer ist, beziehungsweise war, schon seit Jahrzehnten meine Patientin. Leider konnte ich ihr bei ihrer Alkoholsucht nicht helfen und musste ihren körperlichen Verfall miterleben, ohne etwas tun zu können. Dass sie irgendwann daran sterben könnte, habe ich erwartet ... dennoch ist mir bei der Leichenbeschau etwas Seltsames aufgefallen, was ich auch gleich Ihren Kollegen und danach auch der Gerichtsmedizin in Ulm mitgeteilt habe“, erklärte der Arzt, ohne konkreter zu werden.

„Könnten Sie uns vielleicht erklären, was Sie so stutzig hat werden lassen?“, wollte Herr Clemens natürlich wissen und auch Joska beugte sich interessiert vor.

„Tja ... nun ... ich kann es gar nicht genau beschreiben, aber mir scheint, dass sie Vergiftungserscheinungen aufzeigt“, stammelte der Arzt.

„Aber die können doch von der Alkoholgeschichte herrühren - Alkohol ist ja auch ein Gift, wenn man es so will“, schaltete sich Herr Kiss in das Gespräch ein.

„Ja schon, aber so starke Anzeichen findet man da meistens nicht. Wie schon gesagt, ich habe das den Kollegen mitgeteilt und ich denke, sie werden der Sache schon auf den Grund gehen. Setzen Sie sich doch bitte mit denen in Verbindung, mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen - tut mir leid“, entschuldigte sich der Herr Doktor.

„Kein Problem, Herr Dr. Menrad. Danke, dass Sie so aufmerksam waren und uns das gemeldet haben. Bei so alten und zudem noch alkoholkranken Leuten rechnet man ja mit einem frühzeitigeren Tod und schaut dann bei der Leichenschau vielleicht nicht immer so genau hin. Gute Arbeit!“, lobte Joska, doch dann fiel ihm noch etwas ein. Wenn er schon einen Arzt an der Strippe hatte, konnte er ihn auch gleich noch etwas Privates fragen. Eventuell konnte er sich so den Gang zu seinem Hausarzt sparen.

„Ach, Herr Doktor - einen kurzen Moment noch. Ich hätte da noch eine Frage.“

„Ja bitte, aber machen Sie es bitte kurz! Mein Wartezimmer ist voll und die Leute werden immer ungeduldiger und pansicher - es ist wirklich nicht zu fassen!“, jammerte der Arzt und Joska konnte sich das sogar bildlich vorstellen - lauter Leute mit Atemschutzmasken im Wartebereich!

„Eine befreundete Apothekerin hat mir gesteckt, dass es bald zu Engpässen bei einigen Arzneien kommen könnte. Ich muss regelmäßig Schilddrüsen-Medikamente nehmen und hätte zwar noch für ein paar Wochen welche zuhause. Aber könnte man trotzdem jetzt schon ein Rezept für die nächste Ration bekommen?“

„Ihr Hausarzt wird Ihnen sicher eines ausstellen, aber vielleicht kommen Sie damit bereits zu spät! Soweit ich weiß, sind mancherorts zum Beispiel die Hunderter schon ausverkauft!“

„Oh nein, das ist nicht gut! Hoffentlich läuft das bald alles wieder normal! In China wurde doch alles wieder etwas gelockert oder?“

„Sie können ja auch zwei mal Fünfziger nehmen, die gibt es wohl noch. Wo das alles noch hinführt kann ich Ihnen leider auch nicht sagen, aber hoffen wir einfach das Beste, dass die Politiker und wirtschaftlichen Verantwortlichen es nicht zum Äußersten kommen lassen. Darf ich dann wieder an meine Arbeit gehen? Ich selbst habe Sorge, dass ich meine Praxis schließen muss, sollte es bei mir oder meiner Belegschaft zu einer Ansteckung kommen. Das ist alles nicht mehr so harmlos, wie es viele immer noch darzustellen versuchen!“, seufzte Dr. Menrad und nach einer knappen Verabschiedung legte er auf.

„Schon ganz schön bedrohlich, das Ganze! Ich habe gehört, dass sie nun auch bei uns ab nächster Woche die Schulen und Kindergärten bis nach den Osterferien schließen wollen! Da werden viele Eltern zuhause bei ihren Kindern bleiben müssen, denn zu den Großeltern, die ja potenziell gefährdeter sind, soll man sie auch nicht geben. Ob es da auch einige unserer Kollegen treffen wird?“, fragte Joska und dachte dabei an Nora und ihre Familie. Die würden in ihrem Ottenbacher Familienbetrieb, einer Messermacher-Werkstatt, zunächst ganz normal weiterarbeiten können. Vielleicht kamen nicht mehr so viele Kunden in die Firma, aber mehr würden sie wohl nicht mitbekommen.

„Ja, da bin ich auch mal gespannt. Aber zurück zu unserem Fall: Jetzt wissen wir zwar nicht viel mehr, aber ich hoffe, dass die Gerichtsmediziner das mit der angeblichen Vergiftung rauskriegen. Sollen wir gleich versuchen, dort einen Termin zu bekommen oder ist das eh noch zu früh?“, fragte Sascha und Joska bestätigte das.

„Eilt doch jetzt nicht so sehr, oder?“, meinte Joska und hoffte dabei, heute vielleicht doch noch nicht von seinen Fortbildungsunterlagen abgezogen zu werden.

„Die melden sich doch sowieso, wenn sie was Ungewöhnliches feststellen und wir dürfen dann rausfinden, ob sie sich selbst vergiftet hat oder ob jemand Anderes dahintersteckt. Warten wir einfach ab, einverstanden?“, fragte Sascha und sein Kollege nickte, klatschte sich auf die Schenkel und sprang hoch.

„Prima Idee, dann werde ich mich weiter hinter meine Fortbildung klemmen - ist ganz schön viel, kann ich dir sagen!“, seufzte er und verschwand wieder in seinem Büro.

399
573,60 ₽
Жанры и теги
Возрастное ограничение:
18+
Дата выхода на Литрес:
25 мая 2021
Объем:
251 стр. 3 иллюстрации
ISBN:
9783960147558
Издатель:
Правообладатель:
Автор
Формат скачивания:
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