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Nadine Kim Wulf

Schrecken der Vergangenheit

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Schrecken der Vergangenheit

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

ELF

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Epilog

Dank…

Impressum neobooks

Schrecken der Vergangenheit

Sauerlandkrimi

N.K.Wulf

Alle handelnden Personen und Namen sind von mir frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Die Rechte, einschließlich die der Umschlagsgestaltung, liegen beim Herausgeber.

Und wie immer liegen mögliche Fehler in meiner Verantwortung.

Eins

Freitag, 03.Mai, 02 Uhr 15

<<Schatz! Ich bin zu Hause>>, rief er und ließ die Haustür hinter sich sanft ins Schloss fallen. Wie jeden Tag legte er seine Schlüssel auf den kleinen Beistelltisch, der sich direkt im Eingangsbereich des Hauses befand und überflog kurz die Post. Ein paar Rechnungen, etwas Werbung und eine Karte aus den Staaten.

<<Hast du gesehen? Unser Sohn hat geschrieben.>> Während er die Zeilen überflog, zog er sich die Jacke aus und hängte sie an ihren angestammten Platz an die Garderobe. Er freute sich sehr darüber, ein Lebenszeichen seines Sprösslings in den Händen zu halten. Auch wenn darauf nur die üblichen kurzen Floskeln geschrieben standen.

Viele liebe Grüße aus Boston. Mir geht´s gut. Die Arbeit macht riesig viel Spaß. Ich lerne jeden Tag dazu. Für Sightseeing bleibt mir kaum Zeit. Denk an euch. Gruß Max“.

Er legte die Karte zurück auf den Tisch, als ihm auffiel, dass er bisher noch kein Sterbenswörtchen seiner Frau vernommen hatte.

<<Hallo! Niemand hier?>>, rief er erneut und ging in Richtung Wohnzimmer, wo er sie dann schließlich fand. Sie hatte ihm den Rücken zugekehrt und stand, die Arme vor der Brust verschränkt, vor der Terrassentür. Offensichtlich komplett abwesend und mit sich selbst beschäftigt. <<Ach, hier bist du>>, sagte er leichthin und setzte seinen Weg in die Küche fort. <<Ich habe Lust auf Italienisch. Wollen wir später vielleicht noch auf eine Pizza bei Toni vorbeischauen? Das haben wir schon lange nicht mehr gemacht.>> Er holte sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und kam zurück ins Wohnzimmer. Seine Frau hatte ihre Position nicht verändert und starrte immer noch ins Grüne.

Er trank einen Schluck aus der Flasche und wunderte sich über ihre merkwürdige Haltung. <<Sag mal, ist alles in Ordnung? Warum sagst du nichts?>> Eine Bewegung am Rande seines Sichtfeldes ließ ihn aufschrecken. Auf dem weißen Sofa vor ihm saß noch jemand. Ein Mann. Mehr konnte er erst einmal nicht sagen, denn auch er hatte ihm den Rücken zugekehrt. <<Du hast Besuch?>> Endlich reagierte seine Frau und blickte über die Schulter zu ihm herüber.

<<Naja. Eigentlich ist es dein Besuch>>, sagte sie in einem zuckersüßen Tonfall und drehte sich nun ganz um. Sie lächelte, aber ihre Miene wirkte dennoch kalt. Plötzlich hatte er das Gefühl, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmten konnte.

<<Okay. Was ist hier los? Wer ist das?>>, fragte er. Der Mann auf dem Sofa fing leise an zu lachen. Dann stand er auf. Langsam und bedächtig. Einen kurzen Augenblick verharrte er, dann drehte er sich langsam zu ihm um. Das Gesicht hinter einer abstrakten Löwenmaske verborgen, starrte er ihn mit eisblauen Augen an.

<<Überraschung>>, flüsterte der Mann.

Er fuhr zurück. <<Nein! Das kann nicht sein. Du.. du bist tod!>> Mit Unverständnis richtete er seinen Blick nun wieder auf seine Frau und erstarrte. Sie hielt eine Waffe in der Hand, die sie zuvor unter ihrem Arm verborgen hatte. Die Wasserflasche glitt ihm aus der Hand und zerschellte auf dem Fliesenboden. <<Oh Gott, Claudia. Bist du verrückt geworden? Leg sofort das Ding weg.>>

Das Lachen setzte wieder ein und sie hob den Arm und richtete den Lauf nun direkt auf ihn. Panik stieg in seiner Kehle auf und er taumelte zurück. Er hatte beide Hände beschwichtigend nach vorne gerichtet.

<<Bitte mach keinen Unsinn.>> Er hatte keine Ahnung, was hier gerade passierte. Er wusste nur, dass er auf einmal Todesangst hatte. Sein Innerstes riet ihm zum Wegrennen, aber seine Beine versagten ihren Dienst. Ein letztes Mal begegnete er diesen eisblauen Augen.

<<Bye-Bye.>> Aus dem Kichern wurde schallendes Gelächter und seine Frau drückte den Abzug.

<<NEEEIIIIIN!>>

Schwer atmend und schweißgebadet, saß Nik aufrecht in seinem Bett. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Er hörte noch immer seinen Schrei, spürte noch immer den Schmerz und schmeckte noch immer das Blut. Und er wusste nicht, wo er war. Hektisch schaute er sich um, wobei sich seine Augen nur langsam an die Dunkelheit gewöhnten.

Aber nach und nach lichtete sich der Schleier und Nik fand sich in seinem Schlafzimmer wieder. „ Gott sei Dank“. Er war also in Sicherheit. Aber er tat sich schwer, die Erkenntnis zu verarbeiten. Sein Verstand sträubte sich dagegen, dass es schon wieder passiert war. Seit Monaten schon, blieb er von diesem Alptraum verschont.

Doch in dieser Woche war es bereits das dritte Mal, dass ihn seine tote Frau heim suchte. Er merkte, dass er immer noch Angst hatte. Jedoch nicht davor, dass Claudia aus dem Jenseits zurückkehren könnte, um ihr Werk, dass sie vor einem Jahr begonnen hatte, heute zu Ende zu bringen.

Nein. Die Hand auf der wulstigen Oberfläche der kleinen Narbe verriet ihm, dass er nur knapp mit dem Leben davon gekommen war. Dass es vorbei war. Es war eher die Angst davor, in alte Verhaltensmuster zurückzufallen. Denn sein Leben war nach dem Mordversuch nicht mehr dasselbe wie vorher. Lange hatte er unter Panikattacken gelitten, von den Träumen und den ständigen Schmerzen mal ganz abgesehen. Es war ein langer und beschwerlicher Weg gewesen. Aber er hatte es geschafft. Er hatte sich ins Leben zurück gekämpft.

Eine leise Bewegung holte ihn komplett in die Gegenwart zurück. Nik schaute über seine rechte Schulter. Thea hatte sich auf die Seite gedreht und schlief seelenruhig neben ihm. Er beobachtete liebevoll, wie sich ihre Nasenflügel bei jedem Atemzug leicht dehnten. Ihr entspannter Gesichtsausdruck half ihm, die schrecklichen Bilder, für den Moment zu vergessen. Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte er niemals gedacht, je wieder eine Frau in seiner Nähe ertragen zu können. Doch sie hatte ihn von Anfang an in ihren Bann gezogen.

Zuerst war sie nur seine Therapeutin, später eine lieb gewonnene Freundin und heute die große Liebe an seiner Seite. Thea war so gar nicht wie Claudia. Sie war unkompliziert. Sie war eben sie. Eine Frau, die man nur lieben konnte. Mit dem Fingerknöchel strich er ihr ganz sanft über die Wange. Thea bewegte sich leicht, wachte aber nicht auf. Auch sein Puls hatte wieder normale Schläge angenommen. Doch an weiteren Schlaf war heute wohl nicht mehr zu denken. Die Angst vor einem weiteren Traum steckte ihm immer noch in den Gliedern. Um sie nicht weiter zu stören, beschloss Nik nach unten zu gehen, um sich mit etwas Arbeit abzulenken. Für gewöhnlich klappte das immer.

Er stieß noch einmal den Atem aus, stieg aus dem Bett und zog leise die Tür hinter sich zu. Was er nicht bemerkte, ein Augenpaar, das ihm mit sorgenvollem Blick hinterher schaute. Thea hatte keineswegs mehr geschlafen.

Samstag, 04. Mai, 09 Uhr 45

<<Frische-Brötchen-Bring-Service!>> Mit je einer Tüte in der Hand, die so voll gestopft waren, dass sie zu platzen drohten, stapfte Karsten durch den Flur. In der Küche angekommen, versetzte ihn der Anblick des üppigen Frühstücksbuffet in Staunen.

<<Ach du meine Güte, Thea. Hast du die ganze Nachbarschaft eingeladen?>>

<<Dir auch einen guten Morgen. Und um deine Frage zu beantworten. Nein, habe ich nicht. Aber die Kinder kommen auch gleich>>, sagte sie und widmete sich wieder dem Rührei. In einer separaten Pfanne daneben brutzelten einige Speckstreifen vor sich hin.

<<Seit wann stehst du denn schon in der Küche? Das sieht nach mordsmäßig viel Arbeit aus. Haben wir das überhaupt verdient?>> Karsten suchte verzweifelt einen freien Platz für die Brötchen.

<<Mach doch bitte nicht so ein Drama wegen der paar Gurkenscheiben. Ich mag es halt, wenn alles schön aussieht.>>

<<Und ob es das tut.>> Karsten legte seinen Arm um ihre Schulter und drückte Thea einen freundschaftlichen Kuss auf die Wangen. <<Guten Morgen.>>

<<Das kitzelt. Wann hast du dich das letzte Mal rasiert?>>

<<Oh. Ich glaube, ich lass den Bart stehen. Frauen mögen das. Hab ich gehört.>> Er schaute sich in der Küche um. <<Okay. Womit kann ich dir noch helfen?>>

<< Du könntest den Tisch im Esszimmer schon mal decken. Kriegst du das hin? >>

<< Was ist das denn für eine Frage. Ich bin der geborene Großmeister in Sachen Tischdekoration. >>

<< Na dann >>, kommentierte Thea seine Aussage.

Karsten holte aus dem Schrank auf der gegenüber liegenden Seite, die nötige Anzahl an Tassen und Tellern heraus und verschwand ins Esszimmer. Kurze Zeit später war er zurück und kramte in einer Schublade nach dem Besteck.

<<Wo ist eigentlich unser Sonnyboy?>>

Er hörte Thea kurz seufzen. << Nik ist heute schon sehr früh mit dem Rad aufgebrochen. Aber ich denke, dass er bald zurück sein wird. >>

Als Polizist war ihm der leichte Stimmungswechsel nicht entgangen. Mit der Zeit hatte Karsten feine Antennen und ein Gespür dafür entwickelt, wenn etwas nicht stimmte. Er setzte sich auf einen der Stühle und schaute ihr zu, wie sie eine weitere Ladung Rührei in die Pfanne goss.

<<Was ist denn los? Habt ihr euch gestritten?>>

<<Was? Nein. Wie kommst du darauf?>>

<<Naja. Der ganze Aufwand hier. Du kannst es mir ruhig sagen.>>

<<Was kannst du ihm sagen?>>, fragte Nik, der unterdessen klammheimlich durch die Terrassentür ins Haus gekommen war. Er war verschwitzt und hatte den Reißverschluss seines Trikots bis unter die Brust gezogen. Und sah unverschämt gut damit aus.

<<Er will unbedingt das Rezept für mein Rührei haben>>, antwortete Thea gedankenschnell. Sie lächelte zu ihm auf und begegnete seinen Lippen mit den ihren. Seine braunen Augen faszinierten sie noch immer, deshalb bemerkte sie erst viel zu spät, dass Nik bereits seine Finger in der Schale mit dem fertigen Rührei vergraben hatte. Gerade noch rechtzeitig schaffte er es, sich das Ei in den Mund zu stecken, bevor Theas Kochlöffel auf seinem Handrücken landen konnte. <<Finger weg, du Schuft. Geh erst mal unter die Dusche, bevor du mit deinen verschwitzten Händen das Frühstück ruinierst.>>

<<Jawohl Ma´am!>> Mit einem spitzbübischen Lächeln wandte er sich zu seinem Freund um.

<<Herr Gott nochmal. Könntest du dir bitte etwas anziehen?>>, schimpfte Karsten gespielt und hielt sich eine Hand vor die Augen.

<<Was macht der schon wieder hier?>>, fragte Nik. <<Hast du kein eigenes Zuhause?>>

<<Doch. Aber bei dir ist es schöner. Ich hab nicht aufgeräumt, weißt du.>>

<<Mh.>> Nik kniff leicht die Augen zusammen. <<Was ist das da in deinem Gesicht?>>

<<Weitläufig sagt man Bart dazu. Es mag dir noch nicht aufgefallen sein, aber du trägst auch sowas in deiner Visage.>>

<<Und Frauen stehen ja bekanntlich darauf. Hast du ihm den Quatsch eingetrichtert?>>, fragte Thea ohne die beiden zu beachten.

<<Magst du meinen Bart denn etwa nicht?>>, hakte Nik nach.

Grinsend schaute sie ihn nun an. <<Und ob ich das tue. Ich liebe jedes Haar an dir.>>

Er schürzte die Lippen und nickte anerkennend. <<Cool.>>

Vom Flur aus hörte man das schneller werdende Tapsen eines Hundes. Theas braune Bulldogge trampelte durch die Küchentür und hatte nur noch Augen für den Weidenkorb in der Ecke. Die Zunge hing Winston aus dem Maul und reichte fast bis auf den Boden. Der korpulente Hund hatte sich allem Anschein nach komplett verausgabt.

<<Hallo Kröte>>, sagte Karsten. Aber die Bulldogge trottete lustlos an ihm vorbei. Mit einem tiefen Seufzer ließ sich der Hund in sein Körbchen fallen.

<<Mein Armer Schatz>>, sagte Thea und musterte Winston aufmerksam. <<Sag nicht, du hast ihn mit zum Radfahren genommen.>>

Nik prustete los. <<Was denn, die Wurst? Der würde nicht mal einen Kilometer mithalten. Ich habe nur ein bisschen mit ihm und seinem Ball gespielt. Was denkst du denn von mir? >>

Thea kraulte Winston hinter den Ohren. Dieser rollte sich theatralisch auf den Rücken, so als habe sein letztes Stündchen geschlagen. Dann stand sie auf und ging wieder an den Herd.

<<Und du sag nicht immer Kröte zu meinem Hund>>, knurrte sie Karsten an.

<<Ich geh duschen>>, sagte Nik und warf Winston einen bösen Blick zu. <<Verräter.>> Der Hund schnellte zurück auf den Bauch und kommentierte die Aussage mit einem Schnaufen durch die Nase.

<<Ja bitte>>, fügte Karsten abschließend hinzu und wartete noch eine Weile, bis er in der oberen Etage die Tür zum Bad hörte. Er wollte sicher sein, dass sie sich ungestört weiter unterhalten konnten. Langsam trat er um Thea herum und lehnte sich mit der Hüfte gegen die Arbeitsplatte. <<Also? Was ist los?>>

Sie atmete heftig durch die Nase und schloss kurz ihre Augen.

<<Er hat wieder diese Träume, Karsten. Er denkt, ich merke es nicht. Aber er wacht nachts schreiend auf und läuft dann durch das Haus.>>

<<Scheiße. Aber wieso jetzt? Ich dachte, er hätte es überwunden?>>

Thea schüttete die letzte Portion Rührei in die Schüssel und legte alles beiseite. <<So etwas überwindet man nicht.>> Sie wusch sich die Hände unter dem Wasserhahn und trocknete sie an einem Geschirrtuch ab.

<<Du weißt, was gestern für ein Tag war?>>

Karsten schluckte. <<Wie könnte ich das vergessen?>>

Einzelne Bilder tauchten vor seinem geistigen Auge auf. Bilder, in denen er seinen besten Freund gerade erst wieder gefunden und doch fast für immer verloren hätte. Es war der Tag, an dem er endgültig beschlossen hatte, dem LKA in Düsseldorf den Rücken zu kehren. An jenem Abend saß er, wie so oft, allein in seinem Büro und bearbeitete seine Akten. Er erinnerte sich daran, als wäre es erst gestern gewesen. Als das Telefon klingelte und man ihn zu dieser Geiselnahme gerufen hatte. Sein Blut gefror zu Eis, als er davon erfuhr, dass Nikolas, den er jahrelang nicht mehr gesehen hatte, einer der Opfer war. Zunächst glaubten alle an ein tragisches Unglück, doch der Fall entpuppte sich mehr und mehr zu einem über Wochen geplanten Mordkomplott. Und es hätte nicht viel gefehlt und der heimtückische Plan, Nik zu töten, wäre aufgegangen. Karsten hatte mit ansehen müssen, wie die Kugel ihn getroffen hatte. Es war der schrecklichste Moment in seiner Laufbahn als Polizist. Ein Moment, den er so nie wieder erleben wollte. Und wie es der Zufall wollte, wurde kurz darauf eine passende Stelle bei der Kripo in Iserlohn frei. Was gleichzeitig der Startschuss in sein neues, altes Leben bedeutete. Ein Leben unter Freunden und einer Familie. <<Du glaubst also, dass ihn das beschäftigt?>>

<<Im Unterbewusstsein mit Sicherheit. Wir sollten versuchen, ihn abzulenken. Ich habe mir bereits das ganze Wochenende frei schaufeln können.>> Ihre Miene wurde plötzlich wieder heiter. <<Und glaub mir. Nik wird heute eine ganze Menge Ablenkung zu verdauen haben.>>

Karsten musterte sie mit verengten Augen. <<Was weißt du?>>

<<Lass dich überraschen>>, sagte sie und zwinkerte ihm ein Auge zu.

<<Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass mein Patenonkel gerade die Freundin meines Vaters anbaggert.>> Die Stimme hinter ihnen gehörte zu Maximilian, der sich genau wie sein Vater kurz zuvor in die Küche gestohlen hatte und neugierig das Frühstück inspizierte. Seine Freundin Anni trat hinter ihm hervor und tat es ihm gleich.

Die beiden waren noch nicht sehr lange offiziell ein Paar. Aber jeder hier wusste, dass da schon viel länger etwas zwischen den beiden lief. Und zwar schon, während Maximilian eine Stelle in Boston angenommen hatte.

<<Guten Morgen ihr zwei.>>

<<Morgen Thea. Das sieht wirklich hervorragend aus. Kann ich beim Tischdecken helfen?>>, fragte Anni und stopfte sich bereits eine Gurkenscheibe zwischen die Zähne.

Thea runzelte die Stirn. <<Ich dachte, dass hättest du schon gemacht.>>

<<Hab ich doch auch. Geschirr steht drüben. Man muss es nur noch auf die Plätze verteilen.>>

Jetzt verdrehte sie die Augen. <<So viel zu dem Thema: Meister der Tischdekoration.>>

<<Was denn? Woher soll ich denn wissen, wo wer sitzt?>> Karsten verteidigte sich vehement.

<<Lass gut sein. Wir erledigen das schon>>, sagte Maximilian grinsend und wieder einmal fiel Thea die enorme Ähnlichkeit zu seinem Vater auf. Dieselben dunklen Augen, große, breite Schultern und einen Charme, dem jede Frau hoffnungslos erlegen war. Sie hatte den Jungen in ihr Herz geschlossen. Genau, wie all die anderen, die das gleiche Schicksal an diesem furchtbaren Tag miteinander teilten. Anni und Chris, die während der Geiselnahme stundenlang um ihr eigenes und das Leben von Nik bangen mussten. Er war schwer verletzt gewesen und hatte es nur dem beherzten Eingreifen von Tom zu verdanken, dass er es überhaupt geschafft hatte. Zu Ihrer Überraschung zeigte sich Maximilian damals sehr offen, um mit ihr über die Probleme seiner Eltern zu sprechen. Die Ehe der beiden stand vor dem endgültigem Aus. Während sein Vater alles dafür tat, die bittere Wahrheit zu verdrängen, hatte seine Mutter bereits einen Neuen kennengelernt. Einen stinkreichen Industriellen, der dazu noch einen kriminellen Hintergrund pflegte. Mit seiner Hilfe war es ein Kinderspiel, den grausamen Plan, seinen Vater verschwinden zu lassen, in die Tat umzusetzen.

Aber die schlussendliche Wahrheit, dass seine Mutter zu einer eiskalten Mörderin mutiert war, hatte dem jungen Mann so sehr zugesetzt, dass er seither kein Wort mehr über sie verloren hatte. Das Thema „Claudia Berger“ war in diesem Haus tabu.

Plötzlich hielt sich Anni eine Hand vor den Mund. <<Ich glaube, es geht schon wieder los>>, sagte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen und rannte ins Bad.

<<Hat sie was Falsches gegessen?>>, erkundigte sich Karsten besorgt.

<<Wer weiß, wer weiß>>, säuselte Thea und lächelte Maximilian an. Mit hochroter Miene schnappte er sich zwei von den Platten und ging ins Esszimmer. Karsten und Thea folgten ihnen mit dem Rest. Zusammen hatten sie den Tisch in Windeseile fertig gedeckt. Frisch geduscht gesellte sich auch Nik dazu. Barfuß, so wie er es in seiner Freizeit gerne tat. Dazu trug er eine ausgewaschene, blaue Jeans und ein frisches, graues T-Shirt. Um seinen Hals baumelte ein Handtuch, mit dem er sich das noch feuchte Haar abtrocknete.

<<Morgen Dad>>, sagte Maximilian und schüttete sich Kaffee ein.

<<Auch einen?>>

<<Gern. Ich habe einen Mordshunger.>>

<<Du warst schon früh aus dem Haus>>, bemerkte sein Sohn.

<<Konnte nicht mehr schlafen. Außerdem ist die Luft einfach herrlich um die Uhrzeit.>> Nik setzte sich an seinen angestammten Platz und kramte in einer der beiden Tüten nach einem Brötchen. Mit bleichem Gesicht trat Anni an ihm vorbei und setzte sich neben Max auf einen Stuhl.

<<Besser?>>, fragte er so leise, dass es fast keiner mitbekommen hätte.

<<Morgen, die Dame>>, stichelte Nik. <<Auch ein Brötchen?>>

<<Danke. Für mich bitte nicht.>>

Erstaunt hob Nik eine Augenbraue. Anni war für ihren großen Appetit bekannt. Auch wenn man es ihr nicht ansah. Die Frau war in der Lage, ein ganzes Schwein auf einmal zu vertilgen. <<Nanu? Muss ich mir Sorgen machen? Du und keinen Hunger?>>

<<Wird schon wieder>>, sagte Anni und stützte ihren Kopf auf dem Arm ab.

<<Hier. Ich habe dir einen Tee gekocht.>>

<<Danke Thea.>> Mit zusammengekniffenen Augen begutachtete sie den Becher vor sich. Eigentlich mochte Anni Tee nicht sonderlich. Aber im Augenblick erschien ihr die Wahl des Heißgetränks durchaus angemessen. Vorsichtig nippte sie an der pfefferminzhaltigen Flüssigkeit und ließ sich langsam gegen die Stuhllehne fallen. Mit geschlossenen Augen kämpfte Anni gegen den nächsten leisen Anflug von Übelkeit an und war so mit sich beschäftigt, dass sie Tom und Chris gar nicht hatte kommen hören. Sie zuckte leicht zusammen, als sich ihre beste Freundin zu ihr herunter gebeugt hatte um ihr etwas auf den Schoß zu legen.

<<Ich habe in der Apotheke nachgefragt. Das darfst du nehmen>>, flüsterte sie ihr ins Ohr.

<<Wenn ich dich nicht hätte. Du bist die Beste>>, seufzte Anni.

<<Mach nicht so ein Drama daraus. Ich war nur in der Apotheke>>, antwortete Chris mit einer dermaßen guten Laune, dass Karsten hellhörig wurde. Aufmerksam beobachtete er, wie sie zielstrebig auf ihren Ziehvater zusteuerte. Mit einem überwältigenden Lächeln im Gesicht, legte sie ihm die Tageszeitung an seinen Platz und drückte ihn kurz zur Begrüßung. Gleich würde eine Bombe platzen.

Das hatte Karsten im Gefühl. Und das mit anzusehen, war fast so schön wie ein Kinobesuch. Nur eben ohne Popcorn.

<<Morgen Kleines>>, sagte Nik abwesend. Ein Artikel im Sportteil hatte bereits sein Interesse geweckt. Mit lautem Getöse suchte er in den einzelnen Blättern, bis er den passenden Teil endlich fand. Auch die beiden Jungs hatten sich mit Shake Hand begrüßt und frotzelten über den gestrigen Abend. Sie hatten sich nach Toms Schicht verabredet und waren sprichwörtlich versackt.

Zwischen Kaffee und einem Bissen von seinem Croissant wanderte Karstens Blick weiter von einem zum anderen. Irgendwann hielt es ihn nicht mehr auf dem Stuhl. Er war noch nie für seine geduldige Art bekannt gewesen. Das Geplänkel am Tisch dauerte ihm einfach viel zu lange.

<<Sagt mal Jungs, gibt es einen Grund für eure ausgelassene Stimmung? Normalerweise kriegt ihr doch morgens kaum die Zähne auseinander.>> Ein heftiger Schmerz fuhr ihm vom Knöchel an aufwärts. Er hatte vergessen, dass Thea direkt neben ihm saß und seine Ungeduld mit einem Tritt abstrafte. <<Möchtest du vielleicht hier sitzen?>>, fragte er gespielt. <<Dann bist du näher an deinen Füßen.>>

<<Nein. Ich denke, ich sitze hier ganz prima. Aber danke>>, konterte sie frech.

Maximilian und Tom hatten die Arme vor der Brust verschränkt und grinsten verschwörerisch. Und Karsten wäre beinahe der Geduldsfaden gerissen. Er konnte es nicht leiden, wenn man ihn im Dunkeln tappen ließ. Allem Anschein nach, wusste jeder hier über irgendetwas Bescheid. Nur eben er und Nik nicht. Das war einfach nur unfair. Endlich hatte Tom ein Einsehen mit ihm und räusperte sich. <<Ähm. Nik?>>

<<Mh?>>, knurrte der hinter seiner Zeitung.

<<Darf ich dich was fragen?>>

Mit dem Zeigefinger drückte er eine Ecke der Seite nach vorne und späte seitlich zu ihm rüber.

<<Natürlich. Was gibt´s?>>, fragte er und trank zeitgleich einen Schluck Kaffee.

Mit einer liebevollen Geste legte Tom seinen Arm um Chris. Jetzt zeigte sie ihr schönstes Lächeln und die unbändige Liebe zwischen den beiden war für jeden greifbar. Karsten vergaß automatisch das Kauen. Die Lunte brannte bereits.

<<Ich habe Chris gestern eine Frage gestellt, die sie mit – Ja – beantwortet hat.>>

<<Und?>>, fragte Nik und Karsten konnte es kaum glauben. Sein bester Freund stand ja sowas von auf dem Kabel.

<<Und ich wollte nun auch dich fragen, ob du mir gestattest, Chris zu heiraten.>>

Boom“, dachte Karsten und sah mit Entzücken, dass Nik sich an seinem Kaffee verschluckt und sich hustend nach vorne gebeugt hatte.

<<Okay. Irgendwie hatte ich mit einer etwas anderen Reaktion gerechnet>>, sagte Tom leicht irritiert und begegnete Chris` leuchtenden Augen. Nik räusperte sich, hatte aber seine Stimme wieder gefunden.

<<Und ihr seid euch ganz sicher?>>, fragte er. Als ob die Frage noch irgendwie relevant gewesen wäre. <<Aua!>>, stöhnte er auf und warf Thea einen verstohlenen Blick zu. Unbekümmert strich sie sich weiter die Butter auf eine Hälfte ihres Rosinenbrötchens und verteilte weiterhin Tritte unterm Tisch, wann immer es nötig war. <<Ich meine, ich freue mich natürlich für euch.>> Und das tat Nik wirklich. Man hatte ihn für den Moment nur total überrumpelt. Mit so etwas rechnet doch niemand. Er legte die Zeitung weg und stand auf, um seine Kleine in die Arme zu schließen. <<Wenn es das ist, was du willst, dann habt ihr natürlich meinen Segen.>>

Chris schmiegte sich erleichtert an seine Brust. <<Das bedeutet mir sehr viel. Danke, Nik.>>

Tom trat dazu und Nik reichte ihm mit geschürzten Lippen und zusammen gekniffenen Augen die Hand. <<Oh, oh!>>, sagte Tom und wich einen Schritt zurück. <<Ich erinnere mich vage, dass du mir schon einmal fast die Hand gebrochen hast. Ich hoffe, du hast nicht gerade vor, dass zu wiederholen?>>

<<Kommt darauf an>>, antwortete er und erinnerte sich zurück, an den besagten Tag. Als er nach Wochenlangen Krankenhaus - und Rehaaufenthalten endlich nach Hause zurückgekehrt war und ihm durch die Blume mitgeteilt wurde, dass die beiden längst zusammen waren.

Ihm verdankte Nik, dass er überhaupt noch am Leben war. Aber die Umstände ihres ersten Aufeinandertreffens waren für ihn noch immer schmerzhaft und schwer zu verarbeiten. Im Grunde war Tom genauso ein Opfer gewesen, wie er selbst. Erik, der eigentlich Magnus hieß und der Kopf der Bande war, hatte ihn erpresst und damit gedroht, seiner Großmutter etwas anzutun, sollte er nicht das tun, was man von ihm verlangte. Also machte er mit, ohne überhaupt zu wissen, was passieren würde. Und ehe er sich versah, war er gefangen, in einem intriganten Spiel aus Hass und Habgier.

Doch seine Schuldgefühle wuchsen mit jeder Sekunde. Mit ansehen zu müssen, was Magnus ihnen während der Geiselnahme alles angetan hatte und vor allem welche Angst Chris vor ihm hatte, zerriss ihn innerlich. Er hatte alles versucht, um den Irren von ihnen fernzuhalten. Er hatte sich sogar in den Schussweg geworfen und damit Nik vermutlich das Leben gerettet. Aber all seine Bemühungen liefen ins Leere. Erst als es keinen Ausweg mehr zu geben schien, und Nik zu verbluten drohte, fasste sich Tom ein Herz und setzte sein eigenes Leben aufs Spiel, um das von Chris, Anni und Nik zu retten. Was sein zukünftiger Schwiegervater nicht vergessen hatte. Deshalb konnte er sich keinen besseren Ehemann für seine Kleine wünschen. Chris war nicht seine leibliche Tochter, aber das spielte für ihn auch nie wirklich eine Rolle. Er liebte sie so wie seinen eigenen Sohn. Und mit anzusehen, wie sehr sie wieder Freude am Leben hatte, machte ihn umso glücklicher.

<<Habt ihr denn schon einen Termin?>>, fragte er.

<<Ja, damit kämen wir zu dem eigentlichen Knackpunkt>>, antwortete Chris. <<Wir werden wohl erst im nächsten Jahr einen Termin anvisieren können.>>

<<Wenn es am Geld liegt, darum braucht ihr euch keine Gedanken zu machen.>>

Chris schüttelte den Kopf. <<Nein, nein. Geld hat damit nichts zu tun. Das Problem ist meine Trauzeugin. Sie steht mir in nächster Zeit leider nicht zur Verfügung>>, erklärte Chris, woraufhin sich nun Maximilian an seinem Brötchen verschluckte. Anni ließ resigniert den Kopf hängen.

<<Ja was denn? Wann wolltet ihr es ihm denn sagen?>>

Nik wich zurück und runzelte die Stirn. <<Mir was sagen?>>

Maximilian seufzte und stand auf. <<Vielen Dank Sweety>>, knurrte er.

<<Gern geschehen.>>

<<Okay Dad. Wir wollten eigentlich noch warten, aber da Sweetheart hier ihren Mund nicht halten kann….>> Er presste die Lippen auf einander. <<Ich werde hier ausziehen. Wir suchen bereits nach einer passenden Wohnung.>>

<<Was ist daran so schlimm, dass du so ein Geheimnis daraus machen musst? Ich habe eigentlich schon viel eher damit gerechnet.>>

<<Es liegt nicht daran, dass ich mich nicht wohl hier fühle, Dad. Eher daran, dass Anni und ich demnächst wohl mehr Platz brauchen.>>

<<Und du dir leider Gedanken über eine Schwangerschaftsvertretung für mich machen musst. Den Platz an der Anmeldung habe ich bereits fest gebucht>>, fügte Anni hinzu und merkte, das ihr wieder übel wurde. <<Am besten, ich schließe mich gleich im Bad ein>>, sagte sie abschließend und rannte hinaus. Chris folgte ihr, mit dem Medikament aus der Apotheke.

<<Und nochmal Boom!>>, rief Karsten aufgeregt. <<Aua!>> Sofort im Nachsatz. Thea beschäftigte sich noch immer mit ihrem Brötchen und strafte ihn mit Nichtachtung. Trotzdem hatte auch dieser Tritt gesessen.

<<Nein!>>, flüsterte Nik und hielt sich eine Hand vor den Mund.

<<Doch. Ich weiß, es ist viel zu früh dafür. Aber so ist es nun Mal. Wir haben ausführlich darüber gesprochen und wollen das Kind. So, wie es also aussieht, wirst du wohl Opa.>>

Nik ließ sich erschöpft auf einen Stuhl fallen. <<Opa>>, stammelte er und starrte vor sich hin. <<Wow.>> Die Nachricht hatte wirklich gesessen. Er wirkte mental angeschlagen. Vor Freude. Vor Ergriffenheit.

<<Und ich kriege noch einen Schwiegersohn.>> Das waren die schönsten Neuigkeiten, die er seit langem bekommen hatte. Karsten hatte sich zu ihm gesellt und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

<<Glückwunsch Alter. Ich bin mir sicher, dass du mit Kinderwagen eine tolle Figur abgeben wirst.>>

<<Was? Nur eine tolle Figur?>>, fragte Nik und erwachte langsam aus seiner Schockstarre. <<Ich werde der coolste Opa aller Zeiten!>>

<<Klar wirst du das>>, pflichtete Maximilian ihm bei. Sein Vater stand auf und sie umarmten sich. Plötzlich wurde Nik wieder ernst.

<<Eine Bitte hätte ich da noch>>, sagte er und schaute mit zusammen gekniffenen Augen in die Runde. <<Wenn ihr das nächste Mal vorhabt, mich am Frühstückstisch zu überraschen, dann bitte tut mir den Gefallen und dosiert eure Neuigkeiten ein bisschen besser. Ich werde jetzt Opa und ich bin mir sicher, dass mein Herz und vor allem meine Nerven in Zukunft so viel Aufregung nicht mehr vertragen werden.>>

399
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9783748589228
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