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III. Die Bamberger Führertagung
Am 22. November 1925 wurde nach Hitlers Genehmigung die „Arbeitsgemeinschaft Nord-West“ nunmehr auch offiziell gegründet. Die Mitglieder dieser beauftragten unter anderem Kaufmann119 und Goebbels, den die Umgestaltung des Parteiprogramms bereits beschäftigt hatte, bis Mitte Dezember einen Entwurf für ein neues Parteiprogramm vorzulegen.120 Zwar ist das von Goebbels entworfene Programm nicht überliefert, sicherlich kamen aber hierbei seine sozialistischen Ideen zum Ausdruck. In der Außenpolitik plädierte er wohl für eine Annäherung an Russland.121
Am 24. Januar 1926 kamen in Hannover die norddeutschen Gauleiter zusammen, um über das zukünftige Parteiprogramm zu diskutieren. Das, was in Hannover schließlich verabschiedet wurde, deklarierte man als Material für eine in Aussicht genommene Revision des 25-Punkte-Programms. Die Versammlung beschloss des Weiteren einstimmig, die für Juni geplante Volksabstimmung über die entschädigungslose Enteignung der deutschen Fürsten zu unterstützen – eine Entscheidung, die den Ansichten in München vollkommen widersprach, bemühte sich Hitler doch um Bürgertum und Wirtschaft.122
Die Versammlung in Hannover richtete sich jedoch keineswegs gegen Hitler. Die „Arbeitsgemeinschaft“ beabsichtigte nicht, sich von der NSDAP abzuspalten.123 Goebbels fühlte sich keinesfalls als Teil einer Anti-Hitler-Front, die ja auch nicht existierte. Vielmehr hoffte er seinen „Führer“ für den Sozialismus zu gewinnen. Er wollte ihn vom Einfluss seiner falschen Berater befreien. Obwohl er Anfang Februar feststellte, dass Hitler wütend wegen des Programms sei, wartete er voller Zuversicht auf die „Entscheidung“ von Bamberg.124 Dorthin hatte Hitler am 14. Februar 1926 eine Führertagung einberufen, um einige „wichtige Fragen“ zu besprechen. Tatsächlich sah er in einem neuen Programm eine Bedrohung für seine Autorität.125 Davon nichts ahnend, notierte Goebbels in seinem Tagebuch: „Wir werden in Bamberg die spröde Schöne sein und Hitler auf unser Terrain locken. In allen Städten bemerke ich mit heller Freude, daß unser, d.h. der sozialistische Geist marschiert. Kein Mensch glaubt mehr an München. Elberfeld soll das Mekka des deutschen Sozialismus werden.“126
Allzu bald wurde Goebbels, der am 13. Februar in Bamberg mit Strasser zusammentraf, aus seiner „Traumwelt“ herausgerissen. Das Bild, das er sich von Hitler zurechtgelegt hatte, entsprach keinesfalls der Realität. Goebbels war von Hitlers Rede auf der Tagung schockiert:
„Ich bin wie geschlagen. Welch ein Hitler? Ein Reaktionär? Fabelhaft ungeschickt und unsicher. Russische Frage: vollkommen daneben. Italien und England naturgegebene Bundesgenossen. Grauenhaft! Unsere Aufgabe ist die Zertrümmerung des Bolschewismus. Bolschewismus ist jüdische Mache! Wir müssen Rußland beerben! 180 Millionen!!! Fürstenabfindung! Recht muß Recht bleiben. Auch den Fürsten. Frage des Privateigentums nicht erschüttern! (sic!) Grauenvoll! Programm genügt! Zufrieden damit. Feder nickt. Ley nickt. Streicher nickt. Esser nickt. Es tut mir in der Seele weh, wenn ich Dich in der Gesellschaft seh!!! Kurze Diskussion. Strasser spricht. Stockend, zitternd, ungeschickt, der gute, ehrliche Strasser, ach Gott, wie wenig sind wir diesen Schweinen da unten gewachsen! (…) Wohl eine der größten Enttäuschungen meines Lebens. Ich glaube nicht mehr restlos an Hitler. Das ist das Furchtbare: mir ist der innere Halt genommen. Ich bin nur noch halb.“127
Während Strasser den Mut aufbrachte, das Wort zu ergreifen, schwieg Goebbels zum Entsetzen der Norddeutschen. Der Versuch der „Arbeitsgemeinschaft“, einen sozialistischen Kurs in der NSDAP einzuschlagen, war am Führerprinzip gescheitert. Obwohl Goebbels das Erlebte zur „größten Enttäuschung seines Lebens“ hochstilisierte, war sein Glaube an Hitler und dessen historische Mission weitaus stärker als seine sozialistischen Anschauungen. Sein Gefühl, „nicht mehr restlos“ an Hitler zu glauben, legte sich bald wieder. Er war bereit, seine politischen Ideen zu opfern, niemals aber seinen „Führer“.128 Goebbels konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Hitlers Meinung seiner eigenen so grundlegend widersprach und flüchtete sich daher in die alten Erklärungsmuster: „Dann Mittwoch zu Strasser. Vorschlag: Kaufmann, Strasser und ich gehen zu Hitler, um eindringlichst mit ihm zu reden. Er darf sich von den Lumpen unten nicht binden lassen.“129 Immer noch hoffte er, Hitler in der programmatischen Auseinandersetzung auf die eigene Seite herüberziehen zu können. Wenige Tage später sollte er eines Besseren belehrt werden: Nach einem Gespräch mit Hitler bat Strasser am 5. März alle Mitglieder der „Arbeitsgemeinschaft“, jegliche Exemplare des Programmentwurfs an ihn zurückzusenden.130
Goebbels schien seinen ganzen Unmut auch bald wieder vergessen zu haben: „Lektüre: Adolf Hitler "die Südtiroler Frage und das deutsche Bündnisproblem". Eine fabelhaft klare und großzügige Broschüre. Er ist schon ein Kerl,…der Chef! Er hat mir wieder manchen Zweifel zerstört!“131
Die Bamberger Führertagung vom Februar 1926 war für die weitere Entwicklung der NSDAP von enormer Bedeutung. Hitler behauptete seine uneingeschränkte Autorität. Die Partei sollte sich ihrem Führer und nicht einem Programm unterordnen. Hitler konnte es verhindern, dass man ihn an ein Programm band und hatte nun eine unantastbare Position an der Spitze der Bewegung erreicht. „Idee“ und „Führer“ wurden deckungsgleich.132
IV. Verführung in München
Hitler, dessen Taktik, Goebbels aus dem Strasser-Flügel herauszulösen, in Bamberg bereits einen ersten Erfolg gezeigt hatte, bemühte sich nach der Führertagung, ihn auch in den inhaltlichen Fragen ganz auf die eigene Seite herüberzuziehen. Er lud ihn und Kaufmann daher nach München ein.133 Beide leiteten seit Anfang März 1926 gleichberechtigt den aus den Gauen Rheinland-Nord und Westfalen entstandenen Großgau Ruhr. Nach dem Triumph in Bamberg hatte sich Hitler großzügig gezeigt und keinen Einspruch gegen die Schaffung eines stark vergrößerten Gaus im Ruhrgebiet erhoben.
Hitler wusste, dass Goebbels aufgrund seines geschmälerten Selbstwertgefühls sehr anfällig war für Schmeicheleien und Hervorhebungen und diese ließ er ihm nun in München angedeihen. Die Inszenierung nahm bereits am Hauptbahnhof ihren Anfang. Die Männer wurden mit Hitlers Mercedes abgeholt. Wie erwartet, zeigte sich Goebbels beeindruckt: „Welch ein nobler Empfang!“134 Ihm sprangen sofort die „riesengroße Plakate“ ins Auge, die für seinen Auftritt im Bürgerbräu warben. Die Spannung auf ein Wiedersehen bei Goebbels geschickt aufbauend, kam Hitler erst am nächsten Morgen, um die Männer zu begrüßen: „In einer Viertelstunde ist er da. Groß, gesund, voll Leben. Ich hab ihn gern. Er ist beschämend gut zu uns.“135 Erneut stellte Hitler ihnen seinen Wagen zur Verfügung, um sie zum Starnberger See zu bringen. Am Abend nach Goebbels Rede im Bürgerbräu umarmte ihn Hitler mit Tränen in den Augen. Goebbels notierte: „Ich bin so etwas wie glücklich.“136 Anschließend ließ Hitler ihm seine ganze Aufmerksamkeit ungeteilt zukommen und aß ganz allein mit ihm zu Abend. Es folgte ein Konzertbesuch. Hitler wich Goebbels nicht von der Seite.137 Er umwarb ihn.
Nachdem Hitler gut vorgearbeitet hatte, indem er Goebbels wieder vollständig für sich eingenommen hatte und sich dessen sicher war, erfolgte am nächsten Tag eine Standpauke für die in der „Arbeitsgemeinschaft“ und im Ruhr-Gau gespielte Rolle:
„Und dann ein ganzes Sammelsurium von Anklagen. Nobel und nett vorgebracht. Hitler ist auch da ein Kerl. Dr. Ley und Bauschen haben intriguiert. Straßer und ich kommen übel weg. Jedes unbedachte Wort wird aufgewärmt. Herrgott, diese Schweine! A.G., Gau Ruhr, alles kommt aufs Tapet. Am Schluß folgt die Einigkeit. Hitler ist groß. Er gibt uns allen herzlich die Hand. Schwamm drüber!“138
Hitlers Berechnung war aufgegangen. Goebbels war seinem „Chef“ so stark verfallen, dass er ihm die Strafpredigt keinesfalls übel nahm. Da den Norddeutschen alles verziehen wurde, schien ihm Hitlers Großzügigkeit vielmehr imponiert zu haben. Als Hitler anschließend seine programmatischen Vorstellungen erläuterte, zeigte sich Goebbels, die eigenen Prinzipien total vernachlässigend, begeistert: „Er spricht drei Stunden. Glänzend. Könnte einen irre machen. Italien und England unsere Bundesgenossen. Rußland will uns fressen. (…) Wir fragen. Er antwortet glänzend. Ich liebe ihn.“139 Bei der sozialen Frage passte sich Hitler Goebbels an, ohne es aber tatsächlich ernst zu meinen.140 Goebbels war hingerissen. Er war der Redegewalt und hypnotischen Wirkung seines „Führers“ vollkommen erlegen:
„Soziale Frage. Ganz neue Einblicke. Er hat alles durchdacht. Sein Ideal: Gemischter Kollektivismus und Individualismus. Boden, was drauf und drunter dem Volke. Produktion, da schaffend, individualistisch. Konzerne, Truste, Fertigproduktion, Verkehr etc. sozialisiert. Darüber läßt sich reden. Er hat alles durchdacht. Ich bin bei ihm in allem beruhigt. Er ist ein Mann, nehmt alles nur in allem. So ein Brausekopf kann mein Führer sein. Ich beuge mich dem Größeren, dem politischen Genie!“141
In den folgenden Tagen trafen sich Goebbels und Hitler mehrmals. Sie gingen zusammen essen und besprachen erneut die zukünftige Außenpolitik Deutschlands. Nun schien Goebbels wieder eigenständig zu denken und äußerte leichten Zweifel, wobei er alles in allem ziemlich verunsichert war: „Seine Beweisführung ist zwingend. Aber ich glaube, er hat das Problem Rußland noch nicht ganz erkannt. Auch ich muß manches neu überdenken.“142 Eine andere Meinung zu haben als sein „Führer“, fiel ihm schwer.
Schließlich begaben sich beide zusammen nach Stuttgart, um dort zu sprechen. Weiterhin umhegte Hitler den ihn bewundernden Goebbels, der bereits eine besondere Verbindung zu seinem „Chef“ mutmaßte: „Hitler umarmt mich, als er mich sieht. Er sagt mir viel Lob. Ich glaube, er hat mich wie keinen ins Herz geschlossen.“143 Sichtlich ergriffen kommentierte Goebbels Hitlers Geburtstagsfeier, an der er zum ersten Mal teilnahm: „Adolf Hitler, ich liebe Dich, weil Du groß und einfach zugleich bist. Das, was man Genie nennt.“144
Die intensive Annäherung zwischen Hitler und Goebbels wurde in Norddeutschland kritisch beäugt. Es war nicht zu übersehen, dass Goebbels immer weniger versuchte, Hitler für die sozialistischen Anschauungen zu gewinnen. Auch missgönnte man ihm die Zuwendung, die er von Hitler erhielt. So kam es zunächst zum Bruch mit Kaufmann. Die Beziehung zu Strasser kühlte ebenfalls spürbar ab.145
Hitlers Kalkül dagegen war aufgegangen. Er konnte sich Goebbels` Gefolgschaftstreue sicher sein. Dem Strasser-Flügel war die ideologische Spitze genommen. Die Position der norddeutschen Nationalsozialisten wurde geschwächt. War im Zuge der Bamberger Führertagung der Schritt zum Führerprinzip vollzogen worden, so hatte Hitler in Goebbels nun den eifrigsten Verfechter desselben gefunden. Goebbels unterwarf sich seinem „Führer“.146 Die eigenen politischen Ideen begann er unter Hitlers Einfluss zu überdenken.
V. Die neue Aufgabe
Am 22. Mai 1926 begegneten sich beide in München auf der NSDAP-Mitgliederversammlung. Hier wurde Hitler erneut einstimmig zum Parteivorsitzenden gewählt. Die 25 Punkte vom 24. Februar 1920 wurden bestätigt.147 Von Hitlers Rede war Goebbels diesmal nicht überzeugt: „Hitler gibt Rechenschaft. 2 Stunden lang. Nicht ganz auf der Höhe. Mich lobt er vor der Öffentlichkeit über den grünen Klee.“ 148 Tatsächlich übertrieb Goebbels mit dem Letzteren, um das eigene Selbstwertgefühl zu steigern. Die offiziellen Berichte geben darüber Auskunft, dass Hitler ihn in seiner zweistündigen Ansprache nur einmal kurz erwähnte.149
Im Juni 1926 beschäftigte Goebbels die eigene Stellung im Gau. Er war unzufrieden. Sein Wunsch, den Gauleiterposten im Ruhrgebiet zu übernehmen, schien nicht in Erfüllung zu gehen. Er zeigte sich verärgert: „Gestern den ganzen Tag herumdebattiert. Um den neuen Gauführer. (…) Über mich redet man überhaupt nicht. Als wenn ich nie einen Schlag getan hätte. Dank vom Hause Österreich!“150 Goebbels` Unmut über Hitler legte sich schnell, eröffneten sich ihm doch bald ganz neue Möglichkeiten. In der Münchner Parteileitung wurde nämlich darüber nachgedacht, ihn nach Berlin als Gauführer oder gar nach München als Generalsekretär zu berufen.151 Goebbels tendierte eher nach München: „Ich möchte schon, daß Hitler mich nach München beriefe. Dann wär ich aus all dem Dreck heraus. Nun hängt alles von seiner Entscheidung ab. Will er mich?“152 Er hoffte, Mitte Juni Näheres von seinem „Führer“ zu erfahren, der im Rahmen der von Goebbels organisierten „Hitlerwoche“153 ins Ruhrgebiet kommen sollte. Voller Ungeduld erwartete er das Wiedersehen: „Ich freue mich so sehr auf Hitler. Ich verehre und liebe ihn.“154
Obwohl während Hitlers Aufenthalt lediglich Kaufmann zum neuen Gauleiter des Ruhrgebiets bestimmt wurde,155 Goebbels zukünftige Position in der NSDAP jedoch ungeklärt blieb, kannte die Verehrung des Letzteren für den „Chef“ wieder mal keine Grenzen. Goebbels betete Hitler an:
„Hitler der alte, liebe Kamerad. Man muß ihn als Mensch schon gerne haben. Und dazu diese überragende geistige Persönlichkeit. Man lernt nie bei diesem eigenwilligen Kopf aus. Als Redner ein wundervoller Dreiklang zwischen Geste, Mimik und Wort. Der geborene Aufpeitscher! Mit dem Mann kann man die Welt erobern. Laßet ihn los, und er bringt die korrupte Republik ins Wanken.“156
Während sich die Weimarer Republik in einer Phase der relativen Stabilisierung befand157 und die NSDAP keinen Machtfaktor bildete, traute Goebbels dem „Genie“ Hitler ein enormes Machtpotential zu. So schrieb er auch wenig später: „So ein Kerl kann eine Welt umkrempeln. (…) "Hitler wird uns führen einst aus dieser Not!"“158
Am 3./4. Juli fand in Weimar der zweite Reichsparteitag statt. Dieser demonstrierte die Einigkeit hinter dem Führer. Die anwesenden SA-Männer schworen einen persönlichen Treueid auf Hitler.159 Goebbels hielt fest: „Hitler spricht. Von Politik, Idee und Organisation. Tief und mystisch. Fast wie ein Evangelium. Schaudernd geht man mit ihm an den Abgründen des Seins vorbei. Das Letzte wird gesagt. Ich danke dem Schicksal, daß es uns diesen Mann gab.“160
Goebbels verbrachte Ende Juli 1926 eine Woche seines Urlaubs mit Hitler auf dem Obersalzberg. Dem von Hitler Umworbenen aus dem Rheinland schwanden hier die letzten Zweifel,161 wobei fraglich ist, ob er überhaupt noch Bedenken gehabt hatte. Goebbels zeigte sich gewillt, sein Leben in Hitlers Hände zu legen: „Ja, diesem Mann kann man dienen. So sieht der Schöpfer des dritten Reiches aus.“162 Hatte er Hitler bereits zum neuen Messias verklärt, so brachte er ihn nun auch mit Wundern und Naturerscheinungen in Verbindung:
„Er ist ein Genie. Das selbstverständlich schaffende Instrument eines göttlichen Schicksals. Ich stehe vor ihm erschüttert. So ist er: wie ein Kind, lieb, gut, barmherzig. Wie eine Katze, listig, klug und gewandt, wie ein Löwe, brüllend – groß und gigantisch. Ein Kerl, ein Mann. Vom Staate spricht er. Nachmittags von der Gewinnung des Staates und dem Sinn der politischen Revolution. Gedanken, wie ich sie wohl schon dachte, aber noch nicht sprach. Nach dem Abendessen sitzen wir noch lange im Garten des Marineheims, und er predigt den neuen Staat und wie wir ihn erkämpfen. Wie Prophetie klingt das. Droben am Himmel formt sich eine weiße Wolke zum Hakenkreuz. Ein flimmerndes Licht steht am Himmel, das kein Stern sein kann. – Ein Zeichen des Schicksals?“163
Die besondere Zuwendung, die Hitler während des Urlaubs Goebbels angedeihen ließ, hatte einen bestimmten Grund. Er wollte ihm den Gauleiterposten in Berlin übertragen. Der dortige Gauführer Ernst Schlange hatte sein Amt niedergelegt, da Parteileitung und SA-Führung hoffnungslos miteinander zerstritten waren. Hitlers Ziel war es nun, dass der ihm ergebene Goebbels die Partei in Berlin, die weniger als 500 Mitglieder zählte, reorganisierte und damit die Sache der nationalsozialistischen Bewegung voranbrachte. Hitler sah Goebbels als besonders geeignet an, da er seine intellektuellen Fähigkeiten schätzte und wusste, dass er ihm bedingungslos folgen würde. Goebbels` sozialistische Anschauungen passten gut ins „rote Berlin“. Er sollte dort außerdem ein Gegengewicht zum Strasser-Clan bilden.164 Gregor Strasser übte vor allem durch den Aufbau der nordwestdeutschen Partei, aber auch durch die Publikationen seines mit seinem Bruder Otto165 gegründeten „Kampf-Verlags“ einen großen Einfluss auf die Bewegung aus.
Das sich kontinuierlich verschlechternde Klima in der Elberfelder Geschäftsstelle bereitete Goebbels nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub Kopfzerbrechen. Es wurde für ihn immer schwieriger, hier zu arbeiten, warf man ihm doch vor, sich vor Hitler und München gebeugt und die sozialistischen Ideen verraten zu haben.166 Trotzdem war Goebbels zunächst noch unschlüssig, ob er den Gauleiterposten in Berlin übernehmen sollte. Ende August notierte er sogar: „Nach München wegen Berlin halbe Absage. Ich will mich nicht in Dreck hineinknien.“167
Die anfängliche Abneigung und Skepsis wichen dann aber dem inneren Bedürfnis, dem Wunsch des „Führers“ zu entsprechen. Mitte Oktober stand fest: „Am 1. November geht`s nun endgültig nach Berlin. Berlin ist doch die Zentrale.“168 Einige Tage später notierte Goebbels im Tagebuch: „Dort liegt ein Brief von Hitler: Berlin ist perfekt. Hurra!“169 Nachdem Hitler entsprechende Vollmachten unterschrieben hatte,170 begab sich der neue Gauleiter von Berlin-Brandenburg schließlich am 7. November 1926 in die Reichshauptstadt.171 Hitler hatte ihn dazu ermächtigt, die Berliner Partei zu säubern, ohne – wie in den Statuten vorgeschrieben – den Untersuchungs- und Schlichtungsausschuss anrufen zu müssen. Goebbels war seinem „Chef“ unmittelbar und direkt unterstellt.172
Die Gebrüder Strasser waren von Goebbels` Ankunft in Berlin wenig begeistert, da er nun in ihrem Wirkungsbereich tätig werden sollte. Aufgrund der ihm von Hitler erteilten Vollmachten versuchten sie sich aber mit ihm zu arrangieren. So empfing Otto Strasser den Neuankömmling auf dem Bahnhof und verschaffte ihm die erste Unterkunft.173
Nachdem Goebbels am 9. November sein Debüt auf einer Gedenkfeier für den fehlgeschlagenen Putsch gegeben hatte, traf er bereits konkrete Anordnungen, die dem Streit zwischen der SA und der Gruppierung um die Gebrüder Strasser ein Ende setzen sollten. Hierbei war der proletarische Aktivismus seitens der SA zunehmend in Widerstreit mit den auf Überzeugungsarbeit setzenden Anhängern der Gebrüder Strasser geraten. Goebbels verbot jede weitere Debatte über den Streit und drohte bei Nichtbeachtung mit dem Parteiausschluss. Zum Ärger der Strassers ernannte er zugleich Kurt Daluege, den Berliner SA-Führer, zu seinem Stellvertreter174 und schwor somit die SA auf sich ein. Tatsächlich tendierte Goebbels auch mehr zum hemmungslosen Aktivismus und hielt weniger von der „Überzeugungsarbeit“ der Strassers. Aktivismus setzte er gleich mit Propaganda. Das Ziel war es, um jeden Preis aufzufallen und das konnte nur auf der Straße, sichtbar für alle, passieren.175 Goebbels wollte die Straßen und damit die Massen erobern. Da der erste Propaganda-Marsch durch Neukölln am 14. November für Goebbels unerfreulich verlief - viele seiner Parteigenossen wurden von den Kommunisten zusammengeschlagen - entschied er, die noch wenigen Anhänger zunächst ideologisch zu schulen und damit den Zusammenhalt zu festigen. Seine große rednerische Begabung kam ihm hierbei zu Hilfe. In den nächsten Wochen sprach er unermüdlich auf verschiedenen Versammlungen zu seinen Anhängern und brachte ihnen die nationalsozialistische „Idee“ näher.176 Goebbels reorganisierte und konsolidierte die Partei und wollte erst dann mit ihr nach außen hin wieder in Erscheinung treten.177
Hitler schien währenddessen mit Goebbels Arbeit in Berlin zufrieden gewesen zu sein. Kurz nach dem Eintreffen des neuen Gauleiters begab er sich ebenfalls in die Hauptstadt. Am 10. November traf er sich mit Goebbels zum Essen: „Der Chef war d[a] und sehr nett zu mir. Nach dem Essen waren wir ein paar Stunden für uns, er erzählte vom 9. November 1923, und ich erkannte die ganze gewaltige Tragik dieses Mannes. Er ist ein schöpferischer Kopf, der geschichtlichen Rang beansprucht.“178 Wenige Tage später besuchte er Goebbels sogar Zuhause: „Der Chef war sehr nett. Alle begeistert. Er ist so rührend gut zu mir. Wenn er spri[cht], dann schweigen alle. Er versteht es, jedem Ding ein eigenes Licht aufzusetzen. Ich habe ihn aus tiefstem Herzen gern.“179 Die Tagebuchnotizen geben keinerlei Aufschluss darüber, dass Hitler mit Goebbels die parteiinternen Spannungen vor Ort besprochen hätte. Bei seinem „Kontrollbesuch“ musste Hitler, so scheint es, nicht in die in der Partei vorherrschende Kontroverse eingreifen. Goebbels konnte somit seinen ersten Erfolg in Berlin verbuchen.
Ende November trafen Goebbels und Hitler in Essen erneut aufeinander. Verzückt äußerte sich Goebbels über seinen „Chef“: „Er war wieder der Führer, unter dem zu kämpfen eine helle Freude ist.“ 180 Zwei Wochen später notierte er in München: „Ich glaube, er mag mich gerne leiden. Ich bin begeistert von ihm.“181 Fast macht es den Eindruck, als wollte sich Goebbels durch die ständige Wiederholung, wie gern ihn Hitler habe, immer wieder selbst vergewissern, dass es so sei. Hitlers Zuneigung war für ihn die Anerkennung, nach der er sich sehnte. Damit kompensierte er seine Minderwertigkeitsgefühle. Er wähnte sich in einer exklusiven Partnerschaft mit seinem Idol. Sein „homoerotisches Verfallensein“ Hitler gegenüber und die Unterwürfigkeit, mit der er seinem „Chef“ begegnete, waren darauf zurückzuführen, dass er in Hitler seinen einzigen Halt und die Gewähr für seine Existenz sah. In ihm hatte er den Glaubensgrund gefunden, nach dem er so lange gesucht hatte.182
Ende des Jahres beschäftigte sich Goebbels mit dem zweiten Band von Mein Kampf. Er war hingerissen: „Ich möchte manchmal schreien vor Freude. Er ist ein Kerl!“183 Das Buch machte ihn „maßlos glücklich“.184 Unter dem Eindruck dieser Lektüre schrieb er schließlich am 31. Dezember: „Ein Mann wurde mir endgültig Führer und Wegweiser: Adolf Hitler. An ihn glaube ich, wie ich an die Zukunft glaube.“185 Die Grundlage für Goebbels` unerschütterliche Treue gegenüber Hitler war gelegt.
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