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Max R. Liebhart

Venedig

Geschichte – Kunst – Legenden

2017

Morsbach Verlag

Impressum

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten finden Sie im Internet über:

http://dnb.dnb.de ISBN 978-3-96018-068-5 © 2017 Morsbach Verlag Regensburg Layout und Satz: Morsbach Verlag Lektorat: Frank Ebel M. A., Dr. Hubert Kerscher Druck und Bindung: Erhardi Druck, Regensburg Printed in Germany 2017 E-Book Aufbereitung 2019: Alexander Epple Alle Abbildungen: Max R. Liebhart Weitere Publikationen aus unserem Programm finden Sie auf: www.morsbachverlag.de. Kontakt und Bestellungen unter info@morsbachverlag.de

Inhalt

Vorwort

Einführung in den Aufbau der Stadt

Venezianische Besonderheiten

Geschichte Venedigs

Piazza San Marco

Sestiere di San Marco

Sestiere di Castello

Sestiere di Cannaregio

Sestieri di San Polo und Santa Croce

Sestiere di Dorsoduro

Entlang des Canal Grande

San Giorgio und Giudecca

Die Inseln in der Lagune

Anhang

Museen und Galerien

Künstlerregister

Erläuterung der Fachausdrücke

Bibliographie

Zeittafel der venezianischen Geschichte

Register

Vorwort

„Venedig ist viele tausend Male gemalt und beschrieben worden, und von allen Städten der Welt ist Venedig die einzige, die man besuchen kann, ohne hinzufahren. Schlag das erstbeste Buch auf, und du wirst einen Lobgesang über die Stadt finden. Geh in den erstbesten Laden, und du wirst drei oder vier bunte Ansichten davon finden. Es gibt über Venedig bekanntlich nichts mehr zu sagen.“

So skeptisch äußerte sich Henry James, gebürtiger Amerikaner irischer Abstammung, der trotzdem Venedig zum Schauplatz eines Romans („Die Flügel der Taube“) und einer Novelle („Die Aspern-Papiere“) gemacht hat. Ähnliche Meinungen sind in der Literatur häufiger zu finden und man bekommt sie oft genug zu hören, wenn man in seinem Bekanntenkreis erzählt, dass man sich mit Venedig fotografisch oder gar schriftlich beschäftigt.

Vordergründig ist das natürlich richtig, doch bei genauerer Betrachtung ist ohne weiteres erkennbar, wie oberflächlich eine solche Meinung ist. Gibt es doch auf dieser Erde und auch im Leben des Einzelnen nicht sehr viele Themenkreise, die einer tiefergehenden Auseinandersetzung wert sind. In der Literatur – und auch im Leben – sind es insbesondere die Liebe und der Tod, und kein ernstzunehmender Mensch käme auf den Gedanken, einen Schriftsteller, der sich mit diesen Themen befasst, zu kritisieren. Als Stadt ist Venedig ohne Zweifel ein solches Thema, und es sei hier mit Nachdruck die Meinung vertreten, dass diese Stadt Liebe und Tod an Bedeutung unbedingt gleichkommt, ja gewissermaßen deren Sinnbild ist. Auch sie ist ein schwer erfassbares Wunder, und von solchen Wundern gibt es auf dieser Welt nicht mehr sehr viele, in Form einer Stadt schon gar nicht.

Wohl kaum eine Stadt (ausgenommen allenfalls Rom) hat die Menschen in einer derart vielfältigen und intensiven Weise beschäftigt wie Venedig, dessen Anziehungskraft bis zur Gegenwart völlig ungebrochen ist, was sich schon aus der Entwicklung der jährlichen Besucherzahlen ablesen lässt – es sollen 25 bis 30 Millionen Besucher pro Jahr sein. Daneben sind Bilder von Venedig über die ganze Welt verbreitet und werden ohne weiteres überall als Abbildungen von Venedig erkannt, dies auch von Menschen, die noch nie in der Stadt waren. Dabei gibt es eine Vielzahl von Motiven, für die diese Behauptung zutrifft, so für die Ansichten von San Marco, des Dogenpalastes und der Rialtobrücke. Wenn mächtige, aus dem Wasser emporsteigende Gebäude zu sehen sind, sei es am weiten Canal Grande, sei es an schmalen Kanälen, so werden solche Bilder ganz selbstverständlich mit Venedig in Verbindung gebracht. Und natürlich ist auf der ganzen Welt das für die Stadt charakteristische Fahrzeug bekannt, das man als „Seele der Stadt“ bezeichnen kann, die Gondel.

So gesehen könnte man die Ansicht vertreten, dass es eigentlich überflüssig sei, den Bekanntheitsgrad Venedigs noch weiter zu erhöhen, und genau das geschieht ja mit einem Reiseführer. Doch wird hier – mit guten Gründen – die Behauptung aufgestellt, dass es trotz der Besuchermassen – oder gerade wegen ihnen – gar nicht sehr viele Menschen gibt, die Venedig auch nur ein bisschen besser kennen. Kommt doch die weit überwiegende Zahl der Besucher nur für ein paar Stunden in die Stadt.

Jedoch sei mit Nachdruck festgestellt, dass es definitiv nicht möglich ist, sich Venedig in einer so kurzen Zeitspanne zu nähern, noch nicht einmal ein Überblick lässt sich dabei gewinnen. Ein Besucher, der von Venedig auch nur etwas mehr als den oberflächlichsten Eindruck gewinnen möchte, braucht Zeit. Auch wird wohl niemand die Stadt jemals „kennen“, schon allein deshalb, weil sich stets Neues entdecken lässt, sich die Stadt ständig verändert und schon Bekanntes immer wieder in neuem Licht erscheint.

Auf dem Büchermarkt wird eine große Zahl von Reiseführern über Venedig angeboten. Meist sind sie recht farbig aufgemacht und beinhalten viele „praktische Hinweise“, die sich aber oft genug vor Ort schon wieder als überholt erweisen. Insbesondere aber sind sie „kompakt“ und werden mit jeder Neuerscheinung immer noch „kompakter“, was ja nichts anderes heißt, als dass sie immer weniger substantielle Information bieten. Man ist versucht, solche Führer mit fast food zu vergleichen, von dem man sich zwar ernähren kann, von dem man aber doch besser nicht leben sollte. Der hier vorgelegte Führer möchte hingegen eher slow food sein. Die Intentionen, die mit diesem Buch verfolgt werden, könnte man mit einem Vers aus Rilkes „Sonetten an Orpheus“ so beschreiben: „Alles das Eilende wird schon vorüber sein; denn das Verweilende erst weiht uns ein“. Außerdem wird der Benutzer an einen Themenkreis herangeführt, der bisher wohl noch nirgends Beachtung gefunden hat, nämlich an den reichen Legendenschatz Venedigs und der Lagune. Auf diese Weise sollen die kunstgeschichtlichen Erklärungen aufgelockert und eine Ahnung davon gegeben werden, wie tief, ja unergründlich der Boden ist, auf dem sich der Besucher in der Stadt bewegt.

Der genaue Ursprung des Namens „Venezia“ ist nicht bekannt. Doch gibt es eine Überlieferung, die berichtet, er leite sich ab von veni etiam, was frei am besten mit komm immer wieder zu übersetzen ist. Trifft diese etymologische Namensdeutung zu, so steht auch der Name für den dringlichen Rat, Venedig nicht eben nur in ein paar Stunden abzuhaken, sondern sich diesem Wunder wiederholt mit Zeit, Geduld und Beharrlichkeit zu nähern und zu öffnen.

Gedankt sei vielen Autoren, die seit Jahrhunderten über Venedig und die Lagune schreiben und aus deren Werken hier teils umfangreich zitiert wird. Für die kunstgeschichtlichen Betrachtungen sind das insbesondere der seit Jahrzehnen nicht mehr aufgelegte RECLAM-Kunstführer Venedig von Erich Hubala (1965, 2/1974) und das aktuellere Venedig-Buch von Norbert Huse (2005). Alle eingesehenen und zitierten Autoren finden sich im Literaturverzeichnis.

Wahrlich, mein Los hast du mir auferlegt

An lieblichem Orte

Und die Schönheit dieses deines Venedig

Hast du mir dargetan

Bis seine Lieblichkeit für mich geworden ist

Ein Ding der Tränen.

Ezra Pound

(zit. nach: Günter Treffer/Karlheinz Oertel, Venedig poetisch, Wien, Brandstätter 1988, S. 126)

Ein Frühlingsabend. Meine Gondel sucht

Mit halbem Rauschen ihre leisen Wege

Durch der Kanäle dämmernd enge Flucht,

Ich wiege mich im weichen Sitz und lege

Den Arm ausruhend auf den schmalen Bord

Indessen meine Seele süß verwirrt

Nach einem neu geahnten Zauberwort

Sich müde sucht und ganz in Traum verirrt.

Dennoch nicht rasten will ich und nicht weitergehen,

Eh’ ich nicht dieses Zaubers Kern erkannt,

Dem schönen Wunder auf den Grund gesehen,

Und seines Rätsels Ziel und Lösung fand.

Dann aber wird von unsagbaren Dingen

Mein Mund zu sagen wissen und zu singen.

Hermann Hesse

(„Venedig / Ein Frühlingsabend“, aus: Hermann Hesse, Sämtliche Werke in 20 Bänden. Hg. v. Volker Michels. Bd. 10: Die Gedichte.

© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2002. Alle Rechte bei und vorbehalten durch Suhrkamp Verlag Berlin)

Ich wollte, daß die Bäume sprechen könnten,

Die Blätter an dem Gipfel Zungen würden,

Das Meer zu Tinte, zu Papier die Erde,

Die Flur soll statt der Gräser Federn treiben,

Dann würd ich meinem Schatz ein Briefchen schreiben.

Wo wäre dann der Hund, der all mein Sehnen

Geschrieben säh, und läs es ohne Tränen?

Venezianisches Volkslied


Einführung in den Aufbau der Stadt

Johann Wolfgang von Goethe hat auf seiner ersten Italienreise nur wenige Wochen in Venedig verbracht. Trotzdem ist er tief in das Wesen der Stadt eingedrungen und hat Grundlegendes zu ihrem Aufbau niedergeschrieben, wovon hier einiges zitiert sei:

„Dieses Geschlecht hat sich nicht zum Spaß auf diese Inseln geflüchtet, es war keine Willkür, welche die Folgenden trieb, sich mit ihnen zu vereinigen; die Not lehrte sie ihre Sicherheit in der unvorteilhaftesten Lage suchen, die ihnen nachher so vorteilhaft ward und sie klug machte, als noch die ganze nördliche Welt im Düstern gefangen lag; ihre Vermehrung, ihr Reichtum war notwendige Folge. Nun drängten sich die Wohnungen enger und enger, Sand und Sumpf wurden durch Felsen ersetzt, die Häuser suchten die Luft, wie Bäume, die geschlossen stehen, sie mussten an Höhe zu gewinnen suchen, was ihnen an Breite abging. Auf jede Spanne des Bodens geizig und gleich anfangs in enge Räume gedrängt, ließen sie zu Gassen nicht mehr Breite, als nötig war, eine Hausreihe von der gegenüberstehenden zu trennen und dem Bürger notdürftige Durchgänge zu erhalten. Übrigens war ihnen das Wasser statt Straße, Platz und Spaziergang. Der Venezianer musste eine neue Art von Geschöpf werden, wie man denn auch Venedig nur mit sich selbst vergleichen kann.“ Und etwas später: „Alles, was mich umgibt, ist würdig, ein großes respektables Werk versammelter Menschenkraft, ein herrliches Monument, nicht eines Gebieters, sondern eines Volks. Und wenn auch ihre Lagunen sich nach und nach ausfüllen, böse Dünste über dem Sumpfe schweben, ihr Handel geschwächt, ihre Macht gesunken ist, so wird die ganze Anlage der Republik und ihr Wesen nicht einen Augenblick dem Beobachter weniger ehrwürdig sein. Sie unterliegt der Zeit, wie alles, was ein erscheinendes Dasein hat“.

Ein Wort von Jakob Burckhardt sei dem hinzugefügt: „Venedig erkannte sich selbst als eine wunderbare, geheimnisvolle Schöpfung, in der noch etwas anderes als Menschenwitz von jeher wirksam gewesen.“

Diese Zitate sollen vorbereiten auf das, was den Besucher Venedigs erwartet, wenn er sich dem wirklich zu öffnen vermag, was auf diesen Laguneninseln entstanden ist und sich davon noch erhalten hat.

Schon beim ersten Blick auf eine Karte der Stadt lässt sich mühelos feststellen, dass Venedig aus verschiedenen Teilen besteht. So teilt der Canal Grande mit umgekehrt S-förmigem Verlauf den Stadtorganismus, während die Insel Giudecca vom gleichnamigen breiten Kanal, die Insel San Giorgio Maggiore durch die weite Wasserfläche des Bacino abgetrennt wird. Seit 1169 ist Venedig in sechs Stadtbezirke unterteilt, die sogenannten sestieri, wobei die Grenzziehungen zwischen den einzelnen Quartieren aus heutiger Sicht nicht immer nachvollziehbar, wirkliche Grenzen an manchen Stellen gar nicht erkennbar sind. In der Zeit der Republik erfolgte die Orientierung offenbar fast ausschließlich an Hand der Namen von Gassen und Plätzen. Das heute gültige System der Nummerierung geht auf Napoleon zurück. 29.254 Hausnummern sind für die ganze Stadt vergeben, in jedem der sestiere beginnt die Zählung bei 1. Doch da die Nummern ohne jedes erkennbare System verteilt sind, ist es schwierig oder gar aussichtslos, eine bestimmte Nummer zu suchen. Auch in den gängigen Stadtplänen ist außer den Namen der Gassen nichts vermerkt. Auf der Suche nach einer bestimmten Hausnummer ist man auf die Hilfe des sogenannten Indice anagrafico angewiesen, der im Buchhandel erhältlich ist. Ferner sollte man bedenken, dass einige Gassennamen in Venedig bis zu sechsmal vorkommen können, nämlich einmal in jedem sestiere.

Schon alleine deshalb wirkt die Stadt verwirrend und es ist teilweise recht schwierig, sich in ihr und ihren einzelnen Bezirken zu orientieren. Ein Stadtplan mag zwar nützlich sein, stellt aber nur bedingt eine zuverlässige Hilfe dar, ebenso wenig wie die Auskünfte der Venezianer, die, sofern man sie überhaupt antrifft, auf die Frage nach dem Weg meist nur mit einem „sempre diritto“ antworten. Wie aber sollte der unerfahrene Venedig-Besucher einen solchen Rat befolgen in einer Stadt, in der es fast nirgends „geradeaus“ geht!

Es ist nicht möglich, die einzelnen Stadtteile mit einem einzigen Rundgang vollständig zu erschließen und dem Besucher alles Sehenswerte näher zu bringen. Das ist auch gar nicht die Intention dieses Führers, der ja eigentlich eher anregen möchte, auch auf eigene Faust auf Entdeckungsreise zu gehen. Ein Reiseführer kann nur besonders schöne Wege aufzeigen, auf das Bedeutende und Außergewöhnliche hinweisen, Anregungen geben, neugierig machen. Es ist ohne weiteres verständlich, dass es in einem kurzen Zeitraum unmöglich ist, die Stadt auch nur in groben Zügen kennen zu lernen. Wer die Stadt kennenlernen will, der muss sie erleben, und das ist nur dem möglich, der in ihr wohnt, sei es im Hotel, sei es in den mittlerweile reichlich angebotenen Mietwohnungen.

Das unumstrittene Zentrum der Stadt ist die Piazza San Marco und ihre Umgebung. Es kann nichts Schöneres geben, als einen Lebenstag mit einem Besuch dieses unglaublichen Ensembles zu beginnen, indem man es langsam durchschreitet und es sich erschließt, und eben diesen Lebenstag auf dieselbe Art zu beenden. Auf Grund dieser Überlegung und Erfahrung wurde als Ausgangspunkt für die Rundgänge wenn möglich die Piazza gewählt.

Eine Besichtigung der Stadt ist sehr wesentlich eine Besichtigung von Sakralbauten. Leider sind immer mehr Kirchen praktisch nicht mehr geöffnet. Die Institution Kirche (nicht die Religion) wurde zwar stets aus dem politischen Leben und aus den entsprechenden Gremien sorgfältig herausgehalten. Es galt während der gesamten Zeit der Republik der Satz „prima Veneziani, poi Cristiani – zuerst ist man Venezianer, dann erst Christ“, die kirchliche Präsenz in der Stadt war jedoch groß. Es gilt zu bedenken, dass es in Venedig im Jahr 1581 (laut Francesco Sansovino in seinem Buch „Venezia città nobilissima e singolare“) 70 Pfarrkirchen sowie 59 Klöster gab, wobei die Hospitale, die Oratorien, die Scuole und andere Bruderschaften sowie weitere zahlreiche soziale Einrichtungen noch gar nicht mitgerechnet sind. In diesen Sakralbauten hat vieles die Jahrhunderte und auch das Ende der Republik überdauert, nach dem allerdings etwa 40 Kirchen demoliert wurden. Dagegen dient fast keiner der Paläste mehr seinem ursprünglichen Zweck, es sind also nicht mehr Wohngebäude – und sollten sie es noch sein, so sind sie zumeist in viele kleinere Wohneinheiten aufgeteilt. Kaum eines dieser Bauwerke ist zugänglich, sieht man von den wenigen Palästen, in denen Museen untergebracht sind, einmal ab (Ca’ Rezzonico, Ca’ Pesaro, Ca’ d’Oro und natürlich der Dogenpalast). Außer dem Besuch der Kirchen und dem Studium ihrer Kunstschätze geht es bei dem Besuch der Stadt also im Wesentlichen darum, sich an der Vielfalt der Ensembles zu erfreuen.

„Alle Menschen in Venedig gehen wie über die Bühne: in ihrer Geschäftigkeit, mit der nichts geschaffen wird, oder mit ihrer leeren Träumerei tauchen sie fortwährend um eine Ecke herum auf und verschwinden sogleich hinter einer andern und haben dabei immer etwas wie Schauspieler, die rechts und links von der Szene nichts sind, das Spiel geht nur dort vor sich und ist ohne Ursache in der Realität des Vorher, ohne Wirkung in der Realität des Nachher ... Selbst die Brücke verliert hier ihre verlebendigende Kraft. Sie leistet sonst das Unvergleichliche, die Spannung und die Versöhnung zwischen den Raumpunkten wie mit einem Schlage zu bewirken, zwischen ihnen sich bewegend, ihre Getrenntheit und ihre Verbundenheit als eines und dasselbe fühlbar zu machen. Diese Doppelfunktion ... ist hier verblasst, die Gassen gleiten absatzlos über die unzähligen Brücken hinweg, so hoch sich der Brückenbogen spannt, er ist nur wie ein Aufatmen der Gasse, das ihren kontinuierlichen Gang nicht unterbricht ... Und ganz ebenso gleiten die Jahreszeiten durch diese Stadt, ohne dass der Wandel vom Winter zum Frühling, vom Sommer zum Herbst ihr Bild merklich änderte. Sonst spüren wir doch an der blühenden und welkenden Vegetation eine Wurzel, die an den wechselnden Reaktionen auf den Wechsel der Zeiten ihre Lebendigkeit beweist. Venedig aber ist dem von innen her fremd, das Grün seiner spärlichen Gärten ... ist dem Wechsel wie entzogen. Als hätten alle Dinge alle Schönheit, die sie hergeben können, an ihre Oberfläche gesammelt und sich dann von ihr zurückgezogen, so dass sie nun wie erstarrt diese Schönheit hütet, die die Lebendigkeit und Entwicklung des wirklichen Seins nicht mehr mitmacht ... Es gibt wahrscheinlich keine Stadt, deren Leben sich so ganz und gar in einem Tempo vollzieht ... Und dies ist die eigentliche Ursache des ‚traumhaften‘ Charakters von Venedig, den man von je empfunden hat.“ (Georg Simmel, „Venedigs Doppelleben“)


Venezianische Besonderheiten

Die Lagune – Verkehrswege – Bautechnik – Architektur – Gondeln

In diesem Kapitel soll versucht werden, einige venezianische Besonderheiten aufzuzeigen, die praktisch nur hier vorkommen, die das Stadtbild prägen und deshalb für das Verständnis wichtig sind. Es ist nicht einfach, sich Aufbau und Struktur dieses ungewöhnlichen Stadtgebildes verständlich zu machen. Huse stellt dazu fest: „Die wichtigste Regelmäßigkeit altvenezianischer Stadträume besteht in ihrer Unvorhersehbarkeit“. Die folgenden Ausführungen sollen helfen, sich in der Stadt zurechtzufinden und ihr Gefüge zu begreifen. Ihnen liegt die Beobachtung zugrunde, dass bestimmte „Motive“ immer wieder in der Stadt auftauchen, die den Gegebenheiten entsprechend variiert und angepasst werden. Es sollen hier quasi „Bausteine“ erarbeitet werden, aus denen sich der Stadtkörper zusammensetzt.

Die Haupteigenschaften der Venezianer, denen man auf Schritt und Tritt begegnet, sind ihre Ausgeglichenheit, ihre Beharrlichkeit und ihr Konservativismus. Solche Eigenschaften waren – und sind – unabdingbare Voraussetzungen für Menschen, die sich gezwungen sahen, sich vom festen Land zurückzuziehen und ihre Siedlungen auf schlammige Inseln zu verlegen, auf Inseln, die sich nur wenig über den Wasserspiegel erheben. Heute erscheint die Stadt dem Besucher als ein gewachsenes Ganzes, aber der Eindruck trügt. Vielmehr entstand das heutige Venedig aus zahlreichen kleinen Siedlungen, die sich ursprünglich auf die jeweiligen kleinen Inseln (es sind etwa 120) beschränkten und in der Anfangszeit auch durch keine festen Verkehrswege verbunden waren. Sesshaftigkeit auf kleinstem Raum bestimmte das Leben der Venezianer, und die Lebensweise der Venezianer hat sich bis heute nicht wirklich grundlegend geändert. Ein Beispiel für diese Überlegung ist, dass bis in die jüngste Vergangenheit am einen Ende der Stadt Wörter gebräuchlich waren, die die Bewohner der entfernt gelegenen Stadtteile nicht kannten. Lokalpatriotismus auf kleinstem Raum ist somit auch heute noch zu beobachten. Francesco Sansovino schrieb Ende des 16. Jahrhunderts: „Möglicherweise kann man es bezweifeln, ob ‚die Venezianer‘ jemals gelernt haben, ihre Stadt als ein Ganzes zu sehen. Es mag ja durchaus sein, dass ‚der Venezianer‘ immer noch geprägt ist von den Gegebenheiten, die im Stadtgebiet herrschten, bevor es zum heutigen Bild zusammenwuchs: von der Tatsache, dass es da früher ‚zunächst getrennte, dann aber immer wieder verbundene Städte‘ gegeben habe“.

Die Lagune

Die Lagune ist nicht nur eine Venedig umgebende Wasserfläche, sondern ein ganz wesentlicher Bestandteil der Stadt selbst, beide sind untrennbar miteinander verbunden. Dabei war die Verflechtung von Stadt und Lagune zu Zeiten der Republik weit enger als heute. Damals besaßen die Venedig umgebenden Inseln eine weitaus größere Bedeutung, da sie alle besiedelt waren und viele von ihnen Klöster trugen. Sie gehörten gewissermaßen zum Weichbild der Stadt, die sie umgeben haben wie Sterne die Sonne.

Die Lagune ist über drei Öffnungen in den lidi, den schmalen Landbarrieren, die Schutz vor dem Meer bieten, mit diesem verbunden und damit den Gezeiten unterworfen. Das hat zur Folge, dass die Lagune und die in ihr liegenden Siedlungen einerseits beständig mit sauberem Wasser durchspült werden, dass andererseits aber die oft starken Ausschläge der Gezeiten zu Hochwassern führen. Schon alleine daraus wird die entscheidende Bedeutung der Lagune für Venedig deutlich. Weitere Gedanken lassen sich anfügen. Peterich meint, es sei die Lagune, die Venedig die Stille erhalten habe, „in unserer Zeit vielleicht das Kostbarste, was es gibt ... Laguna ist es aber auch, die diese Stille mit dem lebendigsten Leben erfüllt ... Sie lockt mit den Geheimnissen des Meeres, nicht zuletzt mit denen der Göttin, die der Schaum gebar ... Die Lagune hat Venedigs Maler Farben mischen gelehrt ... Von der Lagune haben die Venezianer wohl auch ihre bezaubernd zarte und melodische Mundart gelernt. Nie habe ich mich von der Vorstellung befreien mögen, dass alle Nixen auf der Welt venezianisch sprechen.“

Verkehrswege

Damit die zahlreichen Siedlungskerne zu einem Ganzen zusammenwachsen konnten, waren entsprechende Verbindungen erforderlich. Die Stadt besitzt zwei Systeme, die die einzelnen Inseln miteinander verbinden, Wasserwege und Fußwege.

Wasserwege: Die etwa 180 Kanäle, die die Stadt mit einer Gesamtlänge von etwa 37 Kilometern durchziehen, werden rio genannt. Sie entsprechen meistens den Wasserflächen, die von Natur aus zwischen den einzelnen Inseln bestanden hatten, doch sind einige auch künstlich angelegt worden. Der Canal Grande, der möglicherweise einmal ein Nebenarm der Brenta war, teilt mit seinem großen, umgekehrt S-förmigen Verlauf den Stadtkörper in zwei Hälften und ist die eigentliche Lebensader der Stadt. Er verzweigt sich in den – teilweise sehr engen – rii, so dass der Stadtkörper an einen von Adern durchzogenen Organismus erinnert. Das Kanalsystem ist für die Stadt lebenswichtig, sowohl für die Versorgung als auch für die Hygiene. Durch die Gezeiten, die in der Lagune recht hohe Ausschläge zeigen, werden die rii und damit auch die Stadt zweimal am Tag durchspült und gereinigt. Venedig hat bis heute kein Kanalsystem zur Beseitigung der Abwässer, was angesichts des geschilderten Mechanismus auch gar nicht nötig war. Dabei gab es seit jeher Probleme mit der Pflege der Kanäle, auf die die Republik großen Wert legte. Ziel der Reinigungsmaßnahmen war eine Mindesttiefe von 1,70 m, die jedoch fast nie erreicht wurde. Damals wie heute bestand ein Problem darin, dass jedermann seinen Abfall in die Kanäle entsorgte, obwohl das unter empfindliche Strafen wie fünf Dukaten Bußgeld oder Auspeitschen gestellt wurde. Die Pflege der Kanäle geschah jahrhundertelang mit großer Sorgfalt und großem Personalaufwand. Man bediente sich dabei beweglicher Spundwände, um mit ihnen einzelne Abschnitte trockenzulegen – deren Halterungen sind heute noch an manchen Stellen sichtbar – und verwendete katamaranähnliche Boote, die mit Vorrichtungen für Bagger ausgestattet waren. Noch im 19. Jahrhundert war die Wasserqualität ziemlich gut, wofür spricht, dass Lord Byron mehrfach vom Lido zu seinem Palazzo in der Nähe der Ca’ Foscari schwamm und am Canal Grande öffentliche Badeanstalten existierten. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat man diese Aktivität einschlafen lassen, vermutlich auch in der irrigen Meinung, ganz einfach darauf verzichten zu können. Erschwerend kamen der undurchdringliche Wirrwarr behördlicher Kompetenzen und die Frage der Finanzierung hinzu. So geschah jahrzehntelang nichts mehr. Dadurch verschlammten die Kanäle langsam, und bei Ebbe sah man den Boden und roch den Inhalt. Das wiederum hatte einen geringeren Wasseraustausch im Rahmen der Gezeiten und somit einen geringeren Verdünnungseffekt der eingeleiteten Abwässer zur Folge. In den 1990er Jahren waren die Zustände so unhaltbar geworden, dass man wieder begonnen hatte, das Kanalsystem Zug um Zug zu sanieren, wobei gleichzeitig auch die Fundamente der anliegenden Gebäude renoviert wurden. Der Erfolg war überzeugend. Im Jahre 2004 war etwa ein Drittel der Kanäle gereinigt. Leider wurden die Aktivitäten danach wieder eingestellt. Doch immerhin: Die große Masse an Touristen findet ihre Abwässer nicht in den Kanälen wieder. Alle öffentlichen Toilettenanlagen sowie die Hotels neueren Datums müssen heute Fäkalientanks haben. Diese werden regelmäßig von blau-weißen Tankbooten abgepumpt und der Inhalt in den Kläranlagen von Porta Marghera entsorgt.

Rii terrà: Diese zugeschütteten Kanäle, die heute nur noch an den Straßennamen zu erkennen sind, stellen einen Sonderfall der Verkehrswege dar. In der Mehrzahl entstanden sie erst nach 1797, da im republikanischen Venedig kaum jemand auf die Idee gekommen wäre, Kanäle zu beseitigen. Darauf verfiel man erst, nachdem Venedig 1866 Teil des Königreiches Italien geworden war. In dieser Zeit dominierte das Bedürfnis, die Stadt zu „modernisieren“, wodurch die Kanäle nur noch als Ärgernis empfunden wurden, das es zu beseitigen galt. So „wurden von 1797 bis 1966 fünfzig Kanäle mit einer Länge von 7860 m zugeschüttet“ (Huse), was etwa 13 % des Wassernetzes entsprach. Für die Zirkulation des Wassers im Rahmen der Gezeiten war das von erheblichem Nachteil.

Fußwege: Sie bilden ein engmaschiges Netz und sind die eigentlichen Verbindungen zwischen den Inseln, auf denen Venedig steht. Je nach ihrer Art und Struktur tragen die Wege verschiedene Bezeichnungen. Die etwa 3.000 calli (Gassen) sind oft atemberaubend eng und schluchtenartig (die engste hat eine Breite von 53 cm) und verbinden die campi, etwa 100 Plätze verschiedener, teilweise erheblicher Größe, und die campielli (kleine Plätze) zu einem dynamischen, atmenden Ganzen. Dieses unergründbare Netz von Fußwegen, in dem man sich leicht verirren kann, gehört zu den wesentlichen Besonderheiten, die die Einzigartigkeit Venedigs ausmachen. Auch wenn man immer wieder scheinbar Gleiches zu sehen bekommt, so ist in Wirklichkeit jede calle, jeder corte (Innenhof) anders und eine kleine Welt für sich.

„Zweideutig ist der Charakter dieser Plätze, die mit ihrer Wagenlosigkeit, ihrer engen, symmetrischen Umschlossenheit den Anschein von Zimmern annehmen, zweideutig in den engen Gassen das unausweichliche Sich-Zusammendrängen und Sich-Berühren der Menschen, das den Schein einer Vertrautheit und ‚Gemütlichkeit‘ diesem Leben gibt, dem jede Spur von Gemüt fehlt; zweideutig das Doppelleben der Stadt, einmal als der Zusammenhang der Gassen, das andere Mal als der Zusammenhang der Kanäle, so dass sie weder dem Lande noch dem Wasser angehört – sondern jedes erscheint als das proteische Gewand, hinter dem jedesmal das andere als der eigentliche Körper lockt; zweideutig sind die kleinen dunklen Kanäle, deren Wasser sich so unruhig regt und strömt – aber ohne dass eine Richtung erkennbar wäre, in der es fließt, das sich immerzu bewegt, aber sich nirgends hinbewegt. Dass unser Leben eigentlich nur ein Vordergrund ist, hinter dem als das einzig Sichere der Tod steht.“ (Georg Simmel)

Eine piazza gibt es im Unterschied zu anderen italienischen Städten nur einmal, nämlich die weite Fläche westlich von San Marco. Eine piazzetta gibt es zweimal, und zwar jeweils zu Seiten der Basilika. Daneben stößt man noch auf die Bezeichnungen salizada (eine Gasse, die schon früh gepflastert wurde), ruga (eine Gasse, die schon früh an beiden Seiten bebaut war), ramo (eine Seitengasse), riva oder häufiger fondamenta (befestigter Uferstreifen entlang eines Kanals oder der Lagune), rio terrà (zugeschütteter Kanal), lista (Gasse, an der eine ausländische Botschaft lag).

Die beiden Verkehrswege ergänzen sich ausgezeichnet. Heute erfolgt der Lastenverkehr soweit als möglich auf dem Wasser, während sich der Individualverkehr zu Lande abspielt. Trotz des recht gut ausgebauten Netzes von Bootslinien ist Venedig heute eine Stadt der Fußgänger. Zu Zeiten der Republik war das anders, da damals auch der Individualverkehr auf dem Wasser erfolgte, und zwar mit Hilfe zahlreicher Gondeln, von denen es zeitweise mehr als 15.000 gab. Kaum einer der nobili oder andere reiche Leute wären auf den Gedanken gekommen, zu Fuß zu gehen.

Sottoporteghi: Überall in der Stadt stößt man auf Durchgänge unter den Häusern, deren Existenz heute als selbstverständlich empfunden wird, die jedoch eine komplizierte Entstehungsgeschichte besitzen. Wie bereits erwähnt, entstand Venedig auf zahlreichen Inseln, die zunächst nur durch Wasserwege miteinander verbunden waren. Diese sowie die Sümpfe auf den Inseln galten als öffentlicher Besitz. Dagegen befand sich das feste Land überwiegend in privater Hand. Als die einzelnen Inseln mehr und mehr zu einem Stadtorganismus zusammenwuchsen, wurden zunehmend Verbindungswege auch zu Lande erforderlich, die aber angesichts der Besitzverhältnisse nicht ohne weiteres angelegt werden konnten. Denn „da die Rechtssicherheit in Venedig groß war, konnte der Staat nichts einfach erzwingen, so dass die Behörden immer neu überzeugen, aber auch nötigen und drohen mussten, um einen Ausgleich der Interessen zu sichern“ (Huse). Auch „so zentrale und für die heutige Stadt ganz selbstverständliche Landverbindungen wie die von S. Marco nach S. Stefano und von dort zum Rialto mussten erst gegen Partikularinteressen durchgesetzt werden ... Bauliches Dokument dieses Ringens sind die vielen Durchgänge unter Häusern, ohne die ein gesamtstädtischer Landverkehr an vielen Stellen überhaupt nicht möglich gewesen wäre.“

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9783960180685
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