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Vorwort zur sechsten Auflage von „Die Phantasie in der Malerei“
Vorwort zur sechsten Auflage von „Die Phantasie in der Malerei“
Berlin, Januar 1922
Wie jemand, der die Noten einer Partitur zu lesen imstande ist, sie deshalb noch nicht hört, so vermag noch nicht jeder, der zwei Augen im Kopfe hat, ein Bild zu sehen. Und zwar der sogenannte Gebildete weniger als der naive Mensch, der von Kunst nichts weiß.
Dem Maler haftet das zweifelhafte Vergnügen an, stets auf sein Metier angeredet zu werden. „Sagen Sie mir doch, Herr Professor, warum ist das Bild gut und jenes schlecht?“ Und die stereotype Antwort; „weil ich es so empfinde“ wird kaum den Fragenden beruhigen, der sofort das Warum auf den Lippen hat.
Ohne dem Philosophen ins Handwerk zu pfuschen, habe ich versucht, meine Empfindungen auf Begriffe zu bringen, d. h. die Gründe auseinanderzusetzen, weshalb ich dieses Bild für ein Kunstwerk, jenes für Kitsch halte.
Nicht kunsttheoretische Erkenntnisse, sondern nur Bekenntnisse wird der Leser in den folgenden Aufsätzen finden. Sie erscheinen in unveränderter Form: nicht etwa, weil ich ihre Mängel und Fehler nicht einsähe, sondern weil meine Auffassung der Kunst gegenüber sich nicht verändert hat. Ich gehöre nicht zu jenen Verwandlungskünstlern, die jede neue Mode in der Kunst mitmachen und heut verdammen, was sie gestern angebetet haben. Ich will den Leser nicht durch Dialektik überreden, sondern ich möchte ihn überzeugen.
* * *
Degas „Plan“, 1896
Degas „Plan“, 1896
Mit einem Leichtsinn, den ich leider nicht einmal mit meiner Jugend entschuldigen kann, hatte ich die Aufforderung einer Kunstzeitschrift, ein paar Zeilen über Degas zu schreiben, angenommen.
Edgar Degas – 1834 – 1917
Ich glaubte, dass die Überzeugung den Redner mache und dass Verstand und rechter Sinn mit wenig Kunst sich selber vortrage. Auch das Fontane'sche Wort, „die einfache dumme Kuh trifft immer das richtige Gras“, fiel mir ein.
Gar zu bald merkte ich aber, dass die Sache doch nicht so leicht sei, und dass ich die Erzeugnisse meiner neuen Kollegen, der Herren von der Feder, gewaltig unterschätzt hatte.
Auch glaube ich, dass es kaum einen Künstler gibt, dessen Wesen schwerer in Worte zu fassen ist, als das des Degas. Die Vorzüge von Menzel kann man z. B. fast mathematisch beweisen: seine Meisterschaft in der Beherrschung des Materials, seine unendliche Kunst: jeder Technik, dem Holzschnitt, der Lithographie, der Feder- oder Bleistiftzeichnung, das Äußerste an Ausdrucksfähigkeit abzugewinnen; das Genie, mit dem er das Zeitalter Friedrich des Großen uns veranschaulicht hat, wie er auf einen Raum von 12 cm – die Illustrationen zu den Werken des großen Königs durften dieses Maß nicht überschreiten – ihn und seine ganze Zeit verkörpert hat; seinen beißenden Witz und die unerbittliche Wahrheit, womit er Menschen, Tiere und Landschaft schildert; sein riesiges Wissen und Können und seinen ebenso riesigen Fleiß.
Nichts von alledem bei Degas. Mit dem Verstand ist ihm nicht beizukommen. Es ist eine rein sinnliche Kunst, die nicht zu verstehen, sondern nur zu empfinden ist.
Nichts Positives – nur Suggestives.
Degas: Tänzerinnen
Nach akademischen Begriffen kann er weder zeichnen noch malen; statt tiefer philosophischer Ideen bringt er das Leben der Tänzerinnen, der Putzmacherinnen, der Jockeys auf die Leinwand – kurz das Allertrivialste.
Auch fehlt ihm jede offizielle Bestätigung für seine Größe. Er hat weder Titel noch Orden – den einzigen, der ihm je angeboten wurde, die Ehrenlegion, lehnte er ab – noch kann er, wie der selige Meissonier oder Gérôme, den Beweis für seine Unsterblichkeit durch seine Zugehörigkeit zum Institut – die Vierzig sind bekanntlich alle unsterblich – erbringen. Ja sogar vor wenigen Jahren petitionierten die Akademiker beim Minister – es war natürlich in Frankreich –, dass Degas' Werke nicht im Luxembourg aufgenommen würden. Und trotzdem werden kaum eines lebenden Malers Bilder so teuer bezahlt wie die von Degas. In New York wie in London, in Paris wie nun endlich auch in Berlin, reißen sich die Amateure um seine Bilder, was umso wunderbarer erscheint, als nie ein Maler weniger für den Verkauf gearbeitet hat als er. Nichts von dem, was man liebenswürdig oder gar schön oder ausgeführt nennen könnte.
Eins aber ist in seinen Bildern, was uns reichlich für das Fehlen dieser Qualitäten entschädigt: eine eminente Persönlichkeit. Goethe sagt einmal in den Gesprächen mit dem Kanzler von Müller: „die Natur ist eine Gans, man muss sie erst zu etwas machen.“
Waren wir tausendmal vorbeigegangen, ohne es zu bemerken, Degas macht es uns offenbar. Er findet das Gold, das auf der Straße liegt. Alles ist bei ihm Intuition, daher der plötzliche, unmittelbare, schlagende Eindruck.
Seine Bilder scheinen entstanden – ganz zufällig – und nicht gemacht. Nichts von verstandesmäßiger, kalter Berechnung. Jedes seiner Bilder scheint sein erstes; so tastend, so von scheinbar schülerhafter Unbeholfenheit sind sie.
In keines Meisters Manier oder auch dessen Rezept; ohne irgendwelchen Chic; einfach und ungeschminkt die Natur, wie er – Degas – sie sieht.
Es ist das Verdienst der Impressionisten – Manet an ihrer Spitze – dass sie zuerst wieder ohne Voreingenommenheit an die Dinge herangingen. Statt der verstandesmäßigen Malerei der Akademie mit dem Rezept von Lokal-, Licht- und Schattenton versuchten sie, wie sie ihn sahen, jeden Ton auf der Palette zu mischen und auf die Leinwand zu setzen. Die Schulvorschrift lehrte: Das Licht ist kalt, der Schatten warm; die Impressionisten pfiffen auf diese Lehre und malten Licht und Schatten rot, violett oder grün, wo und wie sie es sahen.
Diese Tat, so einfach und natürlich wie die Geschichte vom Ei des Columbus, wirkte wie eine Revolution und ich gestehe, dass ich mir, als ich vor 30 Jahren die ersten Bilder der Impressionisten sah, keinen Vers darauf machen konnte. Man muss eben so sehen lernen wie man einen Beethovenschen Satz hören lernen muss (der Unmusikalische lernt es freilich nie).
Von Jugend auf ist unser Auge verbildet, statt die Natur im Bilde, sehen wir das Bild in der Natur und „der reine Calame“ beim Anblick eines Schweizersees, oder „der wahre Achenbach“ in Ostende, oder „der Schinken, den der Maler nicht schöner malen kann“, sind leider nur zu oft gehörte Ausrufe. Als Manet einmal in einer Ausstellung die Leute vor irgend einem „reizenden“ Bilde aus der Fortunyschule – man kennt solche Kunstvereinslieblinge, kaum größer als ein Oktavblatt, mit tausend Figuren, an denen jeder Fingernagel zu sehen ist – sich drängen sah, rief er so witzig, dass ich es originaliter hersetze: et dire que c'est fait à la main! Der Philister sieht im Bilde nur das Kunststück, nicht das Kunstwerk, nur die Mache, die Empfindung versteht er nicht.
Es war an der Zeit, dass die Impressionisten zur Natur, der Wiege jeder neuen Entwicklung in der Kunst – wie es Tschudi einmal in einer Akademierede so trefflich entwickelte – zurückkehrten.
Zwar hatte die École de Barbizon (Statt der vom klassischen Kanon geforderten Bilder mit historischen, religiösen oder mythologischen Themen malten die Vertreter der Schule von Barbizon kleinformatige Landschaften. Kennzeichnend für die Schule war die Hinwendung zur realistischen Naturdarstellung im Gegensatz zur klassisch-idealistischen Landschaftskomposition.) schon 30 Jahre früher die Natur mit innigster Pietät aufgefasst; in ihrer Malerei jedoch blieb sie – selbst Millet, ihr fortgeschrittenster und persönlichster Repräsentant – der Tradition der alten Holländer durchaus treu. Erst die Impressionisten gossen den neuen Wein auch in neue Schläuche.
Selbstredend, dass Degas bei seinem Auftreten vor 30 oder 40 Jahren mit Hohngelächter empfangen wurde. Wie alles Persönliche, d. h. Natur, in der Kunst zuerst verlacht wird. Der Bauer isst nur, was er kennt, und dem Publikum schmeckt nur die breite alltägliche Bettelsuppe, die es seit Jahren gewohnt ist. Selbstredend auch, dass die vom Staate konzessionierte Kunst der Akademie, die sich im Laufe der Zeiten zu einer Art Kunstpolizei ausgewachsen hat, empört war über seine freche, aller akademischen Regeln spottende Malerei.
An und für sich ist „akademisch“ durchaus kein Schimpfwort. Aber allmählich – und es ist klar, durch wessen Schuld – ist es dahin gekommen, dass kein Künstler, der sich einigermaßen respektiert, ein akademischer genannt werden will; obgleich eigentlich ein jeder es ist, oder es doch sein sollte. Jetzt heißt akademisch: zopfig.
Früher traten die Lehrlinge in die Werkstatt des Raphael oder Rembrandt ein. Die waren ihre Professoren. Später wurden aus den Werkstätten der Meister die Akademien, aber mich will bedünken, dass nicht immer Raphaels oder Rembrandts an ihnen lehrten.
Raphael – 1506 Rembrandt – 1630
Degas ist aus der akademischen Schule hervorgegangen und man weiß, dass er von allen Künstlern Ingres am meisten schätzt. Äußerlich ohne die geringste Ähnlichkeit haben sie doch innerlich manche Züge gemeinsam. Degas ist ein ebenso großer Zeichner wie Ingres, wenn wir unter Zeichnung die lebensvolle Wiedergabe der charakteristisch aufgefassten Natur verstehen. Wiewohl ganz in der Formensprache der Akademie, ist Ingres' Porträt des Mr. Bertin von derselben schlichten Lebendigkeit und Naturwahrheit wie Degas' Graf Lepic mit seinen zwei Töchtern oder sein Desboutin. Degas' Zeichnung ist verblüffend, oft bis zur Karikatur (wie er denn dem Karikaturisten Daumier nahe verwandt ist), immer den Nagel auf den Kopf treffend. Stets verschmäht er den sogenannten schönen Strich, das Kalligraphische.
Ebenso wie seine Zeichnung ist seine Farbe: einfach und stolz, von aristokratischer Vornehmheit. Seine Palette ist die denkbar schlichteste: oft ist ein Bild nur in weiß und schwarz, das auf die feinste Weise nuanciert, allein durch eine Schleife am Kleid einer Tänzerin oder durch deren rosa Atlasschuh gehoben wird.
Auch Whistler malt oft Harmonien in weiß und schwarz. Aber bei ihm hat man den Eindruck des Gewollten, der vorgefassten Meinung, des Preziösen; bei Degas ergibt es sich wie von selbst.
Und dann: sein Raumgefühl. Er komponiert nicht nur in den Raum, sondern mit dem Raum. Der Abstand eines Gegenstandes vom anderen macht oft die Komposition. Keine Linie, nur – wie in der Natur – Flecken von hell und dunkel, von Licht und Schatten.
Und das ohne die Charakteristik seiner Sujets im Mindesten zu beeinträchtigen. Im Gegensatz zu Manet, der nur „ein Stück Natur durch sein Temperament gesehen“ gibt, malt Degas Bilder. Ihm ist die Charakteristik ebenso wichtig wie den deutschen Genremalern. Diese jedoch – selbst die Besten unter ihnen wie Waldmüller oder Knaus –
Ferdinand Georg Waldmüller Ludwig Knaus
zeichnen ihren Gegenstand so charakteristisch wie möglich und setzen dann die einzelnen Typen zu einem Bilde, das sie mehr oder minder angenehm kolorieren, zusammen, wobei ihnen oft wunderbar wahre Gestalten gelingen (man denke z. B. an den alten Juden in der „Salomonischen Weisheit“ von Knaus).
Das Ganze wirkt aber doch noch komponiert.
Degas' Bilder dagegen machen zuerst den Eindruck einer Momentaufnahme. Er weiß so zu komponieren, dass es nicht mehr komponiert aussieht. Er scheint das ganze Bild in der Natur gesehen, die Szene, die er darstellt, unmittelbar belauscht zu haben. Man sehe zum Beispiel den Pédicure: die Szene ist so drastisch wie möglich, ebenso die Pose, wie der Mann dem Mädchen die Hühneraugen schneidet.
Das Arrangement der beiden Figuren so ungesucht und ungekünstelt, als wären sie nach der Natur fotografiert, zufällig, wie sie so da zusammensitzen. Bei genauerer Betrachtung aber entdecken wir unter der scheinbaren Momentaufnahme die höchste Kunst in der Komposition. Wie die Glatze des Operateurs als hellstes Licht und die schwarzen Haare des Mädchens im Bademantel als Dunkelheit gerade da im Bilde sitzen, wo sie dekorativ am wirksamsten sind. Nichts mehr vom Versatzstück. Jedes Detail, das geblümte Sofa, der Stuhl mit dem überhängenden Laken, ist ebenso nötig für die Charakteristik des Vorgangs wie für die Bildwirkung. Der novellistische Inhalt ist vollständig in Form und Farbe umgesetzt. Ohne auch nur das Geringste an seiner Drastik zu verlieren, ist das triviale Motiv zu einem Kunstwerk verarbeitet, das uns in seiner wundervollen Verteilung von hell und dunkel, in seiner farbigen Erscheinung an Velasquez erinnert. C'est une fête pour les yeux. Was ein alter akademischer Ausdruck la mise en toile nennt, von der dekorativen Wirkung eines Outamaro.
Von weitem schon erkennt man jeden Degas an dem originellen Ausschnitt der Natur. Kühn lässt er hier nur den Kopf, dort nur die Hinterbeine eines Rennpferdes sehen; plötzlich durchschneidet er das Podium der Bühne durch eine Bassgeige mit einem so sicheren Gefühl, gerade an der richtigen Stelle, dass wir meinen, es müsste gerade so, es könnte überhaupt nicht anders sein. Wie er manchmal den Horizont ganz oben an den Rand des Bildes verlegt, um uns die Füße seiner Balleteusen besser zeigen zu können, ohne Rücksicht auf die geheiligte Vorschrift vom goldenen Schnitt, wie er uns seine Modelle in den unmöglichsten Stellungen, in den unglaublichsten Situationen zeigt; wie sie ins Tub steigen, wie sie sich aus- und anziehen, wie sie sich abtrocknen.
Und das Alles mit einer Naivität, mit der ein unverdorbenes junges Mädchen über die heikelsten Dinge spricht.
Entweder ist die Kunst des Degas naiv, oder so groß, dass sie naiv erscheint. Stolz verachtet er jede Spur von Virtuosentum, jedes Protzen mit seinem Können oder Wissen. Sein Vortrag ist schüchtern, dezent. Einfach sagt er, was er zu sagen hat ohne irgendwelche Phrase. Er arbeitet mit demselben künstlerischen Ernst wie Menzel; unermüdlich zeichnet er Studien nach der Natur, bis er die charakteristische Pose gefunden hat. Im Bilde gibt er nur den Extrakt, jedes unnötige Detail unterdrückend, immer vereinfachend. Nichts mehr vom Modell.
Bei keinem modernen Maler ist das Novellistische so völlig überwunden wie bei ihm.
Freilich – das müssen wir zugeben – wirkt er oft abstoßend; er hat nichts von dem Mitleid, mit dem Rembrandt malt; im Gegenteil, er scheint seine Modelle zu verachten. In dem halbwüchsigen Mädchen, das sich zur Tänzerin ausbildet, zeigt er schon die künftige Prostituierte. Er ist erbarmungslos wie die Natur, von kaltem Skeptizismus. Der Grundzug seines Wesens ist Stolz; was er an zarten Regungen hat, verhüllt er; er fürchtet weniger den Zynismus als das Sentiment.
Man sieht daraus, er ist nichts weniger als einschmeichelnd, aber wir sind im Banne seiner kolossalen Individualität. Ob sie uns gefällt, ist Geschmacks- resp. Modesache. Aber wie Wagner sich aufgezwungen hat, so dass jeder Musiker mit ihm rechnen muss, ist Degas ein Faktor geworden, mit dem jeder moderne Maler, bewusst oder unbewusst, sich auseinandersetzen muss: ignorieren kann er ihn nicht mehr.
Dass sich die ältere französische Schule ablehnend gegen Degas verhält, ist ebenso natürlich, wie die Abneigung, die er bei uns von den Künstlern der älteren Generation erfahren hat.
Adolph Friedrich Erdmann Menzel
Als Menzel vor etwa zwanzig Jahren bei einem hiesigen Amateur eine vorzügliche Sammlung der Impressionisten sah, fragte er, nachdem er lange und eingehend die Bilder betrachtet hatte: „Haben Sie wirklich Geld für das Zeug gegeben?“ Derselbe Menzel, der in seiner Jugend in dem Garten des Prinzen Albrecht, in der Landschaft bei Schöneberg mit dem Eisenbahnzuge, in dem Bilde von 1848, die Aufbahrung der Särge der Märzgefallenen, in dem Opernhausballe (jetzt in der Hamburger Kunsthalle) ähnliche Probleme zu lösen versucht hatte wie die Impressionisten!
Aufbahrung der Särge der Märzgefallenen
Es geht nur daraus hervor, dass Menzel, als er diesen Ausspruch tat, eine fertige Künstlerpersönlichkeit war, die auf dem schließlich eingeschlagenen Wege nicht weitergehen wollte oder konnte. Kein Mensch kann über seinen Schatten springen, und man kennt die Abneigung Goethes gegen die romantische Schule und Kleists Genie.
Der alte Schadow, der seiner Generation dasselbe bedeutete, was Menzel der unsrigen, schrieb vor nunmehr 65 Jahren beim Erscheinen von Menzels Friedrichsbuch in der Haude & Spenerschen Zeitung: die Griffonagen oder Kritzeleien eines gewissen Menzel seien des großen Königs unwürdig – – und 60 Jahre darauf wird ihm – und zwar so verdient, wie je eine Auszeichnung verdient war – der Schwarze Adlerorden verliehen für die Verherrlichung der Taten des großen Königs, die sich in nuce wunderbar bereits in dem Jugendwerk offenbarte.
Schadow konnte Menzel nicht verstehen, ebenso wie dieser Degas nicht verstehen konnte, weil in Degas wie in Menzel ein Neues steckt, was einer jeden vorhergehenden Generation fremd bleiben musste. Jedes Neue in der Kunst, hat – wenigstens in unserm demokratischen Zeitalter – zwei Generationen, die ältere und die gleichzeitige zu überwinden, bevor es zur Anerkennung gelangt; die vorhergehende kann es nicht mehr, die gleichaltrige noch nicht verstehen.
Degas wird und kann niemals populär werden. Auch scheint er absichtlich den Beifall der profanen Menge zu vermeiden; er arbeitet nur für wenige Feinschmecker, den trivialen Geschmack des großen Haufens hassend. Ein stolzer Einsamer; von eifersüchtigem Egoismus, nicht auf den Erfolg, sondern auf seine Kunst.
Manet ist vielleicht noch temperamentvoller als er, mehr Pfadfinder; keiner aber von allen modernen Malern war begabter als Degas, um auf dem von Manet urbar gemachten Wege die neue Kunst weiter zu führen, zu dem Ziele einer jeden Kunst: zum Stil.
Der heilige Augustinus sagt einmal: „Und so wie alle sinnlich schönen Dinge, sei es, dass die Natur sie hervorbrachte oder dass Künstler sie arbeitend bildeten, durch Verhältnisse des Raums oder der Zeit schön sind, wie zum Beispiel ein Leib und die Bewegung des Leibes; so ist dagegen jene Gleichheit und Einheit, welche nur vom Verstände erkannt und nach welcher durch Vermittlung des Sinnes die körperliche Schönheit beurteilt wird, weder schwellend im Raum, noch wandelbar in der Zeit.“
Wenn je ein moderner Maler, so hat Degas in seinen Bildern Kunstwerke geschaffen, die schwellend im Raum und wandelbar in der Zeit sind.
* * *
Jozef Israëls
Jozef Israëls
Verlag Bruno Cassirer, 1901
Wer zum ersten Male in seinem Leben auf die Jagd geht, hat immer Glück; wer aber auch nur einigermaßen gescheit ist, versucht es nicht zum zweiten Male.
Nach dem günstigen Erfolge, den die paar Seiten gefunden haben, die ich über Degas veröffentlicht hatte, – sind sie doch sogar ins Russische übersetzt! – hatte ich mir das Schreiben hoch und heilig verschworen. Siegreich hatte ich den Lockungen der Verleger widerstanden, und nur wer jemals Druckerschwärze geleckt hat, kann nachfühlen, wie schwer das ist.
Da traf sich‘s an einem schönen Septembernachmittag, eines Tages, als ich in Scheveningen mit Israëls nach dem Lunch Kaffee trinkend und Zigarren rauchend vor seinem Pavillon saß, dass die Unterhaltung – wie das nicht selten unter Kollegen – auf die Kritik fiel. Und plötzlich sagte der Meister: „Wie über Degas sollten Sie mal über mich schreiben.“ Und im Nu waren alle meine guten Vorsätze dahingeschwunden vor der freudigen Hoffnung, meiner Liebe und Verehrung für Israëls öffentlich Ausdruck geben zu dürfen. Schon am nächsten Tage fuhren wir nach den Haag und suchten im Atelier das nötige Material an Zeichnungen, Radierungen, Fotografien, das den Text begleiten sollte, zusammen.
Bis hierher ging alles ganz famos. Aber als ich mich nun an die Arbeit machte, sah ich ein, dass ich Israëls viel zu sehr liebe, um über ihn schreiben zu können. Denn man kann eigentlich nur über die Schwächen eines Künstlers schreiben: woher denn auch die meisten Kritiker ihren Helden zu „zerreißen“ pflegen (was, nebenbei bemerkt, viel amüsanter ist). Um aber einem großen Künstler wahrhaft gerecht zu werden, müsste man seine Kunst in Worte fassen können; man müsste mit Kunst schreiben. Nur ein lyrischer Dichter könnte Israëls ganz gerecht werden, denn Israëls Malerei ist ein Farbe gewordenes Gedicht; ein schlichtes Volkslied, kindlich, im biblischen Sinne einfältig; alles Gemüt, Empfindung und nochmals Gemüt.
Israëls sagte mir mal: „Außer Millet gibt es keinen Maler, der so wenig zeichnen und malen konnte wie ich, und dabei so gute Bilder gemacht hat.“
Mit anderen Worten: wie Millet, ist auch Israëls kein Talent, doch – ein Genie.
Beides fehlt, was mit Recht als das Kriterium des Talents angesehen wird: die behende Leichtigkeit, die Natur wiederzugeben. Statt den Gegenstand zu zeichnen, notiert ihn Israëls oft in sein Skizzenbuch er schreibt auf, wo sich ein Schrank, ein Stuhl oder eine Kuh befinden. Es ist sicherlich ein nicht zu unterschätzendes Zeichen von Talent, wenn einer einen Akt herunterstreichen kann, wie die Preisgekrönten, welche dutzendweise an den Wänden der Malschulen Paris oder Antwerpen hängen. Aber aus ihren Verfertigern wird schließlich im besten Fall ein Cabanel oder Bouguerau; meistens bleiben sie ihr Leben lang der „Ancien prix de Rome“. Selbst das mit größtem Talent gemalte Bild bleibt ohne den göttlichen Funken – gemalte Leinwand. Erst das sogenannte Genie flößt dem Bilde das Leben, die Seele ein: Die gemalte Leinwand wird zum lebendigen Kunstwerk.
Israëls steht heute in seinem 88. Lebensjahre; er ist in Holland, was bei uns Menzel war, und wie beim Erscheinen Menzels im Restaurant Frederich einer dem anderen zuflüsterte: „da kommt Menzel“, so zeigt ihn ein Badegast dem anderen, wenn der kleine alte Herr – er ist beinahe ebenso klein wie Menzel – am Strande von Scheveningen spazieren geht.
Als ich einmal vor Jahren in Delden, einem Städtchen unweit der deutschen Grenze, mit Israëls auf der Studienreise war, kam ein braver Bürger des Orts auf ihn zu, „ob er der große Meister wäre, den er in der Zeitschrift abgebildet gesehen hätte, er möchte ihm die Hand drücken und seinen Kindern erzählen, dass er mit Israëls gesprochen“.
In Deutschland dagegen ist Israëls Name, außer bei den Künstlern, wenig bekannt, und jeder Landsmann, der nach Holland kommt, meint ihn „entdeckt“ zu haben. Wer in Berlin aus der alten Gemälde-Sammlung in die National-Galerie oder in München aus der alten in die neue Pinakothek tritt, glaubt sich, sozusagen, in eine andere Welt versetzt. In Holland kann man nach den alten Bildern noch die modernen ansehen: es ist Fleisch von ihrem Fleische.
Die modernen Holländer haben von ihren Vorfahren eine gewisse malerische Kultur geerbt, die selbst unsern bedeutendsten Meistern, wie Menzel oder Böcklin, fehlt. Ein Genie kann es sich schon gestatten, barbarisch zu sein; aber die große Mehrzahl, die bekanntlich nicht aus Genies besteht, muss den Mangel durch Kultur zu ersetzen suchen.
Vor etwa dreißig Jahren traten die Holländer zum ersten Male geschlossen im Münchner Glaspalast auf und erregten bei den Künstlern – die in München das einzige Publikum bilden – ungeheures Aufsehen. Was uns frappierte, war die malerische Kultur. Ein jeder strebsame junge Mann pilgerte nach Holland, er brachte den Holzschuh und die weiße Haube und die lange Tonpfeife von dort mit; das holländische Fenster mit den kleinen Scheiben im Lot wurde Mode. Der Aufschwung, den die deutsche Malerei in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erlebte, beruhte nicht zum mindesten auf dem Einfluss der Holländer, und die Münchener Sezession quittierte nur dankend darüber, als sie Israëls zu ihrem Ehrenmitglied ernannte. Denn Israëls hat die moderne holländische Schule geschaffen: ob Bosboom Kirchen-Interieurs, Maris Stadtansichten, Mesdag Marinen, Mauve Kühe und Schafe malt, ein jeder verdankt ihm etwas, gerade wie jeder Maler heutzutage etwas von Manet hat.
Nicht einmal das Handwerk in der Kunst lässt sich beweisen; und nun gar, was darüber hinausgeht, das heißt wo die Kunst anfängt, gehört dem Gebiete der Ästhetik an. Und Anatole France hat ganz recht; „die Ästhetik hat keinen festen Untergrund; sie ist ein Luftschloss“. Selbst die sogenannten allseitig anerkannten Kunstwerke – der einzige Rettungsanker auf dem wogenden Meer der Ästhetik – erweisen sich bei näherer Betrachtung als höchst schwankend. Die Renaissance zog Virgil dem Homer vor, Friedrich der Große war einig mit seinem ganzen Zeitalter, wenn er Voltaire höher schätzte als Shakespeare; Frans Hals' Doelenstücke, Haarlems heutiger Ruhm und Stolz, lagen bis Mitte des 19. Jahrhunderts aufgerollt auf dem Bodenraum des Rathauses.
Frans Hals
Rembrandt, dessen Ruhm heut selbst den Raffaels überstrahlt, wurde im 18. Jahrhundert den damaligen Modemalern nachgesetzt. Und nun gar bei den Modernen und in heutiger Zeit, wo jeder wie am politischen Leben so am künstlerischen teilzunehmen sich für berechtigt hält; wo in den Kunstanschauungen nichts beständig ist als der Wechsel; wo eine Richtung, eben erst als die alleinseligmachende ausposaunt, morgen schon zum alten Eisen geworfen wird!
Man sollte überhaupt nicht so viel von „Richtungen“ sprechen, als ob die Richtungen den Künstler machen und nicht umgekehrt. Der alte Schadow pflegte seinen Schülern, die ihre schlechte Arbeit mit dem schlechten Zeichenmaterial zu entschuldigen suchten, zu antworten; „Mein Sohn, der Bleistift ist nicht dumm“. Die Richtung ist nur das äußere Gewand eines Künstlers, steckt ein Kerl dahinter, so ist die Richtung gut; auch in der Kunst macht der Rock nicht den Mann.
Was Fromentin von Rembrandt sagt: „Il a bien peint parce qu'il a bien senti“ passt auf keinen lebenden Meister besser als auf Israëls: Er malt gut, weil er gut empfindet. Und wie Rembrandt, empfindet er mit den Figuren, die er malt; er betrachtet die Welt nicht mit Lächeln oder spöttisch, oder von oben herab, sondern mitleidsvoll. Daher das an Rembrandt gemahnende Pathos, das den Beschauer erbeben lässt, obgleich sich nur die alltäglichen Vorgänge im Bilde abspielen. Wie sein großer Landsmann weiß er sich des Alltäglichen zu bedienen, um das Erhabene auszudrücken. Jeder Schulmeister freilich könnte ihm sämtliche Fehler in jedem Bilde nachweisen, und ich glaube, dass jeder Schulmeister meint, es besser machen zu können. Und nach schulmeisterlichen Begriffen kann er es auch besser. In der bildenden Kunst aber legt der Kritiker immer noch im wahren Sinne des Wortes den Maßstab an das Werk, ob die Figur auch die vorgeschriebenen 7+½ Kopflängen hat, ob sämtliche Regeln der Anatomie, Perspektive usw. ordentlich befolgt sind, wie es einem „akademischen Maler“ zukommt.
Natürlich ist Korrektheit eine schöne Sache, aber sie ist nicht das Wesen der Kunst. Mit der größten Leichtigkeit könnte man jedem Rembrandt oder Frans Hals Verzeichnungen nachweisen; aber trotzdem ziehe ich die verzeichneten Rembrandts und Frans Hals den formvollendeten van Dycks oder von der Helsts vor.
Anthonis van Dyck
„Man kann zum Vorteil der Regeln viel sagen; dagegen wird aber auch alle Regel, man rede was man wolle, das wahre Gefühl von der Natur und den wahren Ausdruck zerstören.“ Das sagt Goethe, der „zielbewusste Klassiker“, und zwar zu einer Zeit, wo die Exzellenz die umstürzlerischen Tendenzen der Jugend längst abgelegt hatte.
Israëls wurde er selbst erst in einem Alter, in dem die meisten Maler bereits ihr Bestes geleistet haben, und wenn er das Unglück gehabt hätte, in seinem 40. Jahre zu sterben, wäre Holland um einen seiner besten Söhne ärmer. Bis zu seinem 40. Lebensjahre malte er – wie die anderen: Bilder aus der holländischen Geschichte, ja sogar einen Luther, die Bibel übersetzend. Erst in den sechziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts hat er sich selbst gefunden; in Zandvoort, einem kleinen Stranddorf in der Nähe Haarlems, fing er an, das Leben der Fischer zu malen, zuerst mit etwas sentimentalem Beigeschmack: wie die Kinder ihren Vater vom Schiff heimbegleiten, die Frau sorgenvoll auf die stürmende See blickend; wie gesagt, noch etwas zu tränenreich. Aber von der Sentimentalität arbeitete er sich bald zum wahren Gefühl durch und schafft nun die Werke, die ihn zum großen Meister stempeln, Werke von einer Innigkeit der Empfindung, von einer monumentalen Größe, von einer Breitzügigkeit der Komposition, die man nur noch bei Millet findet; wie er denn der einzige ist von allen Malern des 19. Jahrhunderts, der dem großen Franzosen an die Seite gesetzt werden dürfte. Beiden gemeinsam ist ein gewisser sacerdotaler Zug, die Kunst ist ihnen Religion, daher der feierliche Ernst, der aus ihren Bildern spricht; weil sie aus Überzeugung gemalt sind, wirken sie überzeugend. Beiden gemeinsam die Schlichtheit und Einfachheit, das Höchste, aber auch das Schwerste in jeder Kunst; aber während Millet, der herbere, männlichere, mehr Gewicht auf die Zeichnung, wie der Bildhauer vor allem auf die Silhouette legt, ist Israëls, der zartere, weichere, mehr Maler. Sein Hauptgewicht legt er auf den malerischen Ton. Israëls' Palette ist nicht reich, aber er weiß die wenigen Farben aufs reichste zu nuancieren. Ohne Rembrandt auch nur im Mindesten etwa in den äußern Mitteln nachzuahmen, haben seine Bilder einen Gesamtton, der an seinen großen Landsmann erinnert. Wie Rembrandts sind auch Israëls' Bilder tief gestimmt, aber immer blond, weil jeder Ton in ihnen trotz seiner saftigen Tiefe von Reflex umgeben ist. Israëls bewahrt daher seine Bilder vor dem gräulichsten Fehler, den ein Bild in malerischer Beziehung haben kann, nämlich dass es schwarz erscheint.
Aber auch darin ähnelt er Rembrandt, dass er mehr Luminarist als Kolorist ist. Jede einzelne Lokalfarbe ordnet sich dem Gesamtton unter und ist in Licht und Schatten aufgelöst. Auch komponiert er nicht sowohl auf Farbe wie auf Licht; der Gang des Lichtes bestimmt die Komposition des Bildes, das Licht des Fensters, der helle Fleck der Haube muss gerade an der Stelle sitzen, wo er sitzt.