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Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland
Erzählungen, Märchen und Gedichte zur Advents- und Weihnachtszeit
Band 8
Martina Meier (Hrsg.)
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Impressum:
Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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© 2020 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR
Mühlstr. 10, 88085 Langenargen
Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchausgabe erschienen 2015.
Titelbild: Heike Georgi
Lektorat und Herstellung: Redaktions- und Literaturbüro MTM
ISBN: 978-3-86196-572-5 - Taschenbuch
ISBN: 978-3-96074-328-6 - E-Book
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Inhalt
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Das Weihnachtsgeschenk
Es war Dezember und der Winter hatte Berlin mittlerweile fest im Griff. Das Wetter war frostig und vereinzelt flogen Schneeflocken durch die Luft. Lina umrundete die noch geschlossenen Buden des Weihnachtsmarktes. Es war sechs Uhr in der Früh und sie durfte heute auf keinen Fall zu spät bei der Arbeit sein. Es stand ein wichtiges Interview mit dem neuen Direktor des Tierheimes an. Der Wind war so kalt, dass ihr Gesicht schon ganz rosig war und sie war froh, dass sie sich für den dicken, roten Schal entschieden hatte. Ihr Atem bildete weiße Wolken, während sie die Straße entlanglief.
Auf der Arbeit angekommen, schälte sie sich aus ihren warmen Sachen und trank erst einmal einen heißen Kaffee, während sie aus dem Fenster auf die Weihnachtsdekoration in der Straße schaute. Bald war schon Weihnachten und sie hatte keine Ahnung, was sie Ben, ihrem Freund, schenken sollte. Zehn Jahre waren sie schon ein Paar und jedes Jahr fiel es ihr schwerer, ein passendes Geschenk zu finden.
Es klopfte an ihrer Bürotür und ihre Gedanken wurden unterbrochen. Das Interview begann und es lief sehr gut. Lina war zufrieden.
Als sie am Ende angekommen waren, räusperte sich der Tierheimdirektor und holte ein Foto aus seiner Hemdtasche: „Ich habe da noch ein Anliegen in eigener Sache. Meine Frau und ich haben einen Hund, einen Golden Retriever, Cleo um genau zu sein. Wir waren mit ihr spazieren und sie ist uns ausgerissen. Drei Stunden haben wir sie gesucht. Das Ergebnis können Sie hier sehen.“ Lina schaute auf das Foto und sah Cleo mit drei kleinen Welpen auf eine Decke liegen. „Also, falls Sie jemanden kennen, der einen Hund haben möchte, lassen Sie es mich wissen. Ich möchte, dass sie in gute Hände kommen.“
Lina nickte gedankenverloren und dann kam ihr eine Idee. Bens heimlicher Wunsch war schon immer ein eigener Hund gewesen. Als Kind hatte er dem Weihnachtsmann seitenlange Briefe geschrieben mit der Bitte um einen Hund, aber sein Wunsch war nie in Erfüllung gegangen. Auch sie mochte Hunde sehr gerne und häufig hatten Ben und sie darüber gesprochen, sich einen Hund anzuschaffen, es aber bislang nicht in die Tat umgesetzt.
„Ich würde gerne einen der Welpen nehmen. Es soll ein Geschenk für meinen Freund zu Weihnachten werden. Kann ich ihn am 24. Dezember abholen?“ Lina war selbst überrascht über ihre Entschlussfreudigkeit.
Der Direktor des Tierheimes lächelte erfreut. „Eine Frau der schnellen Entscheidungen! Am 24. Dezember um 11.00 Uhr in der Segelwaldstraße 12a!“ Er streckte ihr die Hand hin und Lina griff zu.
Die Tage bis Weihnachten vergingen wie im Fluge. In den Mittagspausen las sich Lina in Hunderatgeber ein und besorgte einen Napf, einen Hundekorb und was man sonst noch als angehender Hundebesitzer brauchte. Sie strahlte jeden Tag und freute sich auf die bevorstehende Überraschung. Ben gegenüber verriet sie nichts, auch wenn es ihr schwerfiel. Ihr Freund benahm sich in den letzten Tagen auch merkwürdig aufgedreht. Geheimnisvoll wuselte er durch ihre Wohnung und lachte verschmitzt.
Am Weihnachtsmorgen machte sich Lina auf den Weg zur Segelwaldstraße. Als Ben sie gefragt hatte, wo sie noch mal hinmüsse, hatte sie gelacht und gesagt, er müsse nicht alles wissen. Daraufhin schaute er leicht beleidigt und murmelt etwas davon, dass er auch noch etwas zu erledigen habe.
Der Direktor des Tierheimes und seine Frau begrüßten sie herzlich, als sie die Wohnung betrat. Die beiden führten sie zu einem Korb, in dem Cleo mit ihren drei Welpen lag. „Sie haben noch die freie Auswahl, in einer Stunde kommt der nächste Interessent“, sagte der Direktor. Lina schloss sofort alle drei Welpen in ihr Herz. Doch da sie nicht alle drei mitnehmen konnte, entschied sie sich für einen. Er hatte treue braune Augen und leckte ihr vertrauensvoll über die Hand, als sie ihn auf den Arm nahm.
Die Heimfahrt verschlief der kleine Hund und er wurde auch nicht wach, als sie ihn in den Korb in ihrer Wohnung legte. Ben war noch unterwegs. Voller Vorfreude schaltete sich ihre Lieblings-CD mit Weihnachtsliedern an und begann, den Christbaum zu schmücken. Ben würde gleich Augen machen, wenn er zurückkehrte. Nach getaner Arbeit setzte sie sich auf die Couch und wartete.
Als sie den Schlüssel im Schloss hörte, wurde der Welpe wach und im selben Augenblick schoss er aus dem Korb und raste in den Flur. Lina konnte nur hinterherrennen. Im Flur erblickte sich einen entsetzten Ben und ein Knäuel aus Fell und Gebell. „Was ist denn hier los? Wo kommt dieser Hund her?“, rief Ben wütend.
„Das ist dein Weihnachtsgeschenk. Du wünschst dir doch schon so lange einen Hund!“ Lina war zum Heulen zumute. Die beiden Welpen waren derweil außer Rand und Band und tobten durch die Wohnung.
Ben fing plötzlich an zu lachen und konnte gar nicht mehr aufhören. Mühsam hielt er sich auf seinen Beinen, da sein ganzer Körper von dem Lachkrampf geschüttelt wurde. „Ich hatte die gleiche Idee, und jetzt haben wir zwei Hunde!“ Er nahm Lina in den Arm und auch sie prustete los. Beide verloren das Gleichgewicht und landeten auf dem Teppich.
Die beiden Welpen kamen zu ihnen gelaufen und tollten mit ihnen. Lina erkannte den zweiten Welpen und fragte Ben: „Du warst nicht ernsthaft heute auch in der Segelwaldstraße?“
Ben grinste: „Doch!“
Lina stöhnte auf: „Und ich gebe mir solche Mühe, dich zu überraschen!“
Ben küsste seine Freundin auf die Nasenspitze. „Du hast mir das schönste Weihnachtsgeschenk gemacht, was ich je bekommen habe, und für die beiden Kleinen ist es auch schön. So behalten sie einen Teil ihrer Familie und bekommen uns dazu!“ Wie zur Bestätigung schmiegten sich die zwei Welpen an Lina. Es wurde für alle vier das schönste Weihnachtsfest, das sie jemals hatten.
Dr. med. Barbara Bellmann wurde 1984 in Hagen/Westfalen geboren. Sie studierte Medizin in Bonn. Seit 2013 arbeitet sie als Kardiologin in Berlin. Das Schreiben ist eine Leidenschaft von ihr.
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Süßer die Kekse nie schmecken ...
Es begab sich zu einer Zeit, als wir noch die Katzen hatten.
In der lokalen Zeitung hatte ich eine interessante Anzeige gelesen:
Gastfamilien für junge Australier gesucht
Besonders dringend für einen Studenten, dessen Gastmutter in der vergangenen Nacht überraschend ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Ich griff zum Telefon, erkundigte mich nach den Einzelheiten und erklärte mich bereit, diesen Notfall zu übernehmen. Und wann sollte die Gruppe ankommen? Sie würde gleich am Frankfurter Flughafen landen! Hoppla! Meine Familie wusste noch nichts von meinen Plänen. Mein Mann war im Büro, die Kinder in der Schule. Die würden Augen machen! Meinen Mann konnte ich noch kurzfristig informieren. Auch für mich hieß es jetzt: mich sputen. Zimmer und Bett waren herzurichten. Ich vereinbarte mit der Organisation, dass der Junge aus Zeitgründen zu uns ins Haus gebracht würde.
So kam es, dass der Sohn auf Zeit schon vor unseren drei Kindern im Hause war. Die stutzten, brauchten aber nur einen kurzen Moment und schon redeten alle miteinander. Rud sprach passabel Deutsch, unsere Kinder recht gut Englisch und Australien war sowieso interessant. Traumland.
Rud war 19 Jahre alt und ein zurückhaltender junger Mann. Man sah ihm an, dass ihn die veränderte Situation strapazierte. Er hatte erst bei der Ankunft am Flughafen von der Änderung erfahren. Ich zeigte ihm sein Quartier in der ersten Etage und er stellte mit zufriedenem Lächeln fest, dass alle Jugendlichen auf dieser einen Etage wohnten.
So geschah es, dass ich am Abend sogar die Zeit anmahnen musste, denn am nächsten Tag war Schule und die beginnt in Deutschland früher als in Australien.
Rud hatte sein vorgegebenes Programm. Er musste in die Stadt zur Universität. Das war kein Problem, da wir nicht weit von der Straßenbahn entfernt wohnten. Die Gruppe hatte einen Treffpunkt festgelegt, der auch erklärt worden war. Die Jugendlichen kamen aus einer Millionenstadt und so waren Straßenverkehr und Verkehrsmittel kein Problem. Rud würde sechs Wochen bei uns bleiben, würde mit uns Weihnachten feiern, auch Silvester und erst Mitte Januar wieder zurückfliegen. Die sechs Wochen waren organisiert mit einem interessanten Besichtigungs- und Lernprogramm. Ich hatte jetzt eine um einen Leihsohn vergrößerte Familie, versorgte seine Wäsche und auch das Zimmer. Unsere Kinder waren in der Woche mit Schule und Sport beschäftigt und ich hatte zu tun mit Vorbereitungen und Backwerk für die Feiertage. Manchmal sah Rud mir dabei zu und die neugierigen Katzen schnupperten mit hochgestellten Nasen.
Heiligabend fuhr Rud morgens in die Stadt, um kleine Überraschungen einzukaufen. „Bis nachher!“, sagte ich nichts ahnend. Aber der vielseitig interessierte Bursche war zum Mittag immer noch nicht da und auch nicht um zwei Uhr, nicht um drei.
Gegen halb vier kam er aufgeregt an. „Bei euch sind ja die Geschäfte zu. Erst habe ich mir alles angeschaut – und jetzt, wo ich mich entschieden habe und in den Laden zurückgehen wollte – da ist der geschlossen! Was ist das?“
Das war eine neue Erkenntnis: In anderen Ländern gab es den halben Feiertag nicht und ich hatte Rud nicht darauf aufmerksam gemacht. Jetzt hieß es, sich zu beeilen, um noch pünktlich in der Kirche zu sein. Danach gab es ein ausgewähltes Essen, hinterher die Bescherung im feierlich mit Kerzen erleuchteten Wohnzimmer. Dazu gehörte auch der bunte Teller, den ich mit Naschereien, Keksen und Süßigkeiten aufgefüllt hatte. Die gemeinsame Zeit verlief harmonisch und familiär. Muntere Anrufe kamen aus Australien. Dort stöhnte man über die lähmende Hitze. Die Eltern erfrischten sich im kühlenden Swimming Pool. Wir aber saßen am Silvesterabend gemütlich vor dem flackernden Kamin und schlürften barfüßig unseren würzigen Glühwein.
Die Wochen vergingen und wir waren richtig traurig, als Rud uns nach den Heiligen Drei Königen wieder verlassen musste.
Ein Jahr war vergangen, als uns Anfang Dezember ein Brief aus Italien ins Haus flatterte.
Ich bin hier in Italien und könnte superpreisgünstig ein Anschlussticket nach Deutschland bekommen. Seid ihr über die Feiertage zu Hause? Rud.
Das war eine freudige Überraschung! Da wir über Weihnachten nie verreisen, sagten wir zu.
Wieder stand Weihnachten vor der Tür und ich machte mich ans Keksebacken. Rud schaute zu und auch unsere Schmusekatze Aliki. Ich erzählte so nebenbei, dass man bei ihr aufpassen müsste, da sie gern Kokosmakronen und süße Kekse möge. Bei Kokosmakronen hatte sie einen besonderen Trick: Mit ihren kleinen Vorderzähnen nagte sie den Kokoshügel ab und ließ den Schokoladenfuß übrig. Sie war eine richtige Naschkatze. Rud schaute mich tiefsinnig an und lachte los, aber wie! Er konnte sich gar nicht einkriegen. „Was ist?“, fragte ich.
„Jetzt weiß ich es. In meinem Zimmer oben, da hat im vergangenen Jahr oft vom bunten Teller ein Keks gefehlt. Einmal lag sogar einer auf dem Tisch. Die Tür zu meinem Zimmer habe ich nie zugemacht. Und ich habe gedacht, dass SIE sich beim Saubermachen eine Belohnung gegönnt hätten. Ich fass es nicht!“ Spontan nahm er Aliki auf den Arm. „Du Lausebacke!“
Seitdem gab es bei uns zu Weihnachten keinen süßen Teller mehr, sondern am Weihnachtsmorgen hing ein Filzstiefel, gefüllt mit Keksen und anderen süßen Dingen, an der jeweiligen Zimmertür.
Doris Giesler wurde in Oberhausen/Rhld. geboren. Sie machte eine Ausbildung zur Fremdsprachen-Korrespondentin und arbeitete bei verschiedenen internationalen Industriefirmen. Nach ihrem Umzug nach Süddeutschland moderierte sie ehrenamtlich beim Klinik-Rundfunk und unterrichtete lernschwache Kinder/Jugendliche. Sie ist Mitglied einer Schreibwerkstatt und veröffentlichte bereits in mehreren Anthologien des Papierfresserchens MTM-Verlags. Sie schreibt gerne Geschichten und liebt Tiere, besonders Katzen.
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Lumi bedeutet Rettung
Lumi war, wie ihr Name schon sagte, eine Schneefee, denn Lumi bedeutete Schnee. Sie lebte im Norden Finnlands, dort, wo der Weihnachtsmann sein Reich hatte. Das Gerücht, dass der Weihnachtsmann am Nordpol lebte, war gestreut worden, um Schaulustige fernzuhalten. Es war anstrengend, wenn man immer bei seiner Arbeit unterbrochen wurde, weil sich wieder jemand durch die Sicherheitssysteme gemogelt hatte. Die wirklichen Kenner wussten jedoch, dass der Weihnachtsmann in der Nähe Rovaniemis lebte. Dort war es auch viel schöner als am Nordpol.
Die kleine Schneefeedame zupfte ihr Kleid zurecht. Es war weiß wie der Schnee, wie sollte es auch anders sein. Lumis Haut war ebenso hell und hatte die Farbe von Milch. So gehörte es sich auch für eine anständige Schneefee. Sie sollten im Schneegestöber nicht gesehen werden, sondern unauffällig wie der Wind dorthin treiben, wo noch Schnee benötigt wurde. Lumi war jedoch anders als andere ihrer Art: Sie hatte rabenschwarzes Haar, das ihr weit in den Rücken fiel. Warum sie so anders war, konnte keiner sagen, nicht einmal der Weihnachtsmann. Ihre Familie liebte sie, das wusste sie. Sie musste auch keinen Spott ertragen, alle waren lieb und freundlich zu ihr, aber sie konnte ihre Aufgabe nicht so erfüllen, wie sie es sollte. Sie durfte nur in Gebiete, wo keine Gefahr bestand, dass ein Mensch sie sah. Aber sie war schon froh, dass sie überhaupt etwas zum Schneegestöber beitragen durfte, denn es war ihr sehr wichtig, dass sie niemandem zur Last fiel.
Heute war sie tief in der finnischen Tundra im Einsatz. Sie lockte den Schnee zu sich, beschwor ein richtiges Schneegestöber herauf. Es fühlte sich gut an. Die Schneeflocken umtanzten sie und gemeinsam sangen sie ihr Lied des Winters. Lumi lachte glücklich auf, denn nur mit dem Schnee fühlte sie sich wirklich froh. Ein einzelner Schneekristall landete auf ihrer Hand, kicherte leise und ließ sich dann weitertreiben. Einer ihrer Verwandten hatte am Tag zuvor bereits gute Arbeit geleistet, aber Lumi schaffte es, die Landschaft wirklich zu verzaubern. Sie gehörte zu den talentierten Schneefeen, aber sie blieb bescheiden, war einfach nur dankbar, dass sie Teil des großen Ganzen sein durfte.
Plötzlich hörte sie Stimmen. Wie konnte das sein? Hier sollten keine Menschen sein, denn sie war hier und durfte nicht gesehen werden. Ein wahrer Schneesturm entstand. Lumi spitzte die Ohren und versuchte, die Stimmen zu verstehen. Sie musste sich konzentrieren, aber es klappte ganz gut. Schnell wurde klar, die Menschen wollten nicht hier sein. Sie hatten sich verlaufen und der Schnee machte alles nur noch schlimmer. Seit Stunden irrten sie durch die Gegend und waren langsam aber sicher am Ende ihrer Kräfte.
Lumi konnte nicht zulassen, dass sie hier draußen starben. Sie befahl dem Schnee, innezuhalten. Das allein reichte jedoch nicht. Egal, in welche Richtung man schaute, alles war weiß. Sogar der Himmel hob sich kaum von der verschneiten Erdoberfläche ab. Die Menschen würden immer noch nicht wissen, in welche Richtung sie laufen mussten, um wieder in bewohntes Gebiet zu kommen. Einen Moment blieb sie unschlüssig in der Luft schweben, die weißen Flügel schlugen aufgeregt, dann aber hatte sie ihre Entscheidung getroffen. Als Schneefee durfte sie nicht gesehen werden, aber noch weniger durfte sie zulassen, dass Menschen ums Leben kamen in einer Situation, in der sie gar nicht sein sollten.
Entschlossen flog sie zu den drei Personen. Es war ein Mann mit zwei Kindern, ein Mädchen und vermutlich ihr kleiner Bruder.
Es war das Mädchen, das Lumi entdeckte und aufgeregt mit dem Finger auf sie deutete. „Schaut! Da vorn!“
Die Schneefee war zufrieden, sie war gesehen worden und konnte damit beginnen, die drei Menschen aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Sie nahm keinen Kontakt auf, sondern schwebte einfach vor ihnen her, wies ihnen so den Weg. Tatsächlich folgten sie ihr. Vielleicht waren sie mittlerweile so verzweifelt, dass sie alles gemacht hätten, um sich zu retten. Ihr schwarzes Haar, welches sonst ein Problem war, war nun die Lösung der schlimmen Situation, denn es hob sich von der weißen Umgebung ab. Sie achtete darauf, dass die Menschen hinterherkamen. Sie sanken tief in den Schnee, aber sie hatten neue Hoffnung geschöpft. Das war gut.
Nach gefühlten Stunden kamen sie zu den ersten Häusern eines Dorfes. Jetzt konnte Lumi die Menschen ohne Sorge allein lassen. Sie würden es schaffen. Die kleine Schneefee flog schnell davon, aber nicht allzu weit, denn die wollte ganz sicher sein, dass nicht noch etwas passiert.
Ob sie Ärger bekam, weil sie sich einem Menschen gezeigt hatte? Es war durchaus denkbar, aber der Weihnachtsmann beschenkte die Menschen, da würde er sicher nicht wollen, dass ihnen etwas passierte.
Am nächsten Tag war Heiligabend. Welch ein Unglück wäre es gewesen, wenn den dreien so kurz vor diesem Tag etwas Schlimmes passiert wäre. Sie hatte richtig gehandelt, dessen war sie sich sicher. Es konnte nicht falsch sein, anderen zu helfen, selbst wenn dafür Grenzen übertreten werden mussten.
Eine einzelne Schneeflocke fiel vom Himmel, verfing sich in Lumis Haar und konnte sich so an ihre Wange schmiegen. Die Schneefee lächelte. Der Schnee gehörte einfach zu ihr, war ihr Freund, ihr treuer Begleiter.
Die Menschen waren fast an ihrem Ziel angekommen, standen vor der Tür eines Hauses und warteten, dass sie eingelassen wurden. „Was war das für ein Wesen, Vater?“, fragte das Mädchen, sah zu ihrem Vater auf.
Er lächelte erschöpft, aber mit deutlicher Erleichterung, dass sie endlich ins Dorf gefunden hatten. Der Schneesturm hatte sie überrascht. „Ich weiß es nicht, meine Kleine, aber es war unsere Rettung“, sagte er.
Die Tür ging auf. Eine Frau mit einem Baby auf dem Arm öffnete sie, sie sah besorgt aus, aber als sie sah, wer da stand, könnte ihre Erleichterung nicht größer sein. Tränen standen in ihren Augen.
Lumi strahlte. Sie war die Rettung für diese Menschen gewesen und das, obwohl sie sich sonst vor ihnen versteckt halten musste. Es war richtig gewesen, was sie getan hatte, das war ihr von Anfang an klar gewesen. Heute hatte ihr Anderssein drei Menschen das Leben gerettet.
Fröhlich flog sie davon, Schneeflocken umspielten sie und die Schneefee tanzte mit ihnen. Wenn sie sich drehte, entstand ein Schneewirbel, aber das machte nichts, denn jetzt war keiner mehr da, der in Gefahr geraten konnte.
Wieder vom Dorf entfernt in der kahlen Tundra Finnlands entstand ein richtiger Schneesturm, weil Lumi so ausgelassen mit ihren Freunden, den Schneeflocken, tanzte. Sie sangen das Lied des Winters zusammen, ließen die Melodie durch die Landschaft fließen und verzauberten sie so. Es war reine Glückseligkeit, die Lumi durchfloss.
Lumi hieß nicht nur Schnee, sondern für sie bedeutete nun auch Rettung.
Sabine Mahlich wurde 1990 in Leonberg geboren. Sie studierte Germanistik auf Bachelor und Master. In ihrer Freizeit schreibt sie gerne Geschichten, spielt Klarinette und hört Musik.