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Manfred Baumann

Salzburgsünde

Meranas neunter Fall


Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Julia Franze

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Rafinade / stock.adobe.com

ISBN 978-3-8392-6982-4

Erster Teil

I’ll be so lonely I could die

Scheibenhonig! Er braucht einen Bass. Unbedingt. Er steckt die Hände in die Taschen der Jacke. Ihm ist nicht kalt. Aber er will nicht, dass jemand sieht, wie er mit grimmig geballten Fäusten durch die Gegend tobt. Es sind nicht viele Leute an der Salzachpromenade unterwegs. Aber die wenigen reichen ihm schon. Alles Primitivlinge. Gucken alle wie nasse Ratten aus dem Ausguss. Er senkt den Kopf, hastet weiter. Er braucht einen Bass. Unbedingt. Keinen Kontrabass. Den würde ihm der Alte schon kaufen. Aber da müsste er seinem Erzeuger vorduseln, dass er endlich seinem Wunsch nachkäme und ab sofort gewillt sei, ein Streichinstrument zu lernen. Stunden zu nehmen. So, wie der Alte es wollte. Wenn er schon nicht zur Geige griff wie Mama und sein Erzeuger, nicht einmal zur Bratsche wie seine Schwester, dann wenigstens zum Kontrabass. Damit wäre der Alte einverstanden.

Aber er hat keinen Tick unterm Pony. Er nicht! Es reicht! Er will nichts mehr vorheucheln. Er will nicht geschissene Zeit vergeuden, sich mit irgendeinem volldoofen Lehrer abquälen, um einem geschissenen Instrument irgendwelche geschissenen Töne zu entlocken. Das ist nicht assig! Er reißt die linke Hand aus der Tasche, hebt die Faust. Eine ältere Frau blickt ihn verwundert an. Er wendet den Kopf ab, verbirgt schnell die Faust in der Jackentasche. Weiter. Ein geschissener Kontrabass würde ohnehin wenig nützen. Er braucht einen E-Bass. Nur das bringt’s. Es muss nicht unbedingt ein Precision sein. Den kann er sich sowieso nicht leisten. Obwohl er erst eine Taschengelderhöhung bekommen hat. Von Mama. Ohne dass der Alte das mitbekam. Gelegentlich bedient er sich in der Schreibtischschublade im Arbeitszimmer. Der Alte ist so dämlich, dass er meistens vergisst abzuschließen. Also, er hätte schon etwas Lakritze übrig. Aber das reicht nicht für einen Fender Bass. Niemals. Nicht einmal für einen gebrauchten. Aber er braucht einen Bass. Es muss kein Fender sein. Vielleicht treibt er irgendwo einen anderen auf. Gebraucht. Krummgut reicht auch. Und billig! Aber würde er in Salzburg einen E-Bass bekommen? In dieser verzopften Stadt? Er bleibt stehen, lugt über die Salzach. Sein Blick fällt auf die Festung, auf die Domkuppel, auf die Fassaden der Bürgerhäuser. Totale Verhaue. Aber er braucht einen. Dann würde er den Basslauf üben. Der gefällt ihm besonders auf der neuen heißen Scheibe. Von seinem Idol. Da ist Saft dahinter! Und eine E-Gitarre braucht er auch. Dann würden sie ihn auch nicht mehr auslachen, diese Blindgänger. So wie gestern.

Well, since my baby left me

Well, I found a new place to dwell

Well, it’s down at the end of Lonely Street

at Heartbreak Hotel

Er hat es riesig hinbekommen, echt fetzig. Das weiß er. Auch das kreisende Schwingen. Mit der Hüfte. Er bleibt stehen, schaut sich um. Niemand in seiner Nähe. Schnell kreist er einmal das Becken, lässt die Knie mitschwingen. Das hat er sich am vergangenen Sonntag im Kino abgeschaut. Der Alte hat die gesamte Familie mitgeschleppt. Die Zehn Gebote. Mit Charlton Heston. Was für ein Trollo! Fast vier Stunden saßen sie im riesigen Elmo-Kino! Keine Wucht in Tüten! Über 300 Leute! Aber für ihn hat es sich dennoch ausgezahlt. Wegen der Wochenschau vor dem Hauptfilm. Da sah er ihn. Elvis Presley. Bei einem Live-Auftritt. Er sang Heartbreak Hotel. Total lässig! Diese Stimme. Diese sautolle Art zu singen. Und dann das Hüftkreisen. Steile Sache. Er probiert es erneut. Ihm wird warm zwischen den Beinen. Er spürt, wie sein Glied in der Hose anschwillt. Gleichzeitig vernimmt er ein Kichern. Schnell dreht er sich um. Zwei Mädchen. Total grüne Erbsen. Sie halten kichernd die Hand an den Mund. Dieses Mal fährt er mit beiden Fäusten aus der Jackentasche. Die Schnören erschrecken. Dann wenden sie sich um, eilen davon. Er blickt ihnen nach. Er kann sich nicht erinnern, die beiden auf diesem Weg je gesehen zu haben. Die sind auch nicht in seiner Schule. Da ist er sich sicher. Aber wenn sie dort wären, hätten sie gewiss auch gekichert und gespottet. So wie alle anderen. Bei dieser blöden Fete in seinem Gymnasium. Es hat ja geheißen: Wer möchte, solle etwas zur Unterhaltung beitragen. Für alle. Der Mädchen- und der Knabenzweig würden dieses Mal miteinander feiern. Etwas Musikalisches. Es musste nichts mit Mozart direkt zu tun haben. Etwas, das einem selbst gut gefällt. Also hat er die Hüften geschwungen und getan, als schrubbe er auf seiner alten Kindergitarre. Was anderes hatte er ja nicht zur Hand. Und es gelang ihm magniperb, seiner Stimme ein besonderes Timbre zu verleihen. Genauso wie Elvis.

I’ll be getting so lonely, baby

Well, I’m so lonely

I’ll be so lonely I could die

Schon da haben die Ersten angefangen zu kichern. Aber er hat fetzig weitergemacht. Allzu weit kam er allerdings nicht. Nur bis …

Well, if your baby leaves you

You got a tale to tell

Dann hat fast die Hälfte in der dämlich geschmückten Turnhalle gelacht und gehöhnt. Darauf hat er seine alte Kindergitarre auf den Boden gedonnert und ist davongestürmt. Sie hat nicht gelacht. Nein, sie nicht. Sie ist ihm sogar nachgeeilt, hat ihm gratuliert. Was für ein origineller Beitrag, hat sie gesagt, und sehr gut aufgeführt. Ich bin sicher, das hätte auch dem Wolfgang Amadeus gut gefallen. Auch der liebte ja bekanntlich die ausgefallenen Sachen. Das hat sie gesagt.

»He, Halbstarker!«

Er bremst ab, lässt seinen Körper herumwirbeln. Den kennt er. Das ist der Prennwieser. Der ist aus seiner Schule. Eine Klasse über ihm. Der war auch bei der Feier. Alle waren sie da. Der hat ihn ganz besonders ausgelacht.

»Zeig mir mal deinen Hüftschwung! Und wo ist deine tolle Halbstarken-Babygitarre?«

Der Kerl ist einen halben Kopf größer. Doch das ist ihm egal. Zwei rasche Schritte. Beide Fäuste aus der Tasche. Den ersten Schlag setzt er so schnell und wuchtig, dass dem anderen nicht einmal Zeit bleibt, die Hände in die Höhe zu reißen. Beim dritten Schlag spritzt dem Gegenüber Blut aus der Nase.

You’ll be so lonely you could die …

1

Der Himmel über der Festung zeigte ein eigentümliches Schillern. Wie ein edler Damastvorhang verbreitete die helle Wolkendecke ihr silbriges Schimmern hoch über den Häusern der Stadt. Bricht jetzt endlich die Sonne durch?, fragte sie sich und hob die Augen zum Himmel. Tatsächlich. Wie eine Lanze bahnte in diesem Moment der erste goldglänzende Strahl sich seinen Weg durch die dünner werdende Wolkenmatte. Sie senkte die Augen, warf einen schnellen Blick auf ihr Handgelenk, als müsste sie die exakte Zeit festhalten für diesen beglückenden Augenblick. Die Uhr zeigte 8.33 Uhr. Die Sonnenlanze über der Stadt verstärkte ihre Kraft, wurde breiter, vergrößerte den Riss im Wolkenvorhang. Weitere Lanzen fanden nun Platz und gossen ihr kräftig wachsendes Leuchten über die Fassaden der Barockstadt. Endlich. Was für eine Freude nach dem tagelangen Unwetter. Ein wunderschöner Tag würde das werden. Davon war sie überzeugt. Was sie zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht wusste: Eine grausige Entdeckung stand ihr heute bevor. Und das sehr bald. Ein widerlicher Fund. Aber davon hatte sie noch keine Ahnung, als sie den Hund von der Leine ließ.

»Lauf, Jacky.«

Der Boston Terrier bellte einmal hell. Die quäkende Stimme überschlug sich fast. Aber das Bellen klang freudig. Der schwarz-weiß gefleckte kleine Hund preschte los.

»Nicht zu schnell, Jacky. Sonst kann Frauchen dich nicht mehr einholen.«

Sie liebte es, mindestens zweimal in der Woche mit ihrem Jacky zu einer Tour über den Kapuzinerberg aufzubrechen. Marlene Stracker wohnte in der Neustadt, in der Auers­pergstraße. Wenn sie sich ganz weit aus dem Wohnzimmerfenster beugte, konnte sie sogar einen kleinen Teil des Salzburger Hausberges ausmachen. Mehr davon zu erspähen, war ihr wegen der hohen Häuser ringsum nicht möglich. Aber sobald sie ihre Wohnung verließ und ein Stück der Straße folgte, lag die ganze Pracht des von ihr so geschätzten Stadtberges vor ihr. Meist wählte sie den Aufstieg über die Imbergstiege in der Steingasse. Doch heute hatte sie sich für die ausgedehnte Route entschieden und an der nordöstlichen Bergseite die Strecke über den Doblerweg gewählt. Der Anstieg war zwar steil, aber oben angekommen wurde man gleich durch den Anblick des großartigen Franziskischlössls entschädigt. Glockengeläut würde sie dieses Mal aus der Stadt unter ihr keines vernehmen. Das war ihr klar gewesen, als sie aufbrach. Sie bedauerte es dennoch. Sie liebte das Läuten. Es erschien ihr jedes Mal wie eine freudvolle Botschaft aus einer märchenhaften Spielzeughäuserlandschaft. Aber heute war Karfreitag. Da gab es keine Glocken. Die befanden sich ja alle in Rom. Sie schmunzelte, als sie bei dieser Vorstellung zur Legende an ihre Kindheit dachte. Damals hatte sie tatsächlich an diese gerne erzählte alte Geschichte geglaubt. Einmal hatte sie sogar eine Zeichnung angefertigt. Die Osterhasenfamilie saß in der Wiese und war fleißig beim Eierbemalen. Und hoch über ihnen flogen Glocken in allen Größen und Farben über den Himmel, unterwegs zur Ewigen Stadt.

»Jacky, langsam!«

Heute hatte sie sogar um 6 Uhr die Frühmesse besucht, in der Sebastianskirche in der Linzergasse. Eine regelmäßige Kirchgeherin war sie keine. Bei Weitem nicht. Aber zu den besonderen Festen wie Pfingsten, Ostern und Weihnachten streute sie gerne den einen oder anderen Messbesuch ein. So auch am heutigen Karfreitag.

»Wir sehen Jesus am Kreuz«, hatte der Priester in der Frühmesse gesagt. In gestochenem Hochdeutsch, mit gut vernehmbarem slawischen Akzent. »Gestorben für die Sünden der Welt.« Diese Vorstellung hatte ihr schon als Kind beängstigende Schwierigkeiten bereitet. Zu Gott im Himmel muss man ehrfurchtsvoll aufschauen. Denn er ist ein liebender Vater. Für alle. So hatte man es ihr oft und oft nahegebracht. Sie hatte immer ihre Zweifel an dieser Darstellung. Liebender Vater für alle? Warum ließ dieser Vater dann den eigenen Sohn umbringen? Um uns Menschen von unseren Sünden zu befreien, hatte man sie in der Religionsstunde gelehrt. Und dafür ließ er den eigenen Sohn geißeln, leiden, ans Kreuz nageln, umbringen? Ihre Kinderseele konnte und wollte das nie verstehen. Von so einem »liebenden« Vater war nicht viel zu erwarten. Davon war sie als Kind überzeugt. Daran hatte sich bis heute wenig geändert. Auch heute Früh hatte sie sich mehrmals während der Messe bei leichtem Kopfschütteln ertappt. Dennoch hatte ihr die ruhige, andächtige Stimmung in der Kirche gutgetan.

»Jacky, nein, heute nicht!« Sie wusste genau, wo der kleine Lauser hinwollte. Sie blickte sich rasch um. Keine Spaziergänger zu bemerken. »Jacky, komm sofort her zu mir!« Doch der Hund ließ sich von seinem Vorhaben nicht abbringen. Ihre Blicke kreisten. Noch immer niemand zu sehen. »Also gut, mein Lieber. Dann mach. Aber ganz schnell. Hurtig.«

Der Terrier hastete mit seinen etwas pummligen Pfoten über die breiten Stufen, die auf der sanft ansteigenden Wiese nach oben führten. Sein Ziel war das auffällige, steinerne Gebilde am Ende des Treppenaufgangs. Er liebte es, am Fuß des Monuments sein Bein zu heben, um seine flüssige Markierung zu hinterlassen. Damit es auch wirklich allen klar wurde: Hier war er zur Stelle gewesen. Er, Jacky, Boston Terrier und Rassehund. Dort oben am Sockel mochte zwar der große Sohn der Stadt thronen, Wolfgang Amadeus Mozart, der berühmte Komponist. Doch wer den Platz tatsächlich beherrschte, war eindeutig er. Der Urin am Fuß des Denkmals stammte von ihm! Und von sonst niemandem.

»Jacky, beeil dich!« Der Hund bellte. Es klang stolz, in jedem Fall zufrieden. Marlene blickte sich um. Sie waren allein. Zu dieser frühen Stunde war am Karfreitag niemand heroben unterwegs. Gott sei Dank.

»Brav, mein kleiner Liebling! Und jetzt schnell zurück!« Das Tier stutzte. Dann drehte es den Kopf nach oben. Jacky begann zu bellen. Laut. Sehr laut. Doch der in die Ferne blickende versteinerte Genius am anderen Ende des Monuments verzog keine Miene. Was macht er denn da? Marlene irritierte Jackies Verhalten. Wollte er vom berühmten Sohn der Stadt beachtet werden? Der steinerne Mozart auf seinem Sockel hatte ihn doch noch nie interessiert. Erneut begann der Terrier zu bellen. Dann steckte er die kurze Schnauze nach unten, schnüffelte hektisch über den Boden.

»Was ist los, Jacky?« Warum gebärdete sich ihr Liebling plötzlich so?

»Komm, wir müssen zurück!«

Sie wandte sich nach rechts, fuchtelte mit der Hand. Sie würden den Stefan-Zweig-Weg nehmen, vorbei am Kapuzinerkloster hinunter in die Stadt. So wie immer. Doch der Terrier folgte ihr nicht. Im Gegenteil. Er hastete weiter kläffend durch das Gras. Schließlich hopste er von der Wiese auf den Asphalt des Basteiwegs, der an der Wehrmauer entlang in die entgegengesetzte Richtung führte.

»Nein, Jacky, nicht dorthin! Komm sofort zurück!«

Doch der kleine Hund gehorchte nicht. Marlene stöhnte laut. Es blieb ihr nichts anderes übrig, sie musste dem kläffenden Racker hinterhereilen. Sie hastete die Mauer entlang. Der Weg stieg leicht an. Der Hund war etwa 30, 40 Meter vor ihr. Er bellte hysterisch. Gleich darauf fiel die Mauer scharf nach rechts ab und gab den Wald frei. Jacky stoppte. Dann verschwand er zwischen den Bäumen.

»Nein, Jacky, bleib da!« Den breiten Ast am Wegrand sah sie zwar. Aber viel zu spät. Sie stolperte, landete hart auf dem Boden. Sie schrie auf, kämpfte mit der Orientierung und der schlagartig einsetzenden Übelkeit. Sie war mit Knien und Oberkörper auf den Asphalt gekracht, aber der Kopf landete zum Glück auf einem Gewirr aus Zweigen neben dem Weg. Jackies aufgeregtes Bellen war zu vernehmen. Und noch etwas hörte sie. Plötzlich war da eine Stimme, dicht neben ihr.

»Sind Sie verletzt?« Ein junger Mann beugte sich über sie. Er war in einen hellblauen Jogginganzug gekleidet. Sie hatte den Mann vorhin gar nicht bemerkt. Er war wohl den Weg aus der Linzergasse heraufgelaufen. »Vorsicht. Ich helfe Ihnen.« Er streckte die Hand aus, half ihr behutsam auf. Sie fühlte sich zittrig, klammerte sich an seinen Arm. »Vielleicht setzen Sie sich kurz auf den Boden«, meinte er. »Ich bleibe gerne bei Ihnen, bis Sie sich besser fühlen.«

Sie nickte, ließ sich langsam auf dem Asphalt nieder. Erst jetzt schien dem Mann das laute Bellen aufzufallen. Er wandte den Kopf, spähte durch die Bäume.

»Das ist mein Hund. Ich weiß nicht, was er hat. Er rennt sonst nie weg. Ich bin ihm vorhin nachgelaufen.«

Sie machte Anstalten, sich in die Höhe zu stemmen. Der junge Mann legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. »Ich schaue mal nach, was Ihren kleinen Freund so aufregt.«

Sie nickte. »Das ist sehr nett von Ihnen. Er heißt Jacky.« Sie griff in die mitgeführte Handtasche und reichte ihm eine Hundeleine. »Und ich bin sein Frauchen, Marlene Stracker.«

»Freut mich. Ich heiße Aaron Treps.«

Dann setzte er sich in Bewegung, hielt auf das Bellen zu. Der Untergrund fiel sanft ab. Etwas weiter unten zog sich die alte Wehrmauer durch die Ansammlung der Bäume. Wenn die Blätter nicht so dicht wären, hätte man von hier aus einen wunderbaren Ausblick. Selbst die Festung Hohensalzburg wäre zu sehen. Aaron Treps wusste das. Er vollführte seine Joggingeinheiten über den Kapuzinerberg auch in Spätherbst und Winter. Dann waren die Zweige kahl und gaben fast überall den Blick auf die Stadt frei.

»Worüber regst du dich so auf, mein Kleiner?« Er war dem Kläffen nahe. Der Waldboden fühlte sich an manchen Stellen sehr matschig an. Erst gestern Abend hatte das Unwetter nachgelassen. Es hatte seit Tagen Salzburg förmlich überrollt. Zwischen den unterschiedlichen Stämmen waren urtümlich bewachsene Felsbrocken auszumachen. Daneben Bäume, die schon vor vielen Jahren entwurzelt worden waren. Sie lagen da wie hingestreckte mächtige Drachen. Und dann erkannte Aaron, was den kleinen Terrier hierhergelockt hatte.

»Na so was!« Ihm bot sich ein absonderlicher Anblick. In einer Art Mulde am schräg abgleitenden Waldboden lag neben den mächtigen Wurzeln eines umgekippten Baumstammes ein bizarr verkrümmter Körper. Ein Tier. Eine tote Gämse. Aaron beugte sich vorsichtig nach unten zum kleinen Hund. Der Terrier hatte bei Aarons Eintreffen das Bellen eingestellt, äugte neugierig auf den Angekommenen. Aaron legte ihm die Leine an.

»Komm, mein Lieber. Ich bringe dich zurück zu deinem Frauchen. Und dann rufen wir den Stadtförster an.« Der Hund folgte ihm bereitwillig.

Eine halbe Stunde später traf der Stadtförster ein.

»Hallo, Benedikt.«

»Hallo, Aaron.« Die beiden kannten einander gut. Schließlich war Aaron Treps seit vielen Jahren auf dem Kapuzinerberg unterwegs, und das meist mehrmals in der Woche. Da begegnete man sich eben. Marlene Stracker war mit ihrem Jacky hinuntergestiegen. Aaron hatte ihr zuvor den Fund der verendeten Gämse geschildert. Marlene hatte ihn gefragt, ob es ihm etwas ausmache, alleine auf den Stadtförster zu warten. Sie wolle lieber gleich nach Hause. Der freundliche und stets hilfsbereite technische Zeichner hatte gerne eingewilligt.

»Wo liegt das tote Tier?«

»Gleich da unten neben einem der umgestürzten Baumriesen.« Aaron Treps ging vor, der Stadtförster folgte ihm.

»Aber das ist ja die Milly!« Benedikt Keutschach ging neben dem toten Tier in die Hocke. »Ich erkenne sie an der linken Krucke.« Er deutete auf eine Krümmung am linken Horn des Tieres. Er hob den Kopf des Tieres leicht an. »Die Milly war immer in bester Verfassung, nie krank, sehr kräftig, eine elegante Kletterin.« Er erhob sich, trat einen Schritt zurück, ließ seine Augen auf dem Tier ruhen. »Also abgestürzt ist sie hier sicher nicht. Das passt nicht zum Gelände. Und ihre extrem verkrümmte Haltung kann ich mir auch schwer erklären. Da kann uns sicher die Tierärztin später mehr dazu sagen.« Er ließ seine Augen langsam über das abfallende Gelände und die verdeckte Mulde gleiten. Er schüttelte den Kopf, nagte mit den Zähnen an der Unterlippe. »Das Ganze kommt mir sehr eigentümlich vor. Äußerst seltsam.«

Das Erstaunen wuchs an, als der Stadtförster Milly in die Höhe hob. Er hatte sich dazu Handschuhe übergestreift. Was war das? Da lag etwas. Sie konnten es beide sehen. Direkt unter dem toten Tier. Das Gebilde war halb im weichen Lehmboden versunken, aber dennoch gut auszumachen.

Sie blickten einander verblüfft an.

Da lag ein Totenschädel.

Ein menschlicher.

Well, it’s one for the money
two for the show

100 Schilling! 100!!! Der Blindgänger ist verrückt. Für den Betrag muss ein Arbeiter im Betrieb seines Vaters verdammt lange strampeln. Eine halbe Woche mindestens. Manche in der Produktion wohl noch länger. Und dieser hinterfotzige Prennwieser verlangte diese Mal sogar noch mehr. 130 Schilling! Alles Quatsch mit Anlauf. Der wollte den dicken Otto markieren. Aber nicht mit ihm! Er konnte ihn auf 100 runterquetschen. Vergangene Woche waren sie noch mit drei Zwanzigern ausgekommen. Der Saukerl wurde immer unverschämter! Fast drei Wochen ist die Sache jetzt her. Er hat ihm zwar beim Zusammenstoß an der Salzach nicht das Nasenbein gebrochen. Aber der Angeber musste dennoch drei Tage lang mit geschwollenem Riechkolben herumlaufen. Prennwieser hat ihm auch sofort gedroht, ihn anzuzeigen. Bei der Polizei, bei den Eltern, in der Schule. Das konnte er absolut nicht gebrauchen. Also begann er noch an Ort und Stelle, mit ihm zu verhandeln. Noch auf dem Salzachweg. Alles ausgekübelt. Dass ein paar Erwachsene kopfschüttelnd vorbeigingen, störte ihn kaum. Den nilligen Prennwieser nach einiger Zeit auch nicht mehr. Ja, es hat gedauert. Aber schließlich hatte er ihn soweit. Sie einigten sich. Der Typ ist nicht der hellste. Er würde kein Wort über ihren Zusammenstoß verlieren. Er würde keinem erzählen, was tatsächlich passierte. Weder zu Hause noch in der Schule noch sonst wo. Er würde allen sagen, er sei unversehens gegen einen Laternenmasten gerannt. Dafür würde er ihm jede Woche einen Batzen Geld zustecken. Und das zwei Monate lang. Ursprünglich wollte der Gammelknilch drei Monate rausschinden. Aber er hat ihn auch da runtergedrückt. Zumindest das hat er von seinem Alten gelernt. Wie man erfolgreich Verhandlungen führt. Wie man den eigenen Vorteil nicht außer Acht lässt und sich den Gegner so zurechtbiegt, wie man ihn braucht. So macht der Alte es im Betrieb, bei den Lieferanten und auch bei manchen Geschäftspartnern. Und er macht es eben am Salzachufer. Alles stinkrichtig. Der Ort ist egal. Was zählt, ist das Ergebnis. Sie einigten sich auf 40 Schilling. Die steckte er ihm gleich zu. Und auch in der Woche darauf. Und jetzt? Da wollte der Trollo schwer aufs Blech hauen. Verlangte einen Hunderter! Nein. So kann das nicht weitergehen. Immerhin, das muss er zugeben, hat der Affe sich an die Vereinbarung gehalten. Bis jetzt ist nichts von ihrem Zusammenstoß durchgesickert. Und so soll es auch bleiben. Aber es muss ihm etwas einfallen. Wenn der Schlabberheini weiterhin unverschämt immer mehr verlangt, geht ihm bald die Lakritze aus. Schon jetzt ist es schwierig, die nötige Kohle bereitzuhalten. Erst neulich hat ihn der Alte gefragt, ob er unerlaubt in dessen Arbeitszimmer gewesen sei. Ihm fehle Geld aus der Schublade. Er hat natürlich alles abgestritten. Zum Glück hat die Mama sich eingemischt. Sie habe sich etwas herausgenommen für Einkäufe. Wie viel das genau war, wisse sie nicht mehr, hat sie gesagt. Ob es sich tatsächlich so abgespielt hat, weiß er nicht. Vielleicht verdächtigte sie ihren Sohn und wollte ihm zu Hilfe kommen, bevor der Alte wieder einmal ausrastete. Kann sein, kann nicht sein. Er hat mit seiner Mutter nicht darüber geredet. Sie mit ihm auch nicht.

Elvis war wieder in der berühmten Stage Show der Dorsey Brothers. Schon zum sechsten Mal. Das hat er in der Zeitung gelesen. Und vorige Woche auch im Dudelkasten gehört. Elvis wurde bei seinen Auftritten in der Show auch von Bill Black begleitet. Auf dem Kontrabass! Da muss er kichern, wenn er daran denkt. Vielleicht soll er doch Bassgeige lernen. Nein. Es würde nicht lange dauern, und der Alte würde ihn in irgendein schwindliges Klassiker-Ensemble stecken. Und jeden Sonntag Familienmusik! Ächz! Aber E-Bass hatte er auch noch keinen. Elvis würde bald in Las Vegas auftreten. Hat er gelesen. Und in der Quäke gehört.

Elvis Presley. Der totale Anmacher. Riesentyp! Endlich gibt es von ihm auch ein eigenes Album. Ein großes. Eben erschienen. Er hat es sich sofort besorgt. Zwölf Songs. Geile Scheibe! Scharfer Klopfer!

Well, you can knock me down, step in my face

Slander my name all over the place

Er singt mit, kennt jede Silbe des Textes. Die schwarze Scheibe dreht sich. Er hat sich den tragbaren Plattenspieler zu Weihnachten gewünscht und auch bekommen. Es ist für ihn jedes Mal saudufte, wenn er durch Schwenken des weißen Tonarms die Abspielung startet und dann vorsichtig die Nadel am äußersten Rand der Platte in die Rille setzt.

You can burn my house, steal my car …

Er schaut auf sein Handgelenk. Die Armbanduhr hat er zur Firmung bekommen. Von seinem Paten. Ziemlicher Bomber, Geschäftsfreund des Alten. Eine Rolex Precision. Wenn alle Stricke reißen, kann er auch die verscherbeln. Die bringt eine Menge Zaster ein, das weiß er. Kurz vor 16 Uhr. Herrje, schon so spät. Er muss sich beeilen.

Fünf Minuten später hetzt er durch die Straßen der Stadt. Er will nicht zu spät kommen. Er will sie nicht versäumen. Steile Sache. Meist verlässt sie gegen 16.30 Uhr das Haus. Nicht immer, aber zumindest jeden dritten Tag. Flotter Dampfer. Das weiß er.

Three to get ready now go, cat, go

But don’t you step on my blue suede shoes …

1 250,47 ₽
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0+
Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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253 стр. 6 иллюстраций
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9783839269824
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