Читать книгу: «Little Pearl», страница 2
»Im Ernst?«
Cee lächelt. Es ist das erste richtige Lächeln seit Tagen.
»Wow, das ist ja fantastisch.«
»Finde ich auch. Wenigstens etwas, das in meinem Leben gut läuft.« Ihre Gesichtszüge verdüstern sich sofort wieder.
Aber ich lasse ihr gar keine Zeit, um über Dylan oder Pru nachzudenken, sondern löchere sie darüber aus, wie es dazu gekommen ist, dass in einem der bekanntesten Reiseführer der USA über das Bed & Breakfast berichtet wird.
Wenig später fahren wir vor Gordons Werkstatt, die er von seinem Vater übernommen hat. Sie liegt im Industriegebiet von Little Pearl. Es ist die einzige Autowerkstatt in dieser Gegend, weswegen schon Hans vor Jahren und jetzt auch noch Gordon anbauen mussten.
Das einst kleine weiße Haus mit einem Garagentor, ist mittlerweile einem Gebäude gewichen, das aus drei Toren und einem geräumigen Büroteil besteht. Rechts und links stehen auf geteertem Boden Gebraucht- sowie Neuwagen.
Kaum sind wir ausgestiegen kommt uns Gordon entgegen. »Hey ihr zwei.« Er gibt Cee einen Kuss auf die Wange, dann wendet er sich an mich und wir schlagen uns die Fäuste aneinander. »Krass, sieht dein Auge Scheiße aus. Siehst du damit eigentlich noch was?«, witzelt er und dreht sich zu meiner Schwester. »Hat er dir schon erzählt, wie er das hingekriegt hat?«, fragt er sie, deutet dabei auf mein geschwollenes Auge. Bevor Cee überhaupt etwas sagen kann, plaudert Gordon schon weiter. »Er ist gegen eine Hantel gelaufen. Kannst du dir das vorstellen?« Gordon kullert sich fast bei der Vorstellung, genau wie letzte Nacht. Ich würde ihn am liebsten verkloppen, aber ich habe diese dämliche Ausrede aufgetischt. Jetzt muss ich da auch durch.
Ich schiele zu meiner Schwester, die mir einen ungläubigen Seitenblick zuwirft. Wahrscheinlich ist sie überrascht, weil ich niemandem von Dylans und meinem Zusammentreffen erzählt habe. Es verwundert mich ja selbst.
Cees Mundwinkel zucken leicht. Obwohl die Geschichte über mein blaues Auge eine Lüge ist, so bringt sie der Gedanke, wie ich mit einer Hantel zusammengestoßen sein könnte, doch zum Schmunzeln.
»Okay, wenn ihr genug über mich gelacht habt, hättest du dann mal die Güte und zeigst uns deine Autos?«
»Aber sicher doch«, meint Gordon immer noch grölend. Als er sich endlich beruhigt hat, zeigt er über den Platz zu ein paar Autos. »Ich dachte mir, dass du am ehesten wieder eines haben möchtest wie dein letztes. Da vorne habe ich gleich drei dieser Art.«
Cee und ich folgen ihm, bis er vor ein paar Gebrauchtwagen stehen bleibt.
»Ich habe einen Toyota, einen Honda und einen Ford. Das wären diese hier.« Er deutet auf drei Wagen, die auf den ersten Blick wie Cees alter Toyota aussehen. Als ich kritisch die Augenbrauen zusammenziehe, sagt er an Cee gewandt: »Ich habe auch noch weitere Modelle, falls du an etwas anderem interessiert bist.«
»Nein, die passen mir ganz gut.« Sie läuft an den Autos vorbei und wirft einen ersten Blick ins Wageninnere.
Ich folge ihr. Auch wenn Gordon ein gewissenhafter Autohändler und mich oder meine Familie niemals übers Ohr hauen würde, schaue ich auf sichtbare Schäden.
»Es sind absolute Babys«, höre ich Gordon hinter mir sagen. »Die machen dir in den nächsten Jahren bestimmt keine Probleme.«
»Ich finde alle ganz schnuckelig. Der vielleicht eine Spur mehr.« Cee zeigt auf den weißen Ford.
Wie ich muss auch Gordon ein Lachen unterdrücken. Ein Auto schnuckelig nennen, kann wohl nur eine Frau. »Willst du eine Probefahrt machen?«
Cee sieht mich an. »Hast du Zeit?«
»Sicher. Aber mach doch mit allen eine kurze Fahrt, dann kannst du vergleichen«, schlage ich vor.
»Das hätte ich ebenfalls gleich angeboten. Ich hole schnell die Schlüssel, dann könnt ihr eine Runde drehen.«
Nicht mal eine Stunde später hat sich Cee für den blauen Honda entschieden. Während sie darauf wartet, bis Gordon alle Papiere vorbereitet hat, mache ich mich auf den Weg ins Fitnesscenter. Jedoch nicht, bevor ich meiner Schwester eine Einkaufsliste überreicht habe.
Tyler ist gerade mit einem Kunden an der Klimmstange, als ich das Studio betrete. Eine Kundin ist auf dem Laufband und eine auf dem Hometrainer. Von der rechten Ecke höre ich, wie Gewichte gestemmt werden. Das Fitnesscenter ist nicht sonderlich groß, vielleicht mag meine Kundschaft gerade das. Denn über fehlende Mitgliedschaften kann ich mich nicht beklagen. Das Studio ist in drei Räume unterteilt. Im ersten stehen Geräte, um sich aufzuwärmen. Sowie zwei Klimmstangen und ein paar Matten für zum Beispiel Sit-ups zu machen. Im nächsten sind die Kraftgeräte. Dann gibt es links hinten noch einen Raum, in dem Sophia Bauch-Beine-Po und andere Aerobic Workouts durchführt. Nach der Musik zu urteilen, die durch die geschlossene Tür dringt, sind sich gerade ein paar Mädels am Abschwitzen.
Wie gesagt, nicht riesig, dafür habe ich noch den Hinterhof. Dort habe ich die Möglichkeit den neusten Trend anzubieten: Seilschwingen.
Ich winke Tyler und begrüße die Frauen auf den Aufwärmgeräten, als ich an ihnen vorbei in die Umkleide gehe, um mich umzuziehen. Obwohl ich nur einen Stock weiter oben wohne, habe ich hier die meisten meiner Sportsachen deponiert. Es hat sich einfach so ergeben. Womöglich auch, weil es unter der Dusche ab und an interessant wird.
Ich weiß, man sollte nichts mit Kundinnen anfangen, aber solange beide Seiten wissen, auf was sie sich einlassen, sehe ich das nicht so streng. Nicht wie meine Schwester, die mir deshalb schon mehr als einmal in den Ohren lag.
Als ich meine schwarzen Shorts und ein grünes Tanktop mit dem Schriftzug meines Fitnesscenters übergezogen habe, gehe ich wieder in den Trainingsraum hinaus. Gleich neben dem Eingang gibt es eine Bar, die als Anmeldung dient und an der wir gleichzeitig frische Fruchtsäfte wie auch Powerriegel und solches Zeug anbieten. Ich überlege mir schon seit längerem, ob ich dafür eine neue Hilfskraft einstellen soll. Lorena kann nur noch an drei Tagen die Woche. Die restliche Zeit müssen Tyler und Logan, meine zwei Fitnesstrainer, und Sophia und ich uns darum kümmern.
Bevor ich an die Bar gehe, um mir einen O-Saft zu machen, sage ich den restlichen Kunden noch hallo. Ich kenne praktisch alle mit Namen. Mit dem einen oder anderen führe ich Small Talk.
Ich habe noch nicht mal eine Orange ausgepresst, betritt Lucy das Studio. Eine heiße Schwarzhaarige Mitte dreißig, mit einem gigantischen Vorbau, den sie heute in einen rosa Sport-BH gequetscht hat. Mit ihr habe ich die nächste Trainingsstunde. Seit einem halben Jahr bin ich jetzt ihr Personaltrainer. Zwar finde ich, dass sie die Übungen auch gut ohne mich machen könnte, doch sie besteht darauf – besonders auf die Lauftrainings im nahegelegenen Wald, die ich auf Wunsch anbiete. Soll mir recht sein, gibt extra Kohle – und Spaß für meinen Schwanz.
»Hey Süßer. Machst du mir auch einen?«, fragt sie mich mit zuckersüßer Stimme und setzt sich auf einen der Barhocker.
»Klar.« Also presse ich noch weitere Orangen aus. Dabei entgeht mir nicht, wie sie meinen Bizeps anstarrt.
»He, was ist denn da passiert?« Sie zeigt auf mein demoliertes Auge. Da ich keine Lust habe, ihr eine Erklärung abzuliefern, zucke ich bloß mit den Schultern. Wie ich sie eingeschätzt habe, genügt ihr das als Antwort. »Und, hast du dir schon überlegt, wie du mich heute foltern wirst?« Mein Blick schnellt hoch. Lucy beobachtet mich mit einem lasziven Lächeln.
Ich versuche nicht zu stark auf ihren Flirt zu reagieren und darauf zu achten, wie ihre Zunge immer wieder über ihre Lippen fährt. Es hat mir zu viele Leute im Studio. Und ich will ja professionell rüberkommen, nicht wie ein notgeiler Hengst.
»Zuerst kannst du dich entweder auf dem Laufband oder dem Hometrainer aufwärmen. Danach gehen wir an den Butterfly.« Ich schiebe ihr ein Glas Saft über die Bar. »Hier, du kannst ihn ja mitnehmen.«
»Okay«, sagt sie lächelnd, zieht am Strohhalm, der im Glas steckt, ehe sie vom Stuhl hopst. »Bis gleich.«
»Bis gleich.«
Tyler stellt sich zu mir hinter die Bar. Wie immer stehen auch heute seine schwarzen Haare wie ein Igel vom Kopf ab. »Brauchst du mich noch?«, möchte er wissen und holt sich eine Dose Isostar aus dem Kühlschrank, während ich die Reste der ausgepressten Orangen in den Müll werfe.
»Nein, ich komme schon alleine zurecht.«
»Sicher?« Er schielt zu Lucy, die sich aufs Laufband gestellt hat.
Er weiß, dass hie und da etwas zwischen uns läuft, doch sollte er auch wissen, dass für mich das Studio und die Arbeit an erster Stelle stehen. Statt ihm eine Antwort zu liefern, frage ich ihn nach seiner Schicht. »Gab es irgendwelche Vorfälle?«
Tyler schüttelt den Kopf, er ist etwas größer als ich. »Es war ziemlich ...« Plötzlich leuchten seine grünen Augen. »Scheiße, was hast du denn gemacht? Gegen eine Faust gelaufen? Vielleicht gegen eine vom Lover von deiner momentan Auserwählten?«
Ich atme genervt aus. Ich habe es satt, dauernd blöd angemacht zu werden, auch wenn ich wusste, dass es so kommen würde. »Wenn du nochmals so einen Spruch fahren lässt, bekommst du auch gleich eine geklatscht. Na, noch Fragen? Und hör auf so bescheuert zu grinsen.«
Tyler hebt beschwichtigend die Hände, kann aber nicht aufhören eine amüsierte Fresse zu ziehen. »Zurück zu deiner Frage. Es war alles ruhig. Wahrscheinlich wirst du gegen Abend ein volles Studio haben, wenn es draußen nicht mehr so heiß und die Sonne untergegangen ist.« Er nimmt einen Schluck von seinem Isostar. »Dann bin ich mal weg, okay?«
»Alles klar.«
Er ist bereits auf der anderen Seite der Bar, als er sich nochmals umdreht. »Ehe ich’s vergesse, ich habe meine nächste Schicht mit Logan getauscht. Ich habe ganz vergessen, dass meine Nichte morgen Geburtstag hat. Sie wäre enttäuscht, wenn ich nicht käme.«
»Kein Problem. Dann also bis nächste Woche.«
Er holt seine Tasche aus der Umkleide und hebt die Hand zum Gruß, als er an mir vorbeigeht. In diesem Moment geht die Tür zum Aerobic-Raum auf. Sophia tritt heraus. Sie hat ein Tuch um den Hals, mit dem sie sich den Schweiß von der Stirn wischt. Ihr blonder Pferdeschwanz wippt hin und her, als sie auf mich zukommt.
Sie fixiert mich mit ihren blauen Augen. »Hey Boss, auch schon da?«
»Nicht frech werden, Kleine.« Wir kennen uns seit dem College. Wir haben beide Sport studiert und uns auf Anhieb verstanden. Als ich plante, ein eigenes Fitnessstudio zu eröffnen, war sie die erste, die ich anrief, um ihr einen Job anzubieten.
»Was ist denn das?« Sie bleibt vor mir stehen und schaut auf mein geschwollenes Auge.
Ehe sie etwas sagen oder fragen kann, hebe ich einen Zeigefinger und lege ihn ihr auf den Mund. »Du nicht auch noch, bitte«, seufze ich.
Sie zuckt bloß mit der Schulter und schnappt sich einen Powerriegel. »Früher oder später werde ich es sowieso erfahren. Ist Tyler schon weg?«
»Ja, der ist eben raus. Wieso?«
»Ach, nur so«, meint sie mit einem selbstzufriedenen Lächeln und beißt von ihrem Riegel ab. »Ich werde mich dann für meinen nächsten Workout fertig machen.«
Gerade als ich sie zurückhalten und fragen will, was los ist, macht sich Lucy auf sich aufmerksam. Sie kann es nicht ausstehen, wenn sie warten muss - auch wenn es nur fünf Minuten sind. Und da ich meine Kundin nicht wütend machen will, sehe ich zu, dass Lucy ihr persönliches Training bekommt.
Kapitel 3
Avery
Ich laufe durch das Blue House Inn, bin auf der Suche nach der Inhaberin, Chefin, Angestellte. Keine Ahnung, was sie genau ist. Schlussendlich ist das auch egal. Aber womöglich habe ich Glück und sie kann mir weiterhelfen.
Wenn mich nicht alles täuscht, heißt sie Cécile. Ich war wohl in Gedanken, als sie sich mir gestern beim Check-in vorgestellt hat. Ich schätze sie etwas älter als mich. Drei, vier Jahre vielleicht.
Ich habe heute schon einmal versucht, mit – ich bleibe jetzt mal bei Namen Cécile – ihr zu reden, doch da kam gerade ein Typ zu ihr, und ich wollte sie nicht stören. Schließlich habe ich es nicht eilig. Zumindest nicht ganz so eilig.
Im Haus ist es ziemlich still, nehme mal an, dass die anderen Gäste unterwegs sind. Ich habe mich gestern ein bisschen im kleinen Little Pearl umgesehen. Es gefällt mir hier, die Leute, die Atmosphäre, das Kleinstadtleben, weshalb ich mich für den nächsten Schritt entschieden habe.
Ich komme an einem Spiegel vorbei. Aus Gewohnheit werfe ich einen Blick hinein. Ich bin gespenstisch blass. Das war nicht immer so, und liegt daran, dass ich mich mehr in den Häusern verkrieche, statt nach draußen zu gehen, um die Natur zu genießen, wie ich es früher getan habe.
Weil ich Cécile nirgends finden kann, gehe ich nach draußen, und laufe über die weiße Veranda ums Haus herum. Gerade als ich um die Ecke biege, zucke ich zusammen.
»Oh, habe ich sie erschreckt?« Ein Mann mit Glatze und einem weißen Rund-um-den-Mund-Bart steht urplötzlich vor mir. Nach seiner Kleidung und der Rosenschere in seiner Hand zu urteilen, muss er der Gärtner sein.
»Nein«, sage ich, obwohl ich fast zusammengeklappt wäre. Aber das braucht er nicht zu wissen. »Wissen Sie vielleicht, wo ich Miss ...«
Als ich den Satz nicht zu Ende führe, kommt mir der Gärtner zu Hilfe. »Wo Sie Cécile finden können?« Ich nicke und er lächelt mich an. Sein liebenswürdiges Lächeln sorgt dafür, dass meine Beine nicht mehr ganz so heftig zittern. »Sie nimmt gerade die Wäsche ab.« Er zeigt mit dem Daumen über seine Schulter. Als ich seinem Finger folge, sehe ich Cécile, wie sie soeben ein Laken zusammenlegt.
»Vielen Dank.«
»Nichts zu danken. Ich bin übrigens Mr. Moore, der Gärtner.« Er zwinkert mir zu. »Das hätten Sie nie erraten, stimmt’s?«
Ich schmunzle. »Nein, wahrscheinlich nicht.«
Er bückt sich und hebt einen Handschuh auf, der ihm runtergefallen sein muss. »Dann werde ich mal weiter meiner Arbeit nachgehen und Sie nicht länger aufhalten. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Aufenthalt in Little Pearl.«
»Danke, werde ich haben.«
Mr. Moore schenkt mir noch einmal sein angenehmes Lächeln und verschwindet in die Richtung, aus der eben ich gekommen bin.
Cécile kämpft mit einem Laken, als ich bei ihr bin. »Kann ich dir helfen?« Erschrocken dreht sie sich um, ihre Augen weit aufgerissen. »Anscheinend bin ich nicht die Einzige, die so schreckhaft ist«, sage ich entschuldigend.
»Ah, hallo Avery. Macht nichts, ich habe dich nur nicht kommen hören.« Cécile lächelt, es wirkt jedoch ziemlich gezwungen. Sie scheint traurig zu sein.
»Komm, gib mir einen Zipfel.« Ich strecke die Hände nach dem Laken aus. Doch ehe ich es in die Finger bekomme, zieht Cécile es schockiert weg.
»Kommt gar nicht infrage, du bist mein Gast«, sagt sie entsetzt.
»Ach was, das ist doch keine große Sache. Ich habe im Moment sowieso nichts Besseres vor. Außerdem wollte ich mit dir reden. Hast du Zeit?«
»Natürlich habe ich Zeit. Wie kann ich dir helfen?«
»Indem du mir das Laken reichst.«
Wieder taucht bloß ein vages Schmunzeln auf ihrem Gesicht auf. Doch dieses ist nicht mehr ganz so angespannt wie das vorherige. »Na gut.« Schon habe ich ein Laken zwischen den Fingern. »Wie gefällt es dir bisher hier?«
»Ganz gut, ist eine schöne Kleinstadt. Die Leute sind freundlich und zuvorkommend. Und ich habe den besten Burger aller Zeiten gegessen.«
»Im Hometown Diner?«, fragt sie mich.
»Ja, es ist wirklich lecker da. Danke für den Tipp.«
»Keine Ursache. Der Koch ist übrigens ein guter Freund meiner Eltern. Hast du Leyla kennengelernt?«
»Die Bedienung mit braunem, schulterlangem Haar?«
Cécile nickt und nimmt ein zweites Laken von der Leine. Daraufhin reicht sie mir wieder zwei Zipfel. »Sie ist die Adoptivtochter von Dan, dem Koch.«
Ich lache. »Hier kennt wohl jeder jeden. Das gefällt mir.«
»Leider bringt das auch jede Menge Tratsch mit sich und ...« Sie winkt schnell ab und setzt wieder ihr gekünsteltes Lächeln auf.
Ich würde sie gerne nach ihrem Kummer fragen, denn es ist ganz offensichtlich, dass sie etwas plagt. Aber wir kennen uns kaum. Obendrein ist sie meine Gastgeberin. Ganz bestimmt will sie nicht ihre Probleme einer ihrer Kundinnen anvertrauen. Wahrscheinlich ebenso wenig wie ich ihr meine Schwierigkeiten verraten will.
»Warum bist du überhaupt hier? Solltest du nicht Museen besuchen? Souvenirs kaufen? Die Gegend erkunden? An den Strand gehen oder etwas in der Art?«
Ich grinse. Wir wenden uns dem nächsten Laken zu. »Ich bin nicht so der Museums-Typ. Souvenirs verstauben bloß. Aber an den Strand werde ich auf jeden Fall noch gehen.« Mir rutscht fast der Stoff aus der Hand, als ich mich endlich dazu durchringe, ihr die Frage zu stellen, die mir schon längst auf der Zunge brennt. Ich werde etwas nervös. »Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du jemanden wüsstest, der einen Job für eine Zweiundzwanzigjährige ohne Ausbildung hat?«
Erst sieht sie mich verwirrt an, dann fragt sie mich freundlich: »Wäre es für die Saison, für ein paar Wochen oder hast du vor, in Little Pearl zu bleiben?«
Ich zucke gleichgültig mit den Schultern. Ich hoffe, es wirkt gleichgültig. »Ich dachte daran, hier sesshaft zu werden. Mir gefällt es in dieser Gegend und ich glaube, es könnte mir an diesem Ort durchaus gefallen.«
»Okay. Was schwebt dir denn so vor?«
»Ich bin nicht sehr wählerisch.« Mit abgebrochenem Studium kann ich das auch schlecht sein.
»Hmm, lass mich überlegen.« Sie legt das Laken zu den anderen gefalteten in den Wäschekorb. Als sie ihre Hände frei hat, klopft sie mit einem Zeigefinger an die Lippen, ehe sie am letzten Betttuch zieht, das noch an der Leine hängt.
Mir klopft das Herz bis zum Hals, während ich auf ihre Antwort warte, für die sie sich meiner Meinung nach viel zu viel Zeit lässt. Irgendwie hoffe ich, sie würde nein sagen und ich könnte weiterziehen. Andererseits, was bringt es mir, wenn ich weiterhin flüchte? Diese Frage hat mir mein Therapeut auch gestellt. Auch da hatte ich keine Antwort darauf.
Ich weiß, ich kann durch die ganze Welt ziehen, ich werde mich nirgendwo wohl fühlen, wenn ich nicht vergessen kann. Es wird also an der Zeit, mich irgendwo niederzulassen. Natürlich wäre es meinen Eltern und meiner Schwester Lea lieber, wenn ich in ihrer Nähe wäre. Aber dort wo ich aufgewachsen bin, erinnert mich zu viel an Andrew, und an das, was passiert ist. Und in all den Orten, durch die ich schon gereist bin, habe ich mich noch nirgends so gut aufgehoben gefühlt, wie in Little Pearl. Das muss ein Zeichen sein.
»Da gäbe es vielleicht jemanden«, meint Cécile und reicht mir einen Teil des Lakens. »Kennst du das Fit for Fun?«
Ich schüttle den Kopf. »Nein, was ist das?«
»Ein Fitnessstudio. Es liegt an der Main Street, ist sehr beliebt. Du musst eigentlich daran vorbeigekommen sein, als du ins Hometown Diner gegangen bist. Das Gebäude ist in viktorianischem Baustil gehalten und die Fassade aus rotem Backstein.«
»Okaaay«, sage ich gedehnt. In meinem Gedächtnis haben alle Häuser an der Hauptstraße rote Backsteinfassaden.
Scheinbar kann Cécile meine Gedanken lesen, denn sie lacht plötzlich und klatscht sich mit der flachen Hand an die Stirn, wobei ihr das Laken aus den Händen fällt. »Mann, wie kann ich nur so blöd sein?«, sagt sie mehr zu sich selbst, als zu mir. »Doofe Beschreibung, nicht?«
Darf ich eine freche Bemerkung machen? Lieber nicht, schließlich bin ich auf meinen Schlafplatz angewiesen. Zwar bin ich mir ziemlich sicher, dass Cécile nach dem Prinzip handelt: Der Kunde ist König. Trotzdem erlaube ich mir nicht, sie zu beleidigen, egal, ob es nur Spaß wäre.
»Ich werde es dir auf dem Stadtplan zeigen, falls du interessiert bist.«
»Weißt du denn, um was für einen Job es sich dabei handeln würde?«
»So viel mir ist, wärst du hauptsächlich hinter der Bar. Getränke machen und Anmeldungen annehmen, oder so.«
»Das müsste ich hinkriegen«, sage ich im Scherz.
»Dann lass mich dir zeigen, wie du hinkommst.« Wir falten das letzte Laken zusammen, danach hebt Cécile den vollen Wäschekorb hoch und ich folge ihr durch die Hintertür in die Küche. »Danke für deine Hilfe«, meint sie, als sie den Korb auf dem Tisch abstellt.
»Gern geschehen.«
»Warte kurz hier. Wenn du willst, kannst du dir einen Kaffee machen.« Sie deutet auf die Kaffeemaschine rechts von mir, schon ist sie verschwunden.
Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Ich nehme eine der Tassen, die neben der Maschine aufgereiht dastehen und drücke auf einen der Knöpfe. Für Cécile lasse ich auch gleich einen raus. Irgendwas fällt auf der anderen Seite der Tür zu Boden. Dann höre ich Cécile leise eine Agenda oder so etwas zusammenstauchen. Ich grinse vor mich hin. Fluchen kann sie. Bald darauf kommt sie mit einem Stadtplan zurück. Weil auf dem Tisch kein Platz mehr ist, breitet sie die Karte auf der Arbeitsfläche aus, direkt neben der Kaffeemaschine.
Bevor sie sich über den Plan beugen kann, reiche ich ihr eine Tasse. »Ich habe dir auch gleich einen Kaffee gemacht. Du siehst so aus, als könntest du ebenfalls einen vertragen.«
»Oh, super.« Dankbar bläst sie in den Kaffee, ehe sie einen Schluck nimmt. »Dann wollen mir mal sehen.« Sie holt einen Stift aus ihrer Gesäßtasche und zieht die Verschlusskappe mit den Zähnen ab. Während sie die Karte studiert, trinke ich meinen Kaffee. Mit dem Faserschreiber malt sie ein X auf den Plan, unser Standort, wie ich gleich erfahren werde. »Das hier ist das Blue House Inn und das hier ...« Sie fährt mit dem Finger eine Straße nach, bis sie stehenbleibt und ein weiteres X zeichnet. »... das ist das Fitnessstudio. Wie du siehst, ist der Weg ganz einfach. Alles geradeaus und dann um die Linkskurve und schon bist du da.«
Ich nicke. »Werde ich finden.«
»Und was ist mit Wohnungssuche? Hast du dir darüber schon Gedanken gemacht?«
Ich habe bei ihr ein Zimmer für drei Nächte gebucht. Viel Zeit bleibt mir also nicht, um mir eine neue Bleibe zu suchen. Gut, im Notfall kann ich vorübergehend in ein Motel ziehen, was aber nicht unbedingt das ist, was ich will.
»Wenn du möchtest, kannst du fünf weitere Nächte hierbleiben. Ich würde dir auch einen Sonderpreis machen«, meint Cécile, als hätte ich soeben meine Überlegung laut ausgesprochen.
Für einen Moment bin ich zu nichts anderem fähig, als sie fassungslos anzustarren. »Im Ernst?«, frage ich, nachdem ich meine Stimme wiederhabe.
»Ja, warum nicht? Es würde sonst leer stehen. Also, was meinst du?«
Keine Ahnung, ob ich es Zufall, Schicksal oder Glück nennen soll. »Wow, das ist superlieb, danke.«
»Nichts zu danken, schließlich knöpfe ich dir Kohle ab.« Ihr Lächeln wirkt nicht mehr ganz so geknickt wie vorhin, was mich sehr freut.
»Dann will ich mich mal auf den Weg machen.«
»Ich drück dir die Daumen.«
»Das kann ich gebrauchen.« Ich stelle meine leere Tasse in den Abwasch und gehe zur Hintertür. »Wir sehen uns.«
»Den Schlüssel hast du, falls die Tür verschlossen ist, ja?«
Ich nicke und lange mir an die vordere Hosentasche. »Ja, Mami«, ziehe ich sie auf, um sie noch mehr aufzumuntern.
»He, nicht frech werden, sonst überlege ich mir das mit dem Sonderpreis nochmal.« Ihr Lächeln ist jetzt noch ein Stück breiter. Ich glaube, meine Taktik ging auf. Zumindest ein kleines bisschen. Ich drehe am Knauf, da meint meine Gastgeberin hinter mir: »Übrigens, meine Freunde nennen mich Cee.«
Zwar kann ich es immer noch nicht richtig fassen, dass ich hier meine Zelte aufschlagen will, aber mit jedem Schritt, der mich näher zum Fitnessstudio bringt, bekomme ich mehr und mehr das Gefühl, dass ich hier landen musste. Um wieder ins Leben zurückzufinden.
Das bedeutet allerdings nicht, mein Herz würde nicht bis zum Anschlag schlagen, als ich die grün, schwarzen Buchstaben vom Fit for Fun über dem Eingang lese. Für mich ist es eine große Entscheidung, mich für einen Job zu bewerben. Ich hatte gejobbt, war mehrmals Aushilfe in einem Café oder Diner, doch jedes Mal wusste ich, dass ich spätestens nach zwei Wochen wieder würde weiterziehen können. Das kann ich hier natürlich auch, nur will ich irgendwie, dass ich es endlich schaffe, standhaft zu bleiben. Ich will nicht weiter davonlaufen.
Meine Hände zittern bei jedem Zentimeter, mit dem ich mich dem Gebäude nähere, und ich schwitze. Ich reibe die feuchten Hände an meiner Jeans ab. Gerade als ich mich entschieden habe, die letzte Distanz hinter mich zu bringen und nach dem Türknauf zu greifen, kommt mir jemand zuvor und geht mit einer Sporttasche ins Innere. Leise Geräusche von Hanteln und anderen Fitnessgeräten dringen zu mir durch. Ich sehe dem Typ nach, der in Sportkleidung steckt, sodass die Tür vor meiner Nase wieder zufällt. Wahrscheinlich hat mich der Typ gefragt, ob ich auch hinein will, aber wie ich mich kenne, habe ich ihn nur wortlos angestarrt.
Ich schaue durch die Glastür, sehe aber nicht viel, weil sich die Sonne in der Scheibe spiegelt. Wieder putze ich mir die Hände an der Hose ab, atme zweimal tief durch und rede mir Mut zu, schelte mich gleichzeitig für eine Mimose. Es kann ja nicht so schwer sein, nach einem Job zu fragen. Schließlich habe ich das schon mehrfach getan.
Drinnen ist der Lärmpegel einiges höher als vor der Tür. Wummernde Musik kommt aus einem der Nebenräume. Keuchen, Ächzen, Seufzen ist zu hören. Sicher von muskelbepackten Typen, die Gewichte stemmen. Ich war nie sonderlich angetan von Fitnesscentern. Lieber war ich im Wald joggen - besonders mit Andrew.
Schnell schüttle ich die Gedanken an ihn ab und schließe vorsichtig die Tür. Ich hasse es, wenn Türen laut ins Schloss krachen.
Mehrere Frauen stehen auf Laufbändern oder sitzen auf Hometrainern und strampeln sich fit. Weiter hinten entdecke ich einen Mann, der einer Frau bei den Sit-ups hilft. Wozu braucht man Hilfe bei Sit-ups? Ich verdrehe die Augen.
Trotzdem kann ich den Blick nicht von ihnen lassen. Ich nehme an, er ist sowas wie ein Personaltrainer. Sein Tanktop hat die Aufschrift des Fitnesscenters. Also ist er mit Sicherheit ein Angestellter oder so.
Seine Haare sind ganz kurz – vier, fünf Millimeter vielleicht - und schwarz. Wenn ich es richtig erkenne, starrt er soeben auf die Brüste seiner Kundin, die in einem rosa Sport-BH stecken. Ich schüttle den Kopf. Doch dann kommt mir der Gedanke, dass es seine Freundin sein könnte. Ich tadle mich für meine voreiligen Schlüsse. Sie wären ein schönes Paar, beide wahnsinnig durchtrainiert. Sie straffe Beine und Po, von ihrer Oberweite will ich jetzt lieber nicht reden. Er einen irrsinnigen Body, der sich unter seinem enganliegenden Tanktop genau abzeichnet. Mannomann diese Oberarme. Beim Anblick läuft mir gleich das Wasser im Mund zusammen.
Eigenartig, das ist so untypisch für mich.
Ich will gerade wegsehen, als er den Kopf hebt und in meine Richtung sieht. Seine Augen nageln mich fest. Sie wirken dunkel, haben etwas Freches, Faszinierendes, aber auch etwas ... Anziehendes. Etwas das einem die Sprache verschlägt. Ich kann kaum noch klar denken, geschweige denn, mich bewegen, als sich unsere Blicke treffen.
Mir wird warm im Gesicht. Ich fühle, wie sich meine Wangen langsam mit Röte überziehen. Sein Blick macht mich ganz verlegen. Außerdem sollte ich nicht so glotzen, besonders nicht, wenn seine Eventuell-Freundin mich ansieht, als würde sie mich am liebsten mit ihren Blicken erdolchen wollen.