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Am nächsten Tag sitze ich mit Florian in der Mittagspause vor den Hotelrechnern. Wir loggen uns in unsere Single-Plattformen ein und checken die E-Mails. Von Marie habe ich keine E-Mail bekommen, aber eine Partneranfrage einer 26-jährigen Marketingassistentin aus Leipzig. Ich diskutiere mit Florian über ihr Foto. Sie hat sich vor ihrem PC fotografieren lassen. Das T-Shirt in Bauchnabelhöhe zusammengebunden. Sie trägt schwarze Leggins. Lange braune Haare und sie lacht auf dem Foto. Die Frau ist attraktiv. „Hübsches Gesicht. Die aus dem Osten sind unkomplizierter“, grinst es aus Florians Gesicht. Ich schreibe ihr eine Absage. Leipzig ist mir zu weit.

Während Florian in der Folge die Frauen aus dem Seminar checkt, lerne ich Frank kennen, Öl-Manager und gepflegte Hamburger Arroganz. Er ist Anfang 40 und auch auf Online-Partnersuche. „Ich sitze alleine in meiner 200 qm Penthouse-Wohnung mit Alsterblick und habe darauf einfach keinen Bock mehr.“ Ich erzähle ihm von meiner Plattform. „Nein, keine Akademikerin. Die sind mir zu anstrengend“, sagt er voller Überzeugung.

Frank zeigt mir Katrin. Die hat er gestern kennengelernt. „Die Kleine kommt aus Frankfurt. Die ist ganz schön durcheinander. Betrügt gerade ihren Mann. Die hat mir gestern eine Kante ans Bein gelabert. Wenn jemand bei der die richtigen Knöpfe drückt, hat er leichtes Spiel. Die Frau ist fertig.“

In der nächsten Pause möchte ich, dass Katrin mir auch „eine Kante ans Bein labert.“ Denn Katrin gefällt mir. Sie ist bestimmt über 30 cm kleiner als ich, aber ich mag kleine Frauen. Sie hat schulterlange braune Haare, blasse Haut mit ein paar Sommersprossen. Sie sieht natürlich und sympathisch aus. Dass sie ihren Mann betrügt, kann ich mir gar nicht vorstellen. Die sieht total lieb aus, denke ich.

In der nächsten Pause ist es soweit. Katrin ist für einen Moment alleine. „Und, wie gefällt dir das Seminar?“, frage ich sie. „Bis jetzt ganz gut. Man lernt eine Menge.“ „Wollen wir kurz rausgehen und uns da weiter unterhalten? Ich brauche ein wenig frische Luft“, sage ich. „Klar, können wir machen.“ So bin ich mit Katrin alleine. Wir gehen auf einem Feldweg spazieren und ich erfahre, dass sie auch 34 ist. Nach fünf Minuten fragt sie mich: „Und hast du Familie?“ „Nein, ich bin Single.“ „Du Glücklicher, das wäre ich auch gerne“, sagt sie mit leicht traurigem Gesicht. Früher war sie auch auf einer Single-Börse angemeldet. In der Folge erzählt sie mir alles, was ich hören will und auch, was ich nicht hören will. „Ich gebe zu, dass ich eine Affäre habe. Mein Mann nimmt mich kaum noch wahr. Und das Körperliche brauche ich auch. Da läuft mit meinem Mann schon lange nichts mehr. Ich wollte ihn sowieso nicht heiraten. Meine Eltern wollten die Heirat, weil er aus elitärem Haus kommt. Das ist alles so traurig.“

Am Ende des Spaziergangs stellt Katrin fest, dass sie mich richtig nett findet und ab jetzt bei jeder Mahlzeit neben mir sitzen möchte. Und ich stelle fest, dass ich Katrin sehr anziehend finde. Sie ist für mich der Typ Frau, die nur neben mir stehen muss - und mir wird angenehm warm.

Am Abend sitze ich mit Florian in der Sitzgruppe im Foyer. Plötzlich läuft eine Teilnehmerin verheult in Richtung Fahrstuhl. Wir fragen Katrin, was mit ihr los sei. Sie sagt uns, dass die Hotelatmosphäre mit dem Klavierspieler ihr gerade mächtig zusetzt. „Wieso?“ „Ja, sie hat da so eine Affäre mit einem verheirateten Mann in Berlin. Ihre Treffen finden immer in einem 5-Sterne-Hotel statt. Sie verabreden sich jeweils abends, wenn der Pianist gerade anfängt zu spielen. Ihre Affäre hält sie nun schon seit Monaten hin. Sie wolle mehr, er aber nur Sex, entgegen aller Beteuerungen.“ Und ich wundere mich gerade: Ich bin auf einem beruflichem Seminar und in jeder Pause geht es nur um Liebe, Sex und Partnerschaft.

Am Abend liege ich im Bett und kann schlecht einschlafen. Auf einmal interessieren mich zwei Frauen: Marie und Katrin. Ich muss mir aber eingestehen, dass Katrin keine Frau für mich ist. Sie wohnt über 300 km entfernt, ist verheiratet und hat eine Affäre. Ich muss sie abhaken. Außerdem erinnere ich mich an den schönen Samstag mit Marie. Sie soll meine Favoritin sein und so freue ich mich auf das Telefonat morgen mit ihr.

Wie abgemacht rufe ich sie am Mittag an. Ich erreiche sie aber nicht. Sehr schade. Kurz vor dem Ende der Mittagspause ruft sie zurück. Ihre einzigen Worte: „Gibt´s was?“ „Hallo Marie. Ja, wir wollten doch heute telefonieren.“ Ich bin ein wenig verunsichert. „Bist du jetzt im Büro oder was?“ Ich glaube nicht, was sie mich gerade gefragt hat. „Marie. Ich bin in Bayern. Auf Seminar. Das weißt du doch.“ „In Bayern? Ach so. Ja, stimmt.“ „Was ist los? Du klingst so komisch“, will ich wissen. „Ich bin im Stress. Habe auch nicht viel Zeit. Wann bist du denn wieder zuhause?“ „Am Samstag. So gegen 19.00 Uhr“, antworte ich kopfschüttelnd. „Gut, dann rufe ich dich an. Ich muss jetzt auch los“, sagt sie zickig, ehe wir uns verabschieden.

Ein erster Dämpfer. Es hat keinen Sinn gemacht, weiter mit Marie zu sprechen. Selbst wenn sie Zeit gehabt hätte. Ich bin verwundert. Wir waren verabredet. Daran kann sie sich nicht mehr erinnern. Stattdessen fragt sie zur Begrüßung: „Gibt´s was?“ Ebenso weiß sie nicht, dass ich in Bayern bin - und nicht im Büro. Hat sie ein extremes Kurzzeitgedächtnis? Sie wirkte wie weggetreten. Das war eine ganz andere Frau, die ich eben gesprochen habe, das war nicht die Marie vom letzten Samstag. Ich tröste mich mit den Worten: „Die war einfach nur schlecht drauf.“

Das Seminar ist zu Ende. Samstagabend zu Hause angekommen, klingelt auch sofort mein Telefon: Marie. Sie ist sehr aufgeregt, fast panikhaft. Mit schriller Stimme fragt sie: „Wieso meldest du dich nicht? Wo bist du? Ich rufe dich seit Stunden im Büro an.“ Ich fasse es wieder nicht. Was ist mit ihr los? „Marie, ich bin gerade nach Hause gekommen. Ich war doch auf Seminar. Das weißt du doch. Ich komme gerade vom Hauptbahnhof. Und wieso rufst du im Büro an? Da erreichst du doch am Samstag niemanden.“ Sie schweigt für ein paar Sekunden. „Ach so, ja, stimmt. Ja, richtig. Du warst ja auf Seminar. Wie war es denn?“

So langsam spüre ich, wenn auch noch unbewusst, dass mit ihr etwas nicht stimmt. Diese nette, intelligente und hochattraktive Frau, mit der ich stundenlang telefoniert und einen traumhaften Samstag vor einer Woche verbracht habe, präsentiert sich nun ein weiteres Mal als sehr vergesslich und nervös. Ist es wirklich ein schwaches Gedächtnis oder blendet sie Dinge unbewusst aus? Und wieder wirkt sie, wenn auch nur die ersten Minuten, wie weggetreten. Wir verabreden uns für Dienstagabend. Sie wird mich in meinem Büro besuchen und dann gehen wir zusammen etwas Essen. Nach dem Telefonat war ich zwar erleichtert, dass das Ganze noch ein gutes Ende genommen hat, aber ich spürte auch zum ersten Mal so etwas wie Zweifel. Kann das mit ihr etwas werden? Denn irgendetwas scheint mit ihr nicht zu stimmen.

Am Montag wieder im Büro, lese ich eine E-Mail von ihr, die sie mir am Mittwoch nach unserem kurzen und wenig begeisternden Telefonat geschrieben hat: „Lieber Lukas, sorry, dass ich eben so blöd zu dir war, das war nicht meine Absicht. Ich bin einfach nur nervös. Gib mir ein wenig Zeit, du bist mir sehr sympathisch und ich freue mich auf unser nächstes Telefonat.“ Die E-Mail freut mich, auch wenn ich den Mittwoch schon längst abgehakt hatte.

Dienstag. Die Sekretärin ruft mich an, Marie ist da. Noch schöner als beim ersten Date, aber sie wirkt auch unsicher und ein wenig traurig. Kein guter Einstieg, aber der Einstieg zum Ausstieg, wie sich herausstellen sollte. Sie wollte sich mein Büro anschauen, hatte sie am Telefon gesagt. Sie wirkt aber desinteressiert und so schlage ich vor, dass wir gleich ins Restaurant gehen sollten. Der Weg dorthin ist durch Stille und verkrampfte Kommunikation gekennzeichnet. Keine Spur von der Leichtigkeit und Spannung wie beim ersten Date. Nachdem wir das Essen bestellt haben, frage ich, wieso sie eigentlich „alles“ hinter sich lassen und weit weg von ihrer Heimat will, wie sie mir beim ersten Date gesagt hat. Ich will genau wissen, was sie damit meint.

Mit dieser Frage habe ich ins Wespennest gestochen. Marie erzählt: „Meinen Vater habe ich nie kennengelernt. Ich bin bei meiner Mutter und Großmutter aufgewachsen. Meine Mutter hat mich gehasst. Meine Großmutter war auch nicht viel besser. Von Liebe keine Spur. Ich hatte zwar Freunde. Das waren aber alles Notlösungen. Ich wollte nur noch weg. Damit die Vergangenheit mal Vergangenheit ist. Drei Jahre war ich in einer Psychoanalyse.“ Dann ergänzt sie: „Im Dezember wollte ich mich umbringen. Ich konnte nicht mehr. Ich hatte auch kaum noch Geld.“ Die Stimmung ist im Keller. Das Essen würgen wir herunter.

Auf dem Rückweg zum Auto wird Marie mir unheimlich: Sie hüpft wie ein Kind auf dem Bürgersteig hin und her, sie kichert. Das ist eine ganze andere Marie, nicht die Marie vom ersten Date. Ich bin froh, als wir fünf Minuten später vor ihrem Auto stehen und uns verabschieden. Der Abend ist vorbei. Wir wollen die Tage miteinander telefonieren. Wann? Das ist uns beiden egal. Das sagt alles.

Das zweite Treffen: ihr Offenbarungseid mit keinem guten Ausgang. Zwei Tage später wird es noch deutlicher. Ich rufe sie an. Ich frage sie, wie ihr meine Bilder in meinem Büro gefallen haben. Marie antwortet: „In deinem Büro? Ich war nie in deinem Büro.“ Ich habe endgültige Gewissheit. Marie ist gestört.

Sie kann sich nicht erinnern, dass sie vor zwei Tagen in meinem Büro war. Marie konnte sich nicht erinnern, dass ich in Bayern auf Seminar war, wir zum Telefonieren verabredet waren, stattdessen wirkte sie wie weggetreten. Auf der Rückfahrt am Samstag ruft sie stundenlang in meinem Büro an, panikhaft, obwohl sie wusste, dass ich mit der Bahn unterwegs bin. Und ebenfalls vorgestern hüpft sie wie ein Kind auf dem Bürgersteig hin und her. Es macht keinen Sinn, weiter mit Marie zu sprechen. Die Frau hat zwei Gesichter. Zwei Tage später schreibe ich ihr eine Abschiedsmail: „Liebe Marie, wir wissen beide, dass es keinen Sinn macht, weiter in Kontakt zu bleiben. Ich wünsche dir alles Gute. Den Samstag vor 14 Tagen werde ich immer in schöner Erinnerung behalten. Liebe Grüße, Lukas“ Danach lösche ich ihr Profil.

Ich bin ein paar Tage irritiert, eine derartige Frau kennengelernt zu haben. Ein Mensch und zwei Persönlichkeiten. Als ich später einmal ihre Homepage besuche, ist sie schon wieder weitergezogen. Weg aus der Stadt, wo sie gerade erst hingezogen war und ihre Zukunft gesehen hat.

Die Nikotinweltmeisterin und eine willige Studentin

Ich muss wieder aktiv sein und Mitglieder anschreiben. Zu meinem Bedauern leeren sich die potentiellen Kandidatinnen in meinem Postleitzahlengebiet. Zu viele Karteileichen. Entweder die Einstellung “Umkreis vom Wohnort“ oder “Alter“ ändern. Bislang hatte ich im Umkreis bis 50 km und beim Alter bis 30 gesucht. Ich entscheide mich dafür, den Umkreis zu vergrößern und schon bin ich wieder im Spiel. Neuen Mitgliedern sei Dank. Ich klicke auf ein Profil mit der Berufsbezeichnung “Coach“, das interessiert mich. Ich möchte mehr über den Coach erfahren. Was ich dort sehe, verwundert mich, ich muss scrollen und scrollen und scrollen. Das Profil findet kein Ende. Da hat jemand eine ganze Bibliothek abgeschrieben. Allein ihr „ideales Wochenende“ ist stündlich geplant. Sie hat mehr „Lieblingsbücher“ in ihrem Profil stehen als ich bei mir zuhause. Das kann sich doch kein Mensch durchlesen, denke ich und verlasse das Profil.

Circa zehn Profile weiter sticht mir erneut ein Profil mit dem Begriff “Coach“ ins Gesicht: Coach und Lebensberater ist ihr Beruf. Ich klicke darauf und stelle fest, dass es dieselbe Person von eben ist: Alter, Größe, Figur, Haarfarbe und Augenfarbe sind identisch. Sie hat unter dem Profil andere Fotos eingestellt. Das erkennt man, auch wenn sie nicht freigeschaltet sind. Diesmal hat sie keine Bibliothek eingestellt, sondern nur einen halben Roman über ihr Leben. Sie schreibt unter der Rubrik „Das Besondere an mir ist…“: „Ich bin ausgebildeter Coach und Lebensberater. Ich habe sowohl praktisch als auch theoretisch eine große Menschenkenntnis. Ich habe viel aus meinen früheren Beziehungen gelernt. Da wurde ich oft ausgenutzt. Ich habe gekocht, geputzt, motiviert, Geld gegeben und noch einiges mehr. Aber keinen Dank zurückbekommen. Irgendwann habe ich festgestellt, dass ich was ändern muss. Von den Männern habe ich mich getrennt und eine neue Ausbildung zum Coach und Lebensberater gemacht. Ich habe meine Mitte gefunden. Möchtest du sie auch finden?“ Dieser Abschnitt ist mir nicht nur viel zu lang, sondern auch viel zu blöd. Ich verlasse ihr Profil und klicke weiter, stelle aber gerade fest, dass ich eine neue Partnerschaftsanfrage erhalten habe: vom Coach.

Sie finde mein Profil interessant und wolle das Gesicht hinter meinem Profil sehen. Sie bittet um Fotofreischaltung. Ich frage sie, wieso sie mit zwei Profilen unterwegs ist. „Ja, ich will wissen, wie die Männer auf welches Profil reagieren. Mit welchem Profil ich wohl mehr Chancen bei Männern habe.“ Ich antworte ihr: „Weniger ist mehr. Männer sind froh über jeden Satz, den sie nicht lesen müssen.“

Daraufhin bekomme ich einen Fragenkatalog zugesandt, den ich wohl abarbeiten muss. Es wirkt, als hätte sie diesen auf Ihrer Festplatte abgespeichert und einfach nur ins E-Mail-Fach kopiert. Ich bin hier nicht beim Verhör oder in einem Assessment-Center, sondern ich will Frauen kennenlernen. Ich lösche das Profil und bekomme am Abend noch eine E-Mail von ihrem zweiten Profil. Ich solle Stellung beziehen, wieso ich sie gelöscht habe. Meine Antwort lautet erneut: „Vielen Dank für den freundlichen Kontakt. Ich bin zu der Ansicht gekommen, dass wir nicht zueinander passen.“ Die klassische Standardabsage, die automatisch versandt wird, wenn man ein Profil löscht.

Doch die Frau ist clever und hat Geld. Sie meldet sich erneut mit einer Ein-Monatsmitgliedschaft an und kontaktiert mich wieder. Ich bekomme es ein wenig mit der Angst zu tun und lösche sie zum dritten Mal. Ich bin froh, dass sie weder meine Adresse noch meine Telefonnummer hat. Ein viertes Mal schreibt sie mich nicht an.

Ich bewege mich nach wie vor in demselben Postleitzahlengebiet und stoße auf ein nett geschriebenes Profil einer 26-Jährigen. Sie beschreibt sich als „stets entspannt und ausgeglichen.“ Eine Person, die mit sich und ihrer Umwelt im Reinen ist. Genau das Richtige für mich, bloß nicht noch einmal eine Frau mit einer zentnerschweren Vergangenheit.

Ich schreibe sie an und sie meldet sich am Abend mit freigeschalteten Fotos und dem Hinweis, dass sie nicht besonders fotogen sei. Schon wieder eine Frau, die ihre Fotos mit dem Hinweis „Ich bin nicht besonders fotogen“ freischaltet. Genau wie Marie. Es wirkt wie eine Entschuldigung. Mein Herz schlägt zwar nicht schneller, als ich die Fotos sehe, aber sie sieht ganz nett aus. Zudem habe ich gelernt, dass zwischen Fotos und Wirklichkeit ein großer Unterschied bestehen kann. Fiona ist ihr Name, sie ist keine Frau des Schreibens und schlägt ein schnelles Treffen vor. Sie will in meine Stadt kommen. Das gefällt mir. Wir verabreden uns für übermorgen um 18.00 Uhr.

Ich wähle dasselbe Café wie beim ersten Date mit dem Kühlschrankgesicht und beim zweiten Date mit Marie. Fiona kennt das Café, sie hat dort einmal in der Nähe mit ihrem Ex-Freund gewohnt. Ich habe also Heimvorteil.

Es ist Donnerstag. Neue Chance, neues Glück. So schnell geht das. Ich muss mich beeilen, aber es bringt nichts. Ich merke, dass ich zu spät kommen werde.

Um kurz nach sechs sitzt Fiona schon im Café. Fiona hat bereits ein Bier bestellt und raucht. Die Frau ist ja ganz schön unkonventionell, sind meine ersten Gedanken, als ich Bier und Zigarette sehe. Aber gut, wenn ich zu spät komme, kann sie auch schon bestellen. Sie sieht so aus wie auf den Fotos und macht einen sympathischen Eindruck. Ein starkes Kribbeln spüre ich zwar nicht, aber vielleicht steigert sich mein Interesse während des Gesprächs. Sie fragt mich, ob es mich stört, dass sie raucht. „Nein, kein Problem“, ist meine Antwort und ich ahne noch nicht, dass ich den Abend mit Helmut Schmidt verbringen werde.

Als ich mich setze, werfe ich einen kurzen Blick zum Boden. Ich traue meinen Augen nicht: Fiona trägt hellbraune Mokassins und dazu hellblaue grob gestrickte Wollsocken. Typ Norwegersocken. So etwas gab es früher beim Bundesparteitag der Grünen. Als ich mein Alsterwasser bekomme, hat Fiona schon vier Zigaretten inhaliert.

Wir unterhalten uns über unsere letzten Beziehungen, die Arbeit und was wir gerne in unserer Freizeit machen. Wir haben beide eine Vorliebe für Italien und Olivenöl. Sie noch mehr als ich. Fiona gibt mir einige Tipps über interessante Seiten im Internet. Ich weiß jetzt, welcher italienische Familienbetrieb mir das beste Olivenöl verkauft. Sie hat eine weitere Schwäche für schnelle Autos. Autos interessieren mich wenig. Hauptsache sie fahren, sind sicher und nicht reparaturanfällig. Sie hingegen gerät beim Erzählen über ihre Lieblingsautos ins Schwärmen. „Kennst du den neuen S5?“, fragt sie mich. „Ich habe null Ahnung“, muss ich ihr gestehen. Sie klärt mich voller Begeisterung auf. Eine Frau, die sich derart für Autos begeistert, finde ich genauso sexy wie ein Physikstudium.

Mittlerweile hat sie den Aschenbecher fast vollständig gefüllt. Sie bekommt einen Neuen. Fiona wirbelt mit Fachbegriffen rund um das Auto um sich. Dann folgt Nachschub: eine neue Packung Zigaretten aus ihrer Handtasche. Als sie mir erzählt, dass sie Automagazine liest, ist meine Entscheidung gefallen.

Ich will eine Frau. Eine Frau, die sich für Mode, Schuhe oder was auch immer interessiert. Aber nicht für Autos. Eine Frau, die mir voller kindlicher Freude von ihrem neusten Paar Schuhe erzählt. Und dabei mit leuchtenden Augen sagt: „Die waren richtig günstig.“ Die mich mit ihrem Schuhkaufplädoyer zum Lachen bringt. Ich will auch keine Frau, die sich im Baumarkt zuhause fühlt und mit einem Akkuschrauber gut umgehen kann, wie ich neulich in einem Profil las. Ich will eine Frau. Und diese Frau ist nicht Fiona. Sie wird keinen Platz in meinem Herzen finden. Das Rauchen nervt zusätzlich. Nach einer guten Stunde ist das Date beendet. Wir verabschieden uns. Sie ist zwar nett. Aber es passt nicht. Das passiert und ich hake sie ab.

Ich überlege, ob ich mich beim nächsten Mal nicht voreilig treffen, sondern lieber eine paar Telefonate vorausgehen lassen sollte. Als ich wieder in meinem Büro bin und mich noch einmal in mein Postfach einlogge, habe ich eine Anfrage von einer 21-jährigen BWL-Studentin. Zum Glück aus meiner Stadt. Sie ist zielgerichtet: „Dein Profil gefällt mir. Hast du jetzt Zeit und Lust, mit mir zu telefonieren? Liebe Grüße, Anna“

Die Frau ist schnell. Ich schreibe ihr zurück: „Schau dir erst einmal meine Fotos an. Vielleicht gefalle ich dir ja gar nicht J. Wenn es OK für dich ist, kann ich dich morgen Abend, so um 17.00 Uhr anrufen. LG, Lukas“

Ich bin noch zu benebelt von der Nikotinweltmeisterin von eben, um jetzt noch ein weiteres Date zu verabreden. Ehe ich meinen Laptop herunterfahre, habe ich auch ihre Antwort: „Schade, dass du heute keine Zeit mehr hast, ich freue mich auf morgen, Anna.“ Sie teilt mir auch sofort ihre Handynummer mit. Sie sieht auf ihren Fotos genau so offensiv wie ihre Vorgehensweise aus. Ein durchdringender Blick, so, als würde sie mich durch den Laptop anschauen. So stelle ich mir eine Nachwuchsdomina vor.

Ich rufe Sie am nächsten Tag an. Nach kurzem Smalltalk fragt sie auch gleich nach einem Date, heute noch. Ich fühle mich ein wenig überrannt, sage aber zu. In einer Stunde in dem Café, wo ich gestern noch mit Fiona gesessen habe.

Auf dem Weg dorthin, sehe ich schon eine junge Frau, die gerade ihr Fahrrad anschließt. Das könnte sie sein. Sie hat ein wenig Hüftgold. Sie erkennt mich und kommt auf mich zu: „Hallo. Ich bin Anna. Schön, dass es so schnell geklappt hat.“

Ich suche einen Platz aus, wo wir ungestört reden können. Ich bin jetzt mit meinem vierten Date in dem Café, die Kellnerin kennt mich mittlerweile und ich möchte am Umsatz beteiligt werden. Wir nehmen draußen Platz. Ich bestelle ein Wasser. Sie nimmt eine Cola. Ich frage sie, ob ich nicht zu alt für sie sei, es sind ja immerhin 13 Jahre Unterschied. „Das Gegenteil ist der Fall. Jünger darfst du bei mir nicht sein. Mit Männern in meinem Alter kann ich nichts anfangen. Mein letzter Freund war 42. Das hat ein Jahr gut funktioniert. Wir haben uns Tag und Nacht gesehen.“

Eine Seltenheit: Ich bin 13 Jahre älter und fast zu jung für sie. Nachdem die Bedienung die Getränke gebracht hat, schaut Anna mich mit einem Lächeln an. Ohnehin habe ich das Gefühl, dass sie mich seit Beginn einem Screening unterwirft. Es sind keine fünf Minuten vergangen, da nimmt sie einfach meine Hand und fängt an, sie zu streicheln. Vor 24 Stunden hatte ich hier noch mit einer anderen Internetbekanntschaft gesessen. Von Anna noch nicht einmal Kenntnis gehabt und jetzt das. Sie findet mich sehr nett, sagt sie mir dabei. „Wie hast du denn das so schnell herausbekommen?“, frage ich sie. „Einfach so ein Gefühl“, sagt sie. Die junge Dame ist ein Elfmeter ohne Torwart, ein Traum für jeden Mann, der die schnelle Nummer will. Dann beginnt Anna meinen Unterarm zu kraulen. „Hast du Lust, mit zu mir zu kommen?“, fragt sie mich nach zwanzig Minuten. Anna ist willig und will Sex. Ich überlege. Was ist, wenn sie hinterher mehr will? Wenn sie eine Klette ist? Ihren letzten Freund wollte sie Tag und Nacht sehen, wie sie sagte.

„Ich habe dir ja am Telefon schon gesagt, dass ich um 19.00 Uhr eine Telefontermin mit einem wichtigen Kunden habe“, ist meine Antwort.

Der „Telefontermin mit einem wichtigen Kunden“ wurde im Laufe meiner Online-Dating-Karriere zum Notausgang für heikle Situationen. Ich habe ihn oft schon bei der Verabredung angekündigt, um mir ein Hintertürchen offen zu lassen. „Ja, stimmt, hast du ja gesagt, ich will dich auch zu nichts drängen, aber morgen, morgen um 19.00 Uhr bei mir. Ich kann uns etwas kochen.“

Mit großen und erwartungsvollen Augen schaut sie mich an. Ich sage zu und werde eine Flasche Wein mitbringen. Sie freut sich. Wir bezahlen die Rechnung und ich begleite sie zu ihrem Fahrrad. Sie verabschiedet mich mit einem Kuss auf die Lippen und teilt mir ihre Adresse mit. Anna weiß, was sie will. Ich stelle aber auch fest, dass das nichts mit mir zu tun hat. Da hätte auch Heiner Geissler sitzen können, den hätte sie genauso angebaggert.

Zuhause denke ich an Anna und unser Treffen. Da ist eine 21-jährige Frau, ich bin ein wildfremder Mensch für sie, den sie über das anonyme Internet kennengelernt hat und sie wollte mich am liebsten sofort mit nach Hause nehmen. Ganz schön riskant für sie. Oder für mich? Sie könnte eine Irre sein und sonst etwas mit mir machen. Mittlerweile habe ich psychisch merkwürdige Frauen kennengelernt. Meine Hormone sollen mich nicht zu Leichtsinn verführen. Ich will auf keinen Fall mehr, das weiß ich jetzt schon. Lohnt sich das? Einmal Sex und hinterher vielleicht noch aufwendige Gespräche führen. Wenn sie jetzt eine erotische Ausstrahlung hätte, wäre meine Entscheidung schon gefallen. Die hat sie aber nicht. Das Blöde ist, dass sie die Telefonnummer meines Büros hat und ich somit meine Anonymität abgelegt habe. Ich will das Treffen abwarten und dann spontan entscheiden, wie es weitergeht.

Am nächsten Morgen aufgewacht, weiß ich mit einem sicheren Gefühl, dass ich das Date absagen werde. “Eine Nacht darüber zu schlafen“ kann oft sehr nützlich sein. Sie ist eine Frau, die ich kein zweites Mal wiedersehen möchte, auch nicht für Sex. Mit Herzklopfen erreiche ich sie endlich um halb sechs und sage das Treffen ab. Sie ist enttäuscht, versucht mich noch zu überreden. Ich benutze die Ausrede, dass ich aktuell einfach keine Partnerin möchte und mich abmelden werde. Dass es eventuell nur um Sex gehen soll, erwähnt sie nicht. Vermutlich möchte sie beides: schnellen Sex und ein bisschen Beziehung. Auf alle Fälle möchte sie Anerkennung. Die muss sie sich woanders holen. Nach dem Gespräch bin ich erleichtert.

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