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Martina Leibovici-Mühlberger: Startklar

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 edition a, Wien

www.edition-a.at

Cover und Gestaltung: Isabella Starowicz

Lektorat: Fabian Burstein

ISBN 978-3-99001-417-2

E-Book-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Inhalt

Was stimmt wirklich?

Die Natur erhob ihr Haupt

Wir müssen uns nur entscheiden

Die Normalität von früher gibt es nicht mehr

Die Veränderung der Welt

Warum wir gute Chancen haben – Zauberstab »Social Mood«

Weckruf

Eine Urgewalt namens Veränderung

Nicht »die« sind verantwortlich, wir selbst sind es

Wandel braucht Klarheit

Das Chaos schafft eine neue Ordnung

Eine Dystopie als wirksame Abschreckung

Alles wird gut, aber nur mit den richtigen Ideen

Homo sapiens socialis: Ein neuer Menschentyp erobert die Welt

Neue Werte

Bei allem Optimismus: Starten wir sehenden Auges in eine schwierige Zeit

Ein Blick in die Zukunft lässt erahnen: Alles wird anders – alles wird gut

Es geht nicht darum, die Jungen zu tadeln – es geht darum, sich auf sie zu verlassen

Gemeinsam zusammenhalten statt einsam Angst haben

Ein emotionales Schlusswort

Was stimmt wirklich?

März 2020: Ich verlasse das Altwiener Innenstadthaus, in dem ich wohne, mit einem neuen Gefühl von Bewusstheit und gleichzeitiger Spannung. Heute sieht man sich um. Der breite Hauseingang im Mantel eines Jugendstilentrée mit dem kunstvoll verlegten schwarzweißen Mosaikboden ist noch derselbe. Seine Steine vermögen das Auge wie ein Vexierbild immer aufs Neue mit ihrer springenden Geometrie zu narren.

Doch bereits beim ersten Schritt ins Freie ist es klar. Die Etikette auf der Straße hat sich drastisch geändert. Man weicht einander aus. Und man ist sehr achtsam dabei. Wenn einem der Sicherheitsabstand von eineinhalb Metern nicht ausreichend erscheint, dreht man zusätzlich den Kopf auf die andere Seite, sobald man auf gleicher Höhe ist. Ängstliche tun das sowieso bei jeder Begegnung, Vorausschauende wechseln lieber gleich die Straßenseite.

Im Schaufenster des Reisebüros ein paar Meter neben meinem Hauseingang läuft ein Fernseher auf Dauerschleife. Ein Werbefilm für Kreuzfahrten wechselt sich mit farbenprächtigen Bildern anderer tropischer Reiseziele und einem Familienhotel an der italienischen Adriaküste ab. Ein Angebot für kulinarisch Interessierte verspricht in einer Rundreise auch den Besuch der Kulturschätze der Lombardei. Auf dem Plakat nehme ich bereits eine feine Staubschicht wahr. Das wirkt jetzt alles ganz seltsam anachronistisch, skurril unpassend, ja längst überholt und das holt mich für einen Moment mit endlos auswegloser Verlorenheit so kräftig ein, dass sich meine Eingeweide schmerzhaft verschrauben. The day after! Unvermutet sind wir hier angekommen.

Aber das ist doch alles Wahnsinn, schießt es mir in einem Anfall von heißem Aufbegehren durch den Kopf. Da läuft doch ein kollektiver Irrsinn mit diesem Shutdown, der alles lahmlegt und die Großstädte zu seltsam schaumgebremsten Zonen macht, in die erste Wildtiere wieder einwandern. Millionen Menschen erkranken doch jährlich an der Grippe und zigtausende sterben dann auch daran. 2018/19 waren das alleine in Österreich 1400 und 2017/2018, einem besonders miesen Jahr, geschätzte rund 25.000 Tote allein in Deutschland. Trotzdem hat man nichts abgeriegelt, keine Veranstaltungen abgesagt, die Geschäfte nicht gesperrt, die Schulen nicht geschlossen oder dergestaltige Beunruhigung ausgelöst, dass sich alle vor einem Zombievirus fürchten, wie sie es jetzt tun und deswegen Hamsterkäufe tätigen. Die Schlacht ums Klopapier erlaubt dabei einen bemerkenswerten Einblick in die Seele. Wir sind wohl wirkliche Scheißer!

Manche und durchwegs anerkannte Stimmen aus der Gemeinschaft der Virologen, wie etwa Hendrik Streeck vom Uni-Klinikum Bonn, meinen, dass, wäre uns das Virus nicht aufgefallen, wir im Nachhinein vielleicht festgestellt hätten, dass wir dieses Jahr eine schwere Grippewelle gehabt hätten. Pure Massenhysterie also!

Ich spüre meine Wut und mein grimmiger Gesichtsausdruck ist wohl der Grund, dass mir die mit einer grünen OP-Maske ausgestattete entgegenkommende Frau gleich noch einen Meter mehr auszuweichen versucht.

Das Ganze ist vielmehr eine globale Case Study für die Lenkung kollektiver Massen, wir werden hier wohl gerade schrecklich verarscht und müssen die ganze falsche Show dann auch noch mit unseren Steuern bezahlen, denke ich. Und das alles, einfach weil ein paar Politclowns auf die falschen Virologen setzen oder manche Hardliner als Trittbrettfahrer der Gelegenheit hier vielleicht sogar die Unterwanderung unserer Bürgerrechte planen. Meine Wut hat mich jetzt gut im Griff, kreist siegessicher und adrenalingesteuert durch meinen Körper, während ich mich im kühlen Wind mit raschem Schritt durch die leere Innenstadt pflüge.

Ich trabe über den fast ausgestorbenen Heldenplatz, durchquere die Hofburg, denke an der Gottfried von Einem Stiege kurz daran, dass ich endlich meine alte Freundin Lotte Ingrisch, die Witwe von Gottfried von Einem, die mit dem Jenseits recht geläufig kommuniziert, anrufen muss und jetzt endlich Zeit dazu habe. Dann geht es weiter durch die Stallburggasse, vorbei an einem unsicher wirkenden einsamen Polizisten, der aussieht, als würde er etwas bewachen, obwohl mir nicht klar ist, was das wohl sein könnte, und durch die Bräunerstraße Richtung Graben. Vertrautes Gelände, Heimat und doch gleichzeitig fremd und leer heute. Langsam beruhige ich mich.

Andere Bilder steigen auf, beängstigende, Schrecken erregende. Das Interview mit einer verzweifelten Ärztin aus Cremona und jenes mit zwei Intensivmedizinern aus der Lombardei, die vor laufender Kamera Überforderung und Weinen fast nicht mehr zu unterdrücken vermocht hatten. Das geht mir nahe. Ich bin auch Ärztin. Ganz am Anfang meiner Laufbahn und noch geschützt durch die Unwissenheit und Unbewusstheit der Jugend habe auch ich Triage gelernt, jenes Verfahren, das bei begrenzten medizinischen Mitteln die Entscheidung festlegt, wer Hilfe bekommt und wer zum Sterben verurteilt wird. Es ist schrecklich. Unmenschlich, sagt man da gern. Und dennoch in Frankreich, diesem reichen, oberflächlicher Schönheit verpflichteten Land bereits Gegenwart, wenn alte Patienten mit COVID-19-Symptomen einfach nicht mehr in Spitäler aufgenommen werden, und sich die behandelnden Pflegeeinrichtungen darauf zurückziehen, mit höheren Dosen Schmerzmitteln das Leiden zu lindern und dabei verdeckt Sterbehilfe leisten.

Ein grausamer Spiegel des Neoliberalismus, der ein Gesundheitssystem auch für die Schwachen über Jahre systematisch ausgehöhlt hat. Die Bilder der langen Reihen von aufgebahrten Särgen in Norditalien und Spanien sind so beängstigend, dass sie trockene Kehlen verursachen. Die Berichte des ersten, sich gemessen bewegenden Zugs von Militärtransportern, die die Leichen abtransportierten, da die örtlichen Bestattungsbetriebe und Krematorien überfordert waren, haben mich, wie viele andere auch, verstört. Genauso die Bilder der in einer Eislaufhalle in Spanien gelagerten Toten oder jene der Kühllastwägen am Hintereingang amerikanischer Krankenhäuser. Für normal hängen in ihnen Rinderhälften. Im jetzigen Massensterben sind es gestapelte Särge.

Alle hängen wir an dieser schrecklichen logarithmischen orangen Kurve und an irgendwelchen Grafiken und Zahlen im Internet, die immer größer werden und möglicherweise zu allererst nur Fantasieprodukte mangelhafter Datenerhebung sind. Ein magisches »R«, das über die weitere Ansteckungsgeschwindigkeit entscheidet, wird zum Richter des Tages und Propheten, ob sich die Kurve abflachen wird und wir aufatmen können oder der steile logarithmische Anstieg einen hohe »pay toll« fordern wird, wir also auch in unserem Gesundheitssystem unausweichlich gegen die Wand rasen.

Was stimmt wirklich? Auf den zwei Kilometern bis zum Stephansdom, vor dem ich nun kurz anhalte, habe ich den Bogen meiner Einschätzung, wie COVID-19 zu sehen ist, von einer von Medien und einer Expertenelite getriebenen Massenhysterie, die die Wirtschaft vollkommen unproportional schädigt bis hin zu einer existenziellen Bedrohung, die jede Maßnahme einer Eindämmung verdient, gespannt. Ich bin zwischen Wut über die Aufbauschung, ja Lächerlichkeit und blankem, gefühltem Horror geschwankt. Das liegt ziemlich weit auseinander, würde ich sagen. Ich bin doppelt verwirrt, einerseits von der ungewöhnlichen Stille um mich herum, anderseits vom Sturm in meinem Kopf.

Über die fast ausgestorbene Kärntnerstraße, sonst ein Touristenmagnet durch den man sich durchnavigieren muss, gelange ich geradlinig zur Oper. Als Jugendliche bin ich oft dichtgedrängt mit anderen an der Stehplatzreling gehangen, später dann gemeinsam mit sozialem Aufstieg habe ich weiter vorne auf den Sitzplatzreihen Platz nehmen können. Werden wir alle, die keine privaten Logen finanzieren können, nach COVID-19 Angst vor unseren Nachbarn in der Reihe haben?

Der übergroße pinke Hase der Albertinapassage, der gleich daneben lange Zeit den Weg in dieses noble Untergrundnachtlokal wies, springt mich heute in der Reprise seltsam lächerlich an. Genauso wie die Erinnerung eines einige Zeit zurückliegenden Besuchs eben dort, zu dem ein mir damals sehr aufregend erscheinender Mann mich im Verführungstanz eingeladen hatte. Ein vernebelnder Schaumschläger, dessen wilde Arabesken von einfältiger Bindungsängstlichkeit nun mit neuer Nüchternheit entzaubert vor mir liegen. Die Krise spitzt alles an. Durch die Krise erlangt der Blick lang entbehrte Schärfe. So eine Krise ist nichts für Feiglinge. Sie hat die Macht, das Leben ins Wirkliche zu drehen, zu zeigen, was wichtig ist und was nicht – und wer ein wirkliches Gegenüber ist. Unter der Krise werden die Guten einfach noch besser und die Miesen ihrer Masken entlarvt, auch wenn jetzt alle Schutzmasken tragen sollen.

Plötzlich erkenne ich, dass es egal ist, ob unser Umgang mit COVID-19 auf einer simplen, gut geschürten Massenhysterie fußt oder es sich um die Dimension einer ernsthaften Bedrohung für unsere Menschheit handelt. Sich mit diesem Streit aufzuhalten hieße, sich der Dringlichkeit des tatsächlichen globalen Anliegens nicht zu stellen, denn was wir gerade erleben ist »Wirklichkeit«, erlebte, tägliche Wirklichkeit, ist die den Alltag bestimmende Realität! Diese Realität gilt es vollständig zu akzeptieren, ihre Bedeutung für unsere gesamte weitere Zivilisation zu verstehen. Die Aufgabe ist, die in ihr liegende Botschaft zu entschlüsseln.

Im Jänner 2020 war ich noch auf einem großen Ball in der Wiener Hofburg, auf dem sich Tausende eng durch die Gänge und auf den Tanzflächen drängten. Wir scherzten und kamen einander nahe, und die Nikotinfreaks begegneten einander im wirklich engen Schulterschluss im Raucherzelt. Anfang März flog ich für ein Meeting nach Innsbruck, wie man das eben so macht, und eine kurze Reise zu einem Klienten in Moskau musste ich dann unmittelbar auch noch unterbringen.

Der Flughafen war bereits erfreulich leer, was die Abfertigung angenehm machte, aber noch nicht wirkliche Nachdenklichkeit bei mir lostrat, da unsere Spezies ja gerne an einer einmal gewählten Wirklichkeit festhält. Für April hatte ich mit einem Arbeitspartner eine Reise nach Bangkok geplant, um Berufliches und Interessantes verbinden zu können. Er hatte mir auch einen Besuch bei seinem wirklich exzellenten Schneider um die Ecke angekündigt. Und irgendwann im Juni würde ich dann beginnen, in der Toskana mein übliches Sommerquartier zu beziehen, nachdem ich zuvor im Mai zweimal an den verlängerten Wochenenden überwachen würde, dass alles dort in Schuss gebracht würde.

Das alles wirkt aus heutigem Blickwinkel anachronistisch und das meiste unpassend, ja manchem gegenüber habe ich sogar ein mulmiges, fast ein wenig schuldiges Gefühl.

Jetzt leben wir nahezu von einem Tag auf den anderen in einer ganz anderen Welt. Strikte Ausgangsbeschränkungen werden verhängt, deren Einhaltung in manchen Ländern wie zum Beispiel in Israel mit Methoden, die sonst der Terrorbekämpfung vorbehalten sind, kontrolliert werden. Wer einen Funken Verstand zu haben behauptet, hält plötzlich einen garantierten Mindestabstand von einem Meter, besser zwei, vom nächsten Menschen ein.

Dafür schreiben mir plötzlich zahlreiche Menschen (und nicht alle hätte ich unbedingt vor COVID-19 zu meinen vertrauten Freunden gezählt), dass wir durchhalten müssen, dass wir nur gemeinsam durch die Krise kommen, und in den wenigen Begegnungen mit Passanten beim Ausführen des Hundes, dringender Besorgungen oder um sich den Lagerkoller kurz abzugehen, herrscht eine Stimmung ungewohnter Ansprechbarkeit und amikaler Gemeinsamkeit, obwohl wir Distanz halten.

Die ganze Welt hält sozusagen den Atem an, ganze Volkswirtschaften werden in den Boden gerammt, die Airlines haben ihre gesamte Luftfahrtflotte auf den Boden gebracht, der Individualverkehr ist um achtzig Prozent reduziert. Dinge also, die wir bisher als vollkommen unmöglich angesehen und nur verrückten Fantasten zugeschrieben hätten, sind zur Realität geworden. Die Forderungen von Fridays for Future sind keine Utopie, sondern derzeit weit überholt, schaut man sich die gegenwärtigen Satellitenbilder unseres Globus an. COVID-19 hat uns in eine andere Realität geschleudert, geht über alle geografischen Grenzen und zwingt uns, eigene Denkbarrieren niederzureißen.

Aber was ist hier wirklich passiert?

Die Natur erhob ihr Haupt

Die COVID-19-Krise hat uns gezeigt, dass unser System durch seine Komplexität an einer Virus-Pandemie kollabieren kann. Was wir jedenfalls anhand der Corona-Krise sehen ist, wie unwahrscheinlich anfällig global vernetzte Systeme und Produktionsketten sind. Knock out – shut down – durch ein simples Grippevirus! Die Kabelbäume aus China fehlen, die riesigen Lederhäute aus Italien können nicht hergestellt werden, die entsprechenden Sitzbezüge in Rumänien daraus nicht genäht werden, verschiedene weitere Zulieferindustrien aus Polen und Frankreich haben ebenfalls ihre Pforten geschlossen und BMW muss nicht als einzige deutsche Automarke ihre Produktionsbänder für Wochen stoppen.

Den Überraschungseffekt hätten wir uns ersparen können, wenn wir in der Vergangenheit etwas mehr auf die Expertise von Virologen und Systemanalytikern gehört hätten. Die wunderten sich nämlich schon länger, dass ein mit COVID-19 vergleichbares Szenario nicht viel früher eingetreten ist.

Die rasant steigende Zahl der Weltbevölkerung, eine enorme Verdichtung in Ballungszentren, die rapide Erhöhung der Geschwindigkeit in allen Lebensbereichen, globalisierte Transportwege, Massenmobilität, ein extrem hohes und damit immunschwächendes Stressniveau, all das lässt einen klaren Rückschluss zu: Es wird enger, sogar sehr eng, um es genauer zu sagen, zu eng. Die Menschheit selber, so dicht gepackt und ständig auf der Achse, ist ein großartiger Wirtsorganismus für ein Virus.

Doch was uns so sehr zum idealen Wirt macht, ist tatsächlich nicht in erster Linie durch unsere Biologie als großes warmblütiges Säugetier festgeschrieben. Die wirkliche Nahrung der globalen Pandemie, das Sprungbrett des viralen Erfolgs, findet sich in unserer Lebensweise und der dahinter liegenden Geisteshaltung. Oder ganz einfach ausgedrückt: Die biologische Krise COVID-19 spiegelt in erster Linie eine ideelle Krise der gesamten Menschheit wider. Diese Erkenntnis geht durch Mark und Bein, weil sie uns einige brutale Wahrheiten auf dem Serviertablett präsentiert.

Erstens. COVID-19 ist, auch wenn es im Kleid einer Naturkatastrophe einherkommt, eine zivilisatorisch bedingte Krise. Unser Verhalten, unser Denken, unser Wertekanon, eben unser »way of living« dienen als Nährboden in der Petrischale des Globus für Pandemien wie den Corona-Ausbruch.

Zweitens. COVID-19 ist mit seiner Verlaufsform, sich rasant über den ganzen Globus auszubreiten, tatsächlich nicht unvorhersehbar über uns hereingebrochen, sondern folgte klaren systemtheoretischen Gesetzmäßigkeiten. Achtsamkeit in Bezug auf Grenzen des globalisierten Wachstums und kritische Reflexion bezüglich unserer Werte und Handlungsmuster sind eine viel effektivere Prävention als Masken, Impfungen und Sicherheitsabstände. Mit all diesen Maßnahmen können wir auch in Zukunft den Ereignissen immer nur einen Schritt hinterher hinken. Im besten Fall vermögen wir das Feuer zu löschen, doch nicht den Brand zu verhindern, und stehen am Ende in den rauchenden Trümmern.

Drittens. COVID-19 macht deutlich, dass einige bisher sakrosankte Paradigmen wie zum Beispiel das Streben nach grenzenlosem Wirtschaftswachstum und endlosem Konsum ausgedient haben müssen. Das Limit ist unsere eigene Biologie als verletzliches, sterbliches Wesen, denn die Mechanismen und Abläufe der Lebenswelt der Steigerungsgesellschaft töten uns.

Doch wir hatten Glück im Unglück. COVID-19 wird uns nicht ausrotten, sondern ist nur ein Schuss vor den Bug. Ein kräftiger, der ganzen globalen Menschheit spürbar hingeknallt, der uns zwingt, uns zu besinnen. Denn der Ausbruch der Pandemie macht sichtbar, dass diese gesamte Zivilisation weltumspannend im Eilzugtempo an die Wand fährt, wenn sie ihren Kurs beibehält.

Der Eilzug ist auch ein gutes Bild, um die gesellschaftlichen Auswirkungen zu verdeutlichen. Wir sitzen alle im Zug. Die Alten sitzen ganz vorne und werden von der Wucht des Aufpralls voll getroffen, vielfach mit Todesfolge. Die Jungen sitzen im letzten Waggon und können dem Crash vergleichsweise entspannt entgegenblicken. Doch wer sagt, dass bei der nächsten Fahrt nicht auch die Jungen auf den vordersten Plätzen gebucht sind?

Dieser Tage begegnet mir in Gesprächen mit Freunden oft das Bild der geknechteten Natur, die sich gegen ihren Peiniger, die Menschheit, auflehnt. Wen wundert es? Nicht zuletzt dank Fridays for Future sind die toten Flüsse, die gerodeten Amazonas-Wälder, die verheerende Verschmutzung der Weltmeere, die abschmelzenden Polkappen, die Sturm- und Hochwasserereignisse und sämtliche anderen Klimakatastrophen ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Zum dramatischen Wendepunkt eines Thrillers ist es dann nicht mehr weit: Die versklavte Natur liegt schwer atmend vor ihrem arroganten Widersacher im Dreck. Doch dann geschieht das Unerwartete. Ein bislang nicht gekanntes Virus schwingt sich zur Rettung der Totgesagten auf. Mit letzter Kraft, aber dennoch würdevoll, hebt die Natur ihr Haupt, um die Spezies Mensch mit ihrer eigenen Lächerlichkeit im Angesicht einer tödlichen Seuche zu konfrontieren. »Du hältst dich für die Krone der Schöpfung?«, höre ich die Natur langsam, mit bedächtiger Stimme sprechen und als Zuschauer ahnt man bereits, dass sich jetzt gleich eine faktische Realität unabweislich enthüllen wird. »Mit dem Allerkleinsten, einem simplen Virus, vermag ich dich zu vernichten!«

Begann mit COVID-19 wirklich eine Dystopie, wie wir sie aus pathetischen, dunklen Katastrophenfilmen kennen? Ich behaupte, nein. Dies, obwohl ich mir bewusst bin, dass meine Behauptung von meinem Glauben an die reflektierenden Kräfte der globalen Gesellschaft und der Hoffnung, sie mögen den Diskurs bestimmen, getragen wird. Ich bin mir dabei bewusst, dass auch andere Optionen im Angebot sind. Aber ich habe neben Glauben und Hoffnung auch noch ein paar handfeste Argumente im Gepäck. Ich will sie in meinem Plädoyer »Machen wir uns startklar für einen Aufbruch in eine neue Welt« Ihnen als den Geschworenen und Richtern, die über das weitere Schicksal des Delinquenten namens Zivilisation entscheiden, präsentieren. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Die COVID-19-Krise könnte die Auftaktveranstaltung für die gelebte Utopie eines Goldenen Zeitalters werden. Wir müssen nur die Zeichen richtig deuten und entsprechend handeln.

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