Читать книгу: «Gott Go Home!»

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Impressum

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Das Neue Berlin – eine Marke der

Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage

Alle Rechte der Verbreitung vorbehalten.

ISBN E-Book 978-3-360-50170-7

ISBN Print 978-3-360-01365-1

© 2020 Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage GmbH, Berlin

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin,

unter Verwendung einer Illustration von Michelangelo

www.eulenspiegel.com

Über das Buch

Religion ist ein völlig absurdes, irrationales Ding. Aber kaum jemand spricht das aus. All die kuriosen und schrecklichen Sätze, an die wir glauben sollen, werden in einen Schleier von Ehrfurcht gehüllt – aber niemanden machen sie zu einem besseren Menschen. Klaus Ungerer drückt den Reset-Knopf. Wenn man mit dem Verstand an Christentum, Islam und all die anderen Glaubensformen herantritt, verpuffen sämtliche märchenhaften Inhalte und wolkigen Versprechungen. Übrig bleiben mächtige Institutionen und mächtige Ideologien, die uns nicht das Paradies und die Seligkeit näherbringen, sondern Unmündigkeit, Intoleranz und den Glauben an unhinterfragbare Hierarchien. Man hat genug davon gesehen in den letzten Jahrtausenden: Religionen, die Unfug verbreiten, Unfrieden stiften, die Sinne benebeln. Das nervt nicht nur, es ist gefährlich. Die Nachrichten sind voll davon, bis heute. Daher ist es höchste Zeit zu sagen: »Gott go gome!«

Über den Autor

Klaus Ungerer (*69) lebt als Autor und Journalist in Berlin. Im Alter von zehn hielt er Religion für ein reizvolles Konzept. Winnetou war ja ebenfalls Christ! Sein großer Bruder brauchte zwei Sätze, ihm das auszureden.


Inhalt

Vorwort

Gott nervt

Bärenstark, dubidubidu

Religion im 21. Jahrhundert, muss das wirklich sein?

Hü, totes Kamel, hü!

Wie alle sich ihren Glauben so hinbiegen, dass er gut reinpasst

Heiliger Brotsack!

Vom Warten auf Wunder, die nie eintreten

Augustinus’ wunderbare Waschanlage

Wie Glaubensinhalte in der Geschichte fabriziert und brutal durchgeboxt wurden

Störsender im Hirn

Wie Religion beim Denken querschießt

Hinknien und Demokratie

Religion als politischer Faktor in Deutschland

Hate Speech vom Himmel

Religion wendet sich gern gegen Menschenrechte

Machoquatsch aus der Bronzezeit

Wie jede Religion Frauen und sexuelle Minderheiten unterdrückt

Lebe lieber neugierig

Warum das Leben besser wird, wenn im Himmel kein Märchenonkel mehr wohnt

Dank

Vorwort

Gott nervt

Religiös Benebelte schreien rum, töten, drohen, zerstören Schulen. Machen Lärm. Unterdrücken Frauen. Verfluchen Schwule. Sonntags donnern die Kirchenglocken, dass die Wohnung wackelt. Gott nervt wirklich ziemlich im Moment. Wobei, hat er nicht längst abgedankt, seit einhundert, zweihundert Jahren? Kann er es nicht endlich mal gut sein lassen mit kapriziösen Ideen, brutalem Herrschaftswillen, leeren Jenseitsversprechen und dem nimmermüden Willen zur Spalterei der Menschen?

Gerne würde man sein Andenken ja in Ehren halten, sich seiner Verdienste als Begleiter der Menschheit erinnern, als faszinierendes kulturelles Phänomen, als großer Gesellschaftsordner. In einer Mischung aus Respekt und Widerwillen könnte man seiner Spur durch die Jahrtausende folgen, bis zurück zu Echnaton, der den Mono-Gott, diesen imaginären Freund, einst erfand. Milliarden von Menschen hat er viel bedeutet – in der Kindheit der menschlichen Historie, der wir nach schlappen fünf Millionen Jahren immer noch zu entwachsen bemüht sind. Man vergleiche uns mal mit Erfolgsmodellen der Evolution wie Farnen, Asseln oder Spinnen. Dagegen sind wir stolze Menschenkinder bloß ein Fünkchen im Gewitter.

Aber Gott, der lang schon Tote, hat längst zu stinken begonnen. Seit einigen Jahrhunderten kann jeder halbwegs gebildete Mensch die Idee als unhaltbar und beschämend kurios erkennen: Ein allmächtiges Wesen, dessen Ursprung niemals erklärt wurde – lebt es? Ist es unbelebt? Ist es irgendetwas dazwischen? Jenes Wesen habe also das Universum mit allen physikalischen Gesetzen, mit der betäubenden Unendlichkeit und Milliarden von Sonnen und Planeten erschaffen.

Und dasselbe Wesen soll nun, im Jahr 2020, ein ernsthaftes Interesse daran haben, dass man – um nur einige der bizarren Regeln anzuführen – a) Löckchen an den Ohren trage, b) auf gar keinen Fall einen Baconburger bestelle, sondern wenn, dann Lammfleischdöner, c) Statuetten von gefolterten, halbnackten Bärtigen in jedes Klassenzimmer jeder Schule hänge, d) homosexuelle Liebe für etwas Schlimmes halte etc. pp. Man könnte seitenlang groteske Vorschriften aufzählen, die nach Borniertheit, Kleinlichkeit, Machtgeilheit, Unterdrückungslust, Narzissmus und Dämlichkeit riechen, kurz: nach Mensch.

Nachdem man hoffte, endlich aufgeklärten Zeiten entgegenzugehen, ist die Religion nun wieder dabei, ihr Haupt zu erheben, genauer gesagt, einige ihrer besonders hässlichen Häupter. Damit sind nicht nur die Gewaltexzesse islamistischer Formationen gemeint, nicht nur die Morde durchgeknallter Christen an Abtreibungsärzten, nicht nur die Absurdität eines Arche-Noah-Erlebnisparks in den USA. Auch hierzulande fordert die Religion immer noch, sich auf uralte Märchenbücher stützend, was sie für ihr Recht hält. Dass man am Karfreitag nicht tanze und nicht »Das Leben des Brian« aufführe. Dass man Kleinkindern ohne medizinischen Grund an der Vorhaut herumschnippele. Dass die Kirche ihre diakonischen Jobs je nach Glaubensbekenntnis vergeben dürfe. Und das alles in einer Zeit, da Gott sich allenfalls – wenn man unbedingt an der Idee von ihm festhalten wollte – irgendwo hinterm Urknall verorten ließe, von wo aus er vielleicht Gravitationswellen als Gruß sendet, die der menschliche Geist vorhergesagt und nachgewiesen hat. Schon lange ist es ein schlechter Witz, am lieben Gott als einer Vaterfigur, die sich um alles kümmert, festzuhalten. Ein Blick auf die Realitäten der Welt macht klar: Es kümmert sich keiner. Wir müssen uns selber kümmern.

Dennoch scheint ein allgemeines Einverständnis vorzuherrschen, dass Religionen einen besonderen Schutz zu genießen haben. Immer noch umgibt sie die Aura des Unantastbaren, so wie die hundertjährige Erbtante, die zwar nichts mehr sieht und kaum noch hören kann, dafür aber umso lauter ungefragt reinkrächzt.

Menschen, die sich als religiös bezeichnen, genießen das sonderbare Vorrecht, jede sinnvolle Debatte unterbinden zu können, sobald sie spüren, dass der argumentative Grund unter ihren Füßen wackelig wird. Es ist bezeichnend, dass wir Satiriker benötigen, um das Offensichtliche zu benennen. Im Nachgang des Charlie-­Hebdo-Massakers sprach Oliver Maria Schmitt, ehemaliger Chefredakteur der Titanic, aus, was die Grundlage einer aufgeklärten Gesellschaft zu sein hätte: »Im Zusammenhang mit religionskritischer Satire hört man immer wieder den unsinnigen Vorwurf: ›Aber damit verletzt ihr doch die religiösen Gefühle anderer.‹ Ich frage mich: Was soll denn das sein, ein ›religiöses Gefühl‹? (…) Ist das Gefühl eines aufgeklärten Geistes weniger wert als das Gefühl eines religiösen Einfaltspinsels? Es ist aufklärerische Menschenpflicht, jede Religion immer und überall zu kritisieren.«

Das war ein seltenes Licht in überschatteten Zeiten. Überschattet nicht nur vom Irrationalismus des Wachstumsglaubens, sondern auch vom Obskurantismus abergläubischer Weltanschauungen. Glaube ist Aberglaube, der über das Hosentaschenformat hinausgewachsen ist, mächtige gesellschaftliche Strukturen ausgebildet hat und, mehr als das Wochenhoroskop, für Hierarchie und Unterwerfung steht. Wer glaubt, ordnet sich unter, gibt Verantwortung ab. Das bedeutet das Gegenteil eines freiheitlichen, demokratischen Menschenbilds, das Gegenteil von Selbstbestimmung und Gleichberechtigung. Immer und überall sind es Männer, die unter viel Brimborium eine quasi magische Macht für sich beanspruchen – basierend auf den Erkenntnissen früherer Kriegsherren wie Mohammed, charismatischer Outcasts wie Jesus und offensichtlicher Scharlatane wie Scientology-Gründer L. Ron Hubbard oder Mormonen-Urvater Joseph Smith.

Gibt es denn tatsächlich noch viele Menschen, die an die Kekswerdung Christi glauben? In Berlin leben aktuellen Studien zufolge drei Viertel der Bevölkerung ohne ernsthaften Glauben an Gott, und bohrt man bei denjenigen nach, die sich als »spirituell« bezeichnen, bleibt meist nicht viel mehr übrig als ein warm waberndes Gefühl der Aufgehobenheit im Universum, das auch ein Atheist problemlos empfinden kann. Wo Menschen der Kontakt mit Bildung vergönnt war, spielen Fragen nach Engeln, dem Paradies oder der Hölle keine Rolle. Sondern dringendere und konkretere Probleme: Wie speisen wir die Menschheit, gibt es Zugang zu Wasser für alle? Wie vermeiden wir Kriege, wie schaffen wir Verständnis untereinander? Wie geben wir den Chancenlosen Hoffnung? Doch wohl nicht durch das Gebet zu einem reformierten Tyrannen.

Die Initiative »Pro Reli« plakatierte einmal den Slogan »Keine Moral ohne Gott!« – ein unethischer Akt. Dass religionsfreie Menschen weniger moralisch als andere agieren, davon ist jedenfalls nichts mitzubekommen, für Selbstmordanschläge aus Glaubensgründen fehlt ihnen schon mal die Motivation. Ganz oft sind »Ungläubige« liebevolle Partner und Eltern, engagieren sich für die Umwelt, kümmern sich um Geflüchtete, verhindern Nazi-Aufmärsche, geben Bettlern Geld, retten Tiere. Niemand hat dafür einen Gott nötig oder gar dessen phallisch gereckten Zeigefinger. Die meisten Menschen sind von sich aus moralisch – weil Jahrmillionen der Evolution sie zu sozialen Wesen gemacht haben.

Jeder Mensch hat denselben Wert, niemand soll sich über andere erheben, niemand andere verletzen. Diese Botschaft wird gern aus dem Wirken des Jesus von Nazareth abgeleitet, doch ist seine Verwendung dabei eher ein Hindernis. Man sollte nämlich nicht bloß gut zu anderen sein, weil es ein magischer Oberaufseher befiehlt. Man sollte es tun, weil man selbst es für richtig hält und weil es für alle das Beste ist.

Gott? Heute brauchen wir uns nicht gemein zu machen mit Jahrtausende alten Gespinsten. Denn wir haben uns, und in uns steckt Hoffnung: ein Häuflein halbwegs intelligenter, halbwegs liebesfähiger, weit überwiegend friedliebender Zweibeiner auf diesem abgelegenen Planeten auf einer ovalen Umlaufbahn um einen minder bedeutenden Stern.

Bärenstark, dubidubidu

Religion im 21. Jahrhundert, muss das wirklich sein?

Es ist der 27. Juni 2017, es ist sehr früh am Morgen in Little Rock, Arkansas, eigentlich fast noch Nacht. Vor dem State Capitol, dem Regierungssitz des Bundesstaates, bleibt ein dunkles Auto aus dem dünnen Verkehr heraus plötzlich stehen, genau auf der Höhe der Zehn Gebote, einer steinernen Gesetzestafel nach biblischem Vorbild, die man gestern erst aufgestellt hat. Vom Auto aus ist es nur ein kurzes Stück über den Rasen bis zu dem tonnenschweren Monument. Ein diensthabender Polizist sieht sofort, dass etwas nicht in Ordnung ist. Aber er kann nichts mehr tun.

Per Livestream dokumentiert der Fahrer des Wagens auf Facebook, was nun passiert. Das Auto setzt sich wieder in Bewegung, zielgerichtet, im Scheinwerferlicht tauchen die Zehn Gebote auf, »Freedom!«, ruft der Mann im Auto mit heiserer Stimme – Freiheit! Er meint Religionsfreiheit. Er meint: Freiheit von Religion. Dann kracht sein Wagen in Gottes Wort. Die Übertragung endet im selben Moment. Die Sicherheitskräfte eilen rasch herbei, um den Fahrer des Wagens, Michael Reed, festzunehmen. Für die Steintafel kommt jede Hilfe zu spät. Zerbrochen liegt sie am Boden.

In einem akuten Zustand geistiger Umnachtung hat Reed also getan, was auch Moses tat – die vom Himmel gefallenen Steintafeln zerschmettert. Wo der allerdings noch das göttliche Gesetz aus einem initialen Impuls heraus zerschmiss, besaß Michael Reed Vorerfahrung in dieser speziellen Disziplin. Bereits im Oktober 2014 hatte er eine solche Tafel umgenietet. Die stand damals auf ebenso öffentlichem Grund, vor dem Oklahoma City Capitol. Auch hier kam Reed mit seinem Wagen angebrummt, auch da traf er den Granit mit der vollen Wucht aller ihm zur Verfügung stehenden Pferdestärken, und keine göttliche Macht verhütete die Zerstörung des Steins.

Seither war Michael Reed in den Archiven und im Internet greifbar, und man wusste auch, dass er kein sehr glücklicher Mann ist. Er wurde abwechselnd als Christ, Satanist und überzeugter Säkularist aktenkundig, und selbst seine Mutter musste schon gegenüber den Medien bekennen, dass er an einer schizoiden Persönlichkeitsstörung leidet. Man könnte die Sache als einen von tausend täglichen Fällen sinnloser Aggression gegen arglose Materie abhaken.

Und bleibt doch an den Bildern hängen. Nicht nur, dass diese Steintafeln so hässlich sind. Sie sehen in beiden Fällen genau gleich aus. Schlecht imitiertes 19. Jahrhundert, autoritätsheischend in den Granit gemeißelt. Wieso stehen baugleiche Monumente an zwei verschiedenen Orten? Wieso sagt der Mann von der Mahnmalfirma, er habe jetzt schon um die zwanzig von diesen Dingern aufgestellt? Und wenn man als Nachrichtenleser in sich geht, hat man nicht denselben Klotz auch schon in anderen Gegenden fotografiert gesehen?

Sie sind nämlich tatsächlich über die gesamten USA verteilt, richtig durchgezählt hat sie bislang nur Gott der Herr, sie stehen vor Regierungsgebäuden, auf Schulgeländen und in Parks, gerne würde man sagen: ein Monument hässlicher als das andere. Aber genau das stimmt eben nicht, sie sind alle gleich furchtbar, und sie verkünden mit der Sturheit eines Bots, was sie halt zu verkünden haben. Wo kommen die alle her, hat der Herr sie vom Himmel geworfen, nachdem ihm klar wurde, dass es immer noch nur einen Augenzeugen für die Übergabe seiner Zehn Gebote gibt?

Die Geschichte dieser Gesetzestafeln ist eine ur­­amerikanische. Sie verbindet schlechtes Pathos, patriarchale Religiosität und Hollywood-PR mit dem absoluten Willen zur Größe. Denn was wäre grandiosere Werbung für einen Film als eine Propagandakampagne, die flächendeckend und unter viel pompösem Getue mit staatlichem wie kirchlichem Segen den öffentlichen Raum erobert?

Genau das geschah 1956 mit dem Paramount-Film »Die zehn Gebote«, dem opulenten Höhepunkt des Technicolorkinos – sozusagen eine filmische Fortsetzung des religiösen Überwältigungsprunks, mit dem man seit dem Mittelalter in den Kirchen auf die Hirne der Gläubigen einwirkt. Gedreht wurde der Kulissenschinken inklusive Teilung des Roten Meeres von Cecil DeMille, als Remake seines eigenen Stummfilmklassikers von 1923. Dem Regisseur war nicht nur der Erfolg des Films ein Anliegen, er nahm auch den religiösen Inhalt sehr viel ernster als man es von einem Menschen im flatterhaften Showbusiness erwarten sollte. Er plante einen religiös grundierten Werbefeldzug, und er plante ihn nicht allein.

Ihm zur Hilfe eilte ein obskurer Herrenbund namens »The Fraternal Order of Eagles«, die Bruderschaft der Adler also, eine wohltätige Vereinigung, die bezeichnenderweise als Schutzbund mächtiger Theaterbesitzer gegen einen Musikerstreik ins Leben gerufen wurde und sich danach zu einer weltumspannenden Organisation auswuchs. Die drehte nun aktiv mit am konservativ-christlichen geistigen Rollback der 1950er Jahre. »Die zehn Gebote«, der Film, war für sie weit mehr als nur der nächste Blockbuster. Gerade machte man sich daran, das freiheitlichste Land der Erde als »Land Gottes« neu zu erfinden, ganz gegen die Intention seiner Gründerväter, und da kam der Film gerade recht.

DeMille und die »Eagles« initiierten eine beispiellose Kampagne. Schon seit 1951 wurden Zigtausende Reproduktionen der Zehn Gebote als Wandschmuck verbreitet – in ebenjener kruden Optik, die sich dann auch dem unschuldigen Granit einklopfen sollte. Präsident Truman gab seinen Segen. Und als wäre das noch nicht genug der frommen Tat, begann man in der Zeit des Filmstarts, die Zehn Gebote in Stein aufzurichten, hier und dort und everywhere. Selbst als der Film alle Rekorde gesprengt hatte und allmählich ins Fernsehen übersiedelte, gab man nicht Ruh mit der Aufstellerei. Die Werbekampagne war so erfolgreich, dass sie ihr eigenes Produkt überlebte. Bis heute stehen die Gesetzestafeln vor Regierungssitzen und auf Schulgeländen und in Parks, für viele Menschen sind sie geradezu Ausdruck der amerikanischen Seele, und viele wissen wahrscheinlich gar nicht, dass der liebe Gott hier einen Film beworben hat, der sich noch nicht mal allzu eng an die biblische Überlieferung hält.

Es ist dabei kein Zufall, dass der erfolgreichste aller Christenfilme alles mögliche Kolossale herzeigt, Landschaften und Gebäude, schöne Männer und Frauen, mächtige Farben und betäubende Musik – eins aber auf gar keinen Fall: Christus. Oder seine Botschaft. Die Patriarchen, die die USA mit Hilfe der Religion auf ihre Vorstellungen zuzuschneiden versuchen, haben noch stets mit dem Gott des Alten Testaments sympathisiert, dem Tyrannen, und mit Moses, seiner rechten Hand. Christus und seine Hippiekommune, in der sich alle lieb hatten, wird in diesen Kreisen eher selten zur Kenntnis genommen.

Kein Wunder. Jesus ist es ja, dessen Botschaft, klug ausgedeutet, die Gottesdiktatur des Alten Testaments beendet. Vor ihm sind alle gleich, ob arm, ob reich, und wenn die moderne Welt etwas aus Jesus abgeleitet hat, dann dies, dass es ohne Toleranz nicht geht. Dass folglich keine Religion sich über die anderen oder über den Staat erheben sollte, so wie es den Gründervätern der USA noch klar war. Ein bisschen haben wir es also auch dem Erlöser zu verdanken, dass die klotzigen, anmaßenden Monumente dann und wann ins Wanken geraten. Oder ins Wandern. So wie das Monument von Oklahoma City, Michael Reeds erstes Opfer. Das ist mittlerweile von seinem Standort verschwunden. Ein Gericht urteilte 2015: Die Zehn Gebote des Alten Testaments haben auf öffentlichem Grund nichts zu suchen.

Für die Gottisten ist das eine Niederlage, die sie oft gar nicht begreifen können. Denn mindestens ebenso sehr, wie ihr Gott in den Seelen der Menschlein herrschen soll, wollen sie selbst den öffentlichen Raum beherrschen, sei es durch das Errichten von Monumenten, sei es durch das Entfachen frommen Lärms.

In Indonesien wurde im Jahr 2018 eine Frau zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, weil ihr die Gebetsruf-Lautsprecher der benachbarten Moschee zu laut waren. Das Gericht fand, das sei Blasphemie. Und einmal mehr durfte der Nichtgläubige sich darüber wundern, wie leicht so ein Gott eingeschnappt sein kann. Gäbe es ihn, wie sollte man ihn beleidigen können? Hätte nicht er das komplette Universum geschaffen, wohingegen jeder von uns nur ein dümmlicher, verderblicher Fleischplops ist, der eine kurze Zeit über einen minder bedeutenden Planeten kreucht? Müsste nicht ein solcher Gott schmunzeln über jeden Versuch des Fleischplops, sich mit ihm zu messen? Wäre nicht jede Antwort darauf eine Herabwürdigung seiner selbst, eine Entgottung, so wie jede Beleidigung nur unter Menschen möglich ist, wohingegen Hunde, Molche, Steine, der Wind und eben die Unendlichkeit gar kein wirkliches Gegenüber darstellen für den menschlichen Geist in seiner beschränkten Originalität? Kann man nicht ausschließlich beleidigen, was einem im Alltag gegenübertritt?

Solche Fragen hatte sich die chinesischstämmige Indonesierin Meiliana, die im Mai 2019 auf Bewährung freigelassen wurde, möglicherweise gar nicht gestellt, und sie tat gut daran. Denn dass sie die Mehrheitsgottheit ihres Landes, den muslimischen Allah, beleidigt oder auch nur zu beleidigen versucht hat, kann man wirklich nicht behaupten. Ihre Freveltat war: Sie beschwerte sich beim Hausmeister der Moschee, dass deren Lautsprecher zu laut eingestellt und der Gebetsruf also lauter sei als vielleicht notwendig – ein Problem, das im Land nicht vollkommen unbekannt ist. Dort haben selbst muslimische Verbandsvertreter schon dazu aufgerufen, die Lautsprecher der Moscheen »weise« statt maximal einzusetzen. Aber das Lärmproblem ist hier ein immanentes. Wo ein als männlich gedachter Gott auf dem Wege des Gebetsrufs mehrmals täglich seine phallische Dominanz demonstriert, ist es naheliegend und schlüssig, dass die Lautsprecher mit größtmöglicher Wucht eingesetzt werden, damit alle Gläubigen und Ungläubigen hören, wo der Hammer hängt. Ganz wie der vielerorts wütende Krach der Kirchenglocken ist auch der Gebetsruf eher eine Machtdemonstration der vorherrschenden Religion ohne ernsthafte Funktion. Es ist ja nicht so, als ob die Gläubigen nicht wüssten, dass nun wieder Zeit zum Beten ist.

Nun hat allerdings, was uns in den Nachrichten als Religion begegnet, mit echtem, ernstzunehmendem Glauben an eine Gottheit meist wenig zu tun. Wo sie in den Schlagzeilen auftaucht, hat jemand sie gern als Machtinstrument zur Anwendung gebracht – ob nun ein paar gewaltbereite Irre einen Islamischen Staat gründen, ob etablierte orthodoxe Regimes Frauen und Andersgläubige unterdrücken, ob der Präsident der Vereinigten Staaten von evangelikalen Christen gepusht wird oder ob ein einflussreicher Arbeitgeber wie die Kirche sich vom deutschen Staat mit Sonderrechten und Geld ausstaffieren lässt.

Letztlich geht es dabei nicht wirklich um den jeweiligen lieben Gott, welcher ja inmitten menschlichen Machtgeschachers, wäre er real, zwingend zu einer skurrilen Figur verkäme: Wenn er allmächtig ist und außerhalb unserer Vorstellungskraft, warum müssen wir dann Blasphemie bestrafen? Ein Gott, den man beleidigen kann, muss ein kleinlicher, narzisstischer, alberner Gott sein. Hätte er Größe, würde er doch lachen über die Männlein, die seine Existenz oder Autorität in Frage stellen. Er würde sich in seinem Sonntagssessel zurücklehnen, grinsen und murmeln: Na warte, Freundchen, see you in Fegefeuer. Überhaupt, da Gott bekanntlich seine eigene Gerichtsbarkeit unterhält in Form von Himmel und Hölle, von Strafen und Belohnungen. Ist es da nicht viel lästerlicher, an seiner Stelle Richter zu spielen und jemanden zu einer gänzlich weltlichen Strafe verurteilen zu wollen, so wie eben jene Meiliana, die sich beim Hausmeister beschwerte?

Gott wirkt durchaus auf die Welt ein. Zwar sorgt er nirgends für Wunder und nimmt auch sonst keinen willentlichen Einfluss auf den Verlauf der Weltgeschichte, etwa zum Besseren hin. Dennoch ist »Gott« dort, wo sein Einsatz sich anbietet, ein effektiver machtpolitischer Faktor. Die Vorstellung eines Gottes und heiliger Regeln, die man zu befolgen habe, enthemmt Menschen, sie trägt dazu bei, ihnen eingeborene Moral zu nehmen. Man hat das zuletzt am Beispiel des grauenvollen IS-Regimes studieren dürfen, auch die blutrünstige Geschichte der christlichen Kirche konnte immer wieder anschaulich machen, wie Religion dazu eingesetzt wird, Menschen zu entmenschen und zu unerhörten Grausamkeiten zu treiben.

Immer steht ein Machtinteresse dahinter, das sich ihre Gutgläubigkeit und Verführbarkeit zunutze macht. Religion hilft, ethnische Gruppen zu definieren und gegeneinander aufzubringen, und besondere Gefahr droht, wenn zur ethnischen Spaltung auch noch eine vermeintliche wirtschaftliche tritt, so wie es in Indonesien der Fall war. Meiliana nämlich gehört zur Minderheit der chinesischen Indonesier, die ein fester Bestandteil der Bevölkerung sind. Von der niederländischen Kolonialmacht wurden sie lange protegiert, ihnen eilt ein Klischee von Reichtum, Tüchtigkeit und Gier voraus, womit der Neid vieler Menschen ihnen sicher ist. Vor zwanzig Jahren kam es in Indonesien zu Massakern von Mehrheitsmuslimen an chinesischen Indonesiern, viele Menschen starben, viele verließen das Land. Das ist unvergessen. Der Vorgang um Meiliana löste die schlimmsten Ausschreitungen seit jenen Ereignissen von 1998 aus.

Zunächst machte man auf sozialen Kanälen Stimmung gegen die Frau, Gerüchte wurden multipliziert, sie habe die Moschee mit Steinen beworfen. Als Nächstes rottete sich ein Mob vor ihrem Haus zusammen, um es in Brand zu setzen, was Nachbarn noch verhindern konnten. Dann brach die Aggression sich Bahn. Die Meute, hauptsächlich aus jungen Männern bestehend, tobte durch die Stadt Tanjung Balai, verwüstete und verbrannte ungefähr zwei Dutzend buddhistische Gebetsstätten.

Hat Gott das gewollt? Sieht er sich angemessen repräsentiert von einem Mob brüllender, wütender Jungmänner? Wieso hat er zugelassen, dass viele Menschen an ganz andere Götter glauben, warum ließ er die Chinesen und die Holländer ins Land? Dieser Gott, wenn es ihn gäbe und man versuchte, seine Handlungen und seine Unterlassungen zu verstehen, handelte wirr, lieblos und gefährlich. Vor diesem Hintergrund wäre doch wesentlich beruhigender zu glauben, dass es ihn eben nicht gibt – so beruhigend wie das Wissen, dass wir hier in einer Kultur leben, die sich, gegen alle Religion, über die Jahrhunderte hinweg Freiheitsrechte erkämpft hat und in der man, so oft man will, öffentlich sagen kann:

Eure Kirchenglocken jeden Sonntag nerven echt hart.

Doch der Gott findet auch andere Mittel und Wege, dem zivilisierten Teil der Menschheit auf den Wecker zu gehen. Etwa ist es schon mehrfach vorgekommen, dass Flugzeuge am Boden bleiben mussten, weil ein paar versteift religiöse Seelen sich standhaft weigerten, ihren Sitzplatz einzunehmen, zum Beispiel im Juni 2018 in New York. Von naturwissenschaftlicher Seite aus war dabei alles geklärt: Auf der Grundlage von Aerodynamik entwickelt, von Düsen angetrieben, wäre das Flugzeug, anders als alle Engel und Heiligen, nachweislich und nachvollziehbar jederzeit in der Lage gewesen, vom Boden abzuheben, um dann einige Zeit später in Tel Aviv wieder zu landen. Zwischen den Istzustand auf dem Asphalt und den planmäßigen Abflug hatte sich der Allmächtige geschoben, in diesem Fall jene Gottesfigur, die ein Teil der ultraorthodoxen Juden sich zurechterfunden hat. Nicht zum ersten Mal weigerten sich Passagiere, den von ihnen gebuchten Sitzplatz im Flugzeug einzunehmen. Denn sie würden dort neben Frauen sitzen. Um die Frauen nicht einmal ansehen zu müssen, so heißt es, hatte einer der Männer die ganze Zeit seine Augen geschlossen.

Nun mag man das merkwürdig finden. Wir selber haben nichts gegen Frauen, einige unserer besten Freunde sind Frauen. Wir haben nicht einmal was gegen Gottisten, solange sie sich freundlich, rücksichtsvoll und tolerant gegenüber dem Rest der Menschheit verhalten. Nur ist es leider so, dass genau das durch Religionen so unsäglich erschwert wird. Denn erstens unterscheiden die immer zwischen »uns« und »denen«, also den Gläubigen ebendieser Religion und den Gläubigen anderer Religionen oder den Menschen, die ganz ohne unsichtbaren Zaubermeister im Himmel auskommen. Zweitens haben alle derzeit angesagten Religionen auf der Welt den Nachteil, dass sie selbst innerhalb ihrer Gemeinschaft wieder spalten, in Menschen erster und zweiter Klasse. Wobei der Clubausweis für die erste Klasse ein Penis ist.

Es ist leicht, sich darüber lustig zu machen, dass erwachsene Menschen sich unter Berufung auf ein dreitausend Jahre altes Buch zu bizarrem Verhalten aufgerufen fühlen. Doch liegt der Fall noch absurder. Der Gott nämlich, der angeblich dem Kultgründer Moses diktierte, dieser Gott auf seiner Wolke hatte, bei aller Frauenverachtung, noch ein halbwegs pragmatisches Verhältnis zu den von ihm selbst erfundenen Dingen des Lebens: Lust zu zähmen und Sexualität zu regeln, schien er als eine wichtige Aufgabe zu sehen, ganz als sei ihm da beim Menschen-Entwerfen etwas gar zu Wildes rausgerutscht, das er nachträglich wieder in den Griff zu kriegen versucht. Im sogenannten 3. Buch Mose (Leviticus) gibt er klare Handlungs- bzw. Vermeidungsanweisungen, die den Anschein erwecken, der von Gott designte Mann sei eine vollkommen wildgelaufene Vögelmaschine, die vor nichts und niemandem haltmacht. Im Abschnitt, auf den sich die ultra­orthodoxen Augenschließer berufen, findet sich eine ebenso fantasievolle wie bürokratische Aufzählung, welchen Leuten man sich nicht nähern und ihre Nacktheit entblößen, sprich: Sex mit ihnen haben dürfe.

Man soll nicht mit seiner Tochter schlafen. Man soll nicht mit seiner Schwiegertochter schlafen. Man soll nicht mit den Enkeltöchtern schlafen. Man soll nicht mit seinem Vater oder seiner Mutter schlafen. Männer sollen nicht mit anderen Männern Sex haben. Mit Tieren auch nicht. Viele Dinge davon erscheinen uns recht nachvollziehbar, manche eher weniger. Dass Gott davon ausgeht, die Männer in dieser Richtung belehren zu müssen, sagt eine Menge über ihn. Der nach seinem Vorbild geschaffene Kerl kann offensichtlich keine, aber auch gar keine Frau anschauen, ohne an Sex zu denken.

So weit, so basal. Gott hat den Mann als einen zwanghaften Lustmolch erschaffen. Nur strengste Strafen können ihn davon abhalten, als marodierender Dauererektit über alle Mitglieder seiner Familie herzufallen. Was also der ultraorthodoxe Mann ausdrückt, der sich nur mit geschlossenen Augen durchs Flugzeug manövriert, ist der Gedanke: »Ich bin ein Sexmonster! Ich bin ein Sexmonster! Mein Gott hat mich so geschaffen.« Das allein wäre schon kurios und traurig genug. Gleicht man aber ab, auf welche Stellen im 3. Buch Mose sich hier berufen wird, scheint das Ganze nur noch abwegiger. Denn die Anweisung des Gottes lautet ja gar nicht: »Du sollst dich im Flugzeug neben keine Frau setzen.« Die hierfür bemühten Leviticus 18.6 und 18.19 untersagen Sex mit Blutsverwandten. Und Sex mit Menstruierenden. Die Urangst vor Frauen, die patriarchalem Denken innewohnt, hat es in den vergangenen drei Jahrtausenden geschafft, diese Vorschriften durch originelle Auslegung noch weiterzudrehen. Bei vielen ultraorthodoxen Juden ist schon die Körperberührung zwischen Mann und Frau verboten, ja es genügt bereits ein Blickkontakt, um in Teufels Küche zu geraten. Was wäre das für ein Gott, der alle Freuden der Sexualität schafft, um seine Leute auf Schritt und Tritt mit dieser Versuchung zu quälen? Wie verquer und verbohrt muss ein Mann denken, um in der Frau die Konversationspartnerin, Freundin, Geschäftspartnerin, Bekannte, Verwandte etc. zu negieren, nur weil sie zufällig eine Vagina und keinen Penis besitzt?

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