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Kai Althoetmar

Semana Santa

Guatemala.
Im Land des ewigen Frühlings

Edition Kultour

Wer in Guatemala Himmel und Hölle nah sein will, der steigt auf einen Vulkan. Denn dort ist man Gott und den Geistern nahe. Und auch dem „Weltpräsidenten“ - dem Teufel. Aber nur kurz vor Ostern, am Tag des Heiligen Josef, wenn sich katholischer Glaube und indianischer Aberglaube in Nebelwolken und Rauchschwaden verquirlen, wenn für tausend Toyotas gebetet wird und wenn der „Weltpräsident“ etwas zu hören bekommt: nämlich ein paar Chinakracher.

Alles fing so unverdächtig an: Rolando Herrera mußte zum ungefähr fünfzigsten Mal in seinem Leben den Vulkan Santa Maria besteigen. Der spuckt nur selten Asche, und den Gipfel in 3.772 Meter Höhe erkraxelt man locker in ein paar Stunden - denn der Fuß des Vulkans liegt schon zweitausend Meter höher als die Wellen des nahen Pazifiks. Rolando ist Direktor einer Spanisch-Sprachschule in Quetzaltenango im Hochland von Guatemala. Alle drei Wochen steigt er mit Sprachschülern aus aller Welt auf das Dach Guatemalas. Nicht um den „Weltpräsidenten“ auf der Vulkanspitze zu treffen, sondern weil eine Vulkanbesteigung im Wochenendprogramm seiner Spanischschule der Renner ist.

Früh um halb sechs lädt uns Rolandos uralter Kleinlaster zu Füßen der Heiligen Maria ab. Der Blick auf den Bergwald und seine Nebelkronen ist unheimlich - imposant. Nur Mike, ein Sprachschüler aus den USA, hatte eine Vorahnung. Oben auf dem Vulkan, da müßten wir ein paar Hühner opfern. Beim Aufstieg flattern uns aber nicht entfleuchte Hühner, sondern Miniatur-Helikopter um die Ohren: schillernd dunkelgrüne Kolibris, die im Flug Nektar aus Blütenkelchen saugen.

Laufend überholen uns Indios auf der Trampelpiste, sogar Frauen mit Kleinkindern auf dem Buckel. Die Maya-Nachfahren sind die dünne Luft gewohnt. Einer schleppt sogar einen Maissack den Vulkan hoch. Darin sind die Opfer für den „Weltpräsidenten“, wie sich noch herausstellen wird. Gegen Mittag ist die Spitze erreicht. Den Blick auf den nahen Krater verstellen die Wolken. Aber das macht nichts. Unser Blick fällt auf etwas viel Interessanteres: Zwei Indios zelebrieren auf dem Vulkangipfel einen Kult - den Opferkult für den „Weltpräsidenten“ am Tag des Heiligen Josef.

Die Indios, beide um die vierzig, beide in ärmliches Räuberzivil gewandet, haben auf der Vulkanspitze ein Lagerfeuerchen entzündet. Der eine hebt beschwörend die Hände und murmelt wie in Trance allerlei Beschwörungsformeln, der andere hockt mit seiner Pudelmütze andächtig daneben. Wir rücken näher und lauschen andächtig mit. Der Zeremonienmeister ist auf den Berg gestiegen - nicht als Prophet, sondern als Bittsteller. Er wirft Kerzen ins Feuer, die roten für Gott, den der Christen, die schwarzen für den „Presidente del mundo“, den „Weltpräsidenten“, den er mit bebender Stimme anruft. Der „Weltpräsident“ ist der Teufel, erzählt uns Rolando, der um die Vermischung von Christentum und Geisterglaube in seinem Land weiß.

Die Guatemalteken, zur Hälfte katholisch, zu einem Drittel mittlerweile evangelisch-freikirchlich, sind stockfromm, der Papst ist den Katholiken ein Heiliger, Maria die unbefleckte Empfängnis, und die Ostertage sind sakrosankt. Die Semana santa steht an, die Heilige Woche, die Karwoche. Aber die blutige Christenmission der spanischen Konquistadoren im 16. Jahrhundert hat nie die alten Bräuche und den Geisterglauben der Indios, der Ureinwohner im Maya-Land Guatemala, ganz auslöschen können.

Viele Mayas haben sich ihre eigene Religion gebraut: einen Mix aus Katholizismus und Aberglaube. Viele sind in die Fänge evangelikaler Sekten aus den USA geraten, deren Klatsch- und Schunkelgottesdienste Karl Marx’ Wort vom „Opium des Volkes“ Aktualität verleihen.

Der merkwürdige Bergpriester blättert in einem Gebetbuch, klappt es wieder zu, ruft eine halbe Hundertschaft Heiliger an und spricht auf Spanisch das „Vater unser“ und das „Gegrüßet seist Du, Maria“.

Der Mann mit der Pudelmütze entpuppt sich als eine Art guatemaltekischer Nikolaus. In seinem Maissack hat er die Geschenke für Gott und den Teufel hochgeschleppt: Fleisch, Schnaps, Zigaretten und Kerzen. Alles, was zischt und qualmt. Wie ein Meßdiener reicht er seinem Priester die Brandopfer dar. Im Feuer landet ein Brocken Fleisch - um den Teufel, die Inkarnation alles Fleischlichen, gnädig zu stimmen. Als nächstes gehen die Zigaretten, Marke „Rubios“, in Flammen auf. Weil der „Weltpräsident“ offenbar eine Schwäche für Hochprozentiges hat, landet auch der Schnaps aus dem Flachmann im Feuer. Doch zuerst nimmt er selbst noch einen Schluck.

Weiter geht es mit der Austreibung böser Geister. Wie bei uns zu Silvester. Ein lautes Knallen erschreckt uns. Ein paar Sträucher in der Umgebung scheinen zu explodieren. Fängt die Heilige Maria zu spucken an? Nein, der Vulkanpriester hat eine Ladung Chinakracher im Gestrüpp gezündet. Die Vulkanspitze ist jetzt geisterfreie Zone. Der „Weltpräsident“ ist nicht erschienen.

Es ist Zeit, Gott anzurufen. Ein paar rote Kerzen - ab in die Flammen! - stellen den Kontakt her. Unser Vulkanmann hat einen langen Wunschzettel. Pathetisch wirft er die Arme hoch. Jetzt fordert er Quetzal. Es geht um viel Geld. Erst bittet er den Allmächtigen um tausend Quetzal. „Heute noch, großer Gott, oder morgen.“ Er redet sich in Rage. Jetzt will er auf einmal Milliarden Quetzal. Denn er habe doch so viele Kerzen geopfert. Wie viele eigentlich? Frage an den Pudelmützen-Meßdiener. Aber der weiß es auch nicht.

Macht nichts, jetzt verlangt der Bergpriester Häuser, für sich und seine Familie. Und Autobusse - aber nur die billigen camionetas, die alten Klapperkisten. Und noch mehr: Gott solle auch Toyotas und ein paar Karossen mit dem Stern spendieren. Dann zündet der Zeremoniar sich eine Zigarette an. Allmählich können wir das Lachen nur noch schwer unterdrücken. Aber die beiden Indios nehmen uns anscheinend gar nicht wahr. Es folgen weitere Fürbitten. Für den Meßdiener: Auch ihn möge der Herr mit vielen Toyotas und Quetzal segnen. Schließlich habe er doch stets sein Haus reingehalten.

Wir machen uns auf zum Abstieg. Ein paar einheimische Jugendliche äffen den „Gottesdienst“ nach. Der Herrgott möge doch auch ihnen eine Milliarde Toyotas überlassen. Wir müssen zurück nach Quetzaltenango. Fünfzehn Kilometer sind es mindestes zu Fuß. In einem Favela-Dorf hält plötzlich ein Pick-Up neben uns an. Ob wir nach Quetzaltenango wollen? Mitfahrgelegenheiten in Guatemala sind selten, und oft ist ihnen nicht zu trauen. Ein paar Jugendliche aus der Favela steuern den Wagen. Sie wollen kein Geld. Auf Englisch sagen sie: „That’s common sense“, das ist Gemeinsinn - in einem Land, wo Mord, Hunger und der „Weltpräsident“ das Sagen haben. Das Fahrzeug ist ein Toyota - wie von Gott geschickt.

Tage später in Quetzaltenango. Vermummte Gestalten werfen Nägelbretter auf die Straße und zwingen die Autofahrer, anzuhalten. Wer noch keine Plakette an der Windschutzscheibe kleben hat, wird von den maskierten Gestalten zur Kasse gebeten. Auf den Straßen von Quetzaltenango ist der Teufel los, der „Weltpräsident“. Der hat viele Maskengesichter: die des Militärs, der Polizei, des irdischen Präsidenten, der Großgrundbesitzer und natürlich das von Uncle Sam. Andere haben Ku-Klux-Klan-Kostüme angelegt. Einige Häuserfassaden wurden mit Pech beschmiert, auch das Gebäude des Rotarier-Clubs. Der hatte die „Spende“ an die Vermummten verweigert.

Quetzaltenango und seine 140.000 Bewohner erleben den berüchtigten Huelga de Todos los Dolores del Pueblo de Guatemala, den „Schmerzensstreik“ der Studenten. Jedes Jahr zwei Wochen vor Ostern demonstrieren verkleidete Jugendliche mit Lärm, Umzügen, Theater und sanftem Terror gegen die soziale Schieflage in ihrer Heimat. „Land des ewigen Frühlings“ heißt die Reiseführeretikette für Guatemala. „Land der ewigen Diktatur“ nannten es seine Einwohner lange Jahre.

35 Jahre Bürgerkrieg, Krieg um Land und Gerechtigkeit, Krieg zwischen rechtsgerichteten Militärdiktaturen und einer linken Rebellenallianz, haben Guatemala fast zum Grab werden lassen. Zur Jahreswende 1996/97 wurde Frieden geschlossen. Aber die Armut blieb, vor allem die der Indios. Von den 12,7 Millionen Einwohnern Guatemalas sind fast zwei Drittel Indigene.

Das erpreßte „Schmerzensgeld“ geht an Altenheime und Krankenhäuser. Der „Schmerzensstreik“ der Studenten ist bitterer Ernst in einem Land, in dem die Vorhänge zugezogen werden, bevor man Fremden ein Video über Guatemalas Friedensnobelpreisträgerin, die Maya-Christin Rigoberta Menchú, zeigt. Oder über die Habenichtse, die auf den Mülldeponien von Guatemala-Stadt vegetieren. Kein Student würde ohne Maske bei den Streikumzügen eine Collage tragen, die den Präsidentenkopf auf einem Affenrumpf zeigt. Aus Angst, für immer zu verschwinden in einem Land, in dem die Justiz mit der impunidad, der Straflosigkeit, noch immer ihre schützende Hand über die Militärs und ihre Häscher hält.

Dem „Schmerzensstreik“ folgt wenige Tage später eine Parade der Frömmigkeit. Am Palmsonntag. Luis Ramírez, mein Spanischlehrer, erzählte mir eine traurig-komische Geschichte. Auch in Quetzaltenango, sagte Luis mir, seien die Menschen sehr fromm, die Ladinos - die Mischlinge - wie die Indios.

Einmal zu Palmsonntag sah Luis durch die Straßen und Gassen von Quetzaltenango eine Marienprozession ziehen. Die schwere, mit Blattgold und Nippes behangene Marienstatue schwankte über den Schultern zweier kräftiger Männer. In einer Gasse stieß die Mutter Gottes plötzlich gegen eine tiefhängende Stromleitung, und das Gewand der Marienstatue fing Feuer. Und auch die beiden Männer, die sie trugen, standen im Nu in Flammen. Unter den Teilnehmern und Zuschauern der Prozession entstand Panik: Die Heilige Mutter Gottes brannte! Ein Pulk von Menschen stürzte sich auf die Madonna und versuchte, mit Kleidungsstücken oder dem eigenen Körper den Madonnenbrand zu löschen. Für die beiden Träger aber interessierte sich erstmal niemand. Das irdische Leben zählt nicht viel in Guatemala, die Symbole einer späteren, einer himmlischen Welt zählen alles.

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9783742788214
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