Читать книгу: «Apokalypse Für Einsteiger», страница 4
Kapitel 10
»Emma, hast du einen Voll-Knall?«, Linas Stimme überschlug sich vor Empörung. »Du gehst ernsthaft mit dem Mann fröhlich essen, wegen dem du jahrelang gelitten hast?«
»Na ja … Jahrelang …«
»Du hast zwei Monate heulend vor dem Fernseher gesessen, hast dir sämtliche Liebesschnulzen reingezogen, die männliche Hauptfigur erst ausgebuht, dann beschimpft und am Ende hast du brüllend auf den Fernseher eingeschlagen!«
»Das war eine schwere Phase …!«
»In der du dir 3 neue Fernseher gekauft hast...«
»5 eigentlich …«
»Außerdem bist du samstags immer auf fremden Hochzeiten aufgetaucht, hast den Bräutigam geohrfeigt und die Braut eine naive Ziege genannt. Anschließend hast du den Brautstrauß zertrampelt …«
»Ich hatte eben eine eigene Form mit meinem Schmerz umzugehen und die Vergangenheit zu bewältigen …«, versuchte ich mich ungelenk zu verteidigen.
»Ja, aber dem Papst zu schreiben er solle die Ehe abschaffen, sonst würdest du ihm seinen Stab und sein Auto klauen, ist keine Vergangenheitsbewältigung, sondern hochgradig bescheuert!«
»Ja, okay! Deine Argumente sind nicht ganz von der Hand zu weisen!«, gab ich kleinlaut zu.
»Wie kannst du ihm nur noch eine Chance geben? Wie kannst du mit diesem Mann noch reden und noch schlimmer: WIE KANNST DU IHM NACH 5 MINUTEN EIN DATE ZUSAGEN? Hast du in deinem Supermarkt zu lange an saurer Milch gerochen? Hat er dich bedroht oder gezwungen? Oder hast du einen Plan es ihm heute Abend so richtig heimzuzahlen? REDE MIT MIR oder ich hole die freundlichen Männer, die dir die neueste Mode der Zwangsjackenkollektion vorführen …« Lina hatte sich so in Rage geredet, dass sie nun völlig außer Atem war und sich an meinem Wohnzimmerschrank festhalten musste um nicht umzukippen.
»Lina! Ich habe es ja begriffen! Ich gebe zu, es ist eine schlechte Idee …«, murmelte ich beleidigt.
»Nein Emma! Eine schlechte Idee ist es den Klitschko-Brüdern ihre Milchschnitte wegzunehmen oder dem Zahnarzt während der Behandlung zu sagen, dass man seine Frau flachgelegt hat! Das was DU vorhast, ist purer Wahnsinn und ich werde das keine Sekunde länger unterstützen …«
»Ich hatte gehofft, du sagst mir was ich anziehen soll!«, sagte ich hilfesuchend und setzte meinen Du-bist-doch-meine-beste-Freundin-Blick auf.
»Einen schwarzen Rollkragen-Pulli und grün-orange gestreifte Leggins …«, frotzelte Lina!
»Ach komm schon!«, bettelte ich. »Ohne dich bin ich aufgeschmissen!«
Lina verdrehte die Augen, hielt mir den Zeigefinger unter die Nase und drohte: »Wehe du kommst nachher angekrochen, wenn das alles wieder gegen die Wand fährt! Und jetzt zeig mal was du hast …«
Während ich auf meinem Bett meine komplette Garderobe ausbreitete und mir klar wurde, dass ich trotz wöchentlicher Shoppingtouren mit Lina eigentlich nichts wirklich Brauchbares zum Anziehen hatte, versuchte ich meine Nervosität nicht gewinnen zu lassen und völlig durchzudrehen.
»Ich schätze, es ist einfach so passiert.«, versuchte ich Lina zu erklären wie es zu dem Date kam
»MÖÖP!« Lina imitierte eine Hupe um mich zum Schweigen zu bringen. »Netter Versuch, aber das kaufe ich dir nicht ab!«, belehrte sich mich. »So etwas passiert nicht einfach so! Aus Versehen den falschen Joghurt zu kaufen oder die Lieblingsbluse der besten Freundin im falschen Waschgang zu waschen und sie so völlig zu ruinieren, so etwas passiert einfach so!«
»Moment mal … Sprichst du etwa von meiner hellblauen Bluse? Ich frage mich die ganze Zeit wo die ist!!«
Lina blickte für eine Sekunde schuldig drein und konterte dann: »Hey wir reden jetzt von deinen Problemen. Also nicht ablenken!«
Ich seufzte … »Ich will mir zumindest anhören, was er zu sagen hat. Er hat versprochen mir heute Abend alles zu erklären und vielleicht kann ich ja danach endlich abschließen. Ich will mich einfach nicht mehr nach dem »Warum« fragen, verstehst du?«
Lina blickte mich mitfühlend an und legte mir einen Arm um die Schulter: »Oh Emma!« Sie drückte mich an sich, sah mir tief in die Augen und sagte dann: »Das ist kompletter Bullshit!«
»Was?«, fragte ich verwundert und stieß sie weg.
»Wir wissen doch beide, dass du Tom nur einmal in seine blauen Augen schauen musst und sofort bist du ihm wieder total verfallen … Du gehst nicht hin um Antworten zu finden. Du willst eine zweite Chance … Du willst immer noch, dass er dich heiratet. Und sorry, meine Süße, aber das ist erbärmlich!«
»Na vielen Dank auch!«, zischte ich wütend. »Und so jemand schimpft sich meine Freundin!«
»Genau aus dem Grund sage ich es dir auch wenn du es nicht hören willst. Du bist mir wichtig und er wird dir wieder wehtun. Such dir lieber einen anderen Kandidaten. Man kann so leicht nette Männer kennenlernen. Es kann jederzeit passieren …«
Ich wollte Lina gerade über den Mund fahren und ihr eine genaue Orts-Beschreibung geben, wohin sie sich ihre guten Ratschläge gepflegt schieben konnte, als ich ihr verschmitztes Lächeln bemerkte.
»Lina? Kann es sein, dass du jemanden kennengelernt hast?«, fragte ich sie grinsend.
Lina machte ein betont harmloses Gesicht und flötete unschuldig: »Ich weiß nicht, was du meinst!«
»Ich fasse es nicht!«, schrie ich laut vor Freude. »Hast du tatsächlich endlich mal einen Treffer gelandet. Bist du verliebt? Na erzähl schon!«
»Ach es ist nichts!«, lächelte Lina und winkte ab, aber ich konnte ihre Freude und ihr Glück förmlich spüren.
»Na komm erzähl schon! Dir springen doch schon lila Hasen aus dem Hintern! Los!«
»Also es kam heute jemand zu uns ins Zoogeschäft …«
»Okay … Daran solltest du dich gewöhnen. Das nennt man Kundschaft.«
»Witzbold! Also wir kamen ins Gespräch und haben lange geredet und ich fand ihn echt nett und er mich, glaub ich, auch und wir haben uns über Tiere unterhalten und unsere Hobbys …«
»Okay mehr Infos bitte … Wer? Wie? Was? Wie alt? Kann er für dich sorgen? Hat er einen hübschen Bruder?«
»Also er heißt Bernd …«
Ugh … Waren alle anderen blöden Namen schon weg?
»...ist Buchhalter …«
Oh ja, das klingt nach einem sexy Bad Boy...
» …und er hat einen Pudel …«
Okay weniger Infos, bitte!
»Lass mich raten, er wohnt noch bei seiner Mutter?«, fragte ich feixend.
»Nur vorrübergehend!«, verteidigte Lina ihren neuen Schwarm.
»Und du nennst mich erbärmlich, ja?«, fragte ich lachend.
»Bernd ist ein sehr sensibler und tierlieber Mensch und er hat mich gefragt, ob wir mal zusammen Spazierengehen …«, brummte Lina beleidigt.
»Bernd klingt nach einem Superfang. Vielleicht könnt ihr ja zusammen den Buchclub besuchen und Briefmarken tauschen?«
»Du müsstest ihn einfach nur kennenlernen! Dann würdest du nicht so reden!«
Ich konnte nicht erkennen, ob Lina nun wütend, verletzt oder beides war, aber ich beschloss, sie nicht weiter zu reizen. In Sachen Männergeschmack kamen wir wohl nie auf einen gemeinsamen Nenner. Außerdem musste sie mir jetzt bei meinem Klamottenproblem helfen. Tom würde mich bald abholen kommen und dann musste ich umwerfend aussehen. Er sollte es bereuen mich je verlassen zu haben.
Auf jeden Fall musste ich meine neuen High-Heels anziehen. Das war genau sein Ding, das wusste ich noch. Also musste ich mein Outfit um die Schuhe herum aufbauen. Lina und ich brauchten eine geschlagene Stunde um zu entscheiden was mir am meisten stand und in welchem Outfit ihm wohl am ehesten der Sabberfaden aus dem Mundwinkel hängen würde.
Nachdem sie mir auch beim Schminken geholfen hatte, verabschiedete sich Lina von mir nicht ohne ein weiteres Mal darauf hinzuweisen, dass ich doch lieber mit einer Halskette aus Steaks im Krokodilgehege baden gehen sollte, weil das die gesündere Alternative wäre. Als ich schließlich allein bei mir am Küchentisch saß, fertig geschminkt und gestylt und meinem Kater beim Fressen beobachtete, musste ich mir eingestehen, dass sie wohl Recht hatte.
Noch war es nicht zu spät abzusagen. Ich könnte mich ins Ausland absetzen oder meinen Tod vortäuschen oder ihm einfach sagen, dass ich tierisch Angst hatte wieder so verletzt zu werden … Aber irgendwo in mir drin gab es diese Hoffnung. Die Hoffnung dass unsere Geschichte noch nicht zu Ende war und wir das Happy End bekamen, auf das wir so lange hingearbeitet hatten …
Die Türklingel riss mich aus meinen Gedanken.
Das musste er sein. Er war viel zu früh. Sollte ich einfach so tun als sei ich nicht zuhause?
Blödsinn! Ich setzte meinen verführerischen Blick auf, zupfte mein Kleid zu Recht, fuhr mir durch die Haare, öffnete betont lässig die Tür und erschrak fast zu Tode.
Vor mir stand ängstlich der kleine Junge, der mir am Tag zuvor den Weltuntergang vorausgesagt hatte und sah mich aus seinen braunen Augen flehentlich an.
Er krallte sich um meine Beine und flüsterte:
»Bitte lass mich rein, sonst findet er mich …«
Kapitel 11
»Willst du mir sagen wie du heißt?« Ratlos stand ich in meiner Küche und beobachtete den Jungen, der an meinem Küchentisch saß und ein Glas O-Saft umklammerte. Sein Blick suchte meine Küche ab, als ob hier irgendetwas versteckt wäre. Er nahm einen großen Schluck aus dem Glas und sah mich unsicher an. Seine Jacke und die Mütze hatte er immer noch an.
»Willst du dir nicht den Anorak und die Mütze ausziehen? Es muss dir doch viel zu warm sein …«
Er schüttelte stumm mit dem Kopf.
»Du musst schon mit mir reden, sonst kann ich dir nicht helfen …«
Wieder wich der Junge meinem Blick aus und fixierte das Glas in seiner Hand. In meinem Kopf purzelten tausend Gedanken herum. Wer war dieser kleine Kerl? Woher wusste er wo ich wohnte? Warum war er so besessen von mir? Hatte er psychische Probleme? Machte ich mich strafbar, da er jetzt in meiner Küche saß und Saft schlürfte? Sollte ich die Polizei rufen? Und was wenn Tom gleich auftauchen würde? Mir wurde von den vielen Gedanken ganz schwindelig und seufzend setzte ich mich neben den Jungen an den Tisch.
»Luca«, murmelte der Junge leise.
»Ist das dein Name?« Ich neigte mich nach vorne um auf Augenhöhe mit ihm zu sein. Er nickte schüchtern mit dem Kopf.
»Hör mal, Luca! Wir müssen deinen Eltern Bescheid sagen, dass du hier bist, sonst kriege ich Probleme!«
Der Junge schüttelte heftig mit dem Kopf und griff nach meinem Arm: »Frau Schwarz, du musst mir helfen!«
»Und wie?«, fragte ich unsicher.
Luca ließ meinen Arm los und griff wieder nach dem Glas. Ich wartete noch auf eine Antwort, aber er schwieg.
»Wovor hast du denn solche Angst? Du meintest er soll dich nicht finden … Wer denn?«
»Die Welt gibt es bald nicht mehr!«, wisperte Luca.
»Schon wieder diese Weltuntergangsgeschichte? Die Welt existiert seit mehreren Millionen Jahren. Die geht so schnell schon nicht unter.«, erklärte ich ruhig und versuchte dabei nicht allzu genervt zu wirken.
»Es ist bald soweit!«, flüsterte Luca. »Sie haben gesagt, dass du die Einzige bist die das verhindern kann … Wenn du nichts machst, dann ist bald alles vorbei …«
»Wer sind denn Sie? Wer erzählt dir denn solche Geschichten? Wo … Woher kennst du mich überhaupt?« Ich war so eindeutig überfordert mit der Situation. Ich erhob mich vom Stuhl und ging nervös in der kleinen Küche auf und ab. Vielleicht sollte ich doch lieber die Polizei holen. Dieser Junge war offenbar verwirrt oder hatte ein schweres Trauma oder Schlimmeres erlebt und brauchte professionelle Hilfe. Und die konnte ich ihm nicht geben. Also blieb nur Polizei rufen als Option.
»Bitte holen Sie nicht die Polizei!«
Ich erstarrte. Woher wusste er was ich vorhatte?
»Und auch nicht meine Eltern bitte … Ich werde gleich wieder gehen … Ich will nur …« Er sah mich eindringlich an. »Ich will nur, dass du mir versprichst, dass du Welt rettest, wenn es soweit ist …!«
Ich atmete tief ein und aus, setzte mich wieder auf den Stuhl neben Luca und sah ihn eine Zeitlang an. Er war ein hübscher Junge und seine Augen schienen förmlich zu strahlen und ich konnte erkennen, dass er den gleichaltrigen Kindern einen weiten Schritt voraus sein musste. Ich wusste nur nicht, ob das etwas Gutes war. Gleichzeitig wirkte er aber auch kraftlos, erschöpft und war ziemlich blass. Er war definitiv kein normales Kind.
Ich goss ihm ein wenig Orangensaft nach und lächelte ihn hilflos an.
»Luca …! Ich weiß leider überhaupt nicht was du meinst! Selbst wenn ich dir helfen wollte und wenn ich an so etwas glauben würde... Ich kann doch keinen Weltuntergang aufhalten!«
Lucas braune Augen musterten mich intensiv und dann seufzte er leise enttäuscht: »Du bist noch gar nicht bereit dazu …«
»Das sage ich dir die ganze Zeit, kleiner Mann …! Ich bin einfach die Falsche für sowas …«
Eine einzelne Tränen kullerte stumm Lucas Wange herunter. Er atmete schneller und presste die Lippen aufeinander und ich konnte spüren wie sehr er gegen die Tränen ankämpfte. »Ich will ja tapfer sein … Aber ich will nicht, dass das passiert … Ich will nicht, dass das Ende kommt … Ich … Ich will nicht sterben …«
»Luca …« Ich konnte nicht anders. Ich musste ihn in den Arm nehmen und an mich drücken. Egal ob verwirrt oder nicht, dieser Junge brauchte jemanden, der für ihn da war und ihn tröstete. Warum er aber ausgerechnet eine erfolglose, verbitterte Einzelhandelskauffrau als Hilfe wollte, wusste wohl nur er.
»Niemand wird sterben! Du musst keine Angst haben!«
Luca blickte mich hoffnungsvoll an und schluchzte: »Versprichst du es?«
Oh je! Ich schluckte. Was sollte ich ihm antworten? Wie konnte ich so etwas zu sagen? Mit Versprechen jeglicher Art hatte ich ziemlich miese Erfahrungen gemacht. Wie sehr es weh tat, wenn es nicht eingehalten wurde, wusste wohl kaum einer besser als ich... Tom hatte versprochen mich zu heiraten... Sogar einen Verlobungsring hatte er mir als Zeichen seines Versprechens geschenkt … Ein wunderschöner Ring mit einem Saphir … Jetzt versauerte er in einem Schmuckkästchen auf der Kommode … So eine Enttäuschung wollte ich dem Jungen ersparen. Andererseits setzte Luca all seine Hoffnung in mich.
Ich beschloss es mit Ehrlichkeit zu probieren.
»Luca, ich weiß leider überhaupt nicht was ich tun kann um dir zu helfen.«
»Rette die Welt …«, flüsterte er.
Er sagte das mit solch einer Intensität, dass die Worte sich tief in mir festsetzten und mich noch lange beschäftigen sollten.
Wir saßen einige Minuten schweigend nebeneinander.
»Wieso hast du Angst, dass Leute sterben?«, fragte ich sanft und durchbrach das unangenehme Schweigen.
Luca sah mich nicht an. Sein Blick war stur auf das inzwischen leere Glas gerichtet.
»Wie wird die Welt denn untergehen? Was wird passieren?«
Ich brauchte konkrete Informationen wenn ich Luca helfen wollte und mir gingen allmählich die Ideen aus. Hilflos versuchte ich seinen Blick wieder zu gewinnen, aber es war als wäre er versteinert.
»Kommt da eine Naturkatastrophe? Eine Überschwemmung vielleicht?
Wieder keine Reaktion.
Ich war mit meinem Latein am Ende. Aus dem Jungen war einfach nichts herauszubekommen …
Plötzlich fiel mir Kikumi ein und ihr Traum von dem sie erzählt hatte. Sollte ich es erwähnen? Es war nur das Gefasel einer alkoholisierten Spinnerin gewesen und ich wollte Luca nicht noch mehr verschrecken, aber es war die einzige Idee die ich noch in Reserve hatte.
Ich berührte ihn vorsichtig am Arm und sagte leise: » Luca, meinst du ein Erdbeben?«
Mit aufgerissenen Augen wand sich Luca ruckartig zu mir um und sah mich entsetzt an. »Du weißt von dem Erdbeben? Wie kannst du davon wissen?«
Erschrocken über seine plötzliche Reaktion wich ich ein Stück zurück. Ich spürte wie eine Gänsehaut sich auf meinem Arm bildete und ein Schauer meinen Rücken herabrieselte. Langsam wurde mir das hier alles zu schräg.
»Nein Luca!«, antwortete ich hysterisch. »Ich weiß nichts von einem Erdbeben. Ich weiß gar nichts. Ich weiß nur, dass meine bescheuerte Nachbarin seltsame Träume hat und dass du meine Hilfe willst um die Welt zu retten und bei aller Liebe, aber diese Untergangstheorien sind mir einfach zu surreal!«
Luca sah mir verwirrt zu, wie ich ziellos durch meine Küche tigerte und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Sein verständnisloser Blick verriet mir, dass er wohl ebenfalls begann an meinem Verstand zu zweifeln. Super, dann waren wir schon mal zwei.
»Was ist das mit dem Erdbeben?«, fragte ich in einem ruhigeren Ton.
Luca biss sich auf die Unterlippe und schien unentschlossen ob er etwas sagen sollte oder nicht.
»Luca bitte!«, zischte ich ungeduldig. »Ich kriege gleich Besuch und habe nicht viel Zeit. DU bist zu mir gekommen und willst meine Hilfe. Also spuck es aus. Was für ein Erdbeben meinst du?«
Luca sah mich einen Moment an und lächelte traurig.
»Es sind drei...«, flüsterte er so leise, als hätte er Angst, dass wir belauscht werden könnten.
»Drei?« Wieder spürte ich die Gänsehaut auf meinem Arm.
»Das erste wird ganz leicht. Ehe man begreift was passiert, wird es wieder vorbei sein. Das zweite wird stärker … Dinge werden kaputt gehen, aber jeder wird es wohl gut überstehen … Dann kommt das Dritte … Es wird gewaltig … Straßen werden verschwinden und …«
Die schrille Türglocke ließ Luca verstummen.
TOM!
So ein Mist! Sein Timing war schon immer grauenhaft gewesen. Bei unserem ersten Date kam er zwei Stunden zu früh und fiel dann vor Schreck rückwärts die Treppen hinunter, als ich ihm im Bademantel mit meiner Ingwer-Aloe-Vera-Maske die Tür öffnete. Beim ersten Treffen mit meinen Eltern kam er zwei Stunden zu spät, woraufhin mein Vater so sauer war, dass er Tom am liebsten auf den Buffettisch gepfeffert hätte. Und auch heute kam er denkbar ungünstig, wenn auch pünktlich.
Die Klingel schellte ein zweites Mal und Luca suchte ängstlich nach einem Ausweg.
»Du musst keine Angst haben, Luca! Das ist nur mein Ex Tom. Der tut keinem was. Also … Na ja gut, er kriegt einen dazu, sich in ihn zu verlieben und ihn heiraten zu wollen und sein ganzes Leben um ihn herum aufzubauen, so dass du nicht mehr ohne ihn leben kannst und praktisch völlig abhängig bist und jede Sekunde mit ihm verbringen willst. Nur um dir dann anschließend bestialisch das Herz in tausend Stücke zu zerreißen und dich mit den schlimmsten Schmerzen, die du je empfunden hast allein zu lassen … Aber sonst ist er eigentlich ganz harmlos.«
Luca starrte mich mit offenem Mund an und raunte: »Oh je …Du hast ja ne Vollscheibe.«
»Ich ähm … Was? Na danke! Ich habe keine »Vollscheibe«. Was auch immer das sein mag!«, zischte ich säuerlich.
Luca grinste. »Oh doch! Du hast ne totale Vollscheibe!«
Langsam verlor ich mein Mitleid mit diesem frechen Gör.
»Und so jemand soll die Welt retten? Ich frage mich, was die sich dabei gedacht haben …«, murmelte Luca ungläubig zu sich selber.
»Ja! Ganz meine Rede! Wer sich das überlegt hat, hat definitiv nicht mehr alle Pfannen auf der Reihe!«
Als es das dritte Mal energisch klingelte, öffnete ich die Tür einen Spalt und sah einen genervten, aber verdammt gutaussehenden Tom mit Blumen vor der Tür stehen. Er hob skeptisch eine Augenbraue und fragte bissig: » Hattest du vor mich noch heute reinzulassen oder komm ich grad irgendwie ungünstig?«
Überfordert mit der Situation blickte ich nervös zwischen Luca und Tom hin und her.
»Ja, es ist grad irgendwie schlecht!«, stammelte ich. »Ich hab da noch diese Sache, die ich zu Ende bringen muss.«
»Dir ist aber schon klar, dass wir für jetzt verabredet sind, oder?«
»Tom, wir waren vor 7 Jahren schon einmal verabredet vor dem Standesamt. Soweit ich mich erinnere, war ich an dem Tag da …«, antwortete ich zynisch.
Tom zog eine Grimasse und versuchte durch den Türspalt zu schielen.
»Du hast jemanden bei dir, oder? Musst du mit einem deiner zahlreichen Lover noch eine Nummer zu Ende bringen?«
»Ich … Was? Nein! Sag mal, was denkst du denn von mir?« Meine Stimme wurde schärfer.
»Na du hast doch selber erzählt, dass du so viele Dates hast …«, verteidigte sich Tom beleidigt.
War Tom gerade eifersüchtig? Mir gefiel die Richtung, in die sich das Ganze entwickelte.
»Ich habe keinen Besuch … Also nicht soo einen Besuch. Ich ähm … Ach scheiß drauf!«
Ich öffnete die Tür und mit einer Handbewegung stellte ich die Beiden einander vor.
»Tom – Luca! Luca – Tom!«
Toms Kinnlade schien auf den Boden zu knallen. Seine Augen weit aufgerissen stammelte er: »Ist der von dir? Wie alt ist der? 6? 7?«
Sein Gesicht schien gleichzeitig knallrot und leichenblass zu sein und verriet das der Herzinfarkt nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.
»Emma, oh mein Gott! Warum hast du nichts gesagt? Ist das mein …? Oh Gott mir wird schlecht!«
Tom krallte sich so stark an meinem Türrahmen fest, dass ich Angst hatte, dass er Kratzspuren hinterlassen würde.
Wie gerne hätte ich jetzt geantwortet: »Ja Tom. Das ist dein Sohn, den du jahrelang vernachlässigt hast und der endlich seinen Vater kennenlernen will …«, aber ich wollte keinen toten Tom auf meiner Türschwelle haben, denn dieser Satz hätte ich höchstwahrscheinlich die Lichter ausgeblasen.
»Beruhige dich Tom! Das ist nicht mein Sohn. Das ist …« Ja was sollte ich sagen? Ein fremder Junge, der mich im Supermarkt angesprochen hat, der jetzt bei mir in der Küche saß und mir erzählt hat, dass die Welt untergehen wird?« Das klang weder glaubwürdig noch legal.
»Das ist nur ein Junge, auf den ich aufpasse!«
Tom sah skeptisch zu Luca. »Aha! Und wozu? Du hast doch selber kaum Freizeit bei deinem Job! Und ich kenne dich. Deine Freizeit ist dir heilig!«
»Ja er …« Mist, mir muss schnell etwas einfallen. Ich flüsterte zu Tom: »Er ist etwas zurückgeblieben und ich mach das ehrenamtlich!«
»Ich bin überhaupt nicht zurückgeblieben!«, protestierte Luca und warf mir einen bitterbösen Blick zu.
»Ja Herzchen, ist gut!«, sagte ich sanft und streichelte gespielt besorgt über seinen Kopf. Sein zorniger Gesichtsausdruck brachte mich aber dazu sofort damit aufzuhören, aus Angst er würde mir in die Hand beißen!
Toms Blick wurde mit einem Mal sehr sanft und gütig und er betrachtete mich in einer Weise in der mich vorher noch nie angesehen hatte: Ehrliche Bewunderung.
»Wow, Emma! Du hast dich echt verändert. Sei mir nicht böse, aber ich hätte es wirklich nicht gedacht, dass du mal ehrenamtlich für andere Menschen da bist. Ich hielt dich immer für sehr egozentrisch und, schlag mich bitte nicht, auch für sehr egoistisch. Das du so voller Nächstenliebe steckst ist wundervoll zu sehen und ich finde die Seite bemerkenswert … Ich habe dich wohl wirklich unterschätzt …«
Obwohl Toms Aussage als Kompliment gemeint war, traf es mich bis ins Mark. Tom hielt mich für egoistisch? Was dachte er noch alles über mich? War ich wirklich so sehr auf mich konzentriert und so selbstverliebt, dass es für Tom unvorstellbar war, dass ich Gutes tat? Lina hatte ja ähnliches erwähnt … Dachte mein ganzes Umfeld so von mir? Und wenn die Leute, die mich liebten schon so von mir dachten …
Luca sah mich immer noch verletzt an.
»Gibst du uns noch 5 Minuten?«, fragte ich Tom.
Er nickte, winkte Luca zu und verschwand im Wohnzimmer.
Ich kniete mich vor Luca, nahm sanft seine Hände und flüsterte: »Ich verspreche es!«
Lucas Gesicht hellte sich schlagartig auf.
Ich glaubte noch immer nicht an den Weltuntergang oder die Erdbebentheorie und ich würde mein Versprechen wahrscheinlich bereuen, aber es war an der Zeit etwas zu ändern. Da war ein Junge und der brauchte Hilfe und ich wollte nicht mehr dieser Mensch sein, der nur an sich selbst dachte.
»Also wenn die Situation kommt, in der ich was tun kann um die Welt retten, dann werde ich das machen. Versprochen! Aber ich habe keine Ahnung wie ich das anstellen soll!«
Luca fiel mir um den Hals, drückte mich so fest seine kleinen Ärmchen konnten und flüsterte mir: »Danke« ins Ohr.
»Ich komme wieder und dann sage ich dir was du brauchst und was du tun kannst.«
»Mach das!«, sagte ich liebevoll und sah wie er im Treppenhaus verschwand. Er war genauso schnell weg wie er gekommen war und ich sah ihm noch ein Weilchen hinterher.
Ich hatte ein Versprechen gegeben. Das Versprechen die Welt zu retten.
Und dieser Moment sollte alles verändern …