Читать книгу: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 95»

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Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-419-7

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Zehn Tage waren vergangen, seit die „Isabella VIII.“ der Packeishölle entronnen war. Vor einem steifen Wind aus Südost segelte die Galeone etwa dreihundert Meilen querab der südamerikanischen Küste unter Vollzeug auf Kurs Nord. Eine achterliche lange Dünung hob und senkte Schiff und ließ den Bug manchmal tief in die grünblaue See eintauchen. Am wolkenlosen, blauen Himmel stand die Sonne. Mit jeder Meile, die die Galeone nordwärts segelte, wärmten ihre Strahlen mehr.

Will Thorne, der sich erstaunlich rasch von seiner schweren Lungenentzündung erholte, saß zusammen mit Bill, den neuen Schiffsjungen der „Isabella“, auf den Planken der Kuhl und war damit beschäftigt, zwei Persenningbahnen zusammenzunähen. Bill half ihm dabei. Er hatte sich erstaunlich geschickt und gelehrig im Umgang mit der Segelnadel erwiesen.

Kritisch verfolgte er jeden Stich des Segelmachers, während es hinter seiner glatten Jungenstirn sichtlich arbeitete.

„Kaum zu glauben!“ hörte er den alten Segelmacher murmeln. „Noch vor ein paar Tagen dieses verdammte Packeis und die klirrende Kälte, die einen sogar unter Deck fast in der Koje festfrieren ließ, und heute eine Sonne, die einem die alten Knochen mal wieder so richtig durchwärmt!“ Wohlig dehnte er die Schultern, und gleichzeitig warf er einen nachdenklichen Blick auf den Jungen. So anstellig und geschickt wie Bill hatte sich bisher noch niemand gezeigt. Er beobachtete, wie der Junge Stich um Stich sauber und akkurat ausführte, nicht zu lang, nicht zu kurz, sondern genauso, wie sie sein mußten und wie er selbst sie nicht hätte besser ausführen können.

Bill spürte den Blick des Segelmachers und sah den Alten an. Will Thorne hatte längst bemerkt, daß den Jungen irgend etwas beschäftigte, daß ihm irgendeine Frage auf den Lippen brannte.

Er lächelte dem Jungen zu.

„Nun, Bill, was möchtest du denn wissen?“ ermunterte er den Jungen. „Ich sehe doch schon die ganze Zeit, daß dir eine Frage auf der Seele brennt, also heraus damit. Was willst du wissen?“

Zum Erstaunen des Alten lief Bill rot an. Verlegen blickte er zu Boden und schluckte ein paarmal.

Will Thorne schüttelte den Kopf. So kannte er Bill gar nicht, der Junge hatte sich ganz im Gegenteil wirklich gemausert, er schien sich unter den Seewölfen sauwohl zu fühlen, und die „Isabella“ war nach dem Tod seines Vaters zu einer neuen Heimat für ihn geworden.

„Los, heraus damit, Bill! Wenn ich kann, dann werde ich dir antworten. Also?“

Bill gab sich einen Ruck.

„Ich habe gehört, daß diese Persenning für Siri-Tong sein soll, wenn – wenn sie sich morgens wäscht …“ Wieder wurde Bill rot bis über beide Ohren, er wagte nicht, den alten Segelmacher anzusehen.

Auch Will Thorne war erstaunt. Natürlich stimmte das, was der Junge da sagte, schließlich war Siri-Tong eine Frau, eine bildhübsche noch dazu. Sie konnte sich nicht einfach vor den Augen der Seewölfe splitternackt an Deck waschen, aber wie, zum Teufel, hatte der Junge schon Wind davon gekriegt?

Gespannt wartete der Segelmacher auf die nächste Frage, obwohl er bereits ahnte, wie sie lauten würde.

Bill, einmal entschlossen, überwand seine Verlegenheit und ließ nicht mehr locker.

„Ich meine, also ich habe mir überlegt …“; abermals gab er sich einen spürbaren Ruck, „also warum muß Siri-Tong hinter einer Wand aus Segeltuch stehen, wenn sie sich wäscht? Wir waschen uns doch alle einfach an Deck! Und wer schüttet ihr denn nun eine Pütz Salzwasser drüber?“

Will Thorne mußte sich gewaltsam das Lachen verbeißen. Das war ja heiter, und jetzt saß er ganz hübsch in der Klemme. Himmel und Hölle, was sollte er diesem aufgeweckten Bürschchen bloß antworten?

Mit einer Gegenfrage versuchte er Zeit zu gewinnen, und er konnte nicht ahnen, wie gut ihm das gelingen sollte.

„He, Bill, sag mal, wie kommst du eigentlich auf so was?“ fragte er. „Wer hat dir gesteckt, wozu wir beide die Persenning nähen?“

Bill hatte seine anfängliche Verlegenheit überwunden. Zudem mochte er den alten Segelmacher von Herzen gern.

Er rutschte ein wenig näher an Will Thorne heran, dann beugte er sich zu ihm hinüber.

„Ich weiß mehr als du denkst. Neulich habe ich vom Großmars aus gesehen, wie Siri-Tong sich gewaschen hat. Der Profos hatte alle Männer nach vorn gejagt, nur mich hat er nicht bemerkt. Ich konnte nicht mehr weg, da habe ich eben zugeschaut. Ist das denn eigentlich schlimm, daß sie anders aussieht als wir Männer? Ich finde sie hübsch, wirklich, sie ist – ist – einfach – ach ich weiß auch nicht. Ich mag sie schrecklich gern, Will, ich finde es schade, daß sie sich jetzt hinter der blöden Persenning verstecken will. Vor dem Seewolf versteckt sie sich doch auch nicht.“

Will Thorne fuhr hoch. Und diesmal stand auf seiner Stirn eine steile Falte des Unmuts.

„Hör mal, Junge, was weißt du vom Seewolf und Siri-Tong? Du hast doch nicht etwa auf dem Achterdeck, ich meine von der Heckgalerie aus …“

Weiter gelangte er nicht. Siri-Tong, von den beiden unbemerkt, hatte an der Schmuckbalustrade gelehnt und alles gehört. Zuerst hatte sie sich köstlich über den Bengel amüsiert, nur die Wendung, die das Gespräch zuletzt genommen hatte, ging ihr verdammt gegen den Strich.

Mit einem Satz war sie in der Kuhl. Und da alle anderen damit beschäftigt waren, Schäden auszubessern, die Decks zu klarieren, die gesamte Takelage, das laufende wie das stehende Gut zu überprüfen, wobei sie von der Donnerstimme des Profos Ed Carberry kräftig angetörnt wurden, nahm niemand von den dreien in der Kuhl sonderlich Notiz.

Die Rote Korsarin fackelte nicht lange. Sie hockte sich kurzerhand neben Bill und griff sich sein rechtes Ohr.

Schreckenstarr sah der Junge sie an, aber das half ihm gar nichts.

„Hör mal, Bürschchen, wann hast du den Seewolf und mich belauscht?“ Der Zug an Bills Ohrläppchen verstärkte sich, die dunklen, leicht geschlitzten Augen der Roten Korsarin funkelten den Bengel an.

Will Thorne registrierte den Ärger in Siri-Tongs Gesicht, und auch er selber war wütend. Aber dann mußte er über das Häufchen Elend, das da neben ihm und vor der Roten Korsarin auf der Kuhl hockte, innerlich lachen.

„Siri-Tong, er ist noch ein Bengel, er hat es bestimmt nicht böse gemeint, er …“

Die Rote Korsarin warf dem alten Segelmacher der „Isabella“ einen schrägen Blick aus ihren dunklen Augen zu, und innerlich mußte sie ebenfalls lachen. Aber sie ließ sich das nicht merken, der Junge mußte lernen, was erlaubt war und was nicht.

„Bill, ab, marsch mit dir in die Kammer des Seewolfs. Dort unterhalten wir beide uns weiter“, sagte sie streng. „Und rühr dich ja nicht vom Fleck, bis ich da bin, ich kriege dich, so oder so!“

Bill wurde blaß um die Nase. Er warf dem Profos, der eben ein paar Männer durch die Wanten jagte, einen ängstlichen Blick zu. Wenn bloß Carberry von dieser Sache nichts erfährt! dachte er voller Angst. Er hing sehr an dem Profos, Carberry war wie ein Vater zu ihm, er kümmerte sich rührend auf seine rauhe Weise um Bill, der Junge konnte mit jeder Frage zu ihm kommen. Aber es gab Dinge, da verstand der riesige Profos keinen Spaß. Bill ahnte, daß dies wohl dazu gehören würde.

Er wartete eine zweite Ermahnung gar nicht erst ab, sondern flitzte los, verfolgt von den Blicken Siri-Tongs und Will Thornes.

Siri-Tong stand auf, aber der Segelmacher hielt sie zurück.

„Seien Sie nicht zu streng mit dem Bengel, Siri-Tong“, bat er. „Er hat ganz gewiß nichts Böses dabei gedacht, bestimmt nicht!“

Die Rote Korsarin sah den Segelmacher nachdenklich an. Wenn sie daran dachte, daß der Bengel sie und den Seewolf in der Kammer belauscht hatte, dann schoß ihr noch nachträglich die Schamröte ins Gesicht. Es war zwar ein offenes Geheimnis, daß der Seewolf und sie sich liebten, aber die Männer redeten nicht darüber, nie hatte irgend jemand aus der Crew auch nur einen zweideutigen Witz darüber gerissen. Die Männer respektierten sie und den Seewolf. Vielleicht spürten sie sogar, wie sehr der Seewolf sie brauchte, nachdem er auf so schreckliche Weise seine Frau und seine beiden Söhne verloren hatte. Nur zu oft hatte Siri-Tong bemerkt, wie stark ihm das alles auch heute noch zusetzte, auch wenn er sich nichts anmerken ließ.

Ein Lächeln stahl sich auf das Gesicht der Roten Korsarin.

„Das Bürschchen hat sich den besten Fürsprecher ausgesucht, den ich mir denken kann“, sagte sie. „Gut, ich will sehen, was ich mit ihm anstelle. Aber er wird heute lernen, daß er so etwas nie wieder tun darf. Herr des Himmels, Thorne, stellen Sie sich doch bloß mal vor, er hätte Hasard und mich …“. Flammende Röte schoß ihr ins Gesicht. Ohne ein weiteres Wort lief sie weg.

Will Thorne blickte hinter ihr her.

„Na, Freundchen, in deiner Haut möchte ich jetzt auch nicht stecken“, murmelte er und griff wieder zur Segelnadel.

Bill hörte die Rote Korsarin bereits auf dem Gang, der durchs Achterkastell der „Isabella“ zur Kammer des Seewolfs führte.

Himmel, dachte er voller Angst, wie soll ich ihr denn bloß erklären, daß ich wirklich nur einen kurzen Blick durch das geöffnete Fenster geworfen habe! Sein Magen krampfte sich zusammen. Weniger aus Furcht vor den Prügeln, mit denen er rechnete, die waren schon ganz in Ordnung. Aber aus Scham, und weil er sich wie ein Schuft fühlte. Dabei hatte er gar nicht lauschen wollen. Als er auf dem Achterdeck ein Tau klarierte, war es ihm aus der Hand gerutscht und auf die Heckgalerie gefallen, und er hatte es nur wieder heraufholen wollen.

An diesem Punkt seiner Überlegungen betrat die Rote Korsarin die Kammer. Sie schloß die Tür hinter sich und blieb dann vor ihr stehen. In der Rechten hielt sie ihren breiten Ledergürtel, den sie bereits abgeschnallt hatte. Dann sah sie Bill schweigend an, und der Junge kroch unter ihrem Blick immer mehr in sich zusammen.

„Her mit dir, Bill, oder muß ich dich erst holen?“ sagte sie schließlich.

Bill ging mit weichen Knien zu Siri-Tong hinüber.

Die Rote Korsarin packte Bill mit der freien Hand am Oberarm und zog ihn zu sich heran. Nie hätte der Junge vermutet, daß die Rote Korsarin über soviel Kraft verfügte.

Bill duckte sich unwillkürlich, und ein Schluchzen drang aus seiner Kehle. Der Bengel tat Siri-Tong schon wieder leid, aber sie riß sich zusammen. Mit einem schnellen Griff hob sie sein Kinn an, so daß Bill ihr in die Augen sehen mußte.

„Sieh mich an, Bill. Und sag mir die Wahrheit. Erwische ich dich bei einer einzigen Lüge, dann ergeht es dir schlecht. Hast du verstanden?“

Bill nickte.

„Also, warum hast du den Seewolf und mich belauscht?“

Bill erzählte. Erst stockend, dann immer schneller. Wie er auf die Heckgalerie geklettert war, um das Tau zu holen, wie er einen Blick durch das Fenster geworfen und was er gesehen hatte.

Siri-Tong spürte die Blutwelle, die in ihr hochschoß, aber sie rührte sich nicht.

„Weiter, Bill!“ forderte sie. „Und was dann?“

„Ich bin abgehauen, Madame, so schnell ich konnte. Ich wußte genau, daß ich etwas Unrechtes getan hatte …“

Schließlich schwieg er, und auch Siri-Tong verhielt sich still. Sie spürte das glatte Leder ihres Riemens in der Hand, und ein paarmal stieg die Versuchung in ihr hoch, den Jungen übers Knie zu legen und durchzubleuen. Aber dann schüttelte sie den Kopf.

Sie ließ den Jungen los.

„Ich glaube dir, Bill“, sagte sie. „Dein Glück, daß Will Thorne für dich gebeten hat, daß du mich nicht angelogen und nicht versucht hast, dein lausiges Fell zu retten. Weißt du jetzt, wie schändlich es ist, einen Mann und eine Frau in einer solchen Situation zu belauschen, du verflixter Lausebengel?“

Bill nickte und schluckte.

Wieder sah die Rote Korsarin ihn eine Weile an, dann zog sie ihn mit sich fort.

„Setz dich Bill, ja, her zu mir. Hör mir jetzt gut zu, Junge. Du bist erwachsen genug, um zu erfahren, wie das zwischen einer Frau und einem Mann ist, wenn sie sich lieben. Und ich habe den Seewolf sehr lieb, verstehst du? Er hat seine Frau und seine beiden Söhne verloren, ich will ihm helfen, darüber hinwegzukommen. Er ist ein prächtiger Mann, und es ist nicht deine Schuld, daß du unter Männern aufwachsen mußt.“

In Siri-Tongs Gesicht trat ein weicher Zug.

Sie zog Bill an sich und strich ihm übers Haar. Dann erklärte sie ihm alles, was sie für richtig hielt. Anschließend langte sie nach der Flasche Rum, die vor ihr auf dem Bohlentisch stand. Sie goß zwei Gläser ein und reichte eins davon Bill.

„So Bill, du weißt jetzt Bescheid. Sei froh, daß ich es war, die dein Gespräch mit Will Thorne rein zufällig mithörte. Was glaubst du, hätte Carberry mit dir angestellt?“

Erschrocken fuhr sich Bill mit der freien Hand ans Hinterteil, und Siri-Tong fand diese entsetzte Gebärde so komisch, daß sie fast Tränen lachte. In diesem Moment betrat der Seewolf die Kammer.

Er schloß die Tür hinter sich und blieb dann stehen.

„Nanu, was sind denn das für neue Moden? Was ist denn so lustig, daß ihr beide vor Vergnügen am hellichten Tage auch gleich noch einen heben müßt?“

Bill warf Siri-Tong einen bittenden Blick zu, und die Rote Korsarin legte dem Jungen den Arm schützend und beruhigend um die Schulter.

„Wir beide hatten ein kleines Problem miteinander, Hasard“, sagte sie dann. „Und es war nicht ganz klar, wie wir es aus der Welt schaffen sollten. Aber inzwischen ist wieder alles in Ordnung. So, und du, Bill, hilfst jetzt dem alten Thorne wieder, klar?“

Bill stand auf. Er sah den Seewolf an und kriegte abermals einen hochroten Kopf. Dann stürmte er aus der Kammer, froh, mit heiler Haut davongekommen zu sein. Aber für die Rote Korsarin würde er durchs Feuer gehen, und jeder, der sie auch nur schief ansah, würde sein persönlicher Feind sein, das war klar!

Hasard sah Bill kopfschüttelnd nach.

„Sag mal, Siri-Tong, da war doch was los mit euch? Was hat der Bengel angestellt? Warum wolltest du ihn durchhauen?“

Siri-Tong bemerkte plötzlich den schweren Ledergürtel, den sie noch immer in der Hand hielt und den sie abgeschnallt hatte, bevor sie die Kammer des Seewolfs betrat.

Sie stand auf und legte ihn wieder um. Als sie die Schnalle schloß, sagte sie nur: „Es hat sich erledigt. Der Bengel hat Glück gehabt. Die erste Lüge, bei der ich ihn erwischt hätte, hätte seinen Hintern in Ed Carberrys berühmten gestreiften, na, du weißt schon, verwandelt!“

„Willst du mir endlich sagen, was …“

Siri-Tong legte dem Seewolf die Arme um den Hals, dann küßte sie ihn lange und leidenschaftlich.

„Es ist erledigt, Seewolf. Von mir erfährst du nichts, und den Jungen läßt du gefälligst auch in Ruhe, oder du kriegst es mit mir zu tun, klar?“

Der Seewolf grinste.

„Na gut, wenn’s so ist. Auf so einflußreiche Fürsprecher muß sogar ich Rücksicht nehmen …“ Abermals verschloß ihm ein Kuß der Roten Korsarin den Mund.

Als sie sich schließlich wieder vom Seewolf löste, fiel ihr Blick rein zufällig auf den Schlangenreif, den der Seewolf seit geraumer Zeit am linken Handgelenk trug.

Hasard entging der Blick der Roten Korsarin nicht. Aber er schwieg.

Siri-Tong ließ jedoch nicht locker.

„Du trägst den Armreif ständig, seit ich an Bord bin, Hasard. Warum? Es hat Zeiten gegeben, da hattest du den Schlangenreif nicht an deinem Arm!“

Ihre Augen waren noch dunkler geworden, und der Seewolf kannte das Feuer, das auf ihrem Grund loderte. Aber er schwieg noch immer.

Siri-Tong schob sich noch dichter an ihn heran. Sie zwang ihn, in ihre Augen zu blicken.

„Was bedeutet dir diese Arkana, Seewolf?“ fragte sie und beherrschte den plötzlich in sich aufsteigenden Zorn nur noch mühsam. „Ich will es wissen, verdammt, du sollst mich nicht belügen! Ich will endlich wissen, was …“

Die Rote Korsarin verstummte plötzlich. Hasards eisblaue Augen hatten plötzlich einen völlig veränderten Ausdruck. Ihr Blick schien in eine Ferne zu gehen, die ihr, Siri-Tong, verschlossen war. Es geschah nur sehr selten, aber in diesem Moment, begann die Rote Korsarin sich zu fürchten. Sie spürte, daß Gefahr auf den Seewolf, auf sie alle lauerte, und daß diese Gefahr mit jener fremden Schlangenpriesterin zu tun hatte, die sie nicht kannte, von der sie nicht einmal eine richtige Vorstellung hatte.

„Hasard, was ist mit dir? Hasard …“

Der Seewolf bewegte sich. Dann kehrte sein Blick aus der unheimlichen Ferne zurück.

„Ich belüge dich nicht, Siri-Tong, ich werde dich nie belügen“, sagte er leise, und sogar seine Stimme hatte einen so fremden Klang, daß der Roten Korsarin ein eisiger Schauer über den Rücken lief. „Ich weiß nicht, was diese Arkana mir bedeutet, ich weiß nicht, warum ich sie aus meinem Denken und Fühlen nicht verdrängen kann. Sie hat irgendwie Macht über mich. Und ich glaube, sie hat schon damals gewußt, daß ich wieder zur Mocha-Insel zurückkehren würde. Irgendwann. Denk an die Schlangeninsel, Siri-Tong, denk daran, was wir in dem Gewölbe des Schlangengottes für unheimliche Erlebnisse hatten. Ich bin nicht abergläubisch, aber ich weiß, daß es Dinge gibt und Mächte, die sich mit dem normalen Menschenverstand nicht erfassen lassen.“

Er zog die Rote Korsarin plötzlich an sich, dann hob er ihren Kopf und sah sie an.

„Ich trage das Armband, weil wir in das Gebiet des Schlangengottes segeln. Ich möchte es bei mir haben, wenn ich den Schutz des Schlangengottes brauche, und wir alle werden ihn brauchen. Das fühle ich.“

Er schwieg einen Moment, ließ Siri-Tong aber mit seinen Blicken nicht los.

„Versprich mir nur eins, Siri-Tong: Was auch geschieht auf der Mocha-Insel, verlaß mich nicht, weder im Zorn noch aus sonst irgendeinem Grund!“

Wieder spürte die Rote Korsarin einen eisigen Schauer über ihren Rücken rinnen. Sie liebten sich, der Seewolf und sie, sie hatten gemeinsam gekämpft, und gemeinsam Todesgefahren bestanden. Aber so hatte er noch nie zu ihr gesprochen. Das war ein Seewolf, ein Mann, den sie nicht kannte, den keiner seiner Männer kannte.

„Ich verspreche es, Hasard“, sagte Siri-Tong leise. „Ich werde dich nicht verlassen, ich werde vielleicht um dich kämpfen, wenn das nötig werden sollte. Ich will dich, Seewolf, keinen sonst!“

Sie löste sich aus seinen Armen und verließ die Kammer. Die Rote Korsarin brauchte plötzlich Luft, die See, den Wind, der in der Takelage sang, den hohen blauen Himmel. Aber das Gefühl drohenden Unheils ließ auch sie nicht mehr los, da half keine Sonne, und da halfen auch nicht die Flüche des Profos, wenn er die Männer in die Wanten oder über die Decks jagte.

Aber sie zeigte es nicht, genausowenig wie der Seewolf, der eine knappe halbe Stunde später das Achterdeck betrat und Pete Ballie wortlos am Ruder ablöste. Die Rote Korsarin bemerkte den fragenden Blick, den Ben Brighton, sein Stellvertreter und erster Offizier, ihm zuwarf, aber auch er erhielt an diesem Nachmittag vom Seewolf keine Antwort.

Erst gegen Ende der Dämmerung ließ Hasard sich von Dan O’Flynn am Ruder ablösen und verschwand in seiner Kammer. Als Siri-Tong ein paar Stunden später zu ihm kam und neben ihm aufs Lager glitt, blickte er sie aus seinen eisblauen Augen an und zog sie wortlos in seine Arme.

Später spürte die Rote Korsarin, wie er sich im Schlaf immer wieder voller Unruhe von einer Seite auf die andere wälzte, wie manchmal unverständliche Worte über seine Lippen drangen. Erst gegen Morgen, als sich schon die Dämmerung in den Scheiben der Bleiglasfenster abzeichnete, schlief der Seewolf tief und fest, die Arme um Siri-Tongs jungen Körper geschlungen, als wolle er sie nie wieder loslassen.

2.

Am Nachmittag dieses Tages änderte die „Isabella“ in Höhe des 45. Breitengrades südlicher Breite ihren Kurs. Hasard wollte näher an die Küste heran. Bis zur Mocha-Insel waren es noch etwa vierhundert Meilen. Die „Isabella“ lief hervorragende Fahrt, runde acht Meilen die Stunde. Das ergab ein Etmal von 192 Meilen innerhalb vierundzwanzig Stunden. Sie würden sich also bereits am nächsten Abend in der Nähe der Mocha-Insel befinden.

Die Stimmung unter der Crew an Bord war gut. Die Sonne wärmte die Decks, dem alten O’Flynn war es mehrfach gelungen, einen großen Fisch an den Haken zu kriegen, und aus der Kombüse des Kutschers stiegen den Männern höchst verlockende Düfte in die Nasen.

Die Rote Korsarin, Ben Brighton und Smoky befanden sich auf dem Achterdeck. Ed Carberry und Ferris Tucker waren zusammen mit Big Old Shane, dem einstigen Waffenmeister auf Arwenack, damit beschäftigt, die Lafette eines Geschützes zu reparieren.

Dan O’Flynn befand sich zusammen mit Bill im Großmars, Batuti lag faul auf der Back, und sein schwarzer Körper glänzte im hellen Licht der Sonne. Matt Davies und Jeff Bowie, die beiden Männer mit den stählernen Hakenprothesen, die sich auch im Kampf oft zu einem unüberwindlichen Team zusammenschlossen, klarierten eine Nagelbank an Steuerbord.

Al Conroy, der Stückmeister der „Isabella“, überprüfte zusammen mit Luke Morgan die beiden Drehbassen auf der Back, Blacky, Stenmark, Sam Roskill und Bob Grey arbeiteten in der Takelage des Fockmastes. Gary Andrews, der hellblonde Mann mit der Narbe über der Brust, zerlegte einen der gefangenen Fische, um das Fleisch dann dem Kutscher in die Kombüse zu schaffen.

Der Seewolf studierte an diesem Nachmittag die Seekarte, die er von der Küste um Valdivia einst erbeutet hatte.

Carberry warf hin und wieder einen Blick zur Back hinauf. Er konnte von Batuti, dem riesigen Gambia-Neger, nur die Fußsohlen sehen.

„Also dieser verdammte Faulpelz liegt doch wahrhaftig seit ein paar Stunden auf den Planken und läßt sich die Sonne auf den Bauch scheinen, während wir hier wie die Affen schuften! Man sollte dem Kerl doch glatt …“

Big Old Shane unterbrach seinen Lieblingsspruch.

„Gar nichts sollte man, du alter Affenarsch. Batuti hat die Nacht über am Ruder gestanden. Irgendwann muß er ja wohl auch mal pennen, oder?“

Ferris Tucker grinste schadenfroh. Er wußte nicht warum, aber Carberry war bereits seit dem Morgen ungenießbar, obwohl es dafür nicht den geringsten Grund gab.

„He, Ed, du solltest uns ruhig mal sagen, welche Laus dir eigentlich über die Leber gelaufen ist. Du ziehst ein Gesicht, als hättest du zum Frühstück mindestens zehn Seeigel gefressen. Was ist los mit dir?“ Ferris Tucker sah ihn fragend an.

Carberry grunzte unbehaglich vor sich hin. Verbissen arbeitete er weiter, und Tucker tauschte mit Old Shane nur einen vielsagenden Blick. Aber dann unterbrach Carberry plötzlich seine Arbeit und stemmte die Hände in die Hüften.

„Also ihr wollt wissen, was mit mir los ist? Gut, ich will es euch sagen. Ich habe heute nacht nachgedacht, weil ich nicht schlafen konnte. Weiß der Teufel, warum, aber ich habe kein Auge zugekriegt.“

„Und über was hast du nachgedacht, Ed?“ fragte Ferris, während sich eine steile Falte auf seiner Stirn bildete. Er kannte Ed Carberry schon lange, und wenn der so etwas von sich gab, dann bedeutete das nie etwas Gutes.

Carberry tat, als habe er die Frage des hünenhaften Schiffszimmermanns gar nicht gehört.

„Morgen, irgendwann am Abend oder im Laufe der Nacht, erreichen wir die Mocha-Insel. Hasard hat mir das gesagt.“

Auch Big Old Shane hatte die Arbeit unterbrochen und blickte den Profos an.

„Na und? Schließlich wollen wir da ja auch hin! Und deswegen ziehst du eine Fresse wie ein Salzhering, dem man die Lake geklaut hat?“

„Quatsch, nicht deswegen. Aber es wird Ärger geben, und zwar zwischen Hasard und Siri-Tong. Sie hat mich gestern, als ich mal nachts an Deck war, um ein bißchen Luft zu schnappen, über die Arkana ausgequetscht wie eine Zitrone. Ich werde das verdammte Gefühl nicht los, daß sich da was zusammenbraut. Auch der Seewolf ist seit ein paar Tagen recht seltsam. Er redet kaum, starrt immer irgendwelche Löcher in die Luft. Verflucht noch mal, ich wäre froh, wenn wir endlich einmal genügend Wasser zwischen uns und dieser Küste hier hätten!“

Big Old Shane und Ferris Tucker tauschten wieder einen Blick miteinander, unbemerkt von Carberry. Sie wußten um die Schwäche, die der bullige Mann für die Rote Korsarin hatte, selbstverständlich, ohne ihr jemals zu nahe zu treten. Aber wer Siri-Tong krumm kam, der mußte mit ihm rechnen, und zwar auf eine verdammt fatale Weise.

Old Shane hinderte Carberry daran, wieder weiterzuarbeiten.

„Hör mal zu, Ed. Ein paar Dinge hast du scheinbar vergessen. Ich will sie dir noch mal ins Gedächtnis rufen: Hasard hat Frau und Kinder verloren. Er hat erfahren, daß diese Arkana eine Tochter von ihm haben soll. Auch wenn das nur eine Weissagung ist, auf die man vielleicht nicht allzuviel geben sollte, wenn er nachsieht, dann ist das völlig in Ordnung. Andernfalls wäre er in meinen Augen keinen Heller wert, geht das jetzt endlich in deinen Dickschädel?“

Carberry funkelte Old Shane an.

„Nichts hatte ich vergessen, absolut gar nichts, du triefäugiges Walroß. Aber das ist es ja gerade. Ich kenne Siri-Tong, die schluckt das nicht, die wird wild, sage ich euch …“

Ferris Tucker hatte jetzt ebenfalls sein Werkzeug beiseite gelegt.

„Du hast doch etwas vergessen, Ed: Arkana hat damals, als Hasard und Ben die ‚Santa Magdalena‘ in die Luft sprengten und damit die ‚Golden Hind’ und ihre gesamte Besatzung vor der Vernichtung bewahrten, dem Seewolf und Ben das Leben gerettet. Ohne sie und ihre Schlangenkrieger gäbe es beide nicht mehr. Ich kann verstehen, daß Hasard sehen will, was aus ihr geworden und was denn nun eigentlich in diesem mysteriösen Schlangentempel wirklich passiert ist.“

Carberry kratzte sich unbehaglich an seinem Rammkinn.

„Na ja, das stimmt schon“, gab er zu. „Aber trotzdem: Ich spüre den Ärger schon jetzt in allen Knochen. Und vergeßt nicht, die ganze Sache ist mehr als fünf Jahre her. Was kann da alles passiert sein, he? Was ist aus den Dons geworden? Wie stark sind sie inzwischen an dieser Küste? Gibt es überhaupt noch einen einzigen Araukaner auf Mocha, oder haben die Dons sie nach ihrer Niederlage damals durch eine zweite Strafexpedition ausgerottet? Außerdem sind wir allein, vom schwarzen Segler keine Spur. Mir wäre verdammt noch mal wohler, wenn wenigstens dieser Wikinger mit seinen Zwanzigpfündern in unserem Kielwasser segelte. Kapiert ihr Ochsen jetzt endlich, was ich meine?“

Ferris Tucker schüttelte irritiert den Kopf. So kannte er den Profos ja gar nicht.

„Ho, Ed, seit wann hat ein Kerl wie du denn Nerven?“ fragte er verwundert. „Seit wann hast du etwas dagegen, daß wir den Dons gehörig einheizen, wenn sie unseren Kurs kreuzen?“

Abermals schüttelte er den Kopf, und das brachte Carberry erst recht auf die Palme.

Er sprang auf den Schiffszimmermann zu und packte ihn.

„Sag noch einmal, daß ich mich vor irgendeinem Don fürchte, und ich ziehe dir die Haut in Streifen von deinem Affenarsch ab! Ich habe mich vor diesen behelmten Strolchen noch nie gefürchtet, so wahr ich Ed Carberry bin. Aber manchmal soll man auch sein bißchen Grips benutzen, statt nur drauflos zu schlagen. Und ich spüre es: Es gibt jede Menge Ärger, auch mit den Dons …“

Über ihnen, im Großmast erhob sich plötzlich ein gewaltiges Geschrei.

„Affenarsch, Arwenack, alte Bilgenkakerlake!“ kreischte es über ihnen.

Carberry fuhr herum und hob drohend die Faust. Und Sir John, der rote Papagei vom Amazonas, als neuestes Besatzungsmitglied von den Männern längst integriert, kreischte wie verrückt von der Rahnock herab. Und neben ihm hockte Arwenack, der Schimpanse, und trommelte vor Vergnügen auf seinem Bauch herum, als der Profos abermals wütend mit der Faust nach oben drohte.

Siri-Tong, die die drei Männer vom Achterdeck aus schon eine ganze Weile beobachtet hatte, stieg in die Kuhl hinunter. Bei Carberry blieb sie stehen.

„Schwierigkeiten, Ed?“ fragte sie.

Carberry schüttelte den Kopf.

„Nein, Madame, wirklich nicht. Aber uns allen wäre lieber, wenn der Wikinger mit dem schwarzen Viermaster in unserem Kielwasser segelte. Schließlich müssen wir hier mit den Dons rechnen. Wir nähern uns der Küste, und Valdivia ist nicht mehr weit!“

Siri-Tong starrte den Profos aus schmalen Augen an. Sie spürte, daß dieser bullige Mann ihr etwas verschwieg, aber sie sagte nichts.

„Thorfin hat es bestimmt geschafft. Er wird sich irgendwo hinter uns befinden, Ed. Ich kenne den Wikinger seit vielen Jahren – nein, um ihn und um ‚Eiliger Drache über den Wassern‘ sorge ich mich nicht. Aber mit den Dons, da haben Sie recht, verdammt recht sogar!“ fügte sie plötzlich hinzu, denn Dans Stimme aus dem Mastkorb ertönte soeben.

„Schiff Steuerbord voraus. Führt keine Segel, der Eimer sieht verdammt merkwürdig aus, ich glaube, der treibt nur noch!“

Die Nachricht alarmierte die Besatzung. Der Seewolf erschien an Deck, er hatte Dan ebenfalls gehört.

Ohne viel Zeit zu verlieren, enterte er auf. Und dann sah er es auch. Ein Schiff ohne Segel, das nach Steuerbord krängte und in der langen Dünung rollte. Eine Galeone, die Hasard auf etwa dreihundert Tonnen schätzte. Dickbauchig, ein älteres Schiff spanischer Bauart.

„Dan, du bleibst hier oben. Halte die Augen auf. Wenn du irgend etwas erkennen kannst, sofort Meldung!“

Der Seewolf enterte ab und trat zu Smoky, der am Ruder stand.

„Kurs zwei Strich Steuerbord, Smoky. Ferris, Al – Geschütze feuerbereit machen. Man kann nie wissen, ich will mich von den Dons nicht überraschen lassen.“

Carberrys Stimme dröhnte über die Decks, und die Männer spritzten nur so auf ihre Stationen. Noch ehe der Profos sein „an die Brassen, ihr Lahmärsche, oder soll ich euch den Hintern anlüften?“ herausgebrüllt hatte, schwangen die Rahen bereits herum, wurden die Persenninge von den Siebzehnpfündern mit den überlangen Rohren gezerrt. Dann schwang die „Isabella“ herum und nahm Kurs auf den fremden Segler.

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