Читать книгу: «Evaluation in der Sozialen Arbeit»

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Prof. Dr. Joachim Merchel, Dipl.-Päd., lehrt „Organisation und Management in der Sozialen Arbeit“ an der FH Münster, Fachbereich Sozialwesen.

Außerdem von J. Merchel im Ernst Reinhardt Verlag erschienen:

• Handbuch Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD) (3., aktual. u. erw. Auflage 2019, ISBN 978-3-497-02865-8)

• Leiten in Einrichtungen der Sozialen Arbeit (2010, ISBN 978-3-497-02123-9)

• Jugendhilfeplanung (2016, ISBN 978-3-8252-4677-8)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

UTB-Band-Nr.: 3395

ISBN 978-3-8252-5200-7

ISBN 978-3-846-35200-7 (EPUB)

3., aktualisierte Auflage

© 2019 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in EU

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Covermotiv: P. Röder/digitalstock.de

Satz: Arnold & Domnick, Leipzig

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: info@reinhardt-verlag.de

Inhalt

Einleitung

1 Evaluation – was ist das?

1.1 Definitionselemente von „Evaluation“

1.2 Evaluation zwischen methodischem Handeln und Evaluationsforschung

1.3 Gegenstände von Evaluation

1.4 Zusammenfassung in Leitsätzen

2 Warum benötigt man in der Sozialen Arbeit Evaluation?

2.1 Hintergründe für das zunehmende Interesse an Evaluation

2.2 Funktionen von Evaluation

2.3 Evaluation und Professionalität in der Sozialen Arbeit

2.4 Zusammenfassung in Leitsätzen und Fragen zur Analyse der Erwartungen an eine Evaluation

3 Formen und inhaltliche Schwerpunkte in der Evaluation

3.1 Differenzierung nach Zwecken einer Evaluation

3.2 Differenzierung nach Arten der Evaluation

3.3 Inhaltliche Schwerpunkte einer Evaluation

3.4 Zusammenfassung in Leitsätzen

4 Verfahrensschritte und Methoden: Wie plant und realisiert man eine Evaluation?

4.1 Festlegen der Evaluationsfragestellung

4.2 Erkunden von Praxiszielen und darauf ausgerichteten Indikatoren

4.3 Auswahl und Konstruktion der Instrumente zur Datenerhebung

4.3.1 Überlegungen zur Auswahl von Erhebungsmethoden

4.3.2 Schriftliche Befragung

4.3.3 Interviews / strukturierte Gespräche

4.3.4 Beobachtungen

4.3.5 Analyse vorhandener Daten und Dokumente

4.4 Durchführung der Datenerhebung

4.5 Auswertung der Daten und Zusammenfügen zu Ergebnissen

4.6 Präsentation der Ergebnisse

4.7 Reflexion des Evaluationsverlaufs

5 Wirkungsevaluation: Anforderungen und Probleme

5.1 „Wirkungsorientierung“ als Anforderung an die Soziale Arbeit

5.2 Evaluationsdesigns für Wirkungsevaluation

5.3 Herausforderungen und Schwierigkeiten bei Wirkungsevaluationen

6 Organisationale Rahmenbedingungen für Evaluation

6.1 Evaluation als Arena von Interessen und Strategien

6.2 Grundlage für Evaluationen: individuelle Haltungen und Organisationskultur

6.3 Hinweise zur Gestaltung eines evaluationsförderlichen Organisationsrahmens

7 Zusammenfassung in Qualitätskriterien: Was ist eine „gute Evaluation“?

Literatur

Sachregister

Einleitung

Warum Evaluation?

Evaluation: Ein Wort, das viele Fachkräfte in der Sozialen Arbeit über eine längere Zeit nicht immer „unfallfrei“ aussprechen konnten, ist mittlerweile zu einer fast selbstverständlichen Vokabel geworden. Wenn die Sozialarbeiter in einem Jugendamt wissen wollen, ob ihre verstärkten Bemühungen zur Beteiligung der Kinder und Jugendlichen an der Hilfeplanung Erfolge zeigen – wenn unklar ist, in welcher Weise und mit welchen Effekten die Mitarbeiter in den verschiedenen Gruppen einer Wohneinrichtung für Menschen mit Behinderungen das gemeinsam abgesprochene Programm zur größeren Selbständigkeit der behinderten Menschen im Alltag praktizieren – wenn die Erzieherinnen in einer Kindertageseinrichtung Zweifel haben, wie ihre Bemühungen zur Profilierung des Bildungscharakters der Einrichtung bei den Eltern ankommen – wenn die Mitglieder eines Jugendhilfeausschusses wissen wollen, ob die auf zwei Jahre begrenzte Finanzierung von Schulsozialarbeit weitergeführt werden soll: In diesen und vielen anderen Alltagssituationen der Sozialen Arbeit verspricht eine gut durchgeführte Evaluation Informationen und Einschätzungen, mit deren Hilfe die Fachkräfte die fachlichen Fragen diskutieren sowie ihre Arbeit legitimieren und zielgerichtet weiterentwickeln können.

Evaluation ist nicht nur Evaluationsforschung

Lange Zeit wurde mit Evaluation ein Forschungsprozess assoziiert, bei dem Sozialwissenschaftler die Realisierung umfassender sozialpolitischer Programme erforschen: Schulreformen, die Einführung neuer methodischer Konzepte in die Soziale Arbeit (z. B. Sozialpädagogische Familienhilfe), Prozesse und Ergebnisse der Verwaltungsmodernisierung, Modellprogramme als Anreiz zur Implementation neuer Arbeitsansätze in der Sozialen Arbeit u.a.m. Im Laufe der Zeit hat sich der Wirkungskreis von Evaluation erweitert: Es sind nicht mehr nur die umfassenden politischen Programme, bei denen nach Bewertung durch Evaluation gefragt wird; Evaluation ist immer stärker in den Alltag Sozialer Arbeit eingedrungen. Evaluation ist nicht mehr auf „Evaluationsforschung“ begrenzt, sondern sie hat sich auf Formen der systematischen Überprüfung und Bewertung von alltagsbezogenen Handlungsweisen ausgeweitet. Der Kreis der Evaluationsakteure besteht nicht mehr nur aus sozialwissenschaftlich ausgebildeten Spezialisten, sondern auch Fachkräfte in der Praxis werden vermehrt mit der Anforderung konfrontiert oder formulieren selbst die Anforderung, die eigene Praxis selbst zu untersuchen oder von Kollegen untersuchen zu lassen, um genauer zu „wissen, was man tut“ (Klatetzki 1993) und so an Professionalität zu gewinnen. Evaluation hat sich also thematisch verbreitert, indem sie sich über die Erforschung umfassender politischer Programme hinaus stärker dem Alltag in Einrichtungen zugewandt und sich als ein methodischer Ansatz zur zielgerichteten Überprüfung und Weiterentwicklung herausgebildet hat. Ähnlich wie die Qualitätsentwicklung – gleichsam die „Schwester der Evaluation“ – ist Evaluation fast zu einer Selbstverständlichkeit in der Sozialen Arbeit geworden: zumindest vom Anspruch her, wenn auch noch nicht durchgängig in der Praxis der Einrichtungen und Dienste. Immerhin hat die Evaluation bereits Aufnahme in Gesetzesformulierungen gefunden. So werden in §22a SGB VIII die Träger der öffentlichen Jugendhilfe aufgefordert, auf den „Einsatz von Instrumenten und Verfahren der Evaluation der Arbeit“ in Kindertageseinrichtungen einzuwirken.

Drohender Konturverlust des Evaluationsbegriffs

Die allmähliche Etablierung von Evaluation im Bewusstsein der Akteure der Sozialen Arbeit ist einerseits erfreulich, weil damit neben den Ansätzen der Supervision, des Coaching oder der kollegialen Beratung weitere Möglichkeiten zur methodischen Professionalisierung der Sozialen Arbeit eröffnet werden. Andererseits sind auch die Nebenfolgen der Popularisierung des Evaluationsbegriffs nicht zu verkennen: Der Evaluationsbegriff und die damit bezeichneten Inhalte und Verfahren drohen ihre Kontur zu verlieren, wenn jeder Vorgang und jeder Besprechungstermin, bei dem irgendetwas bewertet wird, gleich zur „Evaluation“ gemacht und damit überhöht wird.

Damit „Evaluation“ nicht im Jargon der Sozialen Arbeit allmählich zerbröselt, ist es notwendig, den methodischen Kern und die damit verbundenen Anforderungen an die Fachkräfte der Sozialen Arbeit deutlich zu benennen. Das ist Ziel dieses Einführungsbuches:

• Das Buch soll den „methodischen Kern“ von Evaluation verdeutlichen und damit Evaluation als eine fachliche Herausforderung charakterisieren (und dadurch helfen, den Begriff vor Banalisierung zu bewahren).

• Es nimmt dabei Praxisfelder der Sozialen Arbeit in den Blick. Für die Soziale Arbeit sind zwar mehrere Bücher mit guten Beispielen für eine praxisbezogene Evaluation verfügbar (u.a. Heiner 1988, 1994, 1996, 1998; Heil et al. 2001; Schröder / Streblow 2007; Beiträge in Eppler et al. 2011), aber es fehlt für die Soziale Arbeit noch eine Einführung, wie sie Burkard / Eikenbusch (2000) für das Handlungsfeld Schule beispielhaft vorgelegt haben: eine kurz gefasste, praxisbezogene und die Rahmenbedingungen reflektierend einbeziehende methodische Anleitung, die sich nicht auf Methoden der Selbstevaluation beschränkt (wie u.a. König 2007).

• In dem vorliegenden Buch soll Evaluation stärker für ihre Handhabung in der Praxis der Sozialen Arbeit thematisiert werden – und nicht so sehr in der Ausrichtung als Evaluationsforschung (vgl. dazu Kap. 1).

Zielgruppen des Buches

Das vorliegende Buch richtet sich an Akteure in der Sozialen Arbeit (Leitungspersonen, Fachkräfte auf der Mitarbeiterebene, Berater in Verbänden etc.) und an Studierende der Sozialen Arbeit, die Evaluation als Bestandteil ihres beruflichen Handelns realisieren wollen. Spezifische Methodenfragen und Rahmungen umfassender Programmevaluationen, wie sie z. B. bei programmatischen Veränderungen in einem Handlungsfeld (z. B. bei den Neuregelungen des Bundesteilhabegesetzes – BTHG – in der Behindertenhilfe oder bei gesetzlichen Veränderungen wie denen durch das Bundeskinderschutzgesetz; Seckinger et al. 2016) eigentlich an der Tagesordnung sein sollten (Haubrich 2009; Böttcher et al. 2008), bleiben in diesem Buch ausgespart. Hier sind Vorgehensweisen der Evaluations- und Implementationsforschung erforderlich, deren methodische Anforderungen und Implikationen den Rahmen dieses Buches sprengen würden (Stockmann 2006a).

Notwendige Evaluationskompetenz

Wenn es zutrifft, dass Evaluation ähnlich wie Qualitätsmanagement mittlerweile „zu einem Symbol der Modernisierung“ (Pollitt 2000, 65) auch in der Sozialen Arbeit geworden ist, wird vermehrt Evaluationskompetenz benötigt:

• genauere methodische Kenntnisse bei „Spezialisten“, die Evaluationen in der Sozialen Arbeit kompetent durchführen und Praktiker bei der Konzipierung und Realisierung von Evaluationen gut beraten können;

• Grundkenntnisse zur Evaluation bei allen Fachkräften: ein Wissen zu Verfahren, Nutzen und Risiken bei Evaluationen; die Fähigkeit, das Verhältnis von Aufwand und Nutzen einschätzen und Erwartungen gegenüber Evaluation realistisch ausrichten zu können; die Kompetenz, kleinere Evaluationen selbst durchführen zu können, Evaluationsberatung gezielt nutzen und Evaluationsaufträge nach außen gezielt formulieren zu können.

Die letztgenannten „Grundkenntnisse“ zur Evaluation bei Fachkräften der Sozialen Arbeit zu vermitteln, ist Anliegen dieses Einführungsbuches. Es soll Evaluation als Modus der Bewertung und Weiterentwicklung beruflichen Alltagshandelns in der Sozialen Arbeit verständlich machen und methodisch tragfähige Anregungen zur Durchführung von in die Praxis eingebundenen Evaluationen durch Akteure geben, die relativ „einfache“ Evaluationen als Teil ihres professionellen Handelns einsetzen und durchführen wollen.

Zur 3. Auflage

Die Anforderungen an eine praxisbezogene Evaluation in der Sozialen Arbeit haben sich seit Erscheinen der 1. Auflage im Jahr 2010 nicht wesentlich geändert. Zu den grundlegenden methodischen Orientierungen in der Sozialen Arbeit sind keine neuen wegweisenden Diskussionsbeiträge und Erkenntnisse hinzugekommen. Dementsprechend konnte auch die Grundstruktur des Buches erhalten bleiben und es gibt für die 3. Auflage kleinere Aktualisierungen. Dass das Buch in seine 3. Auflage geht, lässt den Autor hoffen, dass Evaluation vermehrt Zugang in die Ausbildung und in die Praxis Sozialer Arbeit findet.

Im August 2013 ist im Alter von nur 69 Jahren Maja Heiner verstorben. Dass Evaluation mittlerweile in den Konzipierungen einer als professionell geltenden Praxis einen festen Platz hat, ist auch dem fachlichen Engagement und der Beharrlichkeit von Maja Heiner zu verdanken. Maja Heiner hat das Thema „Evaluation“ als eine der ersten in die Debatten um die Gestaltung Sozialer Arbeit in Deutschland eingebracht. Sie hat sowohl in ihrer konzeptionellen Arbeit als auch in vielfältigen Praxisprojekten, deren Ergebnisse sie in vielen Veröffentlichungen verbreitet hat, den Fachkräften Mut gemacht, sich an Evaluation heranzuwagen. So hat sie beharrlich daran gearbeitet, dass sich Evaluation als eine Anforderung an Soziale Arbeit etablierte (Merchel 2015a). Bei der Lektüre dieses Buches sollten sich LeserInnen bewusst halten, dass es ohne die Impulse von Maja Heiner nicht hätte geschrieben werden können.

1 Evaluation – was ist das?

Notwendigkeit klarer Begriffsverwendung

In der Einleitung wurde bereits angedeutet, dass der Begriff „Evaluation“ mit seiner zunehmenden Verbreitung Gefahr läuft, zu einer unspezifischen Formel zu verkommen, die man immer dann ins Spiel bringt, wenn ein Sachverhalt „irgendwie“ bewertet werden soll. Auf diese Weise wird aus Evaluation schnell so etwas wie Modeschmuck: Man trägt ihn, weil er aktuell gern gesehen wird – und man legt ihn wieder ab, wenn etwas anderes zur Mode wird. Bisweilen werden bereits ein einfacher Sach- oder ein Jahresbericht oder schlichte statistische Angaben über Besucher bzw. Nutzer von Angeboten als „Evaluation“ bezeichnet.

„In der pädagogischen Praxis fungiert Evaluation derzeit als Ausweis professioneller Fortschrittlichkeit, sodass nahezu alles, was früher als Teamsitzung, Nachbereitung, Reflexion oder Auswertung bezeichnet wurde, nun als Evaluation auftritt.“ (Lüders / Haubrich 2003, 306)

Die unklare Begriffsverwendung führt z. B. zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass bei einer Befragung mehr als zwei Drittel der Jugendämter angaben, dass in ihrem regionalen Zuständigkeitsbereich evaluiert werde. Da nicht genauer nach Modalitäten der vermeintlichen Evaluation gefragt wurde, vermuten auch die Autoren der Studie, dass bei näherem Hinsehen „Evaluationsverfahren“ praktiziert wurden, „die zum Teil auch nur bedingt den Namen verdienen“ (Pluto et al. 2007, 382). Die Beliebtheit des Begriffs und seine inflationäre Verwendung ziehen die Notwendigkeit nach sich, sich erst einmal darüber zu verständigen, was „Evaluation“ bedeutet. Daher werden in Kapitel 1.1 zunächst einige zentrale Definitionselemente benannt, die Evaluation von anderen Bewertungsmodalitäten unterscheiden. Da in diesem Buch von Evaluation in der Sozialen Arbeit die Rede ist, also der praxisorientierte Kontext von Evaluation im Mittelpunkt steht, bedarf es zur Vermeidung von Missverständnissen einiger kurzer Anmerkungen zum Verhältnis von Evaluation und Evaluationsforschung einerseits und Evaluation und methodischem Handeln andererseits (Kap. 1.2). Einen weiteren Schwerpunkt bilden Ausführungen zu möglichen Gegenständen von Evaluation in der Sozialen Arbeit (Kap. 1.3).

1.1 Definitionselemente von „Evaluation“

Systematisierte Bewertung

Evaluation als eine (teil-)professionelle Praxis beginnt dort, wo ein Bewertungsvorgang methodisch systematisiert wird mit dem Ziel, ein verbessertes Handlungswissen für die Praxis bzw. für Entscheidungen in der Praxis zu gewinnen. Eine solche, mit professionellem Impetus vollzogene Evaluation setzt sich ab von einem alltäglichen Bewerten, auch wenn dieses auf der Grundlage eines bewussten, an Kriterien ausgerichteten Abwägens oder Prüfens stattfindet. Das Bewerten eines Films nach technischen oder künstlerischen Kriterien oder das mehrmalige Abschmecken einer Suppe während eines Kochvorgangs sollte man sinnvollerweise nicht als „Evaluation“ etikettieren. Denn ansonsten ließen sich vielfältige und unermesslich zahlreiche Geschichten unter dem Titel „Mein evaluativer Alltag“ schreiben. Wenn demgegenüber der Evaluationsbegriff mit einem systematisierten Vorgehen und einem professionellen Impuls in Verbindung gebracht wird, so kann man mit Lüders / Haubrich (2004, 324 ff) unterscheiden zwischen

• Evaluation als Bestandteil beruflichen Handelns und

• Evaluation als Teil des Wissenschaftssystems (Evaluationsforschung).

In der beruflichen Praxis und für die strukturierte Weiterentwicklung professionellen Handelns steht eine Vielzahl von Konzepten und Strategien zur methodischen Bewertung von Maßnahmen, Konzepten, Organisationen etc. zur Verfügung, die unmittelbar an Entscheidungen und Handlungsmuster der professionellen Akteure angekoppelt sind, also unmittelbar pragmatische Zwecke verfolgen. Evaluationsforschung hingegen markiert denjenigen Teilbereich von Evaluation, der sozialwissenschaftliche Forschungsverfahren als Mittel der Erkenntnisgewinnung einsetzt und sich dabei stringent an Standards der empirischen Sozialforschung orientiert (Lüders / Haubrich 2003, 309). Mit der Ankoppelung von Evaluation an eine „professionelle Praxis“ ist zweierlei gemeint: die Bindung von Evaluation an Zwecke, die in einem professionellen Kontext verfolgt werden, und die – zumindest in Ansätzen – professionelle Methodik, mit der Evaluationsverfahren realisiert werden.

Charakteristika zu „Evaluation“

Somit lassen sich zunächst drei allgemeine Charakteristika von Evaluation festhalten (Lüders / Haubrich 2004, 318 ff):

1) Evaluation ist eine Form des Bewertens, und dies setzt voraus, dass dafür Kriterien oder Maßstäbe herausgearbeitet werden.

2) Die Bewertung erfolgt auf der Basis einer systematisierten Informationsgewinnung.

3) Die systematisierte Informationsgewinnung dient einem spezifischen praktischen Erkenntnis- und Verwertungsinteresse. Es gilt das „Primat der Praxis vor der Wissenschaft“ (Kromrey 2000, 22).

Mit diesen drei Charakteristika gehen zwei weitere Elemente von Evaluation einher:

4) Evaluation ist in der Regel eingebettet in einen organisationalen Zusammenhang; sie erfolgt in einer Organisation oder in Verbindung zu mehreren Organisationen.

5) Evaluation ist mit Qualitätsentwicklung verbunden; sie zielt auf das Erzeugen von Wissen, um professionelles Handeln und daraus folgende Ergebnisse zu verbessern.

Im Folgenden sollen diese fünf Merkmale von Evaluation näher erläutert werden.

Bewertungsmaßstäbe

Zu 1:

Die praktische Zweckorientierung von Evaluation schließt immer einen Bewertungsvorgang ein. Das durch Evaluation erzeugte Wissen dient der Bewertung des zu evaluierenden Sachverhalts, und auch der Evaluationsvorgang selbst impliziert eine Fülle von Bewertungen: von der Auswahl des Gegenstandes über die Festlegung der Evaluationsziele, die Erarbeitung und Auswahl der genauen Fragestellung, die Art der Datensammlung und die Form der Datenauswertung bis hin zur Diskussion der Ergebnisse und Schlussfolgerungen. Um Evaluationsergebnisse praxisorientiert verwerten zu können, bedarf es der Festlegung von Kriterien oder Maßstäben, die für die bewertende Erörterung der Evaluationsergebnisse zugrunde gelegt werden. Der Zusammenhang, in dem die Evaluation und deren Ergebnisse verwertet werden, macht Evaluation immer zu einem „politischen“ Vorgang: ein Prozess, in dem Wertmaßstäbe zur Geltung gebracht werden, in dem Interessen und darauf bezogene Hoffnungen und Befürchtungen aktualisiert werden und in dem daher mit strategischen Kalkülen verschiedener Interessenträger gerechnet werden muss. Evaluation löst deswegen in der Regel eine soziale Dynamik aus, weil Interessen von Beteiligten angesprochen werden, Handlungsmöglichkeiten von Einzelnen oder Gruppen möglicherweise in Frage stehen (eingeschränkt oder ausgeweitet werden können), Gewinne oder Verluste von materiellen und nichtmateriellen Ressourcen (finanzielle Förderung, Ausstattungen mit Arbeitsmaterial, Ansehen, Geltung etc.) drohen. Daher ist Evaluation nicht nur als ein sachlicher Vorgang, sondern auch als ein Prozess mit einem hohen sozial dynamisierenden Potenzial zu betrachten, was auch bei der Gestaltung des Rahmens für Evaluationen zu berücksichtigen ist (vgl. Kap. 6). Aus dem für Evaluation konstitutiven Wertbezug ist die Notwendigkeit zu schlussfolgern, dass die an einem Evaluationsprozess Beteiligten ihre Positionen offenlegen und einen Diskurs über die bei der Evaluation aktualisierten Wertsetzungen führen. Evaluation ist somit gebunden an Verfahren der Aushandlung und der diskursiven Rechtfertigung.

Maßstäbe, die als Bewertungshintergrund und als Begründung für Wertsetzungen in einer Evaluation herangezogen werden können, sind u.a.:

• Richtwerte,

• Ziele,

• Zielgruppenerwartungen,

• Erwartungen von Interessenträgern („stakeholder“),

• in der Profession geltende und durch die Profession legitimierte Standards,

• Vergleiche zu vorherigen Verläufen / Ergebnissen (Zeitreihenvergleiche),

• definierte Mindestansprüche (Minimalanforderungen),

• maximal erreichbare Werte (Definition eines Optimums) (Stockmann / Meyer 2010, 78 f).

Systematisierte Informationsgewinnung

Zu 2:

Die für die Bewertung eines Sachverhalts erforderlichen Informationen werden nicht zufällig erhoben, sondern in systematischen, methodisch angeleiteten und transparenten Verfahren. So werden z. B. in einer Kindertageseinrichtung die einzelnen Erzieherinnen in einer Teamsitzung nicht nur nach dem Eindruck gefragt, ob sich nach ihrer Einschätzung durch das Sprachförderungsprogramm, das in den letzten sechs Wochen realisiert worden ist, in den einzelnen Gruppen „etwas verbessert“ habe, sondern zur „Evaluation“ wird eine solche Bewertung erst dann, wenn genauer definiert worden ist, welche Effekte man mit dem Sprachförderungsprogramm erzielen wollte, wenn darauf ausgerichtete Beobachtungsbögen erarbeitet worden sind, und wenn Verfahren verabredet worden sind, in welchen Situationen und durch wen die Beobachtungsbögen eingesetzt werden und wie die Auswertung der dokumentierten Beobachtungen vonstattengehen soll. Um von „Evaluation“ sprechen zu können, bedarf es somit der kriteriengeleiteten, im Hinblick auf ein Wissensziel strukturierten Auswahl von Informationen, die durch diese Kriterien zu „Daten“ werden. Die gewonnenen Daten sind nur dann tauglich, wenn sie in einer an wissenschaftlichen Mindeststandards orientierten Weise gewonnen wurden: nach bestimmten Verfahrensregeln, in einem transparenten, überprüfbaren Vorgehen und nach fachlich akzeptierten Gütekriterien (z. B. Validität, Verlässlichkeit etc.). Die Datensammlung muss mittels intersubjektiver und für den zu evaluierenden Sachverhalt aussagefähiger Kriterien und Messverfahren erfolgen. Dabei muss jedoch im Blick behalten werden, dass Messen eine Voraussetzung darstellt, Evaluation jedoch darüber hinausgeht: „Messen“ ist Deskription (auf der Grundlage vorgängiger Entscheidungen), Evaluieren als darauf gegründeter Bewertungsvorgang zielt darüber hinaus auf Lernprozesse im Praxisfeld (Abs et al. 2006, 106). Mit dieser methodischen Systematisierung sorgt Evaluation für eine Distanz zum unmittelbaren Handeln in der Praxis, die Voraussetzung ist für tragfähige Prozesse des Bewertens. Damit wird es möglich, eine „Randposition“ einnehmen zu können, die eine bessere Beobachtung der Praxis erlaubt.

Praktisches Erkenntnis- und Verwertungsinteresse

Zu 3:

Evaluation erfolgt immer im Hinblick auf bestimmte Verwendungszwecke. Es werden Daten erhoben, die als Planungs- und Entscheidungshilfen genutzt werden zur Überprüfung und Verbesserung des untersuchten Gegenstandsbereichs. Es sollen Handlungen, Maßnahmen, Handlungsprogramme, Verfahrensweisen überprüft und verbessert, Entscheidungsalternativen verdeutlicht, Folgen und Nebenfolgen von Handlungen genauer in den Blick genommen, Grundlagen für eine rationalere Entscheidungsfindung gefunden werden. Dies setzt voraus, dass die Akteure der Sozialen Arbeit, die eine Evaluation in ihrem Handlungsbereich initiieren, dafür Ziele definieren. Ohne genau festgelegte Ziele ist keine sinnvolle Evaluation möglich; erst über definierte Ziele erhält Evaluation eine Richtung. In dieser praxisbezogenen Ziel- und Zweckorientierung unterscheidet sich Evaluation einerseits von anderen, in der Sozialen Arbeit praktizierten Bewertungsmodalitäten wie z. B. Supervision, kollegiale Fallberatung, Problemgespräche, „runder Tisch“, und andererseits von „gewöhnlicher“ empirischer Forschung, bei der die praxisbezogene Verwendbarkeit der Forschungsergebnisse in der Regel nicht so deutlich im Mittelpunkt steht. Weil die Akteure der Sozialen Arbeit an pragmatischen Verfahren und an der Lösung praktischer Probleme interessiert sind, wird die Gültigkeit der Ergebnisse von Evaluationen häufig mit ihrer praktischen Bewährung gleichgesetzt – anders als in der wissenschaftlichen Evaluationsforschung, die stärker an „soweit wie möglich verallgemeinerbaren Aussagen interessiert“ ist (Lüders / Haubrich 2004, 326).

Weil Evaluation „mitten im Leben“ angesiedelt ist, somit die Gegenstände der Evaluation und die Konstellationen, die auf diese Gegenstände einwirken, so vielfältig und komplex sind, kann es kein allgemeingültiges Evaluationsdesign und keine speziell auf Evaluation ausgerichteten Methoden geben. Das Evaluationsdesign muss immer wieder neu auf den Gegenstand und auf die spezifische Situation abgestimmt werden. Dabei kann man zurückgreifen auf hilfreiche und erprobte Verfahrensregeln und auf Methoden und Instrumente, die aus der empirischen Sozialforschung transferiert werden können und auf die man sich beim „Erfinden“ eines adäquaten Evaluationsdesigns stützen kann. Doch „jede Erwartung, es könne einen allgemeinen und weitgehend verbindlichen methodologischen und / oder theoretischen Rahmen, eine Art Rezeptbuch für gute Evaluationen geben, ist eine Illusion“ (Kromrey 2000, 22).

Technologische und reflexive Nutzenerwartungen

Die mit dem Verwertungsinteresse einhergehende Nutzenerwartung kann in zwei unterschiedlichen Varianten auftreten:

• in einer technologischen Variante: Hier wünschen sich die Akteure empirische Hinweise, die möglichst kausale Bezüge deutlich machen (also: was genau dafür verantwortlich ist, dass etwas so und nicht anders funktioniert oder solche und keine anderen Ergebnisse mit sich bringt). Die Hinweise auf Kausalitäten sollen die Aspekte für eine Verbesserung genau identifizieren und die Wirksamkeit einer Maßnahme kalkulierbar verbessern. In dieser Erwartungsvariante ist das Ideal: ein hoher Grad der Festlegung von Entscheidungen durch Evaluation. Die Güte der Evaluation erweist sich an ihrer Prägekraft im Hinblick auf Entscheidungen.

• in einer reflexiven Variante: Dabei erhofft man sich von einer Evaluation empirische Hinweise, die auf Differenzen zwischen Ziel und erreichtem Zustand verweisen und die dementsprechend Anlass geben zu einer Suche nach Optimierungsmöglichkeiten – ohne eine Erwartung hinsichtlich genauer Handlungsanweisungen. Man verspricht sich von der Evaluation eine Reflexionshilfe in der Hoffnung, dass die Güte der Reflexion die Wahrscheinlichkeit einer guten Entscheidung erhöht.

Die skizzierten Erwartungsmuster markieren zwei Tendenzen, die im Alltag meist eher unausgesprochen, implizit wirksam sind und zwischen denen sich Akteure der Sozialen Arbeit bewegen, wenn sie die Mühen einer Evaluation auf sich nehmen wollen. Im Vorfeld einer Evaluation sollten sich die Beteiligten klar darüber werden, welchem dieser Erwartungsmuster sie zuneigen und ob mit dem Evaluationsdesign mitsamt den Evaluationsmethoden, die sie entwerfen, ihre Erwartung realistischerweise eingelöst werden kann.

Organisationaler Zusammenhang

Zu 4:

Soziale Arbeit als helfendes und / oder kontrollierendes Handeln bei sozialen Problemen ereignet sich immer in Organisationszusammenhängen. Anders als spontanes und lebensweltliches Helfen erfolgt Soziale Arbeit in organisierter Form: Grundlage ist ein gesellschaftlicher Auftrag, sie muss sich an darauf ausgerichteten Zielen orientieren und handelt in bestimmten methodischen Mustern. Soziale Arbeit wird durch mehr oder weniger komplizierte und politisch-administrativ festgelegte Finanzierungsformen am Leben erhalten, erfordert Kooperationen und erwartbare Handlungsketten von Akteuren. Sie ist also organisiertes Handeln sowohl im Hinblick auf Abläufe als auch im Hinblick auf die Einbindung in organisationale Strukturen. Vor diesem Hintergrund ist Evaluation nicht nur als ein methodisches Arrangement, sondern immer auch im Zusammenhang einer Organisation (oder auch mehrerer Organisationen) zu sehen. Organisationen sind auf systematische Informationen angewiesen: etwa über den Grad der Zielerreichung, über die Effektivität ihrer Handlungsprogramme, über das Verhältnis von Aufwand und Nutzen ihres Handelns, über den bei ihren Adressaten und / oder Interessenträgern wahrgenommenen Nutzen ihrer Aktivitäten etc. Ohne solche Informationen sind Entscheidungen zur innengerichteten Steuerung, differenzierte Beurteilungen zur Leistungsfähigkeit von Organisationsteilen etc. und glaubwürdige Aktivitäten zur außengerichteten Legitimation nur schwer möglich. Je prekärer die Situation für eine Organisation wird, je störungsanfälliger also innere Abläufe und je bedrohlicher die Legitimationsanfragen von außen werden, desto mehr benötigt die Organisation solche Informationen, die u.a. durch Evaluation erzeugt werden können. Die wachsenden Legitimationsanfragen an Organisationen Sozialer Arbeit („Welche Effekte erzeugt Ihr eigentlich mit dem Geld, das Ihr von der Gesellschaft erhaltet?“) sowie der Druck zu größerer Flexibilität und Wirtschaftlichkeit können als ein Erklärungsfaktor für die wachsende Bedeutung des Evaluationsthemas in den letzten Jahren angesehen werden.

2 021,43 ₽
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275 стр. 10 иллюстраций
ISBN:
9783846352007
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