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Schlussbemerkung und Danksagung

Die kurdischen Märchen, Volkserzählungen und andere folkloristische Überlieferungen sind bis heute noch nicht hinreichend wissenschaftlich erforscht. Es erfordert noch viele Untersuchungen auf dem Gebiet der Mythologie, Literaturwissenschaft und Linguistik. Deshalb bedeutet jedes Bemühen auf diesem Gebiet einen Fortschritt in der Beleuchtung vieler unklar gebliebener Vermutungen. Man kann annehmen, dass manche Spuren bis zur bewegten nomadischen Zeit zurückführen und Bezüge zur vorzoroastrischen und zoroastrischen Zeit herzustellen sind, sowie zur christlichen und islamischen Religion. Es erschwert die Aufgabe allerdings wesentlich, dass diese Literatur nur mündlich überliefert wurde und dass bisher nur in geringem Umfang Sammlungen angelegt wurden. Die politische Lage, in der sich das auf fünf Staaten aufgeteilte Kurdistan immer noch befindet, macht diese Arbeit nicht leichter. Man möchte es nicht glauben, aber bis vor wenigen Jahren wurden die Kultur und sogar die Existenz der Kurden als ein selbständiges Volk aus politischen Gründen bestritten. Trotzdem konnten manche Kurden und Orientalisten diese schwierige Situation relativ früh überwinden und schon Ende des 19. Jahrhunderts mit verschiedenen Sammlungen beginnen(32).

Die meisten Märchen und Volkserzählungen, die sich in diesem Buch befinden, werden zum ersten Male in einer europäischen Sprache vorgelegt. Es gibt auch einige (wie z.B. Firr und Tirr)(33), die ich selbst gesammelt habe. In der Übersetzung bemühte ich mich besonders, die Art des Denkens und die spezifischen Ausdrucksweisen der Kurden deutlich aufzuzeigen. Um kurdische Eigenheiten näher zu erläutern, hielt ich es für notwendig, manche Anmerkungen und Fußnoten anzubringen, die für Linguisten und Literaturwissenschaftler interessant sein können(34). Die kurdischen Namen und Wörter, die in den Texten der Märchen und Volkserzählungen vorkommen, sind so dargestellt, dass sie von Deutschsprechern möglichst leicht zu lesen sind und dennoch ihren kurdischen Charakter bewahren (mehr dazu im Abschnitt Zur Aussprache und Transkribierung im Anhang).

Bevor ich dieses Vorwort abschließe, möchte ich allen Freundinnen und Freunden herzlich danken, die mich bei dieser Arbeit - zunächst hin zur Printveröffentlichung 1972 - so wunderbar unterstützt haben: Fr. Doris Feyerabend befasste sich mit der sprachlichen Verschönerung meiner Übersetzung. Sie hat auch ihre hervorragende malerische und graphische Begabung eingesetzt, um die Illustrationen für die Texte und das Titelblatt zu gestalten.

Mein Freund und Landsmann Ahmad Naqîb stellte mir einige der selten gewordenen kurdischen Quellen zur Verfügung.

Die unvergessene Kurdologin B. Rudenko, die aus der Ukraine stammte und in der Sowjetunion wirkte und leider viel zu jung verstarb, stellte mir freundlicherweise einige ihrer Werke zur Verfügung. Ich habe ihre Werke intensiv zur Kenntnis genommen, und es erfüllt mich immer aufs Neue mit Staunen, wie gut sie das Kurdische beherrschte.

Frau Rosemarie Brown sah das erste Manuskript für die Printveröffentlichung gewissenhaft durch und gab mir wertvolle Anregungen. Fr. Inge Storde schrieb das Manuskript und bereitete es dankenswerter Weise zum Drucken vor.

Jahrzehnte nach der Printveröffentlichung liegt es nun als Ebook vor - dank der Hilfe und des Engagements zweier weiterer Freundinnen: Hanne Küchler und Jutta Neuendorff. Sie haben sich gemeinsam um die Digitalisierung des ursprünglichen Printbooks verdient gemacht und es in die vorliegende schöne Form gebracht, wofür ich ihnen herzlich danke.

Wie schon anlässlich des Erscheinens der Printausgabe 1972 wünsche und hoffe ich schließlich, dass ein wachsendes Interesse für die kurdische Kultur sich in möglichst zahlreichen weiteren Übersetzungen kurdischer Volksliteratur niederschlagen wird.

Jemal Nebez

Berlin, den 1.12.2018



~ Die schlaue Witwe ~

Als vor vielen, vielen Jahren der Vollmond sich noch nicht so oft gerundet hatte und die Hagelkörner groß wie Wassermelonen vom Himmel fielen, lebte in Kurdistan eine Witwe, die die Schlauheit eines Fuchses besaß. Sie war schon so oft verheiratet gewesen, dass die Finger ihrer Hand zum Zählen ihrer Männer nicht ausreichten. Anfangs tat sie sehr schön mit ihnen und strich ihnen Honig um den Mund, aber je mehr die Zeit verging, desto mehr Fehler entdeckte sie an einem jeden und desto mehr nörgelte und zankte sie herum. So blieb den Männern zuguterletzt nichts anderes übrig, als vor ihrer spitzen Zunge in der stillen, kühlen Erde Zuflucht zu suchen. Allesamt waren sie an Ärger gestorben. Das erzürnte die Frau wie eine Katze, der man die Maus wegnimmt, und sie dachte: "Das wollen Männer sein! Beim Barte des Propheten, sie halten ja überhaupt nichts aus!" Und sie beschloss, sobald keinen Mann wieder zu nehmen, und blieb lange Zeit allein.

Da trat eines Tages ein großer, starker Mann in ihr Haus. Er grüßte höflich, stellte sich dann mitten ins Zimmer und stemmte die kraftvollen Arme in die Seiten: "Gultschien Khan! Ich habe gehört, dass du allein lebst. Auch ich bin allein. Wenn du einverstanden bist, will ich dich gern zur Frau haben." Die Frau betrachtete ihn neugierig. Sein blasses Gesicht, weiß wie der Schnee in den kurdischen Bergen, und der dunkle, buschige Schnurrbart machten Eindruck auf sie. Seine Augen indessen schätzten sachkundig und flink wie die einer Schlange den Hausrat ab. "Der wäre nicht so übel!", dachte sie bei sich, bot ihm einen Platz an und brachte Tee in ihren besten goldgeränderten Gläschen.

"Wer bist du eigentlich, und was für einen Beruf hast du?", fragte sie mit gerunzelter Stirne, nachdem sie die ersten Tassen leergetrunken hatten.

Die Frau war einverstanden. Und so gingen sie zu einem Geistlichen, und der Dieb wurde ihr rechtmäßiger Ehemann. Sie gewöhnte sich schnell an den neuen Tagesablauf, der einem Wiesenbächlein gleich dahinplätscherte, denn wirklich ging ihr Mann jede Nacht und kam erst zum Morgengebet wieder. Da er am Tag schlief wie ein Frosch und sie ihn deshalb kaum zu Gesicht bekam, hatte sie nichts zu bekritteln und fühlte sich bald so einsam wie eine sturmzerzauste Fichte im Gebirge. So verging einige Zeit. Da kam eines Tages nach dem Abendgebet ein anderer Mann zu ihr. Er benahm sich genauso wie der erste und sprach: "Liebe Frau, ich habe gehört, dass du Witwe bist. Willst du mich anhören?"

Sie setzten sich. Die Frau brachte Tee und blickte mit Wohlgefallen auf sein braungebranntes Gesicht und seine feinen Hände. Dann sprach sie: "Willst du mich heiraten?" Der Mann antwortete sogleich: "Sehr gerne!" Schnell erkundigte sich die Frau nach seinem Beruf.

Er blinzelte lächelnd, verbeugte sich und sprach: "Ich bin ein Tagesdieb! Jeden Tag nach dem Morgengebet gehe ich aus. Finde ich eine unverschlossene Tür, so gehe ich ins Haus und nehme mit, was ich finde. Auf dem Bazar, wo immer ein Gewimmel von Menschen ist, stecke ich meine Hand in die Taschen und ziehe ihr Geld heraus. Wenn es nicht klappt, bekomme ich schon mit irgendeinem anderen Trick etwas. Allah -möge ich sein Opfer sein- hat noch niemanden verhungern lassen. Aber habgierig bin ich nicht, denn wenn ich am Tage etwas verdient habe, komme ich zum Abendgebet heim, bete und bleibe bis zum nächsten Morgen zu Hause."

Als die Frau das hörte, dachte sie bei sich: "Mein Mann ist immer des Nachts fort. Dieser Mann hier ist in der Nacht zu Hause, und ich wäre Tag und Nacht nicht so einsam. Allah ist großmütig und wird sicher nichts dagegen haben, wenn ich diesen Mann auch noch heirate."

So geschah es, dass sie beide zu einem Geistlichen gingen und alsbald verheiratet waren.

Nun hatte die Frau also zwei Diebe als Ehemänner und ließ es sich von beider Arbeit wohlergehen. Mit dem Stolz eines Jägers, der einen Tiger erlegt hat, betrachtete und verglich sie ihre Männer in Gedanken und verspürte schließlich den Wunsch, sie einander gegenüber zu stellen, um zu sehen, welcher mehr tauge. Da dachte sie lange nach und legte sich schließlich einen Plan zurecht.

Eines Nachts sagte sie zum Tagesdieb: "Lieber Mann, ich bitte dich, geh morgen nicht zum Stehlen. Der Dorfschulze von Muan ist mir zwanzig Lira schuldig. Geh und hole mir das Geld zurück!"

Der Mann rieb sich beim Gedanken an so viel Geld auf einmal freudig die Hände und sagte mit dem Stolz eines Emirs: "Bei meinen Augen! Ich werde es tun!" Am nächsten Morgen zeigte die Frau sich sehr besorgt, wie ein Bauer nach drei regenlosen Monaten, brachte ein Fladenbrot und teilte es vor den Augen des Mannes in zwei Hälften. Dann holte sie ein rotes Tuch und schnitt es in der Mitte entzwei. Sie wickelte die Hälfte des Brotes in die Hälfte des Tuches ein, reichte sie dem Tagesdieb und sprach: "Lieber Mann, du machst dich also jetzt auf den Weg; Allah sei mit Dir! Auf der Brücke von Kiljasan halte Rast, frühstücke in aller Ruhe und warte so lange, bis du einen Begleiter findest, der mit Dir zum Schulzen geht. Wenn du nämlich allein zu ihm kommst, wird er sich so frech benehmen wie ein Hund vor seines Herrn Tür!"

Der Mann lachte wie ein Eichelhäher, war aber mit allem einverstanden. Er nahm das Brot und zog seines Weges. Kurz danach kam der Tagesmann, der Nachtdieb, hereingeschlichen. Zu ihm sprach die Frau: "Lieber Mann, ich bitte dich, setz dich nicht so in aller Seelenruhe hin! Der Schulze von Muan schuldet mir zwanzig Lira. Geh und hol sie mir zurück! Ich gebe dir ein Frühstück mit auf den Weg. Auf der Kiljasan Brücke mache Brotzeit und warte so lange, bis du einen Kameraden findest, der mit dir zum Dorfschulzen geht. Wenn du nämlich allein kommst, wird er sich so frech benehmen wie ein Hund vor seines Herrn Tür!"

Als sie ihn so auf die Beine gebracht hatte, gab sie ihm die zweite Hälfte des Fladenbrotes, die sie in die zweite Hälfte des Tuches eingewickelt hatte, und er machte sich damit ohne Wiederrede auf den Weg. Auf der Brücke von Kiljasan angekommen, sah er den Tagesdieb dort sitzen. Er begrüßte ihn angemessen und ließ sich in seiner Nähe nieder.

Kurze Zeit später fing der Magen des einen wie ein Hund zu knurren an. Er packte sein Frühstück aus und bot dem andern davon an. Als der aber das halbe Brot in dem halben Tuch sah, stutzte er wie ein störrischer Esel, legte einen Finger an die Nase und blickte seinen Gefährten verwundert an. Da sagte der erste: "Bitte iss, Bruder! Warum schaust du so seltsam? Ist mein Essen vielleicht schmutzig? Sieh, das Tuch ist ganz sauber! Du brauchst Dich nicht zu ekeln!" Da entgegnete der andere: "Sei mir nicht böse, Bruder! Ich meine nicht, dass dein Essen schmutzig ist. Aber ich will Dir sagen, dass ich auch so ein halbes Brot in ebensolchem halben Tuch bei mir habe!"

Damit zog er sein Frühstück heraus. Nun schaute der erste drein wie ein Bauer, auf dessen Reisfeld Kartoffeln gewachsen sind. Als sie die beiden Hälften des Tuches zusammengefügt hatten, wurde ihnen klar, dass beide Teile von einem Tuch stammen, genau wie die beiden Brothälften, die sie ebenfalls nebeneinander gelegt hatten, von einem Brot! Sie stützten den Kopf in die Hand und sahen einander einige Minuten lang ganz verblüfft an, wie zwei Ochsen, denen man das Heu aus dem Maul reißt. Der Nachtdieb fasste sich als erster und fragte forschend: "Was machst du, und wohin gehst du?" - "Ich will dir meine Arbeit nicht verraten", antwortete der Tagesdieb zögernd, "aber ich gehe nach Muan. Meine Frau hat zwanzig Lira von dem Schulzen dort zu bekommen, die will ich ihr zurückholen." Der Nachtdieb riss die Augen kugelrund auf: "Wie heißt deine Frau?" - "Sie heißt Gultschin!"

"Mensch, das ist doch meine Frau!" rief der Nachtdieb böse zurück. "Und auch ich bin wegen des Geldes unterwegs!"

Sie sprangen beide auf und starrten sich wie zwei Kampfhähne an. Es fehlte nicht viel, und sie hätten eine große Streiterei angefangen. Aber, besonnen, wie sie beide als Diebe waren, fanden sie einen Ausweg und beschlossen, Gultschin selbst zu fragen, wem sie nun eigentlich gehöre.

Sie machten sich schnurstracks auf den Heimweg. Zu Hause angekommen, blieben sie vor der Tür stehen und riefen mit energischer Stimme: "Gultschin! Gultschin! Gultschin!" Jeder wollte sein Recht vor dem anderen beweisen. Sie riefen: "Komm heraus und sage uns, wer dein Mann ist!" Ihre Schnurrbärte zitterten dabei vor Aufregung.

Die Frau stemmte die Arme in die Seiten und lachte: "Meint ihr, so eine angesehene Frau wie ich ist mit jedem Taugenichts zufrieden? Ich gehöre dem, der am tapfersten und ein Meister seines Faches ist!" Da blieb den beiden nichts übrig, als eine Probe ihres Könnens zu geben. Der Tagesdieb sprach zu seinem Gefährten: "Du, Kamerad, jetzt ist es Tag und gerade meine Arbeitszeit. Komm mit, damit ich dir meine Fähigkeiten zeigen kann!" Der Nachtdieb war einverstanden, und so gingen sie beide zum Basar.

Es war gerade ein Freitag. Die jüdischen Geschäftsleute, die die Woche über ihre Waren auf Pump verkaufen, treiben an diesem Tag ihr Geld ein, um die Abrechnung für die nächste Woche zu machen. Einer von ihnen war als ein gutherziger Mann bekannt und sehr beliebt. Er trat gerade aus seinem Geschäft, als der Tagesdieb ihn erblickte und sich sagte, dass er sicher den wöchentlichen Gang tun werde, um sein Geld einzusammeln. Flugs heftete er sich an seine Fersen und beobachtete, wie der Jude in einem Geschäft zwei Lira, in einem anderen drei Lira bezahlt bekam. Jedes Mal steckte er den Betrag in einen kleinen Leinensack, den er sorgfältig unter seinem Gewand verwahrte.

"Pass auf", flüsterte der Tagesdieb dem Nachtdieb ins Ohr, "ich komme trotzdem an das Geld!" Und wirklich, als der Jude wieder aus einem Haus heraustrat, wollte er die erhaltene Summe nachzählen und nahm das Säckchen in die Hand. Diesen Augenblick benutzte der Tagesdieb, riss es ihm schnell wie ein Tiger aus der Hand und verbarg es bei sich. "Bitte, gib mir doch mein Geld zurück!" jammerte der Bestohlene. Aber der Dieb antwortete frech: "Welches Geld? Du lügst! Ich hab dir doch nichts gestohlen!" Der Jude hörte nicht auf zu bitten, und bald hatte sich ein Kreis von Neugierigen um sie gebildet. Der Dieb blieb bei seinem unverfrorenen Leugnen, aber man schenkte ihm keinen Glauben, weil der Jude sehr beliebt war. Ein paar starke Burschen packten ihn fest am Gewand, und andere riefen die Polizei herbei.

Die Schutzmänner betrachteten die beiden eingehend, strichen mit zwei Fingern ihre Bärte glatt, räusperten sich und baten den Juden zu sprechen. Er erzählte alles und schloss mit den Worten: "Bei Moses, ich bin bereit, dem Mann zu verzeihen! Wenn er mir nur mein Geld zurückgibt, so mag er straffrei ausgehen!" Der Tagesdieb bestritt jedoch eifrig den Diebstahl und fragte: "Hat jemand gesehen, dass ich ihn überfallen habe?" Da machte der Jude ein betroffenes Gesicht: "Ich habe keinen Zeugen, weil du mich so schnell und heimlich angegriffen hast!"

"Gut", antwortete der Tagesdieb, "du hast also keine Zeugen, sehr schön! Aber wieviel Geld ist denn in dem Beutel?" Da musste der Jude zugeben, dass er keine Ahnung habe. Daraufhin richtete der Dieb einen langen und bedeutungsschweren Blick auf den Polizeimeister und sagte nach einer Pause: "Da seht Ihr, Herr, dass er lügt! Er weiß nicht einmal, wieviel Geld in dem Beutel, von dem er behauptet, dass er ihm gehört, ist! Bitte fragt ihn, ob i c h etwa das Geld gezählt habe!" Der Jude verneinte. Da rief der Spitzbube triumphierend aus: "Ich weiß aber, wieviel es ist!". Er nannte einen Betrag, und als das Geld gezählt wurde, stimmte die angegebene Summe auf Heller und Pfennig. Nun waren auch die Schutzleute von der Unschuld des Diebes überzeugt, und der Polizeimeister sprach: "Du hast recht. Der Jude hat selbst gestanden, dass du das Geld nicht gezählt hast. Also gehört der Beutel dir!"

Aber der Jude gab noch nicht auf und bat: "Lieber Herr, glaubt ihm doch nicht. Alle Leute im Basar kennen mich und ....." - "Dieser reiche Jude will einem armen Mohammedaner sein Geld abgaunern!" empörte sich der Polizeimeister, und die Leute riefen zornig: "Macht ihm Beine, dass er verschwindet!" Da packten die Schutzmänner den Juden und versetzten ihm einen Stoß, so dass ihm nichts übrig blieb, als sich aus dem Staube zu machen.

Selbstgefällig wandte sich der Tagesdieb seinem Gefährten zu: "Nun, wie findest du mich?" - "Sehr gut!" gab der Nachtdieb zu. "Aber warte nur, bis du mich gesehen hast heute Nacht!"

Am Abend schlichen die beiden Diebe zum Palast des Paschas. Sie kletterten leise und flink wie die Eichhörnchen an einem Strick aufs Dach. Aber als sie sich von innen in den Hof hinuntergelassen hatten, kam schnatternd eine Gans, die das Amt des Wächters innehatte, angewatschelt. Zuerst erschraken die beiden sehr, dann fassten sie sich und versteckten sich im Dunkeln hintereinander. Als die Gans wieder vorbeikam, packte der Nachtdieb sie an der Gurgel und drehte ihr blitzschnell den Hals um. Dann gab er sie dem Tagesdieb und sagte: "Geh in die Küche und brate sie!" Der Tagesdieb verschwand, und der Nachtdieb blickte sich erst einmal in alle Richtungen um, dann schlich er an dem verschlafenen plätschernden Brunnen vorbei durch die weiten Höfe. Er sah im Mondlicht die bunten Kacheln schimmern mit der immer wiederkehrenden Schrift: "Allah ist groß." Nach einer Weile kam er zu einer Treppe, stieg hinauf und sah einen hellen Schein. Da wusste er, dass sich dort das Gemach des Paschas befand. Er erblickte den Herrscher, der auf weichen, zartfarbenen Polstern lag. Neben ihm auf dem Boden saß ein Märchenerzähler, der gerade die Geschichte von Sultan Mahmoud und Hajasi Khas vortrug. Der Mann blickte sehr schläfrig drein, und jedes Mal, wenn der Pascha einschlummerte, fielen auch ihm die Augen zu. Dann wachte der Pascha durch die plötzliche Stille wieder auf und gebot: "Hama, erzähle weiter!" Und Hama schreckte hoch und murmelte wieder einige Sätze.

Der Nachtdieb beobachtete dies alles eine Zeitlang. Dann holte er einen großen Korb, band einen starken Strick daran und befestigte das andere Ende des Strickes an der Zimmerdecke. Als nun Hama wieder einnickte, hob er ihn flink und vorsichtig in den Korb und zog an dem Strick, bis der Korb mitsamt seinem schlummernden Inhalt unter der Decke schwebte. Dort würde er eine Weile seelenruhig schlafen.

Der Nachtdieb indessen ließ sich auf Hamas Platz nieder. Alles war sehr geschwind geschehen. Nach der üblichen kleinen Weile erwachte der Pascha wieder und sagte schlaftrunken: "Erzähle weiter, Hama!"

Der Nachtdieb hatte sich genau gemerkt, wo sein Vorgänger stehen geblieben war und fuhr mit der Geschichte fort. Inzwischen hatte er den lieblichen Geruch der gebratenen Gans in die Nase bekommen und rief leise nach seinem Kameraden, dem Tagesdieb. Der Pascha fragte im Halbschlaf unter seiner Decke: "Hama, was für eine Gans?" Der falsche Hama war nicht faul und antwortete sogleich: "Pascha, man hat damals eine herrliche Gans für Sultan Mahmoud gebraten!" Da schlief der Pascha beruhigt wieder ein. Nun schlich der Nachtdieb herum und sammelte alle kostbaren Dinge im Palast, deren er habhaft werden konnte, ein. Dann stahlen er und sein Kamerad sich mit der reichen Beute und dem köstlichen Braten dazu schleunigst davon und kehrten nach Hause zurück.

Der Tagesdieb war nun sehr begeistert von den Künsten seines Gefährten, schlug ihm einmal über das andere auf die Schulter und erkannte neidlos seine Meisterschaft im Stehlen an. Am nächsten Morgen erwachte der Pascha und rief nach seinem Märchenerzähler. Der erwachte, war aber zu müde, um die Augen zu öffnen, und erzählte schlaftrunken weiter. Dem Pascha kam die Stimme seltsam weit entfernt vor. Er reckte den Kopf aus der Decke und sah sich um, konnte Hama aber nirgends erblicken. Voll Erstaunen setzte er sich auf und blickte endlich auch in die Höhe. Da sah er oben an der Decke einen Korb hängen, aus dem die murmelnde Stimme seines Märchenerzählers klang. Kopfschüttelnd rief er: "Hama, du Hurensohn, was machst du da oben in dem Korb?" Hama öffnete die Augen und schrie entsetzt wie ein Dorfbewohner, der einen Schwarm Heuschrecken kommen sieht: "Um Gottes Willen! Wer hat mich in diesen Korb gesteckt? "Nun rief der Pascha einen Diener und befahl ihm schmunzelnd, die "Nachtigall" herunter zu holen. Als der Korb unten war und der Diener Hama erblickte, wich er erstaunt zurück: "Das ist doch Hama! Seit wann bist du, Hama, eine Nachtigall?"

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199 стр. 16 иллюстраций
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9783746787060
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Bookwire
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