Читать книгу: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 676»

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Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-090-9

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Jan J. Moreno

Die Insel der Lords

Stolz nennen sie das Eiland „Elizabeth Castle“ – aber sein strategischer Wert ist gleich Null

August 1599.

Das englische Kriegsschiff „Respectable“ war im Sturm auf ein Riff gelaufen. Die Wassereinbrüche weiteten sich aus. Inzwischen wurde rundum die Uhr gelenzt. Das Schiff hing zwar an einem Korallenblock fest, aber das Heck drohte weiter abzusacken.

In dieser Situation wurden die Boote dringend gebraucht.

Dennoch ließ der Erste Offizier zwei Jollen für einen langen Törn ausrüsten und sogar Drehbassen auf den vorderen Duchten montieren.

Er führte seinen eigenen Krieg.

Gegen Philip Hasard Killigrew, den Seewolf …

Die Hauptpersonen des Romans:

Lord Hyram Scaleby – der Erste Offizier der „Respectable“ bildet sich ein, mit zwei Jollen eine Schebecke entern zu können.

John Macleod – der Dritte Offizier schlachtet „Waldmenschen“ ab und ist auch noch stolz darauf.

Sir Godfrey Ballantine – der Zweite Offizier nimmt von einer Insel der Lakkadiven Besitz und nennt sie „Elisabeth-Castle“.

Philip Hasard Killigrew – verpaßt „Seiner Durchlaucht“ Lord Hyram einen Denkzettel, der es in sich hat.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Kapitän Thomas Carnavon, ein hagerer Mann mit hellen Augen, spitzer Nase und dürrem Mund, vertrat seinem Ersten Offizier den Weg hinunter zur Kuhl. Herausfordernd hakte er die Daumen hinter den Waffengurt. Trotzdem wirkte er deprimiert.

„Was wollen Sie beweisen, Lord Hyram? Daß Sie ein Held sind? Oder daß Sie wider Erwarten die See nicht fürchten?“

Hyram Scaleby, zur Fülle neigend, verweichlicht und vor allem eingebildet zog indigniert die Brauen hoch.

„Ich habe gestern erklärt, was ich zu tun gedenke, und auch schon vorgestern“, sagte er mit seiner Piepsstimme. „Soll ich mich stündlich wiederholen?“

„Das Schiff wird auseinanderbrechen“, erklärte der Kommandant.

„Das glaube ich nicht.“

„Wir werden die Mannschaft, die Tiere und den Proviant auf die Insel übersetzen müssen.“

„Und natürlich die Geschütze, Sir Thomas.“ Scaleby wirkte provozierend. Er fühlte sich der Rückendeckung der anderen Offiziere sicher.

„Gerade dann brauchen wir alle drei Jollen“, widersprach Thomas Carnavon.

Der Erste lachte heiser. „Die Insel liegt eine lächerliche viertel Meile entfernt. Wissen Sie sich nicht anders zu behelfen?“

Seine Hände schossen vor und umklammerten Carnavons Oberarme. Er schob den Kommandanten einfach zur Seite.

Carnavon verfärbte sich, wurde erst bleich und dann rot im Gesicht. „Sie vergessen sich!“ rief er mit zitternder Stimme. „Dafür könnte ich Sie einsperren lassen.“

Scaleby enterte zur Kuhl ab. Innerlich schäumte er vor Wut, denn Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, hatte die Offiziere der „Respectable“ gedemütigt, ausgelacht und betrogen, bevor er davongesegelt war. Daß die Wirklichkeit ein wenig anders aussah, verdrängte der Erste Offizier.

Inzwischen segelte Killigrews Schebecke auf Südkurs. Sie einzuholen, war unmöglich. Scaleby wollte ihr dennoch folgen – entweder mit den Jollen oder mit einem Schiff, das er unterwegs zu kapern gedachte. Vielleicht kreuzte vor der Malabarküste eine indische Pattamar seinen Kurs. Er hatte gehört, daß diese Schiffe ausgezeichnete Segeleigenschaften haben sollten.

„Lord Hyram!“ rief der Kommandant hinter ihm her. „Ich verbiete Ihnen, die Jollen für Ihre Zwecke zu mißbrauchen. Lassen Sie die Drehbassen wieder abmontieren.“

„Nein“, sagte der Erste Offizier, ohne sich umzuwenden. „Haben Sie vergessen, daß Killigrew elf Tonnen Gold und Silber mitführt? Nur sie könnten den Verlust der ‚Respectable‘ aufwiegen.“

„Ich bin für die Sicherheit der Mannschaft verantwortlich, Lord Hyram.“

Der Erste zuckte mit den Schultern. Er dachte gar nicht daran, sich zurückhalten zu lassen.

„Sergeant Beeler“, befahl der Kommandant auf dem Achterdeck, „nehmen Sie den Mann fest!“

Der Angesprochene zeigte flüchtiges Erstaunen. „Den Lord?“ fragte er.

„Habe ich mich mißverständlich ausgedrückt, Sergeant?“

„Nein, Sir.“

„Dann tun Sie Ihre Pflicht!“

„Ich bedauere, Sir, aber ich kann Lord Hyram nicht daran hindern, sein Vorhaben zu Ende zu führen.“

„Sie widersetzen sich dem Befehl Ihres Kommandanten, Sergeant.“ Carnavon sprach plötzlich gefährlich leise. „Das ist Meuterei. Ich werde …“

„Sie werden die Angelegenheit überschlafen, Sir.“ Der Zweite Offizier, Sir Godfrey Ballantine, Earl of Berwick-upon-Tweed, betrat soeben das Achterdeck. Ihm folgte John Macleod of Dunvegan Castle auf dem Fuß.

„Was ist das?“ fragte Carnavon ungläubig. „Eine Verschwörung?“

„Sie verkennen die Prioritäten, Sir“, sagte Ballantine ruhig. Er war ein eitler, in teures Tuch gekleideter Stutzer, der eine weißgraue Perücke trug und mit näselnder Stimme sprach. „Wir wollen keine Veränderung in der Schiffsführung, sondern schlicht und einfach den Seewolf zur Rechenschaft ziehen. In dieser Hinsicht unterscheiden sich unsere Meinungen wohl wenig voneinander.“

„Dennoch lasse ich mich vorher davon unterrichten, was meine Offiziere planen. Oder ist das zuviel verlangt?“

„Das Ergebnis wäre kaum anders. Wir wissen, Sir, daß Sie unsere Argumente würdigen.“

Der Kommandant nickte schwach. Es war sinnlos, sich vor der Mannschaft auf einen Disput mit den Offizieren einzulassen. Damit schadete er nur dem eigenen Ansehen.

Auf dem Absatz drehte er um und verließ das Achterdeck über den Niedergang zu seiner Kammer. Wieder einmal hatte er ein Stück seiner selbst verloren. Er mußte hilflos mit ansehen, wie ihm die Befehlsgewalt über die „Respectable“ wie Sand durch die Finger rann, und er konnte nichts dagegen tun. Die Lords spielten mit ihm, weil er nicht in der Lage war, sich gegen sie durchzusetzen.

Sir Thomas blieb den Oberdecks auch dann noch fern, als knapp eine Stunde später die beiden voll ausgerüsteten Jollen abgefiert wurden.

Achtzehn Seesoldaten standen bereit, in die Boote abzuentern. In ihren roten Waffenröcken mit den über der Brust gekreuzten weißen Schulterriemen, den Kniehosen und schwarzen Schaftstiefeln, die Musketen vor sich aufgepflanzt, boten sie einen imposanten Eindruck.

Lord Hyram Scaleby stand vor dem Großmast und musterte jeden einzelnen mit durchdringendem Blick.

„Wir werden den Piraten stellen“, sagte er scharf. „Und dann kämpft, als hättet ihr den Teufel vor euch. Ihr tut es für England und für euren Ruhm. Sergeant Beeler: Befehlen Sie die Männer in die Boote!“

„Aye, aye, Sir.“

Beide Jollen waren nicht voll bemannt. Zugunsten ausreichender Munitionsvorräte für Drehbassen und Musketen verzichtete Scaleby auf eine vollzählige Crew.

In der größeren Jolle, unter dem Kommando des Lords, drängten sich elf Seesoldaten und sechs Mannschaftsmitglieder auf den Duchten. Die kleinere war mit sieben Soldaten und vier Seeleuten besetzt. Der Sergeant übernahm selbst die Aufgabe des Bootssteurers.

Die Jollen lagen tief im Wasser. Aber unter Segeln und mit zusätzlicher Riemenkraft würden sie dennoch gute Fahrt laufen.

Lord Hyram Scaleby ging als letzter von Bord. Er warf nicht einen Blick zurück.

„Auf Riemen!“

Die Bootsgasten stießen von der „Respectable“ ab. Kurs Ostsüdost lag an, als wenig später die Segel gesetzt wurden.

Das Gebiet des Korallenriffs bedeutete keine Gefahr. Jetzt, da die See ruhig lag, ragten viele Felsen knapp über die Wasseroberfläche.

Eine mäßige Brise blähte die Segel. Scaleby ließ zusätzlich pullen.

Kaum jemand sprach. Das Wispern und Raunen des Windes, das Knarren der Takelage und das gelegentliche Flappen der Segel, vermischt mit dem Knarren der Riemen in den Rundsein, blieben die einzigen Geräusche.

Flirrender Sonnenglast ließ die Kimm unruhig erscheinen. Mal schien der Horizont zum Greifen nahe, dann rückte er wieder in schier unerreichbare Ferne. Die Masten der „Respectable“ verschwanden bald im Dunst der Mittagshitze.

Unbarmherzig heiß brannte die Sonne vom Zenit. Nur wenige im Westen aufziehende weiße Wolken versprachen Linderung für den späten Nachmittag.

Hyram Scaleby wand sich unbehaglich auf seiner Ducht. Das Tüchlein, das er zum Abtupfen des Schweißes benutzte, war längst klatschnaß. Die Augen zusammengekniffen, daß sie an Schweinsäuglein erinnerten, starrte er über die See.

Er fühlte sich angegafft. Dem Pack, mit dem er sich in der Jolle abgeben mußte, bereitete es Vergnügen, ihn leiden zu sehen.

„Er da!“ herrschte er einen ihm gegenübersitzenden jungen Soldaten an. „Wie heißt er?“

„Jones, Durchlaucht.“

„Warum starrt er mich an?“

Der junge Mann war sichtlich erschrocken. „Ich blicke aufs Meer, Durchlaucht“, erwiderte er.

„Und was sieht er?“

„Kein Segel, Durchlaucht.“

„Hat er erwartet, die Schebecke zu entdecken?“

„Nein, natürlich nicht. Der Korsar hat …“

„Der Pirat!“ rief Scaleby schrill. „Killigrew ist nichts weiter als ein lausiger Pirat, der es geschickt verstanden hat, sich das Vertrauen Ihrer Majestät zu erschleichen. Was wollte er noch sagen?“

„Der Pirat hat genügend Vorsprung. Er wird inzwischen die Koromandelküste erreicht haben.“

Scaleby wußte, daß es schwer sein würde, den Seewolf aufzuspüren. Seine Hoffnung war jedoch, daß Killigrew länger in Madras, seinem Ziel, bleiben mußte – zumindest bis die Fracht der Schebecke gelöscht war. Nur vordergründig galt sein Interesse dem Gold. In Wirklichkeit lag ihm daran, zu beweisen, daß er dem Piraten überlegen war.

„Land voraus!“

Der Ruf schreckte ihn aus seinen Überlegungen auf. Vorlich an Steuerbord zeichnete sich ein dunkler Strich ab, der über dem Wasser zu schweben schien. Erst ein Blick durchs Spektiv verriet, daß Dunst vor der Insel aufzog. Sie maß kaum mehr als einige Meilen, war hügelig und von dichtem Wald bewachsen.

Wenig später zeichnete sich auch an Backbord ein ähnliches Eiland ab. Vorgelagerte Korallenbänke ließen es höchst uninteressant erscheinen. Kein größeres Schiff konnte da hindurch. Soweit das Auge reichte, brachen sich die Wellen in schäumender Gischt.

„Kurs halten!“ befahl Scaleby.

Mit zwei Fingern der rechten Hand lockerte er seinen Kragen. Längst war seine Kleidung durchgeschwitzt. Auch die roten Waffenröcke der Soldaten wiesen häßliche Schweißflecken auf. Doch der Lord dachte nicht daran, ihnen die Erlaubnis zum Ablegen der Uniform zu erteilen. Eher würde er das Trinkwasser rationieren, wenn die Kerle zu oft zu den Fässern griffen.

Die zweite Jolle segelte etwa dreißig Yards achterlich an Backbord.

Plötzlich drang Geschrei herüber. Das Pack hatte die Riemen fahren lassen. Auf einer der achteren Ruderbänke entstand Wuhling.

„Frag er, was los ist!“ herrschte der Erste Offizier Jones an.

„Ein Mann ist zusammengebrochen, Durchlaucht.“

„Das sehe ich selbst. Ist denn keiner von euch Burschen fähig, einen Befehl wortgetreu auszuführen?“

Der junge Soldat zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Er fürchtete den Ersten, das war ihm in dem Moment deutlich anzusehen. Ohne länger zu zögern, legte er die Hände vor den Mund und brüllte die Frage zu der zweiten Jolle hinüber.

„Ein Rudergast ist krank“, antwortete Beeler. „Sieht nicht gut aus.“

Scaleby schnaubte verächtlich. Ausgerechnet er, dick und verweichlicht, behauptete, daß die Seeleute der „Respectable“ keinen Mumm in den Knochen hätten. Der beste Beweis dafür wäre, daß keiner der Offiziere während der Überfahrt nach Indien an Scharbock erkrankt war, wohl aber gut jeder zweite des gemeinen Schiffsvolks.

„Hängen Sie den Kerl kopfüber außenbords, Sergeant! Einige Schluck Salzwasser haben noch keinem geschadet. Anschließend soll er wieder pullen, bis er abgelöst wird.“

Beeler erwiderte nichts. Aber er gab seinen Männern Anweisungen. Gleich darauf tauchten sie den „Drückeberger“ kräftig unter. Lord Hyram Scaleby zählte grinsend mit. Das gemeine Pack hatte es nicht besser verdient.

Als er das vierte Mal übers Dollbord gehängt wurde, begann der Decksmann endlich um sich zu schlagen. Die Soldaten zerrten ihn binnenbords und stießen ihn auf seinen Platz zurück.

„Na also“, murmelte Scaleby, als der Kerl wieder kräftig zu pullen begann. Zufrieden verschränkte er die Arme vor der Brust und genoß das Gefühl der Macht, das er endlich mit niemandem teilen mußte. Bald würden auch auf der „Respectable“ andere Verhältnisse herrschen. Carnavon hatte sich als unfähig erwiesen.

Fünf Schläge später sackte der Rudergast erneut in sich zusammen. Er ließ den Riemen fahren, krümmte sich vornüber und kippte von der Ducht.

Auspeitschen! wollte Scaleby befehlen, besann sich aber rechtzeitig, daß das in den Jollen schlecht möglich war.

„Beeler“, rief er statt dessen, „der Mann wird auf halbe Ration gesetzt!“

Langsam richtete sich der Sergeant auf. Es sah so aus, als schüttele er den Kopf.

„Durchlaucht!“ rief er zurück. „Jamison braucht nichts mehr. Er ist tot.“

Scaleby stieß eine heftige Verwünschung aus. Vorübergehend war ihm, als streife ihn die eisige Hand des Todes. Der Törn nach Madras begann denkbar schlecht. Aber dann schüttelte er die aufkeimende Furcht von sich ab. Er durfte sich nicht aufhalten lassen, das war alles.

Auf beiden Jollen führten sie kein überschüssiges Segeltuch mit, in das sie den Toten hätten einnähen können. Aber das waren Äußerlichkeiten, mit denen sich der Lord ohnehin nicht abzugeben gedachte.

„Ist er wirklich tot?“ fragte er, um sich zu vergewissern. Nicht, daß er Gewissensbisse verspürt hätte, vielmehr brauchte er jede Hand, die zuzupacken verstand.

„Jamison atmet nicht mehr“, erwiderte Beeler.

„Dann über Bord mit ihm!“

Hyram Scaleby verzichtete darauf, sich zu erheben, während der Leichnam in der unergründlichen Tiefe des Ozeans verschwand. Seine Ansprache war dementsprechend kurz.

„Er ist einer von vielen, und er starb, wie er gelebt hat. Herr, gib ihm die ewige Ruhe. Amen.“

Als Sir Thomas Carnavon, der Kommandant des Kriegsschiffs, wieder an Deck erschien, waren die Jollen schon seit Stunden in der endlosen Weite der Wasserküste verschwunden.

Carnavon wirkte verändert. Er achtete weder auf die Decksleute, die sich bedeutungsvolle Blicke zuwarfen, noch auf die Offiziere, die unruhig ihre Runden auf dem Achterdeck drehten. Die „Respectable“ saß fest. Sie hatten nichts unversucht gelassen, um wieder Wasser unter den Kiel zu bekommen. Vergeblich, wie jeder inzwischen eingesehen hatte.

Carnavon blickte zu der nahen Insel hinüber. Ein breiter, verlockender Sandstrand glitzerte im Schein der hochstehenden Sonne. Dahinter ragten Palmen und ein üppiges Dickicht aus Bambus und niederer Vegetation auf. Menschen schienen dort nicht zu leben. Sie hätten sich in all den Tagen seit die „Respectable“ auf dem Riff hing, längst gezeigt.

Ruckartig wandte sich der Kommandant um. „Sir Godfrey, rufen Sie die Geschützmannschaften an Deck!“

Der Zweite Offizier riß die Augen auf. Eine unbedacht heftige Bewegung ließ seine inzwischen arg malträtierte Perücke verrutschen.

„Sir“, erwiderte er verwundert, „was haben Sie vor?“

„Wir nehmen die Insel in Besitz.“

„Das ist nicht erforderlich. Sobald Lord Hyram mit einem brauchbaren Schiff zurückkehrt …“

„Womöglich gar mit der Schebecke?“ Der Kommandant winkte schroff ab. „Ich wünsche nicht, daß meine Befehle diskutiert oder in Zweifel gezogen werden“, sagte er gereizt. „Verhalten Sie sich künftig dementsprechend.“

„Oder?“ fragte Ballantine. Seine näselnde Stimme ließ erkennen, daß er eingeschnappt war. Zugleich schwang eine unmißverständliche Warnung darin mit. Keiner der Offiziere war bereit, sich vom Kommandanten abkanzeln zu lassen. Sie beanspruchten an Bord der „Respectable“ inzwischen das gleiche Recht wie der Schiffsführer. Und sie dachten sich nicht mal sonderlich viel dabei.

Carnavon wandte dem Zweiten Offizier den Rücken zu. Mit schweren Schritten ging er nach vorn an die Querbalustrade.

„Bootsmann!“ rief er über die Kuhl. „Lassen Sie die Geschütze klarieren!“

„Was hat das zu bedeuten, Sir Thomas?“ Schon war Ballantine wieder neben ihm.

Der Kommandant bedachte den Zweiten mit einem geringschätzigen Blick. „Wir erobern das Eiland für Ihre Majestät, Königin Elisabeth von England. Und außerdem …“ Er sprach nicht weiter.

„Außerdem?“ fragte Ballantine.

„… besteht die Chance, daß eine oder mehrere Breitseiten genau das bewirken, was uns bislang nicht möglich war, nämlich das Schiff von den Korallen zu lösen.“

„Ich werde John Macleod und Sir James informieren.“ In der Art, wie der Zweite Offizier das sagte, klang es beinahe wie ein Eingeständnis seiner Hilflosigkeit.

„Tun Sie das“, riet Sir Thomas. Er wandte sich wieder dem Geschehen auf der Kuhl zu, wo bereits die ersten Ladungen gesetzt wurden. „Nur die Steuerbordseite. Nehmt Vollkugeln!“ befahl er.

Hinter ihm hatte es Sir Godfrey Ballantine, Earl of Berwick-upon-Tweed, plötzlich eilig, unter Deck zu verschwinden.

Nacheinander wurden die Stücke ausgerannt. Auch auf den unteren Batteriedecks rumpelten die Lafetten.

Carnavon ordnete an, die Insel anzuvisieren.

„Entzündet die Lunten! Breitseite auf meinen Befehl!“

Er ließ sich bewußt viel Zeit, bis er endlich hinter sich Schritte hörte. Die beiden Offiziere in Begleitung von Sir James Taurean, dem Overlord, traten schnell näher.

„Sir!“ rief Sir James. „Sie können nicht im Ernst verlangen, daß wir uns auf ein derartiges Wagnis …“

„Feuer!“

Dröhnend entlud sich die Steuerbordbreitseite in einem Gewitter von Pulverexplosionen. Das Rumpeln der vom Rückstoß in die Brooktaue geworfenen Lafetten folgte. Vorübergehend verstand niemand mehr sein eigenes Wort.

Die „Respectable“ wurde bis in den Kiel hinunter erschüttert. Nur die bei normaler Schwimmwasserlage einsetzende Krängung nach Feuerlee blieb aus. Immerhin saß das Vorschiff auf dem Riff fest. Der mächtige Korallenblock, der zwischen Fockmast und Vorsteven die Seitenbeplankung durchbrochen hatte, schien sich zu bewegen. Weitere Planken splitterten. Vom Vorschiff her war plötzlich ein lauter werdendes Gurgeln und Plätschern zu vernehmen.

„Wir sinken“, keuchte James Taurean entsetzt. Er sah sich im Geiste schon verzweifelt um sein Leben schwimmen, während rings um ihn die Mannschaft von blutgierigen Haien attackiert wurde.

„Das Leck hat sich vergrößert“, sagte Carnavon. „Das ist alles.“

Der Overlord schnappte nach Luft, als könne er nicht begreifen, daß jemand angesichts dieser Katastrophe noch die Ruhe bewahrte.

„Stärkere Ladung setzen!“ befahl der Kommandant.

„Mein Gott!“ Taurean verlegte sich aufs Jammern. „Wollen Sie uns alle umbringen?“

„Sie haben die Wahl, sich an Land zurückzuziehen“, sagte Carnavon. „Das gilt natürlich ebenso für die Offiziere.“

„Nein.“ Ballantine wehrte entschieden ab.

„Ausgeschlossen“, entrüstete sich Macleod.

Nur Sir James, dessen feiste Hängebacken zitterten wie Plumpudding bei Sturm, kleidete seine Bedenken in deutliche Worte: „Ich bin nicht bereit, die Sicherheit meiner Kammer mit einer unbekannten Wildnis zu vertauschen. An Land lauern vielleicht blutrünstige Raubtiere.“

„Nehmen Sie Soldaten mit, Sir James.“ Der Kommandant fand, daß ihm Hyram Scalebys Abwesenheit vieles erleichterte. Ohne den Ersten Offizier brachten die Lords keinen rechten Widerstand zustande. Zumindest nicht so schnell, daß sie ihn jetzt noch aufhalten konnten.

Abermals gab er Feuerbefehl.

Das Schiff schien in einer Orgie aus Feuer, Lärm und ätzendem Pulverdampf auseinanderzufliegen. Mit unwahrscheinlicher Wucht wurden die Lafetten zurückgeworfen.

Ein nicht enden wollendes Bersten, Splittern und Krachen folgte dichtauf. Diesmal legte sich die „Respectable“ nach Backbord über. Aber sie schwang nicht zurück, sondern verharrte in dieser Stellung. Das Leck im Vorschiff war abermals größer geworden.

Die Achtzehnpfünder-Vollkugeln schlugen am Strand ein. Die meisten ließen mannshohe Fontänen feinen Sandes aufsteigen, einige klatschten ins seichte Uferwasser, und ein paar zerfetzten das Unterholz. Kreischend und schimpfend stieg ein Vogelschwarm auf und verschwand inseleinwärts.

„Genug!“ brüllte Ballantine. „Ihr bringt uns um.“ Außer sich vor Zorn, riß er den Degen halb aus der Scheide. Herausfordernd funkelte er den Kommandanten an.

„Vielleicht schwimmt die ‚Respectable‘ bald wieder“, sagte Carnavon besänftigend.

„Einen Dreck tut sie. Das ist Ihre Schuld.“ John Macleods Worte erhielten eine tiefere Bedeutung, als das Schiff plötzlich absackte. Jeder spürte den Ruck. Es war, als wolle sich die Galeone aufbäumen, um ihrem Schicksal zu entgehen. Ein dumpfes, kratzendes Geräusch von außenbords war nicht dazu angetan, Zuversicht zu wecken.

„Wahrschau!“ Ein mehrstimmiger gellender Aufschrei hallte über die Kuhl.

Im selben Moment löste sich knirschend die Großrah. Vermutlich war das Fall schon beschädigt gewesen, und es hatte nur noch der heftigen Erschütterungen bedurft, um eins der beiden über Scheiben in den Mastwangen laufenden Taue nunmehr brechen zu lassen. Die Großrah, immerhin mehr als drei Viertel der Länge des Großmastes messend, neigte sich, das zweite Tau riß mit peitschendem Knall, und dann krachte das Unheil auf die Kuhl nieder.

Das Schanzkleid splitterte, die Rah rutschte, der Krängung des Schiffes folgend, nach Backbord und blieb schließlich, noch ehe sie ins Wasser eintauchte, hängen. Es grenzte beinahe an ein Wunder, daß keiner der wie versteinert dastehenden Decksleute erschlagen worden war.

„Ihr Verdienst ist das nicht, Sir“, sagte Taurean ächzend. „Wenn jemand schützend die Hand über unser Schiff hält, dann nur einer.“ Sein Blick wanderte zum Himmel hoch. In einer dankbaren Geste schloß er die Augen.

Wenig später erschien der Bootsmann auf dem Achterdeck und erstattete Meldung. Er hatte nichts Gutes zu berichten.

Der Korallenblock hielt das Schiff immer noch fest. Nur saß er jetzt, durch die Schräglage bedingt, ein Stück tiefer, und das Leck um ihn herum hatte sich ausgeweitet. In dickem Strahl ergoß sich das Wasser ins Vorschiff. An Backbord stand es bereits mehr als einen Yard hoch.

„Besteht die Gefahr, daß wir abrutschen?“ fragte Ballantine.

„Das Riff fällt zur Seite hin ab“, antwortete der Bootsmann. „Auszuschließen ist das nicht.“

„Sonst noch Schäden?“

„Ein Riß entlang des Hauptspants. Ursache ist vermutlich, daß das Achterschiff frei schwimmt, während der Bug aufliegt und festgeklemmt ist.“

John Macleod, der Schottenabkömmling mit dem weiß gepuderten Gesicht, starrte den Kommandanten feindselig an.

„Damit haben Sie erreicht, was Sie wollten, Sir. Die ‚Respectable‘ wird über kurz oder lang auseinanderbrechen.“

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