Читать книгу: «Unabwendbare Zufälligkeiten», страница 10

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Ja, mit seiner Haushälterin konnte Otto Scholz voll zufrieden sein, nicht nur mit der Verrichtung ihrer Pflichten, sondern auch mit ihrer Gesellschaft. Langweilig wurde es nie mit ihr, immerzu gab es jede Menge Gesprächsstoff. Und wenn er so darüber nachdachte, eigentlich freute er sich auch auf jeden neuen Tag mit ihr. Als dann später ein Martinshorn erklang, welches ihn an die Haas-Geschichte erinnerte, warf er sich eine Jacke über die Schultern und ging beunruhigt erneut hinaus. Ein Rettungswagen hielt bei Schnells. Hin und her gerissen überlegte er, sollte er näher gehen, oder würde man ihn neugierig nennen? Niemand schaute in seine Richtung, also wartete er ab. Er sah, wie dieser Frank Hauff mit einer Liege in den Krankenwagen hinein gerollt wurde und Susanne Schnells stieg mit ein. Das sah ja gerade so aus, als wäre der Freund von Frau Schnells unerwartet krank geworden. Gleich darauf fuhren Notarzt- und Rettungswagen in Richtung Stadt davon. Schließlich hielt er es nicht mehr aus und ging zu Schnells. Otto Scholz war erschüttert, als er von Frank Hauffs Herzinfarkt hörte. Und um die beiden Frauen, natürlich auch die Kinder, abzulenken, lud er sie spontan zum Abendbrot ein. Ja, und trotz dem traurigen Anlass war es dann noch ein recht gemütlicher Abend mit schönem Ausklang geworden.

Otto Scholz, oder richtiger gesagt, ab sofort Opa Scholz, fühlte sich recht glücklich. Schade nur, dass Frank Hauff erst leiden musste, um ihm so etwas wie eine neue zweite Familie in der Nähe zu geben. Merkwürdig, so sah das genau aus, ohne diesen Zwischenfall oder Zufall hätte es nicht bei ihm das gemeinsame Abendbrot gegeben. Sehr seltsam, das machte Otto Scholz doch etwas nachdenklich.

Nachdem nun auch Helene gegangen war, zum zweiten Mal für heute ‚tschüss‘ gesagt hatte, griff er zum Telefon und rief bei seinem Sohn, Hans-Peter, an. Er war viel zu aufgekratzt, diese Neuigkeit musste er unbedingt sofort loswerden, die konnte nicht bis morgen warten.

Marga meldete sich und war erstaunt. „Nanu Vater, so spät noch, ist alles klar bei dir?“

„So klar wie noch nie!“ Er machte eine Pause, um es noch spannender zu machen und fuhr dann fort: „Kannst dir gar nicht vorstellen, was heute alles passiert ist, überhaupt in letzter Zeit. Jetzt habe ich nicht nur euch, meine richtige Familie, jetzt habe ich auch seit heute Abend eine zusätzliche Familie, eine Nachbarfamilie!“

„Aha, und wer ist das, kenne ich die?“

„Dem Namen nach wirst du sie kennen, Hans-Peter kann es dir aber noch genauer erklären. Es ist natürlich Helene Weber, ihre Nachbarin und Freundin Susanne Schnells mit Sohn Michael und Pflegetochter Rosi, ja und Brigitta aus Spanien. Wir haben alle gemeinsam bei mir Abendbrot gegessen und die kleine Rosi hat mich Opa Scholz getauft. Du siehst, ich bin in guten Händen!“

„Ja, sieht wirklich so aus, freue mich für dich. Aber sag mal, gibt es denn außer dem Jungen, diesem Michael, keinen Mann in der Clique?“

Vater Scholz lachte laut auf. Die Frage sah Marga ähnlich. „Doch gibt es, der liegt nur mal eben im Krankenhaus, Frank Hauff. Deshalb ist die Clique, wie du es nennst, erst entstanden. Er wurde nämlich heute Nachmittag mit Tatütatü abgeholt.“

„Meine Güte, Papa, bei dir ist ja was los. Wenn ich das Hans-Peter erzähle, hoffentlich kriege ich alles richtig zusammen, der wird vielleicht noch nachhaken bei dir wie ich ihn kenne.“

„Kann er. Wo ist er eigentlich?“

„Kegeln, Papa. Heute ist Kegelabend!“

„Ach so, na dann grüß mal schön, auch Jessica und Jonas. Mach’s gut Marga, schlaf schön.“

„Danke Papa, du auch.“

20

Es kostete Susanne einige Mühe, Franks Mercedes rückwärts aus der Einfahrt auf die Straße zu setzen, ihn dort ordentlich zu parken, um dann ihren Kleinwagen aus der Garage zu fahren. Damit stand sie auch schon halb in der Einfahrt, als sie im Rückspiegel ein fremdes Fahrzeug bemerkte, ein Taxi? Es hielt an. Frank! Frank war zurück! Motor aus, Handbremse anziehen, raus aus ihrem Auto und auf das Taxi zulaufen, gelang ihr alles in Sekunden.

Lachend stieg Frank aus. „Ich wollte dir die Rangiererei ersparen, aber wie ich sehe, ich bin zu spät, du hast das bestens hingekriegt.“

Susanne lachte jetzt auch. „Warum musst Du aber auch einen Automatik fahren?“ Sie schlang die Arme um seinen Hals, „was bin ich froh, dass du da bist, heilfroh!“

„Damit dir die Fahrt zum Krankenhaus erspart bleibt?“ Frank scherzte und zeigte auf das Taxi. „Gib mir ganz schnell meinen Schlüsselbund, ich muss nämlich mein Geld aus dem Mercedes holen, sonst steht das Taxi heute Abend noch hier.“

„Soll das heißen, du warst ohne Geld unterwegs?“ Susanne drückte ihm die Schlüssel in seine Hand.

Frank öffnete sein Fahrzeug und zog ein kleines Täschchen unter dem Fahrersitz hervor, entnahm ihm den nötigen Betrag und zahlte die Taxigebühr. Dann galt seine Aufmerksamkeit wieder ganz Susanne. „Ihr habt mich ja so abgeschoben“, bemerkte er lächelnd. „Keine Angst, im Krankenhaus habe ich alles bezahlt, ein bisschen Kleingeld habe ich immer bei mir, aber eben nur ein bisschen. Und jetzt, lassen wir die Autos so stehen, oder?“

„Ja, die können erst mal so stehen bleiben, ich muss zuerst alles wissen, wieso bist du umgekippt, nimmst du etwa Medikamente? Das ist mir bisher doch gar nicht aufgefallen.“

„Nein.“

„Wie, nein? Hattest du denn immer schon Schwierigkeiten mit deinem Herzen oder Kreislauf?“

„Nein, ich beantworte alles mit: Nein! Ich muss nur morgen noch mal ins Krankenhaus und soll mir auch einen Hausarzt suchen.“

„Aha, darf es auch eine Ärztin sein?“ Susanne ergriff Franks Hand und gemeinsam verschwanden sie im Haus.

„Das ist doch egal“, meinte Frank und umarmte Susanne.

Eine Weile standen sie umschlungen in der Diele. Susanne seufzte, bald würde Frank wieder fahren müssen und immer nur kurz zu Besuch kommen. Mit einem Mal stutzte sie, stand es etwa so schlimm um Frank, dass er bei seinen Besuchen zur Sicherheit einen Hausarzt brauchte? „Frank wieso? Einen Hausarzt, wofür?“

Frank lachte, er erkannte die Sorge in ihren Augen und führte sie ins Wohnzimmer. „Komm, wir machen es uns gemütlich und dann habe ich dir eine Menge zu erzählen.“

Aneinander gelehnt, auf der Couch sitzend, begann Frank mit seinem langen Bericht. Er versuchte nichts auszulassen, bestellte sogar den Gruß von Kommissar Mecklinger. Erzählte von dem Schwur, den er sich selbst leistete in der Gefängniszelle und davon, dass er tatsächlich fristlos gekündigt hatte und seine Wohnung zum Verkauf dem Makler übergab. „Weißt du, ich denke hier irgendwo eine neue Arbeitsstelle zu finden, ganz egal was es ist. Und wenn das Geld flüssig ist vom Verkauf der Wohnung, bauen wir einfach an! Niemals würde ich von dir verlangen, dein Heim zu verlassen, niemals! Außerdem ist es schön hier und ich kann an meinem Lieblingssteg angeln!“

Ja, das war natürlich ein ganz besonders wichtiges Argument, angeln, noch dazu an jenem ganz bestimmten Steg! Susanne kämpfte mit den Tränen. Freude, Erleichterung, Rührung, alles gleichzeitig empfindend, bahnten sie sich ihren Weg. Frank drückte es nicht direkt mit Worten aus, aber es war deutlich genug, er wollte bleiben! Damit war alles klar und auch gesagt! Ihre unausgesprochene bange Frage, die Zukunft betreffend, fand eine Antwort.

„Leider wird es so sein, dass ich noch einige Male zurück muss, alleine schon wegen der Wohnung, aber wahrscheinlich auch für die Gerichtsverhandlung. Ich habe mir übrigens überlegt, Lukas einen Dankesbrief ins Gefängnis zu schreiben, dafür, dass ich durch seinen Tipp: Angelurlaub, die schönste Wende in meinem Leben erfahren durfte, werde ihm aber auch gleichzeitig das Aus unserer Freundschaft aussprechen.“ Plötzlich fiel ihm ein: „Sag mal, wann hast du denn mit Lukas geredet?“

„Ach, woher weißt du das denn?“

„Von Mecklinger, da sollst du angerufen haben, sagte er.“

„Genau, aber erst, als ich von deinem Lukas so komisch abgefertigt wurde. Auf einmal kam mir das recht merkwürdig vor, frag mich nicht warum, es war zunächst nur so ein Gefühl! Er sagte, er hätte eine Kaution hinterlegt, nicht so wörtlich, aber das sollte es bedeuten.“

„Für wen?“

„Na, für dich natürlich! Ich hatte ihn nämlich gefragt, ob es möglich wäre, dich mit einer Kaution aus der U-Haft zu bekommen. Hatte ihn gebeten die Summe raus zu kriegen und die Bankverbindung, da behauptete er, dies schon selbst geregelt zu haben.“

In Franks Hirn arbeitete es ziemlich wüst, es rauschte nur so und er drückte seine Hände auf die Ohren, um den schwirrenden Druck zu unterbrechen. „Ich war übrigens nur in Gewahrsam“, stellte Frank richtig. „Aber, vielleicht wollte er das wirklich, oder vielleicht konnte er an das geklaute Geld und wollte zumindest Monika rausholen?“

„Daran glaube ich nicht, er hat nämlich auch noch gesagt, du dürftest nicht verreisen! Er muss geahnt haben, dass du bald wieder frei sein würdest und dich dein Weg schnellstens hierher bringen würde. Er wollte mich in Sicherheit wiegen, ich sollte mich nur mit seiner Auskunft zufrieden geben, nirgends sonst wo nachhaken, so hat er womöglich gedacht, dein bester Freund Lukas, er musste Zeit gewinnen.“

Frank schüttelte sich. „So ein Blödmann! Du hast recht, eher wäre er mit dem Geld geflüchtet, einfach abgehauen, feige wie eine Memme. Sie haben ihn am Flughafen verhaftet und er hat gestanden.“

„Aha, und mich hat er frech und dreist belogen, aber das hat ihm genau deshalb überhaupt nichts, gar nichts, genützt!“, freute sich Susanne.

21

Monika Hauff hatte kläglich versagt. Frank war nicht auf ihr schauspielerisches Können reingefallen. Dabei war sie sich so sicher gewesen es zu schaffen, auf diese Weise aus der U-Haft entlassen zu werden. Die zugeraunte Warnung von Lukas Rhode: ‚Pass bloß auf! Frank ist nicht doof‘, als sie ins Kommissariat abgeholt wurde, konnte sie nur mitleidig belächeln. ‚Lass mich nur machen, Frank frisst mir aus der Hand, immer noch!‘ In all den Jahren war Frank nicht der geringste Verdacht gekommen, er bemerkte nicht einmal wie sehr sie auf Lukas flog, schon während ihrer relativ kurzen Ehe. Wusste nicht, wie sehr seine Frau die wilden Sexspielchen bei ihm vermisste, die Lukas ihr bot. Und sie nannten ihn einen gutmütigen Langweiler.

Und jetzt? Würde es noch einmal eine solche Chance geben? War Lukas inzwischen in Sicherheit? Konnte er schon den Flug buchen? Oder wartete er auf sie im Versteck? Monika war verärgert, um nicht zu sagen, hasserfüllt! Wieso tauchte Lukas nicht hier auf für einen Besuch? Sie regelten doch schon lange alles für den Notfall so, dass auf ihn kein Verdacht fallen konnte. Hielt er sich nicht an die eilig getroffene Abmachung, als feststand sie kam in Haft? Alles, aber auch alles lief schief! Lukas, wenn es wirklich drauf ankam, war er ein Weichei! Nichts, wirklich nichts wusste sie, was er bisher für ihre gemeinsame Flucht unternehmen konnte. Stattdessen saß sie hier untätig herum und niemand kümmerte sich um sie. Nachdem sie einmal mittags den Teller mit Sauerkraut und Kartoffelpüree samt der Kasslerscheibe an die Wand gefeuert hatte und dann selbst, wie ihre eigene Putzfrau, aufwischen musste, konnte sie sich auf diese Art auch nicht mehr abreagieren. Ihre gespielte Wildheit, die unverschämte Verrücktheit, die Lukas so an ihr liebte um sich später auf die Zähmung zu freuen, hier fand das keinen Beifall, eher im Gegenteil.

Forsche Schritte, die sich rasch der Tür von außen näherten. Der Schlüssel drehte sich im Schloss und die sture Beamtin, wie Monika Hauff sie insgeheim nannte, trat ein. „Ihre Verhandlung beginnt in ein paar Tagen“, verkündete sie und blieb neben der halb geöffneten Türe stehen.

Für Sekunden kam Monika der Gedanke: Ich könnte sie einfach zur Seite schubsen und raus rennen, doch gleichzeitig war ihr auch bewusst, das ist Schwachsinn. „Na endlich, freue mich wenn es weiter geht“, grinste sie stattdessen schnippisch.

„Möchten Sie vielleicht etwas lesen? Ich könnte Ihnen aus der Bibliothek was besorgen.“ Die Beamtin Ziegenhardt meinte es gut, doch ihre etwas barsche Art, die sie sich im Laufe ihrer zahlreichen Berufsjahre zwangsläufig aneignete, ließ Monika Hauff trotzig reagieren.

„Nein danke, Sie brauchen sich keine Mühe zu geben, von Ihnen nehme ich sowieso nichts!“

„Dann eben nicht.“ Frau Ziegenhardt verließ die Zelle, nicht ohne die Türe hinter sich zuzuschlagen bevor sie abschloss. Diesem eingebildeten Weibsstück würden schon noch die Allüren vergehen.

Monika bereute sofort ihre ablehnende Haltung. Ihr Stolz verbot ihr jedoch an die Türe zu klopfen, um die Beamtin zurückzurufen. Also warf sie sich, verärgert auf die gesamte gemeine Welt da draußen und ein ganz kleines bisschen auch über sich selbst, auf die Liege und verfiel in dumpfes Selbstmitleid. Die Zeit kroch unendlich langsam dahin und irgendwann wurden ihre Augenlider schwer, sie schlief ein.

Zuerst hörte sie die Stimme nur von weit her, glaubte sich in einem Traum. „Aufstehen! Hallo, hallo. Wachen Sie doch endlich auf!“ Dann bemerkte sie, das konnte gar kein Traum sein, das war real und öffnete vorsichtig die Augen. Zögernd setzte sie sich auf.

„Bitte folgen Sie mir ins Besprechungszimmer, Ihr Anwalt ist da!“ Eine Beamtin, die Monika zum ersten Mal sah, holte sie ab. Noch ein wenig benommen vom Schlaf folgte sie der jungen Frau und nahm sich fest vor, ich muss mich zusammennehmen, muss verlangen, dass es auf einen Freispruch hinausläuft und ging erhobenen Hauptes mit. Wie üblich bei Beschuldigten, die sich ihrer eigenen Meinung nach so ganz und gar und überhaupt für unschuldig halten, benahm auch Monika Hauff sich immer noch genauso irrig! Sie wähnte sich zu Unrecht in Haft.

Als der Anwalt hereingebeten wurde, saß sie bereits am Tisch. Sie verlangte einen Beistand von der Kanzlei Hielscher & Partner, denn dort kannte sie den Anwalt Froh, der sie letztlich bei einer Firmensache vertrat. Leider kam aber heute ein Herr Albrecht, ein ziemlich alter Mann mit fast vollständiger Glatze und käsigem Gesicht. Monika Hauff reicht das bereits, sie fühlte erneut Wut in sich aufsteigen. Herr Albrecht hielt es wohl auch nicht für angebracht, in diesem Etablissement einen Tagesgruß zu sagen und kam direkt zur Sache: „So, Frau Hauff, dann wollen wir mal. Wenn in zwei Tagen die Verhandlung sein soll, brauche ich dringend einige Informationen von Ihnen.“ Seine Stimme hörte sich dünn und monoton an.

Sein süßliches Dauerlächeln brachte Monika Hauff fast zur Weißglut. „Ja, das können Sie haben, kurz und bündig, ich wurde von dem guten Rhode verführt, Unterschlagungen zu machen. Er ist der Schuldige, ich bin nur darauf reingefallen! Sehen Sie zu, dass ich hier raus kommen kann, mit Freispruch oder wenigstens Bewährung! Bekommen Sie das hin?“ Ihre Stimme klang scharf, beinahe schneidend.

Anwalt Albrecht lehnte sich zurück, er lächelte überlegen. „Wissen Sie, so einfach ist das nicht, ich werde für Sie tun was ich kann, aber ob das für eine Verurteilung auf Bewährung reicht?“ Er wiegte bedächtig seinen Kopf hin und her und fuhr fort: „Den Freispruch, den müssen Sie sich ganz und gar aus dem Kopf schlagen! Also jetzt bitte nur noch auf meine Fragen antworten, ich brauche Fakten!“ Rechtsanwalt Albrecht setzte gleichzeitig zu dieser Belehrung seine Brille auf, öffnete die mitgebrachte Mappe und verteilte etliche Papiere daraus auf dem Tisch. Er war von seinem Kollegen gewarnt worden, der diese spezielle Klientin als schwierige Person darstellte. Doch mit solchen Individuen hatte er so seine Erfahrungen, das bildete er sich jedenfalls ein.

War es seine Überheblichkeit, oder seine dünne Fistelstimme? Störte sie seine Brille, die er auf der Nase zu tragen pflegte? Monika Hauff bekämpfte vergeblich ihr Temperament, sie konnte mit diesem Mann nicht reden und sie wollte es auch nicht, sie begann zu brüllen: „Fakten? Fakten, die können Sie haben! Packen Sie Ihren Kram wieder ein und verschwinden Sie, ich brauche einen Anwalt, keinen Ankläger!“, schrie sie den nun total verschreckten Mann aggressiv an.

Sein Lächeln war augenblicklich aus seinem Gesicht wie weggewischt. Einige Sekunden lang sah er seine Mandantin zweifelnd an, meinte sie das ernst? Oder? Ja, offensichtlich, sie meinte es ernst!

„Hören Sie schlecht? Verschwinden Sie“, kreischte Monika Hauff jetzt. „Sie sind gefeuert!“ Sie stemmte beide Hände auf den Tisch, sie war aufgesprungen und beugte sich vor, aus ihren Augen schossen Hassesblitze.

Wortlos raffte der Anwalt die Papiere zusammen, verstaute sie wahllos in seiner Aktenmappe und ging zur Türe, klopfte, als ihm geöffnet wurde verschwand er, wie es Monika Hauff verlangte. Ohne ein Wort! Diese undankbare Aufgabe war an ihm vorbei gegangen. Gott sei Lob und Dank! Diese Zicke überließ er gerne einem Anderen.

In der Zelle, in welcher Lukas Rhode einsaß, ging es indessen sehr ruhig zu. Lukas Rhode war nicht nur zerknirscht, er saß mehr apathisch, teilnahmslos auf dem einzigen vorhandenen Holzstuhl und war sich sicher, Monika dachte bestimmt er sei über alle Berge, ohne sie. Bei ihr konnte man nie sicher sein, was sie im nächsten Augenblick tun würde. Er traute ihr auch zu, dass sie sich gegen ihn stellte, immer genau so, wie es für sie selbst am günstigsten aussah. Diese Möglichkeit, sie würde falsch über ihn denken, ließ ihn keinen klaren Gedanken mehr fassen. Er war längst, ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein, dieser Frau verfallen, ihr hörig. Sie hatte ihn fest in der Hand. Sie bestimmte, wie und was zu tun sei. Wenn er sich auch noch so cool gab, in Wirklichkeit war ihm zum Heulen zumute.

Dann bekam auch er die Mitteilung: „Die Verhandlung steht bevor. Was ist nun, entscheiden Sie sich! Brauchen Sie nun einen Anwalt?“ Und als er auch nicht sofort antwortete: „Oder bleibt‘s dabei, vertreten Sie sich selbst?“

Geistesabwesend und müde nickte Lukas Rhode, sagte einfach nur „ja“. Hauptsache, man ließ ihn in Ruhe und so nahm das Verhängnis seinen Lauf. Zu allem Übel bekam er einen Tag später auch noch Post. Post von seinem Freund Frank Hauff! Lange hielt er den Umschlag ungeöffnet in der Hand, starrte wie hypnotisiert darauf, wieso schrieb Frank ihm? Doch irgendwann musste der Briefumschlag geöffnet werden, Lukas las die wenigen Zeilen.

Lukas,

Du hast mich auf schäbigste Weise hintergangen, jahrelang! Wolltest mir sogar anhängen, was Du getan hast. Aber: Wer Andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein!

Wir sind keine Freunde mehr! Trotzdem danke! Danke dafür, dass Du mir den Tipp für meinen diesjährigen Urlaub gabst, damit leitetest Du den schönsten Neuanfang in meinem Leben ein. Leb wohl, für alle Zeiten!

Frank

Das kleine Fünkchen Haltung bei Lukas Rhode war nun damit auch vorbei. Seine Tränen fielen auf den Brief, den er langsam in schmale Streifen zerriss und noch einmal quer und dann wieder riss er die Streifen in noch dünnere Streifen. Diese Schnipsel warf er hoch in die Luft und streute damit den Brief durch die gesamte kleine Zelle. Aus und vorbei! Es traf ihn hart, mehr noch, es kam ihm vor, als würde er nie wieder frei atmen können. Noch viel schlimmer, er verlor seinen einzigen Freund unwiederbringlich und er weinte sich wie ein kleiner Junge in den Schlaf.

22

Der Postbote Johann May erhielt die Order, jede Postsendung für Haas bei Schnells abzugeben. Bisher waren das vorwiegend Werbung, Kataloge und einmal auch eine Büchersendung, deren Annahme Susanne verweigerte. Aber heute war es eine bunte Postkarte, adressiert an Familie Bernhard Haas. Susanne besah sich das Bild auf der Vorderseite. Bunte Verkaufsstände, ein orientalischer Basar. Nichtssagend für sie. Wichtig war aber jetzt herauszufinden, wer war dieser Schreiber, der im Telegrammstil diese Karte schrieb.

Hallo,

schön ist die Welt, grüße Euch.

Komme bald, muss Euch sehen!

Toni

Wer war Toni? Frau oder Mann? Die schlecht zu entziffernde Schrift sagte nichts darüber aus. Susanne war bewusst, sie musste Kommissarin Schneider davon in Kenntnis setzen, doch zuerst wollte sie Rosi fragen, wenn schon kein Opa, vielleicht kannte sie ja Toni?

Rosi war es gewesen, die kleinlaut und leise von sich aus ihre neue Tante Susanne fragte: ‚Darf ich dann zu Tante Brigitta gehen, Onkel Frank kann doch jetzt bei dir bleiben, erlaubst du das? Wenn wir mein Bett holen geht das doch, darf ich?’

Susanne war sprachlos gewesen und Frank musste die Kleine schmunzelnd daran erinnern: ‚Du solltest aber Tante Helene erst fragen, schließlich gehört ihr das Haus, die Wohnung von Tante Brigitta!‘

In Windeseile war Rosi die Straße hinauf gelaufen, war beinahe auch schon bei Haus Nummer 10 angekommen, da hatte sie sich umgedreht und gerufen: ‚Ich gehe nur schnell zu Opa Scholz, weil da Tante Helene ist. Ich komme gleich wieder.‘

Auf diese Weise erfüllte Rosi Susannes heimlichen Wunsch. Den sehnsüchtigen Wunsch von dem nur sie alleine wusste und das sollte auch so bleiben. Selbstverständlich konnte Helene zu einer solch dringenden Kinderbitte nicht nein sagen.

Es war ein ziemliches Stück Arbeit gewesen, das Bett aus dem oberen Stockwerk vom Haas-Haus in das obere Stockwerk ins Weber-Haus zu befördern. Besonders auch deshalb, weil es erst gereinigt werden musste, wie alles was aus diesem Haus geholt worden war und das Bettzeug, das lag immer noch auf der Terrasse bei Haas, bereit zur Entsorgung. ‚Das riecht muffig, das kommt mir nicht ins Haus, auch nicht in meine Maschine‘, hatte Helene hinter vorgehaltener Hand geraunt. Schließlich legten sie zusammen, kauften am Ende der Stadt im Betten-Center das Nötigste neu und hielten es für eine gute Lösung.

Jetzt aber, dauerte es Susanne zu lange bis 13:30 Uhr Essenszeit zu warten und so lief sie schnell, mit der Karte von Toni, ins Nachbarhaus. Heute war Brigitta mit Kochen dran, sie wechselten sich ab, morgen würde Susanne wieder kochen. Diese neue Regelung bestand seit Rosis Umzug ins Weber-Haus.

Rosi öffnete die Haustür. „Oh, schön Tante Susi, du kommst genau richtig, wir haben nämlich große Schwierigkeiten, Tante Brigitta weiß nicht wie Rotkohl gekocht wird, hilf ihr mal.“

„Guten Morgen ihr zwei“ und mit einem Blick in den Topf: „Aber er sieht doch schon fertig aus.“

Brigitta klärte auf: „Schon, aber er schmeckt nicht!“

Susanne schmeckte ab und fragte nach Zucker.

Daraufhin schlug sich Brigitta mit der flachen Hand vor die Stirn. „Natürlich, Zucker fehlt, wie blöd!“

„Eigentlich bin ich deshalb aber nicht gekommen und Hunger habe ich auch noch nicht! Es ist … weil, da kam eben eine Postkarte die ich dir zeigen möchte, Rosi.“ Susanne hielt die Karte dem Kind entgegen. „Kennst du Toni?“, fragte sie.

Rosi besah sich die Karte. Minuten vergingen, Susanne wurde schon unruhig, da reichte Rosi kopfschüttelnd die Karte zurück.

„Nein, ich kenne ihn nicht. Der ist nach Amerika gefahren, da war ich noch ganz winzig klein. Er ist vom Papa der Bruder. Mama hat mir manchmal von ihm erzählt.“

Brigitta und Susanne sahen sich überrascht an. Erzählte Frau Haas gut oder böse von ihm? Aber sie trauten sich nicht Rosi danach zu fragen, zumal sie momentan sehr nachdenklich wirkte. „Mama hat ihn gern, glaub ich, sie hat nicht mit ihm geschimpft!“ Rosi war, so wie es aussah, in ihrer Erinnerung bei Mutters Erzählungen angekommen. „Tante Susi, wann dürfen wir denn Mama besuchen? Wir nehmen ihr die Karte von Onkel Toni mit, dann freut sie sich, ganz bestimmt, ich weiß das ganz sicher!“

Susanne nickte zustimmend. „Gut Rosi, dann gehe ich schnell telefonieren und nachher sehen wir weiter, einverstanden?“ Rosi streckte ihre Ärmchen nach Susanne aus und Tante Susi hob sie hoch und drückte sie zärtlich an sich. Als Susanne bereits an der Haustür stand und sich noch einmal umblickte, lächelte Rosi immer noch. Komisch, Rosi schien die Nachricht auf der Karte nicht zu interessieren, für sie schien nur wichtig zu sein, ihrer herrschsüchtigen Rabenmutter, war sie das wirklich, eine Freude zu bereiten. Wieso konnte sich das Kind dessen so sicher sein?

Susanne telefonierte mit dem Kommissariat, sie erreichte Frau Schneider und teilte ihr die Neuigkeit: ‚Onkel Toni‘ mit, welcher seinen Besuch bei Familie Haas ankündigte. Was also tun?

Und die Kommissarin fand auf Anhieb eine prima Lösung: „Schreiben Sie einen Zettel und hängen ihn an die Haustüre, zum Beispiel: ‚Bitte gegenüber bei Schnells oder Weber melden‘, das müsste doch funktionieren!“

„Ja, mit Sicherheit, das ist eine gute Idee. Aber da ist noch etwas, das Kind möchte zu seiner Mutter, ihr mit der Karte eine Freude bereiten. Es hört sich sogar so an, als hätte Frau Haas diesen Toni gemocht, aus Rosis Reaktion zu schließen. Wie sieht es denn aus mit Frau Haas?“

„Frau Schnells, ich rufe Sie zurück, habe seit zwei Tagen nichts mehr gehört, muss mich selbst erst schlau machen.“

Susanne schrieb eilig den Text auf ein Blatt Papier, den die Kommissarin vorschlug und legte sich die Tesafilm-Rolle dazu. Sobald der Rückruf von Frau Schneider Klarheit bringen würde, konnte sie das Blatt an der Haustüre Haas befestigen.

Zehn Minuten später erfolgte Frau Schneiders Anruf: „Also, ich konnte nur in Erfahrung bringen, dass Frau Haas inzwischen in die psychiatrische Krankenabteilung verlegt ist und mit Spritzen ruhiggestellt wird. Sie lässt nicht mit sich reden und will wohl auch selbst nicht sprechen. Den Arzt habe ich leider nicht erreicht, konnte aber eine Nachricht hinterlassen, damit Sie bald zurück gerufen werden. Wenn es stimmt, dass Frau Haas für ihren Schwager irgendeine Sympathie hegt, zumindest einmal gehegt hat, könnte eventuell die Karte eine Hilfe sein. Die Ärzte und wir sind derzeit mit unserem Latein am Ende. Reden Sie darüber mit dem Arzt, das ist ein Doktor Hallstein.“

Susanne bedankte sich, sie war erleichtert. Doch wenn sie jetzt das Haus verließ, könnte es sein, dass genau in dieser Zeit ihrer Abwesenheit der Anruf von Doktor Hallstein käme. Versuchte ein Arzt wiederholt hier anzurufen? Das durfte sie nicht riskieren, und noch war es nicht Essenszeit. Sie nahm sich vor, das nächste Telefon ist schnurlos! Sie beobachtete die Straße und den Eingangsbereich durch das Flurfenster. Bald würde auch Michael aus der Schule eintreffen und Frank dürfte auch langsam zurück sein vom Arztbesuch. Das kam ihr sowieso schon viel zu lange vor, er sollte längst zuhause sein! Wie aber konnte ihr nur entfallen, wie sehr Frank Michael verwöhnte. Wahrscheinlich mehr, als er es jemals bei einem eigenen Kind tun würde. Frank holte offensichtlich Michael von der Schule ab, fuhr jetzt sein Auto in die Einfahrt und beide stiegen freudestrahlend und laut diskutierend aus. Sie waren so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie Susannes Klopfen am Fenster überhörten und gleich zu Helenes Haus liefen.

Susanne sah auf die Uhr, 10 Minuten noch, dann rufe ich im Krankenhaus an, falls sich Doktor Hallstein bis dahin nicht meldet, da klingelte ihr Telefon. Sie meldete sich und eine Frauenstimme bat: „Frau Schnells, bitte bleiben Sie am Apparat, ich stelle durch zu Herrn Doktor Hallstein!“ Eine Pausenmusik erklang, ein Glockenspiel, welches sich mehrmals wiederholte, ehe endlich am anderen Ende ein fragendes männliches „Hallo?“, ertönte.

Susanne nannte also noch einmal ihren Namen und fragte: „Sie sind sicher Herr Doktor Hallstein?“

„Ja, Frau Schnells. Die Kommissarin sagte was von einem Brief für Frau Haas, um was handelt es sich denn da?“

„Es ist nur eine Karte, Herr Doktor. Von irgendwo aus dem Orient von einem Toni, den die kleine Tochter von Frau Haas Onkel nennt. Er ist offensichtlich der Bruder ihres verstorbenen Vaters und er will die Familie besuchen. So wie das Kind spricht, könnte diese Nachricht ihre Mutter etwas umgänglicher stimmen. Deshalb haben die Kommissarin und ich uns gedacht: Rosi und ich besuchen Frau Haas und übergeben ihr die Karte.“

„Keine schlechte Idee, ein Versuch ist das wert. Wie wäre es denn mit übermorgen gegen 10 Uhr? Bis dahin werden wir versuchen, Frau Haas auf Besuch vorzubereiten. Ob es gelingt, wer weiß, versprechen kann ich das nicht. Frau Haas wird künstlich ruhiggestellt. Leider ist sie sehr unruhig, es muss also sein, schon allein deshalb, um sie vor sich selbst zu schützen.“

„Einverstanden, ich werde mit dem Kind um 10 Uhr dort sein. Danke Herr Doktor.“ Oh Gott, mit dem Kind in die Psychiatrie, wenn das mal gut geht.

„Wir wollten gerade zu dir kommen und nachsehen, ob du eingeschlafen bist.“ Frank öffnete die Haustüre und sah Susanne prüfend an. „Ist alles in Ordnung?“

„Ja, ja alles bestens, ich habe telefoniert. Brigitta und Rosi wussten das doch und du und Micha habt mich nicht ans Fenster klopfen hören!“ Das klang ein kleines bisschen vorwurfsvoll.

„Ach so?“ Frank sah Brigitta an. „Hast gar nichts gesagt!“

Brigitta ging nicht darauf ein und bat zu Tisch. „Bitte setzt euch, lasst uns essen, Susanne erzählt dazu das Neueste vom Tage!“

Susanne zeigte die Postkarte, berichtete von dem Telefonat mit Doktor Hallstein und dem vereinbarten Besuchstermin. Dass ihr Besuch in der Abteilung ‚Psychiatrie‘ erwartet würde, verschwieg sie vorläufig.

Dann stelle sich heraus, Rosis Erwartungen waren gemischter Natur, einerseits zog es sie zu ihrer Mutter, andererseits fürchtete sie sich auch davor. „Sollen wir Mama Blumen pflücken? Tante Susi?“, fragte sie mit piepsiger Stimme. Das Kind wollte damit wohl seine Mutter milde stimmen. Wie es aussah glaubte Rosi, ihre Mutter sei auf sie böse, weil sie sich so lange nicht blicken ließ und es dauerte Stunden, das Kind zu beruhigen. „Deine Mama durfte keinen Besuch empfangen, weil sie sehr krank ist! Das ist nur eine Ausnahme, dass wir zu ihr dürfen. Es geht nur, weil wir ihr die Karte von Onkel Toni bringen wollen, sonst dürften wir noch immer nicht zu ihr.“

In dieser Nacht plagten Rosi wieder Albträume. Mehrmals schreckte sie weinend auf und schließlich sah Brigitta nur noch die Möglichkeit, das Kind zu sich ins Bett zu holen. Sogleich kuschelte sich Rosi eng an sie und schlief in wenigen Minuten ein. Für Brigitta aber, die befürchtete, wenn ich mich bewege wacht sie auf, war für den Rest der Nacht nicht mehr an Schlaf zu denken.

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