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Inge Borg

Unabwendbare Zufälligkeiten

Einen Sommer lang – im Netzwerk der Zufälle

Roman


Inge Borg

Unabwendbare Zufälligkeiten

Einen Sommer lang – im Netzwerk der Zufälle

Roman

Cover: Richard Welde

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ISBN E-Book 978-3-96136-071-0

ISBN Print 978-3-96136-070-3

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Inhalt

Einleitung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Kapitel 85

Kapitel 86

Kapitel 87

Kapitel 88

Kapitel 89

Kapitel 90

Kapitel 91

Kapitel 92

Kapitel 93

Kapitel 94

Kapitel 95

Kapitel 96

Kapitel 97

Danksagung

Einleitung

Was soll ich da noch hinzufügen oder gar besser machen?, überlegte Susanne Schnells und schwenkte in Gedanken verloren den Pinsel im Wasserglas hin und her. Für dieses ganz spezielle Gemälde stand der Platz im Wohnzimmer bereits fest. Sie erschuf es nur für Michael und sich selbst, es würde nicht verkäuflich sein.

Ich sollte schon einmal einen schönen Rahmen kaufen, dachte sie wiederholt und bedauerte immer noch, dass Mark es nie würde sehen können, dazu war es zu spät. Obwohl er sie genau zu diesem Motiv animierte, vor etlichen Jahren. Sie schmunzelte, vielleicht schaut er ja von irgendwo her zu

Seit Wochen nahm sie sich vor, neue Leinwand zu kaufen und Rahmen, zumindest schon mal den für dieses Gemälde. Nach vielen Jahren wollte sie ihr Hobby wieder zu Geld machen, das war ihr festes Ziel! Sie verließ ihr Zimmer, lief die Treppe hinab und da stand auch ihr Entschluss fest: Heute, genau jetzt, warum es immer noch weiter hinaus zögern? Ich fahre in die Stadt.

1

Susanne Schnells eilte zum Parkplatz. Den Autoschlüssel schon in der Hand, blieb sie für einige Sekunden an ihrem Wagen stehen, kopfschüttelnd öffnete sie dann die Tür und stieg ein. Der soeben unfreiwillig gehörte oder schon mehr miterlebte Klatsch und Tratsch zog noch einmal in ihrem Innern vorbei.

Sie waren nach ihr in das kleine Steh-Café gekommen, zwei Frauen wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können. Eine vollschlank, eher klein zu bezeichnen und ihre Stimme leise, unauffällig. Die andere hoch gewachsen schon beinahe dürr, dafür aber laut redend, ja sehr laut sogar und immer mit flinken Augen umherschauend, vermutlich um festzustellen, ob nur ja auch alle Anwesenden mithörten.

Susanne hasste derartiges Getratsche, sie versuchte nicht hin zu hören, aber bei diesem überlauten Wortwechsel war es nur bei einem Versuch geblieben. Das Gerede war derartig aufdringlich und direkt an ihre Ohren gedrungen, dass sie bestürzt aufgesehen und dann erst diese beiden Frauen wirklich wahrgenommen hatte. Anscheinend ging es denen um eine weitere, eine dritte Person, ebenfalls eine Frau. Diese erdreistete sich offensichtlich mit über fünfzig Jahren einen Mann zu heiraten, der nach Meinung der Lauten um etliche Jahre jünger sein dürfte als diese und der es bestimmt auch nur auf ‚versorgt sein‘ anlegte. ‚Der ist doch ein Filou, wie er im Buche steht! Und sie tut sich auch noch dicke mit dem Kerl, ich verstehe sie nicht, zeigt ihn stolz überall rum!‘ Irgendetwas wollte wohl die kleinere Dame zu der bisher recht einseitigen Unterhaltung beitragen, doch sie war entschieden zu leise. Ihre Freundin, oder wie immer sie ihr Gegenüber sah, überhörte und übertönte sie lautstark: ‚Das hätte ich nicht von ihr gedacht, dass sie es so nötig hat!‘ So abfällig ausgedrückt ging das auch noch weiter, dieses schäbige Herziehen über jene bestimmte Abwesende.

Für Susanne war das bisher Gehörte mehr als genug. Die Gemütlichkeit in diesem Café war für sie dahin, sie zahlte und verließ das Lokal. Welch ein Glück, ich bin zufrieden wie es ist, brauche mir keinen Filou oder Kerl zu angeln – ganz bestimmt nicht, ganz sicher nicht, und sie fuhr los. Sie war sowieso inzwischen spät dran. Irgendwie musste sie sich total verzettelt, auch ein bisschen das Zeitgefühl verloren haben. Dabei wollte sie doch nur … Es kam ihr vorhin ganz spontan in den Sinn, genau heute, diesen Morgen für einen kleinen Bummel in der Stadt zu nutzen, ein wenig der ländlichen Stille entfliehen oder vielmehr, um in Horsts-Fundgrube einen Blick zu werfen. Horst Patt bekam sie jedoch nicht zu Gesicht. Zu dumm, ich hätte nach ihm fragen sollen, fiel ihr verspätet ein. Immerhin war ihr jetziges privates Gemälde so gut wie vollendet und danach – ob Horst Patt noch an weiteren Bildern von mir interessiert ist?, fragte sie sich. Aber jetzt galt es schnellstens nach Hause zu fahren, den dämlichen Tratsch aus dem Kopf zu bekommen – mein Gott wie blöd –, lieber das Mittagessen auf den Tisch bringen für ihren Sohn und sich selbst. Oft war es nicht mehr vorgekommen in den letzten Jahren, dass sie in die Stadt fuhr, nur so zur Ablenkung schon gar nicht. Doch heute war ihr danach gewesen. Eigentlich gab es keinen Grund die Stadt aufzusuchen, denn sämtliche Einkäufe und Besorgungen konnten im nahen Ort getätigt werden. Es gab nichts, was es dort nicht gegeben hätte – außer, den Bahnhof natürlich und Horsts-Fundgrube, wohin sie einst jahrelang ihre Bilder zum Verkauf brachte. Und genau darum war es ihr auch hauptsächlich gegangen, als sie die blitzartige Idee fassend auf und davon in die Stadt aufbrach. Die Fahrt war umsonst, dachte sie und erkannte: Ich hätte vorher anrufen sollen. Und die Rahmen? Nein! Irgendwie gefiel ihr keiner so wirklich und unschlüssig ließ sie die Finger davon. Na, ja, dass sie dann noch in dem kleinen Café einkehrte, dumm gelaufen.

Immer noch gedanklich etwas abgelenkt, deckte sie den Tisch. In der Pfanne brutzelte das Fleisch und jeden Moment konnte … Da fiel mit einem lauten Krachen die Haustüre ins Schloss. Michael – ach du liebe Zeit, was war ihm denn jetzt schon wieder in die Quere gekommen?

Im nächsten Moment flog die Küchentür auf, der Schulranzen wurde unsanft abgestellt und Michael flappte sich stumm auf die Bank hinter den Tisch. Es war deutlich sichtbar, irgendetwas musste ihn restlos verstimmt haben. Beide Ellenbogen auf den Tisch und den Kopf zwischen die Hände gestützt ging sein finsterer Blick unter den Augenbrauen durch zu seiner Mutter.

Sie sah ihn prüfend an, das kannte sie ja, dieses plötzliche Aufbrausen, welches zum Glück genauso schnell auch wieder abflaute. Warum nur ließ er sich immer derartig aus der Fassung bringen? „Also, Micha – was ist? Sag schon!“

„Mama, da saß gerade einer am Steg und angelte.“

„Und, du hast ihn gefragt, ob er nicht lesen kann, oder?“

„Ja Mama, hab ich, genau das habe ich zu ihm gesagt, ganz genau so, aber er hat ganz verdutzt rumgeguckt und zurück gefragt, von was ich eigentlich sprechen würde.“ Und dann schlug Michael mit der Faust auf den Tisch. „Mama, unser Schild ist weg! Weg! Es liegt auch nicht im Gras oder Schilf, falls du das meinst, es ist weg, verschwun-den!“

Susanne überlegte, das letzte Mal waren sie im Herbst, etwa Ende November am Fluss gewesen, jetzt war April bald vorbei und sie fragte: „Micha, denk mal nach, im Herbst war doch noch alles in Ordnung, das Schild stand und es war auch nicht wackelig. Und neulich, als du am Steg unser Uferstück bereinigt hast, stand es denn da noch? Und die anderen Hinweise am Parkplatz, waren die auch noch da?“

„Ja klar! Alles war wie immer. Nee Mama, das ist nicht umgefallen, überleg mal, dann müsste es doch irgendwo liegen. Nein, nein das hat jemand verschwinden lassen, mit Absicht!“

„Wozu denn? Welchen Zweck soll das denn haben? Oder, es soll nur ein Streich sein, von Jugendlichen oder so.“

„Mensch Mama – meinst du, die kommen aus dem Ort, laufen fast einen Kilometer, nur für ein Verbotsschild verschwinden zu lassen? So’n Quatsch! Und dann geht auch noch jemand hin und angelt? Rein zufällig oder wie? Das ist doch gewollt!“

Schon komisch, ja. Michaels logischer Gedankengang war nicht vor der Hand zu weisen. Angeln konnte man schließlich am ganzen Fluss entlang, wenn auch nicht so bequem wie vom Steg. Möglicherweise steckte System dahinter. „Sag mal Michael, kanntest du denn den Mann? Ich meine den Angler, und wie hat er reagiert?“

„Genau so sauer wie ich! Er hat seinen Eimer mit den drei gefangenen Fischen in den Fluss gekippt, seine Angel zusammen geräumt, sorry gemurmelt und ist durch den Pfad zurück zum Parkplatz gestampft. Da stand nämlich ein Jeep, der gehörte ihm bestimmt, würde zu ihm passen. Und nein, den hab ich noch nie gesehen.“

Susanne hörte schon nicht mehr so richtig hin und überlegte laut: „Dann werde ich wahrscheinlich nicht drum herum kommen ein neues Verbotsschild zu kaufen, gehe morgen mal in Bergers-Markt.“ Sie sah ihren Sohn an und schlug vor: „Wir sollten aber vielleicht trotzdem erst mal nachsehen, ob die Schilder am Parkplatz noch einwandfrei zu lesen sind oder inzwischen durch Sträucher verdeckt werden. Zu blöd, dass es immer wieder Leute gibt die mein und dein nicht unterscheiden können. Wie sieht es denn überhaupt aus, müssten wir nicht längst wieder die wilden Gewächse schlagen und zum Verbrennen sammeln?“

„Dazu ist es jetzt zu spät, oder zu früh, Mama. Erst müssen die Enten und Vögel flügge sein, die letzten ihre Nester verlassen haben. In fünf oder sechs Wochen geht das frühestens. Bis zum Steg ist alles sauber und der Pfad ist frei, jedenfalls bis hinterm Parkplatz, weiter hab ich mich natürlich nicht umgesehen, konnte ja nicht ahnen was da auf uns zukommt. Es eilt also nicht.“

„Was? Wer hat denn das Stück Pfad sauber gemacht, und sogar hinter Schmitz? Die doch ganz bestimmt nicht“, sagte Susanne erstaunt.

Michael hob die Schultern. „Wenn wir das wüssten Mama, dann wüssten wir wahrscheinlich auch, wer das Schild geklaut hat!“ Auch wenn er vorläufig noch nicht so recht den Sinn dafür erkennen konnte, außer vielleicht: Wegen unerlaubtem Angeln? Wofür sonst? Eines war ihm vollkommen klar: „Unser Schild ist geklaut! Glaub‘s mir, Mama.“

Susanne hielt das von ihrem verstorbenen Mann so geliebte Endgrundstück am Fluss hoch in Ehren, auch wenn sie sich seit Jahren eher selten dort aufhielt. Da waren so viele Erinnerungen, die sie immer noch traurig stimmten. Ich muss mich endlich wieder kümmern, nicht alles Micha überlassen, entschloss sie sich und schüttelte den Kopf, welch ein verrückter Tag.

Damals, als die Gemeinde das breite Flussufer den wenigen anliegenden Grundstückbesitzern zum Kauf anbot, griff Mark Schnells sofort zu, das kam ihm vor wie gesucht und gefunden. Ein Stück eigener Fluss, die Füße hinein baumeln lassen und angeln. Sogar das Stück hinter dem Weber-Besitz kaufte er mit, denn die allein stehende Frau Weber sah keine Verwendung dafür. Im Gemeindebüro begrüßte man es, dass in der abseits gelegenen Kleinsiedlung Bergstraße Interesse für die Uferstücke bestand. Es wurde sogar an der etwa 900 Meter langen, sich windenden Wiesen- und Ackerstrecke unmittelbar am Fluss entlang, ein Fußweg eingerichtet. Allerdings entwickelte der sich inzwischen mehr und mehr zu einem Trampelpfad. Und damit dieser Weg nicht nur von den Anliegern genutzt werden konnte, wurde an der Straße ein kleiner Parkplatz geebnet, direkt angrenzend an das Anwesen der Familie Schmitz. Es gab damit nicht nur für Anlieger die Möglichkeit, entlang dem Fluss die Haupt-Ortschaft fußläufig zu erreichen, sondern auch für Jedermann, Ausflügler oder Spaziergänger. Der Parkplatz wurde zwar nur grob mit Schotter aufgefüllt, er war auch schon längst mit Gras und Moos überwuchert, aber das störte die seltenen Besucher, ebenso Angler und Schwimmer, die ab und an von außerhalb gerne diese Möglichkeiten nutzten, nicht. Hinweisschilder am Parkplatz zeigten mit Pfeilen den nach rechts führenden Fuß- oder Spazierweg in den Ort. An dieser gesamten Strecke war Angeln erlaubt. Ebenso auch an einer besonders seichten Stelle das Baden. Der nach links zeigende Pfeil kennzeichnete die Privatgrundstücke, mit zusätzlichem Vermerk: Kein Durchgang! Obwohl dies sehr deutlich angezeigt und erkennbar war, kam es in den ersten Jahren oft vor, dass Fremde neugierig auf den privaten Uferstreifen herumliefen, sogar mehrmals bis in die Gärten vordrangen. Herr Schmitz Senior war darüber mehr als verärgert, er grenzte kurzerhand sein Doppelgrundstück bis an den Pfad mit einem Wildzaun ab. Das Schmitz-Grundstück war besonders betroffen gewesen, denn einige Male muteten Plünderer seinem Garten Besuche zu, hinterließen nicht nur ihre Spuren, sondern ließen wie selbstverständlich einiges mitgehen. Zusätzlich befestigte er noch ein kleines Schild an diesem Drahtzaun, nur mit dem einzigen Wort „privat“ dick und fett gedruckt. Danach wurde es etwas besser. Es gab zwar leider noch vereinzelt unverschämte Menschen, die es auch weiterhin nicht schafften anderer Leute Eigentum zu achten, doch weiter wie zum Grundstück der Schnells führte der Pfad ohnehin nicht und so glaubte man, irgendwann werde es hoffentlich uninteressant, die Privatgegend zu erkunden.

Mark Schnells Versuch, den Teil hinter dem Weber-Grundstück als Liegewiese urbar zu machen, schlug fehl. Die Schilf- und Binsengewächse, die hohen, harten Stauden waren stärker. Der Wildwuchs würde nie vollständig zu bremsen sein, aber das beabsichtigten sie auch nicht wirklich. Mark pflasterte mit Naturplatten einen Fußweg durch das gesamte Grundstück vom Haus bis zum Fluss, über den man bequem und trockenen Fußes direkt zum Ufer gelangte, oder umgekehrt. Am Ufer verankerte Mark den breiten Holzsteg, den er mit Michaels Hilfe selbst zimmerte und imprägnierte, der auf Stahlstelzen stehend bis in den Fluss hinein reichte. Als Mark noch lebte, beschäftigten sie sich fast jeden Abend und an den Wochenenden der wärmeren Jahreszeit hier oder ruhten sich einfach nur aus. Susanne fand zu ihrem Hobby zurück, nach langer Zeit. Sie malte wieder. Mark gefielen ihre Bilder, ihre Heidelandschaften. Irgendwann einmal fragte er sie: ‚Warum malst du nicht mal diese Landschaft hier?‘ Damals sagte sie lachend: ‚Vielleicht später, erst muss ich meine uralten Erinnerungen festhalten‘. Wie hätte sie ahnen sollen, dass Mark dieses in Aussicht gestellte Gemälde niemals solange er lebte würde sehen können. Mark liebte Susanne, aber: ‚Uralte Erinnerungen? Du bist gerade was über dreißig‘, war seine verständnislose Reaktion gewesen. Und Susanne konnte heute noch über ihren Realisten lächeln. Sie saß stundenlang an einem Bild und vergaß die Wirklichkeit. Der Realist Mark fand indessen die hohen Erlen, die Trauerweide mit tief herab hängenden Zweigen und die alte Birke mit dem inzwischen recht knorrigen Stamm, romantisch. In all dem entdeckte er mit der Zeit den Ausgleich zu seinem stressigen Architekten-Beruf. Das war sowieso ziemlich erstaunlich gewesen, wie unkompliziert sich dieser Stadtmensch der ländlichen Gegend so schnell anpassen konnte. Und doch, auch Mark empfand diese Neugierde verschiedener unhöflicher Leute nicht gerade lustig. Und eines Tages kam ihm der Gedanke, den unerwünschten Besuchen endgültig ein Ende zu bereiten. Umgehend ließ er in der Stadt ein Schild anfertigen, dessen Text jedem normalen Leser verständlich sein dürfte. So jedenfalls glaubte Mark.

PRIVATBESITZ

BADEN – ANGELN & FISCHEN

NICHT GESTATTET

Der Eigentümer

Verboten, dieses Wort war für ihn nicht in Frage gekommen, wie es auf den fertig zu kaufenden Schildern stand. Außerdem hätte er dann zwei Schilder aufstellen müssen, denn gleichzeitig Bade- und Angelverbot auf einem Schild gab es nicht fertig zu kaufen. Seine Erklärung dafür: ‚Verboten, das passt nicht zu diesem idyllischen Ort! Erst recht nicht, weil meine geliebte Frau hier stundenlang ihre Bilder malt‘, und dazu zwinkerte er unverschämt mit seinem rechten Auge.

Susanne schmunzelte, es war nicht oft vorgekommen, dass Mark romantisch wurde, doch sie konnte sich noch sehr gut an die versteckten Liebesbezeugungen ihres Mannes erinnern. Aber seitdem war so manches Jahr dahin gegangen.

Jetzt kam Susanne plötzlich zu Bewusstsein, Michael lief am Ufer entlang, wieso? „Micha, sag mal, wollte Frau Pieper Markus und dich nicht von der Schule abholen?“

„Hat sie auch.“

„Aber warum brachte sie dich nicht nach Hause, wie es abgemacht war?“

„Ach Mama, Frau Pieper hatte es supereilig, es war ihr schon viel zu spät für – irgendwas, keine Ahnung – da bin ich bei Markus ausgestiegen und gelaufen.“

„Das erklärt aber immer noch nicht, wieso du den Umweg am Fluss entlang genommen hast.“

„Nein, ich bin nicht den Pfad gelaufen, bin erst beim Parkplatz abgebogen, na ja, den Rest kennst du ja.“ Michael tat genervt.

„Ja und wenn die Sportstunde nicht ausgefallen wäre, es Markus Mutter nicht so eilig gehabt hätte, und du nicht gedankenverloren in den Pfad abgebogen wärst, dann wüssten wir immer noch nicht, dass sich auf unserem Grundstück wieder mal Fremde herumtreiben. Noch schlimmer, Fremde, die sich wie zuhause fühlen.“, rekonstruierte Susanne aufgebracht.

„Zufall Mama, alles nur Zufälle!“

„Nee, nee Michael, das denke ich nicht. Du glaubst doch, das Schild ist geklaut, was mir eigentlich inzwischen auch so vorkommt. Weiß zwar nicht so ganz wozu das gut sein soll, außer Fische angeln, wer davon einen Nutzen haben kann oder will, aber Zufälle wie du sie siehst, nee, daran glaube ich nun mal nicht! Da gibt es sonst noch was!“

Michael verzog unwillig sein Gesicht. Jetzt geht das schon wieder los. Seine Mutter dachte ihm oft zu kompliziert, nur, wenn das Schild wirklich gestohlen wurde, wovon er überzeugt war, dann …?

„Du weißt wie ich darüber denke, warte ab! Da steckt mehr dahinter, das war nicht alles. Angeln kann man an mehreren Stellen am Fluss, warum also ausgerechnet an unseren Steg?“, setzte seine Mutter ihre Überlegungen fort.

Dann bestimmte Michael sehr energisch: „Nachher gehen wir ans Ufer und suchen noch mal alles ganz genau ab! Wenn’s ja doch nur ein Schabernack war, kann es überall da herum liegen, sogar auch am Parkplatz.“ Er war zwar erst zwölf Jahre alt, aber seit gut fünf Jahren der einzige Mann im Haus und er erbte nun mal neben seiner realen und logischen Denkweise auch ziemlich viel von der Entschlusskraft seines Vaters!

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