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Horst Warnatsch

Lodernder Hass

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Inhaltsverzeichnis

Titel

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Impressum neobooks

1

Ein gespenstisches, atemberaubendes Bild: Zwei große Ladenschaufenster, geborsten, dahinter eine Flammenlohe und dunkler Qualm, der, je nach Laune der Windböen, ins Freie gesogen wurde. Blaulichter, die durch die Nacht zuckten, den Regenschleier färbten und sich auf der nassen Straße spiegelten.

Männer mit leuchtend gelben Helmen und dunklen, gelb reflektierenden Anzügen eilten um die Feuerwehrfahrzeuge herum und bereiteten mit präzisen Aufträgen das Gerät für den Löschangriff vor. Kommandos vermischten sich mit anderen Rufen und alles fand Gehör. Ein Rettungsteam rollte mit Schwung die Wasserschläuche aus, verkuppelte sie mit dem Hydranten und öffnete das erste Ventil. Die rote Schlange reckte und streckte sich, nahm eine pralle Form an, und dann schoss auf „Wasser marsch!“ ein breit gefächerter Wasserstrahl mit hohem Druck in die Flammen. Der andere Trupp legte einen Schlauch links vom Ladengeschäft in den Treppenraum und zu den darüber liegenden Wohnetagen bereit. Hier hatte sich ebenfalls dichter Qualm gebildet. Zwei Mann stiegen unter Schwerem Atemschutz ins Ungewisse hinauf.

Auf der Hauptstraße fraßen sich die Scheinwerfer der Autos stadtauswärts in den Regenschleier. Ein Polizist winkte sie weiter, ehe bei den Fahrern und Insassen Neugier aufkam. Oben, an der Kreuzung, leiteten andere Uniformierte den Verkehr Richtung City nach Eimsbüttel und Eppendorf ab.

Signalhörner waren in der Nähe zu vernehmen, machten Hoffnung auf weitere Hilfe.

Bereits Sekunden später bogen Rettungswagen und Notarzt um die Ecke, hielten in der Straßenmitte, auf der Busspur. Ein Polizist trat an die Fahrzeuge heran und wies Arzt und Sanitäter in die Lage ein.

Die Lederjacken der Polizeikräfte glänzten vor Nässe. Alle hatten ihre Kragen hochgeschlagen, doch die Windböen waren unerbittlich. Zwei athletisch wirkende Beamte trieben die Schaulustigen aus der Gefahrenzone. Immer wieder mischte sich Funkenflug prasselnd in den beißenden Qualm, was Passanten und Anwohner nicht davon abgehalten hat, ihren Weg oder den Schlaf zu unterbrechen. Sie drängten Schritt um Schritt näher heran.

„Weiter zurück mit euch, verdammt!“ Der Polizist breitete seine Arme aus und stemmte sich mit seinem Kollegen den Neugierigen entgegen. Eine kleine Menschentraube war entstanden. Der Regen schien den Leuten nichts auszumachen.

Zwei weitere Uniformierte erschienen zur Unterstützung, fingerten ihre Notizhefte hervor und begannen mit ersten Befragungen. Notierten sich die Personalien, wollten wissen, ob jemand sachdienliche Hinweise geben konnte.

Der Größere von beiden war plötzlich alarmiert, hielt inne. Seine Augen hatten eine hastige Bewegung erfasst. Ohne Verzögerung steckte er seine Utensilien ein und begann beidhändig die Gruppe Schaulustiger zu zerteilen.

„Hej! Hiergeblieben!“

Mit langen Schritten folgte er zwei jungen Männern, die sich unauffällig absetzen wollten. Einen von ihnen bekam er nach wenigen Metern am Ärmel seines grauen Parkas und am darunterliegenden Fleisch zu fassen. Ein kurzer Schmerzensschrei und sofort blieb auch der andere stehen. „Warum so eilig, junger Freund?“ Der Beamte löste seinen Klammergriff und hielt ihnen wortlos die geöffnete Hand entgegen. Die Männer verstanden und fingerten widerwillig ihre Ausweise hervor.

Während er die Personalien notierte, knarzte sein Funkgerät. „Könntest du auch noch den Typen in der schwarzen Regenjacke unter die Lupe nehmen, Ronnie? Drüben, an der Bushaltestelle.“

„Ja, verdammt!“, sprach er genervt ins Mikrophon, während sich an seiner Nase Wassertropfen bildeten. „Ich kümmere mich gleich um ihn.“

Der Einsatzleiter der Feuerwehr hielt über Funk Kontakt zu seinem Angriffs- und Rettungstrupp. Er verhielt abwartend an der Hausfront und versuchte einzuschätzen, ob die Wasserkaskaden Wirkung erzielten.

Im selben Moment tauchten aus dem Hauseingang die ersten Bewohner auf. Feuerwehrkräfte geleiteten sie nach draußen. Ein Mann, eine Frau und drei Kinder. Trotz der weißen Atemschutzmasken husteten sie erbärmlich. Sie hatten sich notdürftig Mäntel und Decken umgehängt. Zwei Rettungssanitäter, die orangefarbenen Parkas eilig übergeworfen, liefen heran und nahmen sie in ihre Obhut. Der Mann gestikulierte wild unter seinen Hustenattacken und deutete zum Haus zurück. „Die alte Dame - - - die alte Dame - - - sie ist zu Hause! Ich weiß es! Ihr müsst die Wohnung aufbrechen!“

„Welche ist ihre Wohnung?“

„Direkt über“ – er hustete und keuchte – „über dem Supermarkt!“

Der Sanitäter rief es dem Einsatzleiter zu, der aber hatte von seinen Leuten längst Kenntnis erhalten und den Befehl erteilt, die Drehleiter in die erste Etage auszufahren. Gerade machte er ein paar Schritte rückwärts und schirmte das Funkgerät gegen den Regen ab. „Geht’s nicht mit der Motorsäge?“ fragte er nach.

„Keine Chance“, krächzte es aus dem Funkgerät, „liegt ein schwerer Stahlriegel hinter der Tür. Kriegen das Loch nicht groß genug!“

„Mann-oh-Mann!", presste er ärgerlich heraus "Die Menschen und ihr verdammter Sicherheitstick!“ Auf diesem Wege würden seine Leute mit ‚Schweren Atemschutz‘ nicht in die Wohnung gelangen, geschweige denn gefahrlos ein Opfer bergen können.

Die Leiter schwenkte zum Gebäude und fuhr beklemmend langsam aus.

Auf der gegenüber liegenden Straßenseite stand seit einigen Minuten ein Kamerateam und hielt sich mit je einer freien Hand eine Plastikplane über den Kopf. Eine Reporterin mit dunkler Kurzhaarfrisur sprach ins Mikro: „Das Feuer ist in den Räumen eines asiatischen Supermarktes ausgebrochen. Wie man sehen kann, brennt das Geschäft in voller Ausdehnung. Da es sich um alte Bausubstanz handelt, sei laut Feuerwehr damit zu rechnen, dass die Zwischendecke der Flammeneinwirkung nicht lange standhält und Rauch und Flammen in die darüber liegende Wohnung vordringen können.

Es heißt, dass in der ersten Etage eine alte Dame eingeschlossen ist. Ihre Wohnung liegt etwas zurück versetzt, so dass die Leiter leicht an der Balustrade angelehnt werden kann. Der Mauervorsprung würde die Rettung der alten Dame erleichtern. Durch das Fenster wird’s also hoffentlich schneller gehen.

Bedenklich ist, dass dort drinnen noch niemand Licht eingeschaltet hat, keine Hilferufe oder Geräusche zu vernehmen sind. Daraus könnte man schließen, dass die Bewohnerin im Schlaf überrascht wurde und es nun auf jede Sekunde ankommt.“

Sie drängte den Kameramann näher an das Geschehen. „Schwenk hinüber zu der geretteten Familie.“

Er folgte der Anweisung und nahm Unfall- und Notarztwagen ins Bild, wo durch die Milchglasfenster schemenhaft Erste-Hilfe-Maßnahmen zu verfolgen waren.

„Eine Familie mit drei Kindern im Alter von sechs bis zehn Jahren konnte soeben aus der zum Hinterhof liegenden oberen Wohnung über das Treppenhaus gerettet werden. Von der Feuerwehr war zu erfahren, dass alle fünf für einen kurzen Moment dem Qualm ausgesetzt waren und man mit einer Rauchgasvergiftung rechnen müsse. Sie werden vorsorglich in das Universitätsklinikum Eppendorf gefahren.“

Die Leiter lehnte an. Zwei Feuerwehrbeamte mit Gesichtsmaske und Sauerstoffflaschen auf dem Rücken hasteten hinauf und kletterten auf das schmale Vordach. Scheinwerfer warfen ihre Lichtkegel auf die Fenster, hinter denen sich noch immer nichts regte.

Derweil waren zwei weitere Rettungswagen vorgefahren. Das Stakkato der Blaulichter hatte dadurch eine noch aggressivere Arrhythmie entwickelt und schien die Dunkelheit zerfetzen zu wollen. Rufe ertönten, das Ehepaar und die Kinder wurden auf zwei Wagen verteilt, die kurz darauf wendeten und stadtauswärts davon fuhren.

Ein Feuerwehrmann hieb mit der Axt auf die Fensterscheibe ein und säuberte den Rahmen von den Splittern. Das Schwarz hinter den Fenstern sog die beiden Retter in die Wohnung, während der Angriffstrupp im Laden darunter erste Erfolge erzielte. Die Flammen loderten lang schon nicht mehr so ausgedehnt.

Die weiße Mütze tief in die Stirn gezogen, den Kragen der Lederjacke bis an die Ohren trat der Polizist an den Mann an der Bushaltestelle heran. Dessen Gesicht lag im Schatten einer übergroßen Kapuze. Er musste schon über fünfzig sein. Seine grau melierten Haare ringelten sich dünn über die hohe Stirn, und der Vollbart war mehr grau als dunkelblond.

„Haben Sie’s nicht mitbekommen? Der Nachtbus….“ der Uniformierte musste gegen Wind und Regen anschreien, „er ist auf die andere Fahrbahn umgeleitet. Dort drüben hält er jetzt!“

„Ich hatte nicht vor, mit dem Bus zu fahren.“

„Aha – dann ist es also das Feuer, an dem Sie Gefallen finden?“ Der Polizist provozierte ihn, weil er Schaulustige nicht ausstehen konnte. „Ich hoffe nicht, am Leid der Opfer, junger Mann.“

„Ich schaue nur dem Ablauf der Rettungsmaßnahmen zu.“

„Bei dem Sauwetter!“ Er legte seine Armbanduhr frei, ohne auf das Ziffernblatt zu gucken. „Um zwei Uhr liegen die vernünftigen Menschen alle im Bett. Wo zu dieser Zeit die Passanten plötzlich herkommen, ist mir einfach ein Rätsel!“ Der Polizist zog ein Notizheft aus der Brusttasche. Es hatte unter der Nässe schon arg gelitten. „Ich muss mir Ihre Personalien notieren.“

„Ich habe nichts Verdächtiges beobachtet.“

„Trotzdem. Haben Sie einen Personalausweis zur Hand?“

„Einen Reisepass.“ Der Bärtige griff in die Jackentasche, zog das Dokument hervor und händigte es aus.

„Daniel Friedländer – mit ‚a-e‘“, las er, notierte den Namen und musste mehrmals ansetzen, weil der Kugelschreiber auf dem feuchten Papier seinen Dienst versagte. „Wo wohnen Sie, Herr Friedlaender?“

„Im Falkenried. Nummer 74.“

„Das ist ja hier in der Nähe“

„Ich sagte ja, es war nicht meine Absicht, mit dem Bus zu fahren.“

Einfach nur ein Spätheimkehrer, der von den vielen Blaulichtern angezogen wurde? Der Beamte wischte sich Regentropfen von seinen Augenbrauen und gab über Funk Friedlaenders Namen zur Überprüfung an das Kommissariat durch. Im selben Moment lenkten aufgeregte Stimmen beider Aufmerksamkeit auf den Brandort. Sie konnten sehen, wie über die Leiter eine Trage auf das Vordach gebracht wurde. Gleichzeitig hoben die zwei Feuerwehrleute unter Pressluftatmung eine kleine weißhaarige Gestalt wie eine zerbrechliche Porzellanpuppe aus dem Fenster. Sie legten sie in kontrollierter Eile auf die Trage, arretierten diese an der Leiter und ließen sie vorsichtig zu Boden gleiten. Notarzt und Rettungssanitäter eilten mit großen Schritten herbei, besprachen sich kurz und wiesen die Kräfte an, die Trage in den Rettungswagen zu schieben. Die Türen wurden zu gezogen. Nur schemenhaft war zu erkennen, wie sie unverzüglich mit Reanimation und Sauerstoffversorgung begannen .

„Mit der alten Dame sieht es ernst aus“, bemerkte der Polizeibeamte wie beiläufig. Dabei beobachtete er die Reaktion des Mannes sehr genau. Friedlaender sah, die Hände in den Taschen, zum Brandort hin. Sein Gesicht verriet nicht die geringste Regung.

Nach endlos erscheinenden Minuten der Notbehandlung wurde endlich der Motor angelassen.

Über Funk wurde der Polizist angesprochen. Er trat ein paar Schritte beiseite, ohne die Zivilperson aus den Augen zu lassen. Er lauschte gespannt, bestätigte die Meldung und steckte das Funkgerät in die Brusttasche zurück.

„Der Regen scheint nachzulassen“, tat Friedlaender kund, als sich der Uniformierte wieder näherte. Dieser sah ihn widerstrebend an. Ihm missfiel der Plauderton. Um ihn zu reizen und ihn besser einschätzen zu können, blätterte er bedächtig den Reisepass noch einmal durch. Viele bunte Stempel, kaum noch eine freie Seite.

„Falkenried ist ja nur ihr Nebenwohnsitz“, bemerkte er schließlich.

„Richtig. Ich wohne in Frankfurt und Frau und Kinder in Hamburg.“

Der Beamte gab ihm das Ausweisdokument zurück. „Eben kam die Meldung durch, dass sie die alte Frau stabilisiert haben. Aber sie ist mehr tot als lebendig. Der Arzt meint, es bestehe Lebensgefahr. Vor allem, weil sie so alt ist.“ Friedländer sah die Straße hinunter zum Brandort, während er den Pass achtlos in seine Jackentasche steckte. Interessiert aber emotionslos verfolgte er, wie der Rettungswagen vorsichtig wendete und mit träger Beschleunigung der Richtung der anderen folgte. Von einer Sekunde zur anderen wandte er sich zum Gehen.

„Einen Moment, Herr Friedlaender. Ihre Telefonnummer brauch‘ ich noch. Sicher wird sich die Kripo mit Ihnen in Verbindung setzen wollen.“

2

Die Leuchtziffern des Radioweckers zeigten 02.59 Uhr an, als ein Anrufsignal des Telefons die Stille und das Halbdunkel zerschnitt. Die Tonfrequenz garantierte dem Schlafenden eine Wochendosis Adrenalin. Während der Rufbereitschaft war es für Stefan Henningsen zwar ohnehin nur ein Dahindösen, aber der frühe Morgen war eine Zeit, in der sein Körper sich schon gern einem Tiefschlaf hingab. Stefan zwang sich ungeachtet des unerbittlichen Signals, noch ein paar Sekunden liegen zu bleiben und ruhig zu atmen, als sich ein nackter Arm zum Telefon schlängelte, das Mobilteil anhob und wieder fallen ließ. Das Signal erstarb und Stefan war vollends wach.

„Scheiße, Iris, das war bestimmt eine Alarmierung.“ Er schlug die Bettdecke zurück unter der Iris‘ bloßer Rücken auftauchte.

„Na und?“ kam ihre Antwort, durch das Federkissen gedämpft. Sie schlief ungerührt weiter, atmete ruhig und gleichmäßig, und ihr blondes Haar breitete sich um ihren Kopf aus wie ein Kornfeld nach einem Wirbelsturm. Stefan zog seine gestreiften Schlafshorts über, die er am Fußende unter der Bettdecke fand. Als das Telefon ein weiteres Mal anschlug, hatte er das Mobilteil schon in der Hand. Rasch drückte er den Knopf.

„Wer wagt es - ?“

„Überraschung!“ kam es mit befremdender Heiterkeit aus dem Hörer. Gregor Pergande, sein Mitstreiter am LKA.

„Gib mir einfach nur den Einsatzort durch, Gregor“, bat Stefan ihn, während er bei Dunkelheit ins Badezimmer schlich und sich an der Garderobenablage die Wade schrammte. „Scheiße, verdammt!“ fluchte er und knipste die Badbeleuchtung an.

„Ich glaub‘ Dir ja, dass Du nicht gerade begeistert bist“, kam Gregors trockener Kommentar.

„Ich habe mich gerade zum tausendsten Mal an dem kleinen beschissenen Schrank gestoßen.“

„Hm“, war die Reaktion am anderen Ende. Stefan hatte irgend einen spöttischen Kommentar erwartet, er blieb aber aus. „Soll ich dir jetzt mal erzählen, weswegen ich anrufe?“

„Bitte, Gregor.“ Stefan klemmte sich das Mobilteil zwischen Ohr und Schulter und nahm die Zahnpastatube in die Hand. Dass Iris bei ihm übernachtete, konnte er immer genau an der Tube erkennen: Sie wies gleich hinter der Öffnung tiefe Dellen auf und lag auf dem Waschtisch, statt dass sie sie hinstellte. „Fang ruhig an. Ich kann es mir so merken.“

„In der Hoheluftchaussee hat ein Asiatischer Supermarkt gebrannt.“

„Ein Supermarkt“, konstatierte Stefan und drückte sich Zahncreme auf die Bürste. „Und weswegen ist das für uns interessant? Noch dazu um diese Zeit.“

„Das Opfer ist eine 89jährige Hausbewohnerin. Inhalationstrauma – du verstehst? Die Ärzte vermuten, dass sie’s vielleicht nicht überlebt.“

„Das ist tragisch.“ In Stefans Ohren summte es; der Schlaf schien ihn raunend zurück zu locken. „Aber wenn sie überlebt, was ich ihr von Herzen gönne, dann sind wir nicht zuständig.“

Gregor schwieg einen Moment. Dann sagte er: „Glaub mir, Stefan, ich habe im Gefühl, dass unser Erscheinen wichtig sein wird.“

„Deine Gefühle kenn‘ ich.“ Stefan lagen noch weitere Einwände auf der Zunge und wollte noch weitere Fragen stellen, beließ es dann aber dabei. Er würde sich in kürze selbst überzeugen können.

„Bist du etwa wieder eingeschlafen?“

„Beim Zähneputzen – ja…..“

„Bianca habe ich auch angerufen. Kann nicht schaden, wenn sie dabei ist.“

„Die Ärmste. Sie kommt ja ganz aus Harburg.“ Stefan schrubbte sich die Zähne, hielt aber sofort wieder inne. „Und hat sie nicht Freitag davon gesprochen, dass sie mit ihrer Band gestern Abend einen Auftritt haben würde?“

„Sie hat extra betont, wir sollen sie anrufen, wenn was ist.“

„Ich hab ihr mal gesagt, dass es selten vorkommt, dass man nachts aus dem Bett geklingelt wird.“ Er putzte weiter und beobachtete dabei im Spiegel, wie die Zahncreme aus dem Mundwinkel tropfte.

„Das hast du dann zu verantworten“, erwiderte Gregor belustigt. „Wir treffen uns am Supermarkt .“ Er unterbrach die Verbindung.

Stefan stellte sich unter die Dusche und ließ ein paar Minuten lang reglos das Wasser über seinen Körper laufen. Als seine dienstlichen Gehirnzellen langsam ihre Arbeit aufnahmen, fragte er sich, ob Gregor den Fall nicht zu voreilig angenommen hatte. Immerhin war es fast zwei Monate her, dass die Rufbereitschaft, die ohnehin nur das Wochenende umfasste, auch tatsächlich seinen Einsatz erforderte. Damals brannte auf St.Pauli ein Stundenhotel aus alter Bausubstanz mit eng gewundenem Treppenraum. Zwei Prostituierte und ein Freier konnten sich nicht mehr rechtzeitig retten und fielen den Flammen zum Opfer. Der Racheakt eines Zuhälters. Da war es natürlich keine Frage, dass sie unter dem Einsatz aller vorhandenen Technik schon nachts die Brandortarbeit begannen, die Fahndung veranlassten und Vernehmungen und Wohnungsdurchsuchungen durchführten. An diesem Wochenende war jedoch Gregor Teamchef und Erster Sachbearbeiter und so war auch er es, der die Maßnahmen bestimmte. Seine Entscheidung begründete sich auf den Informationen, die er vom Kriminaldauerdienst und den Kollegen der Schutzpolizei erhielt. Verschwieg Gregor ihm etwas oder war es wirklich nur wegen der alten Dame?

Was ihn aber bei aller entgangenen Nachtruhe ein wenig mit Freude erfüllte, war, dass Bianca mit ihnen die Rufbereitschaft teilte. Das würde ihre Arbeit etwas angenehmer gestalten.

Bianca Jochens war in einer unbestimmten Weise anders, als alle männlichen und weiblichen Kollegen, die er bisher kennen gelernt hat. Sie war etwas Besonderes, auch wenn Stefan nicht genau definieren konnte, warum, und sich auch nicht vorstellen konnte, mit einer solchen Frau liiert zu sein. Sie arbeitete erst seit zwei Wochen beim LKA 45 und musste sich nach einem Brandermittlerlehrgang in Wiesbaden erst noch praktische Erfahrung aneignen. Man würde nicht vermuten, dass eine so schlanke und zerbrechlich wirkende Frau an Brandorten großen Ausmaßes körperliche Arbeit verrichten und verbrannte menschliche Körper ertragen konnte. So wie Maike, die sich davon überhaupt nicht aus der Ruhe bringen ließ.

Stefan trocknete sich ab und schlüpfte ohne jede Hast in die Winterunterwäsche. Darüber Blue Jeans und schwarzer Strickpulli. Seine Hand zuckte schon zum Eau de Toilette, er fand dann aber, dass das bei dem, was ihn vielleicht erwartete, Verschwendung wäre.

Er grinste sein Spiegelbild an, zog aber sofort eine Grimasse, weil er fand, dass Iris die Haarschneidemaschine irgendwie zu kurz eingestellt hatte. Wenn er jetzt noch einen Anflug von einfältiger Aggressivität in seinen Blick mischte, würde er prompt in die Liste der Rechtsradikalen aufgenommen werden.

Nein, das mit dem Blick funktionierte nicht.

Zwanzig Minuten waren seit Gregors Anruf verstrichen. Keine schlechte Zeit. Er würde als erster am Brandort eintreffen. Deswegen nahm Stefan sich noch einen Moment, um einen Blick ins Schlafzimmer zu werfen und Iris darum zu beneiden, ausschlafen und ein gemütliches Frühstück genießen zu können. Dann schlüpfte er in seine Jack-Wolfskin-Jacke, verließ das Haus und eilte mit langen Schritten durch den Regenschleier hindurch über den Parkplatz. Er sprang in den grauen Ford Mondeo, in dem sofort die Scheiben zu beschlagen begannen, setzte das Blaulicht auf das Armaturenbrett und scherte auf die Vogt-Wells-Straße in Richtung Siemersplatz ein.

Auf den Hauptstraßen herrschte um diese Zeit wenig Verkehr. Stefan brauchte gerade fünf Minuten bis zum Brandort. Er ließ zur Legitimation kurz das Blaulicht aufblitzen, um die Absperrung zu passieren und hielt hinter der Kolonne an Feuerwehrfahrzeugen.

Es zeichnete sich ab, dass der Feuerwehreinsatz beendet war. Das Druckbelüftungsgerät lief allerdings noch. Sein Motor übertönte alle anderen Geräusche. Eine Gruppe war dabei, die Schläuche zusammenzurollen, andere Feuerwehrbeamte schafften das übrige Gerät zu den Wagen zurück. Die Leiter war bereits eingefahren, nur die seitlichen Stabilisatoren noch nicht.

Stefan Henningsen war wirklich als erster seines Teams angekommen. Das war es aber nicht, was ihn zögern ließ. Grimmigen Blickes verfolgte er, wie rasch der Regen die Windschutzscheibe undurchsichtig machte. Um ein umfassendes Bild zu bekommen, musste er sich schon hinaus bequemen. Vielleicht hätte er zusätzlich einen Regenschirm mitnehmen sollen, selbst wenn Kriminalbeamte mit einem Regenschirm lächerlich aussahen.

Schließlich zog er die Kapuze über den Kopf, stieg aus und gab sich den Uniformierten zu erkennen. Stefan registrierte, dass die seitliche Durchfahrt auf den Hinterhof und der Gehweg beidseitig durch rot-weißes Plastikband versperrt waren. Er machte sich ein Bild von den Schaulustigen und vermied es, in die Nähe der Pressevertreter zu kommen. Auch die vollschlanke, gedrungene Gestalt des Brandsanierers war schon zu entdecken. Fred Berger, der immer die Verwirrung der Brandopfer ausnutzt und ihnen angesichts ihrer verbrannten Wohnung gleich einen perfekten Sanierungsplan vorlegt. Einmal soll der Mann sogar schon vor den Rettungskräften an einem Brandort gewesen sein. Merkwürdig.

Im Schutze des Gerätewagens entdeckte Stefan den Einsatzleiter der Feuerwehr. Dieser stellte sich als Uwe Petersen vor. Unter dem Helm ein kantiges, grobporiges Gesicht, über das sich ein feiner Grauschleier gelegt hat. Er versuchte zu lächeln, aber die Augen blieben müde.

„Ein Supermarkt für Asiatische Lebensmittel“, erklärte er, „großer Verkaufsraum mit etlichen älteren Kühltruhen, einer Lagerecke und zwei nachträglich installierten Kühlräumen. Im hinteren Bereich Büro, Küche und sanitäre Anlagen. Für so einen exotischen Markt recht imposant eingerichtet.“

„Ist denn ein Brandschwerpunkt zu erkennen?“

„Der Markt ist komplett hinüber. Ein Schwerpunkt zeichnet sich zwischen Büro und Verkaufsraum ab. Dort riecht’s auch nach Benzin.“

„Aha.“ Dieser Hinweis machte die Sache brisant. Henningsen warf einen flüchtigen Blick auf die geborstenen Schaufenster und die Schwärze dahinter, in der mit hellen Schwaden das Wasser verdampfte. „Die Brandursache also definitiv kein technischer Defekt. Damit lässt sich ja was anfangen. Und ist schon bekannt, wie es der alten Dame geht?“

„Sie ist 89 Jahre alt. In dem Fall bedeutet ein schwerer Rauchgas-Intox akute Lebensgefahr. Dem Ehepaar mit den drei Kindern geht es gut, sie bleiben aber zur Beobachtung in der Klinik.“

Stefan nickte. Seine Regenjacke glänzte vor Nässe, und einige Wassertropfen hatten sich bereits einen Weg seinen Hals hinunter gebahnt. „Danke für die Info.“

„Nicht dafür.“

Wilfried Wagner, der Einsatzleiter der Polizeikräfte, war einen halben Kopf kleiner als Stefan und von rundlicher Statur. Seinen schmal und akkurat geschnittenen Vollbart assoziierte Stefan mit Gewissenhaftigkeit und Pflichtbewusstsein.

„Wir haben die meiste Arbeit schon für euch erledigt“, begrüßte er Stefan, die Stimmlage ebenso provokant wie sein Blick hinter der getönten Brille.

Er entlockte ihm damit nur ein müdes „Na ja…“ Henningsen warf einen Blick zu der kleinen Menschenansammlung. „Ist schon erstaunlich, wie viele Bürger sich zu dieser Stunde auf der Straße rumtreiben. Noch dazu bei diesem Sauwetter.“

„Wir haben von allen Schaulustigen die Personalien. Vier von ihnen wohnen nicht hier, zwei haben wir festgenommen.“

„Tatverdächtige?“

„Kann man nicht sagen. Einer von ihnen wird per Haftbefehl gesucht, der andere ist sein Kumpel.“

„Und deswegen habt ihr ihn gleich mit festgenommen“, konstatierte Henningsen. Seine Augen funkelten den Uniformierten belustigt an.

Wagner lächelte sparsam. „Natürlich nicht.“

„Ein Haftbefehl… für was?“

„Na ja, das ist es eben: wegen Einbruchdiebstahls.“

„Aha…“

„Und als meine Leute mit der Feuerwehr auf dem Innenhof waren, stellten sie fest, dass von der Tür zum Hintereingang das Zylinderschloss gezogen ist.“

Henningsen nickte bedächtig. „Das hört sich nicht schlecht an. Habt ihr zufällig das Schloss gefunden?“

„Auf den ersten Blick nicht. Die Lichtverhältnisse sind ungeeignet. Da müsst ihr schon bei Tageslicht noch mal suchen.“

„Wenn wir überhaupt nochmal Tageslicht kriegen“, entgegnete Henningsen skeptisch und wischte sich die Nässe aus dem Gesicht. „Scheiß Wetter! Habt ihr sonst noch was Besonderes?

„Ein komischer Kauz, der etwas abseits stand und die Rettungsarbeiten verfolgte. Daniel Friedlaender heißt er und kommt aus Frankfurt. Hat aber hier ganz in der Nähe bei seiner Familie einen Zweitwohnsitz.“

Von diesen Feststellungen hingen die späteren Recherchen oft ab. Je mehr Namen notiert wurden, desto eher konnte man erkennen, ob jemand immer mal wieder und an völlig verschiedenen Orten als „Schaulustiger“ auftritt. Oder er kann seine Anwesenheit überhaupt nicht plausibel erklären.

Stefan nahm während des Gesprächs beiläufig wahr, dass es schräg gegenüber eine Tankstelle gab. Sie war geschlossen, die Zapfsäulen und der Verkaufsraum lagen im Dunkeln.

„Von dort werden die Täter sich das Benzin nicht besorgt haben können. Sie werden hier also mit dem Wagen vorgefahren sein, weil niemand nachts mit einem Benzinkanister durch die Straßen läuft.“ Er sah Wagner wieder an. „Ist der Brandentdecker noch anwesend?“

„Nein. Brandentdecker war ein junger Mann, der von der U-Bahnstation kam und auf dem Weg nach Hause war. In Höhe des Supermarktes nahm er Brandgeruch wahr und will da auch schon im Inneren Feuerschein gesehen haben. Er habe die ganze Zeit, während er auf die Rettungskräfte wartete, keine verdächtige Personen bemerkt. Er sagte, es sei auch niemand vom Hinterhof herunter gekommen.“

In diesem Moment zuckte ein weiteres Blaulicht auf. Ihre Köpfe ruckten synchron herum. Ein großer silbergrauer Ford Transit rollte heran. Beiläufig fiel es Stefan auf, dass der Regen allmählich nachzulassen schien. Er fluchte still in sich hinein. Gregor Pergande nahm sich des Falles an und fand aufklarende Witterungsbedingungen vor, fast so, als hätte er während der gesamten Anfahrt eine Beschwörungsformel gesprochen.

Pergande rutschte vom Fahrersitz herunter und kam, mit dunkelbraunen Lederhosen, dunkelblauem Troyer und schwarzem Parka bekleidet, auf Sebastian zu. Er sah zunächst nur flüchtig zum Brandort hinüber. In seinem ovalen Gesicht mit dunklem Dreitagebart und dem Millimeter kurzen, dunklen Haarkranz fielen markante, dicht gewachsene Augenbrauen auf, die sich über seinen Brillengläsern wölbten. In seinen Augen saß der Schalk und wenn sie einen trafen, musste man jeden Moment mit einer spaßigen oder ironischen Bemerkung rechnen oder damit, in ein endloses Gespräch verwickelt zu werden.

Pergande nahm seine Brille ab und verwischte mit bloßen Fingern die Tropfen. „Ich hätte nicht gewusst, was ich sonst mit dem Wochenende anfangen soll.“

Stefan grinste ergeben. Richtig gewöhnen konnte er sich an manche Bemerkungen nicht. Natürlich waren sie nicht ernst gemeint, aber er empfand sie als unangenehm, wenn über Opfer nachzudenken war und ihre Brandortarbeit eine Menge kritischer Beobachter hatte. Er setzte seinen Kollegen ohne überflüssige Worte über die wichtigsten Fakten in Kenntnis und schloss mit der Bemerkung: „Sieht auf den ersten Blick gar nicht so großartig aus, das Problem ist die alte Dame.“

„Und das Benzin.“ Gregor wandte sich um und näherte sich dem ausgebrannten Asia-Markt, wo im Inneren noch immer das Belüftungsgerät dröhnte. Sie standen den Feuerwehrkräften bei den letzten Aufräumarbeiten im Wege. „Lasst aber noch ein paar Sachen drinnen“, rief Pergande dem Einsatzleiter zu.

„Wir wissen doch, wie ihr es gern haben möchtet“, gab Petersen zurück. „Wir sind gerade mit der Wärmebildkamera durch. Keine Brandnester mehr aufzufinden. Paar Minuten und ihr könnt im Schutt 'rumwühlen.“

„Prima.“ Und zu Henningsen sagte er: „Komm, Stefan, lass‘ uns die Rückseite ansehen.“

Ein Schild neben der Einfahrt wies auf das Restaurant Factory hin. Die Zufahrt führte hinter dem Gebäude nach rechts. Im Innenhof erhob sich ein altes, rotbraun geklinkertes Fabrikgebäude. Die verschnörkelten Firmeneingänge und die Fassade des Restaurants waren schwach beleuchtet, sonst lag hier alles in Dunkelheit. Ein Fahrzeug parkte hier: der ockerfarbene Kleinlaster mit roter Aufschrift ASIA-Markt, Import und Lieferservice, darunter die Telefonnummer eines Mobilanschlusses.

Der Firmenwagen war ein verlängerter FORD Transit mit Zwillingsreifen. Er sah noch sehr neu aus, hatte aber eine tiefe Schramme an der seitlichen Schiebetür zur Ladefläche. Auf dem Fahrersitz lagen eine blaue Base-Cap und eine aufgerissene Tüte, aus der Käsecracker heraus gefallen waren. Der Beifahrersitz war von Papieren übersät, Lieferscheine, Quittungen und Prospekte, wie Stefan im Schein seiner kleinen Taschenlampe erkannte. Fast so, als wäre alles durchwühlt worden. Aber die Türen waren verschlossen.

Stefan hatte nebenbei die Mobilfunk-Nummer angewählt und hielt das Handy über der dünnen Kapuze an sein Ohr. Sein Gesicht verdüsterte sich unmerklich. „Keine Verbindung. Nur `ne Ansage.“

Auf der Rückseite des Supermarktes gab es ein kleines Fenster, um das herum sich ein gezackter Kranz an Rauchgasen abzeichnete. Es war verriegelt, schloss aber nicht luftdicht ab. Die graue Eisentür führte wahrscheinlich zum Lager. Dass sich auch darüber eine breite, schwarze Fahne an Verbrennungsprodukten abbildete, war ein Zeichen dafür, dass die Tür während des Brandes einen Spalt offen gestanden haben musste. Gregor wies auf das schwarze Loch unter dem Türknauf hin, wo das Zylinderschloss fehlte. „Wir müssen nachsehen, ob wir das Schloss irgendwo finden.“

313,18 ₽
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9783847605270
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