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Hendrik Terheyden
AUGMENTATIONS-
CHIRURGIE
Hendrik Terheyden
AUGMENTATIONS-
CHIRURGIE
Biologische Grundlagen
Operationstechniken
Klinische Herausforderungen
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Lektorat, Herstellung und Reproduktionen:
Quintessenz Verlags-GmbH, Berlin
ISBN: 978-3-86867-554-2
Vorwort
Die Knochenaugmentation des Alveolarfortsatzes ist für die Medizin etwas Besonderes. Neben den zahnprothetischen Optionen besteht hier die Möglichkeit der echten biologischen Regeneration des Kieferknochens, einer Restitutio ad integrum. Der neue Knochen kann dank der Zahnimplantate langfristig funktionell erhalten werden. Die Knochenaugmentation ist im Grundsatz daher eine funktionell begründete medizinische Rehabilitation, deren ästhetische Aspekte nicht außer Acht gelassen werden dürfen. „Bringst Du die Funktion in Ordnung, dann fällt Dir die Ästhetik in den Schoß“, pflegte mein Lehrer Prof. Dr. Dr. Franz Härle dazu zu sagen.
Das Buch richtet sich an zahnärztliche Kolleginnen und Kollegen zur Einführung in das Thema Augmentation und soll erfahrenen Kolleginnen und Kollegen, Oral- und MKG-Chirurginnen und -Chirurgen viele praktisch umsetzbare Hinweise bieten. Es herrscht in den neuen Medien ein relativ breites Informations- und Fortbildungsangebot – man kann sich sogar auf Videoportalen operationstechnisch schulen lassen kann. Es gilt im Wissensmanagement, die Spreu vom Weizen zu trennen, aus der Menge das Relevante zu destillieren. Es bedarf viel Urteilskraft, um aus der Fülle der Neuheiten besser abschätzen zu können, was sich in Zukunft bewähren wird und was daher heute bereits eine Investition in Praxis und Klinik wert ist. Daher besteht auch in der modernen Medienwelt weiterhin Platz für ein klassisches wissenschaftliches Lehrbuch. Dieses Buch soll einen Beitrag zum Wissensmanagement und zur Urteilskraft leisten, vor dem praktischen Hintergrund einer Versorgungsklinik und -praxis.
Das Buch beinhaltet die Themenbereiche biologische Grundlagen, Operationstechniken sowie klinische Herausforderungen und Entscheidungsfindung.
Die biologischen Grundlagen werden in dem Ausmaß angesprochen, wie sie klinische Konsequenzen haben. Grundsätzlich war die klassische Zahnheilkunde lange Zeit relativ materialwissenschaftlich basiert, folglich auch die akademische Ausbildung. Dies war konsequent, denn die klassische konservierende und prothetische Zahnheilkunde fand außerhalb der ektodermalen Barriere, also im Prinzip außerhalb des Körpers statt. Durch die Zahnimplantate ist der Zahnarzt heute vermehrt invasiv im Inneren des Körpers tätig, sodass die klassischen Ausbildungsinhalte einer Ergänzung bedürfen. Heute kommen unter anderem die Biologie der Wundheilung, die Reaktion des Körpers auf Antigene und Fremdmaterialien, Antibiotika und Resistenzen, aber auch die ärztliche Führung eines invasiv behandelten Patienten und die Reaktion auf Komplikationen mehr in den Vordergrund.
Die Operationstechniken setzen die Chirurgie voraus, es sein denn, man spezialisiert sich auf die prothetische Versorgung von Zahnimplantaten. Aber auch dann ist zur Beratung des Patienten eine Kenntnis der chirurgischen Möglichkeiten hilfreich. Auch wenn man zunächst selber wenig augmentiert, sollte man die Augmentationsmöglichkeiten, aber auch deren Limitationen bei Risikopatienten kennen, um gezielt an spezialisierte Institutionen überweisen zu können. Generell ist eine gewisse Zurückhaltung bei der Vermittlung von chirurgischen Techniken über Zeichnungen und Animationen geboten, denn Papier ist bekanntermaßen geduldig, weshalb dieses Buch mehr auf die Verdeutlichung durch reale klinische Fälle setzt.
Zur Bewältigung klinischer Herausforderungen und zur Entscheidungsfindung gehört Erfahrung und die Kenntnis der biologischen Hintergründe, denn Zahnheilkunde ist ein naturwissenschaftlich begründetes Fach. Differenzialindikation bedeutet Nutzen-Risiko-Abwägung, welches Verfahren für welche Situation und welchen Patienten die höchste Sicherheit und den besten Effekt bietet. Dieses Buch versucht diesen Schritt in Form eines Indikationsschemas für den oder die Kliniker/in zu erleichtern. Es handelt also von der Entscheidungsfindung, möglichst im Konsens mit den Patienten als partizipative Entscheidung.
Ich danke dem Quintessenz Verlag, speziell Herrn Seniorchef Dr. h. c. Horst-Wolfgang Haase für die Aufforderung und Herrn Geschäftsführer Christian Haase für die verlegerische Umsetzung trotz Koinzidenz mit der Corona-Krise. Mit Herrn Dr. rer. hum. biol. Alexander Ammann bin ich unter anderem durch die Arbeit in der Film- und Buchreihe „Visual biology“ seit Jahren in engem Kontakt und ihm auch für dieses Buch für zahlreiche intellektuelle Anregungen zu großem Dank verpflichtet. Frau Anita Hattenbach und Frau Viola Lewandowski danke ich für das Lektorat, ebenso meinem Sohn cand. med dent. Hendrik Immo Terheyden. Die Geduld und das Können beim Umsetzen meiner Wünsche in perfekte Zeichnungen sind einen besonderen Dank an Frau Christine Rose wert. Für die Herstellung konnte ich auf Frau Ina Steinbrück vertrauen. Nicht zuletzt danke ich den zahlreichen Kolleginnen und Kollegen im wissenschaftlichen Austausch international und national. Besonders die Teilnehmer an meinen Kursen und Fortbildungen haben mich stets zum Weiterdenken und Praxisbezug in der Knochenaugmentation angeregt, indem sie Fragen gestellt und von den Herausforderungen ihrer Praxistätigkeit berichtet haben. Hier ist besonders das Curriculum Implantologie der Deutschen Gesellschaft für Implantologie und der Akademie für Praxis und Wissenschaft der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde sowie der Studiengang Master of Science zu nennen. Nicht der letzte Dank gebührt meiner Frau Dr. med. Eva Ulrike Terheyden Niemann für ihre fachlichen Anregungen und Korrekturen und die Unterstützung während des zeitintensiven und nicht sehr familienfreundlichen Unternehmens Buchschreiben. Den letzten Satz möchte ich an Sie, geehrte Leserinnen und Leser, mit der Bitte richten, mit mir in den Austausch zu treten und die Inhalte zu diskutieren – nur so kommt unser Gebiet voran. Herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, Ihr
Prof. Dr. Dr. Hendrik Terheyden
Autor
Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Hendrik Terheyden ist Chefarzt der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der DRK-Kliniken Nordhessen in Kassel.
Hendrik Terheyden absolvierte von 1983–1989 das Zahnmedizinstudium an der Universität Kiel. 1989 war er Stabsarzt der Marine in Flensburg. 1989–1992 studierte er Humanmedizin an der Universität Kiel. 1993 wurde er Fachzahnarzt für Oralchirurgie und 1997 Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie mit der Zusatzbezeichnung Plastische Operationen (1999). 1999 folgte die Habilitation an der Universität Kiel. Er erhielt den Wassmund-Preis der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG). 2004 wurde er apl. Professor an der Universität Kiel. Von 2009 bis 2012 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Implantologie und von 2017 bis 2019 erster Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Oral-und Kieferchirurgie der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK). Seit 2006 ist Prof. Terheyden Section Editor des International Journal of Oral & Maxillofacial Surgery und seit 2012 Editor in Chief des International Journal of Implant Dentistry. Seit 2021 ist er im Vorstand des Arbeitskreises leitender Krankenhausärzte der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie tätig.
Inhaltsverzeichnis
ABIOLOGISCHE GRUNDLAGEN
1Allgemeine Grundlagen der Augmentationschirurgie
1.1Knochen als Erfolgsfaktor in der Implantologie
1.2Ziele der Knochenaugmentation: Funktion – Ästhetik – Prognose
1.3Alveolarfortsatzatrophie
1.4Klassifikationen der Alveolarkammatrophie
1.5Alternativen zur Alveolarkammaugmentation
1.6Defektprothetischer versus regenerativer Therapieansatz
1.7Weichgewebeaugmentation und Weichgewebemanagement
1.8Risikomanagement SAC-Klassifikation
1.9Teamwork
1.10Literatur
2Biologische Grundlagen der Knochenregeneration und Wundheilung
2.1Aufbau des Knochengewebes
2.2Wundheilung
2.3Wundgleichgewicht – proinflammatorisches und antiinflammatorisches Wundmilieu
2.4Knochenumbau
2.5Resorptionsschutz von Knochentransplantaten
2.6Osteokonduktion und Osteoinduktion
2.7Einflussfaktoren auf das Heilungspotential von Knochendefekten
2.8Defektklassen und Augmentationstechniken
2.9Mechanismus der gestörten Wundheilung und der Wunddehiszenz
2.10Biofilm als auslösender Faktor der gestörten Wundheilung
2.11Das Wettrennen der Bakterien gegen die Angiogenese
2.12Klinische Konsequenzen, Vorbeugung der Wunddehiszenz
2.13Verzicht auf die plastische Deckung
2.14Zunehmende Antibiotikaresistenz
2.15Literatur
3Knochentransplantate
3.1Biologische Wirkung von Knochentransplantaten
3.2Das Transplantatlager
3.3Der Goldstandard – das autologe Beckenknochentransplantat
3.4Spenderorte, Qualität und Entnahmemorbidität autologer Knochentransplantate
3.5Literatur
4Materialien zur Augmentationschirurgie
4.1Eigenschaften von Fremdmaterialien
4.2Knochenersatzmaterialien
4.3Dentin als Knochenersatzmaterial
4.4Knochenprodukte: allogene und xenogene Knochentransplantate
4.5Weichgewebeersatzmaterialien
4.6Klinische Differenzialindikation von autologen Materialien versus Fremdmaterialien
4.7Membranen
4.8Bioaktive Materialien und Tissue Engineering
4.9Schlussfolgerung zu bioaktiven Materialien und Tissue Engineering
4.10Literatur
BOPERATIONSTECHNIKEN
5Patientenführung und Operationsvorbereitung
5.1Wahleingriff (elektive Chirurgie)
5.2Patientenselektion nach Risikofaktoren
5.3Aufklärung des Patienten
5.4Realistische Erwartungshaltung des Patienten
5.5Partizipative Entscheidung
5.6Antiinfektiöse Patientenvorbereitung
5.7Operationsvorbereitung, Anästhesie, Sedierung und Narkose
5.8Perioperative Medikation inklusive perioperative Antibiose
5.9Provisorische prothetische Versorgung
5.10Literatur
6Knochentransplantation – Standards und Operationstechnik
6.1Bedingungen für Knochentransplantationen
6.2Gemischte Knochentransplantate
6.3Resorptionsschutz von Knochenblocktransplantaten
6.4Instrumente
6.5Chirurgisches Vorgehen
6.6Ein- oder zweizeitige Implantatinsertion bei der Knochentransplantation
6.7Literatur
7Weichgewebemanagement und Weichgewebeaugmentationen
7.1Dimensionen der Weichgewebe am Zahnimplantat
7.2Zugangsschnittführungen
7.3Lappenformen
7.4Vestibulumplastik und weitere Weichgewebeplastiken
7.5Lappenspannung und Lappenmobilisation
7.6Nahttechnik und Nahtmaterial
7.7Implantatfreilegungstechnik im Zusammenhang mit Knochenaugmentationen
7.8Weichgewebeaugmentation zur Verbreiterung der keratinisierten befestigten Gingiva an Zahnimplantaten
7.9Weichgewebeaugmentation zur Verdickung befestigter Gingiva an Zahnimplantaten
7.10Weichgewebeaugmentation in Verbindung mit einer Sofortimplantation
7.11Weichgewebeaugmentation anstelle einer knöchernen Augmentation (GBR)
7.12Weichgewebeaugmentation zur Rezessionsdeckung an Zahnimplantaten
7.13Deckung durch vaskularisierten Bindegewebelappen
7.14Tunnelierungstechniken
7.15Kontraindikationen
7.16Literatur
8Standardoperationstechniken zur Augmentation
8.1Einlagerungsosteoplastiken
8.2Interpositionsosteoplastiken
8.3Anlagerungsosteoplastiken
8.4Auflagerungsosteoplastiken
8.5Literatur
9Alternativen und Ergänzungen zu den Standardaugmentationstechniken
9.1Titanmeshes und CAD/CAM-gedruckte patientenindividuelle Titangitter
9.2Partielle Zahnextraktionen
9.3Implantatlagerpräparation durch Kondensation, Knochendehnungsschrauben und konische Implantate und Bone spreader
9.4Vertikale Distraktionsosteogenese (DOG) des Alveolarfortsatzes
9.5Knochenringtechnik mit simultaner Implantatinsertion
9.6Extraorale Zeltpfostentechnik im anterioren Unterkiefer und Lower-border-Augmentation
9.7Schalen- und Zelttechnik
9.8Spitzkammumkehrplastik
9.9Apikales U-Splitting
9.10Literatur
10Die Behandlung der Extraktionsalveole
10.1Schonende Zahnextraktion und chirurgische Versorgung der Extraktionswunde
10.2Ziele der Ridge Preservation
10.3Alveolenfüllung in intakten Alveolen
10.4Alveolenfüllung von Defektalveolen
10.5Primäre Wandrekonstruktion von Extraktionsalveolen durch Knochenblöcke
10.6Socket Seal Surgery
10.7Augmentierte Sofortimplantation
10.8Socket-Shield-Technik
10.9Literatur
CKLINISCHE HERAUSFORDERUNGEN UND ENTSCHEIDUNGSFINDUNG
11Entscheidungsfindung nach Defektstadium
11.1Defektorientiertes Konzept zur Differenzialindikation der Augmentationsverfahren
11.2Defektstadium 1/4
11.3Defektstadium 2/4
11.4Defektstadium 3/4
11.5Defektstadium 4/4
11.6Literatur
12Entscheidungsfindung im anterioren Kiefer – ästhetischer Bereich
12.1Anatomische Besonderheiten des anterioren Oberkiefers
12.2Anatomische Besonderheiten des anterioren Unterkiefers
12.3Gingivaler Biotyp
12.4Gingivahöhe und Rückwärtsplanung
12.5Präzise Augmentation durch Resorptionsvermeidung
12.6Implantatpositionierung
12.7Augmentationen bei Zahnnichtanlagen und Jugendlichen
12.8Vertikalaugmentation zur Rettung von benachbarten Zähnen
12.9Implantate bei Vertikaldefekten im parodontal geschädigten Gebiss
12.10Versorgung von Knochendefekten im anterioren Oberkiefer
12.11Versorgung von Knochendefekten im anterioren Unterkiefer
12.12Literatur
13Der seitliche Kiefer – Freiendsituationen
13.1Klinik der Freiendsituationen
13.2Weichgewebeheilung bei Freiendsituationen im Vergleich Ober- zu Unterkiefer
13.3Allgemeines zu Kurzimplantaten versus reguläre Implantate
13.4Allgemeines zu durchmesserreduzierten Implantaten versus reguläre Implantate
13.5Pro und kontra vertikale Augmentation im seitlichen Unterkiefer
13.6Pro und kontra Sinuslift im seitlichen Oberkiefer
13.7Fazit zur Differenzialindikation Augmentation versus s/n/t-Implantate im seitlichen Kiefer
13.8Differenzialindikation von Knochenaugmentationsverfahren im posterioren Unterkiefer
13.9Differenzialindikation von Knochenaugmentationsverfahren im posterioren Oberkiefer
13.10Literatur
14Der atrophierte zahnlose Kiefer
14.1Funktion (Kauen und Sprechen) und Alveolarfortsatzatrophie
14.2Ernährung und Alveolarfortsatzatrophie
14.3Demenz und Alveolarfortsatzatrophie
14.4Lebensqualität und Alveolarfortsatzatrophie
14.5Gesichtsästhetik und Alveolarfortsatzatrophie
14.6Zahnprothetische Besonderheiten bei schwerer Alveolarfortsatzatrophie
14.7Schritt 1: Differenzialindikation von implantatgestützter Deckprothese versus implantatgetragenen Zahnersatz
14.8Schritt 2: Differenzialindikation festsitzender oder abnehmbarer implantatgetragener Zahnersatz
14.9Schritt 3: Differenzialindikation pro und kontra vertikale Augmentation
14.10Extrematrophien
14.11Differenzialindikation zur augmentationsfreien Versorgung und Sofortbelastung auf schrägen Implantaten im Rahmen der „Alles auf vier“-Methoden
14.12Differenzialindikation zur augmentationsfreien Versorgung des Oberkiefers durch Zygomaimplantate
14.13Differenzialindikation zur augmentationsfreien Versorgung des atrophierten Unterkiefers bei Cawood-Klassen V bis VI mit Kurzimplantaten
14.14Differenzialindikation zur augmentationsfreien Versorgung durch Subperiostalimplantate
14.15Empfehlungen zur augmentativen Versorgung von atrophierten zahnlosen Kiefern
14.16Literatur
15Reparaturchirurgie und Komplikationsmanagement
15.1Reparaturchirurgie und Zweitimplantation
15.2Augmentative Behandlung der Periimplantitis
15.3Infektiöse Komplikationen bei Augmentationen
15.4Präoperative Maßnahmen zur Vermeidung von Wunddehiszenzen bei Augmentationen
15.5Intraoperative Maßnahmen zur Vermeidung von Wunddehiszenzen bei Augmentationen
15.6Postoperative Maßnahmen zur Vermeidung von Wunddehiszenzen bei Augmentationen
15.7Komplikationen und deren Vermeidung beim Sinuslift
15.8Allgemeine Komplikationen bei Augmentationsoperationen
15.9Literatur
A
BIOLOGISCHE GRUNDLAGEN
1
Allgemeine Grundlagen der Augmentationschirurgie
Information war nie so umfassend verfügbar wie heute. Dies gilt besonders für die zahnärztliche Implantologie, die viele Jahrzehnte nach ihrer Etablierung immer noch stark im Fluss ist. Im dynamischen Wechselspiel von Produktentwicklern und Klinikern kommen fast täglich neue Biomaterialien und Augmentationsverfahren in die Praxis. Zu allem gibt es zahllose Publikationen und verlockende Fortbildungsangebote. Die Kunst der (Zahn-)Ärztin und des (Zahn-)Arztes ist es, die Menge an Innovationen und Informationen zum Wohle der Patienten richtig einzuordnen. Was ist gut für meine/n Patienten/in und was ist schlecht, riskant und was ist vorhersagbar, was ist effektiv und was ist unnötig, was zahlt sich aus und was kostet nur, was ist Mode und was beständig? Die Basis der Urteilsfähigkeit ist Erfahrung und profundes Wissen.
Die Zahnheilkunde ist traditionell stark durch Materialwissenschaften geprägt, denn sie fand bis vor wenigen Jahren überwiegend außerhalb der Ektodermhülle des Körpers statt. Unter anderem durch die Implantologie hat sich das Behandlungsspektrum in das Innere des Körpers unserer Patienten erweitert. Das erfordert eine zusätzliche theoretische Basis für die Zahnheilkunde, die sich aus Biologie und Medizin speist. Die Leistung des Operateurs und der Operateurin bei Augmentationen ist nicht nur die handwerklich korrekte Ausführung, sondern vor allem die richtige therapeutische Empfehlung unter Abwägen zahlreicher Einflussfaktoren. Dieses Buch soll dem/der Praktiker/in dabei helfen, Selbstbewusstsein und kritische Urteilskraft für gute Entscheidungen aufzubauen und ein wenig Freude auslösen, wenn die Biologie hinter den eigenen klinischen Beobachtungen erkennbar wird und sich ein nachhaltiger Erfolg einstellt.
1.1Knochen als Erfolgsfaktor in der Implantologie
Die Chance auf eine funktionell und biologisch vollwertige Geweberegeneration ist ein Privileg der Zahnheilkunde im Vergleich zu anderen Sparten der Medizin. Die Knochenregenerationstechniken erlauben heute Zahnärztinnen und Zahnärzten, fast keine Formabweichung des Kieferknochens als gegeben hinnehmen zu müssen, sei sie erworben durch Unfall, Tumor oder durch Atrophie des Alveolarkamms nach Zahnverlust oder angeboren bei Zahnnichtanlagen. Das bezieht sich auch auf Bisslage- und Bisshöhenkorrekturen der Kiefer. Die Grundlagen zu chirurgischen Korrekturmöglichkeiten des Knochens und der bedeckenden Weichgewebe zur Vorbereitung einer Zahnersatzbehandlung wurden zum großen Teil durch die Fachvertreter der präprothetischen Chirurgie in den siebziger und achtziger Jahren gelegt1. Knochenaugmentationen sind auch ein langfristig sicheres Verfahren. Zu allen wesentlichen Techniken bestehen heute Daten aus 10-Jahres-Studien.
Das Schicksal des Implantats entscheidet sich auf dem obersten Millimeter2 (Abb. 1-1). Ein zirkulär vollständiger Ring von Knochen, der allseits alle aufgerauten Anteile des Implantats bedeckt, kann ein Tiefenwachstum des Saumepithels und damit Taschenbildung verhindern3 und ist eine Voraussetzung für die dauerhafte Implantatgesundheit4. Zirkulärer Knochen von mindestens 1 mm, besser 2 mm Dicke ist eine Voraussetzung für eine gute Langzeitprognose und die Basis für einen abdichtenden Weichgewebeanheftungsapparat. Ausreichend dicker Knochen erzeugt eine vitale Gingivafarbe, indem er ein Durchschimmern des dunklen Titans verhindert (Abb. 1-2). Der Knochen ist generell die Basis der Ästhetik, indem er die Höhe der Gingiva definiert (Abb. 1-3) und die Gesichtsweichteile verankert. Der Alveolarfortsatz muss ausreichend breit sein, um einem stabilen Implantat mit ausreichender Materialstärke Platz zu bieten, das sich unter Mastikation nicht verformt oder gar frakturiert. Außerdem muss der Knochen ausreichend hoch sein, damit keine langen Zahnkronen und interdentale Plaqueretention resultieren. Der Knochen sollte in der prothetischen und damit in der funktionellen Belastungsachse der Restauration stehen. Dadurch kann die Prothese zierlicher ausfallen (Abb. 1-4 bis 1-6).
Abb. 1-1 Das Schicksal des Implantats entscheidet sich auf dem ersten Millimeter. Aufgeraute Implantatanteile dürfen nicht in Kontakt mit den Bakterien des Sulkus kommen. Hier besteht Augmentationsbedarf.
Abb. 1-2 Fotomontage. Ersatz der nicht angelegten Zähne 12 und 22 durch Titanimplantate. Das graue Durchschimmern des Titans sollte durch ausreichend dicken Knochen und Weichgewebe verhindert werden.
Abb. 1-3 Die Weichgewebehöhe (biologische Breite) ergibt sich aus den Elementen Bindegewebeanheftung, Saumepithel und Sulkustiefe bzw. freie Gingiva. Sie ist bei Zahn und Implantat gleich hoch, im Mittelwert etwa 3 mm. Weil die Höhe konstant ist, kann man durch Augmentation der Knochenhöhe die Weichgewebehöhe vorplanen.
Abb. 1-4 Bei der implantatprothetischen Versorgung des Oberkiefers kann man die Implantate unter Vermeidung der Sinusbodenaugmentation im vorderen Bereich intersinusoidal setzen. Dann muss allerdings die Prothese tegumental gelagert werden (Deckprothese) oder die Prothese muss zur Vermeidung eines Bruches sehr massiv gearbeitet werden. Bei großem Unterstützungspolygon nach Augmentation unter Verwendung von 6 bis 8 Implantaten kann eine abnehmbare Arbeit viel zierlicher gestaltet werden, weil die Bruchgefahr gering ist.
Abb. 1-5 Oberkieferversorgung ohne Augmentation. a. Tegumental gelagerte Deckprothese für den Oberkiefer bei intersinusoidal gesetzten Implantaten unter Augmentationsvermeidung. b. Durch mangelnde Unterspülbarkeit der Deckprothese kommt es zu Rötung des Gaumens (Prothesenstomatitis, Candidiasis) und Gingivahyperplasie an den Implantaten mit Pseudotaschenbildung. Die kaufunktionelle Belastbarkeit ist durch die mangelnde Pfeilerspreizung relativ gering.
Abb. 1-6 Oberkieferversorgung mit Augmentation. a. Durch Sinusbodenaugmentation konnte eine Pfeilerergänzung vorgenommen werden. b. Panoramaschichtaufnahme nach Sinusbodenaugmentation beidseits. c. Prothetische Versorgung durch zierlich gearbeitete abnehmbare und unterspülbare Prothese (Prof. M. Kern, Kiel). d. Galvanoteleskope. e. Interdentale Reinigungsmöglichkeit und Unterspülbarkeit. f. Lippenbild mit natürlicher Ästhetik.
1.2Ziele der Knochenaugmentation: Funktion – Ästhetik – Prognose
Mit den genannten Vorgaben ergeben sich folgende Ziele der Knochenaugmentation:
Funktion
Ästhetik
Prognose
Die Implantologie hat als oberstes medizinisches Ziel die kaufunktionelle Rehabilitation. Bei einer guten Funktion ergibt sich häufig die Ästhetik automatisch. Zudem rückt die Ästhetik als Therapieziel mehr in den Vordergrund. Die Lage der Knochenschulter bestimmt die Lage der darüber liegenden Weichgewebe und damit die gingivale (rosa) Ästhetik. Diese Zusammenhänge werden in dem englischen Merkspruch zusammengefasst:
The tissue is the issue,
but the bone sets the tone,
and the clue is the screw. (D. Garber, Atlanta)
1.3Alveolarfortsatzatrophie
Der Alveolarfortsatz in Ober- und Unterkiefer ist im Gegensatz zur Kieferbasis embryologisch nicht chondral präformiert. Der Alveolarfortsatzknochen wird als desmaler Knochen von den Zähnen im Rahmen ihrer Anlage gebildet und entlang ihres Durchbruchs zur Okklusionsebene mitgenommen. Entsprechend schwindet dieser Knochen nach Verlust der Zähne auch wieder. Die Alveolarkammatrophie ist physiologisch und keine Krankheit, allerdings können die Folgen, der Verlust des Kauorgans und die Prothesenunfähigkeit, eine Krankheit bedeuten, zumal die Atrophie bei einigen Patienten sehr schnell verläuft. Die Resorption des Alveolarknochens beginnt an der bukkalen Knochenlamelle und erfasst später auch die orale Knochenlamelle. Die Resorption der oberen Alveolarfortsatzanteile wird auch durch das Prinzip des Bündelknochens erklärt (Abb. 1-7). Dieser Knochentyp des Körpers besteht aus den verkalkten Insertionen von Ligamenten. Am Alveolarfortsatz sind dies die Insertionen der Sharpey-Fasern (nach William Sharpey, Anatom in London). Nach Zahnextraktion schwindet das Parodontalligament und zwangsläufig auch der Bündelknochen, der die gesamte faziale Lamelle der Zahnfächer ausmachen kann. Der Verlust des Alveolarfortsatzes wird unter anderem beschleunigt durch die marginale Parodontitis, durch traumatische Zahnextraktion, durch instabile tegumental getragene Prothesen und durch eine generalisierte Osteoporose. Besonders starke Atrophien mit Schlotterkamm- und Lappenfibrombildung werden beim Kombinationssyndrom (Abb. 1-8) im anterioren Oberkiefer gesehen, wenn ein hartes unteres Restgebiss oder untere Zahnimplantate gegen eine nur tegumental gelagerte obere Vollprothese beißen. Im Zuge der Atrophie kommt es auch zu einer verminderten Durchblutung der Kiefer, die einen reversen Strom in der Arteria mentalis auslösen kann. Die Frakturgefahr steigt durch die Querschnittsminderung des Unterkiefers.
Abb. 1-7 Der Bündelknochen ist die Verankerung von Sehnen und Ligamenten in das Skelett. Der Alveolarfortsatz besteht vor allem im oberen Teil fast durchgehend aus Bündelknochen. Dieser wird von den zur Okklusionsebene durchbrechenden Zähnen mitgenommen. Wenn die Zähne verloren gehen, schwindet auch der Bündelknochen wieder, zunächst bukkal, später lingual beziehungsweise palatinal. Dieser Effekt erklärt den schnellen Volumenverlust von Extraktionsalveolen und die Alveolarkammatrophie als physiologisches und nicht aufzuhaltendes Phänomen, es sei denn, man kann durch Zahnimplantate den Knochen wieder physiologisch belasten (knochenprotektiver Effekt der Zahnimplantate).
Abb. 1-8 Patient mit Kombinationssyndrom. a. Die Panoramaschichtaufnahme zeigt die isolierte Alveolarkammatrophie im anterioren Oberkiefer. Der harte Aufbiss der unteren Restbezahnung trifft auf die tegumental gelagerte obere Prothese, die insbesondere unter Protrusionskontakten immer wieder nach vorne abkippt und so die physiologische Alveolarkammatrophie lokalisiert beschleunigt. b. Lappenfibrome durch schlecht sitzende obere Vollprothesen im anterioren Oberkiefer. Diese pathologischen Reizzustände der Vestibulumschleimhaut ergeben sich insbesondere, wenn Vollprothesen anterior weit über den Kamm vorgebaut sind. Wenn sie durch ein Kombinationssyndrom anterior überlastet werden und die Okklusion nicht balanciert ist, können die Prothesen bei Vorschub vermehrt nach vorn abkippen. Parallel zeigt hier der Mundwinkel eine Perlèche (Candidiasis).
Da die Zähne und der Alveolarfortsatz im Oberkiefer physiologisch nach bukkal geneigt stehen und eine enge apikale Basis vorliegt, ergibt sich bei Höhenreduktion des Knochens eine Verlagerung der Kieferkammmitte nach innen – die zentripetale Atrophie des Oberkiefers (Abb. 1-9). Bei breiter apikaler Basis im Unterkiefer und nach innen geneigten Zähnen tritt im Unterkiefer das Gegenteil ein. Die Kammmitte wandert mit der Höhenreduktion des Alveolarfortsatzes nach außen – die zentrifugale Atrophie des Unterkiefers. Dieser Effekt kann zu einer Veränderung der Kieferrelation führen und eine Pseudoprogenie und Kreuzbisse im Seitenzahnbereich bedingen. Die Pseudoprogenie wird noch verstärkt, weil der Biss im Laufe des Lebens unter anderem durch Zahnattrition, Abrasion, Zahnextraktionen und durch parodontale Zahnwanderung in der Regel immer weiter absinkt. Dadurch rotiert das Kinn im Kiefergelenk nach vorne.