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Heinz-Joachim Simon
Alexanders letzter Traum

Historischer Roman





Simon, Heinz-Joachim : Alexanders letzter Traum. Historischer Roman. Hamburg, acabus Verlag 2018

Originalausgabe

ePub-eBook: ISBN 978-3-86282-665-0

PDF-eBook: ISBN 978-3-86282-664-3

Cover: © Annelie Lamers, acabus Verlag

Covermotiv: pixabay.com

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Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

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Pothos:


„Das Feuer, das Alexander entzündete, hat lange nur geglommen.

Vielleicht glimmt es auch heute nur, aber es ist nie erloschen und kann nie ganz ausgelöscht werden.“


William Woodthorpe Tarn, Alexander der Große „Die Welt, in der ich mich am wohlsten fühle: der griechische Mythos.“ Albert Camus

Für Dieter Topel,

den großherzigen,

tapferen Freund.

Die Niederschrift des Leonnatos, Bote des Apollon und Gefährte Alexanders. 1. Buch Der Sohn des Amun

1.

Es war kein Gott. Am Anfang glaubte er, im Auftrag der Götter zu handeln, und dafür stand ihm eine genügende Anzahl zur Verfügung. Und weil sich alles so gut für ihn fügte, glaubte er schließlich, zu ihnen zu gehören und sah sich gleichberechtigt im Kreis der Götter. Jedenfalls meistens. Schuld daran hatte Olympias, seine Mutter, die ihm von Kindesbeinen an Vorträge hielt, dass Achilles zu ihren Ahnen zählte, und Philipp, sein Vater, war kaum bescheidener und verwies auf Herakles. Wenn man dies ein ganzes Kindesleben lang erzählt bekommt, dann bleibt etwas davon hängen, und so kam es, dass er mit dem Sterblichsein nicht zufrieden war und sich damit überanstrengte, ein Gott zu sein. Er konnte kaum seinen Namen nennen, da hörte er auch schon, dass bei seiner Geburt der Tempel der Artemis zu Ephesos gebrannt und der Gott Amun in Gestalt einer Schlange ihr, der Olympias, beigewohnt habe. All dies hätte auch jemand, der mit nüchternem Sinn ausgestattet ist, schließlich um den Verstand gebracht. Aber Alexander war zudem noch ein Mensch mit viel Herz und der Fähigkeit, sich die Träume seiner Kindheit zu bewahren. Dies vermischt mit dem Glauben, ein Gott zu sein und dass das Schicksal nie Dagewesenes mit ihm vorhabe, zusammen mit dem Ehrgeiz, alles zu übertreffen, was je getan wurde, machten aus ihm eine Sagengestalt, die das Staunen der Welt hervorrief.

Jawohl, die Menschen haben ihn bestaunt wie den Olymp und doch war ich am Ende der einzige Freund, den er hatte. Aber ich war ihm nicht Hephaistion, der ihm so bereitwillig seine Schenkel öffnete. Ich habe mich dagegen allein auf die Frauen konzentriert, und dies hat mir Kummer genug eingebracht. Mir auch noch Ärger wegen der Männer einzuhandeln, kam mir nicht in den Sinn. Aber nach Hephaistion war ich sicher derjenige, dem sich Alexander am meisten anvertraute, jedenfalls in den letzten Wochen seines Lebens.

Ich, Leonnatos, Sohn des Anthes, sollte nach Alexanders Willen Herr über Asien werden und seinen letzten Traum erfüllen. Ich sollte aus dem, was er mit der Hochzeit in Susa eingeleitet hatte, zum größten Wunder der Menschheitsgeschichte führen. So hatte er es vorgesehen. Jawohl, er nannte einige von uns seine Verwandten, was nicht auf Blut und Samen zurückzuführen war, sondern seine Worte, seine Umarmung, sein Kuss hob uns aus den Gefährten heraus. Nur bei mir kam noch anderes dazu, wovon noch zu berichten sein wird.

Nun, wo er tot ist, glauben sie alle, seine Gefährten und Nachfolger, dass sie so sein können wie er. Sie gebärden sich als kleine Alexander, ahmen seine Körperhaltung nach, kämmen sich das Haar wie er und schaben sich das Gesicht und sind dennoch bestenfalls schlechte Kopien. Alle haben ihn verraten und sich aus dem, was er hinterließ, einen blutigen Fetzen herausgerissen.

Dies ist die wahre Geschichte des Alexander und es ist die Geschichte von Hephaistion, Perdikkas, Peukestas, Lysimachos, Seleukos, Krateros, Eumenes und Ptolemaios und die, die nicht mehr unter uns weilen, die für Alexander starben oder von und durch ihn gemordet wurden. Aber in erster Linie ist es meine Geschichte. Und ich schreibe sie nieder, weil er, Ptolemaios, mir seine Sicht des Alexanderzuges geschickt hat. Fünf Rollen liegen vor mir, und ich muss ihm zugestehen, dass er das Leben unseres Königs und Gottes gar nicht so schlecht erzählt. Ein bisschen steif vielleicht, aber sein Machwerk gefällt mir besser als die Lobeshymnen des Kallisthenes, diesem missratenen Neffen des Aristoteles. Aber es ist nicht Alexander, der darin vorkommt, sondern so eine Art anbetungswürdige Marmorstatue. Als hätte sich Ptolemaios an den Statuen eines Phidias berauscht. Nun, Ptolemaios ist kein Homer und wenn er noch so oft die alten Heldensagen beschwört. Er will nun meine Meinung dazu hören und ich soll ihm die Absolution erteilen. Er glaubt etwas Unvergleichliches geschrieben zu haben. Unvergleichlich sind die Taten Alexanders. So einen wie ihn hat es noch nie gegeben, und ich wage zu behaupten, dass es so einen wie ihn auch nie wieder geben wird. Er streicht sich auch kräftig heraus, der gute Ptolemaios, und natürlich komme ich in seiner Niederschrift kaum vor, dafür umso mehr er. Schließlich glaubt er, seit er Pharao ist, zu den Unsterblichen zu gehören und Ahnherr einer Dynastie zu sein, die noch in tausend Jahren Ägypten regiert. Mit weniger gibt er sich nicht mehr zufrieden. Wer miterlebt hat, wie schnell die Nachkommen Alexanders, der Sohn der Roxane, aber auch der kleine Herakles, Sohn der Barsine, gestorben sind, muss hinsichtlich der Langlebigkeit von Dynastien eigentlich skeptisch sein. Alexanders Kinder wurden getötet. Sie wurden ermordet von denen, die ihm alles verdanken. Auch wenn ich daran keinen Anteil hatte, so bedrückt es mich doch, dass ich dies nicht verhindern konnte. Der Papyrus des Ptolemaios verschweigt vieles. Alexanders Vermächtnis und die Hochzeit zu Susa, die alles einleiten sollte, wird ein pittoreskes Ereignis, ihm nur eine Randnotiz wert.

Ich soll ihm schreiben, ob er den richtigen Ton getroffen, ob er die Taten angemessen schildere oder etwas vergessen habe, was zu schildern notwendig ist. Ich sei doch in den letzten Tagen des göttlichen Alexander, so schreibt er ein wenig ölig, dessen liebster Begleiter gewesen. Dies schreibt er jedoch nur in seinem begleitenden Brief, aber in seinem Bericht über Alexander steht davon nichts, was sicher kein Zufall ist. Er wusste, dass ich Alexanders Tagebücher habe und an einem eigenen Bericht über den Alexanderzug arbeite und dies hat ihn sicher nervös gemacht. Erinnerungen können trügen und man solle sich abstimmen, schreibt er. Er war schon immer ein Fuchs, mein Freund Ptolemaios, der Alexander und mich verriet.

Vor mir liegen die Armreifen, die Halsketten, die mir einst Alexander schenkte und mich als Verwandten und Strategen auszeichneten. Wie fing alles an? Je tiefer ich in meine Vergangenheit eindringe, desto klarer wird mir, dass auch mein Bericht über den Alexanderzug, eine sehr persönliche Schilderung ist. Es ist meine Wahrheit, meine Sicht der Ereignisse. Es ist keine Aneinanderreihung von Triumphen, Schlachten und Morden. Jawohl, Alexander war ein Mörder, aber war das nicht auch Achilles, den Homer so unübertroffen besingt, dass man dem Sohn der Thetis nachsieht, welchen Frevel er dem Hektor antat? Ich werde Alexanders Missetaten nicht verschweigen, genau so wenig wie meine. Ich werde berichten, wie er tötete und dabei lachte und nicht verhehlen, dass auch ich getötet habe. Es klebt Blut an unseren Händen. Ich könnte es auf die Götter schieben, aber nicht sie, sondern wir sind verantwortlich für das, was wir taten. Auch wenn ich vorgab, im Namen Apolls zu sprechen, so standen doch meine Wünsche, meine Vorlieben dahinter. Apollon möge mir verzeihen, dass ich so oft seinen Namen missbrauchte.

Meine Geschichte fängt also vor der Zeit an, als ich dem König begegnete. Und es war keine gute Zeit. Es hatte mit Mord zu tun und dem Unaussprechlichen, das nur ich kenne. Doch hier auf dem Papyrus will ich es nicht verschweigen, nichts werde ich verbergen, weil ich abrechnen muss, mit mir, mit dem König und den Gefährten, die er zu seinen Verwandten zählte und die ihn erst liebten, aber zum Schluss nur noch fürchteten.

Mein Bericht ist nichts für zarte Seelen, denn er handelt von einer Mörderbande, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Es wird von Blut und Schweiß, von Tränen und meines Vaters Samen die Rede sein, vor allem aber von den Frauen, die ich liebte. Ich habe drei Frauen geliebt und jeder von ihnen habe ich hier in Gordion einen Tempel geweiht, wenn sie auch die Götternamen Hera, Artemis und Aphrodite tragen. Ich habe marmorne Statuen hineinstellen lassen, die ihnen nicht gerecht werden, obwohl ich die größten Künstler Griechenlands damit beauftragte.

Ptolemaios will eine ehrliche Antwort über seinen Alexanderbericht, ein Urteil. Ich soll wohl die Wahl des Paris wiederholen. Und natürlich erwartet er Lob und Anerkennung. Aber ich werde ihm nicht schmeicheln. Ich werde ihm schreiben, dass er vielleicht ein großer König ist, aber zum Chronisten nicht sehr viel taugt. Warum? Indem er Ereignisse aneinanderhängt, wird er Alexander nicht gerecht. Er ist nicht einmal ein Xenophon. Es ist eine blutleere lieblose Abhandlung. Mein Bericht über den Alexanderzug wird ihm den Unterschied aufzeigen. Natürlich wird er sich darüber ärgern und es wird ihm leidtun, dass er mir das Leben rettete. Es gibt da so einiges, was ich ihm bisher nicht heimgezahlt habe. Schließlich ist es seine Schuld und die des Perdikkas und Seleukos, dass man mich nicht Herr über Asien nennt.

Ich liebte drei Frauen, so könnte ich anfangen. Denn mehr werden es nicht werden, so sehr man mir auch Alexanders Schwester als Gemahlin anpreist. Dies wäre ein guter Anfang für einen Dichter, aber mein Leben wurde nicht von ihnen bestimmt, sondern von dem Alp, der auf meine Seele drückte.

Ich sitze hier auf dem Turm meiner Burg und schaue auf das von der Sonne versengte Land, das man mir als mein Reich zugeteilt hat und das nur deswegen bekannt ist, weil unten in dem Tempel Alexander den berühmten Knoten, den gordischen, mit seinem Schwert löste. Es ist eine Burg, wie sie die Alten bauten. Nichts hat sie von den edlen Linien griechischer Tempel, nichts von der barbarischen Pracht der Apadama in Persepolis, noch von der uns fremd wirkenden Anmut ägyptischer Götterhäuser. Große mächtige Steine wurden fugenlos aufeinander getürmt, als hätten Titanen sie herangeschleppt, Sklaven der Götter, die sie in manischem Zorn zusammenfügten als Mahnung, dass es noch größere Wesen gibt als uns Menschen. Die Könige von Mykene hätten sich in Gordion sicher wohlgefühlt. Der alte Streitwagen steht noch in dem Tempel, aber der Knoten ist zerschlagen und die Enden hängen lose von der Deichsel. Alexander wurde Herr Asiens und nicht ich. Aber wenigstens neidet mir keiner die Herrschaft über Phrygien. Jedenfalls keiner von denen, die einmal meine Gefährten waren und die ich nun verachte. Ptolemaios wähnt sich immer noch als mein Freund, obwohl er sich an mir vergangen hat und an Alexander. Je tiefer ich grabe, je mehr ich bloßlege, umso deutlicher schält sich heraus, dass der Mann, dem ich mein Leben verdanke, es auch verdarb.

Obwohl es um den Alexanderzug geht, steht nicht der König, sondern mein Vater im Mittelpunkt. Wir sind Bergmakedonen und lebten oberhalb von Pella und Anthes. Mein Vater war der Clanhäuptling. Unser Haus stand auf einem von Felsen durchzogenen Hügel und sah von Weitem wie der Rumpf einer Triere aus, und die Winter waren lang und sehr kalt und der Frühling feucht und die Sommer so heiß, dass der Fluss in der Ebene austrocknete.

Ich hatte eine böse Kindheit, und Anthes, mein Vater, lag mir wie ein Fels auf der Brust. Ich hasste ihn so lange ich denken kann und er hasste mich und dies hörte nicht auf so lange er lebte. Er hat nie verwunden, dass mich Alexander zu seinem Verwandten machte, zu seinem Strategen und Leibgardisten, dass er meine Nähe suchte und meinen Rat. So lange meine Mutter lebte, war der Hass meines Vaters abgemildert und ich hatte als Ausgleich zu seinen Verwünschungen und Flüchen die zärtlichen Hände der Mutter auf meinem Kopf. Sie starb im Kindbett und seitdem war ich den Händen meines Vaters ausgeliefert und er prügelte mich so oft er mich sah. Dies wurde nicht besser, als er sich eine andere Frau ins Haus holte, sondern im Gegenteil noch schlimmer. Meine Geschichte und die des Alexanderzuges beginnt also mit der Lust meines Vaters. Er, der seinen Samen verströmte und mir damit das Leben schenkte, hatte lange gesucht, bis er ein neues Gefäß für die Wildheit seiner Lenden gefunden hatte, und dieses neue Weib war ihm ebenbürtig und auch sie habe ich gehasst. Ich glaube, mit ihr anzufangen, mit dem Tag ihrer Ankunft wäre ein guter Beginn, denn er unterschied sich von den vorangegangenen Tagen dadurch, dass mein Vater nun noch wilder wurde. Ich habe nicht viel gelacht in jener Zeit und so lange ausgehalten habe ich es nur, weil mir ein Gott zur Seite stand und mich zum Werkzeug nahm, zum Verkünder seines Willens. Dies also ist die Geschichte des Leonnatos, der nach Alexanders Willen Herr über Asien werden sollte. Es war der Tag, an dem sich mein Vater ein neues Weib nahm und damit meinem Leben eine neue Peinigung hinzufügte. So fängt es an.

2.

Es begann damit, dass eine Raupe herankroch. Ich stand im Hof unter der mächtigen Eiche, von der mein Vater behauptete, dass sie dort schon gestanden habe, als Ajax sich nach Troja aufmachte, was natürlich eine genau so eine blödsinnige Behauptung war wie seine Tiraden, dass wir von den trojanischen Helden abstammen. Jeder, der etwas auf sich hält, hat in unserer Gegend einen trojanischen Ahnen. An deren Frauen kann sich jedoch niemand erinnern. Da auch mein Vater dazu mit keinem Namen herausrückte, ist meine Abstammung von Priamos’ Untertanen als sehr unsicher anzusehen.

Was unter uns den Berg hochkroch, war keine Raupe, und ich war auch nicht besonders erpicht darauf, dass sie endlich auf dem Berg ankam. Wir wussten, dass sie kommen würde und mein Vater hatte das Haus dazu auch entsprechend herrichten lassen. Der Hof war gefegt und der Türeingang mit Misteln bekränzt. Ein anderer als mein Vater hatte sich aufs Pferd geschwungen und wäre seiner Braut entgegen geritten. Aber so etwas war nicht seine Art. Breitbeinig stand er im Eingang des Hauses, die Hand auf den Nacken meines Bruders gelegt, was er mit mir sein Lebtag nicht getan hat. Mein Vater hasste mich und meine Gefühle standen den seinen in nichts nach. Meinen Bruder dagegen liebte er. Antiochios war sein Augapfel, der Mittelpunkt des Hauses und alle schrieben ihm Eigenschaften zu, die vermuten ließen, dass er bald vom König zu den Getreuen geholt werden würde.

Was da herankroch, konnte für mich nur Ärger bedeuten, denn alles, was mein Vater in die Wege leitete, brachte mir Ärger. Eurydike, auch sie von den Molossern abstammend, genau so wie die Mutter Alexanders, also von diesem wilden halb barbarischen Stamm, sollte nun die Frau unseres Vaters werden. Meine leibliche Mutter, die mich bis dahin vor den schlimmsten Verfolgungen des Alten bewahrt hatte, war nicht einmal ein halbes Jahr unter der Erde, als er sich eine neue Frau ins Haus holte, obwohl doch genug Mägde da waren, die ihm seinen Spaß nicht verwehrten. Auch dies hatte neben anderen tierischen Ausschweifungen dafür gesorgt, dass sie gestorben war. Ich dachte stets voller Zärtlichkeit an ihre Liebe, an ihre Hand auf meinem Kopf und hasste meinen Vater für das, was er ihr angetan hatte. Für die Schläge, für die trunkenen Worte und die Arbeit, die er ihr aufbürdete. Ihre Beziehung zu meinem Vater war, so lange ich denken kann, vergiftet gewesen. Wir gehören nicht dem Hochadel an und mein Vater herrscht nur über ein paar einfältige Bergbauern in ihren Katen, aber er war der Anführer und ließ darüber keinen Zweifel aufkommen. In Pella nannten sie ihn einen Makedonen von altem Schlag. Unsere Burg war auch nichts Besonderes und bestand hauptsächlich aus einer rauchgeschwärzten Halle, die stets im Halbdunkel lag. Genug Kammern hatte die Burg zwar, aber viele waren feucht und weil ich meine Gesundheit erhalten wollte, übernachtete ich oft draußen in der Scheune. Neben dem Haupthaus standen im Karree Gesindehaus, Stallungen und Scheunen, die mit einer mannshohen Mauer verbunden waren. Unser ganzer Reichtum bestand nur aus Schafen und Ziegen und dicht war nur das Dach des Haupthauses. Unsere Knechte und Mägde froren im Winter in den Kammern des windschiefen Gesindehauses neben den Stallungen. Anthes fror natürlich nicht, denn er saß behaglich ausgestreckt mit seinem Lieblingssohn und einem Pokal Wein auf dem Tisch vor dem riesigen Kaminfeuer des Haupthauses und grunzte genussvoll. Mich hatte er dann mit einem Fluch und einem geworfenen Knochen oder Schemel, was ihm gerade in die Hand geriet, schon längst in die Kälte vertrieben.

Auf den ersten Blick waren wir Anthes also nichts besonderes, dennoch hatte mein Vater einen hervorragenden Ruf und der große Feldherr Parmenion, der schon so lange König Philipps Gunst besaß, hielt große Stücke auf ihn. Sie waren beide von der gleichen altmakedonischen Art. Auch Parmenion glaubte an die alten Götter wie Uranos und Gaia und ließ vielleicht noch den Titan Kronos gelten, aber sie kamen nicht einmal im Traum darauf, sich als Auserwählte der Götter oder gar für Götter selbst zu halten.

Ich sah also die Raupe oder den Wurm heraufziehen und mir war nicht sehr wohl dabei zumute und meine Stimmung verbesserte sich auch nicht, als mein Vater und Antiochios zum Tor der Burg gingen, angetan mit ihren besten Chitons aus gutem Leinen, und ich hinkte ihnen in meinen Fetzen wie ein Bettler hinterher. Mein Vater war wohl zu der Erkenntnis gekommen, daß mein Anblick nicht gerade das Ansehen der Familie förderte und brüllte mir zu, dass ich mich davon scheren solle. Also hinkte ich hinter das Haus zu der großen Tanne und bestieg sie.

Ja, nun ist es heraus. Der Sohn des großen Helden Anthes ist ein Krüppel. Mein rechter Fuß ist etwas kurz geraten, sodass ich mich nie für den Stadionlauf in Olympia melden brauchte. Nicht, dass es mich sehr behindert, aber ich bin nun einmal ein Gefäß mit einem Sprung. Nur meine Mutter war immer der Meinung, dass dies mich erst wertvoll mache. Von dem Hinken einmal abgesehen sei ich ein ganz hübscher Kerl. Nun, wir wissen, wie objektiv Mütter sind. Aber auch die Mägde schienen meine Sommersprossen und die grünen Augen unter meinen rotblonden Haaren zu mögen und machten mir schon früh schöne Augen. Vielleicht hatten sie mich einfach nur gern, weil mich sonst niemand gern hatte. Mein kompakter Oberkörper machte mich zu einem guten Ringer, was ich im Kampf gegen die Bauernjungen oder meinen Bruder des Öfteren unter Beweis stellte. Trotz meiner Behinderung wusste ich mich also zu wehren. Im Klettern war ich fix, noch besser war ich auf einem Pferd, was sich in meinem Leben als sehr vorteilhaft erwies.

Als sich mit der Raupe nun Vaters neue Bettgenossin ankündigte, stieg ich bis in die höchste Gabelung und hatte nun einen guten Überblick über unseren Berg und das Tal und in den Hof hinein. Nun war der Wurm heran und eine Sänfte wurde zu Boden gelassen und heraus sprang eine Frau, die besagte Molosserin. Selbst auf diese Entfernung konnte ich sehen, dass sie für meinen Vater viel zu jung war. Hinter ihr standen viele Diener und Sklaven, die zur reichlichen Mitgift gehörten. Sie war die illegitime Tochter eines Molosserfürsten, der sie wohl mit Anstand hatte los sein wollen. General Parmenion hatte dies eingefädelt, um seinem treuen Leibgardisten zu etwas Wohlstand zu verhelfen. Beim Festmahl, nachdem der Priester das Brautpaar unten im Tal in dem alten Uranostempel zusammengetan hatte, konnte ich sie mir ein bisschen genauer ansehen. An der Haupttafel war für mich natürlich kein Platz, sondern am Katzentisch, wo dem niederen Volk, den Bauern aus der Umgebung gnädig ein Platz zugewiesen worden war. An der Haupttafel saßen Kriegsgefährten, Hauptleute und Verwandte der Eurydike. Mein Bruder saß natürlich neben meinem Vater. Von Frauen hatte ich bis dahin nicht all zu viel Ahnung, aber dass die neue Frau meines Vaters eine harte Nuss für ihn sein würde, erkannte ich sofort. Sie war so schön wie eine der Furien, hatte dunkles lockiges Haar, einen kleinen Frauenbart und einen Vorderbau, der selbst mich bereits beeindruckte. Ihre Schultern hätten auch einem Ringkämpfer gut angestanden. Ihre Stimme klang nicht wie Zwitschern, sondern hart und selbstbewusst. Kurz, sie war ein Mannweib, jedoch nicht ohne Reiz, wenn man Frauen mochte, mit denen man sich kräftig prügeln kann. Die Braut machte ein Gesicht, als wäre ihr die Ernte verhagelt und auch die Begeisterung im Gesicht meines Vaters hielt sich in Grenzen. Nicht ihre Schönheit war der Anlass für diese Hochzeit, sondern ihre stattliche Aussteuer. Sie schien über meinen alten Herrn auch nicht besonders glücklich zu sein und schielte dauernd zu meinem Bruder.

Nun muss ich anführen, dass er das genaue Gegenteil von mir war. Als Zeus das Aussehen verteilt hat, muss er nicht einmal, sondern mehrmals „hier“ gerufen haben, jedenfalls hätte er ohne Mühe den Paris ausstechen können. Wir waren Brüder, aber waren uns nicht ähnlich, weder im Aussehen noch im Charakter. Er sah aus wie die Kourosstatuen vor den Tempeln und war groß und hatte schwarze Locken und das ganze Weibsvolk war hinter ihm her. Er war der Erbprinz und ich war der Niemand. Dabei war er kein verweichlichter Lustlümmel, sondern männlich und hatte große Körperkräfte und ihm war jene Schlauheit eigen, die oft Bauern zu gefährlichen Geschäftspartnern machen. Mein Vater liebte ihn abgöttisch, zumal er ein großer Krieger zu werden versprach, was die Anthes weiterbringen würde, wenn Parmenion nur bald erreichen konnte, dass mein Bruder in die Leibgarde des Königs aufgenommen wurde. Darum ging es. Er, Antiochios, war dazu auserwählt, den Stab der Anthes weiter zu reichen. Er war der zukünftige Held, der auf seine Berufung zu den Göttergestalten um König Philipp wartete. Ich spielte bei den Zukunftsüberlegungen meines Vaters keine Rolle und war ihm nur peinlich.

Unsere neue Mutter hatte also nur Augen für den Stiefsohn und dieser ließ es sich grinsend gefallen. Als unser Vater den vielen Weinbechern erlag, machte er der Eurydike genau so schöne Augen und diese rückte immer näher an ihn heran. Nachdem sie sich genug über das Klima in Epirus und über den Unterschied zu unseren Bergen unterhalten und auch die Verwandtschaft der hiesigen Königshäuser durchgehechelt hatten, fiel ihr Blick auf mich. Denn ich saß ihrem Tisch gegenüber und hatte mich so gesetzt, dass ich ihr Gespräch verfolgen konnte. Ich wollte mitbekommen, ob mein Bruder bereits in dieser Nacht den Vater ersetzen würde. Sie fragte Antiochios, wer der Knabe mit den rotblonden Locken und den frechen Augen sei, der dauernd auf ihre Brust schiele.

„Ach, das ist nur Leonnatos, mein Bruder!“ stellte mich Antiochios vor und genau so hätte er sagen können, das ist unser Köter, der von unseren Abfällen lebt. „Ein Krüppel. Er ist verwachsen. Ein Krieger wird der nie!“, setzte mein Bruderherz hinzu.

Es war gemein und außerdem unwahr. Ich bin nicht verwachsen. Ich habe zugegebenermaßen eine etwas krumme Körperhaltung, so dass meine Schultern kräftig hervortreten und meinen Oberkörper unproportioniert aussehen lassen. Aber das wächst sich aus, hatte meine Mutter behauptet. Und ich vertraute darauf. Mein Bein war nur kürzer. Das ist alles. Deswegen bin ich auch nicht gut zu Fuß, was mich aber zum Ausgleich zu einem Reiter werden ließ, der es mit den besten Thessaliern aufnehmen könnte. Jawohl, bereits damals, wenn ich ein gutes Pferde gehabt hätte, wäre ich bei den olympischen Spielen nicht als letzter durchs Ziel gegangen. Ich wusste, dass ich nicht wertlos war, wie mein Vater stets behauptete, sondern hatte dank meiner Mutter und anderen Zuspruch, wovon gleich zu berichten sein wird, genug Selbstvertrauen. Deswegen ließ ich mich auch nicht durch die herabsetzenden Worte meines Bruders durcheinander bringen.

„Wir werden ja sehen, wer als erster durchs Ziel geht. Noch sind wir beide nicht einmal gestartet“, rief ich zu den beiden hinüber.

„Mit der Zunge ist er ja ganz flink“, sagte Eurydike und ich sah, dass sie unter dem Tisch nach den Schenkeln meines Bruders tastete. Sie legte ein ganz schönes Tempo vor. Wir Makedonen sind da eigentlich eher zurückhaltend. Es sei denn, wir sind betrunken.

„Wahrscheinlich war Vater besoffen, als er den Kretin zeugte!“ erwiderte mein Bruder und grinste frech meinen Vater an, der bereits so hinüber war, dass er nur noch vor sich hinstarrte.

„Aber in dieser Nacht hat er die Möglichkeit diesen Fehler gut zu machen!“ fuhr mein Bruder fort und ich sah, wie unter dem Tisch seine Schenkel auseinander gingen und sich die Hand unserer Stiefmutter weiter bewegte. Man braucht keine große Vorstellungskraft, um zu wissen, was sie dort trieben.

„Ich möchte den Bastard nicht im Haus haben!“ sagte Eurydike und sah mich unzufrieden an. „Krüppel bringen Unglück.“

„Er kann im Stall schlafen“, pflichtete ihr Antiochios bei.

Sein beseelter Eindruck hatte sicher andere Ursachen. Ich wünschte mir nicht an seiner Stelle zu sein. Dennoch hatte ich das Bedürfnis, unsere neue Mutter zu einer besseren Meinung von mir zu bewegen.

„Als Hochzeitsgeschenk werde ich dir die Tatzen eines Bären bringen!“ prahlte ich, zugegebenermaßen etwas großsprecherisch. Nun, ich hatte auch einige Becher Wein geleert, was nicht oft vorkam.

„Nimmt er den Mund immer so voll?“ fragte Eurydike geringschätzig und sah meinen Bruder an, der immer noch ein Gesicht machte, als wäre er im Olymp.

„Dazu reicht es gerade“, sagte Antiochios wegwerfend, als spräche er über etwas, das so unappetitlich war, dass man es vom Hof kehren sollte.

„Er ist ein ganz passabler Speerwerfer und Bogenschütze, dieser Waffe der Feigen. Er hat schon Wölfe, Wildschweine und einen kleinen Bären erlegt. Allerdings war der sehr klein.“

„Die Rotblonden sind mir immer unheimlich“, sagte Eurydike und sah mich nun mit nachdenklichen Augen an. Mittlerweile hatte Antiochios einen roten Kopf bekommen, was sicher nicht am Weingenuss lag. Als ihm schließlich die Augen fast aus den Höhlen sprangen, konnte ich es mir nicht verkneifen ihm zuzurufen, dass er an das Schicksal des Orest denken solle. Er achtete nicht auf meinen Zuruf und sein Kopf sank mit einem Seufzer auf die Tischplatte. Eurydike leckte sich genussvoll die Finger.

„Wenn ich dich draußen erwische, kannst du was erleben!“ drohte mir Antiochios. Das brauchte keine ausführliche Erklärung. Wir waren wie Hund und Katze und ich hatte unter seinen Anschwärzungen schon immer gehörig zu leiden. Aber ich war bereits damals ein guter Ringer. So manches Mal hatte ich meinen Bruder auf den Boden gedrückt. Obwohl mit sechzehn und siebzehn Lenzen für solche Auseinandersetzungen eigentlich zu alt, verging kaum eine Woche, in der wir nicht aneinander gerieten.

„Ihr hättet ihn als Kind aussetzen sollen“, sagte meine neue Mutter. Damit war unser Verhältnis ein für allemal geklärt. Meine Freundin würde diese Stiefmutter gewiss nicht und auf solche Handreichungen, wie sie mein Bruder von ihr erhielt, war ich ohnehin nicht scharf.

„Nimm es nicht so schwer!“ sagte neben mir ein Riese mit einem gutmütigen roten Gesicht und einer Knollennase und einem trotz seiner Jugend langen beachtlichen Bart. Er sah aus wie eine Mischung aus Herkules und einem Pan. Ich kannte ihn nicht. Er war im Gefolge der Eurydike auf unseren Hof gekommen.

„Ich bin das gewöhnt.“

„Ich heiße Phokis. Übrigens, geh ihr aus dem Weg. Sie ist ein Miststück!“ flüsterte er mir zu und zwinkerte dabei verschwörerisch.

„Hast du viel Ärger mit ihr hinter dir?“

„Nein. Noch nicht. Ihr Vater hat mich ihr erst kürzlich geschenkt. Aber alles, was ich mit ihr erlebt habe, lässt vermuten, dass du keine sehr gute Zeit mit ihr haben wirst und dein Vater auch nicht.“

„Freut mich für ihn.“

„Er ist dein Vater!“ sagte er erstaunt.

„Er ist ein Ungeheuer und hat meine Mutter auf dem Gewissen.“

„So ist das also.“

„Ja. Genau so. Wir hassen uns“, gestand ich offen.

Dass ich auf dem Hof meines Vaters wie ein Stück Dreck behandelt wurde, würde er ohnehin bald erleben. Wenn mein Vater mich sah, warf er oft genug irgendeinen Gegenstand nach mir und brüllte, dass ich ihm aus den Augen gehen solle. Und die Knechte taten es ihm nach. Wenn man dies von klein auf erfährt, macht das einen ganz schön hart. Als meine Mutter noch lebte, konnte ich wenigstens zu ihr flüchten und sie trotzte meinem Vater und schalt die Knechte und sie wagten mich nur zu quälen, wenn sie es nicht sah. Aber als sie dann starb, war ich auf mich allein gestellt. Der einzige, der mir ein wenig Schutz bot, war Andreos, der Koch. Als Koch war er eigentlich miserabel, aber meinem Vater, der sich an die Speisen der Väter hielt, war er gerade gut genug. Andreos, der Koch, war eigentlich ein Lehrer aus Thrakien, aber er gab sich sehr griechisch und kannte alle Philosophen und kam mit Feuereifer der selbst gestellten Aufgabe nach, aus mir einen halbwegs gebildeten Menschen zu machen. Also lernte ich durch einen Thraker Sokrates, Platon und die ganze Bande vor ihnen, also Heraklit, Thales und Pythagoras, kennen und selbst Empedokles war mir nicht fremd. Natürlich hat er mit mir auch die Ilias gepaukt, nicht nur gelesen, sondern sie mir so lange in den Schädel gehämmert, bis ich alle vierundzwanzig Gesänge auswendig konnte. Dass mir das später einmal nützen würde, war zu dieser Zeit nicht abzusehen. Aber ich hatte viel Freude dabei. Wenn ich über den Zorn des Achilleus las, dann wurde ich zu Achilleus, und dem Agamemnon wäre es schlecht ergangen, wenn ich ihm begegnet wäre. An manchen Tagen war ich doch lieber Hektor und hatte auf Paris eine Stinkwut, weil er uns die verdammte Helena angeschleppt hatte. So sorgte ein Koch, der ein Lehrer war und zudem noch Thraker, dafür, dass ich nicht so dumm war wie ich aussah. Denn wer mich in meinen Lumpen erblickte, musste annehmen, dass er es mit einem skythischen Sklaven oder etwas ähnlichem zu tun hatte. Mein Vater hielt nicht viel von den griechischen Weisheiten. Er hielt seine Ahnen hoch und die Erdgötter, und ich hörte ihn oft genug sagen, dass ein Mann stark und treu und trinkfest und hart und natürlich Philipp, dem König, treu ergeben sein müsse. Die Reihenfolge wechselte je nach Laune.

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