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Harald Winter

Jeremy

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Jeremy

Dezember, 2006

Heute

Erwachen

Tod

Boston

Kein Zurück

Die Dunkelheit kommt

Erledigt

Ferne

Heimat

Impressum neobooks

Jeremy

Kälte. Sie hatte ihn geweckt. Kälte und die Träume. Wie schon viele Nächte zuvor. Irgendetwas geschah mit ihm. Er hatte das Gefühl … nein Gefühl konnte man es nicht nennen. Die normale menschliche Gefühlswelt schien sich in der Dunkelheit zu verlieren. Alles entfernte sich von ihm. Nur die Kälte blieb.

Er erhob sich um einen Blick in den Spiegel zu werfen. Das Abbild das sich zeigte, hätte ihn eigentlich erschrecken müssen. Doch Schrecken war etwas was hinter ihm lag. Die Augen seines Spiegelbildes glühten in hellem Rot.

Vor einer Woche war seine Frau ermordet worden. Er empfand keine Trauer. Kalter Hass hatte diese Lücke gefüllt. Mit jeder Faser seiner selbst hasste er die Kreaturen, die ihm alles genommen hatten. Woher weißt du, wer es getan hat? Für einen Moment dachte er über die Worte der leisen Stimme nach, die nur in seinem Kopf erklang. Dann beschloss er, dass es besser war sie zu ignorieren. Was zählte war, dass er wusste, wer Maria aus dem Leben gerissen hatte. Kreaturen, die laut einhelliger Meinung gar nicht existieren durften. Ausgeburten der Phantasie. Nichtsdestotrotz war seine Frau tot. In den Tagen nach dem Verlust dessen, was für ihn das bedeutet hatte, das man im allgemeinen Glück nannte war irgendetwas in Gang gesetzt worden, das er nicht verstand. Das Licht in seiner Nähe schien seitdem an Kraft zu verlieren, so als würde es sich aus Angst vor ihm zurückziehen. Das Lächeln von Menschen erstarb, wenn er vorüberging. Seine Augen flackerten in rotem Feuer, wenn der Hass über ihn hereinbrach. Er wusste nicht, was mit ihm geschah. In Wahrheit interessierte es ihn auch nicht.

Er konnte plötzlich Dinge tun, die dem gesunden Menschenverstand spotteten. Dinge bewegten sich, ohne dass er sie berührte. Flammen loderten an seinen Händen auf, wenn er es wollte. Irgendetwas hatte ihm schreckliche Macht verliehen und seine Menschlichkeit als Pfand dafür genommen. Nur Wut und Hass waren ihm geblieben. Er kannte die Gründe nicht, doch er wusste was er mit seinen Fähigkeiten anfangen würde. Das kalte Feuer das seinen Geist verbrannte, musste gelöscht werden. Die Kreaturen, die ihm seine Frau genommen hatten, sollten darin verbrennen.

Dezember, 2006

Es war ein Weihnachten, wie man es sich wünschte. Sogar das Wetter spielte mit. An Weihnachten sollte es Schnee geben. Und Gebäck, geliebte Menschen, Licht und Wärme. Genauso war es auch.

Jeremy hatte soeben den Weihnachtsbaum dekoriert. Mit dem Ergebnis konnte er zufrieden sein. Vor seinem geistigen Auge sah er bereits das Glitzern in den Augen seiner Frau. Maria allerdings würde den Baum erst später zu Gesicht bekommen. Sie war nochmal weggefahren um die letzten Einkäufe zu erledigen. Ihrer beider Eltern würden sich abends einfinden, um wie jedes Jahr gemeinsam mit den Kindern zu feiern. Nun, eigentlich waren sie schon lange keine Kinder mehr, aber in der Wahrnehmung der Eltern schien man nie zu altern. Irgendwie blieb man für sie immer ein 10-jähriger. In gewissen Momenten zumindest.

Die Türglocke schrillte. Musste wohl ein Teil der Elternschaft sein. Jeremy stellte das Glas mit dem Punsch, den er sich eingeschenkt hatte auf den Beistelltisch neben dem Sofa und ging in den Flur hinaus, um zu öffnen. Sein Vater und seine Mutter traten aus dem Schneegestöber. Beladen mit guter Laune und Geschenken. Jeremy begleitete die beiden ins Wohnzimmer. Sie luden den Berg von Aufmerksamkeiten sorgsam ab und nahmen Platz. Jeremy hatte inzwischen zwei Gläser Punsch aus der Küche besorgt. Wärme durchströmte ihn, als er sich setzte und die beiden betrachtete. Dreißig Ehejahre hatten ihrer Verbundenheit nichts anhaben können.

Als er sein Glas heben wollte läutete das Telefon. Wahrscheinlich war es Marias Mutter. Diese Frau konnte Termine nicht wahrnehmen, ohne ein mobiles Kommunikationssystem zur Hand zu haben. Das lag einfach daran, dass sie Gerüchten zufolge noch niemals pünktlich erschienen war. Verspätungen waren an der Tagesordnung und wurden daher auch immer angekündigt, um den jeweiligen Gastgeber nicht vollends zu verärgern.

Jeremy erhob sich, und nahm den Hörer ab. „Hier bei Mahone?“ sagte er. „Jeremy? Bitte komm sofort hierher. Ich habe Angst. Hilf mir!“ Ein Moment verging. Jeremy hatte damit gerechnet, dass seine zukünftige Schwiegermutter in der Leitung sein würde; oder irgendjemand, der wie so viele in diesen wenigen Tagen bevor das Jahr endete Weihnachtswünsche loswerden wollte. Womit er nicht gerechnet hatte war die panische Stimme seiner Frau, die ihm kalte Schauer über den Rücken jagte. Er brauchte einen Moment um die Verwirrung zu überwinden. „Wo bist du Schatz? Was ist los? Wovor hast du Angst?“ „Ich bin ganz in der Nähe. Auf dem Parkplatz der Bäckerei. Der Wagen springt nicht an und hier treiben sich seltsame Gestalten herum. Komm schnell Jerry! Bitte!“. „Warum gehst du nicht …“ konnte er noch sagen, bevor ein hartes Klicken ihn nachhaltig auf die unterbrochene Verbindung aufmerksam machte.

Was für seltsame Gestalten trieben sich in einer verschlafenen Kleinstadt am Weihnachtsabend herum? Warum ging seine Frau nicht in die Bäckerei zurück? Im Moment egal. Er hastete an seinen Eltern vorbei in den Flur, griff nach den Schlüsseln seines Wagens und rief „Marias Wagen springt nicht an. Bin gleich zurück“ in Richtung Wohnzimmer. Er stürmte aus dem Haus, schlug die Tür etwas zu heftig hinter sich zu und warf sich hinter das Steuer seines Hondas. Mit aufheulendem Motor schoss er aus der Einfahrt und raste die Zufahrtsstraße hinunter. Der Parkplatz, von dem seine Frau gesprochen hatte war nicht sonderlich weit entfernt. Nur wenige Minuten später brachte er seinen, im bereits liegengebliebenen Schnee bedenklich schlingernden Wagen zum Stehen. Vor sich im Scheinwerferlicht konnte er den Wagen seiner Frau sehen. Die Fahrertür war geöffnet und die Innenbeleuchtung brannte. Keine Spur von seiner Frau. Jeremy stieg aus und ging vorsichtig zu Marias Dodge hinüber. Ein kurzer Blick überzeugte ihn, dass das Fahrzeug tatsächlich verlassen war. Auf dem Beifahrersitz stand eine große braune Tüte. Wahrscheinlich das Gebäck für das Festmahl. Aber wo zum Teufel war Maria? Er sah sich um. Im dichten Schneegestöber konnte er kaum etwas erkennen. Wohin sollte er sich wenden? Bevor er einen weiteren Gedanken fassen konnte, hörte er einen erstickten Laut aus der Dunkelheit hinter der Bäckerei. Er rannte hinüber. Die Sorge um seine Frau gewann die Überhand und jede Vorsicht war vergessen.

Seine Augen hatten sich bereits an die Dunkelheit gewöhnt. Im Nachhinein wünschte er sich, es wäre anders gewesen. Was er im schwachen Licht der Scheinwerfer hinter sich sehen konnte, ließ das Blut in seinen Adern gefrieren. Zwei kaum erkennbare Gestalten hielten eine dritte zwischen sich. Es war Maria. Blut lief über ihren Hals und ihren rechten Arm. Ihre Augen starrten blicklos ins Leere. Eine der Gestalten sah auf, als sie Jeremy bemerkte. Das Gesicht geriet ins Licht der Scheinwerfer. Jeremy prallte zurück. Dunkel glühende Augen musterten ihn. Aus dem rot verschmierten Mund grinsten ihm unnatürlich aussehende Zähne entgegen. Jeremy konnte sich nicht bewegen. Hilflos musste er zusehen, wie die beiden Fremden gleichzeitig losließen und Maria haltlos zusammensackte. Ihm wurde schwarz vor Augen. Als sein Blick sich klärte waren die beiden grausigen Gestalten verschwunden und zu seinen Füßen lag seine Frau im Schnee. Blutüberströmt, mit offenen Augen, aus denen der Glanz gewichen war. Er trat einen Schritt auf sie zu, kniete nieder und berührte ihre Haut. Sie war eiskalt. Jeremy begann zu schreien.

„Jerry. Jerry! Kannst du mich verstehen?“ Flackerndes blaurotes Licht. Jeremy versuchte sich aufzurichten. Er lag neben seiner Frau und seine Kehle fühlte sich an wie Sandpapier. Offenbar hatte er lange geschrien, bevor die Ohnmacht ihn endlich umfing. Das Gesicht, das sich vor ihm aus dem Nebel, der überall zu sein schien, schälte, gehörte dem County-Sheriff Frank Holden. „Frank. Was ist hier passiert Frank?“ Er kannte Holden bereits seit seiner Kindheit und im Moment war alles Vertraute ein Strohhalm für Jeremy, an den er sich klammern konnte um die Verbindung zur Realität nicht zu verlieren. „Ich weiß nicht was hier los war. Sue aus der Bäckerei hat dich hier draußen brüllen hören, als sie den Müll rausgebracht hat. Aus Angst vor einem potentiellen Irren hat sie gleich die Polizei gerufen. Wir sind so schnell gekommen wie wir konnten und haben dich hier ohne Bewusstsein gefunden. Jerry … deine Frau … es tut mir leid …“ Jeremy schluckte den harten Brocken, der seinen Kehlkopf zu sprengen drohte hinunter. „Sie ist tot, nicht wahr?“ Mehr konnte er nicht sagen. Weinend brach er erneut zusammen.

„Okay Jungs. Ich bringe Jerry zum Wagen und fahre ihn zur Station. Kümmert ihr euch um den Tatort und um ...“ - die Stimme stockte kurz - „Maria“ Jeremy hörte zwar die Worte, konnte ihnen aber keine Bedeutung zuordnen. Er spürte nur, dass ihn jemand auf die Beine zog und wegbrachte. Weg von Maria.

Auf der Rückbank des Polizeiwagens erlebte Jeremy die Fahrt, als wäre er in Watte gepackt und würde durch einen endlosen Tunnel schweben. Geräuschlos zog Dunkelheit, durchbrochen von kurzen Lichtblitzen, an ihm vorbei. Hatte er tatsächlich eben noch neben seiner toten Frau gelegen, oder würde er plötzlich schweißgebadet aus einem Albtraum erwachen? Was er gesehen hatte, konnte doch nicht wirklich geschehen seien. Scheiße, das war doch eher Stoff aus einem zweitklassigen Horrorfilm. Wenn das alles Wirklichkeit war … dann würde er Maria nie wieder in die Arme schließen. Seine Gedanken verloren sich in der Dunkelheit vor dem Fenster des Wagens. Plötzlich wurde die Monotonie unterbrochen. Frank hatte den Wagen vor der Polizeistation angehalten und war ausgestiegen. Die hintere Türe wurde geöffnet. Schnee wehte herein. „Komm Jerry. Wir gehen in mein Büro und reden über alles.“ Jeremy stieg aus und ging schnell die wenigen Schritte zur Polizeistation hinüber. Es war kalt und die weiße Decke die über allem lag, erschien ihm wie ein Leichentuch. Frank ergriff ihn am Arm und schob ihn ins Innere des Gebäudes. Nur eine gelangweilte Sekretärin und zwei Deputys waren anwesend. „Hi Frank. Karl hat angerufen. Er hat die ersten Ergebnisse. Sollst ihn zurückrufen wenn du kannst“. Die Stimme der Sekretärin klang wie das Quietschen einer schlecht geölten Maschine. Die Deputies nickten Frank knapp zu und widmeten sich dann wieder ihrer Arbeit. Frank öffnete eine Tür. „Mein Büro Jerry. Setz dich da auf den Stuhl. Ich muss telefonieren. Karl, der Gerichtsmediziner, ist mittlerweile bei … deiner Frau eingetroffen.“ Jeremy ließ sich auf den Stuhl sinken und hielt den Blick weiter auf den Boden gerichtet. Er konnte noch immer keinen Zusammenhang zwischen sich und den Dingen, die rund um ihn vorgingen herstellen. Es war ihm im Moment auch egal. Sein Gehirn hatte einen Wall errichtet um sich zu schützen.

„Was? Was heißt gebissen? Ok. Du hast sowas noch nie gesehen? Glaub mir. Ich auch nicht. Was sind das für Bissspuren? Ach. Keine Zuordnung. Ein Tier vielleicht?“ Frank lehnte sich zurück und begann an einem Stift zu kauen, während er der Stimme am anderen Ende der Leitung lauschte. Plötzlich seufzte er und legte den Hörer langsam und bedächtig auf die Gabel. „Heilige Scheiße“. Er stand auf, um sich eine Tasse Kaffee aus der Kanne neben einer vertrockneten Pflanze, die schon vor Monaten resigniert hatte, einzuschenken. Das Zeug war natürlich wieder mal eiskalt. Joyce war nicht grade die geborene Sekretärin. „Jeremy. Karl hat die … Obduktion abgeschlossen. Bis auf den Papierkram. Dürfte nicht einfach werden.“ Frank starrte auf die Tasse, die er umklammert hielt. Jeremy reagierte nicht auf die plötzliche Stille. Holden räusperte sich. „Okay Jerry. Karl hat herausgefunden, was deine Frau getötet hat. Ihr Körper weist einige seltsame Bisswunden auf, aber die haben sie nicht umgebracht. Ihr Blut … ach Scheiße. Ich bin kein Mediziner Jerry. Irgendwas hat ihr Blut zu etwas anderem gemacht. Ein Virus. Bakterien. Was weiß ich. Tut mir leid. Ich bin verpflichtet dir das zu sagen.“

Zum ersten Mal seit er das Büro betreten hatte hob Jeremy den Kopf und starrte Frank mit rotgeränderten Augen an. „Irgendwas Frank? Irgendwas? Verdammt nochmal. Ich habe zwei Kerle gesehen, die Maria gebissen haben! Du musst diese Irren finden. Wenn du es nicht tust, werde ich es versuchen“ schrie er.

Der Sheriff war einen Schritt zurückgetreten. Er hatte Jeremy noch nie derart wütend gesehen. „Jerry. Jerry … ich verstehe ja …“. „Nichts verstehst du! Hat man deine Frau vor deinen Augen zerfleischt?“ schrie Jeremy.

Holden schluckte. „Nein. Du hast Recht. Ich weiß nicht wirklich, wie du dich fühlst. Aber ich muss dich trotzdem darauf hinweisen, dass wir hier nichts von Selbstjustiz halten. Nicht mal ich kann dir helfen, wenn du etwas Unüberlegtes in der Richtung unternimmst. Ich kann dir nur versprechen, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werden, um die Mörder von Maria dranzukriegen.“

Jeremy starrte weiter mit entrücktem Blick ins Leere. „Schon gut Frank.“ flüsterte er. Eine unangenehme Stille folgte seinen Worten. Nach einer Ewigkeit, wie es schien, zwang Holden seine Finger den Stift loszulassen, um den sie sich gekrampft hatten. Ruckartig richtete er sich hinter dem Schreibtisch auf. „Komm. Ich bring dich nach Hause. Du brauchst jetzt Ruhe.“ Er trat hinter dem Tisch hervor und berührte seinen Freund an der Schulter und zuckte sofort zurück. Es musste Einbildung gewesen sein, aber er hatte das Gefühl, als wäre die Hand mit einer hochgedrehten Herdplatte in Berührung gekommen. Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, erhob sich auch Jeremy. „Fahren wir.“ sagte er nur.

Heute

Das Begräbnis war schrecklich für ihn gewesen. Er hatte Maria sehr gemocht. Viele aus dem Ort waren gekommen, um Tränen zu vergießen. Alle wollten der netten jungen Frau einen letzten Gruß zuteilwerden lassen. Jeremy hatte nicht geweint. Er hatte überhaupt keine Regung gezeigt. Hatte einfach dagestanden und auf den Sarg gestarrt. Und auf die Erde die sich später darauf türmte. Er hatte kein Wort gesagt, sich nicht bewegt. Als die Zeremonie zu Ende ging, drehte er sich einfach um, schob alle tröstend ausgestreckten Hände beiseite und verschwand. Holden seufzte. Ja, Jeremy hatte sich verändert. Aus dem umgänglichen Freund war ein kalter abweisender Fremder geworden. Sie hatten das letzte Mal miteinander gesprochen, als Frank ihn über die Ermittlungen in Kenntnis setzte. Besser gesagt, über das Tappen im Dunkeln. Die Obduktion hatte nur bewiesen, dass Maria gebissen worden war. Von … irgendetwas. Etwas Großem, jedem dahergelaufenen Biologen Unbekanntem. Andere Spuren gab es nicht. Keine Spuren, keine Zeugen, keine Verdächtigen. „Verdammt“, murmelte Holden. Wie so oft in den letzten Wochen. Wenn das so weiter ging, mussten sie den Fall zu den Akten legen. Das konnte er Jerry einfach nicht antun.

Was noch schlimmer war - es war nicht mehr nur Jeremy, der Antworten von ihm verlangte. Man hatte vor zwei Tagen eine weitere Leiche gefunden. Die einzigen Spuren waren auch hier Bisswunden. Joe Brennan war unten am Fluss angespült worden. Seine Frau hatte ihn zwei Tage zuvor als vermisst gemeldet. Holden und seine Deputys hatten sich nichts dabei gedacht. Der alte Säufer war schon öfter für einige Tage verschwunden geblieben. Aber dieses Mal würde er nicht wieder auftauchen; verkatert und ungewaschen. Es hatte ihn erwischt; Nun war er eine weitere Leiche, die Bissspuren aufwies. Frank machte sich Vorwürfe. Brennans Frau tat das auch.

Das FBI begann sich ebenfalls langsam für die beiden Morde zu interessieren. Das hatte Holden gerade noch gefehlt: Arrogante Collegetypen in Anzügen, die durch seine, zugegebenermaßen kaum nennenswerten Spuren trampelten. Holden kaute weiter gedankenverloren an seinem Stift und starrte auf die Bilder der beiden Leichen, die sein Magengeschwür vergrößerten. Es durfte diese Toten eigentlich gar nicht geben. Verdammt, er war hierhergekommen, weil es hier keine Verbrechen gab, sah man von dem einen oder anderen Falschparker ab. Er hatte die Schnauze voll von der Gewalt, die in New York ein ständiger Begleiter gewesen war, den man einfach nicht loswurde. Egal wie schnell man auch rannte.

Es war mittlerweile dunkel geworden. Jeremy war vor kurzem erwacht. Seit Marias Tod schlief er fast immer während des Tages. Seinen Job hatte er fürs Erste an den Nagel gehängt. Den Kontakt zu Freunden und Verwandten größtenteils abgebrochen. Wahrscheinlich war das aber nicht der Grund, warum er tagsüber ständig Müdigkeit empfand. Genau genommen interessierte er sich nicht für irgendwelche Begründungen. Der Bezug zu seinem früheren Leben versank immer mehr im Dunkel, in dem er nun existierte. Bei jedem Erwachen während einer neuen Nacht verspürte er eine stärker werdende Unruhe. Einen Drang etwas zu tun, von dem er nicht wusste was es war. Andere Regungen gab es nicht. Er verspürte brennenden Hass, wenn er an die Mörder seiner Frau dachte. Abgesehen davon … gab es kein Absehen. Jeremy hatte aufgehört ein Mensch zu sein. Er lag da und starrte vor sich hin. Er aß nicht, er trank nicht. Er dachte nicht. Er hasste. Jede Nacht.

Die Dunkelheit schlich erneut durch die Schatten der Stadt. Langsam kroch sie daraus hervor und setzte sich gegen das Licht des Tages durch. Jeremy erwachte. Etwas war anders als sonst. Seine Hände fühlten sich seltsam an und die Augen brannten, als würden sie in Flammen stehen. Zum ersten Mal seit Tagen stieg er aus dem Bett. Er ging taumelnd zum Waschbecken und sah in den Spiegel. Sein eigenes Gesicht starrte ihm entgegen. Seine Wangen waren eingefallen und seine Haut hatte eine ungesunde Farbe angenommen. Für den Bruchteil einer Sekunde tauchte sein gewohntes Denken aus dem Wust von Hass und Leere auf. Wie zum Teufel war er plötzlich hierhergekommen? Schneller als er die Frage voll erfassen konnte, versank sein Verstand wieder im Nichts. Jeremys Gesicht hatte sich nicht verändert, sah man von den Augen ab, die in dunklem Rot glühten. Er hob die Hände. Die Flammen, die seine Finger umspielten spiegelten sich im Rot seiner Augen. Brennendes Blut. Jeremy blinzelte. Die Flammen verschwanden und seine Pupillen nahmen wieder den gewohnten Farbton an. Langsam ging er zum Bett zurück und legte sich hin. Sofort fiel er in einen unruhigen Schlaf.

Jeremy träumte von einem alten, verlassenen Bahnhof. Es war immer dasselbe Bild. Nichts bewegte sich. Eine Ewigkeit lang schien er über dem Gelände zu schweben, ohne dass etwas geschah. Dann hatte er plötzlich das Gefühl in einen tiefen Abgrund zu fallen. Ihm wurde schwindlig und das Bild vor seinen Augen verschwamm. Als sich sein Blick klärte, saß er auf einer rostigen Bank, die mitten auf einem verlassenen Bahnsteig stand. Über die rostigen Schienen, die er vor sich sehen konnte war schon lange kein Zug mehr gerollt. „Jeremy“ sagte eine Stimme, deren Besitzer nicht zu sehen war. Ein alter Mann trat aus den Schatten. „Jeremy“ sagte er noch einmal. Der Mann trug einen Anzug, der aus dem vorigen Jahrhundert zu stammen schien. Nicht nur der Schnitt erweckte diesen Eindruck. Das bleiche Gesicht, das in der Dunkelheit zu schimmern schien, schien dem Anzug an Alter kaum nachzustehen. „Lange habe ich auf dich gewartet“ sagte er und ließ sich neben Jeremy auf der Bank nieder. Jeremy musterte ihn durchdringend „Was willst du von mir? Wo bin ich hier und was... was ist mit mir?“ fragte er. Der Unbekannte lehnte sich zurück und richtete seinen Blick auf die rostigen Stahlbalken der Schienen. „Ich bin Oreste. Es gibt einen Grund, warum ich dich zu einem Bahnhof gerufen habe. Bisher verlief dein Leben auf Schienen, die in eine vorgezeichnete Zukunft führten. Aber dann ist etwas geschehen, dass dich verändert hat und die Schienen endeten.“ Jeremy kniff die Augen zusammen, als würde er angestrengt nachdenken, blieb aber stumm. „Ich habe dich gerufen, um dir zu zeigen, wohin deine Reise von hier aus gehen kann. Was dich jedoch hauptsächlich interessieren dürfte … ich weiß was du bist.“ Jeremy bewegte sich unglaublich schnell. Seine Hand tauchte an der Kehle von Oreste auf, ohne dass mehr als ein kurzes Flimmern zu sehen gewesen wäre. Seine Augen glühten. „Ich habe dich nicht dazu gemacht“ keuchte der alte Mann. „Lass … mich los“. Jeremy ließ die Hand sinken. „Wer sind sie? Was wissen sie über mich?“ Oreste rieb sich den Hals. “Man hat dir irgendetwas angetan, das dich verwandelt hat. Deine Fähigkeit unbändigen Hass zu empfinden hat irgendeine Schleuse geöffnet, die deine wahre Kraft bisher zurückgehalten hat. Du willst Rache, für das was geschehen ist.” Jeremy sah Oreste misstrauisch an. “Und woher wissen sie, was mir zugestoßen ist?” Der alte Mann verschränkte die Hände ineinander. “Die Leute zu denen ich gehöre, warten seit einer Ewigkeit auf einen wie dich. Wir haben schon vor langer Zeit erfahren, dass es Menschen wie dich gibt und was aus ihnen wird, wenn gewisse... Voraussetzungen gegeben sind.” Jeremy hörte die Worte, die der Mann mit seinen Lippen formte, aber sie erreichten seinen Verstand nicht. Irgendetwas umgab diesen Oreste. Eine Aura, die ihm körperliches Unbehagen verursachte und die ein seltsames Verlangen in ihm immer stärker werden ließ. Er wollte diesen Mann töten. Ein Teil von Jeremys Verstand versuchte erschrocken vor diesem Gedanken zu fliehen, aber er wurde vom Sog der stärker werdenden irrationalen Wut zurück gerissen und verschlungen. Oreste schien nicht zu bemerken, welche Veränderung mit seinem Gesprächspartner vorging. “Ich bin hier, um dich zu bitten uns, und damit allen Menschen zu helfen. Es gibt einige... Wiedergekehrte, die sich nicht an die Spielregeln halten und...” Er verstummte, als er in Jeremys Augen sah, in denen ein Feuer zu flackern schien. Der alte Mann hob abwehrend die Arme. Er wollte alles erklären, aber er erhielt keine Gelegenheit mehr dazu. Er hatte die Warnung der anderen ignoriert. “Er ist eine Gefahr für uns alle” hatten sie gesagt, aber er war sich sicher gewesen mehr zu wissen als sie. Jetzt sah er, dass er sich getäuscht hatte. Jeremy lächelte kalt und stieß Oreste die Hand wie ein Messer in die Brust. „Ich bin nicht …“ keuchte der alte Mann. Dann war Stille. Ein verbranntes Herz fiel auf den staubigen Boden des verlassenen Bahnsteigs. Gleißendes Licht flammte auf und Asche regnete auf die rostigen Schienen nieder. Die Bank war leer, wie sie es auch die Jahre zuvor gewesen war. Jeremy lehnte sich zurück und starrte ins Leere. Seine Wut war zu einem dumpfen Druck irgendwo am Grund seines Bewusstseins geworden. So musste sich ein Raubtier fühlen, nachdem es die Beute gerissen und das heiße Brennen des Hungers besänftigt hatte. Er wusste nicht, ob er noch immer in einem Traum gefangen war, oder ob er wirklich gesehen hatte, wie sich der Körper des alten Mannes vor seinen Augen auflöste. War es überhaupt ein Traum gewesen? Jeremy traute seinen Sinnen nicht mehr. Es mochte durchaus sein, dass er draußen gewesen war. In seinem Kopf schienen zwei Persönlichkeiten nebeneinander zu existieren, die sich so gut sie konnten aus dem Weg gingen. Das Einzige was er mit Sicherheit wusste war, dass Oreste kein Mensch gewesen war. , sondern etwas, das schon einmal gestorben war. Warum? Woher nimmst du die Gewissheit? Jeremy hörte die Stimme, die nicht seine eigene war, aber er dachte nicht mehr darüber nach wem sie gehörte. Es war ihm egal. So wie alles andere, was mit ihm geschah. Das heiße Brodeln in seinem Inneren einzudämmen, beanspruchte alle Kraft, über die er verfügte. “Blutsauger” murmelte Jeremy ohne es wirklich zu bemerken. Sein Blick verschleierte sich und er fiel in einen tiefen Schlaf, der einer Bewusstlosigkeit nahe kam.

399
480,36 ₽
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480 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783738024463
Издатель:
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