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Hans Kessler

Evolution und Schöpfung in neuer Sicht

Für Heidrun, Anette, Peter, Julia und Paula

Hans Kessler

Evolution

und Schöpfung

in neuer Sicht

Butzon & Bercker


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Gesamtprogramm von Butzon & Bercker finden Sie im Internet unter www.bube.de

ISBN 978-3-7666-1287-8

E-BOOK ISBN 978-3-7666-4105-2

EPUB ISBN 978-3-7666-4106-9

© 2009 Butzon & Bercker GmbH, 47623 Kevelaer, Deutschland, www.bube.de

www.religioeses-sachbuch.de

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Christoph Kemkes, Geldern

Umschlagfoto: © Birgit Meyke – Fotolia.com

Satz: Schröder Media GbR, Dernbach

Inhalt

Ein persönliches Vorwort

Einleitung

1. Zu Fragestellung und Aufgabe

2. Zum Vorgehen

I. Missdeutungen des Schöpfungsgedankens bei Kreationisten und harten Naturalisten und die Realität der Evolution

1. Kreationismus und Intelligent-Design-Lehre

a) Bibel gegen Darwin?

b) „Creation Science“ und „Intelligent Design“

c) Kreationismus im deutschen Sprachraum

2. Zur Antwort von Evolutionsbiologen und zur Offensive atheistischer Fanatiker

a) Sachliche Klarstellungen durch Evolutionsbiologen

b) Die Offensive szientistisch-naturalistischer Fundamentalisten

c) Kein Atheist: Wie Darwin zu Religion und Schöpfungsglauben stand

3. Die Realität der Evolution, die Evolutionstheorie und der Evolutionsmythos

a) Zwingende Gründe für die Annahme von Mikro- und Makro-Evolution

b) Evolutionstheorie als unabgeschlossene biologische Erklärung der Evolution

c) Neo-mythische Überhöhung der Evolution zur Totaldeutung der Wirklichkeit?

II. Die biblischen Schöpfungstexte – was sie wollen und was sie nicht wollen

1. Die altorientalischen Schöpfungsmythen als Hintergrund und die Besonderheit biblischen Schöpfungsdenkens

a) Kreatives Chaos: Schöpfungsmythen der altorientalischen Hochkulturen

b) Gott als kreativer Urgrund: Zur Eigenart biblischen Schöpfungsdenkens

Exkurs: Ursprungs- und Schöpfungsmythen in den Religionen des Ostens

2. Wie sind die Schöpfungstexte am Anfang der Bibel (Gen 1 und 2 – 3) zu verstehen?

a) In sieben Tagen? Der Schöpfungshymnus am Anfang der Bibel (Gen 1)

b) Urzeitidylle und Sündenfall? Die Schöpfungs- bzw. Paradieserzählung Gen 2 – 3

c) Anti-evolutionär? Was der Redaktor wollte, der beide Texte aneinanderfügte

3. Anhang: Hinweise zum Evolutionsdenken in der Geschichte des Christentums

Exkurs: Evolutionsideen in vorchristlicher Antike

a) Dynamisch-evolutiv denkende griechische Kirchenväter

b) Statisch denkende Theologen in Antike und römisch-germanischem Mittelalter

c) Dynamisch-evolutives Denken bei Theologen der Neuzeit

III. Der harte, weltanschauliche Naturalismus – warum er zu kurz greift

1. Die eine komplexe Weltwirklichkeit und unsere pluralen Erkenntniszugänge

a) Plurale Perspektiven auf die mehrdimensionale Wirklichkeit

b) Was spricht gegen einen naturalistischen Erklärungsmonismus?

c) Eine Schichtentheorie der Wirklichkeit: Wie stehen die Ebenen zueinander?

d) Was der Naturalismus unbeantwortet lässt, ausblendet und unbemerkt voraussetzt

2. Die Frage nach einem göttlichen Urgrund – warum sie sich nicht erübrigt

a) Gegenfragen zur naturalistischen Bestreitung Gottes als Urgrund der Welt

b) Was erklären die Wissenschaften eigentlich und was will die Frage nach Gott?

c) Weltformel, anfanglose Welt, Multiversen? Die Abwehr letzter Fragen

d) Reichweite der Vernunft und Argumente für Glauben an Gott als Urgrund

e) Was atheistischer Naturalismus nicht erklärt, wohl aber der Gottesglaube

IV. Zum christlichen Verständnis von Gott, von Schöpfung und von Evolution

1. Worauf man sich einlässt, wenn man von Gott denken/sprechen will

a) Kann Gottes Gegenwart erfahren werden?

b) Wie der Schöpfer-Gott (nicht) gedacht werden darf

Exkurs zum Problem der Gottesbilder und zum Wort Liebe

2. Was bedeutet das für das Verständnis der Weltwirklichkeit?

a) Alles in Gott („Pan-en-theismus“): Der gesamte kosmische Prozess geschieht in Gott

b) Die Geschöpfe sind in ihre Eigendynamik hinein freigegeben; alles Leben ist beseelt

c) Gott in allem – freilich auf unterschiedliche Weise

V. Die Evolution im Rahmen des Schöpfungsglaubens

1. Der ständige absolute Schöpfungsvorgang als Grundvoraussetzung von Evolution

a) Eine Aussage im Präsens: das ständige transzendentale Gründungsgeschehen

b) Implikationen der Aussage von der „creatio ex nihilo“

2. Die Evolution als fortwährendes relatives Schöpferwirken in tastender Interaktion

a) Die Evolutionstheorie und die Glaubensaussage von der „creatio continua“

b) Emergenz und die Frage nach dem Wirken Gottes im Evolutionsprozess

c) Zielgerichtetheit im Zufall? Fehlentwicklungen und Finalität im Evolutionsprozess

3. Vorläufige und endgültige Neu-Schöpfung als Überschuss über alle Evolution

a) Vor-läufige Neuschöpfung: Befreit-befreiendes Dasein schon mitten im Weltlauf

b) Der Tod und die Hoffnung auf eine alle weltlichen Möglichkeiten übersteigende Vollendung

Schluss: Einige Folgerungen für das Verhältnis von Evolution und Schöpfung

Anmerkungen

Literatur

Ein persönliches Vorwort

Schöpfung und Evolution – ein Gegensatz: So scheint es, wenn man manchen Bestsellern und Medienbeiträgen glauben will. Die Fundamentalisten auf beiden Seiten verharren in ideologisch erstarrten Fronten. Grundlegende Informationen fehlen. Sachlichkeit bleibt oft ein Fremdwort.

Aber werden wirklich nur längst ausgefochtene Kämpfe neu angeheizt, wie manche meinen? Steht nicht Grundlegendes zur Debatte? Steht nicht der Glaube an einen Gott und an sein Wirken vor einer ganz abgründigen Herausforderung angesichts der anscheinend völlig autonomen Abläufe der kosmischen, der biologischen, der kulturellen Evolution? Und der Mensch, ist er nicht in der Tat ein unbedeutendes Randphänomen in den ungeheuren Weiten des Kosmos, oder ist er gar, indem er seine kosmische Zufälligkeit und Ausgesetztheit erkennt, schon über diese hinaus? Ist er vielleicht doch gewollt? Steckt in den vielen extremen Unwahrscheinlichkeiten der Evolution eine Zielgerichtetheit? Und wäre es, angesichts der naturbedingten Übel, ohne Evolution sogar schwerer, an Gott zu glauben?

Mir persönlich hat einiges geholfen, die Evolution und den Schöpfungsglauben zusammenzudenken. Auf der Oberstufe des Gymnasiums in Schwäbisch Gmünd hatten wir einen Biologielehrer, der uns einen guten, vorurteilsfreien Biologieunterricht gab, ohne weltanschauliche Beimischungen. Ein einziges Mal ließ er, und das auch erst im Hinausgehen, erkennen, wo er selbst stand. Ich erinnere mich: Er hatte die im Einzelnen hoch komplizierte Photosynthese erklärt und dazu weit ausgeholt, bis zu bestimmten Bakterien, die die Fähigkeit zur Photosynthese entwickelt haben und dann von größeren Zellen aufgenommen wurden, so dass Algen, Moose, Farne und Samenpflanzen entstehen konnten, die mit der Produktion von Sauerstoff in großem Maßstab erst die Voraussetzung für die reiche Vielfalt höheren Lebens auf der Erde geschaffen haben. Am Ende der Stunde, er hatte seine Sachen schon zusammengepackt und unter dem Arm, sagte er noch ganz ruhig: „Sie brauchen nicht zu meinen, dass Sie das jetzt voll verstanden hätten, dahinter steht das göttliche ,Es werde‘.“ Es war das einzige Mal, dass er durchblicken ließ, wo er selber stand. Für manchen von uns war das ein Bildungserlebnis. – Ein paar Jahre zuvor hatte unser damaliger Religionslehrer, der dann an die PH wegberufen wurde, uns in die geschichtlich-theologische Sicht der Bibel und ihrer Schöpfungstexte eingeführt und sie mit heutiger Erfahrung so überzeugend und eindrucksvoll vermittelt, dass beides nicht in zwei unverbundene Welten auseinanderfiel. – Mittlerweile hat sich meine Sicht der Dinge erheblich erweitert und vertieft, nicht allein durch Studium und Lehre der Theologie, sondern auch durch ein mehr als zwanzig Jahre andauerndes Gespräch mit Physikern, Biologen, Philosophen und Theologen in einer interdisziplinären Arbeitsgruppe an der Frankfurter Goethe-Universität, die ich bis Ende 2005 geleitet habe. – Der Prozess meines Nachdenkens geht weiter, herausgefordert durch immer neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse und religiös-theologische Impulse.

In diesem Buch möchte ich eine Zwischenbilanz vorlegen. Ich möchte zur Aufklärung, zur Versachlichung, zu einer nüchternen Betrachtung und zum Gespräch beitragen. Deshalb setze ich auf Information und auf das Argument. Es wird nichts vorausgesetzt, was nicht hinterfragt werden dürfte.

Ich werde einerseits in Auseinandersetzung mit den Kreationisten den originären Sinn der Schöpfungstexte am Anfang der Bibel herausarbeiten, andererseits in Auseinandersetzung mit atheistischen Evolutionisten die Defizite eines harten, weltanschaulichen Naturalismus aufzeigen, eine Schichtentheorie der Wirklichkeit entwickeln und deutlich machen, inwiefern naturwissenschaftliche Erkenntnisse offen sind für unterschiedliche Deutungen und weder zu Atheismus noch zu Gottesglauben zwingen, wobei Letzterer aber gute Gründe für sich hat. Dann werde ich – unter Bezugnahme auf die kosmische und die biologische Evolution und auf die damit gegebenen Probleme – den recht verstandenen Schöpfungsgedanken begründen und die entscheidenden Grundzüge einer Schöpfungstheologie darstellen. Schließlich lege ich dar, dass der Schöpfungsglaube – mit der Annahme Gottes und der Einbeziehung des existenziell sinndeutenden Menschen – einen erweiterten Sinnhorizont auftut, in welchem sich die Evolution, ohne ihre naturwissenschaftlich geltenden Gesetzmäßigkeiten zu verlieren, in einem neuen Licht darstellt. Es geht dann nicht so sehr darum, wie man den Schöpfungsglauben in der Evolutionstheorie „unterbringen“ könnte, als vielmehr umgekehrt darum, den Schöpfungsvorgang als das Grundlegende und Umfassende in den Blick zu bringen, in dessen Rahmen die Evolution ihren unverzichtbaren Platz hat. So können sowohl die Anschlussfähigkeit des Schöpfungsglaubens an die Erkenntnisse der Naturwissenschaften und der Evolutionstheorie als auch sein Überschuss über diese sichtbar werden.

Ich danke dem Bielefelder Physiker Reinhart Kögerler für anregende Gespräche, dem Frankfurter Biologen Stefan Peters für hilfreiche Hinweise, meiner Frau Heidrun als meiner ersten Leserin für ihre kritischen Rückfragen, sowie Herrn Dr. Berthold Weckmann und Herrn Dr. Bruno Kern für die verlegerische Betreuung.

Frankfurt/M. und Werther/Westf., im Februar 2009

Hans Kessler

Einleitung
1. Zu Fragestellung und Aufgabe

Der Glaube an einen Schöpfer und das Verständnis der Welt als Schöpfung (der Dinge, Lebewesen und Menschen als Geschöpfe) sind grundlegend für Bibel und Christentum. Alles baut darauf auf.

Sind dieser Glaube und dieses Verständnis nicht mehr haltbar oder mit der Vernunft nicht mehr vollziehbar, so rutscht das Fundament des Christlichen weg. Wie soll man dann noch an ein Heil von Gott her glauben, an ein göttliches Wirken, an Versöhnung und Erlösung, an Rettung auch der Toten, an eine Gerechtigkeit und an Vollendung, wenn man redlich keine Instanz mehr annehmen kann, die das Ganze der Welt und unseres Daseins begründet, die Ur-Grund, Halt und Ziel von allem ist? Mit schlechtem Gewissen weiterglauben, schizophren in zwei Welten leben, die Fragen einfach wegschieben und ausblenden: Das ist auf Dauer nicht durchzuhalten. – Ein missverstandener und nicht mehr mit unserem heutigen Naturwissen vermittelbarer Gottes- und Schöpfungsglaube ist eine der Hauptursachen für die schwindende Akzeptanz der christlichen Botschaft, für Verunsicherung, für neuen Atheismus oder auch für die Suche nach scheinbar plausibleren religiösen Alternativen.

Denn genau in diesem Grundlegenden, dem Gottes- und Schöpfungsglauben, gibt es massive Missverständnisse, die alles verstellen, verfälschen und blockieren. Missverständnisse einerseits bei ganz normalen Gläubigen und insbesondere bei religiösen Fundamentalisten (Kreationisten), die in der Evolutionslehre einen Widerspruch und eine Konkurrenz zur biblischen Schöpfungsgeschichte, wie sie diese verstehen, sehen. Missverständnisse andererseits bei anti-religiösen szientistischen1 Fundamentalisten (fanatisch-atheistischen Naturalisten), welche die Schöpfungsvorstellung der Kreationisten gleichsetzen mit dem authentischen biblisch-christlichen Schöpfungsglauben, den sie dann ebenfalls – nur mit umgekehrter Stoßrichtung – für unvereinbar mit der Evolutionstheorie halten.

Kreationismus und atheistischer Naturalismus sind feindliche Zwillinge. Sie schaukeln sich gegenseitig hoch. Dazwischen bleibt oft kaum noch Platz für eine sachgerechte Darlegung des originären Schöpfungsgedankens. Dieser erfordert ja auch viel mehr und differenziertere gedankliche Anstrengung als die einfachen, griffigen und meist platten Formeln von Kreationisten wie von Naturalisten, die oft auch deswegen so ankommen, weil sie vielfältigen Frust (an ärgerlicher Kirche oder an kalter Wissenschaft) bedienen. So wundert es nicht, wenn sich neuerdings in manchen Medien vermehrt Beiträge finden, die nur das kreationistisch-fundamentalistische Zerrbild von Schöpfungsglauben bieten, es mit Bibel, Christentum, Schöpfungsglauben überhaupt gleichsetzen und diese dann für unvereinbar erklären mit evolutivem Denken (das für sie identisch ist mit rein naturalistisch-atheistischem Denken).

Da fehlt es schlicht an der nötigen Basisinformation, die für ein rationales Urteil erforderlich ist. Um beides, um nötige Information und um argumentativ begründetes, rationales Urteil, soll es hier gehen.

2. Zum Vorgehen

Im Folgenden werde ich deshalb zuerst (I.) die Positionen der Kreationisten einerseits und ihrer evolutionsbiologisch-naturalistischen Kontrahenten andererseits darstellen sowie die daraus sich ergebenden Probleme skizzieren. Darwin, so wird sich zeigen, war viel umsichtiger als manche seiner atheistischen Epigonen bis heute.

Sodann soll (II.) gezeigt werden, wie die biblischen Schöpfungstexte – nicht nach der naiven Wahrnehmung des unkundigen Lesers, sondern – nach den Erkenntnissen der bibelwissenschaftlichen Forschung ursprünglich zu verstehen sind und wie sie sich zum Evolutionsdenken verhalten, das es, wie wir sehen werden und was man meist nicht weiß, schon bei frühen christlichen Theologen gibt.

Ferner soll (III.) herausgearbeitet werden, inwiefern seriöse Naturwissenschaft und Evolutionsbiologie auf einen methodischen Naturalismus verpflichtet sind, sich daraus aber keineswegs ein harter weltanschaulicher oder metaphysischer Naturalismus (d. h. Atheismus) ergibt, die Wirklichkeit vielmehr mehrdimensional ist und eine Schichtentheorie der Wirklichkeit nahelegt, die für unterschiedliche Weltdeutungen oder Metaphysiken offen ist. Dabei ist auch zu bedenken, was die Wissenschaft eigentlich erklärt und warum sich die Frage nach Gott und Schöpfung nicht erübrigt.

Erst dann kann (IV.) unter Bezugnahme auf die kosmische und biologische Evolution und die damit gegebenen Verstehensprobleme (von Materie und Geist bis hin zu Zufall und Zielgerichtetheit) der Gottes- und der Schöpfungsgedanke in seinen verschiedenen Aspekten dargelegt, können ein Panentheismus und Grundzüge einer Schöpfungstheologie jenseits von Kreationismus und weltanschaulichem Naturalismus entwickelt werden.

Abschließend werde ich dann (V.) zeigen, dass und inwiefern die Schöpfungstheologie einen umfassenden Rahmen entwirft, der die Grundvoraussetzung aller Evolution thematisiert und in dem die Evolution zugleich ihren unverzichtbaren Platz hat. Gäbe es keine Evolution, so wäre es angesichts der naturbedingten Übel viel schwerer, an Gott zu glauben. Eine wichtige Frage wird deshalb sein, inwiefern und in welchem Sinne von einem Wirken Gottes in der Evolution und über sie hinaus gesprochen werden kann.

Jedes der fünf Kapitel ist so angelegt, dass es auch für sich verständlich und lesbar ist.2

I. Missdeutungen des Schöpfungsgedankens bei Kreationisten und harten Naturalisten und die Realität der Evolution
1. Kreationismus und Intelligent-Design-Lehre

Vorweg eine Bemerkung zum Sprachgebrauch. „Creation“ ist das englische Wort für „Schöpfung“. Wenn Menschen sich selbst „Kreationisten“ (creationists) nennen, dann bezeichnen sie sich damit als „Schöpfungsgläubige“, wobei unausgesprochen der Anspruch mitschwingt, sie seien die Vertreter des wahren Schöpfungsglaubens. Allein schon die Bezeichnung Kreationisten kann daher Missverständnisse hervorrufen. Wir werden sehen, dass der Kreationismus auf einem Irrtum beruht und nur scheinbar mit Schöpfung im biblisch-theologischen Sinn zu tun hat.

a) Bibel gegen Darwin?

Die Kreationisten unterscheiden nicht (wie die Bibelwissenschaft) zwischen den religiösen Inhalten der Bibel und den damaligen weltbildlichen Vorstellungen, in die sie eingebettet sind, sondern sie verstehen die Schöpfungstexte am Anfang der Bibel (Gen 1 und 2 f) buchstäblich wörtlich als Tatsachenberichte, missverstehen sie daher als naturkundliche, gewissermaßen naturwissenschaftliche Auskünfte. Sie kennen nur einen Weg, die religiöse Wahrheit der Bibel festzuhalten, nämlich durch die Behauptung, dass die Bibel auch in allen weltbildlichen Anschauungen irrtumslos sei. Der buchstäbliche Wortlaut der Bibel müsse wahr sein, also auch die damaligen Vorstellungen über die Natur, und deshalb seien die alttestamentlichen Erzählungen von Schöpfung, Sündenfall und Sintflut als historische Faktenbeschreibungen zu verstehen. Davon abweichende naturwissenschaftliche Erklärungen, zumal die Evolutionstheorie, werden deshalb entschieden als falsch abgelehnt.

Der vermeintlich bibeltreue Kreationismus (aus dem dann, wie unten dargestellt, durch Strategiewechsel die Creation Science und die Intelligent-Design-Theorie hervorgingen) kennt zahlreiche Gruppen: Die „young-earth-creationists“ verstehen die sechs Tage in Gen 1 als 6000 Jahre, die Erde sei jung (weniger als 10 000 Jahre alt); alle Tiere seien als friedliche Pflanzenfresser geschaffen, nach dem Sündenfall aber teilweise zu räuberischen Fleischfressern geworden; die Sintflut sei ein historisches Ereignis; der Mensch sei in einem eigenen Schöpfungsakt unmittelbar von Gott erschaffen worden. Die „old-earthcreationists“ glauben, dass sich der Schöpfungsakt über mehrere Milliarden Jahre hingezogen habe; die sechs Tage in Gen 1 stünden für ganze Zeitalter („day-age theory“). Eine andere Gruppe nimmt zwischen den Schöpfungstagen lange Zeiträume als Lücken an („gap theory“). Alle Gruppen lehnen eine gemeinsame Abstammung und Evolution der Lebewesen ab; Menschen und Menschenaffen hätten keine gemeinsamen Vorfahren.

Ein derartiges – längst überwunden geglaubtes – buchstäblich-wörtliches Verständnis der biblischen Schöpfungstexte, das (wie in II. 2 gezeigt wird) an ihrem ursprünglichen Sinn vorbeigeht, scheint heute wieder manche Menschen zu faszinieren. Verunsichert durch die gesellschaftlichen Umbrüche und die rasante Veränderung der Lebensverhältnisse, suchen sie nach Sicherheit und Halt an etwas, das sich nicht verändert, und finden es im Wortlaut der Bibel, an dem sie nicht deuteln lassen. Die Anhänger einer solchen buchstäblichen Auslegung der Bibel sind dann durchweg Gegner der Evolutionslehre. Nach ihrer Auffassung kann nur entweder die Bibel oder die Wissenschaft richtig sein: die (buchstäblich zu nehmende) Bibel oder Darwin, nicht die (anders zu verstehende) Bibel und Darwin.

Umfragen aus dem Jahr 2005 zufolge stand damals in den USA fast die Hälfte der Bevölkerung einem Junge-Erde-Kreationismus nahe und lehnte die Evolution offen ab; in den letzten Jahren sinkt diese Zahl zwar (aber auch die Zahl derjenigen, welche die Evolution akzeptieren), dafür steigt der Anteil der Menschen, die unsicher sind, stark an – eine Folge der verwirrenden öffentlichen Debatte. In den meisten westeuropäischen Ländern und in Japan akzeptieren mindestens 70 % der Erwachsenen die Evolution, in den USA lediglich 40 %, nur in der Türkei (dem einzigen an solchen Umfragen beteiligten islamischen Land) sind es noch weniger, nämlich unter 30 % der Erwachsenen. In den deutschsprachigen Ländern meinen noch immer etwa 20 % der Bevölkerung (eher wenig Gebildete), dass der Mensch erst vor wenigen Jahrtausenden durch einen Schöpfungsakt entstanden sei.

Und weil zum einen die Bibelwissenschaft und Universitätstheologie hierzulande medial kaum noch die Öffentlichkeit erreicht, zum andern in den beiden Volkskirchen aus Scheu vor der notwendigen Konfrontation mit sich als bibeltreu gerierenden Gruppen in den eigenen Reihen eine klare Positionierung häufig unterbleibt, entsteht in der Öffentlichkeit der Eindruck, dass die beiden Kirchen die Schöpfungstexte am Anfang der Bibel wortwörtlich nehmen und sie als angeblich historische Tatsachenberichte von der Entstehung der Welt, des Lebens und des Menschen verstehen, also eigentlich nicht mehr ernst zu nehmen sind.

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