Читать книгу: «Und wer rettet uns?»

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Vorwort

In diesem Buch beschreibe ich die erlebten Geschichten als Rettungssanitäter. Im Rettungsdienst und Krankentransport ist nicht immer alles so, wie es scheint. Wir Retter sind gelegentlich das Blaulichttaxi und manchmal will man uns auch verprügeln.

Die Redewendung „Du kotzt mich an“ bekommt plötzlich eine wortwörtliche Bedeutung und im Eifer des Gefechts wird auch schon mal ein Patient verwechselt. Ein anderer schlägt sich im Krankenwagen die Zähne aus und bricht sich dabei beide Arme.

Oder der Rettungswagen kracht früh am Morgen auf die Bahngleise und knallt gegen das Wartehäuschen.

Eine Einweisung in die Psychiatrie eskaliert, dabei wird der Sanitäter verletzt.

Diese und viele andere Begebenheiten sollen einen realistischen, zum Teil fast unglaublichen, aber dadurch unterhaltsamen Einblick in den ominösen Alltag eines Rettungssanitäters geben.

Ich muss noch erwähnen: Alle Namen sind frei erfunden und jede Ähnlichkeit ist zufällig.

Ich arbeitete 18 Jahre im Schlachthof einer Großstadt. Erst als Fleischfahrer, später begann ich ein Verkehrsingenieurstudium, um dann als Fuhrparkleiter zu arbeiten. Dies lief soweit über all die Jahre gut. Allerdings musste der Betrieb 1991 in die Insolvenz gehen.

Da war ich nun: männlich, 35 Jahre jung, motiviert - und ohne Arbeit. Emsig bemühte ich mich, einen neuen Job zu finden und las täglich die Stellenanzeigen der Tageszeitungen. Da stand es dann endlich:

»Rettungssanitäter gesucht, auch ungelernt«

Hans Jürgens das ist deine Chance, dachte ich mir. Ich werde jetzt Lebensretter, denn mit Fleischausfahren kenne ich mich ja schließlich aus. Gleich hockte ich mich zu Hause an meinen kleinen Schreibtisch und tippte auf meiner antiken Schreibmaschine die Bewerbung. Am nächsten Tag schwang ich mich in meinen Trabant und fuhr zu dem privaten Krankentransport, der sich vor den Toren der großen Stadt befand. Dort wollte ich eigenhändig meine Unterlagen abgeben.

Die Adresse führte mich zu alt aussehenden Baracken an der nahe gelegenen Autobahnauffahrt. Ein Umspannwerk umsäumte das Gebiet und riesige Hoch-spannungsleitungen überzogen das Terrain. Leichtes Summen verriet mir, dass eine Menge Strom auf den Leitungen sein musste. Dass das nicht gesund sein kann, wusste ich ja, umso mehr wunderte mich, dass dort Leute arbeiteten.

„Hoffentlich sind die Leutchen dort nicht gen-verändert“, dachte ich so, während ich von der Hauptstraße auf das Gelände abbog. Auf dem Hof sah ich einen einzelnen Krankenwagen auf einer der zahlreichen freien Parkflächen stehen. Schon an der Einfahrt las ich das Firmenschild:

»Krankentransport Firma Kobold, staatlich geprüfter Rettungssanitäter«

Jetzt wusste ich, dass ich richtig war. Ich stellte mein Fahrzeug auf einer der vielen verwaisten Parkflächen ab und folgte den Hinweisen zum Krankentransport. Bereits an der Eingangstür kam mir ein Mann, um die 50 Jahre alt, in weißer Kleidung entgegen und sprach mich mit lauter Stimme an, was ich hier wolle.

Ruhig erklärte ich, dass ich nur meine Bewerbung für die ausgeschriebene Stelle abgeben wolle. „Die Chefin ist im Büro“, meinte er und verschwand so schnell, wie er gekommen war. Sanft klopfte ich an die äußerst marode Bürotür.

Eine weibliche Stimme bat mich herein. Dann betrat ich den Raum und ein gut aufgeräumter Dienstraum machte auf mich einen angenehmen Eindruck. Förmlich stellte ich mich vor und bat, meine Bewerbungsunterlagen entgegen zu nehmen.

Die Frau hinterm Schreibtisch bot mir einen Stuhl an und sagte, dass sie die Ehefrau vom Chef sei. Nach kurzer Gesprächszeit merkte ich, dass zwischen uns die Chemie stimmte. Unser Gespräch ging langsam in eine Plauderei über.

Nach einer Weile wollte ich mich verabschieden, da schaute der Mann, der mir eben auf dem Flur begegnet war, durch das leicht geöffnete Fenster.

„Ist das deine Karre auf meinem Abstellplatz?“, rief er mit lauter Stimme. Zögerlich antwortete ich: „Meinen Sie den blauen Trabant da vorn?“ „Na, was denn sonst!“, konterte er. „Den musst du wegfahren, ich brauche den Platz.“

Eben sah ich doch noch so viele freie Parkflächen. Seinem Benehmen nach muss das wohl doch mit den Hochspannungsleitungen zu tun haben. Dieser Herr wird mir später noch über den Weg laufen.

Mein Vorstellungsgespräch und der unvermeidliche Probearbeitstag

Schon am übernächsten Tag erhielt ich Post vom Krankentransport. Ich sollte mich gleich einen Tag später zur Besprechung einfinden. Eine hagere und rund 1,90 Meter große Gestalt stellte sich mir als Eigentümer der Firma vor. Sein Mundgeruch war so gewaltig, dass während unseres Gespräches meine Augen anfingen, zu tränen. Gleich am Anfang fragte er mich, ob ich von den Hilfsorganisationen gesandt sei, um seinen Betrieb auszuspionieren. „Was? Ich?“, fragte ich verwundert. „Ja“, meinte er, „die wollen mich alle nicht als Privatmann auf dem Markt. Die hatten mir vor langer Zeit schon einmal einen Spitzel geschickt. Den habe ich aber entlarvt. Geben Sie es zu: Sind Sie oder sind Sie kein Aushorcher?“ Jetzt kam mir gleich wieder der Gedanke mit den Hochspannungsleitungen.

„Spion? Ich? Nein, natürlich nicht!“

Ich musste fast einen Schwur ablegen, bevor er mit mir weiterredete. Jetzt legte er mir Dokumente vor, die ich lesen sollte. Ich drehte mich seitlich weg, als ob ich die Schriften in das Licht halten würde, da sein inzwischen aufgeregter Atem mich nun schon fast betäubte.

Jetzt studierte ich die Schriften. Darunter war ein Arbeitsvertragsvordruck, eine Datenschutzerklärung und noch andere Dokumente. Als ich es überflogen hatte, sagte ich: „Ja, alles prima, das würde ich gern machen wollen.“

Er lachte verschmitzt und erklärte mir: „Ohne Probearbeitstag wird das aber nichts.“

Wir vereinbarten diesen schon auf den nächsten Tag. Pünktlich erschien ich in der Krankentransportfirma. Mein Auto hatte ich lieber auf einem wilden Parkplatz in der Nähe der Baracken abgestellt. Langsam schlenderte ich auf den Hof. Da kam ein BMW mit Blaulicht auf dem Dach auf mich zugefahren. Der hagere Chef, Herr Kobold, stieg aus und bat mich, eben in diesen Wagen einzusteigen.

„Wir holen einen „Sitzer“ ab, der muss nach Hause“, war seine kurze Erklärung. Die Mundgeruchsfahne stieß mir dabei wieder ganz tief in Nase und Augen. Jetzt war ich allerdings froh, dass er im Fahrzeug während der Fahrt nicht so viel redete und ich bequem Luft holen konnte. Im Krankenhaus angekommen, ging er mit riesigen Schritten in einen Warteraum. Dort saßen an die 30 Leute.

Jetzt zeigte der Chef, warum er Chef war. Mit sehr lauter Stimme rief er in den eher ruhig wirkenden Warteraum den Namen der abzuholenden Patientin.

Eine ältere Frau, bewaffnet mit Gehstock, meldete sich wie in der Schule mit dem Zeigefinger. Jetzt sollte mein Auftritt kommen und er beauftragte mich, die Dame zum Fahrzeug zu begleiten.

Ich lief auf die Patientin zu, fasste sie leicht am Oberarm und wir trotteten in Richtung Tür.

Das war wohl dem Chef etwas zu langsam. Mit riesigen Schritten kam er auf uns zu, hakte die Frau auf der anderen Seite unter, nahm ihre Gehhilfe und es schien, als ob er sie am liebsten hinter sich her schleifen wolle. So eine plötzliche Leistungssteigerung der Frau war für mich sensationell.

An der Haustür angekommen, half ich der Dame aus dem Fahrzeug. Dann schnappte sich der Häuptling die Patientin und zerrte sie wieder hinter sich her. „Jetzt weiß ich, wie man mit Patienten umzugehen hat“, dachte ich mir.

In der Wohnung eingetroffen, setzte er sie auf den Sessel im Wohnzimmer. Wir verabschiedeten uns von der Patientin und sie nestelte nebenher in ihrer Geldbörse und zückte ein Geldstück. Dieses steckte der beflissene Chef ein und verschwand wieder mit seinen riesigen Schritten in Richtung Auto.

Während der Fahrt sagte er zu mir: „Eines müssen Sie sich merken: Zeit ist Geld und wir haben noch mehr zu tun, da muss das alles zügiger gehen, denn der nächste Auftrag wartet schon.“ Über Funk erhielten wir auch schon den nächsten Auftrag, aus einer Arztpraxis einen Patienten nach Hause zu fahren.

Die Stimme aus dem Funk warnte aber, dass die Person schon über eine Stunde auf den Transport warte.

Wir übernahmen und Herr Kobold fuhr, aus meiner Sicht sehr umständlich, durch die Großstadt. Nach einiger Zeit fragte ich vorsichtig, ob der Abzweig, den wir gerade hinter uns gelassen hätten, nicht besser gewesen wäre, um an das Ziel zu kommen?

„Kann sein“, schnauzte er mich an, „Ich fahre so, wie ich es für richtig halte.“

Dabei dachte ich doch nur an „Zeit ist Geld“. Endlich kamen wir nach langen Umwegen in der Praxis an. In der ersten Etage saß vor der Arztpraxis auf einem Küchenstuhl ein älterer Herr mit leicht geschlossenen Augen. In seiner zittrigen Hand hielt er irgendwelche Papiere.

Der Boss sprach den Herren an und nannte den Namen. Der Herr bestätigte, dass er es ist, den wir abholen sollten. Jetzt schien er richtig erwacht zu sein und fing fürchterlich an zu meckern. Ich beruhigte ihn und sagte, dass heute sehr viel zu tun sei. Nach einer Weile beruhigte er sich wieder und klagte über Schmerzen im Rücken durch das lange Sitzen. „Aber warum sitzt der Mann vor der Tür?“, fragte ich mein Oberhaupt. „Na die Praxis hat Mittagspause, und da er deshalb raus musste, hat man ihn hier in das Treppenhaus gesetzt“, erklärte er mir. Die restlichen Stunden vergingen eher ruhiger. Schlussendlich konnten wir unseren Standort wieder anfahren. Herr Kobold bat mich in sein Büro. Mir war es jetzt schon ganz unwohl.

Mich beschäftigte die Frage: Wird das hier klappen und kann ich das denn auch ohne Ausbildung?

Dann kam es!

Der Chef sagte: „Wir sollten es miteinander versuchen, natürlich nur, wenn Sie auch möchten.“ „Ja“, sprach ich laut, „es wäre toll, hier arbeiten zu dürfen.“

„Eine Bedingung habe ich noch“, entgegnete er. „Sie müssen innerhalb eines halben Jahres den Rettungssanitäterabschluss nachweisen.“ Da war es! Das, wovor ich mich schon gefürchtet hatte.

Soeben fiel mir gleich das Schild am Eingang ein: staatlich geprüfter Rettungssanitäter. „Das wird bestimmt eine lange Ausbildung“, sagte ich. „Und wo kann man eine machen?“

Er sagte nur: „Ich kümmere mich um alles, Sie müssen nur wollen.“

Wollen? Natürlich wollte ich!

„Sie machen einen Lehrgang von insgesamt 520 Stunden, ein paar Krankenhausstunden, Stunden in einer Lehrrettungswache, hinterher die Prüfung und fertig ist der Sani!“

Der Vertrag wurde unterschrieben und ich war froh, eine Arbeitsstelle als zukünftiger Sanitäter zu haben.

„Startschuss“

Ich meldete mich pünktlich zum Dienst im Büro. Herr Kobold rief laut nach einem Namen, den ich erst nicht richtig verstehen konnte. In wenigen Sekunden stand der Mann, dem ich schon am ersten Tag begegnete, in der Tür.

Der Chef sagte zu mir: „Das ist der Wachleiter, der wird Sie hier einführen und Ihnen dann einen Krankenwagen zuteilen.“ Nach diesen Worten verschwand er und der Leiter dieser Wache führte mich durch die Barackenräume. Dabei stellte er mir unentwegt viele Fragen. Ich beantwortete sie nur zögerlich, denn ich dachte immer noch an unsere erste unangenehme Begegnung.

Jetzt kamen wir in den Aufenthaltsraum. Dort unterhielten sich fünf Leute lautstark über ihr vergangenes Wochenende. Der Wachleiter stellte mich den Anderen als neuen Mitarbeiter vor. „Das ist Ihre heutige Teampartnerin“, sprach er mit energischer Stimme.

Vor mir stand eine schmächtige, ungefähr einen Meter fünfzig große, junge Frau. Sie gab mir die Hand.

„Ich bin die Simone und ursprünglich Kinderkrankenschwester. Ich hoffe, wir werden uns gut verstehen“, meinte sie und verschwand nach draußen. Nach einer kurzen Einweisung ging ich mit Jürgen, so hieß der Wachenleiter, an den mir zugeteilten Krankenwagen. Es war ein alter Mercedes, der wie ein kleines Wohnmobil aussah.

Ich setzte mich an das Lenkrad und schaute mich im Fahrerhaus um. Die Sitze waren so durchgesessen, dass man kaum über das Lenkrad schauen konnte.

Vergeblich suchte ich die Sitzverstellung. Jürgen meinte nur: „Du fährst heute nicht, das macht Simone, denn sie hat Erfahrung.“

Simone?, dachte ich, die zarte und winzige, die sich mir eben vorstellte? Sie kam aus dem Patientenraum gekrochen und unter dem Arm hatte sie zwei Kissen, die sie sich auf den Fahrersitz legte. Sie setzte sich darauf, aber selbst da konnte sie kaum über das Lenkrad schauen. War schon ein lustiges Bild, die kleine Simone so zu sehen, denn man gewann den Eindruck, als ob das Fahrzeug fahrerlos war.

Meine Ausbildung zum Rettungssanitäter

Der Bildungsweg sollte so ablaufen: 160 Unterrichtsstunden, danach 80 Stündchen in einem Krankenhaus arbeiten, dabei möglichst viele Stationen durchlaufen und anschließend noch einmal 80 Stunden in einer Lehrrettungswache. Hinterher ist eine Woche lang Prüfungs-vorbereitung, um abschließend die Prüfung abzulegen.

Eines Morgens kam der Boss zu uns in den Aufenthaltsraum und beorderte mich und meinen jüngeren Kollegen Thomas in sein Chefbüro. Mit zackigen Worten verkündete er, dass wir in Erfurt eine Stelle zur Ausbildung bekommen hätten und er von uns erwartet, mit bestandener Prüfung zurückzukehren.

Nach diesen Sätzen schauten Thomas und ich uns wortlos an. Ich glaube, wir dachten das Gleiche: Erfurt? Warum gerade dort? Mein Mitstreiter, der unter uns Kollegen als endlose Quasselstrippe galt, ergriff das Wort:

»Herr Kobold“, so fing er an, „meinen Sie echt, dass wir da zur Schulung sollten? Wie wird das mit der Unterkunft, wir können doch nicht jeden Tag die Strecke nach Hause fahren?“, sprach er, ohne Luft zu holen. Jetzt wollte er in vollem Schwung weitererzählen, da hakte aber bereits der Chef ein: „Dort ist die beste Ausbildung im Lande und da lernt ihr ordentlich was und seid hinterher vom Feinsten geschult.“

Verdutzt schauten Thomas und ich uns abermals an. Gerade hatte ich das Wort ergriffen, quasselte mein Kollege heiter wieder los, ohne meine Worte zu beachten: „Und was ist mit der Unterkunft? Und was ist mit den anderen Kosten?“

„Ach, das habe ich alles schon gedeichselt, ihr kommt in einer Privatvermieterwohnung unter, die ich bezahle und außerdem ist schon alles gebucht“, donnerte der Boss uns entgegen. „Schon nächste Woche Montag geht es los und morgen bekommt ihr die Papiere dazu“, offerierte er uns weiter.

Nun wollte ich mich endlich äußern und dem Arbeitgeber erklären, dass dies äußerst kurzfristig sei, da schickte er uns mit dem Hinweis, dass er zu tun hätte, vor die Tür.

Das war ein Ereignis, mit Thomas, dem Plappermaul, vier Wochen zusammen zu sein. Eigentlich war er kein schlechter Typ, aber seine lockere Lebensweise und sein ewiges Reden ließen mich nun etwas nachdenklich stimmen. Ob das alles mit ihm gut gehen wird?

Der Tag zur Abreise kam immer näher und wir verabredeten, dass jeder eine Woche lang sein Auto für die Fahrt zur Verfügung stellt und das es jeweils am Freitag nach Schulschluss zurück in die Heimat geht.

Der theoretische Unterricht

Der Montag war gekommen und Früh um 6:00 Uhr ging es los in Richtung Erfurt.

Um 8 Uhr begann der Unterricht. Nach kurzem Suchen fanden wir auch die Ausbildungsstelle. Mit etwas flauem Gefühl, was mich nun erwarten wird, saß ich neben meinem Kollegen im Klassenraum. Noch dreiundzwanzig andere Mitschüler zählte ich und alle wollten sich ebenfalls die Ausbildung zum Rettungssanitäter antun.

Ein Dozent betrat den Raum mit einem riesigen Stapel Bücher, die er an jeden Auszubildenden verteilte. Gleich blätterte ich in dieser Lektüre wild umher, um zu sehen, was von einem gefordert wird.

Mich hatte fast der Schlag getroffen! Da war was vom Apgar-Schema und vom Grundtonus zu lesen. Auch fielen meine Blicke auf die Worte Hämoglobin und Bilirubin und man las vom Sympathikus und Parasympathikus. Viele bunte Bildchen vom Herz und von Zellen zierten das Druckwerk. Einige Ansichten konnte ich nicht einmal ansatzweise deuten.

Mein letzter Biologieunterricht war bereits über zwanzig Jahre her und ich hatte längst schon das meiste wieder vergessen. Auch von dem, was ich damals bei der Erste-Hilfe-Ausbildung lernte, war ebenfalls nicht mehr viel bei mir hängen geblieben. Ängstlich, als ob mir eine große Gefahr begegnen würde, öffnete ich wiederholt die Lektüre.

Vorsichtig blätterte ich erneut in dem Buch herum und konnte mir zu diesem Zeitpunkt nicht einmal ansatzweise vorstellen, dass ich das alles in der relativ kurzen Zeit begreifen sollte.

Der erste Schultag ging trotzdem zügig über die Bühne.

Mein redseliger Kollege hatte sich bereits gut in den Unterrichtsstoff eingearbeitet und tatkräftig unseren Dozenten in Schwung gehalten. Man konnte denken, dass er ein Streber sei.

Bei den Pausen merkte ich, wie einige Klassenkameraden Abstand zu uns hielten. Mutmaßlich war das Geschwätz meines Mitstreiters während des Unterrichtes daran schuld.

Nun kam nach Schulende die Quartierssuche dran.

Wir irrten in der Thüringer Hauptstadt umher, bis wir zu einer maroden Bruchbude in Form eines Mehrfamilienhauses ankamen. Das soll und musste es sein. Die vom Boss mitgelieferten Adressdaten stimmten mit dem Gebäude genau überein.

Wir nahmen unser Gepäck aus dem Fahrzeug und gingen vorsichtig die abgetretenen hölzernen Stufen des Bauwerks empor. In der zweiten Etage stand an einer der Wohnungstüren ein mit Geschick selbstgefertigtes Pappschild mit dem Namen der Quartiereltern. Eine Klingel suchten wir vergeblich.

Mein Mitstreiter donnerte mit der Faust an die antike Holztür. Nach einer Weile öffnete uns ein älterer Herr um die 60, bekleidet mit einem heruntergekommenen und vergilbten Feinrippunterhemd und Jogginghose und einer Zigarette im Mund.

Mir war es ganz unwohl bei diesem Anblick des Mannes. Der Zigarettengestank und der Mief aus der Wohnung, den er hinter sich herzog, entschwanden langsam im Treppenhaus.

Thomas nahm es wie immer gelassen und es schien, als ob ihn nicht einmal störte. Sofort bequatschte er den Kerl und schob sich in die stinkende Bude.

Ich trottete hinterher und der Quartiervater zeigte uns die Unterkunft, in der wir in der nächsten Zeit untergebracht sein sollten.

Irgendwie erinnerte mich der Raum an meine Zeit bei der Nationalen Volksarmee. Zwei Betten mit Eisengestell, drei größere Spinde und ein maroder hölzerner Tisch mit mehreren Stühlen säumten die Räumlichkeit.

Der Tabakgestank war auch in unserer Bude fest eingeschlossen. Da ist es also, das Quartier, was uns ab jetzt vier Wochen einen Unterschlupf bot.

Immer nach Schulschluss kauften wir im Supermarkt Getränke und Essenvorräte, um es in den Abendstunden und zum Frühstück zu verspeisen. Mein junger Berufsgenosse brachte mich mit dem Lernstoff auf guten Kurs. So langsam verstand ich den Sympathikus und all die anderen medizinischen Fachbegriffe.

Meistens ging ich am Abend früher ins Bett als mein Kollege. Wenn ich unter meiner Bettdecke lag und mir schon langsam die Augen zufielen, störte es ihn nicht, mich weiter unentwegt vollzuquasseln. Oft bin ich dabei bestens eingeschlafen.

Inzwischen waren nun drei Wochen vergangen. Der am Tage in der Schule erlernte Stoff wurde am Abend in der „Wohnspelunke“ noch weiter bei Bier und Wein gefestigt.

Jetzt sollten erst einmal das Krankenhaus- und dann das Rettungswachen-Praktikum folgen, bevor es in die Prüfungswoche ging.

An dem letzten Freitag beschlossen wir, nach Schulende sofort in unsere Firma zu fahren, um mit dem Chef über den weiteren Werdegang der kommenden anderen Ausbildungsstellen zu reden.

In dem Betrieb angekommen, teilte uns der Boss mit, dass er uns auf verschiedene Rettungsdienste aufgeteilt hatte.

Er suchte mir eine aus, die keineswegs in unserer Großstadt war. Da die Rettungswachen in der Stadt sowieso alle von den von ihm gehassten Hilfsorganisationen besetzt waren, kam so eine nicht in Frage, da er sich immer von ihnen verfolgt und ausspioniert fühlte. Deshalb sollte es in die 40 km entfernte Rettungswache nach Sachsen-Anhalt gehen.

382,08 ₽
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140 стр.
ISBN:
9783738084832
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