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Читать книгу: «Praxis des Evangeliums. Partituren des Glaubens», страница 4

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2. Wort Gottes – maßgeblicher Maßstab:
Schöpfung und Offenbarung als Sprachereignis

Wenn Gottes Wille zur Gemeinschaft mit dem Menschen tatsächlich voraussetzungslos und bedingungslos ist, wenn er am Menschen nicht Maß nimmt, sondern unbedingt ist, dann kann er am Endlichen, Bedingten und Weltimmanenten nicht einfach abgelesen werden, sondern muss im Endlichen, Bedingten und Weltimmanenten derart offenbar werden, dass er dem Menschen zugesagt wird. Im Endlichen und Bedingten spricht nichts für ein Moment an Unbedingtheit, das ihm zukommen könnte. Wofür Endliches und Bedingtes selbst nicht sprechen kann, was aber für es zutreffen soll, wird ihm nur zugänglich, wenn es ihm von einer unbedingten Wirklichkeit zugesprochen werden kann. Dabei muss es sich um eine Zusage handeln, die realisiert, was sie besagt, denn anders kommt das innerweltlich Unableitbare nicht „zur“ Welt. Was die Offenbarung von Gottes Verhältnis zum Menschen inhaltlich und formal ausmacht, wird nur im Modus der Offenlegung eines unbedingten Zugewandtseins wahrnehmbar. Diese Offenlegung geschieht in der Weise eines Zuspruchs, der für das Zugesprochene zugleich die Augen öffnet: Der Mensch darf sich verstehen als Adressat einer Zuwendung Gottes, auf die er sich im Leben und Sterben verlassen kann.

Wenn Offenbarung als Geschehen der Übersetzung von Gottes Selbst- und Weltverhältnis in innerweltliche Entsprechungsverhältnisse gedacht werden kann, dann markiert die Kategorie „Übersetzung“ in methodischer Hinsicht die Schnittstelle zwischen einer relational-ontologischen Redeweise von der Wirklichkeit Gottes und der Welt auf der einen Seite sowie einer Auslegung des Gott / Welt-Verhältnisses bzw. seiner geschichtlichen Vergegenwärtigung als „Sprachereignis“ auf der anderen Seite. Dass zwischen beiden Paradigmen wiederum ein Entsprechungsverhältnis besteht, macht die Korrelation der relational-ontologischen Kategorie „Zuwendung“ und der Metapher „Zusage“ deutlich.

Konkretisieren lässt sich diese Entsprechung in Rekurs und in Fortschreibung einer „Theologie des Wortes Gottes“, auf die auch in der Vergangenheit im Kontext einer theologischen Erkenntnis- und Prinzipienlehre immer wieder Bezug genommen wurde.51 Eine theologische Beschreibung von Ereignissen, in denen ein „Wort Gottes“ ergeht, und eine theologische Ermittlung, inwieweit dieses Wort als Gotteswort ergeht, setzt jedoch viel zu spät ein, wenn sie nach Zeugnissen eines „Sprechens“ Gottes in der Geschichte oder nach seinem Widerhall im Menschenwort sucht. Weder der Einsatz bei einem geoffenbarten „Gesetz“ Gottes noch beim Auftreten von Propheten als den Kündern seiner Weisungen an das Volk Gottes und auch nicht die Sammlung von Jesusworten über das „Reich Gottes“ bieten einen angemessenen Ausgangspunkt. Vielmehr ist dort zu beginnen, worauf alle diese Einstiege zurückverweisen: Bereits die Erschaffung der Welt ist Ereignis von Gottes Wort bzw. ein von Gottes Geist inspiriertes Wortgeschehen.

Die priesterschriftliche Schöpfungserzählung Gen 1,1–2,4a erinnert mit Nachdruck daran, dass alles, was ist, als „creatura verbi“ anzusehen ist. Nach Gen 1,1–2,4a ist die einzige Wirkursache des Daseins das Wort Gottes, welche eine unförmige, nichtige und lebensfeindliche Wirrnis in einen Lebensraum überführt, der sich durch lebensermöglichende, wohltuende Unterschiede auszeichnet.52 Gen 1,1–2,4a zeigt einen Gott, dessen Geist über den Wassern schwebt (Gen 1,2) und dessen Wort ein Chaos zu einem Kosmos, d. h. zu einem wohlgeordneten Ganzen macht, das daseins-, identitäts- und bedeutungsermöglichende Unterschiede aufweist. „In der Kraft des Lebensatems Gottes, in dem das schöpferische Wort Gottes über die Welt ertönt und den Gott seiner Welt einhaucht, entsteht aus dem Chaos der wohlgeordnete Kosmos der Schöpfung.“53 Durch Gottes Geist und Wort wird ein Unterschied von Sein und Nichts zugunsten des Seienden konstituiert, der wiederum weitere wohltuende Unterscheidungen ermöglicht. Schöpfung ist Überwindung chaotischer, nichtiger Unbestimmtheit und Ungeschiedenheit. Das „Tohuwabohu“ vermag von sich aus diesem heillosen Durcheinander keine Umrisse zu geben, durch die es zu etwas wird, das als etwas da ist. Übersetzt man diesen Sachverhalt in die Sprache der Ontologie, so ergibt sich: Das diffuse Chaos enthält alles der Möglichkeit nach. Darin liegt seine ungeheure Mächtigkeit, seine Potenz – aber auch seine bloße Potentialität, d. h., in ihm ist alles bloß möglich, aber nichts wirklich. Etwas zum Dasein bringen heißt aber, es aus der Möglichkeit ins Wirkliche überführen. Dasein besteht darin, das Mögliche auf das Wirkliche hin zu überschreiten. Zu einer solchen Selbstüberschreitung ist aber im Chaos nichts von sich aus fähig. Und auch das Chaos selbst kann nicht von sich aus den Unterschied vom Möglichen zum Wirklichen überschreiten. Daher kommt ihm auch nicht die Funktion eines Seinsprinzips zu.54

Hingegen wird in Gen 1–2,4a Gott als derjenige bestimmt, der den Unterschied zwischen dem Bestimmten und dem Unbestimmten konstituiert. Allein Gott ist es, der von dem Unförmigen, Formlosen und Lebensfeindlichen dasjenige unterscheidet, das durch diese Unterscheidung Gestalt und Form annimmt und dergestalt am Leben ist. Ohne Gottes Wort gäbe es nicht den Unterschied von Sein und Nichts, von Bestimmtheit und Unbestimmtheit.

Wenn solchermaßen geschöpfliches Dasein nicht als Resultat eines Machens oder Herstellens, nicht als Resultat eines In-Form-Bringens einer göttlichen Urmaterie oder eines evolutiven Gestaltwerdens kraft einer Emanation des Seins verstanden wird, sondern als „Schöpfung durch das Wort“ bestimmt wird, dann ist die „Verfassung“ der Welt in der Dimension der Sprachlichkeit zu sehen.

Der Prolog des Johannesevangeliums verknüpft diese Sichtweise mit einer Logos-Theologie (Joh 1,1–18). Dabei dient die Kategorie „Logos“ zunächst dazu, das Selbstverhältnis Gottes zu bestimmen („Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott“). Mit ihr lässt sich ebenso das Gottesverhältnis der Welt und das Weltverhältnis Gottes kennzeichnen.55 Aus theologischer Sicht hat das Geschaffensein der Welt die Eigentümlichkeit eines „Sprachereignisses“: „Alles ist durch das Wort geworden und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist“ (Joh 1,3). Wenn alles, was es gibt, durch das Wort Gottes hervorgerufen ist, dann existiert es „im Wort“. Aber auch Gott ist bei seiner Schöpfung „im Wort“. Sie ist durch das Wort geschaffen – Ergebnis seines Zuspruchs von Dasein, Identität und Freiheit. Hierbei handelt es sich um ein Wort, das, indem es ergeht, jene Wirklichkeit vergegenwärtigt, auf die sich das Wort bezieht. Unter dieser Rücksicht ist es kennzeichnend für das „Wort Gottes“, dass es performativ und nicht bloß signifikativ bedeutsam ist: Es bezeichnet nicht einen Sachverhalt, der unabhängig vom Akt der Bezeichnung besteht. Vielmehr wird dieser Sachverhalt hervorgebracht, indem das ihm geltende Wort ergeht.56

Auf dieses schöpferische Wort Gottes sind alle Ereignisse in Welt und Geschichte zu beziehen, wenn von ihnen behauptet wird, dass darin Gott zur Sprache kommt. Diesen Anspruch können sie nur erheben und einlösen, wenn sie verstehbar sind als Übersetzung von Gottes Schöpferwort in die Lebensverhältnisse des Menschen. Dass der Mensch ein solches Wort aufnehmen und weitersagen kann, ist in seiner Geschöpflichkeit begründet. Das „Im-Wort(Gottes)-Sein“ macht die Verfassung seines Daseins aus und präzisiert, was unter der „Gottebenbildlichkeit“ des Menschen zu verstehen ist: In seiner Sprachlichkeit findet sich auf Seiten des Menschen eine Entsprechung zu jener Hinsicht, wodurch sich Gott als Gott erweist und was sein Weltverhältnis konstituiert. Das „Ebenbild“ Gottes ist der Mensch, wenn er in seinen Lebensverhältnissen Gottes unbedingtes Ja zum Menschen mitspricht, umsetzt und übersetzt. Der Mensch ist das Wesen, das im Hören-Sagen des Wortes Gottes existiert, d. h., er vermag dem Dasein und Freiheit zusprechenden Wort Gottes in seiner eigenen Existenz zu antworten. Ein Mensch kann Gott und seinem Wort „entsprechen“, wenn er derart im Modus des Hören-Sagens existiert, dass er sein Menschsein selbst im Modus des Freispruchs und Zuspruchs, des Setzens wohltuender Unterschiede verwirklicht und auf diese Weise „fruchtbar“ (vgl. Gen 1,28) werden lässt.57 Wenn für das Wort Gottes gilt, dass es daseins-, identitäts- und freiheitskonstitutiv ist, dann muss dementsprechend für jede Berufung auf ein solches Wort ihrerseits gelten:

Ob eine von Menschen verkündete Botschaft als „Wort Gottes“ ergehen kann, bemisst sich danach, inwieweit sich diese Botschaft so verstehen lässt, dass sie realisiert, wovon sie spricht, d. h., in dieser Botschaft darf nicht bloß „von“ oder „über“ Gott gesprochen werden. Vielmehr muss in ihrer Verkündigung das Schöpfungsversprechen Gottes Realität werden: das Ja-Wort unbedingter Anerkennung von Existenz, Identität und Freiheit.

Auf dieser Basis lässt sich nun auch ein angemessenes Verständnis der Rede von der Selbstvergegenwärtigung Gottes in der „Inkarnation“ des Wortes Gottes gewinnen. Bereits im Schöpferwort spricht sich Gott aus, d. h., sein Schöpferwort legt aus und übersetzt, wie Gott auch „für sich“ ist: unbedingte Zuwendung. Jede weitere Rede von einem „Wort Gottes“ in der Geschichte wird darum nichts anderes meinen können als eine Auslegung und Übersetzung dieses Wortes in die Lebensverhältnisse des Menschen. Wenn das Christentum auf eine „Inkarnation“ des Wortes Gottes verweist und dies mit Person und Schicksal Jesu von Nazareth in Beziehung setzt, dann ist damit zunächst gemeint, dass Jesus dem Selbst- und Menschenverhältnis Gottes in der Sprachform seiner Existenz entspricht. Auch er existiert im Hören-Sagen des Wortes Gottes, dessen Vollzug seinen Inhalt realisiert: voraussetzungslose Zuwendung. In und mit seinem Dasein wird das Schöpferwort Gottes interpersonal formatiert im Modus der Zusage von Freiheit und Identität – im Setzen wohltuender Unterschiede zwischen Leben und Tod, im Freisprechen des Menschen von Schuld und Versagen. Was die Besonderheit Jesu ausmacht, ist der Umstand, dass er das Wort Gottes „in Person“ ist.58 Eben dies zeichnet ihn als Gott entsprechenden Menschen in besonderer Weise aus, dass durch ihn offenbar wurde, wie jeder Mensch Gott entsprechen kann.

Dass im Schöpferwort Gottes „Geist und Leben“ (Gen 6,17; 7,15) sind, gilt auch für die Übersetzung dieses Schöpferwortes im Leben und Handeln Jesu. Er redet nicht über Gottes Geist und Wort, sondern handelt in diesem Geist und bringt durch sein Tun das Weltverhältnis Gottes neu zur Sprache. Unter diesem doppelten Vorzeichen steht bereits der Beginn seines Lebens. Der Geist Gottes, der über den Wassern der „Urflut“ schwebte, „überschattet“ die Mutter Jesu (Lk 1,35), er „ruht“ auf Jesus (vgl. Lk 4,18).59

Das Leben und Wirken Jesu vor diesem Hintergrund ein vom Geist Gottes bewirktes „Sprachereignis“ zu nennen, bedeutet mehr, als darin bloß die Ankündigung einer Zusage Gottes zu sehen. Vielmehr sind sein Leben und Sterben zugleich Realisierung des Zugesagten. Für das Christentum liegt das Besondere der Existenz Jesu darin, dass sein Leben darin aufging, die (inter)personale Vergegenwärtigung und Einlösung der Zusage Gottes zu sein, dass er dem Menschen in guten wie in schlechten Tagen voraussetzungs- und bedingungslos zugewandt ist und ihn nicht dem Tod überlässt. Nur im Kontext des Zwischen- und Mitmenschlichen kann sich unverkürzt ereignen, was „unbedingte Zuwendung“ meint, wie auch nur die personale Zuwendung zum Menschen die originäre Erschließung von Gottes Zusage leisten kann.60 Hier besteht eine Koinzidenz des Vollzuges einer Zusage und der Realität des Zugesagten. Der zentrale Maßstab, an dem eine christlich-theologische Epistemologie Maß nehmen muss, um weitere Maßstäbe des Redens über Grund und Bedeutung des christlichen Glaubens zu entwickeln, ist diese Koinzidenz. Ihre geschichtliche Realität ist unablösbar verbunden mit der Person Jesu von Nazareth.

Allerdings ist mit dieser Festlegung ein beträchtliches Folgeproblem verknüpft: Wie kann man den Anspruch heute einlösen, dass mit dem Leben und Sterben Jesu von Nazareth das Ereignis der Offenbarung von Gottes Zuwendung zum Menschen in der Geschichte verbunden ist? Wie kann man aufzeigen, dass dieses Ereignis geschichtlich unüberholbar ist?

Die erste Teilfrage ist nicht mit einer historischen Retrospektive beantwortbar. Denn selbst wenn es gelingen sollte, auf historisch-kritischem Weg die Besonderheit Jesu z. B. an seinen Wundern festzumachen, ihm übermenschliche Fähigkeiten zu attestieren oder ihm ein göttliches Sendungsbewusstsein nachzuweisen, was seinen Zeitgenossen Grund genug gewesen sein mag, ihn als Mittler einer Offenbarung Gottes zu erkennen, wäre damit wenig gewonnen. Gründe, die nur den Zeitgenossen Jesu zugänglich und verifizierbar waren, um eine solche Annahme zu stützen, können nicht hinreichend sein, um heute zu demselben Schluss zu kommen. Mit der Berufung auf eine heute nicht mehr zugängliche Erfahrung der Zeitgenossen Jesu, die ihn als „Wort Gottes in Person“ legitimierte, lässt sich auch die zweite Teilfrage nicht beantworten. Dies gilt erst recht, wenn für die Selbstvergegenwärtigung Gottes in Jesus von Nazareth materiale und formale Unüberbietbarkeit behauptet wird. Formal unüberbietbar soll dieses Geschehen sein, weil anders oder besser als im Format unbedingter Zuwendung das Menschenverhältnis Gottes nicht offenbar werden kann. Material unüberbietbar soll es sein, weil dem Menschen von Gott nicht mehr zuteilwerden kann als eine Zuwendung, die ihn im Leben und im Sterben trägt.

Mit dieser doppelten Problemanzeige rückt die Kernfrage einer Topologie des christlichen Glaubens ins Blickfeld: Wie ist es möglich, einem Ereignis der Vergangenheit zu einer Realpräsenz in der Gegenwart zu verhelfen, so dass es heute (und auch in Zukunft) bei jenen ankommt, die nicht zu den ursprünglichen Augen- und Ohrenzeugen der Verkündigung Jesu zählen? An der Lösbarkeit dieser Frage hängt die Möglichkeit, über die Zeit hinweg die Antreffbarkeit und Authentizität einer als „Wort Gottes“ behaupteten Botschaft wahren zu können. Aber bereits als Problemanzeige ist diese Frage von erheblicher kriteriologischer Bedeutung:

Damit eine Botschaft als „Wort Gottes“ verstanden werden kann, muss sie von sich aus die Möglichkeit einer „zeitversetzten Gleichzeitigkeit“ mit dem geschichtlichen Ereignis der Offenbarung dieses Wortes Gottes eröffnen.

3. Partituren des Glaubens:
Evangelium – Tradition – Bekenntnis

Die christliche Theologie gerät unweigerlich in erhebliche Verlegenheit, wenn sie von der geschichtlichen Selbstvergegenwärtigung Gottes in Jesus von Nazareth spricht und für dieses Geschehen das Merkmal der Unüberbietbarkeit beansprucht. Dieser Anspruch ist verbunden mit einem partikularen Ereignis in der Vergangenheit: das Leben und Sterben Jesu von Nazareth und die Nachricht von seiner „Auferweckung“. Wenn nun diese Ereignisfolge den Grund des Glaubens ausmacht, ergibt sich das Problem, wie in der Gegenwart noch eine Begründung dieses Glaubens möglich sein kann, wenn dieser Grund dem Glaubenden im zeitlichen Sinne entzogen ist. Ein weiterer Einwand ergibt sich aus dem neuzeitlichen Geschichtsverständnis. Es dominiert die evolutive Vorstellung einer ungerichteten Vorwärtsbewegung, die keine Mitte und kein Ziel kennt. Jedes Ereignis ist nur Episode. Das Frühere wird relativiert vom Späteren. Alles wird im Lauf der Zeit veralten, nichts ist ausgenommen vom Prozess der Überbietung des Überkommenen durch das Kommende. Die Zeit und alles Zeitliche gehen aber nicht auf ein bestimmtes Ziel zu.61 Wie die Zeit selbst vergeht, so geht mit ihr auch alles dahin, was in der Zeit geschieht. Wenn etwas an der Zeit sein will, so muss es präsent sein und seine Präsenz auf Dauer stellen können.

Für das Christentum ergibt sich daraus die Herausforderung, das (vergangene) Ereignis einer Selbstvergegenwärtigung Gottes in der Zeit jeweils neu zu vergegenwärtigen. Denn nur wenn es möglich ist, trotz des zeitlichen Abstandes zum historischen Grundgeschehen der Offenbarung eines „Wortes Gottes“ mit diesem Geschehen ‚gleichzeitig‘ zu werden, ist die Annahme dieser Botschaft verantwortbar. Nur dann kann man nämlich der christlichen Botschaft (Evangelium) selbst auf den Grund gehen, um darauf den eigenen Glauben zu gründen. Lösbar wäre dieses Problem, wenn eine Vergegenwärtigung dieses Grundgeschehens der vergangenen (und historisch einmaligen?) Selbstvergegenwärtigung Gottes gelingen könnte. Wenn nun in ferner Vergangenheit die Zeitgenossen Jesu mit seiner Person und Botschaft eine Gotteserfahrung im Modus unbedingter Zuwendung gemacht haben, wie ist dann diese Erfahrung tradierbar, wenn in der Gegenwart die personale Begegnung mit Jesus von Nazareth nicht mehr möglich ist?

Das Problem der „Ungleichzeitigkeit“ wäre leicht zu bewältigen, könnte man das Geschehen der Offenbarung als Mitteilung einer Information verstehen. Hierbei kann der Inhalt des einst Mitgeteilten weitergegeben werden, ohne den ursprünglichen Akt der Mitteilung wiederholen zu müssen. Anders verhält es sich, wenn der Inhalt der Offenbarung mit ihrem Akt koinzidiert. Dann ist es unabdingbar, zu diesem Akt Zugang zu erhalten. In diesem Fall muss dieser Akt reaktualisiert werden können. Wenn die Offenbarung Gottes in Jesus von Nazareth bestimmt ist durch die Koinzidenz von Vollzug und Gehalt unbedingter Zuwendung, dann kann es eine Weitergabe und Vergegenwärtigung dieser Offenbarung nur geben, wenn diese Koinzidenz tradiert werden kann. Denn wenn das Welt- und Menschenverhältnis Gottes ein Verhältnis unbedingter Zuwendung ist, dann kann außerhalb eines Vollzuges unbedingter Zuwendung dieses Verhältnis weder offenbar noch vergegenwärtigt werden. Auch Jesus von Nazareth hat in seinem Welt- und Menschenverhältnis das Menschenverhältnis Gottes derart vergegenwärtigt, dass er es praktizierte. Für das Ursprungsgeschehen von Offenbarung wie für dessen Vermittlung gilt somit: Vollzug und Gehalt sind nicht voneinander ablösbar, wenn das Geschehen unbedingter Zuwendung vergegenwärtigt werden soll. Außerhalb seines Vollzuges kann es für diesen Gehalt keine Realpräsenz geben.

Von der Ermöglichung einer zeitversetzten Gleichzeitigkeit mit dem Ursprung des Glaubens hängt auch die Sicherung der Identität und Authentizität seiner Weitergabe ab. Hierzu bedarf es offensichtlich einer diachronen Kontinuität: Lässt sich die Distanz zwischen „damals“ und „heute“ überbrücken, wenn es ein Kontinuum zwischen Vergangenheit und Gegenwart gibt? Ein solches zeitliches Kontinuum könnte mit einem sozialen Kontinuum verbunden sein – in Gestalt einer ungebrochenen Überlieferung der Offenbarung Gottes in der Gemeinschaft jener, die an diese Offenbarung glauben.

Die Prüfung, ob eine Botschaft als „Wort Gottes“ verstanden werden kann, hängt ab von der Möglichkeit, sich über ein zeitliches (diachrones) Kontinuum des geschichtlichen Ursprungs dieser Botschaft und ihrer authentischen Vergegenwärtigung vergewissern zu können.

In der katholischen Theologie und Kirche hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass das zeitlich-soziale Kontinuum der Vergegenwärtigung von Gottes Selbstoffenbarung durch die Größen Schrift – Tradition – Lehramt gewährleistet wird. Sie sind Instanzen der Weitergabe des Wortes Gottes (Evangelium) bzw. der Überlieferung und Vermittlung des Glaubens(grundes) zu beständiger Gegenwart.62 Allerdings stellt sich damit erst recht das eingangs bereits angesprochene Legitimationsproblem: Wie lässt sich der Anspruch rechtfertigen, dass diese Größen tatsächlich die authentische Weitergabe des Glaubens sichern können? Gibt es im Blick auf den in der Theologie- und Kirchengeschichte immer wieder aufbrechenden Biblizismus, Traditionalismus und Dogmatismus nicht genügend Gründe für die Annahme, dass diese Größen das Evangelium von der unbedingten Zuwendung Gottes zum Menschen eher entstellt und den Zugang zu ihm verstellt haben? Durchzieht nicht auch die „Heilige“ Schrift ebenso wie die Geschichte der Menschheit eine Blutspur der Gewalt, welche die Behauptung einer Liebe Gottes zu seiner Schöpfung als zynisch erweist? Hat nicht die Berufung auf vermeintlich unhintergehbare Überlieferungen und dogmatische Entscheidungen die Übersetzung des christlichen Kerygmas in neue Entsprechungsverhältnisse immer wieder verhindert? Anhand welcher Kriterien lässt sich erkennen und entscheiden, dass Schrift, Tradition und Lehramt in einer kontraproduktiven Weise für die Weitergabe des Glaubens in Anspruch genommen werden?

Im Rahmen einer theologischen Topologie des christlichen Glaubens werden diese Anfragen in der Regel ignoriert. Stattdessen geht man direkt zur theologischen Legitimation von Schrift, Tradition und Lehramt über. Wie diese Größen eine „äußere“ Beglaubigung der Inhalte des christlichen Glaubens und ihrer Weitergabe leisten (d. h. gleichsam als Bürgen auftreten), so sind sie ihrerseits durch bestimmte äußere Umstände als rechtens verbürgt: Das Neue Testament ist das früheste Zeugnis der Verkündigung Jesu. Als in diesem Sinne Ur-Kunde des Glaubens ist es wegen seiner apostolischen Verfasserschaft zugleich sein ursprüngliches und für alle anderen Vermittlungsweisen maßgebliches Zeugnis. Die Wahrheit dieses Zeugnisses sieht man verbürgt durch die „Inspiration“ der Autoren der neutestamentlichen Schriften. Die Tradition besteht dann in der authentischen Weitergabe dieses ursprünglichen Zeugnisses – beginnend bei den Zeugen der Verkündigung Jesu und über die schriftliche und mündliche Überlieferung dieser Überlieferung sich fortsetzend bis in die Gegenwart. Die Authentizität dieser Überlieferung sieht man wiederum verbürgt durch die „externe“ Instanz des kirchlichen Lehramtes. Dessen Träger sind dazu aufgrund der ihnen im Akt der (Bischofs)Weihe vermittelten Amtsgnade in besonderer Weise bevollmächtigt, was sie in entsprechenden Lehrentscheidungen zum Ausdruck bringen. Diese Lehrentscheidungen halten fest, was von Christen zu glauben ist.63

Die Problematik dieses Ansatzes, dem es primär um die Wahrung der Unversehrtheit der christlichen Botschaft geht, lässt sich durch eine Analogie verdeutlichen: Der Absender eines Briefes will sichergehen, dass seine Nachricht unverfälscht den Empfänger erreicht. Darum hat er sein Schreiben sorgfältig kuvertiert, den Briefumschlag fest verschlossen und bringt ihn als Einschreiben auf den Zustellweg. Damit ist eine lückenlose und als solche überprüfbare Weitergabe seines Briefes sichergestellt, bis er beim Adressaten ankommt. Ähnlich muss man für die Weitergabe des Evangeliums sorgen. Um sicherzugehen, dass der Inhalt des Evangeliums unverfälscht und unverändert, d. h. „original“, tradiert wird, muss man ihn in einem verschlossenen und versiegelten Umschlag weitergeben. Man muss die Boten seiner Weitergabe durch einen besonderen Eid auf ihre treue Dienstausübung verpflichten, ein Überwachungssystem installieren, das die Erfüllung dieses Eides kontrolliert, die Überwacher einem besonders strengen Auswahlverfahren unterziehen etc. Nur eines darf nicht geschehen: dass der Umschlag unterwegs geöffnet wird und in falsche Hände gerät. Und sollte er bei seinem rechtmäßigen Empfänger endlich ankommen, wird dieser gut beraten sein, Brief samt Umschlag angesichts der Bedeutung seines Inhaltes möglichst sicher zu verwahren.

So wenig eine solche extrinsezistische Absicherung der Weitergabe des Evangeliums jemals dazu führt, dass sich die Wahrheit des Evangeliums in seiner Praxis zeigt, so wenig genügt der Nachweis einer ungebrochenen Tradition und ebenso wenig reicht ein dem Inhalt äußerliches formales Kriterium aus, um sich existenziell und materialiter des Glaubensgrundes zu vergewissern. Wer sein Leben auf den Glauben an das Evangelium gründen will, dem kann zur Begründung der Hinweis auf eine geschichtlich niemals abgerissene Weitergabe des Evangeliums nicht genügen. Die Gewissheit einer existenziellen Tragfähigkeit des Glaubens, der Wahrheit seines Gegenstands und der Authentizität seines Ursprungs kann nur gegründet sein in der direkten Begegnung mit einer Botschaft, deren Wahrheit den Glauben zugleich weckt und trägt.

Die klassische Deutung des Zusammenwirkens von Schrift, Tradition und Dogma / Lehramt weist den Konstruktionsfehler auf, dass sie die Authentizität der Weitergabe der christlichen Botschaft primär von der Beachtung formaler Kriterien – wie etwa der apostolischen Sukzession kirchlicher Amtsträger – abhängig macht. Zwar steht dahinter die durchaus zutreffende Annahme: Der Geltungsanspruch der christlichen Verkündigung ist nur dann einlösbar, wenn durch sie die Offenbarung des „Wortes Gottes“ geschichtlich tradierbar und sozio-kulturell jeweils neu antreffbar wird. Für die Sicherung dieser Antreffbarkeit ist es aber nicht hinreichend, dass formale Kriterien erfüllt werden. Vielmehr muss es eine materiale Kontinuität zwischen dem Wirken Jesu von Nazareth und heutiger Verkündigung geben können.64 An sein Wirken ist die gegenwärtige Verkündigung inhaltlich zurückzubinden.

Die Bedeutung kirchlicher Ämter, der liturgischen Tradition und Bekenntnisbildung besteht im Dienst an der Rückbindung gegenwärtiger Verkündigung an den Anfang und Grund des Evangeliums. Dies gilt auch für die Hl. Schrift. Auch sie ist Ausdruck der Tatsache, dass der Glaube der Christen sich der Übersetzung des Evangeliums in jeweils neue und andere Lebensverhältnisse verdankt. Der Glaube entstammt nicht deswegen einem Übersetzungsgeschehen, weil es Schrift, Tradition und Dogma gibt.65 Diese Größen stehen im Dienst dieser Übersetzung, sind aber nicht deren apriorische Bedingung. Als Medien der Weitergabe des Glaubens sind sie zugleich Ausdruck des Umstands, dass das Evangelium darauf angewiesen ist, in jeweils neue Entsprechungsverhältnisse von Gottes Menschenverhältnis übersetzt zu werden!

Für eine angemessene Bestimmung von Funktion und Relevanz der Größen „Schrift – Tradition – Lehramt“ bietet es sich daher an, beim performativen Charakter des „Wortes Gottes“ bzw. der Verkündigung Jesu anzusetzen. Dieser Charakter kennzeichnet die Koinzidenz von Vollzug und Gehalt des Wortes Gottes: Es realisiert, wovon es spricht. Es sagt zu, worüber es redet. Diese Koinzidenz hat kriteriologische Bedeutung für alle bei der geschichtlichen Erschließung und Vermittlung des Evangeliums beteiligten Instanzen.

Die originäre Gegebenheitsweise des „Wortes Gottes“ als performative Zusage unbedingter Zuwendung wird im Prozess der Weitergabe des Evangeliums selbst zum Prüfstein der Übereinstimmung mit seinem Grund und Inhalt. Wer den christlichen Glauben authentisch bezeugen, auslegen und verstehen will, muss sich an der Koinzidenz von Vollzug und Gehalt unbedingter Zuwendung orientieren.

Die Grundfrage einer Topologie des christlichen Glaubens, wie man sich im Modus zeitversetzter Gleichzeitigkeit seines Ursprungs und seines Grundes vergewissern kann, ist vor diesem Hintergrund lösbar, wenn man Jesu Botschaft vom Menschenverhältnis Gottes als Partitur begreift, von der man buchstäblich Gebrauch machen muss. In einer Partitur stecken die Aufforderung und die Anleitung, die Realität und Bedeutung einer Komposition in der Performation der Notenzeichen, d. h. durch den Vollzug einer Handlung („Aufführung“), zu realisieren.66 Eine Partitur macht es möglich, das Werk eines Komponisten über einen großen zeitlichen Abstand hinweg (nahezu) originalgetreu wieder aufzuführen. Wer bei der Uraufführung nicht dabei war, kann gleichwohl zeitversetzt mit dem Geschehen gleichzeitig werden. Anhand einer Partitur lässt sich auch überprüfen, inwieweit spätere Aufführungen in Entsprechung zu einer Komposition stehen. Bei aller gebotenen Werktreue lassen Partituren stets die notwendige Freiheit, hinsichtlich Instrumentierung, Besetzung der Hauptrollen, Aufführungspraxis etc. veränderten Verhältnissen gerecht zu werden. Liegt die Partitur einer Komposition vor, ist es möglich, auf jeweils zeitgemäße Weise dem Anspruch und Gehalt der Komposition zu entsprechen. Eine Partitur wird jedoch um ihren Anspruch und um ihre Wirkung gebracht, wenn ihr Notenbild lediglich unversehrt verwahrt und ihre Verwahrer sorgfältig überwacht werden.

Im Blick auf das performative Verständnis christlicher Verkündigung kann von der Trias „Schrift – Tradition – Lehramt“ gesagt werden, dass sie Konstellationen der performativen Antreffbarkeit des Evangeliums markiert: Die Hl. Schrift bildet die (ursprüngliche) Partitur dieses Geschehens, in der Weitergabe dieser Partitur im Modus ihrer „Aufführung“ in den sich geschichtlich wandelnden Lebensverhältnissen der Glaubenden manifestiert sich der Traditionszusammenhang des Glaubens und die Bedeutung eines Lehramtes macht sich daran fest, die Einheit in der Verschiedenheit unterschiedlicher „Performanzen“ des Evangeliums konsensuell zum Ausdruck zu bringen. Diesen Größen kommt jedoch nur insoweit eine formale Normativität zu, als sie dem performativen Charakter des Evangeliums gerecht werden. Mit diesem performativen Charakter des Ineinsfalls von Zusage und Verwirklichung von Gottes Zuwendung zum Menschen ist die materiale Normativität des Evangeliums verbunden.

Wenn das Verhältnis Gottes zum Menschen als Ereignis unbedingter Zuwendung vergegenwärtigt werden soll, kann dies angemessen nur in der Tradition des Ineinsfalls von Vollzug und Gehalt solcher Zuwendung geschehen. Lediglich in einem instruktionstheoretischen Offenbarungsverständnis (d. h. Offenbarung besteht in einer Mitteilung von Informationen) ist eine andere Lösung möglich. Bei der Vermittlung göttlicher Instruktionen kann der Inhalt des einst Mitgeteilten weitergegeben werden, ohne den ursprünglichen Akt der Mitteilung einer Information wiederholen zu müssen. Hier genügt es, eine originalgetreue Abschrift der ursprünglichen Mitteilung anzufertigen und zu tradieren.67 Wenn aber der Inhalt der Offenbarung mit ihrem Akt koinzidiert, ist es unabdingbar, zum Akt der Offenbarung Zugang zu erhalten. Wenn also Schrift, Tradition und Dogma relevant sein wollen für die Vergegenwärtigung des Glaubensgrundes, dann müssen sie verweisen auf die Reaktualisierung der Einheit von Vollzug und Gehalt der Selbstoffenbarung Gottes.

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