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Ein Jahr als DEFA Mitarbeiter lag jetzt hinter mir. Der August hatte seine sommerlichen Tage an den September weitergegeben und Fortuna war wieder einmal an meiner Seite. Dort wo einst die Stars der UFA residierten, in der lauschigen Umgebung des Griebnitzsees, bekam ich in einer schönen alten Villa eine kleine Wohnung. Auch wenn die Großen aus der Blütezeit des deutschen Films hier nicht mehr wohnten, ihr Geist hatte sich noch nicht ganz aus den Häusern verflüchtigt. Von Marlene Dietrich bis Hans Albers, alle hatten hier ihre Zeit, haben das Bild dieser Gegend atmosphärisch mitgeprägt und ihre ganz individuellen Spuren hinterlassen.
Die Teilung Deutschlands in der Nachkriegszeit hatte zur Folge, dass der Grenzverlauf in diesem Areal mitten durch den Griebnitzsee gezogen wurde, so dass sich die am östlichen Ufer gelegenen Villen dieses Sees seither in staatlicher Verwaltung befanden, und das ebnete der Deutschen Film AG (DEFA) den Weg, einen großen Teil ihrer künstlerischen Mitarbeiter hier anzusiedeln. Autoren, Dramaturgen, Regisseure, Kameraleute, selbst Schauspieler und ein griechischer Schlagersänger, alle hatten hier eine Heimat gefunden. Mein neues zu Hause befand sich unweit vom S- Bahnhof Griebnitzsee, mitten im Grünen und paradiesisch gelegen, auch wenn ein paar hundert Meter weiter die damals noch offene Grenze zu Westberlin verlief.
Mein Zimmer hatte ich spartanisch eingerichtet. Ein alter Kleiderschrank, eine einfache Couch, ein runder Korbtisch mit dazu gehörigem Sessel, alles überflüssiges Mobiliar aus meinem Elternhaus. Mit Hilfe der Dekoabteilung des DEFA Studios gelang es mir ein Drittel des Zimmers durch eine Wand aus grauem Dekostoff, so genanntem Rupfen, abzutrennen und den so entstandenen Miniraum einfach zu meiner Küche zu kreieren. Außer einem Zweiloch Kocher befand sich hinter diesem Verschlag auch ein kleines Waschbecken, welches gleichermaßen als Geschirrspüle, als auch für die morgendliche Katzenwäsche herhalten musste. Das alles war meine kleine Welt, hier fühlte ich mich frei, von hier aus wollte ich fortan die große Welt erobern.
Mein neunzehnter Geburtstag. Wenn ich heute über diesen Tag nachdenke, genauer gesagt über die dazugehörige Nacht, und die Erinnerung die ich daran bewahre, war dies das aufregendste Erlebnis meiner jungen Jahre:
Ein schöner Spätherbsttag war gerade im Begriff sich zu verabschieden. Für die abendliche Geburtstagsfete hatte ich tagsüber alle Mühe aufgewendet, um aus Rotwein, Käse, Weißbrot und Schmalzstullen ein Minibuffet zu kreieren, von dem ich überzeugt war, dass es in seiner Grundausstattung den kulinarischen Erwartungen meiner illustren Gästerunde entsprechen würde. Mein damaliger Freundeskreis war riesig, enthielt alle Schattierungen einer Boheme, oder das was man dafür hielt. Und so kamen sie alle:
Angehende Schauspieler, Tänzer, Halbintellektuelle, Komparsen, noch nicht ganz fertige Kameraleute, als auch flüchtige weibliche Bekannte, mit denen ich die Höhen und Tiefen der Horizontalen noch nicht erfahren hatte. Wie sich schon wenig später herausstellen sollte, ist meiner jungfräulichen Naivität dabei wohl Einiges entgangen.
Kurzum, Septemberabende beginnen bekanntlich früher, können aber unendlich lang sein. Die Mücken versammelten sich bereits säulenförmig unter meinem Fenster, während die letzten Sonnenstrahlen vergebliche Anstrengungen unternahmen, um sich an den Bäumen des Griebnitzsees festzuhalten, bis erste dünne Nebelschwaden sie durchtrennten, um sie sanft mit ihrem Schleier zuzudecken.
Der frühe Abend schob die Dämmerung lautlos vor sich her, als mir klar wurde, dass meine kleine Wohnung bereits restlos überfüllt war, was aber nicht bedeutete, dass der Gästezuwachs nun aufhörte, keineswegs. Wer jetzt noch kam, ließ sich nach kurzer Begrüßung einfach im Treppenhaus nieder, denn die breiten Stufen der zweistöckigen Villa boten dafür eine gute Voraussetzung.
Meine Nachbarn auf der gleichen Etage, ein Dramaturg mit seiner Familie, tolerierten problemlos meine Raum einnehmende Geburtstagsfeier und zogen sich bereitwillig in ihre Wohnung zurück. Damit stand uns fast das ganze Haus zur freien Verfügung, welch wunderbare Voraussetzung für eine Fete, die jeder nach seinen Bedürfnissen ausleben konnte.
Der Treppenabsatz vor meiner Wohnungstür glich schon nach kurzer Zeit einem Versammlungsraum der achtundsechziger Kommunarden. Alle hockten eng nebeneinander, redeten, gestikulierten, rauchten, und schütteten beachtliche Mengen Rotwein in sich rein. Auf den Stufen treppabwärts saßen sich Männlein und Weiblein dicht gedrängt gegenüber, im verbalen Wettstreit bemüht, ihre Anmache durch geistreiche Gespräche spielerisch auf den Weg zu bringen.
Unten im Parterre befand sich eine Besenkammer, die wir Hausbewohner als Abstellraum für alle möglichen Gerätschaften nutzten. In der Ecke dieses Verschlages lehnte schon seit längerer Zeit ein zusammengerollter Teppich, wer ihn dahin gestellt hatte, war nicht mehr auszumachen. Da aber die Kammertür nicht verschlossen war, verwandelte sich der kleine verschwiegene Raum im Handumdrehen für das eine oder andere Pärchen zum Kurzzeitseparée. Obwohl sich keiner der Gäste über seinen erquickenden Aufenthalt in diesem Örtchen direkt geäußert hatte, arbeitete sich die Verschwiegenheit des kleinen Abstellraumes wie ein Lauffeuer treppaufwärts. Und während in meinem Wohnzimmer lautstark die Hauptfete lief, fand in der winzigen Besenkammer der eine oder andere männliche Gast die vermeintlich aufregendste Stelle seiner Partnerin. Hatte sich die Spannung des in der Kammer mit sich beschäftigten Pärchens geräuschvoll gelöst, öffnete sich auch bald die kleine Tür, und wie der Wechsel in einem Taubenschlag, verschwanden die nächsten Turteltäubchen im Dunkel des Verschlages.
Zeitgleich zu den unten in der Besenkammer zahlreich stattfindenden Vermehrungsversuchen, konnte der aufmerksame Beobachter oben in meinem Zimmer eine völlig andere Art sexuellen Begehrens ausmachen. Auch hier verflüchtigte sich bisweilen ein Pärchen, allerdings nicht hinter einer Tür, die es ja nicht gab, sondern gleich hinter die Rupfenwand in meine Miniküche. Glücklicherweise hatte das durch diesen Raumteiler abgetrennte Zimmerdrittel keine eigene Beleuchtung, ausgenommen die schwache Glühbirne über dem Waschbecken und die hatte gerade mal die Leuchtkraft einer Öllampe. Im matten Schimmer dieser Funzel bot sich willigen Pärchen deshalb eine eben so gute Gelegenheit, ungestört ihre mehr oder weniger intimen Erfahrungen auszutauschen.
Unter den weiblichen Gästen meiner illustren Runde konnte man schon eine vielfältige Mischung von Berufen ausmachen. Im Durcheinander meines Zimmers vereinten sich Tänzerin und Regieassistentin mit Näherin und Kellnerin, also ein durchaus breit gefächertes Spektrum, aus dem ich einige der Mädchen zwar flüchtig von Tanzabenden im Babelsberger Ratskeller kannte, aber andere hingegen waren mir völlig fremd.
Unter den flüchtigen Bekanntschaften fiel mir allerdings ein Mädchen sofort ins Auge. Bemerkenswert die wohlgeformten Proportionen ihres Körpers, ihre kurz geschnittenen Haare, die das ebenmäßige, rundliche Gesicht wundervoll einrahmten und ihrem Antlitz zu einer harmonischen Symmetrie verhalfen. Sinnigerweise nannte man sie „Spatz“ aber das war auch schon alles, was ich von ihr wusste. Auffällig an ihr aber war etwas, das ich bis heute nicht vergessen habe: Eine geheimnisvolle Aura umflorte sie, sie roch verführerisch nach einem betörenden französischen Parfüm.
Als ich wieder einmal nach einer Treppenhausvisite nach oben in mein Zimmer drängte, hatte ich sofort diesen alles durchdringenden Geruch in der Nase, und das bei dem durchdringenden Gestank nach Suff und Zigarettenrauch, doch ich wusste auch gleich, wem dieser erotisierende Duft zuzuordnen war.
Meine Zimmertür stand halb offen, verdeckte genau den Einblick in meine abgetrennte Miniküche, in der ich die Quelle dieses Duftes auch sofort vermutete. Als ich die Tür weiter öffnen wollte wurde mir allerdings klar, dass ich damit dem hinter meiner spanischen Wand mit sich beschäftigten Pärchen keinen Gefallen tun würde. So ließ ich einfach die Tür wie sie war, zog mich wieder dezent zurück und mischte mich ganz unauffällig unter den lautstarken Teil der prall gefüllten Zimmerrunde.
Mit Rotweinglas in der Hand ruderte ich durch das Gemenge der Tanzenden und klemmte mich auf eine der übrig gebliebenen Kanten meines dicht belagerten Sofas. Gelangweilt musterte ich zunächst die gegenüberliegende graue Rupfenwand und verglich die Aktfotos der aufgeklebten Filmposter mit meinem schlichten, selbst gemalten weiblichen Akt, den ich jetzt aus der Distanz heraus besonders kritisch in Augenschein nehmen konnte.
Hatte ich Halluzinationen, oder begann die Wand plötzlich ein Eigenleben zu entwickeln? Aus meiner tiefsinnigen Betrachtung gerissen, suchte ich plötzlich nach einer Erklärung für die seltsame Verformung des Stoffes und wurde zunehmend unsicher. In kurzen regelmäßigen Abständen begann sich der Dekostoff meiner künstlichen Wand genau in Höhe meines Kunstwerkes beängstigend auszubeulen. Neugierig geworden sprang ich auf und schlängelte mich durch die Tanzenden hindurch auf die atmende Wand zu, um einen vorsichtigen Blick dahinter zu wagen.
Was ich jetzt sah, überraschte mich schon ein wenig, denn man unternahm hier gerade permanent den Versuch, meinem stillen Akt neues Leben einzuhauchen. Trotz der innigen Körperverknüpfung konnte ich zweifelsfrei ermitteln, wer hier in unzweideutiger Weise miteinander beschäftigt war. Mit dem Rücken an mein Waschbecken gelehnt, den Kopf verzückt in den Nacken geworfen, stand, mit heruntergelassenen Hosen und in einer Haltung, die demonstrativ schon eine künftige Größe erahnen ließ, der Schauspielstudent Wolf Lauchstedt.
Dicht vor ihm, in einer durchaus demütigen Haltung, kniete Spatz, und das Rot ihrer Lippen mühte sich gerade um das Beste, was Wolf ihr zu bieten hatte. Dabei ging ihr kurz geschnittener Bubikopf von rhythmischer Wollust diktiert auf und ab, als befände sie sich vor einer buddhistischen Gebetsmühle. Akustisch untermalten Wolfs Schlachtrufe, zwar leicht unterdrückt aber anfeuernd, diese obskure Szenerie: „Ja, ja weiter, ja genau, ja!“ Von Spatz war hingegen nur ein unterdrücktes Schmatzen zu vernehmen, und so zog ich mich vorsichtshalber wieder zurück, um mich wieder lautlos unter meine Gäste zu mischen.
Auf der anderen Seite meines Zimmers angelangt war ich mir jetzt ganz sicher, dass es zweifelsfrei der Hinterkopf der Knienden gewesen war, der ständig in gleichmäßigem Rhythmus meine Rupfenwand verformt hatte. Dass dadurch mein Kunstwerk genau an einer bestimmten Stelle nachgegeben hatte, kurioserweise da, wo sich der Hintern meines weiblichen Aktes dem Betrachter entgegenstreckte, blieb für mich einfach ein erheiternder Nebeneffekt. Spätestens jetzt wurde mir klar, dass es in meinem Haus zwei Separées gab, in denen jeder nach seinen individuellen Bedürfnissen der schönsten Sache der Welt nachgehen konnte.
Zufrieden und beruhigt ruderte ich wieder, mein Rotweinglas durch das Knäuel der Tanzenden balancierend, auf meine Sofaecke zu, und war voller Überzeugung, ein guter Gastgeber zu sein. Auf neue Abenteuer hoffend ließ ich mich wieder völlig entspannt zwischen all den Diskutierenden auf mein Sofa fallen, nippte an meinem Glas herum und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Angespannt lauschend versuchte ich vorbeiflüchtende Musikfetzen aufzufangen, wollte mich voller Hingabe auf das durchdringende Röhren des Souls einlassen, der trotz seiner Intensität große Mühe hatte, durch das akustische Stimmengewirr des Raumes hindurch bis zu mir vorzudringen.
Als ich nach einer ganzen Weile vergeblichen Lauschens wieder aufsah, konnte ich unter den Rauchschwaden meiner Hängeleuchte auf einmal seltsame Bewegungen ausmachen und mein Blick heftete sich wie gebannt auf den glockenförmigen Dunstschleier in der Mitte meines Zimmers.
Im Zentrum dieses Lichtkegels erkannte ich Gitti, eine Tänzerin aus dem DEFA Ballett, und sah voller Bewunderung, wie sie genau unter dem nebligen Dunst der Lampe ihre aufregend erotischen Bewegungen nach der nicht weniger aufregenden Musik von Janis Joplin zelebrierte. Kurz vor meiner Fete hatte ich von einem Freund ganze achtzehn verbotene Titel dieser einzigartigen Sängerin auf Band überspielt und sie in meinen Musik Mix eingebaut. Röhrend beendete J.J. gerade den Titel May baby, und nahtlos folgte der sechseinhalb Minuten lange, einschmeichelnde Song Work me, Lord.
Alles um mich wurde zur Nebensache, verschwand geradezu im Nichts. Plötzlich war ich wie von Sinnen, fand es durchaus erregend nur der Musik zu lauschen und gleichzeitig wie hypnotisiert den Bewegungen dieser magischen Tänzerin zuzusehen. In ihrem eng anliegenden schwarzen Trikot glichen Gittis Bewegungen beinahe einer Cobra. Ihr schlanker Körper bog sich, machte schlängelnde Bewegungen, als wolle sie sich um einen Baum winden, zog sich wieder zusammen, um sich aber im selben Moment wieder blitzartig aufzurichten.
Fasziniert konnte ich beobachten, mit welcher Hingabe sie jede ihrer anmutigen Bewegungen ausführte, wie perfekt sie ihren Körper beherrschte. Ich war mehr als beeindruckt von der Anziehungskraft dieser Gestik, die ihresgleichen suchte, und nahm mir fest vor, sie nach dieser überaus sinnlichen Darbietung unbedingt in irgendein Gespräch zu verwickeln. Die Gelegenheit dazu ergab sich unerwartet schnell, wenn auch anders als ich es vorhatte:
Der nachfolgende Jazztitel löste unter der Besatzung meines Sofas eine kribbelige Unruhe aus. Wer nicht gerade knutschend an seiner Partnerin hing sprang auf, weil er sich von dieser Musik zwingend zum Tanzen animiert fühlte. Mir ging es nicht viel anders, und besonders als sich der Titel Take Five, gespielt von Dave Brubeck zu mir durchswingte, konnte mich keiner mehr davon abhalten, meinem Sofa augenblicklich den Rücken zu kehren. Es war und blieb einer meiner Lieblingstitel. Diesem Rhythmus wollte ich mich hingeben, wollte um alles in der Welt mit dieser einzigartigen Tänzerin und dieser Musik eins sein, sinnlich mit ihr verschmelzen.
All meinen Mut zusammennehmend ging ich mit schlotternden Knien, halb in Trance, wie von Geisterhand geführt auf Gitti zu und bat sie, ohne dass auch nur ein Wort fiel, um diesen Tanz. Ihr Lächeln mit dem sie mich jetzt anstrahlte, dass ich nicht einmal im Traum erwartet hätte, war einfach bezaubernd, und für mich die personifizierte Einladung. Zum Greifen nahe stand jetzt ein Wunschtraum dicht vor mir, strich die langen schwarzen Haare schwungvoll nach hinten, kam mit großen leuchtenden Augen einen winzigen Schritt auf mich zu, um ganz behutsam ihre Arme um meinen Hals zu legen. Keinerlei Widerspruch duldend, drängte mich Gitti sehr bestimmend hinein in die swingende Tanzrunde. All meine anfänglichen Zweifel waren auf einmal wie weggefegt, hatten jegliche Blockade und sogar mein ängstliches Zögern von mir genommen. Mutiger geworden schlang ich meine Arme um ihren schlanken Körper, verschränkte sie nach unten gleitend um ihre zierliche Taille und hakelte meine Hände zu einem festen Verschluss zusammen. So ineinander verknotet, wollte ich das eingeschlossene Glück um nichts in der Welt mehr hergeben.
Fest umschlungen, wie Liebende die nicht mehr voneinander lassen können, wiegten wir uns trunken zu den Takten des typischen Zwischenparts, der in dieser einmaligen Musik wiederkehrend ist. Obwohl bei diesem Titel das rhythmisch Swingende dominiert, lässt er, als sei es so gewollt, durchaus intime Nähe zwischen einem Tanzpaar zu. Trotz der lauten Musik und dem atmosphärischen Stimmengewirr ermöglichte mir die so entstandene Körpernähe fortan auch einen weitaus intimeren Gesprächsaustausch. Wir fühlten uns beide losgelöst von der Masse der Tanzenden und konnten uns all jene Gedanken ins Ohr flüstern, die unsere Gefühle gerade bewegten.
Dass sie der DEFA Ballettgruppe angehörte, war mir ja bekannt, weniger aber, dass sie seit geraumer Zeit mit dem Schauspieler Gero Ziesche verheiratet war, der gerade das letzte Studienjahr in der Schauspielklasse der Babelsberger Filmhochschule absolvierte. Sehr viel später, in den achtziger Jahren, habe ich ihn näher kennen gelernt, als Schauspieler in der Krimiserie Polizeiruf 110, habe aber nie mit ihm über mein Erlebnis mit Gitti gesprochen.
Sieht man einmal vom gesellschaftlichen Hintergrund meiner illustren Gästerunde ab, der man wohl alles andere als einen vom Kapital dominierten Hintergrund zurechnen konnte, so wehte über diesem Abend auch ohne die Macht des Geldes ein zarter Hauch von dolce Vita. Es war ganz einfach eine Nacht voller Ausgelassenheit, voller Lebensfreude und grenzenloser sexueller Freiheit, was zu dieser Zeit in der kleinen Republik keinesfalls symptomatisch und schon gar nicht selbstverständlich war.
Gittis animalische Nähe nahm mir an diesem Abend all die tief eingegrabenen Ängste, die Hemmungen und Verklemmungen, und mit jedem ihrer Blicke wurde sie mir vertrauter. Je enger sie sich an mich schmiegte, und je mehr ich die Wärme ihres Körpers spürte, umso mehr spürte ich ihre Energie, von der allmählich auch mein Körper vereinnahmt wurde. In meinem tiefen Inneren rumorte zwar noch ein winziges Zittern, die noch vorhandenen Rudimente meiner chronischen Ehrfurcht vor dem weiblichen Körper, vielleicht aber auch der aus dem Elternhaus stammende religiös geprägte, genetische Defekt, der mitunter in Restbeständen durch mein Unterbewusstsein geisterte. Irgendwann aber konnte ich mein Verlangen sie zu küssen, nicht mehr länger unterdrücken.
Gitti musste meine Verklemmungen gespürt haben, denn ihre mandelförmigen Augen vollzogen plötzlich einen Wandel, sahen mich geradezu herausfordernd an. Tief in ihnen konnte ich für einen Moment ein schwaches Licht ausmachen, wie eine winzige Kerzenflamme, die in einem dunklen, engen Raum flackerte. Ängstlich versuchte ich anfangs noch Gittis verlangendem Blick standzuhalten bis ich merkte, dass mich die um meinen Hals verschränkten Arme mit spürbarer Hingabe enger an ihren warmen Körper zogen, einfach keinen Widerstand mehr duldeten. Gleichermaßen spürte ich, wie sich ihr heißer Atem meinem Mund näherte, und als gäbe es Nichts um uns herum, wiegten wir uns, als wären wir ganz allein auf der Welt unter dem schwachen Schimmer meiner Deckenlampe im Rhythmus der Musik. Als Gittis Lippen mich jetzt zärtlich berührten, waren all meine Hemmungen wie ein Windhauch verflogen, ich fühlte mich dazu bereit, wollte mich ihr allein hingeben, von nun an ihre Zärtlichkeiten zulassen.
Ganz vorsichtig schob sie ihre Zunge in meinen halbgeöffneten Mund und mir war, als fechte sie in mir ein Duell, und als die Verschlingungen zunehmend heftiger wurden, ergab ich mich einfach dem Sog des Verlangens. Vielleicht waren es auch nur wenige Sekunden, sie erschienen mir in diesem Augenblick wie eine Ewigkeit. Bei dieser intensiven oralen Vereinigung spürte ich irgendwo tief in mir einen unsagbar süßen Schmerz. Während all dies mit mir geschah, flammte in mir brennendes Begehren auf, ein Gefühl wie ich es bisher so nicht gekannt hatte. Dabei drehten wir uns weiter im Kreis, wiegten uns harmonisch im Takt dieser überaus sinnlichen Musik, ließen unsere Körper geradezu miteinander verschmelzen, jeden Tropfen Körperflüssigkeit aus uns heraussaugend, so als wären wir am Ertrinken, bis die Kraft des Zungenschlags allmählich erlahmte, ihre Lippen sich langsam von meinem Mund lösten, und sanft über mein Ohr gleitend zu flüstern begannen.
Obwohl ihr heftiges Atmen etwas abgeklungen war, schien ihre Erregung wieder anzusteigen, als sie begann leise von Gero zu erzählen. In ihrem Flüstern schwang sogar ein wenig Traurigkeit mit, als sie mir anvertraute, wie ihre Beziehung schon nach dieser kurzen Zeit des Zusammenlebens wieder unmerklich zu zerbröckeln begann, wie sich anfängliches Begehren in schlichte Alltagsgewohnheit verwandelt hatte. Ich erfuhr, dass er total unsensibel im Umgang mit Gefühlen geworden sei, dass sie sich oft über Kleinigkeiten stritten, dass bei jeder Gelegenheit der typisch mecklenburgische Sturkopf in ihm durchkam, an dem sich ihre fein gegliederte Sensibilität stets aufs Neue aufrieb. Der winzig verbliebene Rest von Zuneigung drohte an seiner nüchternen, geradezu unterkühlten Auffassung von Partnerschaft beinahe zu zerschellen. Knisternde Erotik, wie ich sie gerade erleben durfte, hatte es zwischen ihnen eigentlich nie gegeben. Sex war etwas Beiläufiges, Notwendiges, gehörte eben einfach zu einer normalen Beziehung, und war ohnehin, so Geros Auffassung, Bestandteil der ehelichen Pflichten.
Während sie mir all diese Offenbahrungen ins Ohr flüsterte, spürte ich, wie ein Schauern meinen Körper durchlief, denn im Gegensatz zu Gittis Mann empfand ich ein Knistern, wie es erotischer nicht sein konnte. Mein ganzer Körper vibrierte geradezu. Von diesem Moment an hatte ich keinerlei Zweifel mehr an Gittis Zuneigung, war sogar der festen Überzeugung, dass die in mir aufgekommene Hochspannung zeitgleich auch mein Gegenüber erreicht haben musste und gerade im Begriff war, wie ein Stromstoß tief in sie einzudringen. Das Zuraunen all dieser Vertrautheiten verdrängte in mir auch den kleinsten Hauch von Zweifel, deutlich konnte ich jetzt spüren, wie Gittis Schlangenkörper mich umzingelt hielt und sich ganz eng an mich schmiegte.
Wie vom Blitz getroffen verlor ich aus heiterem Himmel auf einmal die Kontrolle über mich und meinen Körper, war wie benommen, wollte erst dagegen ankämpfen, mich aufbäumend dagegen wehren, musste jedoch erkennen, dass alle Anstrengung, meine aufkommende sexuelle Erregung zu unterdrücken, vergeblich war. Mein ohnmächtiger Versuch, schnell noch die Notbremse zu ziehen, im allerletzten Moment wenigstens eine winzige Distanz zwischen unseren Hüften herzustellen, weil ich eine solch auffällige Begehrlichkeit von mir überhaupt nicht kannte, sogar als zutiefst unangenehm empfand, scheiterte schlicht an der realen Existenz meines plötzlich erwachten Sexualorgans.
Gitti hatte diese begehrliche Veränderung an meinen Unterkörper sofort bemerkt, löste ihren rechten Arm von meinem Hals, ließ ihn über meinen Hintern gleiten und drückte mich kraftvoll mit beiden Händen ganz fest an ihren Körper:
„Lass nur, ich mag es, wenn du mich begehrst!“ Diese sehr bestimmend in mein Ohr geflüsterten Worte wirkten auf mich geradezu ermunternd, zumal mich ihre zarten Hände dabei mit ganzer Kraft eng an ihren warmen Schoss gedrückt hielten. Taumelnd registrierte ich irgendwann das Schwinden meiner Sinne, merkte gerade noch, wie sich alles in mir aufzulösen schien.
In einem letzten wachen Moment dachte ich kurz daran, mit ihr hinter meine künstliche Wand zu verschwinden, so wie Spatz und Wolf es getan hatten, irgendetwas aber hielt mich letztlich davon ab. War es wieder einmal dieser respektvolle Umgang mit der tiefen Zuneigung, mit der allzu großen Achtung vor dem Phänomen Frau, vor dem weiblichen Körper, oder war es eher das Festhalten dieses wunderbaren Augenblicks? In diesem Moment wusste ich einfach gar nichts mehr. Alles rationale Denken hatte aufgehört, wurde jetzt ungebremst und ausschließlich von Emotionen gesteuert. Ich verlor mich, Körper an Körper mit Gitti vereint, ließ mich fallen, hinein in einen Sinnesrausch, benommen, trunken, einfach nur süchtig nach Liebe.
Gittis Lippen glitten über mein glühendes Gesicht, hauchten in mein Ohr, saugten sich förmlich an ihm fest. Ihre Zunge bohrte sich tiefer und tiefer in meine Höhlung, heftiger werdend ihr Atem. Gleichzeitig aber spürte ich ihre rechte Hand, die sich ganz vorsichtig zwischen unsere aufgeheizten Körper schob, mein Spannung geladenes Körperteil erreichte, und merkte ganz deutlich, wie ihre Finger mit sanftem Druck über meine sensibelste Stelle hinweg glitten. In der Bewegung ihrer Hand lag jetzt etwas Geheimnisvolles, so als gingen von ihren Fingerspitzen unsichtbare Fäden aus, die in mir einen völlig neuen Zeitbegriff webten. Zärtlich wiederholte sie ihre Streicheleinheiten bis ich, erst zögerlich dann aber mit Nachdruck begann, meine rechte Hand gefühlvoll zwischen ihren Venushügel zu schieben. Zentimeter für Zentimeter näherten sich meine zitternden Finger ihrer aufgeheizten Vulva, der vorsichtigen Versuchung erlegen, durch langsam auf und abgleitendes Streicheln in ihre tiefsten Geheimnissen vorzudringen.
Durch die dünnen Nylons hindurch erfühlte meine zittrige Hand, wie die feuchte Wärme ihres Schosses nach und nach auch meinen ganzen Körper durchströmte, sich mit meiner aufgestauten Hitze zu vereinen drohte. Im gleichen Moment aber musste ich erkennen, dass alle Bemühungen meine Beherrschung rational steuern zu wollen, mit einem Schlag außer Kraft gesetzt wurden. Gleich einem Vulkan schoss ein heißer Strom durch mich hindurch, der den ganzen Hitzestau implodierend in sich zusammenfallen und meinen ganzen Körper erzittern ließ. Gleich einem Lavastrom, suchte er sich den nicht mehr zu unterbindenden Weg nach außen.
Es war der unvermeidbare Samenerguss, der mich jäh aus dem Trancezustand herausriss und mit einem Schlag wieder in die Wirklichkeit zurückkatapultierte. Im selben Augenblick wünschte ich in den Boden zu versinken, so peinlich war mir in diesem Moment das unbeherrschte Reagieren meines Körpers. Gitti hielt mich noch immer fest umschlungen, unternahm alles Erdenkliche um mich wieder zu beruhigen, flüsterte mir lauter Zärtlichkeiten ins Ohr und bat mich ganz leise, das Streicheln ihrer erogenen Zone doch in jedem Fall fortzusetzen. Zuerst zögerte ich, schaute etwas unsicher in die Runde. Da aber keiner von den Tanzenden um mich herum auch nur das Geringste mitbekommen hatte, unternahm ich jetzt den zaghaften Versuch, bemüht bei meinem Vorgehen ganz behutsam zu sein, durch zärtlich streichelnde Bewegungen, Gittis begehrlicher Aufforderung so gut es ging nachzukommen. Fortan wiegten wir uns eng umschlungen wie ein unzertrennliches Liebespaar, sorgfältig bemüht im Takt der Musik zu bleiben, bis ich schon nach kurzer Zeit auch bei ihr ein Gefühl von Erlösung erspüren konnte.
Take Five ging zu Ende, nicht aber unsere verschmelzende Umklammerung. Bevor jedoch der nächste Musiktitel begann, versuchten wir schnell eine Nische in der Ecke vor dem Sofa zu erhaschen, was zwischen den dicht gedrängt sitzenden Gästen gar nicht so einfach war. Schließlich gelang es uns unter dem Fenster vor dem Heizkörper eine winzige Ecke auszumachen, in die wir uns eng aneinander geschmiegt fallen lassen konnten.
Irgendwie fühlte ich mich ermattet und innerlich sogar ein wenig ausgebrannt, und überlegte jetzt krampfhaft, wie es mir aus dieser benachteiligten Sitzposition heraus gelingen könnte, ein erlösendes Getränk für uns beide aufzutreiben. Durch auffällige Gesten versuchte ich meinem Umfeld verständlich zu machen, was uns zur Vervollständigung unseres Glückszustandes einfach noch fehlte, und erst nach mehrmaligem Anlauf wurde endlich mein flehentliches Bitten erhört. Man reichte uns durch die vielen kleinen Sitzgruppen hindurch zwei Senfgläser mit Rotwein, die über Köpfe hinweg balanciert, endlich über Umwege ihr Ziel erreichten.
Die Trinkbecher mit beiden Händen fest umschlossen, so als würde man uns dieses kostbare Gut gleich wieder wegnehmen wollen, berührten sich lautlos unsere Gläser, hinterließen dabei kaum einen Klang, weil sich unsere Finger verhakelt hatten, jeden störenden Laut unterdrückten, einfach nicht mehr voneinander lassen wollten.
Unendlich lange sahen wir uns tief in die Augen, küssten uns innig, zärtlich liebkosend, taten alles um diesen wundervollen Augenblick festzuhalten und ließen, unsere Körper fest in der Umklammerung, den ersten Schluck des Weines ganz langsam auf uns einwirken. Unsere Oberschenkel ineinander geschoben, die Gläser auf den Knien ruhend, saßen wir uns schweigend eine geraume Zeit gegenüber. Nur aus weiter Ferne nahm ich die Gespräche der Anderen wahr, wie nebulöse Wortfetzen an meinen Ohren vorbeischwirrend, im absorbierenden Dunst des Raumes verendend. In diesem Zustand war ich für jeden klaren Gedanken unfähig, weil innerlich viel zu aufgewühlt.
Gitti hatte ihre Augen halb geschlossen, ihr Kopf nur scheinbar schlafend, ruhte dicht angeschmiegt auf meinen Schultern. Diese neuen starken Gefühle beschäftigten mich jetzt ungeheuerlich, rasten durch meinen Kopf, fuhren geradezu Achterbahn. Langsam versuchte ich sie wieder für mich zu sortieren, sie auszuloten, in geordnete Bahnen zu lenken. Trotzdem war ich ein wenig verunsichert, fragte mich, welchen Platz würde Gitti wohl zukünftig einnehmen, schließlich war sie ja noch an Gero gebunden.
Das Sortieren meiner Gefühle, das lethargische Schweigen, aus heiterem Himmel unterbrach Gitti plötzlich meine geistige Abwesenheit, indem sie mir ganz spontanen einen Kuss aufdrückte und mich, keinen Widerspruch duldend, erneut zum Tanzen drängte. Erfrischt als wäre sie einem Bad entsprungen, zog sie mich durch das dichte Knäuel der Tanzenden bis in die Zimmermitte direkt unter den Dunstschleier der Lampe, verschränkte ihre Arme um meinen Hals und dirigierte mich, wie ein Wildpferd am Lasso hängend, mitten hinein in das kleine Zentrum der Lebenslust.
Wir plauderten aufgekratzt über alles was uns gerade in den Kopf kam, tanzten schwerelos, losgelöst von allem Irdischen, ich schwebte wie eine leichte Wolke über meiner kleinen großen Welt. Als könnten wir nie wieder voneinander lassen, glitten wir von einem Tanz zum anderen hinein das Glück des Vergessens, bis wir total ermattet, uns gegenseitig stützend, wieder zurück auf unsere Sofaecke rutschten. Beide waren wir ausgebrannt, mussten erst einmal verschnaufen, griffen nach den Gläsern, tranken mit gekreuzten Armen, so als hätten wir uns eben erst kennen gelernt, erzählten uns alberne Geschichten, lachten wie kleine Kinder, ausgelassen, befreiend, voll der Überzeugung, in diesem einzigartigen Moment wird die Kraft der Liebe die Zeit für uns anhalten.