Читать книгу: «Caromera», страница 3
„Heute Nacht bleibst du auf jeden Fall hier. Ist das in
Ordnung für dich?“
Das Mädchen sah ihn mit zweifelndem Blick an. Sie schien nicht glauben zu können, was sie aus seinem Mund gehört hatte. Noch einmal nahm sie einen Schluck von der warmen Milch.
Dann endlich nickte sie.
Das Lächeln in ihren Augen würde Bogwin für lange Zeit im Gedächtnis bleiben.
Rosalie hatte für das Kind, ein wenig Rindersuppe heiß gemacht, zu der sie das Kind überreden konnte. Mit Mühe war es ihr gelungen, das Kind aus einem Schlaf zu wecken, in das es gefallen war, kaum dass sie die Milch ausgetrunken hatte.
Der Versuch, das Kind in die Badewanne zu bekommen gelang ihr jedoch nicht. Kaum hatte das Mädchen, das auf den Namen Edna hörte, die Suppe aufgegessen, fiel es auch schon wieder in das Kissen zurück, wo es augenblicklich eingeschlafen war.
Rosalie gelang es, ihr die Jacke auszuziehen, um sie dann wieder in die wohlig warme Decke einzuwickeln. Es bestand kein Zweifel, dass Edna bis zum nächsten Morgen durchschlafen würde.
Bogwin hatte sich in der Zwischenzeit in die Küche begeben, wo Rosalie ihn vor einer Tasse Tee sitzend vorfand. Er hatte sich eine seiner selten gewordenen Pfeifen angezündet und saß mit nachdenklichem Gesicht am Küchentisch.
Rosalie sagte beim Betreten der Küche: „Was für ein Glück, dass du die Kleine gefunden hast. Mein Gott, sie ist ja vollkommen fertig. Ich hab noch nie ein so abgemagertes Kind gesehen!“
Bogwin stieß den Rauch seiner Pfeife aus, hob seinen Kopf und sah seine Frau an. Sein Gesicht zeigte tiefe Furchen.
Ohne auf die Worte seiner Frau einzugehen, sagte er: „Ich hätte niemals gedacht …, es auch nur für möglich gehalten, dass es in Prudencia einmal so etwas geben würde. Ein Kind, das auf der Straße leben muss. Halb verhungert!“ Er schüttelte den Kopf. „Ich frage mich, wie sie es geschafft hat so lange, ohne Eltern zu überleben.“
Rosalie sah Tränen in den Augen ihres Mannes.
Wann hatte sie ihren Mann das letzte Mal weinen sehen?
Sie konnte sich nicht daran erinnern.
Mit langsamen leisen Schritten ging sie auf ihn zu, legte ihre Hände auf seine Schultern und küsste ihn auf die Stirn.
Sie wusste nur zu gut, was in diesem Moment in ihm vorging.
„Ja, es ist furchtbar“, erwiderte sie. „Wer hätte gedacht, dass es in unserem Land einmal so etwas geben könnte?“ Sie schüttelte verwundert den Kopf. Rosalie kniete sich neben ihren Mann hin, umfing ihn mit ihren Armen und legte ihren Kopf auf seine Beine. Bogwin sah stumm vor sich hin, während er eine Hand auf den Kopf seiner Frau gelegt hatte. Noch einmal nahm er einen Zug von seiner Pfeife. Diese Pfeife noch. Er wusste nicht, wann er wieder einmal in den Genuss kommen würde.
Schließlich sagte er: „Ich muss eine sehr delikate
Entscheidung treffen.“
Sie wartete einen Moment lang ab. Als er schließlich nicht weiterredete, fragte sie ihn: „Willst du darüber sprechen?“
Sie hörte, wie er einen tiefen Zug von seiner Pfeife nahm.
„Wie gerne würde ich mit dir darüber reden meine Liebe.
Aber ich kann es nicht, darf es nicht.
Rosalies Stirn legte sich in Falten.
„Ist es denn so schlimm“, fragte sie ihren Mann.
Bogwin antwortet nicht, nickte nur bejahend mit dem
Kopf.
Nachdem er seine Pfeife zu Ende geraucht und seinen Tee getrunken hatte, schlug er vor, dass sie noch einmal nach dem Mädchen sehen sollten. Vorsichtig öffneten sie einen Spaltbreit die angelehnte Tür und sahen das
Mädchen schlafend vor.
„Morgen früh müssen wir sie von Dr. Campbell untersuchen lassen. Ja, nachdem sie etwas gefrühstückt hat und sie ein Bad genommen hat“, meinte Rosalie. „Das halte ich für eine ausgezeichnete Idee“, musste
Bogwin mit einem Lächeln zugeben.
Er lag in dieser Nacht noch lange wach. Immer wieder ging er in Gedanken das Gespräch mit Hauptman durch. Immer wieder stellte er sich die gleichen Fragen, auf die er, auch nachdem er sich diese zum hundertsten Mal gestellt hatte, keine Antwort fand.
Erst gegen Morgen, als der Himmel sich allmählich von einem dunklen Schwarz, in ein heller werdendes Grau verwandelte, fiel er in tiefen Schlaf.
Die Unterredung
Bogwin hatte sich nach zwei weiteren fast schlaflosen Nächten dazu entschlossen sich vor der Zeit wieder mit Hauptman zu treffen.
Mit fest entschlossenen Schritten ging er spätabends die verlassenen Straßen entlang. Wieder fiel ihm der Schmutz auf, der die einst so sauberen Straßen dieser ehemals so properen Stadt verunzierte. Wieder wurde ihm bewusst in welch verheerender Situation, sie sich alle befanden.
Doch sein Entschluss stand fest.
Als er an der Tür Hauptmans klopfte, sah er sich verstohlen nach links und rechts um. Es wäre ihm, aus welchen Gründen wusste er selbst nicht unangenehm gewesen, wenn man ihn um diese Zeit hier sehen würde.
Von innen hörte er Schritte, die sich gemächlich der
Tür näherten.
Hauptman selbst öffnete die Tür und bat ihn einzutreten.
Als dieser die Tür wieder geschlossen hatte, sagte dieser: „Ich habe nicht erwartet, sie so früh wieder begrüßen zu dürfen, werter Amtskollege. Doch freue ich mich über ihren Besuch.“
Hauptman ging Bogwin voraus, bat ihn, mit einer einladenden Handbewegung ihm zu folgen. Kurze Zeit später betraten sie dessen Arbeitszimmer.
„Bitte, nehmen sie doch Platz“, forderte Hauptman ihn auf.
„Brandy?“
Bogwin lehnte dankend ab.
Bogwin spürte, wie sich Unruhe in seinem Inneren regte. Hauptman goss sich selbst ein Glas ein, ging langsam hinter seinen Schreibtisch zurück und setzte sich. Nachdem er einen Schluck vom Brandy gemacht hatte, sagte er: „Nun, womit habe ich diese unerwartete und schnelle Freude verdient?“
Bogwin sah in dessen Augen, dass er sich keineswegs darüber freute ihn wiederzusehen.
Die Gleichgültigkeit in dessen Augen, war nur zu deutlich erkennbar.
Schnell schob er den Gedanken beiseite. Er hatte nicht vor allzu lange in dessen Gegenwart verbringen zu wollen.
„Ich habe reiflich darüber nachgedacht, worüber wir das letzte Mal gesprochen haben“, begann Bogwin. „Sehr schön“ erwiderte Hauptman mit einem Lächeln auf den Lippen, dass kälter nicht hätte sein können.
„Und wie stehen sie nun zu der Sache?“
Bogwin erkannte die Ungeduld in der Stimme Hauptmans, der wieder einen Schluck von seinem Brandy nahm. „Ich fühle mich außerstande, mich diesem Vorhaben anzuschließen. Es muss eine andere Möglichkeit geben, die Misere, in der wir uns befinden, zu beseitigen.“ Als er seinen Kopf hob, um Hauptman anzublicken, sah er, wie diesem das Lächeln auf seinem Gesicht gefror. „Das ist ausnehmend bedauerlich“ hörte er Hauptman sagen, der sein Glas wieder zum Mund hob.
„Wirklich ausnehmend bedauerlich!“
„Ich kann so ein …, Vorhaben mit meinem Gewissen einfach nicht vereinbaren. Ein Menschenleben auszulöschen, damit ein anderes gerettet werden kann.
Das ist nicht richtig!“
Grabesstille füllte mit einem Mal den Raum.
„Wir haben nicht das Recht Gott zu spielen.“ „Aber, aber werter Ratskollege“, sagte Hauptman. „Wer hat denn gesagt, dass wir uns dergleichen anmaßen wollen?“
„Nun“, begann Bogwin einzuwenden. „Genau das wäre es doch.“
Hauptman hob abwehrend die Hand.
„Nicht doch“, sagte er.
„Alles was zur Debatte stand, war, viele Menschenleben zu retten“.
„Ja, welches ihrer Meinung nach nur möglich wäre, wenn wir andere dafür opfern würden.“
Hauptman wandte den Kopf ab. So sehr er sich auch darum bemühte seine Enttäuschung, nicht zu zeigen, konnte er es doch nicht verhindern, dass seine Mundwinkel für einen Moment nach unten sanken.
„Nun, wie ich sehe, werter Kollege, können sie sich für die …, Idee, die ich ihnen und unserem Kollegen Lampert das letzte Mal unterbreitet habe, nicht erwärmen.“
Wieder nahm Bogwin dieses eiskalte Lächeln, auf
Hauptmans Gesicht war.
„Absolut nicht“, antwortete Bogwin.
„Nun ja“, setzte Hauptman an. „Es war ja nur so eine …,
Idee, nicht wahr.“
„Es war wohl mehr wie nur eine Idee“, widersprach Bogwin.
„Sie haben etwas von einem Serum erzählt, in dessen
Besitz sie sind.“
Erstaunt sah Bogwin, wie die selbstsichere Fassade Hauptmans zu bröckeln begann.
„Da müssen sie etwas falsch verstanden haben, werter
Kollege. Absolut falsch!“
Das zurückgekehrte Lächeln auf dem Gesicht Hauptmans, so es auch zu sehen war, hatte nichts mehr von seiner Arroganz, die es ansonsten zu zeigen gewohnt war.
Bogwin wurde es zu viel. Er musste raus aus diesem Raum, diesem Haus, weg von diesem Mann.
Bogwin stand auf, strich sich seinen Mantel zurecht. „Hören sie Herr Ratskollege, um der gemeinsamen Sorge um unser Land willen. Sollten sie wirklich im Besitz eines solchen …, Stoffes sein ...!“
„Werden sie ihn los. Und zwar so, dass er niemanden schaden kann und wir vergessen die ganze Sache!“ Kaum hatte Bogwin den Satz beendet, stand Hauptman auf und ging auf ihn zu.
Jeder Muskel in Bogwins Körper begann sich anzuspannen.
„Lieber Kollege, seien sie versichert“, begann er zu Bogwin zu sagen.
„Sie haben da etwas völlig falsch verstanden. Es wird nichts das was sie irrtümlicherweise vermutet haben geschehen. Es gibt keinen solchen …, Stoff, noch war jemals geplant einen solchen zum Einsatz zu bringen.
Wie können sie nur annehmen?“
„Also wirklich …!“
Die Unverfrorenheit mit der er lächelnd alles abstritt, wie er mit strahlend lächelndem Gesicht auf ihn zukam, verblüffte Bogwin.
„Kommen sie mein Freund. Es ist spät, lassen sie uns ein andermal darüber beraten, was wir weiters tun können.“
Hauptman war nahe an ihn herangetreten, fasste ihn wie einen alten Freund an der Schulter.
„Kommen sie, ich begleite sie zur Tür.“
Bogwin drehte sich um, ließ sich verblüfft von Hauptman zur Tür des Arbeitszimmers begleiten. Unten an der Tür öffnete Hauptman diese und verabschiedete Bogwin mit den Worten: „Also werter
Kollege. Ich wünsche ihnen noch einen angenehmen Abend. Und seien sie versichert, alles ist in bester Ordnung.“ Bogwin trat auf die Straße, zu verblüfft, um einen klaren Gedanken fassen zu können.
Er hatte nur noch eines im Sinn. Schnell von diesem Ort wegzukommen.
Hauptman ging mit schnellen Schritten zurück in sein Arbeitszimmer. Dort warteten bereits die beiden Männer, die er zuletzt mit der Beschattung seiner beiden Amtskollegen beauftragt hatte.
Wohlweislich schloss er die Tür hinter sich. „Es gibt da ein Problem, um das es sich zu kümmern gilt“, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. „Wir müssen die beiden aus dem Weg räumen. So schnell wie nur möglich.“
Mit wutverzerrtem Gesicht ging er auf die beiden
Männer zu.
„Lasst es wie einen Unfall aussehen“, sagte er zu einem der beiden.
„Haben sie etwas besonders im Sinn“, fragte ihn einer der beiden.
Hauptman war an seinen Tisch getreten, wo er sich mit beiden Händen darauf stemmte. Einen Moment lang dachte er nach.
„Fackelt sein Haus ab“, sagte er. „Das von Bogwin und das von Lampert gleich dazu!“
Alles dahin
Edna stand neben seinem Bett.
Heftig zog und rüttelte sie am Oberteil seines Pyjamas, bis er aufgewacht war. Erschrocken sah er sie an. Schon wollte er sie fragen, was los sei. Ein heftiger Hustenanfall hinderte ihn daran. Erst da sah er den dicken Qualm, der den ganzen Raum erfüllte. Von Panik erfasst rollte er sich seitlich aus dem Bett. „Rosalie“, schrie es in seinem Kopf, als ihn wieder ein heftiger Hustenanfall zu schütteln begann.
Edna klammerte sich an ihn.
„Herr, es brennt unten ganz schlimm“, hörte er sie schreien, während er versuchte, mit einem Arm nach seiner Frau zu greifen, die sich nicht bewegte.
„Rosalie“, rief er wieder. Doch auch nach dem zweiten Rufen zeigte sie kein Anzeichen, dass sie ihn gehört hatte.
Endlich schaffte er es, sich aufzurichten. Mit einer Hand, die er sich vor Nase und Mund hielt, griff er über das Bett und begann wieder an Rosalie zu rütteln.
Nichts.
Plötzlich drangen von der Tür her seltsame Geräusche zu ihm. Er warf einen schnellen Blick zu dieser und sah, dass unter dem Türspalt kleine orangefarbene Flammen durchzüngelten. Die Tür schien zu ächzen. Er sah Blasen an der Innenseite, die sich schnell aufblähten.
Das Atmen fiel ihm immer schwerer.
Hinter ihm brach Edna in heftiges Husten aus.
Mit einem Ruck richtete er sich auf, lehnte sich mit
dem Oberkörper über das Bett, um weiter am Nachthemd seiner Frau zu rütteln. Auch diesmal gelang es ihm nicht, sie wach zu bekommen. Er sah in ihr Gesicht und meinte, die Zeit sei stehengeblieben.
Bewegungslos lag er mit dem Oberkörper auf dem Bett.
Mit einer Hand hielt er den Oberarm seiner Frau. Sie hatte die Augen geschlossen. Da wusste er, dass sie nie wieder die Augen öffnen würde.
Als er sich später daran erinnerte, fiel ihm wieder der Gedanke ein, der ihm in diesem Moment durch den Kopf ging: „Leg dich einfach wieder hin. Leg dich neben sie und lass es gut sein!“
Doch da war Edna. Dieses kleine abgemagerte Ding, dass er erst vor wenigen Stunden mit nach Hause gebracht hatte und das nun an ihm rüttelte.
„Herr, bitte kommt“, schrie sie. „Wir müssen hier weg!“
„Seltsam“, dachte er sich später.
„Ich kann mich nicht erinnern, dass ich in diesem
Moment irgendetwas gefühlt habe.“
Keine Angst, keine Panik, nicht der Wunsch, so schnell wie möglich aus dem Zimmer zu kommen.
Er wusste, dass Rosalie tot war. Die Frau, mit der er seit über 30 Jahren verheiratet war. Was also sollte es? Wozu noch weitermachen?
Wieder rüttelte Edna an ihm, mit einer Kraft, die er dem kleinen mageren Ding nicht zugetraut hatte.
Da ließ er den Arm seiner Frau los und glitt mit dem
Oberkörper vom Bett.
Edna klammerte sich mit aller Kraft an ihn.
„Wir müssen hier raus“, schoss es ihm durch den Kopf.
An der Innenseite der hölzernen Tür fraßen sich die Flammen empor. Der Rauch wurde immer dichter. Plötzlich barst ein Fenster. Wieder und wieder hieb jemand von außen auf den noch vorhandenen Rahmen ein.
„Ist jemand da drin“, schrie jemand von außerhalb.
„Hallo!“
Bogwin rappelte sich von seinen Knien auf, griff sich Edna und stolperte blindlings zum Fenster. Schlagartig spürte er die kalte Nachtluft, die durch das zerstörte Fenster strömte.
„Hier“, stöhnte er und hob das schwer hustende Mädchen hoch.
„Hier ist jemand“, schrie der Feuerwehrmann, der sich weit nach vorne beugte, um nach Edna zu greifen.
„Komm her meine Kleine“, sagte dieser.
Edna streckte die Arme aus. Der Feuerwehrmann griff sie und drückte sie fest an sich.
„Komm, ich bring dich schnell nach unten“, sagte der Feuerwehrmann und begann mit Edna die Sprossenleiter nach unten zu steigen.
Bogwin versuchte, so gut es ihm möglich war, sich aufzurichten. Er zog die von draußen hereinströmende Luft gierig in seine Lunge. Mühsam hielt er sich mit beiden Händen an der Fensterbank und gerade, als er versuchte, sich mit letzter Kraft hochzuziehen, fiel er vornüber und schlug mit dem Kopf gegen die Wand.
Ohnmächtig sank er zu Boden!
Später, es war bereits Nachmittag, erwachte er in einem Zimmer, das ihm gänzlich unbekannt war. Benommen sah er sich um. Mit wenigen Blicken erkannte er, dass er sich in keinem Krankenzimmer befand.
Sein Schädel brummte und wieder begann er heftig zu husten. Sein Atem, den er in seiner vorgehaltenen Hand riechen konnte, roch nach Rauch. Ihm wurde übel und er versuchte, sich aufzurichten. Augenblicklich wurde ihm schwindelig und ließ sich wieder zurück auf das Kissen sinken.
Eine Tür wurde geöffnet und er sah verschwommen, dass eine Gestalt auf ihn zukam.
„Freund“, hörte er eine Stimme sagen. „Wie schön, dass sie endlich wieder aufgewacht sind!“ Er erkannte die
Stimme Lamperts.
„Wo bin ich hier“, fragte Bogwin ihn.
Lampert setzte sich auf die Bettkante. Als Bogwin wahrnahm, dass dieser nicht sofort antwortete, fragte er ihn wieder: „Es hat gebrannt. Wo bin ich denn hier?
Was ist denn los?“
Lampert legte ihm eine Hand auf den Unterarm. „Wir haben sie in Sicherheit gebracht“, ließ dieser ihn wissen.
Langsam kam die Erinnerung wieder zurück.
„Was ist mit dem Mädchen?“
„Sagen sie mir bitte …!“
„Das Mädchen befindet sich im Nebenzimmer. Es geht ihr gut. Wer ist die Kleine überhaupt?“
Bogwin schloss wieder seine Augen. Die Erinnerung, all das was geschehen war, schwappte über ihn.
Edna, die panisch versuchte, ihn aufzuwecken, wie er+0 versucht hatte Rosalie zu wecken, die Tür, die in Flammen stand …!
„Ihr Haus ist vollständig niedergebrannt“, hörte er
Lampert sagen.
„Genauso wie meines!“
Bogwin riss die Augen auf, sah ihn mit entsetztem Blick an.
„Aber wie kann das sein? Beide Häuser zur gleichen
Zeit!“
Lampert gab darauf keine Antwort.
Erst jetzt nahm er wieder den Raum wahr, in dem er lag.
„Und warum bin ich nicht in einem Krankenhaus?“
„Dort wollte man sie auch hinbringen“, sagte Lampert.
„Ich war gerade zu Besuch bei Freunden, als mich die Nachricht erreichte, dass ihr Haus in Flammen stand. Ich bin sofort zu ihrem Haus gelaufen, wo man mich angetroffen hat. Und wo man mich davon unterrichtet hat, dass auch mein Haus in Flammen steht!“ Der Schwindel, der Bogwin für kurze Zeit verlassen hatte, befiel ihn wieder. Er griff sich an den Kopf.
Alles drehte sich darin.
„Wir können nicht lange hierbleiben“, hörte er Lampert sagen.
„Was soll das heißen“, wollte Bogwin von ihm wissen. „Ich denke, wir sind beide in Lebensgefahr. Oder glauben sie wirklich das unsere beiden Häuser zufällig zur gleichen Zeit, in der gleichen Nacht abgebrannt sind?“
Verwundert sah Bogwin ihn an.
„Sie meinen …“, begann er.
„Sie glauben, man hat unsere Häuser absichtlich in
Brand gesteckt?“
Er konnte den Gedanken kaum fassen.
„Ja das denke ich“ bestätigte ihm Lampert.
„Aber, dann müssen wir die Polizei davon unterrichten.“ „Das werden wir auch. Doch im Moment ist es wichtiger, dass wir am Leben bleiben.“
„Aber wer …!“ Bogwin beendete den Satz nicht. Lampert sah seinen Freund an. Dessen Blick bestätigte den Verdacht, den er selbst hatte.
„Schnell, wir müssen hier weg. Ich bin überzeugt, dass man bereits nach uns sucht!“
Bogwin konnte die Panik in der Stimme Lamperts hören. „Sie glauben, dass er wirklich vorhat es noch einmal zu versuchen“, fragte Bogwin ihn.
Erst da wurde ihm der zuvor noch unausgesprochene
Gedanke zur Wirklichkeit.
Das Gespräch mit Hauptman. Ihrer beider Besuch bei diesem. Natürlich musste er dafür sorgen, dass sie beide nicht redeten!
Angst erfasste ihn. Angst, die ihm die nötige Energie gab, sich aufzurichten und der Aufforderung seines Freundes Folge zu leisten.
„Aber …, wo sollen wir denn hin“ fragte Bogwin ihn.
„Ich habe dafür gesorgt, dass man uns raus aus der Stadt bringt“, ließ Lampert ihn wissen.
„Ich habe einen guten alten Freud, der dafür sorgt, dass wir fürs erste sicher sind. Aber wir müssen uns beeilen!“
„Das Mädchen“, rief Bogwin erschrocken.
„Wir müssen das Mädchen unbedingt mitnehmen. Sie hat doch sonst niemanden, der sich um sie kümmert!“ Lampert hielt ihm ein paar Kleidungsstücke hin und sagte: „Hier ziehen sie das an. Schnell!“ Bogwin nahm die Kleidungsstücke, sah einen Moment verwundert darauf. Erst da fiel ihm auf, dass er noch immer seinen Pyjama trug.
Nach einem Moment des Zögerns begann er sich anzuziehen.
„Machen sie sich um das Mädchen keine Sorgen. Wir werden sie natürlich mitnehmen“, hörte er Lampert sagen.
Fertig angezogen und mit Edna an der Hand, schlichen sie zur Hintertür des Hauses hinaus, in dem er noch nie zuvor gewesen war. Draußen, in der kleinen Seitengasse, stand ein Wagen.
„Schnell, steigt ein“, riet Lampert.
„Auf den Hintersitz. Und duckt euch, so dass euch niemand sehen kann!“
Bogwin tat wie ihm geheißen. Er schob Edna, die keinen Laut von sich gab in den Wagen und stieg dann selbst ein.
Lampert stieg vorn ein und tat es ihnen nach.
„Miguel, fahren wir“, hörten die beiden Lampert zu dem Mann sagen, den sie zuvor nur für ein paar Sekunden wahrgenommen hatten.
Der Wagen begann sich zu bewegen, rollte langsam vorwärts, bis er aus der Seitengasse bog. Schnell nahm er Fahrt auf.
Hinten auf der Rückbank drückte Bogwin das kleine
Mädchen an sich.
Tränen traten ihm in die Augen.
Was sollte nun werden? Wie würde es weitergehen?
Fragen, die ihm Angst machten.
Da sah er auf Edna, die sich vertrauensvoll an ihn drückte.