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Читать книгу: «Inselwelt. Zweiter Band. Australische Skizzen.»

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I.
Buschtreiben

1. John Mulligan

In früheren Jahren war Australien nichts, als eine Verbrecher-Colonie, und immer neue Schiffsladungen voll Missethäter wurden von England aus hinübergeschickt. Zugleich aber gingen auch einzelne freie Ansiedler mit in das ferne Land, die sich, unbekümmert um das rohe Gesindel umher, bleibend da niederließen und Ackerbau oder meist Viehzucht trieben. Ihr Leben dort verlief aber nicht so glatt und einförmig, wie das jetzt wohl der Fall ist, wo sie sich um wenig mehr, als ihre Felder und Heerden, zu kümmern haben.

Auch die Polizei – obgleich sie in Australien selbst heute noch nicht ruhen darf – hatte mehr zu thun, als die unsrige – wenn ich auch nicht sagen will, daß sie sich mehr beschäftigte – und die kühnsten und unternehmendsten Leute wurden ihr eingereiht. Es galt aber auch damals nicht nur nächtlichen und scheuen Dieben aufzulauern, sondern oft den entsprungenen und zur Verzweiflung getriebenen Sträflingen draußen im Freien zu begegnen, und in dem weiten, wilden Lande gehörte dazu nicht allein eine zähe Ausdauer, sondern auch ein fester Muth, der vor keiner Gefahr zurückbebte.

Die Polizei war deshalb auch – und ist es dort bis auf den heutigen Tag – militairisch organisirt, und die Polizeiofficiere hatten vollkommen freie Hand, nach eigenem Gutdünken mit hinreichender Mannschaft oft gar nicht unbedeutende Streifzüge zu unternehmen. Man mußte sie eben von leeren Förmlichkeiten entbinden, um ihr freie Hand zu lassen, dem Augenblicke nach zu handeln; denn wie häufig kam es gerade vor, daß der Augenblick eben erfordert wurde, einen entscheidenden Streich gegen irgend eine der im Walde zerstreuten Banden entflohener Verbrecher zu unternehmen.

Unter diesen Polizeileuten zeichnete sich besonders ein gewisser Tolmer aus, der noch jetzt im Adelaide-District lebt und thätig ist. Nicht allein keck jeder Gefahr entgegengehend, die sich ihm in den Weg stellte, hatte er auch in dem Buschleben mit Schwarzen und Verbrechern eine Menge werthvolle Erfahrungen gesammelt, und wo ein schwieriges Unternehmen ausgeführt werden sollte, wo irgend ein verzweifelter Bursche verschwunden blieb und nun durch neue Verbrechen dafür sorgte, daß sein Andenken nicht ganz erlosch, da wurde gewöhnlich der damalige Polizeisergeant Tolmer abgeschickt, ihn aufzuspüren. Wenn es irgend möglich war, führte der seinen Auftrag aus.

In Adelaide, oder wenigstens in der Nachbarschaft, hatte ich das Vergnügen, mit Mr. Tolmer bekannt zu werden, und die nachfolgenden Skizzen eines abenteuerlichen Zuges, den er einmal nach einer unsern dem australischen Festlande liegenden Insel unternahm, und der ihn zum Lieutenant beförderte, habe ich aus seinem eigenen Munde. – Ich will versuchen, es so treu als möglich wiederzugeben.

Schon vor längerer Zeit waren ein paar lebenslänglich verurtheilte Deportirte aus dem Gefängnisse ausgebrochen und in den »Busch« geflohen. Anstatt aber allein darin umherzuwandern, wo sie sich gewöhnlich nicht lange halten konnten, ging das Gerücht, sie hätten sich einem Stamme der Schwarzen angeschlossen und hälfen diesem, die benachbarten und in ihrem Bereiche liegenden Stationen belästigen.

Berittene Polizei wurde augenblicklich dorthin beordert, und es gelang dieser auch, den bezeichneten Stamm Eingeborener aufzufinden und zu zerstreuen, aber von den weißen, sogenannten Buschrähndschern1 fand sich keiner bei ihnen vor. Die Burschen hatten sich jedenfalls, als sie merkten, daß ihr Aufenthalt bei den Schwarzen nicht mehr gesichert war, irgend wo anders hingewandt, und ein volles Jahr lang blieb jeder Versuch, sie wieder aufzufinden, vergeblich.

Tolmer hielt sich nach dieser Zeit wieder in Adelaide auf und hatte eben wieder einen Transport von Flüchtlingen eingebracht, die sich eine Weile in den Dickichten der Hindmarsh-Sümpfe umhergetrieben. Die früher entsprungenen Verbrecher waren schon fast vergessen worden, da man nicht anders glaubte, als daß sie Mittel und Wege gefunden hätten, mit einem Boot in See zu gehen, um vielleicht nach Neuseeland hinüberzufahren oder auch ein unterwegs getroffenes Schiff anzurufen. Einzelne waren schon auf diese Art entkommen.

Tolmer glaubte übrigens nicht daran. Wenn er auch keinen bestimmten Platz wußte, wo er sie suchen sollte, konnte er den Gedanken nicht aufgeben, sie noch auf australischem Boden zu wissen, und unterließ in der ganzen Zeit nicht, die sorgfältigsten Nachforschungen anzustellen, wenn diese auch fortwährend erfolglos blieben.

So saß er eines Abends in dem am häufigsten besuchten Hotel in Adelaide bei einer Flasche Ale. Mehrere Stationshalter aus der Nachbarschaft, die in die Stadt gekommen waren, theils neue Weidegründe zu belegen, theils Vieh und Pferde zu verkaufen, saßen mit im Zimmer, und das Gespräch drehte sich um das Land im Inneren, die muthmaßliche Nutzbarkeit und Besiedelung desselben, die jetzige Bevölkerung und – wie das in Australien damals nicht ausbleiben konnte – um das Recht der Regierung, noch weitere Sträflinge herüberzuschicken. Schon damals nämlich strebten die australischen Colonieen danach – was sie auch später erreichten – daß das System, Verbrecher von England herüberzusenden, aufgegeben und Australien eine wirkliche Colonie von freien Einwanderern würde. Das pro und contra wurde dann, sowie das Gespräch einmal auszweigte, auf das Lebhafteste debattirt, denn es gab eine Menge von Ansiedlern, denen die Sträflingsarbeit sehr bequem und einträglich war und die sie nicht missen wollten. Diejenigen, die das Sträflingssystem bekämpften, führten dann nicht mit Unrecht zu ihrem Gunsten an, welche Massen schlechten, nichtsnutzigen Gesindels sich, in entlassenen oder halb begnadigten Verbrechern, über das ganze weite Land verbreiteten und nicht allein die Sicherheit der ehrlichen freien Bewohner gefährdeten, sondern auch dem unbemittelten Einwanderer eine schwere und kaum zu bekämpfende Concurrenz bereiteten. Nur von dem freien Einwanderer hatte deshalb Australien einmal zu hoffen, daß es ein mächtiges und reiches Land werden könne.

Unter den Gästen befand sich auch ein Stationshalter von der südlich vom Adelaide-District liegenden Känguruh-Insel, die damals erst seit sehr kurzer Zeit von den Engländern wirklich in Besitz genommen war. Auch nur Einzelne hatten sich dort drüben niedergelassen, und zwar nur in der Hoffnung, daß die ziemlich ausgedehnte Insel einmal später größere Bedeutung erlangen solle, wodurch ihre dort angelegten Besitzungen auch an Werth und Wichtigkeit gewinnen würden.

Dieser eiferte besonders gegen das Verbrecher-System, trotzdem daß es ihnen in der Schafschur, wie er gern eingestand, willkommene Arbeiter lieferte. Jetzt aber sei man, wie er behauptete, selbst auf diesem entlegenen und durch einen Seearm von den eigentlichen Verbrecherstationen getrennten Theile der Colonie doch nicht sicher, solchem Gesindel jeden Augenblick im Busche zu begegnen, und er gehe immer mit Sorge und Angst von Hause fort, daß einmal während seiner Abwesenheit irgend etwas vorfallen könne, was die Sicherheit der Seinen gefährde.

Tolmer, als Regierungsbeamter, hatte sich nicht in das Gespräch gemischt und nur schweigend den verschiedenen Bemerkungen und Ansichten gelauscht; als sich aber die übrigen Gäste nach und nach verloren und die Unterhaltung auch schon lange auf andere gleichgültige Gegenstände übergewechselt war, setzte er sich zu dem Ansiedler von der Känguruh-Insel und unterhielt sich auf das Lebhafteste mit ihm über die dortigen Aussichten späterer Cultur, über Weiden und Ackerbau und – die Möglichkeit, Arbeiter zu den verschiedenen und nöthigen Verrichtungen zu bekommen. Eine directe Frage über das, was ihm eigentlich am Herzen lag, that er aber nicht, und zwar aus Gründen, die wirklich nur ein Australier begreifen würde.

Der Mann sah vollkommen anständig aus und Tolmer bezweifelte keinen Augenblick, daß er ein Stationseigenthümer von jenem Eiland sei, aber – sie befanden sich in Australien und Tolmer hatte schon zu oft erfahren, daß man Niemandem, was seine frühere Existenz betraf, trauen dürfe, besonders nicht in der damaligen Zeit. Die dem äußeren Anscheine nach anständigsten Leute waren oft als »Deportirte« herübergekommen, und wenn sie auch später nicht mit den »Buschrähndschern« gemeinsame Sache machten, hüteten sie sich doch wohl, dieselben zu verrathen – theils vielleicht aus Mitgefühl, theils vielleicht auch wohl aus Furcht vor einer möglichen Rache derselben.

Der Mann hatte allerdings mit dem größten Eifer gegen das fortgesetzte System gesprochen, verbrecherische und gezwungene Ansiedler nach Australien zu bringen, das aber stellte noch gar nicht fest, daß er nicht in näherer Beziehung zu diesen stand, wie er jetzt vielleicht eingestehen mochte. War das aber wirklich der Fall, so konnte eine unbewacht hingeworfene Frage mehr verderben, wie sich leicht wieder gut machen ließ, und war es nicht so, nun, so hatte er eben nichts verdorben oder versäumt.

In der Unterhaltung und durch geschickte Fragen bekam er übrigens doch heraus, daß sich gerade in der Nachbarschaft von »Mr. Lindsay's« Station einige Individuen aufhielten, die von der Jagd und vom Fischfang lebten und keine feste Ansiedelung ihr eigen nannten, und über diese etwas Näheres zu erfahren, war er jetzt fest entschlossen. Das aber mußte auf andere Art geschehen, als durch einfache Fragen.

Tolmer hatte in Adelaide einen Polizeisoldaten Borris, auf den er sich in jeder Hinsicht verlassen konnte. Borris war noch ein junger Mann, aber in seinem Fach, dem er schon seit sechs Jahren vorstand, ausgezeichnet und außerdem erst seit ganz kurzer Zeit von Sidney hierher versetzt, also jenen Verbrechern noch vollständig unbekannt.

Sein Plan war bald gemacht. Borris sollte als gewöhnlicher »Bündelmann«2 nach der Känguruh-Insel hinübergehen und dort als Schäfer oder Hüttenwächter oder was immer, Beschäftigung bei Mr. Lindsay, und wenn das nicht anginge, ganz in der Nachbarschaft suchen. Dort blieb es ihm dann selber überlassen, alle möglichen und nützlichen Erkundigungen über seine Nachbarschaft einzuziehen, und wußte er, was er wissen wollte, so konnte er wieder nach Adelaide herüberkommen und selber Bericht abstatten. Tolmer warnte ihn aber besonders davor, einen Brief zu schreiben, wenn sich nicht eine ganz günstige Gelegenheit fand ihn zu befördern. Das Schreiben an und für sich war überdies schon gefährlich, denn wurde er dabei von irgend Jemandem gesehen, so mußte Verdacht gegen ihn rege werden. Ein ordentlicher und richtiger »Bündelmann« kann nie mehr schreiben, als höchstens seinen Namen – und selbst den nicht immer.

Borris war übrigens klug und gewitzt genug, um in dieser Hinsicht vollständiges Vertrauen zu verdienen. Er wußte, was man von ihm verlangte, und das genügte; das Weitere besorgte er schon selber.

Mr. Lindsay blieb noch einige Tage in Adelaide; die Zeit benutzte Borris, seine nöthigen Einrichtungen zu treffen, und schiffte sich dann, mit einem ticket of leave, das ihm Tolmer ausfertigen ließ, versehen, nach seinem Bestimmungsorte ein. Mit einem solchen ticket wurde er von allen Ansiedlern geduldet und bei der Menschenclasse, unter der er sich besonders umsehen sollte, galt es als vollständiger Freipaß, ihm unbedingt zu vertrauen – war er doch Einer der Ihrigen.

Borris war somit spurlos von Adelaide verschwunden, denn drüben auf der Insel nannte er sich, der Verabredung gemäß, Jack, und Monat nach Monat verging, ohne daß Tolmer wieder etwas von ihm gehört hätte. War ihm am Ende gar ein Unglück zugestoßen? – Hatte er sich verrathen oder ihn Jemand doch erkannt? – Tolmer wurde schon unruhig und dachte daran, einen zweiten Boten hinüberzusenden, um Gewißheit über das Schicksal des ersten zu bekommen. Das war aber nicht nöthig.

Eines Morgens trat Borris, in seiner Buschtracht, wie er eben ankam, in des sehr erfreuten Tolmer Zimmer, und die Beiden blieben dort mehrere Stunden eingeschlossen in eifrigem Gespräch.

Das Resultat seiner Entdeckungsreise war auch insofern ein günstiges, daß er die Gewißheit brachte, daß auf der Insel eine Anzahl verdächtiger Individuen lebte. Ob es nun gerade jene Verbrecher waren, deren Spur Tolmer schon so lange vergebens verfolgt, war schwer zu bestimmen. Die Beschreibung des Einen von ihnen, der einen gewissen Einfluß auf die Uebrigen auszuüben schien, paßte aber ziemlich genau auf den Verwegensten der Flüchtlinge, einen gewissen John Mulligan, dem man damals besonders auf der Spur gewesen, und hielt sich dieser jetzt dort drüben versteckt, so hatte er auch seine Genossen sicher in der Nähe. Jedenfalls war es der Mühe werth, jene Gesellen aufzuheben und zur Rechenschaft zu ziehen, denn sie brandschatzten in neuerer Zeit wieder die Stationshalter, tödteten von den Heerden, was sie für ihren eigenen Bedarf brauchten, ohne sich viel um irgend ein Eigenthumsrecht zu kümmern, und hatten sogar neulich einen Einbruch auf einer Station versucht – allerdings ohne Wissen und, wie Borris behauptete, gegen den Willen ihres Führers, der kluger Weise Alles vermied, was die Aufmerksamkeit der Regierung auf sie lenken konnte.

Tolmer selber war damals noch nie auf Känguruh-Eiland gewesen und kannte das Terrain gar nicht; Borris beschrieb es ihm dabei als diesen, außer den Gesetzen lebenden Menschen außerordentlich günstig, so daß es große Schwierigkeiten haben möchte, sie wirklich einzufangen, wenn sie vorher gewarnt wären. Die größte Vorsicht blieb deshalb noch immer nöthig. Darnach handelte Tolmer.

Mit einem Regierungscutter durften sie nicht hinüberfahren und drüben anlegen; die Kunde davon würde sich blitzesschnell über die ganze Insel verbreitet haben. In Adelaide lag aber gerade ein kleiner Schooner, der neuseeländischen Flachs von Aukland geholt hatte und den man recht gut für eine solche Fahrt bekommen konnte. Der Gouverneur gab auch augenblicklich seine Erlaubniß dazu und bewilligte die nöthigen Mittel, und drei Tage später segelte der Schooner mit Mr. Tolmer und zehn Leuten, auf die er sich vollständig verlassen konnte, an Bord. Diese hatte er theils als Bündelleute, theils als Matrosen gekleidet und alle weiteren Pläne aufgeschoben, bis er an Ort und Stelle selber das Terrain kennen gelernt hätte.

Der Schooner ging in Ballast, angeblich Wolle von drüben abzuholen und nach irgend einem der australischen Haupt-Stapelplätze, Sidney, Adelaide oder Melbourne, hinüberzuschaffen.

Borris hatte übrigens seinen hiesigen Aufenthalt vortrefflich angewandt, sich mit allen Schlichwegen im benachbarten Busche genau bekannt zu machen. Von Lindsay dabei nur mit dessen Erlaubniß auf Urlaub fortgegangen, konnte es natürlich nicht auffallen, daß er diese Gelegenheit benutzt, mit diesem Schooner zu seiner Station zurückzukehren. Er trat auch, so wie das kleine Fahrzeug landete, augenblicklich wieder in seine Stelle ein und verabredete sich nur vorher mit Tolmer, diesen wieder an Bord zu sprechen, wobei er sorgen wolle, daß Mr. Lindsay ebenfalls hinüberkäme.

Borris hatte Lindsay, ohne sich selber dabei zu verrathen, als einen durchaus rechtlichen und thätigen Mann kennen gelernt, von dem sie nicht zu fürchten brauchten, daß er sie verrathen würde. Besser blieb es aber immer, daß er so spät wie irgend möglich in ihren Plan eingeweiht wurde, und die Zeit war jetzt gekommen.

Der Schooner ankerte gerade der Stelle gegenüber, an der Lindsay's Station lag, und Tolmer, ebenfalls in Matrosenkleidung und mit glatt rasirtem Gesicht, um sich so viel als möglich unkenntlich zu machen, fuhr an Land, ließ sich bei Mr. Lindsay melden und frug an, ob der Gentleman seine Wolle vielleicht auf dem Schooner nach Adelaide verladen möchte.

Lindsay, der ihn nicht mehr kannte, nahm ihn mit in das Haus, und hier entdeckte sich ihm Tolmer, erklärte ihm, daß er gedenke, die Insel von allem Gesindel zu befreien, und bat ihn um seine Hülfe.

Der Squatter schien erst keine rechte Lust zu haben, darauf einzugehen, denn mißlang der Versuch, und wurde es bekannt, daß er die Polizei unterstützt hatte, so durfte er sich darauf verlassen, daß die Buschrähndscher sich an ihm rächten. Tolmer aber überredete ihn leicht, diese unnöthige Besorgniß schwinden zu lassen, und Lindsay versprach wenigstens, ihn gegen Abend auf seinem Schooner zu besuchen, dort – vollkommen sicher vor jedem Horcher – alles Weitere zu besprechen. Borris wollte er dann mitbringen.

Das geschah. Lindsay hatte ein eigenes Boot und ließ sich von Borris hinüberrudern, angeblich, etwas Tabak und einige andere Kleinigkeiten zu kaufen, die im Busch gebraucht wurden. Von seinen Leuten gehörte allerdings keiner mit zu den Buschrähndschern, oder würde sich ihnen angeschlossen haben. Sie Alle wußten aber, wo jene lagerten, und hätten sie nur den geringsten Verdacht geschöpft, daß das kleine Handelsfahrzeug da draußen von Polizei bemannt sei, so wären die »mates« im Busch augenblicklich gewarnt worden.

Das Nähere, was jetzt Tolmer über die hier versteckten Verbrecher erfuhr, war, daß sie nicht mehr zusammen in einem Trupp wohnten, sondern sich vor etwa acht Tagen in Folge eines Zankes getrennt hätten. Mulligan – Lindsay kannte den Namen genau – hauste in einer kleinen Rindenhütte, etwa vier oder fünf englische Meilen von Lindsay's Station entfernt, und die Uebrigen, wie Lindsay meinte und auch Borris bestätigte, »buschten« es – d. h. sie hatten ihr Lager bei dem schönen Wetter mitten im Busch und unfern von einem kleinen Bach aufgeschlagen, da sie noch unentschieden sein mochten, welcher Richtung sie sich zuwenden sollten.

Borris wußte nur von fünfen, Lindsay behauptete aber, daß es im Ganzen sieben wären, John Mulligan mit zweien seiner Anhänger in der Rindenhütte und die vier Anderen, die draußen im Walde lagerten. Diese Trennung der Schaar mußte ihrem Plan nur förderlich sein, denn sieben entschlossene und zur Verzweiflung getriebene Menschen konnten einem so kleinen Trupp Polizei schon einen gefährlichen Widerstand entgegensetzen, noch dazu, da sie Alle gut bewaffnet waren. In zwei verschiedenen Trupps ließen sie sich aber weit leichter bewältigen, und die Männer beschlossen, am nächsten Morgen vor allen Dingen der Rindenhütte einen Besuch abzustatten, um gleich im Anfang den gefährlichsten von ihnen, John Mulligan, unschädlich zu machen.

Zu diesem Zweck mußte der Schooner aber wieder vor Tag unter Segel gehen, damit die Besatzung nicht in Sicht der Station zu landen brauchte. Lindsay bezeichnete ihnen weiter gen Osten ein kleines Vorgebirge, wo sie wieder beilegen konnten. Dort befanden sie sich nur höchstens anderthalb englische Meilen von John Mulligans Hütte, und Borris sollte sie an der Stelle erwarten, während Lindsay zu Pferde sie später im Busch selber traf. Je früher sie dabei aufbrachen, desto besser, denn um so viel sicherer durften sie erwarten, die Hüttenbewohner noch Alle zu Hause zu finden.

Nachdem dies verabredet war, fuhr Lindsay wieder mit Borris an's Land zurück.

Am nächsten Morgen war der Schooner von seinem Landungsplatz verschwunden, ohne daß irgend Jemand Notiz davon genommen hätte. Derartige Fahrzeuge kamen oft an die Küste und hielten sich nie länger an einem Orte auf, als sie hoffen durften, ein Geschäft zu machen.

Borris hatte noch am Abend von Lindsay zum Schein einen Auftrag bekommen, mit einem Brief nach einer benachbarten Station hinüber zu gehen, und Mr. Lindsay ließ sich, wie er das gewöhnlich that, Morgens in aller Frühe sein Pferd satteln und ritt in den Busch. Dem Koch3 sagte er, daß er zum Frühstück zurück sein werde.

Genau nach der Verabredung hatte Tolmer auch gehandelt, traf mit Borris an der besprochenen Stelle zusammen und schlug sich dann rasch mit seiner kleinen, bis an die Zähne bewaffneten Schaar in den Busch, wo ihnen Mr. Lindsay begegnete.

Nach kurzem Marsch erreichten sie die Gegend, in welcher die Hütte stand. Zu weiterer Führung wollte sich aber der Squatter nicht verstehen.

»Ihr wißt nicht,« sagte er, »was für ein verzweifelter Mensch dieser Mulligan ist, und fangt Ihr ihn nicht, so fahrt Ihr nachher wieder ruhig nach Adelaide hinüber, und wir haben die Geschichte hier auszubaden. Ich kann auch mein Pferd hier nicht anbinden, und nähme ich es mit, hörten sie uns schon von Weitem. Dort gleich hinter jenem Dickicht liegt die Hütte – ich selber will nach Cooley's Station hinüberreiten – Ihr wißt, wo das ist, Borris. Habt Ihr den Mulligan, so kommt und laßt mich's wissen« – und damit wandte er sein Pferd und hielt langsam quer durch den Busch der Richtung zu, wo er die Straße wieder erreichen mußte.

Tolmer murmelte einen Fluch zwischen den Zähnen durch. Fest entschlossen aber, das einmal Begonnene auch durchzuführen, ob mit oder ohne fremde Hülfe, gab er seiner kleinen Schaar die nöthigen Befehle, und rückte jetzt langsam und vorsichtig mit ihnen weiter, bis sie in Sicht der Hütte kamen.

Diese, wie tausend ähnliche im Busch, bestand nur aus einem leichten Gestell von Pfosten, mit Latten übernagelt, und mit breiten Stücken Rinde des Stringybark-Baumes gedeckt. Eben solche Rindentafeln bildeten die Wände, und rauh genug sah solch ein Wohnhaus aus. Im Busch werden aber keine Ansprüche an Bequemlichkeit gemacht; Schutz gegen Wind und Wetter gewährte sie, und was weiter konnte man hier von einer Wohnung verlangen?

Sie lag dabei mitten im Dickicht drin, und war von dem benachbarten Stationshalter erbaut worden, einem Schäfer Unterkommen zu bieten. Die Schafe vermehrten sich aber nicht so rasch, wie der Stationshalter geglaubt. Die Hütte wurde nicht benutzt, und John Mulligan, der sie auf seinen Streifzügen durch den Busch entdeckte, fand sie passend, ihm zum Aufenthalt zu dienen – wenigstens eine Zeit lang dort zu leben.

Tolmer war vorangekrochen, vor allen Dingen die Gelegenheit zu erspähen, und ein Blick auf die Hütte verrieth ihm, daß sie ihren Weg hierher nicht umsonst genommen hatten. Zwischen den Rindenstücken, die das Dach bildeten, wirbelte der blaue Rauch hervor, und die Insassen mußten also daheim sein.

Rasch war jetzt seine Disposition getroffen, und die kleine Schaar so vertheilt, daß aus der Hütte Niemand mehr entkommen konnte, ohne wenigstens ihrem Kreuzfeuer ausgesetzt zu sein. So vorsichtig aber schlichen sie an, daß sie von denen in der Hütte nicht einmal bemerkt wurden, und wie sie erst die Thür besetzt und die übrigen Wände umstellt hielten, wußten sie sich ihrer Beute sicher.

Tolmer selber spähte jetzt durch einen schmalen Ritz der einen Seitenwand, konnte aber nur eine Person im Innern erkennen. Es war das ein Mann der vor dem Kamin auf einer dort liegenden wollenen Decke saß und sich gerade jetzt eine kleine Thonpfeife stopfte. Außerdem schien er auch das Frühstück zu bewachen, denn eine Theekanne stand auf den Kohlen, und die zusammengescharrte Asche verrieth, daß ein »Damper«4 darunter backe.

Sonst war die Hütte leer – das kleine enge Gemach ließ sich leicht genug überschauen, da in der einen Wand zwei große Rindenstücken fehlten, und der leere Raum als Fenster diente. War das nun Mulligan? Hatten ihn seine beiden andern Gefährten auch verlassen, und war er hier allein zurückgeblieben? Jedenfalls mußten sie sich seiner so rasch als möglich bemächtigen, und Tolmer sah sich jetzt nur noch nach Waffen um. Er konnte nichts erkennen als eine einzelne Muskete, die in der Ecke lehnte.

Der Mann am Feuer war dabei so in seine Pfeife vertieft, daß er keine Ahnung von der ihm drohenden Gefahr hatte. Der Thür drehte er gerade den Rücken zu, und da diese halb geöffnet stand, glitten Tolmer, Borris und einer ihrer Leute hinein und warfen sich – zu verhindern, daß der Ueberfallene nach der Muskete springen könne – plötzlich und geräuschlos auf den Buschrähndscher.

»Na, zum Donnerwetter,« rief dieser, der gar nicht Miene machte, emporzuspringen, »Ihr werdet mir die Pfeife zerbrechen. Prächtiges Stück Arbeit nachher, und keine andere wieder zu kriegen in dem verdammten Busch.«

»Hallo, der nimmt's kaltblütig,« lachte Borris.

»Bindet ihm nur die Arme auf den Rücken,« sagte Tolmer ruhig, »wenn er glaubt, daß er uns sicher machen will, irrt er sich.«

»Nur nicht ängstlich, old cove« lachte der Mann, in dem sich der Matrose nicht leicht verkennen ließ. »Halt da, mate,5 schnürt mir die Arme nicht in Stücken.«

»Und was zum Henker machst Du hier, Camerad?« sagte Tolmer, der mit seinem Fang nicht besonders zufrieden schien, denn der Mann betrug sich nicht wie ein ertappter Verbrecher, und das Gesicht war ihm vollkommen fremd.

»Was ich mache?« sagte der Seemann vollkommen kaltblütig. »Ich passe auf, daß der blutige, steinharte Damper da in der Asche nicht zum Teufel geht, und hätte jetzt meine Pfeife geraucht, wenn Ihr nicht wie die Wilden über Einen hergefallen wäret. Steck sie mir einmal Einer von Euch in's Gesicht, und lege eine Kohle darauf.«

»Wie heißt Ihr?« fragte Tolmer, während ihm Borris lachend willfahrte, und der Gefangene indessen an der Pfeife zog.

»Bill – dank' Euch, Mate,« lautete die Antwort. »Weshalb zum Henker, habt Ihr mir die Finnen hinten festgeschnürt? Mit den Füßen kann ich den Damper nicht aus der Asche nehmen.«

»Was treibt Ihr hier im Busch?« frug aber Tolmer weiter, ohne seinen Einwand zu berücksichtigen.

»Verdammt wenig,« brummte der Bursche, »koche, wie Ihr seht – Hutkeeper, glaub' ich, nennen's die Burschen hier im Land.«

»Das ist keiner von den »Birds«,« flüsterte Borris seinem Vorgesetzten in's Ohr.

»Ich glaub' es auch nicht,« sagte dieser eben so leise zurück, und setzte dann laut hinzu: »Wer wohnt hier noch mit Euch?«

»Zwei Andere.«

»Und wo sind die jetzt?«

»Ausgegangen, ein Wallobi zu schießen – wenn sie das nicht bekommen können, bringen sie ein Schaf mit.«

»So? – Haben sie eine eigene Heerde?«

Der Matrose lachte und sah still vor sich nieder.

»Wie lange seid Ihr schon auf der Insel?« fuhr Tolmer fort.

»Drei Wochen,« lautete die Antwort.

»Und wo kommt Ihr her?«

»Hm,« brummte der Mann, der hier nicht recht mit der Sprache heraus mochte, »gehört Ihr zur Wasserpolizei?«

»Nein.«

»Gut, dann geht's Euch nichts an.«

»Von einem Schiff weggelaufen?« fragte Tolmer.

Der Matrose schwieg und zog an seiner Pfeife.

»Hört einmal, Camerad,« sagte Tolmer, der jetzt keinen Augenblick mehr zweifelte, daß er es blos mit einem weggelaufenen Matrosen zu thun hatte. »Seid Ihr nur einem Schiff ausgekniffen, so hab' ich damit allerdings nichts zu thun, und es wird Euch nichts geschehen, aber wir müssen die beiden andern Burschen fangen. Wollt Ihr uns dabei helfen? Denn ich kann mir nicht denken, daß Ihr mit den Verbrechern weiteren Verkehr gehabt habt.«

»Mit gebundenen Armen soll ich Euch helfen.«

Tolmer löste ohne weitere Antwort seine Bande, und Bill fühlte seine Arme kaum frei, als er vor allen Dingen seine Pfeife etwas fester stopfte.

»Daß es mit den Beiden nicht ganz richtig sei,« sagte er dabei, ohne seine Stellung zu verändern, »hab' ich mir etwa gedacht. – Hol' sie der Henker, ich bin froh, daß ich mit guter Manier von ihnen fortkomme.«

»Wie bald können sie zurück sein?«

»Jeden Augenblick. Das Beste ist dann, Ihr stellt Euch hier im Innern der Hütte auf, denn ich weiß nicht, von welcher Seite sie kommen.«

»Ist die Muskete Euer?«

»Nein – sie gehört dem Einen – John nennt er sich.«

»John Mulligan?«

»Was weiß ich, wie sein ganzer Name ist; John genügt, um ihn zum Essen zu rufen.«

»Da kommt Einer!« flüsterte in diesem Augenblicke Borris rasch, der indessen schon an die verschiedenen Theile der Hütte Wachen gestellt hatte. Die Rinde war an unzähligen Stellen gesprungen, und man konnte überall hindurch sehen.

»Ist das John?« frug Tolmer, der dem Matrosen winkte, den Ankommenden zu beobachten. Dieser schüttelte den Kopf.

»Nein,« sagte er, »das ist der lahme Tom – hat richtig ein Schaf erwischt – wird sich unendlich freuen, wenn er hier so angenehme Gesellschaft findet.«

»Und wo ist der Andere?«

»Weiß nicht – sind Beide zusammen fortgegangen.«

»Bst – er kommt – ruhig jetzt!« warnte Tolmer, und schweigend sammelten sich die Polizeileute im Innern der Hütte an beiden Seiten des Eingangs, auf den der Buschrähndscher, ohne Ahnung dessen, was ihn erwartete, langsam zuschritt.

Er war in die gewöhnliche rauhe Buschtracht gekleidet, jetzt aber in seinen Bewegungen gehindert, da er das schon geschlachtete Schaf auf den Schultern trug und dabei mit der rechten Hand seine Muskete festhielt.

»Holla, Bill!« rief er, indem er, dicht vor der Thür, mit dem einen Fuß dagegen trat. »Zum Teufel auch, mach Einem den Deckel auf – oder schläft die Canaille schon wieder?«

Tolmer sagte kein Wort, aber wie er dem Matrosen winkte, die Thür zu öffnen, zeigte er ihm ein gespanntes Pistol als Warnung, was ihm selber drohe, wenn er sie verrathen wolle. Bill dachte aber an nichts Derartiges, denn, selber ein ehrlicher Kerl, hätte er schon lange die Gesellschaft dieser Burschen, die ihn gewissermaßen als Diener behandelten, gemieden, wenn er nur gewußt, wohin er sich wenden solle. Jetzt, da es sich herausstellte, daß seine bisherigen Gefährten das wirklich waren, wofür er sie seit den letzten Tagen heimlich gehalten, wäre er der Letzte gewesen, mit ihnen »in einen Topf zu springen«. Ruhig öffnete er deshalb die Thür für den »lahmen Tom«, wie der Buschrähndscher von seinen Cameraden genannt wurde, weil er ein klein wenig hinkte.

»Da hier,« sagte dieser, noch vor der Thür – »nimm mir einmal das Schaf ab – na, wird's bald? Soll ich's etwa noch eine Stunde auf dem Buckel haben?«

Tolmer winkte dem Matrosen, den Ankommenden in die Hütte zu rufen, denn war sein Camerad in der Nähe, so wurde er durch einen Lärm vor der Hütte gewarnt.

»So kommt doch herein damit,« sagte Bill, »oder habt Ihr Angst, daß Ihr den Fußboden schmutzig macht?«

»Damit man nachher die Decken im Blute herumschmiert, nicht wahr?« sagte der Buschrähndscher, der schon lange die Geduld verloren hatte. »Hölle und Verdammniß, da holt's Euch selber,« und mit einem Ruck warf er das Schaf vom Rücken ab auf den Boden nieder. Jetzt war aber auch keine Zeit mehr zu verlieren, und ehe er nur seine Muskete ordentlich fassen konnte, stand Tolmer draußen neben ihm, packte ihn um den Leib und schleuderte ihn zu Boden.

1.Bush-ranger werden in Australien die in den Wald entflohenen Sträflinge genannt. – Bush heißt dort überhaupt der ganze Wald und ranger bedeutet einen umherstreifenden Menschen, also ein ganz bezeichnendes Wort für derartige Leute, das wir deshalb, da es sich nicht einmal in diesem Sinne gut übersetzen läßt, beibehalten wollen.
2.Bündelmann heißen in Australien die Leute, die Arbeit suchend im Land umherziehen. Da sie natürlich kein großes Gepäck mitnehmen können, und ihr Eigenthum meist immer in einem kleinen Bündel auf der Schulter tragen, hat man ihnen diesen Namen gegeben. Die Meisten derselben sind übrigens entweder entlassene Sträflinge oder solche, die mit einem ticket of leave, d. h. Urlaubsschein, die Erlaubniß haben, sich selber ihr Brod zu verdienen. Ein solches ticket bekommen natürlich nur die, die den größten Theil ihrer Zeit schon verbüßt, und sich dabei musterhaft aufgeführt haben.
3.Auf fast allen australischen Stationen verrichten Männer – gewöhnliche Arbeiter – das Kochgeschäft, die dann hutkeeper oder Hüttenwächter genannt werden.
4.Damper ist das im australischen Busch gewöhnliche Weizenbrod, das ohne Hefe oder Sauerteig nur mit Wasser angeknetet und in der heißen Asche gebacken wird.
5.mate die gewöhnliche Anrede im Busch und so viel wie Camerad – old cove alter Bursche.
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27 сентября 2017
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