Читать книгу: «Eine Gemsjagd in Tyrol»
1.
In die Alpen
Die Gemsjagd! – Welchen eigenen Zauber nur das Wort allein auf mich ausübt! Kaum nehme ich die Feder in die Hand, und lasse die Erinnerung zurückschweifen zu jenem wilden fröhlichen Leben, so tauchen auch schon die grimmen Berge in all ihrer Pracht und Herrlichkeit empor. Wieder sehe ich jene schroffen Kuppen und Joche, jene Schluchten und Wände hoch über mir emporragen – unter mir in schwindelnder Tiefe liegen – wieder höre ich in weiter Ferne das Donnern der Lawinen, das Prasseln der aufgescheuchten Gemsen auf dem lockeren Geröll der Reißen, und wie mit einem jähen Schlag steht plötzlich jene wunderbare Welt in ihrer ganzen Pracht und Größe bewältigend um mich her.
Das Herz fängt mir an zu schlagen, als ob ich noch einmal da draußen, halb in einen Laatschenbusch hineingeklemmt, auf überhängender vorspringender Felsenspitze klebte, und kaum athmend, mit der gespannten Büchse in der Hand, in ängstlicher, fast peinlicher Lust, die Sinne zum Zerspringen angestrafft, des flüchtigen Wildes harrte – und Alles wird lebendig um mich her:
In den gelblich schimmernden Lärchentannen, die tief unter mir ihre halbtrockenen Spitzen heraufstrecken, rauscht und murmelt der Wind, schüttelt und schaukelt die elastischen zähen Zweige der Krummholzkiefer, und fegt den Staub aus den trockenen Ritzen und Spalten der weiten Klamm, die sich neben mir, mit ihren gähnenden Schluchten tief in den Berg hineingefressen hat. Dort drüben balgt sich ein Schwarm schreiender munterer Alpendohlen, und still darüber hin, in stummer gewaltiger Majestät, zieht ein einzelner Jochgeier – der braune Steinadler – seine luftige Bahn.
Oh komm! – fort, fort aus dem flachen Land. – Dort hinten ragen schon die starren, lichtübergossenen Joche aus dem duft'gen Nebel auf, der wie ein Schleier auf den Bergen liegt; neben uns rauscht und funkelt die grüne Isar, und trägt den flüssigen, wie mit leuchtendem Silber übergossenen Bergcrystall zum niedern Land hinab. Die kleinen zierlichen reinlichen Häuser mit ihren steinbeschwerten Dächern, hölzernen Veranda's, bunten Heiligenbildern und Außenwerken von gespaltenen Winterscheiten werden häufiger; freundlich grüßende Gesichter mit spitzen, feder-geschmückten Hüten darüber, das unvermeidliche »Regendach« unter dem Arm, begegnen uns, und jetzt rasselt der Wagen über das Pflaster des Bergstädtchens Tölz die lange Straße hinab, die wie eine Bildergallerie an beiden Seiten alle möglichen »Schildereien« aus der biblischen Geschichte und christlichen Sage zeigt. – Den Hang nieder geht's, durch eine Planken belegte mit blauen Hemmschuhspuren gestreifte Gasse über die Isar hinüber, die hier ärgerlich schäumt weil sie da plötzlich in ein Wehr gedrängt, nun Mühlen treiben soll, das freie Kind der Berge, und jetzt – oh wie uns das Herz da weit wird, und die Brust noch einmal so leicht in der reinen Luft zu athmen scheint, strecken die alten lieben Berge die Arme aus, uns zu begrüßen. Und enger, tiefer wird das Thal mit jeder Meile, grüner der Fluß an dem wir aufwärts ziehen, reiner der Himmel, schmaler der Weg, dem der leichte Wagen folgt. Schon nickt die Krummholzkiefer, der Laatschenbusch wie sie der Tyroler nennt, uns von den nächsten Hängen ein freundliches Willkommen zu, und läutende, trefflich genährte Heerden – die Lieblingsthiere mit riesigen Glocken um den Hals – Schafheerden der Bergamasker Race mit herunter hängenden Ohren, und Hirten, schwer mit allerlei Alpengeräth bepackt, begegnen uns in der Straße. Es ist Oktober, und Hirten und Heerden weichen dem nächst zu erwartenden Schneefall aus. Der hat auch die höchsten Kuppen des Gebirges schon dann und wann einmal auf ein paar Tage mit seinen weißen Mänteln überworfen – nur als ob er sehen wollte, ob ihnen die alten Kleider vom vorigen Jahr noch passen – und sie sitzen wie angegossen.
Es ist Herbst, und die Hirten »drin im Gebirg« haben selbst die letzten »Unterleger« verlassen, ihre Thalwohnungen aufzusuchen und ihre Heerden vor Lawinensturz und Wintersturm in Sicherheit zu bringen.
In den Bergen wird's jetzt leer, da Vieh und Heerden sie geräumt, und wunderhübsch schildert Tschudi das in seiner Alpenwelt:
»Weißt Du doch selber, Alpenwanderer,« sagt er, »was für ein schwermüthig drückender Ton im Herbst über diesen Felsen liegt, wenn Menschen und Heerden, Pferde und Hund, und Feuer, Brod und Salz sich in's Thal zurückgezogen. Wenn Du an der verlassenen und verrammelten Hütte vorüber steigst, und Alles immer einsamer und einsamer wird, wie wenn der alte Geist des Gebirges den majestätischen Mantel seines furchtbaren Ernstes über sein ganzes Revier hinschlüge. Kein befreundeter Athemzug weht Dich meilenweit an, kein heimischer Ton – nur das Krächzen des hungrigen Raubvogels, das Pfeifen des schnell verschwindenden Murmelthiers mischt sich in das Dröhnen der Gletscher und das monotone Rauschen des kalten Eiswassers. Die kahlgeweideten Gründe, in denen die kleinen Gruppen der giftigen Kräuter mit frischen Graskränzen welche das Vieh nicht berührte, sich auszeichnen, haben die letzten anmuthigen Tinten des Idylls verloren. Der schwarze Salamander und die träge Alpenkröte nehmen wieder Besitz von den verschlammenden Tränkbetten der Rinder, und die verspäteten Bergfalter schweben mit halb zerrissenen und abgebleichten Flügeln durch das Revier, aus dem die beweglichen Unken in trostlosen Chören die sommerlichen Jodelgesänge der Hirten wie spottend zu wiederholen scheinen.«
Nicht wahr wie schade, daß der Jäger gerade in diese Berge einzieht, wenn sie der Hirt mit seinen idyllischen Heerden verläßt, und der Jäger bedauert das gewiß. –
»Gott sei Dank daß das langweilige Vieh mit seinem Gebimmel endlich abzieht« murmelt er vergnügt vor sich hin, »jetzt bekommen die Berge doch endlich einmal Ruh, und man braucht nicht zu fürchten auf jedem Pirschpfad und Joch, statt einem Rudel Gemsen eine Heerde Schafe anzutreffen.«
Die Poesie der Berge verträgt sich recht gut mit der Jagd, und der ächte Jäger weiß sie gewiß zu würdigen, denn sein ganzes Leben und Treiben ist poetisch; aber – sie darf ihm nur nicht in's Gehege kommen, sonst sind sie eben die längste Zeit Freunde gewesen. Wo sie die Ausübung seiner Jagdlust stört, hat sie für ihn aufgehört Poesie zu sein, und – wenn er sie nicht zum Teufel wünscht, geschieht dies nur in einzelnen Fällen aus ganz besonderer Rücksicht.
Aber der Wagen rollt indessen lustig den wenn auch schmalen, doch glatten Weg entlang, der sich allmählig, dem Lauf der Isar folgend aufwärts zieht. Die Krummholzkiefer kommt schon bis an den Weg herab, und läuft hinüber, bis zu dem Stein besäeten Ufer des crystallhellen Bergstroms, in dessen blitzender Fluth hie und da eine muntere Forelle, leicht und rasch die Strömung stemmend, aufschwimmt. Noch umgeben uns hohe, aber bis zu ihrem Gipfel dicht bewaldete, wenigstens bewachsene Berge, – noch haben wir die Alpenregion nicht erreicht, und zu nah steigen die uns nächsten Hänge nebenauf, die dahinter liegenden mächtigeren Kuppen erkennen zu können. Aber das Gebirg wird schon wilder. – Rechts von uns ragt eine hohe schroffe Steinwand von der Sonne mit ihrer flammenden Gluth übergossen, wie eine riesige Silberstufe auf, nach links zu öffnet sich jetzt das Thal, und herüber grüßt da plötzlich mit seiner scharfgeschnittenen schneegedeckten Pyramidenkuppe der Scharfreuter, während weiter nach vorne, wo jetzt die Riß sich in die Isar gießt der Stuhlkopf, und dahinter der gewaltige Steinkegel, der »große Falken« sichtbar wird.
Mit ihnen taucht die Erinnerung an manche wilde Schlucht, an manche romantische, tief in Berg und Wald hineingedrückte Lagerhütte wieder auf, die uns da drinnen sehnlich schon erwarten. Dieselben sind ja alte Bekannte, alte Freunde, und es ist fast, als ob sie die mächtigen Hälse reckten, und freundlich herüber nickten uns zu grüßen. – Es war nur Augentäuschung. – In grimmer stolzer Majestät stehn sie dort, und bieten den Jahrhunderten die Stirne. Ob sie Orkane umrasen, ob der Föhn durch ihre Schluchten tobt, und die Lawine, von ihrem Nacken nieder, donnerndes Entsetzen in die Thäler wirft, oder ob kosende Frühlingslüfte ihre Hänge und Wände mit Blüthen decken, was kümmert's sie. Geschlechter gehn und kommen und vergehn auf's Neu, und starr und trotzig recken sie die Häupter nach wie vor dem blauen Aethermeer entgegen.
Aber hier sind wir schon im Gemsenrevier. – Rechts und links hinauf sucht das Auge unwillkürlich nach einem dunklen Fleck auf dem Grau der Steine, oder in dem matten Braun der Haidedecke, die kleine Blößen zwischen den Krummholzkiefern bildet, und die Hand greift rasch und unwillkürlich nach dem Fernrohr an der Seite, irgend einen erspähten Punkt, und auch nicht größer eben als ein Punkt, mit dem scharfen Glas mistrauisch näher zu untersuchen. – Aber nein; der dunkle Schatten einer alten Wurzel; ein Erdloch, aus dem sich ein thalabgerollter Stein gebröckelt; ein wunderlich gebogener Ast ist vielleicht, was das scharfe Auge des Jägers für einen möglichen Gemsbock gehalten, und mit einem getäuschten »es ist Nichts,« wird das Glas wieder zur Seite gelegt.
Hier haben wir auch schon die Isar verlassen, und sind in das Rißthal eingebogen.
Weiter aber noch rollt der Wagen; immer enger wird das Thal, immer wilder und rauschender die muntere Riß, die hier schon über wildes Steingeröll hinüber schäumt, und manchen kecken Sprung versucht. Immer steiler werden die Wände unter denen der Weg sich jetzt wie ängstlich hindrückt. Menschenwohnungen ließen wir mit der »Fall« in der ein Forsthaus steht schon längst hinter uns, und nähern uns jetzt dem Distrikt wo, der Meinung der Flachländer nach »die Füchse einander gute Nacht sagen.« Nur in äußerst seltenen Fällen zeigt noch hie und da eine verlassene Sennhütte ihr helles Dach – die Sennen selber sind mit dem Vieh thalab gezogen.
Wilder wird hier die Landschaft; dunkle Kiefer- und Fichtenwaldung schickt ihre grünen Schatten bis zum Strom herab, und hier – wo sich die Wände fast zusammen drängen, die Riß, in ihr schmales Bett hineingepreßt, ärgerlich und tobend, tief unter eine darüber hingespannte Brücke, sprudelnd und schäumend niederspringt, kommen wir zur Grenze. An dieser Seite steht ein blau und weißer Pfahl, jenseits der Brücke ein anderer, von dem die Sage behauptet daß er einst schwarz und gelb gemalt gewesen. Jetzt lehnt er grau und mürrisch im Schatten der dunklen Tannen, und schaut in den Waldbach nieder, als ob er selber gar nicht so übel Lust hätte hinein zu springen und mit fort zu schwimmen in's flache Land – was er auch vielleicht längst gethan hätte, wenn's eben nicht über eine fremde Grenze – in's Ausland ginge.
Warum rollt der Wagen hier noch einmal so leicht, warum hebt sich die Brust so viel höher, warum schaut das Auge so viel schärfer nach Wild umher an den Hängen, nach Fährten auf den Weg und in den weichen Waldgrund, der ihn an beiden Seiten begrenzt? – Das ist das eigene Jagdrevier – die Gemse die hier steht, das Wild das hier in stiller Nacht vorüber zieht, gehört zu befreundeten Rudeln, und die Berge die hier ihre grünen Arme und graue Häupter aus- und emporrecken, sind der Tummelplatz ihrer Spiele, und tragen den gedeckten Tisch für sie.
Jetzt macht der Weg eine Biegung, voraus steigt der »Stuhlkopf« schroff empor – das Wasser rauscht lebendiger, einzelne Dächer in dem sich weiter öffnenden Thal werden sichtbar – ein kleines Kloster, von mehreren Hütten umgeben dehnt sich langsam aus und dahinter liegt, dem überraschten Blick wie aus dem Boden steigend, hineingebaut in die waldigen Berge, den schäumenden Strom überragend und mit seinen eingeschnittenen hellen Mauern und flatternden Fahnen gar so freundlich herüberleuchtend, ein reizendes Jagdschloß, vor dem sich schon ein buntes Gemisch von Jägern, Dienern und Hunden gesammelt hat, den Herrn und seine Gäste zu begrüßen.
Wie kühn und wacker die Burschen aussehn in ihrer malerischen Tracht, wie freundlich die gesunden gutmüthigen Gesichter darein schauen, wie glücklich diese Adler-Augen lächeln den lieben Herrn wieder begrüßen zu können der ja des Jahrs nur einmal, auf wenige Wochen aus weiter Ferne, zu ihnen kommt. – Und nun giebt's wieder Leben in den Bergen.
Und wahrlich malerisch ist die Tracht der Leute. Auf dem Kopf tragen sie den bekannten Tyroler-Hut mit ein paar nach rückwärts gebogenen Spielhahnfedern, den Stoß eines Schnee- oder Haselhuhns, und manchmal einen Gemsbart. Der Hals ist frei und das weiße Hemd wird durch ein schwarz oder bunt seidenes Tuch locker zusammengehalten. Vortrefflich unter den Hut paßt aber die graue Joppe – eigentlich etwas zu dunkel für die Berge, weil die lichteren Farben viel besser mit dem Grün und Grau der Büsche und Felsen verschmelzen – und unter dieser reichen die schwarzen Lederhosen nur bis zum oberen Rand des Knies, das sie bloß lassen, während unter dem Knie der dick wollene, meist gewebte grüne oder graue Strumpf beginnt. Die Füße stecken in mächtigen Bergschuhen, von festem, wenig geschmeidigem Leder, das den Fuß kräftig zusammenhält, während die darunter eingeschlagenen Nägel nur durch den bloßen Anblick einem mit Hühneraugen geplagten Menschenkinde Entsetzen einflößen müßten. Es sind das auch keine gewöhnlichen Nägel, sondern nach innen scharf abschneidend, nach außen mit breitem Griff die Sohle fassend und schützend, bilden sie einen scharfen eisernen Rand um den Schuh herum, und ahmen dadurch die ähnlich eingeschnittenen Schaalen der Gemse nach. Ohne diese Schuh würde selbst nicht der an die Berge von klein auf gewohnte Jäger im Stande sein an den steilen Graslannen und schroffen Hängen, die oft nur kaum zollbreite Vorsprünge auf ihrer glatten Fläche bieten, fortzukommen. Mit solchem scharfen Eisenrand schneidet man aber fest und sicher in die Wände ein, und wenn der Kopf nicht schwindelt, läuft man mit einiger Uebung sicher über nicht eben ganz senkrechte Wände hin.
Dazu aber braucht man außer den Schuhen noch ein anderes, höchst nöthiges Instrument, und zwar den Bergstock, der von etwa sechs Fuß Länge, mit oder ohne eisernen Stachel, gewöhnlich nur roh aus einer Haselstaude geschnitten und getrocknet, dem Bergwanderer die Hauptstütze und Hülfe bietet. Ohne den Stock wär' er nur wenig nütz da oben, und weniger beim Auf-, besonders aber beim Niedersteigen, sichert er den Gang, hemmt den zu raschen Lauf und ist in der That des Kletternden bester Freund. Besonders nützlich zeigt er sich an steilen Hängen, wo man ihn wagerecht in Händen hält, mit der Spitze die Wand berührend, die eine Hand an seinem äußersten Ende untergehalten, die andere etwa in der Mitte aufgestemmt, das Gewicht des Körpers darauf, vom Abgrund fort, zu lehnen. Nicht zu steile Lannen läuft der Jäger mit diesem Stock, indem er ihn hinten einsetzt und sich darauf zurückbiegt, fast in voller Flucht hinunter. Er dient ihm so als Hemmschuh, mit dessen Hülfe er jeden Augenblick seinen Lauf einzügeln kann.
Noch darf ich den Bergsack nicht unerwähnt lassen, dann sind wir, sobald wir die Büchse auf die Schulter werfen, zum Marsch gerüstet, und wenn die Sonne morgen früh über die Berge schaut, findet sie uns hoch über dem Nebel droben.
Der Bergsack ist, wie Alles was der Alpenjäger braucht und mit sich trägt, so einfach, leicht und praktisch wie nur irgend möglich eingerichtet. Er besteht aus einem grünleinenen Sack, der hinten mit einem starken Seil auf und zu geschnürt werden kann, und auf dem Rücken, wo er keine Bewegung hindert, mit zwei Achselbändern getragen wird. Er ist dabei so zusammengefaltet daß er, wenn der Jäger nur sein Bischen Proviant, seine Steigeisen, seine Munition und etwas Wäsche oder seine Regenjoppe darin hat, ganz klein aussieht, soweit läßt er sich aber ausbreiten, mit Leichtigkeit den größten Gemsbock noch obendrein mit aufzunehmen. Die »Gams« wird dann so zusammengelegt, daß Kopf und Läufe ineinandergeschoben oben auf kommen, und nur die äußersten Spitzen der Läufe mit den Krickeln (Hörner der Gemse) zum Schlitz herausschauen.
2.
Hinauf!
Wir sind gerüstet! – Drüben im Westen neigt sich schon die Sonne den hohen Jochen zu, und nach dem rasch eingenommenen Mahl geht es hinauf in die Berge, zur fröhlichen Jagd.
Wie sich das so wunderbar leicht mit den nackten Knieen steigt – denn alle Schützen, ohne Ausnahme haben jetzt schon die Tracht der Gebirgsbewohner angelegt. – Wie sich das Bein so frei da biegt, und Arme und Bergstock mit eifriger Gefälligkeit nachhelfen, den hochaufathmenden Jäger bergan zu bringen – und wie die Lungenflügel sich so weit bewegen! Man fragt sich selber oft erstaunt: »wirst Du denn nur gar nicht müde?« – denn höher immer höher hinauf zieht sich der zickzacklaufende Reitsteg dem wir jetzt folgen. Müde? – das Wort kennt man kaum in den Bergen, und wenn man wirklich einmal nach einer gar zu steilen anstrengenden Tour zum Tode erschöpft glaubt niedersinken zu müssen, und dann den Gliedern nur wenige Minuten Ruhe gönnt, ist alles Ueberstandene im Handumdrehen vergessen.
Das Jagdschloß liegt schon etwa 3000 Fuß über der Meeresfläche und steil auf führt der Weg uns nun empor; erst durch prächtige Buchen- und Ahornwälder, in die hinein die dunkle schlanke Tanne ihre dichten Zweige reckt, dann kommt die Birke mit dem weißen Stamm, die Espe, Eller, Eberesche und hie und da ein Krummholzkiefer- oder Laatschendickicht, mit dem der Jäger wohl bald weit mehr und näher bekannt werden soll, als ihm manchmal lieb ist. Jetzt wird das jedoch nicht sonderlich beachtet. Der ausgehauene Weg führt hindurch und man bemerkt entweder die weitausreichenden zähen Zweige nicht, oder kann sie auch nicht gleich ordentlich übersehn. Zuviel des Neuen bietet sich überhaupt nach allen Seiten hin dem Blick, das Einzelne zugleich mit zu erfassen.
Noch aber sind wir fortwährend in diesem Wald bergauf gestiegen, und die überhängenden Zweige der Tannen, wie das dichte Unterholz mit den Laatschen zusammen, hindert die Aussicht in's Freie. Höher und höher steigen wir so, und lauter und lauter rauscht unten im Thal die Riß, die am Fuß des Bergs nur eben mit leisem Plätschern vorüberquoll, hier aber den Ton, durch die Wände zusammengedrängt in vollen Accorden nach oben sendet. Reiner wird hier der Himmel, leichter die Luft und unwillkürlich packt man, im Gefühl der eigenen Kraft, den Bergstock fester.
Wild giebt es hier freilich noch nicht; der Pfad ist schon an dem Morgen von den Trägern begangen worden, das Nöthigste an Provisionen, Betten und Geschirr hinaufzuschaffen, und der Wald ist auch zu dicht, weit darin auf oder ab sehn zu können – aber Rothwild spürt sich im Pfad. Hier ist ein starker Hirsch hinaufgewechselt; dort sind ein paar Stück Wild – wahrscheinlich ein Alt- und Schmalthier demselben eine Strecke gefolgt und haben sich dann links hinein in die Klamm oder Schlucht gezogen. Das Rothwild liebt überhaupt mehr als die Gemse einen bequemen Pfad, und benutzt die Pirschwege außerordentlich gern.
Höher, immer höher kommen wir hinauf; die Kiefern und Tannen werden immer niedriger und stehn dünner, die Buchenregion haben wir schon längst verlassen, wo das fatal raschelnde gelbe Laub den Boden bedeckt, den pirschenden Jäger zu doppelter Vorsicht nöthigt, und geräuschloses Anschleichen oft ganz unmöglich macht. Hier beginnt die »Laatsche« ihr Regiment und eine offene Stelle erreichend, von der aus der Blick frei nach dem gegenüber liegenden Gebirgshang, über das Thal weg schweifen kann, hebt ein plötzliches, überraschtes »Ach!« die Brust. Vergessen ist das Steigen, vergessen Alles um uns her in dem einen, wundervollen Schauspiel, das sich dem erstaunten, jubelnden Blick da bietet.
Dort drüben vor uns, dem Blick scheinbar so nah, daß man glauben könnte mit einer Büchsenkugel die Wände zu erreichen, während sie in der That in gerader Richtung wohl eine Stunde und weiter entfernt liegen, steigt die riesige Gruppe des Falken empor, und wie gewaltig ist der Fels gewachsen, seit wir ihn von unten zum letzten Male sahen. Dort schien er nur ein breitgedrängter, mit Nadelholz dicht bewachsener Berg, aus dem sich eine graue Felsenkuppe, nicht eben übermäßig hoch erhob. – Jetzt, nachdem wir fast eine Stunde gestiegen, und uns die Umrisse des ganzen Gebirgs scharf und klar in's Auge fallen, sehen wir daß wir noch nicht einmal die Höhe des gegenüberliegenden höchsten Fichtenwaldes erreicht, und weit weit darüber hinaus, wie ein Gebirg von Fels und Schlucht, während der blaue Aether ihn durchsichtig und leicht umfließt, thürmt sich ein riesiger Block von Felsenmassen auf, in dem sich wieder Berg und Thäler bilden. Die mächtigen Tannen die an ihm mehre tausend Fuß emporsteigen, sehn kaum Zoll hoch aus; die stattlichen Krummholzkiefern deren Büsche von zehn bis funfzehn Fuß Höhe halten, gleichen grünem Moos, das auf den nackten Flächen liegt, und schroff und steil, zerspalten und eingerissen mit furchtbaren Schluchten, für die der Blick noch nicht einmal den Maßstab hat, hebt sich die colossale Masse unfruchtbaren kahlen Kalkgesteins empor.
Diese Kegel, Kuppen und Joche muß man aber selber erst einmal, wenigstens zum Theil, bestiegen haben, um einen Begriff ihrer Höhe und Entfernung zu erhalten. Ueberhaupt täuscht die feine, reine Luft oben auf der Höhe, selbst beim Schießen, ungemein, und Gegenstände die dem Anschein nach nur geringe Entfernung haben, weichen zurück, wenn man sich ihnen nähern will. Bis in's Unglaubliche hinein betrügt man sich ganz vorzüglich, wenn man irgend einen gegenüberliegenden Hang erreichen will. Ein Berg liegt vor uns, ein kleines, dem Anscheine nach nicht sehr tiefes Thal dazwischen; man denkt in einer halben Stunde wenigstens an der anderen Seite sein zu können, und hat in einer Stunde kaum den unten fließenden Bach erreicht. An den von Holz entblößten Almen sieht man oft weite offene Flächen, die so glatt und eben ausschauen, als ob man aus weiter Ferne jeden darüber springenden Hasen erkennen müßte, und hat man sich endlich über vorher gar nicht bemerkte Hindernisse mit Mühe und Noth zu ihnen durchgearbeitet, so findet man Hügel und Thäler in dem was man für glatten Boden gehalten, und Risse und Spalten in denen ein Reiter unbemerkt und vollkommen gedeckt, hinreiten könnte. So arg ist die Augentäuschung in den Bergen, und deshalb wird auch nie ein Gemälde, mag es noch so treu und gewissenhaft, und von der Hand des größten Künstlers aufgenommen sein, die ungeheuere Größe jener Berge, das Riesige der Umrisse wiedergeben können, denn dem Beschauer fehlt eben der Maßstab den er an solch ein Gemälde legen könnte – täuscht ihn doch selber die Natur.
Aber wir müssen weiter. Im Gebüsch zwitschert das Goldhähnchen und piept die Meise und sucht sich ihr Ruheplätzchen für den dunkelnden Abend. Noch glühen zwar jene Kuppen im Licht der scheidenden Sonne; in den Thälern da unten, deren Uebersicht uns hier im dicken Unterholze abgeschnitten ist, lagert sich aber schon die Nacht, zieht sich die weiße Nebeldecke langsam an den Zipfeln aus Felsenspalte und Waldesschlucht heraus, und schmiegt sich tief hinein in's weiche Bett.
Wir haben noch ein tüchtig Stück zu steigen; doch mit dem Abend wird die Luft so kühl und frisch, so geheimnißvoll rauscht dazu der Strom unten im Thale hin, und zirpt die Grille tief im Dickicht drin, daß man recht gut noch einmal so rasch vorwärts rücken könnte – wenn sich eben die Kuppen hinter uns nicht gar so wundervoll und wechselnd färbten, und den Wanderer wieder und wieder zwängen stehn zu bleiben, mit durstigem Auge jenes Götterschauspiel einzusaugen.
Wie der »Stuhlkopf« und die »rothe Wand« dort hinten im rosigen Licht der untergehenden Sonne glühn, die zwischen den hohen Kuppen der beiden Falken durch ebenfalls noch ihre Streiflichter wirft, und an dem zackigen Gemsjoch wie der abgeplatteten Spitze des Sonnenjochs die letzten Strahlen bricht. Und immer lichter werden dort die Höhn, immer durchsichtiger, duftiger wird das graue schwere Gestein das, wenn auch scharf abgezeichnet gegen den reinen Horizont, doch mit dem Aether zu verschwimmen scheint. Und grüner, dunkler wird der Wald, schattiger das Thal; mit tieferem Blau färbt sich der Himmel und düsterer und wilder wird drüben der Bergeswall, der jetzt nur noch die dunkeln Schattenwände zeigt und in den innern Conturen schon in einander fließt. Einzelne Sterne blitzen am Himmel auf, und wie sich im Westen dort am hellen Aetherrand mit schwarzen schroffgerissenen Linien die oberen Joche abschneiden, liegt die andere Welt in tiefer, schweigender Nacht. Stärker rauscht dazu der Strom, als ob er eiliger hinaus wollte aus den dunkeln Thälern, in's Freie nieder. Heimlicher säuselt der Wald von einem leichten Süd-West bewegt, der flüsternd, und mit den thaufeuchten Zweigen kosend, das Thal hinauf weht, und über den ganzen weiten Himmel ausgegossen, ist plötzlich der Sterne funkelnder Glanz.
Und dort liegt die Pirschhütte; hellblinkend schauen die neuen Breter aus dem dichten Grün der Laatschen vor; aus dem verhangenen Fenster schimmert Licht, und nebenan leuchtet aus einem anderen kleinen Haus der Feuerschein vom Kamin der Jäger herüber. Die Schweißhunde schlagen an; die Jäger die ein paar Stunden vorausgeschickt waren, springen vor die Thür, und der Herr betritt, freundlich grüßend, zum ersten Mal wieder und mit leuchtendem Blick sein Pirschhaus zu Steileck, die stille Jägerhütte in den Alpen.
Zur Toilette braucht's da oben wenig Zeit, die ist in den Bergen rasch beendet, und jetzt kommt eigentlich der schönste Augenblick: Der Jägerrath, der Bericht der Leute wie's in den Bergen steht, und was am Besten jetzt zu thun sei, dem scheuen Wilde beizukommen.
»Rainer soll herein kommen!«
Wenige Minuten später geht die Thür auf und Rainer, der grad' vom Essen aufgesprungen ist tritt, sich noch geschwind den Mund in der Thür wischend, in's kleine Gemach. Er war schon eine Zeit lang vorher heraufgeschickt worden, das Terrain, das er selber aus früheren Jahren genau kennt, zu recognosciren, die verschiedenen Joche und Klammen, wie die eingerissenen scharfen Schluchten – Gräben, wie die breiten Seitenthäler genannt werden – abzuäugen, und von den verschiedenen dort stationirten oder mit der Ueberwachung beauftragten Jägern Erkundigungen einzuziehen.
Rainer ist aber an sich selber eine viel zu interessante Persönlichkeit, ihn so ohne Weiteres, und ohne etwas nähere Beschreibung einzuführen.
Bei Tafel unten im Schloß im schwarzen Frack, schwarzen langen Hosen und steifer Halsbinde mit aufwartend, giebt es kaum eine steifere, unbeholfener aussehende Figur als ihn, und wie verwandelt ist der Mann, wenn er in die freie Bergtracht hinein, und mit Knieen und Hals aus den beengenden Kleidern herausfahren kann. Es ist ordentlich als ob er mit der Tyroler-Joppe und dem spitzen Hut, den kurzen Hosen und den eisenbeschlagenen Schuhen auch einen anderen Menschen angezogen – und das geschah auch in der That. Jede seiner Bewegungen ist frei und natürlich, und das charakteristisch geschnittene Gesicht mit dem blonden, sorgfältig gepflegten Bart, die klugen, hellen Augen und der sehnige Körper, machen ihn zu einem tüchtigen Repräsentanten des ganzen Jägervolks.
Seine Worte setzt er freilich manchmal, als ob er doch noch im schwarzen Frack stäcke, und ich weiß auch nicht ob er sich selber nicht vielleicht ganz gern darin sieht, – wenn das der Fall wäre hätte er unrecht.
Rainer hat die Schweißhunde unter sich, und selber einen kleinen Dachs, der sogar in den Alpen seinesgleichen auf der Fährte sucht. Bergmännle spielt eine zu bedeutende Rolle auf der Nachsuche, ihn unerwähnt zu lassen, und manches angeschossene Stück hat der kleine unerschrockene und unverdrossene Teckel schon gefunden und gestellt.
»Nun Rainer wie steht's? ist noch 'was da?«
»Nu ich denk' Hocheit – s' sieht gut aus;« lautete die vergnügt lächelnde Antwort, und Rainer holt sich indeß mit den Augen seinen Dank für die gute Botschaft von sämmtlichen Gesichtern.
»So? – hast Du Gemsen gesehn?«
»Sehn thut man gerade nicht viel, aber spüren überall – nur noch nicht recht oben auf den Alpen. Es ist noch zu warm, und sie stehn drin in den Gräben.«
»Aber Du hast doch auch welche gesehn?«
»Ei ja wohl. Gestern war ich drüben an dem Leckbach, da standen drei Rudel auf den Reißen, eins von zwölf, eins von sieben und eins von funfzehn Stück. Capitalgemsen und eine Menge Kitzgeisen dazwischen.«
»Und keine Böcke?«
»Nachher guckt ich in die Delpz nur so von oben hinein, da standen dicht unter der Wand drei Capitalböcke – Einer schußrecht; und unten drin war ein Rudel von elf Stück – und noch zwei Böcke.«
Des Herrn Augen leuchteten.
»Also es giebt Gemsen?«
»Ich sollt's meinen,« sagt Rainer mit vergnügtem Gesicht. »Und besonders viel Kitzen hab' ich gesehn. Der Weinseisen hat auch gestern zwei starke Rudel an der Luderstauden1 gespürt, und einen mordmäßig starken Bock gesehn. Er soll Krickeln aufgehabt haben so hoch, und der Bart hat ordentlich in Wind geweht.«
»Wo war das?«
»Gleich dort oben auf dem Roßkopf.«
»Das ist der alte Bursch,« lacht der Jagdherr, »der uns schon drei Jahre zum Besten gehabt hat; der ist zu schlau, den bekommen wir nicht.«
»Nu, vielleicht fallirt's ihm doch einmal,« sagt Rainer, eins seiner schwarzen-Frack Worte riskirend.
»Nun, und drüben am Grasberg? – an der Fleischbank oben, und in den Gräben?«
»Gemsen sind überall,« lautet die Antwort, »man sieht sie aber da herum nur selten, weil sie in den Dickichten drin stecken.«
»Hast Du am Waldeck etwas gespürt?«
»Leer ist's nicht,« weicht hier Rainer vorsichtig aus, denn wahrscheinlich wird dort morgen zuerst gejagt, und er möchte nicht gern zu große Erwartungen wecken, obgleich er auch dort Gemsen gesehen hat.
»Und drüben am Heimjoch, in der Laures und am Blunzjoch drüben?«
»Das ist ein Hauptplatz,« sagt Rainer und wird warm dabei – »der Wastel ist vorgestern mit dem großen Ragg drüben gewesen. – Am Eiskönig soll's ordentlich lebendig sein.«
»Also auf dieser Seite sieht's gut aus, und wie steht's drüben? Ist das Pirschhaus im Laritter Thal fertig?«
»Sie hämmern noch drüben,« meint der Gefragte etwas kleinlaut, »soll aber heute oder morgen fertig werden.«