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Gabriella Gruber
LUME
Wo das Licht den Schnee berührt
eBook-Sonderausgabe
Über die Autorin
Gabriella Gruber hatte schon immer eine Leidenschaft für Sprachen und früh wurde ihr klar, dass sie Bücher schreiben möchte. Sie liebt es, neue Welten zu erschaffen und gemeinsam mit den Protagonisten, Antagonisten und Nebendarstellern diese Orte zu erkunden. Schreibt sie nicht gerade an ihren Romanen, sitzt sie oft am Klavier oder Schachbrett und verbringt Zeit in der Natur. Sie lebt mit ihrem Partner und ihrer Familie in Bayern.
www.gabriellagruberautorin.com
Instagram: ellagruberautorin
eBook-Sonderausgabe
Verlag: Gabriella Gruber eBook-Druck: neobooks.com
1. Auflage der Sonderausgabe 2021
Dieses Buch ist auch als Taschenbuch erschienen.
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig.
Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Text: Copyright © 2021 by Gabriella Gruber
Satz: Gabriella Gruber
Umschlaggestaltung unter Verwendung eigener Fotos:
Copyright © 2021 by Gabriella Gruber
Lyrics von „My Knight“:
Copyright © 2021 by Gabriella Gruber
Illustration „Lukas und Melissa“
Copyright © 2021 by Vanessa Nimue (Instagram: hexenimue)
Verlag: Gabriella Gruber
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01237 Dresden
gabriellagruber.autorin@gmail.com Instagram: ellagruberautorin
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eBook-Druck: neobooks, ein Service der Neopubli GmbH, Berlin
Für alle, die noch an
die Liebe auf den ersten Blick glauben.
Es gibt sie wirklich.
1. Kapitel
Lukas
„Markus! Du wirst mir nicht glauben, warum gerade mein Handy vibriert hat!“
„Oh je, jetzt kommt’s ...“
„Es ist eine E-Mail.“
„Du hast eine Einladung zu DSDS bekommen?“
„Was? Nein, ich bin doch kein Sänger.“
„Ach so, du bist ja Schlagzeuger! Fast vergessen.“
„Rate weiter!“
Wir stehen an der Bushaltestelle. Markus, mein bester Freund, und ich. Heute ist unser erster Schultag und wir warten auf das rollende Gefährt, das uns zur Schule bringt. Es ist Anfang September und obwohl gestern im Fernsehen Spätsommerwetter vorhergesagt wurde, ist es doch ein recht kalter Morgen.
„Du wurdest von Aliens entführt?“
„Hä? Nein, zumindest glaube ich kaum, dass sie ihre Entführung vorher per Mail ankündigen.“
Markus schnaubt belustigt über meinen Konter.
„Einen Versuch haste noch“, ich grinse in mich hinein, voller Überzeugung, meine große Freude und Aufregung eigentlich nicht mehr verbergen zu können.
„Nachdem du so grinst und voller guter Laune fast explodierst, hast du bestimmt im Lotto gewonnen?“
Ich seufze und schüttle mit dem Kopf. Warum genau bin ich eigentlich mit ihm befreundet? Wegen seiner „Sherlock“-Fähigkeiten auf jeden Fall nicht.
„Wenn das so wäre, hätte ich schon längst bei meinem Bankberater angerufen, er möge doch bitte eine Überweisung an Markus Fuchs veranlassen.“
„Wirklich?“, mein Kumpel grinst wie ein Honigkuchenpferd.
„Nein“, antworte ich kurz und knapp, um Markus zu zeigen, dass es nur ein Witz war.
Dann endlich fährt unsere Stadtbuslinie um die Kurve. Ich krame sofort meine nigelnagelneue Fahrkarte aus der Tasche hervor und zeige sie beim Einsteigen voller Vergnügen dem gewohnten Fahrer mit seinem lustigen Schnurrbart. Schön, dass sich nicht alle Dinge verändern, wenn die Sommerferien zu Ende sind.
Ich setze mich neben Markus. „Und? Was ist jetzt die tolle Neuigkeit?“, fragt er mich noch im selben Moment.
Ich schmunzle, immer noch voller Glück. Markus zappelt neben mir, fast aufgeregter als ich. Keine Ahnung, ob es am Schokoriegel liegt, den er gerade verspeist, oder tatsächlich an der Spannung vor meiner Neuigkeit.
Ich spanne ihn nicht länger auf die Folter und antworte ihm, während ich seine Schokokrümel von meiner Lieblingsjeans streiche. „Die Buchhandlung, bei der ich mich als Aushilfe beworben habe, hat mich zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen!“
Melissa Neues Schuljahr, neues Glück. Was ich bisher so von der neuen Schule gehört habe, waren eigentlich nur gute Dinge. Mal sehen, ob ich auch noch der gleichen Meinung bin, wenn ich erstmal alles kennengelernt habe. Eine Realschule ist schließlich etwas vollkommen anderes, als eine Fachoberschule. Hier beginnt jetzt das wahre Leben oder zumindest sollte es das.
Ich denke kurz an meine alte Schule zurück, während der Busfahrer mich sicher zur neuen Schule befördert. Auf meiner Realschule war ich jetzt nicht unbedingt schlecht, ich war aber auch nicht herausragend gut. Ich würde mal sagen, ich war eine durchschnittliche Schülerin mit Stärken und Schwächen. Die einzige Ausnahme war die 7. Klasse. Meine Mitschüler ... nun ja, sie waren die Hölle. Ich wurde nie wirklich fair behandelt, hatte nie eine Chance zu beweisen, dass ich anders bin, als immer nur von anderen gemunkelt wurde. Unter all dem litten meine Noten enorm und so kam es, dass ich die siebte Klasse wiederholen musste.
Die Schulklasse, die danach kam, war ganz in Ordnung. Meine einzige Freundin von dort hat sich allerdings seit dem Beginn der Sommerferien nicht mehr bei mir gemeldet, was meine Vermutung bestätigt, dass sie vielleicht doch nur wegen des Abschreibens meiner Hausaufgaben so nett zu mir war. Eine richtige Freundin, mit der ich durch dick und dünn gehen kann, war mir bisher immer verwehrt geblieben.
Der Busfahrer legt eine Vollbremsung hin, als die Ampel von Gelb auf Rot springt, so dass ich mich schnell und krampfhaft am Sitz vor mir festhalten muss. Ich sehe die Haltestelle schon. Nur noch ein paar Meter, dann ist es für mich Zeit, auszusteigen. Ich habe mir schon Tage davor meinen Weg zur Schule genauer angesehen, damit ich wenigstens dahingehend keine Nervosität aufkommen lasse.
Gesagt, getan. Als der Bus nach der nächsten grünen Ampelwelle beim Halteschild zum Stehen kommt, hüpfe ich vergnügt die schmalen Stufen nach unten auf den Gehweg. Vielleicht schreibe ich hier bessere Noten und finde Freunde.
Ein paar Schüler schleichen an mir vorbei. Ein Junge davon trägt seine Kappe verkehrt herum auf dem Kopf und hält sein Skateboard unter dem Arm. Er grinst ein blondes Mädchen neben ihm verschmitzt an. Vielleicht ist diese Schule ja gar nicht so schlecht.
Lukas „Dieses Jahr wird alles anders!“, ruft Markus aus.
„Das hast du letztes Jahr auch schon gesagt“, antworte ich voller Belustigung.
„Aber dieses Mal meine ich es auch so! Es gibt neue Mädels, Hashtag: Elftklässlerinnen“, bei diesem Satz verzieht Markus verführerisch die Augenbrauen und sieht mich an, als wäre ich der größte „Schul-Casanova“ höchst persönlich.
„Die jungen Mädels stehen doch auf solche reifen und attraktiven Männer wie uns“, Markus streicht sich seine dunkelbraunen Locken glatt und sieht dabei wirklich mehr als lächerlich aus. „Glaub mir, die werden Schlange stehen, wenn sie dich sehen!“
Ich lache laut auf. „Das glaube ich eher nicht.“
„Wieso nicht?“
Ich sehe meinen besten Kumpel eindringlich an, um ihm zu zeigen, dass ich meine kommende Aussage ernst meine. „Weil ich meinen Singlestatus nicht so an die große Glocke hänge wie du.“
Markus lacht amüsiert.
„Außerdem war die Auswahl letztes Jahr schon nicht so herausragend“, ergänze ich noch schnell.
Markus‘ Grinsen wird breiter, als würde er etwas ahnen. „Dein Traummädchen ist bestimmt dieses Jahr dabei! Ich fühle es!“ Dann holt mein bester Freund seinen Block aus seinem Rucksack.
Wir sitzen schon seit fünf Minuten in unserem neuen Klassenzimmer, das anfangs gar nicht so leicht zu finden war. Es ist noch nicht 08:00 Uhr, also beschließe ich, noch kurz die Toilette aufzusuchen.
Melissa Irgendwo muss es doch sein! Bei der Klassenbezeichnung „W11a“ müsste man doch eigentlich davon ausgehen können, dass es eines der ersten Klassenzimmer ist, aber das ist hier anscheinend nicht der Fall. Die Regeln an dieser Schule, scheinen von der praktischen Realität etwas abzuweichen. Ein klarer Minuspunkt auf meiner Bewertungsliste, die ich still im Geiste führe. Ich komme mir vor, wie bei einem Bewertungsportal.
Ich halte den Gebäudeplan in meinen Händen und bin so mit dem Studieren des Plans beschäftigt, dass ich kurzzeitig nicht aufpasse, wo ich hinlaufe. Anders als bei Harry Potter, sieht man auf diesem Plan leider nicht, wo man sich gerade aufhält. Man begreift eher, wo man falsch sein könnte, vorausgesetzt, die Orientierung stimmt.
Halte ich den Plan überhaupt richtig herum? Irgendetwas ist hier faul. Laut diesem müsste ich vor dem Lehrerzimmer stehen. Wenn ich aber nach vorne blicke, ist vor mir eine Toilette. Auch noch das Männer-WC!
Ich schaue auf die laut tickende weiße Quarzuhr an der Wand, um mich zu vergewissern, dass ich noch genug Zeit habe, bevor der Unterricht losgeht.
Ich will gerade die Tour durchs Labyrinth fortsetzen, als mich meine innere Stimme zurückhält und ich einen Moment zögere.
Plötzlich öffnet sich die Tür der Toilette und ein junger Mann kommt heraus. Er hat extrem kurze bräunliche Haare und ein kantiges Gesicht.
Wow! Der wäre definitiv mein Typ! Er sieht zu mir herüber, was ohne Vorwarnung meinen Puls zum Steigen bringt. Oh nein! Dieses Problem kenne ich schon und ich mag es nicht sonderlich.
Ehe ich den wie üblich resultierenden roten Kopf bekomme, drehe ich mich weg und tue so, als wäre die Karte in meinen Händen gerade die interessanteste Lektüre, die mir je zwischen die Finger gekommen ist.
Lukas Die Worte von Markus gehen mir immer noch durch den Kopf. Ja, ich bin Single, aber aus gutem Grund. Ich will eben kein Mädchen für eine heiße Nacht, sondern eine Frau für mehrere Nächte und Tage, für mein ganzes Leben. Eine Frau, die so denkt wie ich, eine, die meine Hobbies teilt oder sie zumindest versteht. Eine Frau, die mir zeigt, was es bedeutet, zu leben.
Als ich das im letzten Schuljahr Markus erzählt habe, meinte er, ich solle zum anderen Ufer schwimmen. Da wäre die Auswahl größer. Ich habe überhaupt kein Problem mit Leuten von der anderen Insel, aber für mich persönlich wäre das nichts.
Ich schaue auf und erstarre: Mir steht ein junges Mädchen gegenüber. Ich habe sie noch nie zuvor gesehen, sie muss wohl zu den Neuen aus der elften Klasse gehören.
Unsere Blicke treffen sich kurz, doch dieses kurz kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Sie dreht sich rasch weg, als sie mich bemerkt, und huscht unsicher davon, als möchte sie sich so schnell wie möglich von hier entfernen.
Sie sieht niedlich aus. Ihre Kleidung, bestehend aus Lederjacke und Jeans, hat einen positiven Eindruck auf mich hinterlassen. So laufe ich selber gerne herum. Außerdem stehe ich total auf Brünette. Also hat sie gleich mehrere Pluspunkte auf ein Mal.
„Hey, kann ich mal?“
Ich fahre vor Schreck zusammen, als mich ein anderer Junge bittet, von der Tür wegzutreten. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich immer noch vor ihr stand. Fasziniert habe ich dem fremden Mädchen hinterhergeschaut, ohne es selbst wahrzunehmen.
Inzwischen ist sie längst verschwunden und ich beschließe, es ihr gleich zu tun: Ab zurück ins Klassenzimmer.
Melissa Unglaublich, aber wahr! Nachdem ich drei Mal im Kreis gelaufen bin, habe ich tatsächlich mein Klassenzimmer gefunden! Die Schule hat inzwischen ihren Minuspunkt wieder wettgemacht. Stattdessen gab es einen Pluspunkt für niedliche Jungs.
Der junge Mann vor der Toilette hat es mir jedenfalls angetan. Wegen ihm scheint es mir gerade unmöglich, mich zu konzentrieren. Ausgerechnet jetzt, wo ich dringend aufpassen sollte, sonst bin ich hier noch orientierungsloser als vorher. Schließlich bleibt mir später im Bus noch genug Zeit für Tagträume.
„Ihr habt daher immer fünf Minuten früher Pause, damit kein Stau beim Pausenverkauf entsteht. Letztes Jahr haben wir die Erfahrung gemacht, dass sich die 13er oft vordrängeln, obwohl man eigentlich davon ausgehen müsste, dass man mit dem Alter schlauer wird.“
Ein lautes Gelächter schallt durch die Klasse, als sie die witzige Bemerkung unserer Klassenleitung, Frau Wolf, gehört haben. Ich lache mit, denn ich will schließlich nicht gleich am ersten Tag schon als humorlos gelten.
In welcher Klasse er wohl ist? Hat er mit mir angefangen? Nein, dafür wirkte er schon älter. Er muss mindestens eine Klasse über mir sein.
Wieder lachen meine Klassenkameraden, dieses Mal über einen Witz, der mir entgangen ist.
Frau Wolf rückt die goldene Brille auf ihrer Nase zurecht und stiert aufmerksam in die Klasse. „Anwesenheitskontrolle! Jeder, der seinen Namen hört, hebt die Hand!“
Wir sind eine große Klasse, bestimmt um die dreißig Schüler. Mein Name ist ziemlich in der Mitte zu finden. Ich höre mir die Namen der anderen an und bin schon gespannt, wie lange es dauern wird, bis ich sie alle auswendig weiß.
Wie er wohl heißt? Seine blau leuchtenden Augen haben mich irgendwie verzaubert. Selbst, wenn es vielleicht höchstens eine Sekunde war, als sich unsere Blicke kreuzten.
„Klein, Melissa!“
Ich schaue auf.
„Melissa Klein?“
„Ja, hier!“, ich hebe den Arm und laufe rot an. Na toll, Fettnäpfchen Nummer eins hat mich schon in der allerersten Unterrichtsstunde gefunden.
Lukas Im Pausenhof hat sich über die Sommerferien auch nichts verändert. Die einzigen Unterschiede im Vergleich zum letzten Jahr sind weniger Schüler in der Klasse und natürlich der Lehrer- und Fächerwechsel.
Unbewusst sehe ich mich auf dem Platz um. Ich stehe neben Markus, direkt auf einem Steinboden, der komplett von Rasen umrandet wird.
Beim Pausenverkauf waren wir schon. Das merkt man an Markus, der kräftig in seine Semmel beißt. Leberkäse mit Essiggurkenscheiben. Na ja, solange es ihm schmeckt ...
Ich schaue auf, insgeheim auf der Suche nach dem unbekannten Mädchen von heute Morgen. Ich konnte mich während der ersten Unterrichtsstunden kaum konzentrieren. Sie spukte ständig in meinem Kopf herum. So etwas hatte ich noch nie.
„Was‘n los? Du bist plötzlich so still?“, sagt Markus kauend. Ich musste mich echt anstrengen, um ihn zwischen dem Geschmatze auch zu verstehen.
„Nichts“, antworte ich nur, wende mich von ihm ab und schaue weiter in die Runde.
Vielleicht steht sie ja wieder auf dem Gang und hofft, mich zu sehen? Oder ich bin ihr gar nicht aufgefallen, immerhin hatte sie sich sehr schnell wieder von mir weggedreht und ist gegangen.
„Erde an Lukas! Hallooooo?“, Markus steht direkt vor mir und fuchtelt mit seiner Hand vor meinem Gesicht herum, die andere hält das letzte Viertel seiner Semmel fest. Die Brösel fliegen ihm nur so aus dem Mund, während er spricht. „Suchst du wen?“
„Nö. Wie kommst da drauf?“, ich tue so, als wüsste ich nicht, von was er redet.
„Ach, nur so eine Vermutung“, antwortet er.
Dann plötzlich entdecke ich sie, zumindest glaube ich das. Ich sehe nur ein Mädchen mit langen braunen Haaren. Aus der Ferne von dieser Perspektive aus kaum möglich festzustellen, ob sie es auch wirklich ist.
Nach ein paar Schritten an der Hauswand entlang, dreht sie sich um und ich entdecke ein mir vertrautes Gesicht. Nein, das ist nicht die Neue. Nur ein Mädchen aus der damaligen elften, jetzt zwölften Klasse. Lilly heißt sie, glaube ich. Markus hatte mal von ihr geschwärmt, daher weiß ich das noch. Aber Markus schwärmt jeden Tag von einer anderen. Mir ist wahrscheinlich nur ihr Name wieder eingefallen, weil sie eine der wenigen Braunhaarigen auf seiner Liste war.
Melissa Ich beschließe, in der Pause erstmal hierzubleiben. Mich juckt es zwar in den Zehenspitzen, ihn draußen suchen zu gehen, aber ich bleibe vorerst hier. Ich muss mich erstmal hier im Klassenzimmer zurechtfinden, bevor ich mich auf dem Weg zum Pausenverkauf verlaufe. Eigentlich ist dieser ja nicht zu übersehen, man müsste schließlich nur den Schülerschlangen folgen, jedoch hasse ich Menschenmassen.
Wie gern würde ich mal auf Konzerte meiner Lieblingsbands gehen, aber die vielen Menschen machen mir Angst. Vor allem, wenn ich da alleine hingehen muss. Meine Eltern mögen sowas nicht und meine kleine Schwester ist als Begleitung auch noch viel zu jung. Freunde habe ich keine. Zumindest sind meine einzigen Freunde Bekanntschaften aus dem Internet und die wohnen alle weiter weg.
„Hi! Ich bin Eva Maria!“
Ich sehe nach links, wo das Mädchen steht, das mich gerade angesprochen hat. Sie ist etwa so groß wie ich, hat eine schlanke Figur und lange rot-blonde lockige Haare. Da kann man ja richtig neidisch werden!
„Hi, ich bin Melissa“, stelle ich mich ihr vor.
„Freut mich, dich kennenzulernen, Melissa! Darf ich?“
Ich lächle und kann mein Glück kaum fassen. Es ist mein erstes ehrliches Lächeln an dieser Schule oder soll ich sagen, je an einer Schule?
„Klar, setz‘ dich ruhig.“
2. Kapitel
Lukas „Heute ist ein guter Tag!“, ruft Markus erfreut und wirft seinen Arm um meine Schulter.
„Ja? Was macht dich da so sicher?“
Wir stehen wieder an der Bushaltestelle. Der Schultag gestern war noch ganz interessant, aber ich habe die Hälfte davon kaum mitbekommen, weil momentan in meinem Kopf zwei Themen um meine Aufmerksamkeit kämpfen: mein Bewerbungsgespräch und das neue Mädchen.
„Ich weiß das, weil du die ganze Zeit schon so abwesend bist! Sag‘ schon! Wer ist es?“
Ich schnaube belustigt.
„Hihi, ich wusste, dass ein Mädchen im Spiel ist! Lilly, habe ich recht? Du hast ihr gestern so fasziniert nachgestarrt.“
„Nein, es ist nicht Lilly. Sie hatte nur den Zufall auf ihrer Seite, jemandem ähnlich zu sehen.“
„Ooooooh! Wem denn?“
„Geht dich nichts an“, antworte ich nur, schon fast etwas eingeschnappt. Ich möchte die Sache selber in die Hand nehmen. Wenn ich Markus einweihe, kann ich das Mädchen gleich wieder von meiner Wunschliste streichen. Sonst wird das so peinlich, dass ich es nicht mehr übers Herz bringe, ihr in ihre wunderschönen blauen Augen zu sehen.
„Och, Mensch. Immer wenn‘s interessant wird, blockst du ab.“
„Ich will‘s nicht vermasseln.“
„Dann brauchst du mich!“
„Ich denke gar nicht daran!“
„Na schön. Ich finde auch so heraus, wer sie ist!“
Ich seufze. Das kann ja heiter werden.
Melissa Heute ist Mittwoch, der zweite Schultag. Gestern habe ich Eva Maria kennengelernt. Sie ist total nett und wir haben beschlossen, uns nebeneinanderzusetzen. Ich habe endlich Hoffnung, tatsächlich mal eine Freundin zu finden.
Als ich kurz vor dem Unterricht noch durch den Gang schlendere, an einer großen Pinnwand vorbei, kommt die Erinnerung an gestern wieder zurück. Eigentlich war dieser Gedanke den ganzen Tag schon da. Er geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Vielleicht sehe ich ihn heute ja wieder? Aber ihn anzusprechen, traue ich mich nicht.
Als ich auf der Pinnwand die ausgehängten Infoblätter studiere, fällt mir der Gebäudeplan auf. Er sieht so ganz anders aus als der von gestern. Es ist auch ein ganz anderer! Als Überschrift über dem Plan an der Pinnwand steht „Nach dem Umbau“. Ich glaube, ich habe mir den falschen Orientierungsplan aus dem Internet ausgedruckt! Jetzt ist mir alles klar.
„Hi!“ Eva Maria mit ihrer Löwenmähne ist da.
„Hey!“, begrüße ich sie.
Lukas 08:15 Uhr. Die Zeit schleicht ... und schleicht. Obwohl es eigentlich spannend sein sollte, immerhin haben wir unsere erste Englischstunde des Jahres. Doch irgendwie kann ich mich für mein Lieblingsfach gerade nicht begeistern. Ich bin zu abgelenkt.
Mir ist das noch nie passiert, bei keinem Mädchen. Ich muss sie heute einfach wiedersehen! Entweder fällt mir dann irgendwas Hässliches bei ihr auf, damit ich sie vergessen kann, oder wir tauschen Handynummern aus. Noch nie in meinem Leben war mein Verlangen so groß, jemanden kennenzulernen. Ich fühle mich seit unserer ersten Begegnung irgendwie anders. Besser.
Melissa „Kommst du mit zum Pausenverkauf?“, Eva Maria lächelt mich fragend und voller Elan an.
Ich denke nach: Pausenverkauf bedeutet, viele Leute auf einem Fleck. Andererseits steigen so die Chancen, dass ich ihn wieder treffe. Überredet.
Wir schlendern los, eine Treppe hoch und dann einen breiten Gang entlang. Die weißen Türen mit den schwarzen Griffen sind alle geschlossen.
„Freut mich, dass du mich begleitest“, sagt Eva Maria plötzlich und wechselt die Hand, die ihren Geldbeutel halten soll.
„Gerne“, antworte ich ehrlich und betrachte ihr Portmonee mit einem Löwenmotiv, das optisch sehr gut zu ihr passt.
Dann fällt mein Blick wieder zum Gang und schließlich auf die Schilder neben den Türen. Überall kann ich eine „13“ erkennen. Das müssen dann wohl die Klassenzimmer der 13er sein. Ich schaue auf eine weitere Quarzuhr an der Wand. Diese Art von Uhr gehört hier wohl in jedem Gang zur Grundausstattung. In drei Minuten werden sich alle Pforten hier öffnen und die Schüler werden zur Verkaufsstelle und zur Toilette rasen. Hoffentlich sind wir bis dahin weg von hier.
Lukas Noch drei Minuten, dann bin ich endlich hier weg, und laufe direkt zum Pausenverkauf. Ich muss sie heute unbedingt wieder sehen, sonst werde ich verrückt.
„Warum zappelst du denn so?“, zischt Markus mich an.
„Ich muss zum Pausenverkauf, direkt nach dem ersten Gongschlag.“
Markus schüttelt mit dem Kopf. „Warum? So hungrig?“
„Fuchs! Mayer! Ruhe!“, unsere Lehrerin starrt uns mit finsterer Miene an, als sie unsere Nachnamen ausspricht.
Ich zucke kurz zusammen, während ich die neuen Matheformeln von der Tafel in mein Heft abschreibe.
Markus haut mir seinen Ellenbogen in die Seite. „Hör auf zu zappeln!“
Ich stöhne vor Schmerz kurz auf, was erneut die Aufmerksamkeit unserer Lehrerin auf uns lenkt, doch dieses Mal schweigt sie. Ich will weiter abschreiben, doch dann ertönt endlich der Gongschlag!
Ich springe auf, mein Ziel direkt vor Augen. Das Mädchen hat schon fünf Minuten Vorsprung. Wenn ich mich beeile, sehe ich sie vielleicht noch!
„Herr Mayer!“
Ich zucke zusammen und bleibe stehen. „Ja, Frau Hauser?“
„Haben Sie alles mitbekommen, was ich gerade eben gesagt habe?“
Ich zögere.
„Der Pausenverkauf hat heute erst in der zweiten Pause geöffnet. Es gab ein Problem mit der Logistik. Es tut uns leid.“
Als Antwort auf ihre Aussage knurrt der Magen von Markus so laut, dass sogar ich, am anderen Ende des Klassenzimmers, ihn noch hören kann.
Ich habe schon den Türgriff in der Hand, bereit ihn zu betätigen. „Ich wollte sowieso nur auf die Toilette gehen.“ Ich öffne die Tür und lasse Frau Hauser und meine Klasse hinter mir zurück.
Melissa „Oh man, ich habe so Hunger! Warum hat uns niemand gesagt, dass der Verkauf noch geschlossen hat?“
Ich zucke als Antwort auf Eva Marias Frage nur mit den Schultern.
„Gut, dass ich nie etwas mitnehme“, bemerkt sie ironisch.
„Ich kann dir was von meiner Breze abgeben“, schlage ich ihr vor.
„Gerne! Also, wenn das keine Umstände macht und du dann auch noch was zum Essen hast ...“
„Nein, das macht gar nichts“, beruhige ich sie.
Wir trotten wieder den breiten Gang entlang. Ehe ich registriere, was vor sich geht, ertönt der Gong und alle Klassenzimmertüren werden aufgerissen und lassen ihre Schülerinnen und Schüler auf den Gang stürmen. Bis auf eine Tür, weiter vorne.
Wir bewegen uns zügig vorwärts und kommen dieser Tür immer näher. Als wir direkt vor ihr stehen, wird sie aufgerissen.
Lukas Als ich nach draußen auf den Gang schaue, glaube ich zu träumen! Sie steht direkt vor mir! Das neue Mädchen, das mir seit gestern nicht mehr aus dem Kopf geht. Einfach so!
Ich bleibe mitten vor der geöffneten Tür stehen und kann gar nicht anders, als sie einfach nur anzusehen. Ihre Augen strahlen mir schüchtern entgegen. Ihr Blick ist dennoch selbstsicher auf mich gerichtet, als würde sie mich genauso mustern, wie ich sie.
Melissa Mir stockt der Atem: Es ist der fremde Junge, der seit gestern durch meinen Kopf geistert. Und jetzt steht er schlicht und einfach vor mir. Er sieht mich direkt an, funkelt mir mit seinen wundervollen blauen Augen entgegen, aber er sagt kein Wort. Er ist genauso sprachlos wie ich.
In diesem Moment weiß ich ...
Lukas ... dass es mich sowas von erwischt hat!
Ihrer Begleitung scheinen unsere Blicke aufgefallen zu sein. Schließlich ist das fremde Mädchen kurz stehen geblieben, um mich anzusehen. Um mir direkt in die Augen zu sehen!
Es waren nur ein paar wenige Sekunden, in denen wir uns gegenüberstanden, doch tief in meinem Inneren, hat sie noch etwas anderes angestellt. Ich weiß nur noch nicht, was genau.
Jetzt gehen sie weiter, bis zum Ende des Gangs und dann die Treppe hinunter. Kurz bevor sie aus meinem Sichtfeld verschwindet, dreht sie sich nochmal nach mir um.
Melissa Jetzt ist es amtlich: Ich mag diese Schule! Obwohl der Pausenverkauf ausfiel, der mich sowieso nur zu 50 Prozent kümmert. Schließlich habe ich Eva Maria die Hälfte meiner Breze geschenkt.
Sie nagt gerade vergnügt am Mittelstück und fragt mich über den fremden Jungen aus. „Seit wann kennst du ihn?“
„Gar nicht. Wir sind uns nur gestern auch schon kurz auf dem Gang begegnet.“
„Bei ihm hat‘s ja sowas von gefunkt! Er hat richtig gestrahlt, als er dich gesehen hat!“
Ich schaue sie an. „Ja, findest du?“
„Ja, der steht total auf dich!“, Eva Maria ist völlig aus dem Häuschen und lässt dabei ihre rotblonden Locken aufgeregt auf ihrem Kopf tanzen.
„Ich weiß nicht ...“
„Ach, Melissa! Das haben alle in drei Kilometer Entfernung genau gesehen!“, sie schluckt das Stück Breze runter. „Wie sieht‘s denn mit deinen Gefühlen aus, hm?“
Ich zögere, bevor ich antworte. „Er ist schon ganz süß ...“
„Schon ganz süß? Wenn du ihn nicht nimmst, schnappe ich ihn mir!“
Sofort unterbreche ich das Kauen und schaue sie entsetzt an.
„Ha! Erwischt! Du stehst auf ihn!“
Lukas Klar denken ist gerade unmöglich. Selbst während der zweiten Mathestunde bei Frau Hauser. Ich sollte mich endlich auf andere Dinge konzentrieren, sonst komme ich gleich von Anfang an mit dem Unterrichtsstoff nicht mehr mit.
„Die Kleine steht auf dich“, zischt Markus neben mir.
Mein Puls beschleunigt sich. Wie hat er das mitbekommen? Ich ignoriere aber seine Worte. Ich will mir keinen weiteren Ärger mit unserer Mathelehrerin einhandeln.
Ich werde diese Schule hier erfolgreich abschließen, mir das fremde Mädchen schnappen, studieren, dem Mädchen meine Welt zeigen, einen Job ergattern, sie heiraten, Kinder bekommen, glücklich und alt mit ihr werden! Aber um das zu schaffen, muss ich einen Schritt nach dem nächsten gehen: Gute Noten schreiben und sie ansprechen.
Gute Noten klappen nur während des Unterrichts, Ansprechen innerhalb der Pausen. Heute ist Mittwoch, vielleicht hat sie heute auch Nachmittagsunterricht? Ich werde Ausschau nach ihr halten.
Melissa Heute haben wir Sport am Nachmittag. Das ist die erste Schule, an der wir nachmittags Sport haben!
Voller Aufregung ziehe ich mich um. Schulsport war noch nie mein Ding. Ballsportarten schon, Leichtathletik geht auch noch einigermaßen, aber Geräteturnen? Nein, danke!
Als unsere Sportlehrerin verkündet, dass wir heute, an diesem warmen Tag des Spätsommers, raus auf den Hartplatz gehen und Ballspiele machen, bin ich total erleichtert.
„Was ist denn mit dir los?“, fragt mich Eva Maria vergnügt, während sie ihre Haare zu einem dicken Zopf zusammenbindet.
„Ach, ich bin froh, dass kein Geräteturnen stattfindet“, antworte ich.
Eva Maria kichert. „Noch nicht!“
Lukas
Meine Laune ist im Keller, allerdings nicht wegen BWR, sondern, weil ich sie in der Pause vor dem Nachmittagsunterricht, die ja meistens etwas länger angesetzt ist, nirgends gesehen habe. Eine Kantine haben wir nicht, nur einen Supermarkt in der Nähe. Wir waren wohl einfach nicht zur gleichen Zeit am gleichen Ort.
„Wenn ihr letztes Jahr in BWR gut aufgepasst habt, wird dieses Jahr ein Kinderspiel“, beruhigt uns Herr Hofer, unser Lehrer im Fach der Betriebswirtschaftslehre. Ich hatte ihn auch letztes Jahr schon und bin sehr gut mit ihm zurechtgekommen.
„Lukas, welcher Bereich bei BWR hat dich letztes Jahr am meisten beschäftigt?“
Ich grinse, als er mir plötzlich diese Frage stellt. Er weiß die Antwort doch selbst schon ganz genau. Schließlich hatte er alle meine offenen Fragen beantwortet und meine Prüfung als Zweitkorrektor geprüft. Es waren damals elf Punkte, die ich in der Abschlussprüfung ergattert hatte, entspricht also der Note Zwei.
„Die Abschreibungen waren sehr kompliziert“, antworte ich schließlich auf seine Frage.
Zufrieden über meine Antwort nickt Herr Hofer und wendet sich an den Rest der kleinen Klasse.
Wir bestehen hauptsächlich aus Jungs. Zehn Jungs, drei Mädchen. Für mehr Wirtschaftsbegeisterte, die ihr volles Abitur nachholen wollen, hat es nicht mehr gereicht. Schon Wahnsinn, wenn man bedenkt, dass wir letztes Jahr über 30 Schüler waren.
Der Unterricht läuft schon seit gut einer halben Stunde, als es draußen plötzlich lauter wird. Mein Blick wandert aus dem Fenster, neben dem ich sitze. Als ich auf dem Hartplatz des Sportgeländes viele Mädchen laufen sehe, spüre ich, wie sich mein Puls beschleunigt.
Markus rammt mir erneut seinen Ellenbogen in die Rippen. „Sieh mal, da sind ja die heißen Schnittchen aus der Elften“, flüstert er mir zu. Kein Wunder, dass er wieder Single ist, wenn er so über junge Damen redet.