Читать книгу: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 414»
Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-822-5
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Fred McMason
Der Köder
Als die Falle zuschnappte, war es für die Black Queen zu spät
Ohne Jussufs Brieftauben hätte Havanna für die Bewohner der Schlangen-Insel und den Bund der Korsaren auf dem Mond gelegen. So jedoch konnte Arne von Manteuffel mit Jussufs „Lieblingen“ innerhalb von vierzehn Stunden den Freunden auf der Schlangen-Insel Nachrichten zuspielen, die von höchster Wichtigkeit waren; so zum Beispiel die Nachricht, daß sich die Black Queen und Caligula in Havanna aufhielten und einen Pakt mit dem Gouverneur abgeschlossen hätten – und ein solcher Pakt bedeutet Gefahr für die Schlangen-Insel. Aber noch etwas enthielt die Brieftauben-Nachricht, nämlich Hasards Plan, wie der Negerin und ihrer Horde von Halsabschneidern beizukommen wäre. Man brauchte nur einen Köder auszulegen …
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Die Hauptpersonen des Romans:
Edmond Bayeux – ein Kapitän aus der Normandie und Nachfahre der Nordmannen. Darum hat er noch mehr als nur Haare auf den Zähnen.
„Petit Bouchon“ – des heißt „Stöpselchen“ und ist eine liebevolle Untertreibung, denn der Bootsmann steht seinem Kapitän in nichts nach, was den Körperwuchs betrifft.
Black Queen – die Negerin beißt auf den Köder an, als die „Caribian Queen“ vor Havanna aufkreuzt.
Caligula – ihm wird von „Stöpselchen“ mal eben so die Kinnlade verschoben, und damit beginnt für ihn der Anfang vom Ende.
Philip Hasard Killigrew – als er wieder das Kommando über die „Isabella“ übernommen hat, geht’s auf ins Gefecht.
1.
Havanna – 9. August 1594.
„Das also ist Havanna, ein Teil der Neuen Welt. Wirklich sehr erstaunlich!“
Der Mann, der das sagte, war ein beachtlicher Brocken, ein Klotz von einem Kerl mit gewaltigem Kreuz und Pranken, denen man ansah, daß sie mühelos alles zerquetschen konnten, was sie einmal gepackt hielten.
Sein Gesicht war kantig, der Schädel massig. Graue Augen musterten aufmerksam alles, was um ihn herum vorging. Sein Gesicht wurde von einem blonden, ziemlich wilden Bart eingerahmt. Dieser Mann war Edmond Bayeux, Kapitän der französischen dreimastigen Handelsgaleone „Le Griffon“.
Kauffahrtei, Handelsschiffahrt? Nun ja, vorausgesetzt, man legte das auf eine gewisse Weise etwas großzügig aus. Nicht alle wurden von der friedlichen Kauffahrtei satt, und so nahm man auch gern die Gelegenheit wahr, ein bißchen zu plündern oder Piraterie zu treiben – in allen Ehren selbstverständlich.
Die Kerle, die das Deck der „Le Griffon“ bevölkerten, hätten der Bibel nach Enakiter sein können, Nachfahren des riesenwüchsigen Volkes in Kanaan, so breit und wuchtig waren sie. Ihrem Kapitän standen die meisten in der Statur um nichts nach.
Es waren Normannen, Nachfahren jener skandinavischen Haudegen und Kämpen, die sich später in der Normandie festsetzten, Kerle in deren Adern noch das Blut ihrer Vorfahren pulsierte, vorzügliche Seeleute, die bestens mit dem Waffenhandwerk vertraut waren. Sie hatten auch einen soliden Sinn für schlitzohrige Geschäftstätigkeit entwickelt, und so schnell nahm ihnen niemand die Butter vom Brot.
Bezeichnend war daher auch der Name des Schiffes, „Le Griffon“, was soviel wie „Greif“ bedeutet.
Verdeutlicht wurde das durch die Flagge, die im Wind wehte. Sie war aus prächtigem roten Tuch, auf das ein goldener geflügelter Löwe mit Adlerkopf und zupackenden Krallen kunstvoll gestickt war.
Mit dieser Flagge liefen die Normannen in Havanna ein. Sie war sozusagen ihre Hausflagge.
Auf dem Meer ging es mitunter etwas ruppiger zu. Wenn Handel und Wandel nicht ganz nach ihren Wünschen blühten oder gediehen, dann zeigte Edmond Bayeux auch schon mal eine andere Flagge, und die sah gar nicht mehr so einladend und freundlich aus.
Diese andere Flagge, jetzt wohlweislich in der Kapitänskammer verborgen, war aus schwarzem Tuch. Darauf befanden sich zwei gekreuzte Knochen. Wer diese Knochenflagge zu sehen kriegte, dem klapperten in der Regel selbst die Knochen, und nach der Begegnung mit den harten „Le Griffons“ sah der Kauffahrer meist sehr gerupft aus.
Jetzt versuchte Bayeux, den Eindruck eines friedlichen Handelsfahrers zu erwecken. Seine Blicke gingen freundlich nach allen Seiten, ihm entging nicht die geringste Kleinigkeit.
Er hatte von den Reichtümern der Neuen Welt gehört. Von diesem sagenhaften Riesenkuchen wollte er sich eine gehörige Portion herunterschneiden. Er wußte nur noch nicht genau, wie er das anstellen sollte. Daher wollte er erst einmal sorgfältig die Lage peilen. Zunächst galt es also, den biederen Kauffahrer zu spielen, der in Havanna Handelsgüter einkaufen wollte, die im fernen Frankreich knapp waren.
Das waren unter anderem begehrte Sachen wie Rohzucker, Gewürze, Edelhölzer, Kupfer und Tabak. Letzterer ganz besonders, denn das Rauchen und Tabakschnupfen war in Mode gekommen und begann sich immer mehr durchzusetzen.
Bayeux grinste vor sich hin. Neben ihm auf dem Achterdeck stand der Bootsmann, der sich in Gedanken schon die Hände rieb, denn die Reichtümer der Neuen Welt versprachen ein angenehmes Leben, vorausgesetzt, man konnte auf diese oder jene Weise von dem großen Kuchen genügend heruntersäbeln.
Den Bootsmann nannten sie an Bord „Petit Bouchon“, das war der Ausdruck für „Stöpselchen“, eine liebevolle Verdrehung der Tatsachen.
Das „Stöpselchen“ nämlich maß sieben Fuß, und hinter seinem Kreuz konnten sich bequem zwei Männer verstecken. Er stand seinem Kapitän in nichts nach, und man sagte von ihm, er hätte in der fernen Normandie einen wildgewordenen Stier mit den bloßen Fäusten erschlagen. Wer ihn sah, der glaubte das unbesehen, denn in dem Bootsmann steckten unglaubliche Kräfte.
Mit richtigem Namen hieß er Marc Alderney und stammte von der gleichnamigen Kanalinsel. Aber seinen richtigen Namen nannte meist keiner. „Petit“ oder „Petit Bouchon“, das hörte sich weitaus besser an, und der Hüne hatte nichts daran auszusetzen, sonst wären die Decks der „Le Griffon“ längst verwaist gewesen.
„Ein schöner Hafen“, sagte der Bootsmann, „viel Umschlag, viele Waren, viele Leute. Da gibt es sicher auch viel zu holen.“
Der Kapitän grinste immer noch. Seine nordischen Schrats standen an Deck und stierten sich die Augen aus. Die Atmosphäre war so ganz nach ihrem Geschmack – herrliches warmes Wetter, Kneipen in den Gassen und in den Kneipen ganz sicher auch ein paar nette Frauenzimmerchen. Na, man würde sehen. Und freundlich waren die Leute hier, das wunderte sogar den Kapitän.
„Die lassen uns ungehindert einlaufen“, sagte er erstaunt zu seinem Bootsmann. „Da gibt es nicht die geringsten Schwierigkeiten. Keiner will was von uns. Ist doch merkwürdig, oder?“
„Schließlich sind wir ein friedfertiger Handelsfahrer, Capitane. Wir haben an Deck nur vier Kanonen, und achtern und vorn eine Drehbasse. Wenn man so harmlos einläuft, muß das ja friedlich aussehen.“
„Haha, an Deck ist gut“, sagte Bayeux lachend. „Das ist wirklich gut. Na ja, das andere sieht man ja nicht. Muß man auch nicht“, fügte er mit grollendem Gelächter hinzu. Dann wurde er unvermittelt wieder ernst.
„Die vielen Gaffer im Hafen gefallen mir nicht. Ich kann diese Kerle nicht ausstehen, die jedes Schiff belauern und nur darauf warten, es beklauen zu können.“
„Hier müssen wir sie schon in Kauf nehmen. Friedlichen Leuten begegnet man friedlich.“
Bayeux entschloß sich, auch erst einmal friedlich zu bleiben. Es erstaunte ihn trotzdem immer noch, daß es keine Kontrollen im Hafen gab und er ungehindert hatte einlaufen können. Normalerweise war das mit etlichen Formalitäten verbunden.
Aber er konnte nicht wissen, was inzwischen geschehen war.
Der Gouverneur von Havanna, Don Antonio de Quintanilla, hatte vor zwei Tagen die Order erlassen, jedes Schiff ohne die üblichen Formalitäten passieren zu lassen. Die Order erhielt jedoch noch einen Zusatz an die Hafenkommandantur mit der strikten Anweisung, das betreffende Schiff nur dann wieder auslaufen zu lassen, wenn eine persönliche Genehmigung des Gouverneurs vorlag.
Das war der Haken bei dieser scheinbaren Freundlichkeit, denn der ehrenwerte Gouverneur hatte die Absicht, fremde Schiffe für die Black Queen und Caligula beschlagnahmen zu lassen, falls die beiden das wünschten und das „Objekt“ ihre Zustimmung fand. Mit der „Wappen von Kolberg“ hatte es ja leider nicht mehr geklappt, die war gerade noch rechtzeitig entwischt und in See gegangen. Mit der neuen Gouverneurs-Order sollte das künftig verhindert werden.
So segelte Bayeux ahnungslos in die Falle und war über die freundliche Behandlung höchst verwundert.
Eine kleine Jolle tauchte auf und wies der „Le Griffon“ ihren Liegeplatz zu. Sie erhielt den Platz, an dem vormals die „Wappen von Kolberg“ gelegen hatte.
Bayeux ahnte immer noch nicht, daß sich seinetwegen bereits eine ganze Menge im Hafen tat und sein Einlaufen von vielen Augenpaaren sehr aufmerksam registriert wurde.
Auch in der Faktorei des Deutschen Arne von Manteuffel sahen Arne, Jussuf und Jörgen Bruhn dem Anlegemanöver zu.
„Himmel, sind, das Kerle“, sagte Jörgen erstaunt. „Ich bin ja einiges gewohnt, aber von denen ist wirklich jeder ein Stier. Diese Brocken können bestimmt ganz schön zulangen, wenn’s mal sein muß.“
Arne nickte schweigend und blickte zu der Flagge aus rotem Tuch mit dem geflügelten Löwen und dem Adlerkopf. Seltsame Kerle sind das, dachte er, Haudegen von der ganz harten Sorte, das sah man bereits auf den ersten Blick.
Er trat etwas vom Fenster zurück und beobachtete weiter, was sich dicht vor seiner Faktorei abspielte.
Noch jemand wurde sofort über die Ankunft des neuen Schiffes informiert. Der Posten von der holländischen Fleute „Zeehond“, auf der sich die Queen und Caligula einquartiert hatten, hatte Befehl, jedes einlaufende Schiff sofort zu melden.
Das tat er jetzt und alarmierte augenblicklich die Black Queen, kaum daß die Galeone richtig vertaut war.
„Das sehen wir uns sofort an“, sagte die Black Queen. „Vielleicht ist es genau das Schiff, das wir brauchen.“
Auch Caligula war rasch auf den Beinen. Die beiden verloren keine Zeit. Schließlich mußte man ja erst einmal „begutachten“, ob das Schiffchen überhaupt zu gebrauchen war.
2.
Seit sich die Queen und Caligula des persönlichen Schutzes des Gouverneurs erfreuten, gaben sie sich anmaßend, überheblich und arrogant. Caligula benahm sich schon so, als gehöre ihm der größte Teil von Havanna, und die Queen verhielt sich nicht viel anders. Hochmütig sahen sie über die anderen hinweg, als sie zum Liegeplatz des französischen Dreimasters schlenderten.
Sie fielen auf wie zwei bunte Hunde, doch das störte sie nicht im geringsten. Der fette Gouverneur hielt schützend seine dicken Hände über sie, und so konnte gar nichts mehr passieren. Man war ja wer, und durfte sich alles mögliche herausnehmen. So jedenfalls dachten die beiden.
In provozierender Haltung blieben sie dicht vor der „Le Griffon“ stehen. Die Queen trug ein Kleid, unter dem sich ihre Konturen stark abhoben. Sie stellte sich noch mehr zur Schau, als sie die Brüste vorreckte.
Caligula hatte die Augen zusammengekniffen, kratzte mit der linken Hand seinen dichten Bart und sah das Schiff so prüfend an, als wollte ihm einer faule Äpfel verkaufen.
„Na, ich weiß nicht“, sagte die Queen naserümpfend. „Mit der Bewaffnung ist es nicht weit her. Auf jeder Seite der Kuhl nur zwei Kanonen, was soll man damit groß anfangen!“
„Achtern und vorn je eine Drehbasse“, murmelte Caligula, „das gibt wirklich nicht viel her.“
„Das hat wohl mehr symbolischen Charakter“, meinte die Schwarze abfällig und rümpfte wieder die Nase. „Die paar Kanönchen sollen wohl der Mannschaft Stärke und Kraft einflößen. Was meinst du dazu?“
Der bärtige Neger mäkelte weiter an dem Schiff herum, als sei es längst sein Eigentum, das sich jetzt als faule Ware herausstellt.
„Stabil scheint die Kiste zu sein“, meinte er entschlußlos. „Aber die Bewaffnung ist miserabel.“
Er trat näher heran und klopfte gegen das Holz. Daß ihn dabei feindselige Blicke trafen, juckte ihn nicht. Er und die Queen konnten ja schließlich bestimmen, wem das Schiff in Zukunft gehörte. Was scherte sie da der Besitzer!
Aber ihren aufmerksamen Blicken entging doch einiges, denn das war hervorragend getarnt. Bayeux war nicht umsonst ein Schlitzohr und geriebener Kerl.
Im Vor- und im Achterkastell der „Le Griffon“ befanden sich auf jeder Seite nochmals sechs Kanonen, drei vorn und drei achtern. Allerdings waren die Stückpforten so hervorragend getarnt, daß Caligula sie selbst aus allernächster Nähe nicht entdeckte. Und unter dem Kuhldeck standen auf jeder Seite noch mal vier schwere Stücke. Deren Stückpforten waren ganz einfach unsichtbar, weil sie durch eine dicke Scheuerleiste und weitere Schmuckleisten verdeckt waren. Keiner der Einschnitte war daher zu sehen.
Die Queen ging ein Stück weiter, beugte sich etwas vor und pochte wieder ans Holz. Caligula trat mit dem Fuß dagegen. Dann blickten beide zu den Masten hoch.
An Deck standen hünenhafte nordische Schrats, deren Gesichter immer verkniffener wurden, als das Weib und der Kerl immer wieder ans Holz klopften und sich dann abfällig unterhielten. Sie sahen das an den arroganten Gesichtern, obwohl sie kein Wort verstanden.
„Ich glaube, wir nehmen es“, sagte die Queen herablassend. „So schlecht ist es nicht. Die Kerle sollen zum Teufel gehen, das überlassen wir den Stadtgardisten, die können sie fortjagen. Ich habe mich entschieden, Caligula.“
„Ja, du hast recht.“ Caligula knallte wieder mit dem Fuß gegen die Beplankung und nickte, während die Nordmänner da oben jetzt so aussahen, als hätten sie in Roßäpfel gebissen, die man ihnen als frisches Obst verkauft hat.
„Gut, dann nehmen wir es“, sagte Caligula. „Wenn die Stadtgardisten die Kerle zum Teufel gejagt haben …“
„Sie sollen sie in die Kerker werfen“, unterbrach die Queen. „Wer da mal drinsitzt, kann nicht mehr viel unternehmen. Da sind sie bestens untergebracht.“
„Wenn das der Fall ist, lassen wir das Schiff zur ‚Zeehond‘ ins Arsenal verholen“, fügte Caligula hinzu. „Dort werden wir dann für eine stärkere Armierung sorgen. Kein Problem, solche Dinge regelt der dicke Gouverneur mit links. Na bitte, damit haben wir den zweiten Kahn. Ich sehe keine Probleme mehr“, setzte er großmäulig hinzu.
Inzwischen wuchs dem Kapitän Bayeux die Galle zu doppelter Größe an, sie lief ihm langsam, aber sicher über.
Er war von Natur aus ein äußerst mißtrauischer und vorsichtiger Kerl und konnte es auf den Tod nicht ausstehen, wenn jemand seine „Le Griffon“ so besitzergreifend musterte, mit den Füßen ans Holz trat und sich so benahm, als gehöre ihm das Schiff.
Diese beiden schwarzen Gaffer behagten ihm ganz und gar nicht, das sah er an dem Glitzern in ihren Augen und an ihrer verächtlichen Gestik. Überhaupt – was hatte das schwarze Weib hier zu suchen? Die benahm sich, als hätte sie hier was zu sagen. Dabei war sie sicher nicht mehr als eine der zahlreichen Hafenhuren.
Nein, solchen Typen mußte man gleich verklaren, was man von ihnen hielt. Langfinger waren das, Lumpenpack, wie es sich in jedem Hafen der Welt herumtrieb und nur darauf lauerte, etwas abzustauben oder zu klauen. Wenn man denen gleich richtig den Marsch blies, dann sprach sich das schnell herum, und jeder andere war gewarnt und würde künftig seine dreckigen Griffel von dem Schiff lassen.
Noch etwas anderes behagte ihm ebenfalls nicht. Diese beiden Farbigen glotzten der „Le Griffon“ fast unter das Hemd. Besonders dieser Kaffer mit dem baumelnden Ohrring interessierte sich für die Beplankung.
Aber was daruntersteckt, geht den Ohrringkaffer ja verflucht nichts an, dachte Bayeux erbost. Der glotzt noch so lange, bis er die Wahrheit kennt, daß nämlich die „Le Griffon“ wirklich gut armiert ist und ihre Stückpforten hervorragend getarnt sind.
„Das sind Langfinger und Tagediebe“, sagte er zu Petit Bouchon, „das sehe ich denen an der Nase an. Die haben was vor.“
„Scheint mir auch so“, sagte der Bootsmann, „die stinken mir schon seit dem ersten Anblick.“
„Wenn du die Stelling ausbringst, dann tritt ihnen mal etwas auf die Latschen“, sagte Bayeux. „Du weißt schon.“
„Soll es milde oder darf es auch etwas kräftiger sein?“
„Das überlasse ich dir“, brummte Bayeux, „obwohl milde für dich ein Fremdwort sein dürfte.“
„Hab’ ich auch noch nie gehört“, sagte der Bootsmann grinsend.
Die beiden standen immer noch vor dem Schiff, peilten, unterhielten sich und klopften wieder ans Holz. Bei jedem Tritt des Negers geriet der goldene Ohrring in schaukelnde Bewegungen.
Na warte, Freundchen, dachte der Bootsmann, dein Ohrring wird gleich noch heftiger schaukeln.
Er winkte zwei Männern, ihm beim Ausbringen der schweren Stelling zu helfen. Normalerweise hantierten vier Mann mit der schweren und eisenbeschlagenen Laufplanke. Genau genommen hätte sich der Bootsmann das schwere Ding unter den Arm klemmen und von Bord tragen können, er hatte es schon oft getan, aber diesmal wählte er extra noch zwei „Kerlchen“ aus, Männer, die ihm gerade bis ans Kinn reichten und deshalb von ihm als „Kerlchen“ bezeichnet wurden. Immerhin waren sie fast sechs Fuß groß, bärtig, blondhaarig und kompakte Riesen.
„Ihr tragt achtern, ich vorn“, sagte er. „Und nun, hopp auf!“
Er packte die schwere Planke vorn lässig mit einer Hand, während die beiden anderen achtern trugen.
Der Bootsmann sah zu dem Neger, der gar nicht daran dachte, einen Schritt zur Seite zu treten. Caligula meinte, das nicht nötig zu haben, außerdem war er sich seiner unglaublichen Körperkräfte durchaus bewußt. Er grinste nur hochnäsig und nahm die bärtigen Blonden überhaupt nicht zur Kenntnis.
Inzwischen hatte auch Bayeux das Achterdeck verlassen und sah mit frommen Augenaufschlag zu, wie der Bootsmann mit der schweren Laufplanke das Schiff verließ. Bei seinen langen Beinen war dazu nur ein richtiger Schritt erforderlich, um Bord und Pier zu überbrücken. Die beiden anderen brauchten nicht von Bord, sie sollten die Stelling nur an Deck absetzen.
Der Riese war jetzt an Land. Die eisenbeschlagene Stelling hielt er immer noch mit einer Hand fest, drehte sie leicht und ließ sie dann fallen. Dabei grinste er freundlich.
Das Monstrum sauste Caligula genau auf die Zehen. Der Kerl mit dem blöden Ohrring hätte ja auch zur Seite treten können, dachte der Bootsmann.
Caligula war ein harter Mann, alles was recht ist, ein Schläger und Mörder der übelsten Sorte, der zwar schon viel eingesteckt, aber noch mehr ausgeteilt hatte.
Gegen diesen wahnsinnigen Schmerz jedoch war auch er nicht gefeit. Als das schwere eisenbeschlagene Ding auf seine Zehen krachte, schoß ihm das Wasser brennend in die Augen.
Unwillkürlich stieß er einen unartikulierten jaulenden Schrei aus, hüpfte hoch, griff nach seinem Fuß und begann brüllend auf dem anderen zu tanzen.
Petit Bouchon registrierte, daß der Ohrring jetzt tatsächlich noch viel schneller baumelte, ja, daß er im Takt des jaulenden Negers direkt mithüpfte. Er grinste immer noch freundlich. Dann zwinkerte er beiden anderen Kerlen an Bord zu.
Die ließen jetzt auch die Laufplanke los. Die Stelling krachte donnernd an Deck, schnellte aber sehr elastisch auf der Pier noch einmal federnd hoch und schlug nach unten.
Caligula tanzte noch einbeinig herum, da erwischte die herabdonnernde Stelling seinen Hüpffuß.
Ein zweiter Schrei ertönte, noch lauter und durchdringender als der erste. Der Neger schrie und brüllte, verlor fast das Gleichgewicht und zerrte seinen Fuß jaulend unter der Planke hervor.
Es mußten verdammt starke Schmerzen sein, sonst hätte Caligula nicht so erbärmlich wie ein Hund gejault. Er tanzte weiter herum und schrie und fluchte sich die Kehle heiser. Sein Gesicht war vor Wut und Schmerz verzerrt.
Jetzt explodierte die Black Queen in ihrer wilden Art, denn sie sah das als eine Provokation des bärtigen Riesen an, der immer noch so freundlich grinste.
Wie eine wilde Raubkatze fiel sie den Bootsmann an. Sie holte zu einem harten Schlag aus und wollte dem Riesen die Handkante ins Genick schlagen.
Doch Petit Bouchon, das Stöpselchen, war etwas zu groß für die Queen. Mit Handkantenschlägen ins Genick war da kaum etwas auszurichten.
So traf ihn der mörderisch und mit aller Wucht geführte Hieb lediglich ins breite Kreuz. Dieses Kreuz war eine kompakte Masse aus eisenharten Muskeln. Die Queen hätte in ihrer wilden Wut auch auf eine Ziegelmauer einschlagen können. Es wäre kein Unterschied gewesen.
Die Queen konnte hart zuschlagen, das hatte sie bewiesen, und so mancher Schnapphahn konnte auch heute noch ein Lied davon singen. Sie hatte harte Kerle zusammengedroschen und eigenhändig über Bord geworfen.
Diesmal war seltsamerweise alles anders. Als dem Bootsmann die Handkante ins Kreuz fuhr, drehte er sich gelassen um und war immer noch am Grinsen. Er sah den Ohrringkaff er herumhüpfen, und er sah das wilde, wutverzerrte Gesicht der Frau, die gerade wieder auf ihn losgehen wollte. Mit ihrer Handkante holte sie zum zweiten Schlag aus.
„Hoho!“ rief er lachend. „Das schwarze Luderchen pustet wohl mit Watte, was!“
Bayeux und seine rauhen Gesellen standen an Deck und sahen grinsend zu, wie sich das „schwarze Luderchen“ erneut auf ihren Bootsmann stürzte. Sie war eine wilde, reißende Bestie, die ihre scharfen Krallen zeigte, doch am Bootsmann prallte alles ab, wie Wasser an einem Felsblock.
Er drehte sich halb zur Seite und holte kurz aus. Er wollte dem schwarzen Luderchen beileibe nicht die Faust unters Kinn setzen – bei Weibern mußte man da sehr zurückhaltend sein –, aber ein sanftes Streicheln würde sie sicher zur Besinnung bringen.
Die Queen raste vor Wut, weil sie an diesem Klotz von Kerl einfach nichts anbringen konnte. Der stand da wie ein Panzernashorn, bei dem selbst ein Erdbeben keine Wirkung zeigt.
Dann klatschte es einmal laut. Die flache Hand des Bootsmannes flog der Queen an die Ohren. Petit Bouchon hatte nur ganz kurz ausgeholt, aber der Schlag dieser bratpfannengroßen Handfläche zeigte eine erstaunliche Wirkung.
Verblüfft sahen die anderen zu, wie sich das schwarze Luderchen von der Pier löste und fast waagerecht davonsauste, als hätte ein Tornado sie hinweggefegt. Sie ruderte mit den Armen in der Luft und griff haltsuchend um sich – doch da war nichts. Losgelöst von aller Erdenschwere segelte sie über die Pier. Ihre Beine berührten einmal flüchtig den Boden, dann trieb die Wucht der Ohrfeige sie in einen Stapel leerer Kisten. Es krachte laut. Der Kistenstapel brach zusammen und begrub die Queen mit prasselndem Getöse. Die restlichen Kisten polterten auf die Pier, dann herrschte für Augenblicke tiefe Stille.
Inzwischen hatten sich auch ein paar Gaffer eingefunden, die mit aufgesperrten Mäulern zusahen, was da passierte.
Der Bootsmann räusperte sich, sah auf den zusammengestürzten Kistenstapel und wollte wieder an Bord gehen. Den hüpfenden Kerl mit dem baumelnden Ohrring übersah er großzügig.
Caligula, der so ganz nebenbei eine schwere und äußerst schmerzhafte Schlappe eingesteckt hatte, sah nur noch rot. Sein jäh aufflammender Jähzorn ließ ihn den rasenden Schmerz vergessen. Jetzt lief er Amok, außer sich vor Wut. In seinen Augen funkelte blanke Mordlust. Dieser Blondbart hatte ihn zur lächerlichen Figur degradiert, und jetzt lachten sie mehr oder minder versteckt über ihn. Er fühlte sich gedemütigt und verächtlich behandelt, und wenn so etwas passierte, dann wurde er tückisch.
„Bastard!“ schrie er heiser. Ein Griff zum Gürtel, und er hielt sein Messer in der Hand.
„Ich glaube, der Kaffer will was von dir, Stöpselchen“, sagte der Kapitän gelassen. „Vielleicht will er aber auch nur sein Messer an den Katzenköpfen wetzen. Sieh doch mal hin.“
Petit Bouchon sah hin. Er sah einen schwarzen Kerl mit gebleckten Zähnen und wild rollenden Augen. Das Weiße in den Augen war jetzt rot, und in der Faust hielt der Kaffer ein ganz beachtliches Messer.
„Sieht so aus, als hätte er es schon gewetzt“, meinte der Bootsmann, „ich kann ihn ja mal fragen.“
Caligula raste. Vor seinen Augen tanzten rote Ringe. Er packte das Messer fester und begann, um den Riesen zu kreisen. Mal sprang er blitzschnell vor, dann wieder zurück. Es ärgerte ihn bis zur Weißglut, daß ihn dieser Kerl nicht für voll nahm, ja, daß er sich sogar noch grinsend mit den anderen unterhielt.
Das war Caligula noch nie passiert. Er verstand zwar nicht, was sie sagten, aber er wußte, daß sie über ihn grinsten, über ihn und die Black Queen, die dieser Bärtige mit einem Schlag seiner Pranke von der Pier gefegt hatte.
Ein Schritt seiner langen Beine brachte Petit Bouchon näher, so daß er dicht vor dem Schwarzen stand. Der holte jetzt mit dem Messer zum tödlichen Stich aus. Da hörte auch der Bootsmann auf zu grinsen, denn er sah Mordlust in den Augen des Schwarzen funkeln.
Klar, der wollte sein Messerchen wetzen, aber nicht an den Katzenköpfen, sondern an ihm selbst. Vielleicht wollte er mal nachsehen, wie das Innenleben des Bootsmanns aussah.
Die mächtige Pranke schoß in dem Augenblick vor, als der rasende Caligula zustoßen wollte. Diese Pranke schlug ihm so hart auf die Finger, daß die Messerhand wie gelähmt war. Er spürte sie überhaupt nicht mehr. Sein Arm war bis zum Schultergelenk schlagartig taub. Das Messer fiel zu Caligulas Entsetzen klirrend auf die Katzenköpfe.
Verdammt, und dabei war er doch so höllisch schnell gewesen!
Der hünenhafte Bootsmann grinste verächtlich, trat noch einen Schritt seitwärts und stand dann neben dem Messer. Er sah den wilden Schwarzen kalt an, holte mit dem rechten Fuß aus und trat zu. Das Messer schoß über die Pier, sauste ins Hafenwasser und versank mit leisem Klatschen.
„Du Bastard!“ brüllte Caligula heiser. „Du verdammter, lausiger Bastard!“
Brüllend hob er die Fäuste und schlug in wilder Wut zu.
„Der Kaffer hat dich Bastard genannt, Stöpselchen“, sagte der Kapitän. „Offenbar spricht er Französisch.“
Die Kerle an Deck grinsten wieder, denn sie kannten ihren Bootsmann und auch ihren Kapitän, der immer gern alles kommentierte, dabei aber gelassen zusah. Er nahm die Schlägerei offenbar gar nicht so ernst, weil er wußte, wieviel Dampf in den Fäusten des „Stöpselchens“ steckte.
Der erste harte Schlag Caligulas traf den mächtigen Unterarm des Bootsmanns mit granitharter Wucht. Aber auch dieser wilde Schlag ging wieder in eine Ziegelmauer, denn er zeigte nicht die geringste Wirkung. Ein Moskitostich hätte bei Petit Bouchon wesentlich mehr Reaktionen hervorgerufen. So aber sah er den tobenden Schwarzen nur kopfschüttelnd an. Er wußte nicht, daß dieser Kerl mit bloßen Händen schon etliche Leute umgebracht hatte.
Caligula drosch ihm eine brettharte Rechte vor die Brust. Die Faust stand dem Bootsmann noch auf den Rippen, da griff er zu. Er packte das Handgelenk des Schwarzen und drückte es zusammen.
Diesmal schlug er richtig zu, knüppelhart und ohne Erbarmen. Bei diesem Kerl brauchte er nicht so zimperlich zu sein. Seine bratpfannenähnliche Pranke schloß sich zur Faust und wurde damit zu einer Eisenkugel, die einem Siebzehn-Pfünder in nichts nachstand.
„So ist’s recht“, kommentierte der Kapitän zufrieden. „Und nun setz dem Kerl mal die Segel.“
Dieser Worte hätte es zwar nicht bedurft, aber Bayeux war schließlich der Kapitän, der die Kommandos gab. Und es freute ihn außerordentlich, daß dieser „Kaffernlümmel“ sein aufdringliches Gehabe endlich ablegte, wenn der Bootsmann ihm die Segel setzte.
Petit Bouchon packte in diesen Schlag alles rein, was er drin hatte. Die Faust donnerte Caligula unters Kinn, daß es eine Pracht war.
Die Queen war ziemlich schnell davongesegelt, doch Caligula übertraf sie an Geschwindigkeit mühelos.
Als der Bootsmann zuschlug, ließ er gleichzeitig Caligulas Handgelenk los. Die Wucht dieses Schlages war mehr als erstaunlich.
Caligula flog zurück, als hätte man ihn aus einer Culverine abgefeuert. Er sauste über die Katzenköpfe, überschlug sich immer wieder, rollte weiter, überschlug sich erneut und erweckte den Anschein, als wolle er den Rest seines Lebens nur noch mit Überschlägen verbringen.
Bayeux nickte sachverständig Beifall und sah interessiert zu, wie der Schwarze über die Pier schoß, sich überkugelte und auf die Faktorei zuraste. Er prallte an die Stufen, die zu einer Haustür hochführten, stieß hart dagegen und überschlug sich ein letztes Mal. Mit einer müden Drehung fiel er auf den Rücken und blieb reglos liegen.
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