Читать книгу: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 137»

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Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-461-6

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

„Rrrrums!“ sagte Batuti, der hünenhafte Gambia-Neger.

Dan O’Flynn rieb sich das Kinn. Matt Daviles kratzte sich mit der scharfgeschliffenen Spitze seiner Hakenprothese im Haaransatz. Sie standen an Deck der aufgeslippten „Isabella VIII.“ und lauschten dem Rumoren, das aus dem Achterschiff drang – immer dann, wenn für eine Weile der Krach der Hämmer, Beitel und Äxte verstummte, mit denen der Schiffsrumpf vom Muschelbewuchs befreit wurde.

„Rrrrack!“ fuhr Batuti in seinen lautmalerischen Beschreibungen fort. Sein weißes Prachtgebiß blitzte in dem schwarzen Gesicht. „Kleines Seewölfe wild wie junges Tiger, eh?“

Dan O’Flynn nickte nur.

Er konnte es immer noch nicht ganz fassen, daß sie die beiden Jungen, die Batuti „kleines Seewölfe“ nannte, wirklich und wahrhaftig an Bord hatten. Und den anderen ging es genauso. Sie waren in den Hafen von Tanger eingelaufen, um die „Isabella“ der dringend nötigen Generalüberholung zu unterziehen. Der Zufall hatte sie in jenes Zelt auf dem Platz im Gewirr der Gassen geführt, in dem eine Gruppe von Gauklern ihre Vorstellung gab. Die Attraktion war ein ziegenbärtiger Zauberer namens Kaliban, der einen kleinen Jungen verschwinden und in der nächsten Sekunde am anderen Ende der Bühne wieder auftauchen ließ. Ein unglaublicher Trick! Unglaublich jedenfalls solange, bis Dan O’Flynn auffiel, daß dieser schwarzhaarige Junge mit den eisblauen Augen Philip Hasard Killigrew, dem Seewolf, wie aus dem Gesicht geschnitten war.

Als Dan das erkannte, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

Zwillinge! Das war der Trick des Zauberers: er arbeitete mit zwei Jungen, die sich ähnelten wie ein Ei dem anderen. Und danach brauchte Dan nur noch zwei und zwei zusammenzuzählen, um zu begreifen: diese Zwillinge waren niemand anders als die verschollenen, totgeglaubten Söhne des Seewolfs.

Hasard hatte es zuerst nicht glauben wollen.

Trotz der Versicherung, daß die beiden Jungen auch eine gewisse Ähnlichkeit mit Gwen hätten, seiner toten Frau, Dans Schwester. Zu deutlich stand ihm noch die Szene vor Augen, als ihm sein Todfeind, der degradierte Hauptmann Isaac Henry Burton, mit seinem letzten Atemzug entgegengeschleudert hatte, er brauche seine Kinder nicht länger zu suchen, da sie beide tot seien. Aber dann hatte Hasard selbst die Vorstellung der Gaukler besucht. Und danach gab es auch für ihn keinen Zweifel mehr: er hatte seine Söhne gesehen, Hasard und Philip. Der sterbende Burton mußte noch in seiner Todesstunde von dem Wunsch beseelt gewesen sein, seinem Feind einen letzten, vernichtenden Schlag zu versetzen.

Die Zwillinge lebten!

Und für den Seewolf gab es kein Zögern: er würde seine Söhne mitnehmen. Das Recht war auf seiner Seite – das Recht des Vaters auf seine Kinder. Nur konnte man das den Zwillingen nicht erklären. Sie hatten ihren Vater nie gesehen, waren im Orient aufgewachsen und sprachen nur Türkisch. Heimlich hatten die Seewölfe die beiden Jungen auf die „Isabella“ entführt. Und jetzt hämmerten sie in der Kammer im Achterschiff gegen die Tür, weil sie ’rauswollten – „wild wie junges Tiger“, wie es Batuti sehr treffend ausgedrückt hatte.

Philip Hasard Killigrew marschierte mit langen Schritten auf dem Achterkastell hin und her.

Er zerbrach sich den Kopf. Am liebsten wäre er sofort ausgelaufen, aber das ging nicht, weil sich die Arbeiten an der „Isabella“ noch eine Weile hinziehen würden. Und inzwischen mußte, er aufpassen, daß niemand auf die Idee verfiel, die beiden verschwundenen Jungen bei ihm an Bord zu vermuten. Er mußte sich etwas einfallen lassen, um seinen Söhnen zu erklären, daß sie sein Fleisch und Blut seien.

Verdammt und zugenäht, dachte er.

Wie sollte er zwei Türkisch sprechenden Kindern in der Zeichensprache erklären, daß es einen eindeutigen Beweis für ihre Identität damals gäbe: die Haifisch-Symbole, die ihnen ihre Entführer damals auf die Schulterblätter tätowiert hatten? Wie sollte er sie überhaupt dazu bringen, zuzuhören – so, wie sie sich gebärdeten? Als Vater konnte man schließlich keine Gewalt anwenden, oder?

Es war überhaupt ziemlich schwierig, nach sieben Jahren plötzlich die Vaterrolle für zwei Jungen zu übernehmen, die noch dazu ziemlich ausgekocht, flink und kampfkräftig geraten waren. Hasard hätte sich am liebsten die Haare gerauft, und allmählich hatte er das Gefühl, daß es leichter sei, mit einem tropischen Wirbelsturm oder einer spanischen Kriegsflotte fertigzuwerden als mit seinen neuen, ungewohnten Pflichten.

Er seufzte unterdrückt.

Big Old Shane, der ehemalige Schmied der Feste Arwenack, beobachtete ihn mit einem leicht amüsierten Funkeln in den Augen. Donegal Daniel O’Flynn senior stampfte mit seinem Holzbein auf die Planken.

„Als Großvater würde ich meine neuen Enkel ja gern mal richtig ’rannehmen“, brummte er. „Wetten, daß man denen erst mal gründlich die Flausen austreiben muß?“

„Quatsch“, knurrte Hasard.

„Ha! Sie sind halbe O’Flynns, nicht? Ich habe sieben O’Flynn-Söhne großgezogen …“

„Indem du sie jeden Tag mit deinem verdammten Holzbein verdroschen hast“, sagte Dan von der Kuhl. „Deshalb sind sie dir ja auch alle ausgerückt, du Musterbild von einem Vater!“

„Ha! Hat es dir etwa was geschadet, du Rotzlümmel? Könntest du vielleicht heute auf diesem Kahn mit deinen Navigationskenntnissen angeben, wenn dir dein alter Vater nicht beizeiten eingebläut hätte, wie sich ein echter O’Flynn zu benehmen hat, he?“

Dan grinste still vor sich hin.

So unrecht hat das alte Rauhbein gar nicht, dachte er. Wenn sein Vater nicht versucht hätte, ihn mit dem abgeschnallten Holzbein in die langweilige Lehre bei einem Sargtischler zu prügeln, wäre er nie als sechzehnjähriges Bürschchen von zu Hause ausgerissen. Dann hätte er sich nicht in der legendären Schlacht vor der „Bloody Mary“ auf Hasards Seite schlagen können, wäre nicht auf Francis Drakes „Marygold“ gelandet und natürlich auch nicht auf der „Isabella“.

„Die nehmen noch das Schiff auseinander“, unkte Ferris Tucker, der riesige rothaarige Zimmermann.

„Na und?“ nahm Dan Partei. „Das würde ich auch, wenn mich jemand so mir nichts, dir nichts verschleppt hätte.“

„Batuti geht Türken klauen“, erbot sich der schwarze Herkules. „Mit Türken, was spricht Spanisch, wir können kleine Tiger alles erklären.“

„He!“ sagte Dan. „Die Idee ist ausgezeichnet!“

So übel war die Idee wirklich nicht. Nur leider undurchführbar. Wenn sie einen Einheimischen in die Sache hineinzogen, würde der natürlich später den Mund nicht halten. Und sie konnten nach allem schließlich nicht auch noch einen Türken entführen. Hasard stemmte die Fäuste in die Hüften und machte Anstalten, Dan und Batuti anzupfeifen, weil er ein Ventil brauchte.

„Wollen wir die beiden übrigens da unten verhungern lassen?“ fragte Big Old Shane dazwischen.

Hasard schluckte.

Dann holte er tief Luft.

„Kutscher!“ brüllte er. Und nach kurzem Überlegen: „Bill! Wo steckt der Bengel, in drei Teufels Namen?“

Der schlaksige, noch nicht erwachsene Schiffsjunge flitzte bereits herbei. Er war der jüngste der Crew, und Hasard nahm an, daß sich die Zwillinge vor ihm vielleicht am wenigsten fürchten würden. Der Kutscher, Koch und Feldscher auf der „Isabella“, hatte bereits eine kräftige Suppe vorbereitet, und die trug er jetzt in einer dampfenden Schüssel über den Niedergang.

Bill, Hasard und Big Old Shane folgten ihm, wobei Hasard das Bedürfnis fühlte, sich heftig am Kopf zu kratzen. Es war schon eine vertrackte Sache, wenn die eigenen Söhne einen anstarrten wie den leibhaftigen Kinderklau. Bei der ersten Begegnung hatte er von Hasard junior einen brettharten Tritt vor’s Schienbein kassiert und einen Fausthieb zum Kinn, der auch nicht von schlechten Eltern war. Und irgend jemand hatte dazu im Hintergrund gemurmelt, daß der Apfel eben nicht weit vom Stamm falle.

Der Kutscher hob die Brauen, als er das Gehämmer der kleinen Fäuste hörte, die von innen gegen die Tür trommelten.

Big Old Shane schüttelte sein graues Haupt.

„Ruhe!“ donnerte er. Und danach war wunderbarerweise wirklich Ruhe, obwohl die Jungen das Wort bestimmt nicht verstanden hatten.

Shane schloß die Tür auf.

Zwei drahtige kleine Gestalten wichen zurück, aber nicht etwa ängstlich, sondern wachsam und sprungbereit. Die beiden trugen jetzt einfache Hemden und die Schifferhosen, die Will Thorne, der Segelmacher, in aller Eile zurechtgestichelt hatte – weiße für Philip, blaue für Hasard. Sonst sahen sie sich wirklich zum Verwechseln ähnlich. Sie waren groß für ihr Alter. Und auch ein ganzes Stück gewitzter, als es Siebenjährige normalerweise zu sein pflegten. Das mochte an dem abenteuerlichen Leben liegen, das sie geführt hatten und von dem der Seewolf so gut wie nichts wußte.

Mißtrauisch glitten ihre blauen Augen über die freundlichen Gesichter.

Der Kutscher hielt die Suppenschüssel hoch. Bill grinste breit und versuchte, vertrauenerweckend auszusehen. Aber wenn er geglaubt hatte, die beiden würden ihn als Kameraden akzeptieren, weil er selbst noch ein halbes Kind war, sah er sich gehörig getäuscht.

Angst hatten Philip Hasard Killigrews Söhne nicht für einen Penny.

Jedenfalls zeigten sie sie nicht. Obwohl sie ja eigentlich nur annehmen konnten, daß man sie – nicht ungewöhnlich im Orient – geraubt hatte, um sie zu verkaufen oder als Arbeitskräfte auszunutzen. Sie wollten hier ’raus. Und wenn der Kutscher gewußt hätte, wie dringend sie das wollten, wäre er sicher nicht so mir nichts, dir nichts mit der Suppenschüssel in Richtung Tisch marschiert.

Eine Sekunde später flog die Schüssel haarscharf an Bills Kopf vorbei, die Suppe platschte auf den Boden, und zwei kleine Jungs schienen sich in geölte Blitze zu verwandeln.

Zu ihrem Pech drängten sich ein paar Männer zu viel vor der schmalen Tür.

Der Seewolf empfing schon wieder mal einen Tritt und packte den Täter am Schlafittchen. Big Old Shane hievte das zweite zappelnde Kerlchen am Kragen in die Höhe. Philip und Hasard schrien auf Türkisch Zeter und Mordio, wehrten sich mit Nägeln und Zähnen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, und es kostete einige Mühe, sie wieder in die Kammer zu verfrachten und die Tür zu schließen.

Big Old Shane betrachtete versonnen seinen Zeigefinger, auf dem sich zwei Reihen kleiner, scharfer Zähne abzeichneten. Dann blickte er Hasard an und grinste.

„Erinnert mich an Sir John auf Arwenack“, sagte er. „Den hast du auch mal gebissen, als du noch ein sechsjähriger Rotzlümmel warst.“

„Sir John war ja auch ein altes Ekel, das seine Söhne dauernd schikanierte“, knurrte Hasard.

Und dann fluchte er grimmig, weil ihm einfiel, daß er selbst seine Söhne regelrecht entführt hatte und daß sie ihn vielleicht für etwas viel Schlimmeres als ein altes Ekel hielten.

Eine halbe Stunde später hatte der Kutscher eine neue Suppenschüssel und zwei Teller auf den Tisch in Hasards Kammer gestellt.

Am Kragen packen und vor die Fleischtöpfe setzen, lautete sein Rat. Das würden die Bengel schon kapieren. Und Hasard hatte diese heikle Aufgabe dem alten Shane übertragen. Man war ja schließlich der Vater und wollte sich nicht dauernd als Buhmann exponieren.

Big Old Shane lächelte schon wieder in sich hinein, als er vor der Tür stand, hinter der gerade eine türkische Debatte im Tonfall gereizter Wildkatzen im Gange war.

Dan O’Flynn drehte den Schlüssel, was drinnen natürlich zu hören war.

Old O’Flynn stützte sich auf seine Krücken und blinzelte neugierig. Und irgendwie sah er sogar ein bißchen selbstzufrieden aus, als die Zwillinge, die ja schließlich halbe O’Flynns waren, aus der Kammer schossen wie die Kastenteufel.

Zwei Sekunden später war es allerdings damit vorbei. Da hatten die mächtigen Fäuste des Schmieds von Arwenack je einen zappelnden Jungen am Kragen und schüttelten sie ein bißchen. Woraufhin die beiden dann tatsächlich aufhörten zu beißen, zu kratzen, um sich zu treten und zu spucken.

Mühelos schleppte sie Shane in Hasards Kammer und pflanzte erst den einen, dann den anderen nachdrücklich auf einen Stuhl.

Da saßen sie nun. Wütend. Kampflustig. Aber logischerweise auch hungrig – und der Kutscher hatte sich mit der Suppe eine Menge Mühe gegeben.

Philip sah Hasard an. Hasard sah Philip an. Beide schossen noch einen mißtrauischen Blick auf die Männer an der Tür ab – und dann schnappten sie sich die Löffel und begannen zu essen.

„Verschwindet“, knurrte der Seewolf in Richtung auf Dan, den Kutscher und Old O’Flynn. „Ihr habt es schließlich auch nicht gern, wenn euch jemand dauernd in die Suppe starrt, oder?“

„Man darf ja wohl noch …“ brummte der alte O’Flynn beleidigt.

Was man „ja wohl noch durfte“, verlor sich im Dämmerlicht des Niedergangs. Big Old Shane lehnte mit verschränkten Armen an der Tür. Hasard schnappte sich die letzte Whiskyflasche, original schottisch, und genehmigte sich erst mal einen guten Schluck von dem Stoff, mit dem bekanntlich alles besser ging.

Die Zwillinge vertilgten die Suppe bis zum letzten Tropfen.

Hasard lächelte. Zeichensprache war zwar ein höchst ungenügendes Verständigungsmittel, aber man konnte es ja mal versuchen.

Er klopfte sich auf die Brust.

„Philip Hasard Killigrew“, sagte er langsam und deutlich. Dann wies er nacheinander auf die beiden Jungen. „Philip! Und Hasard!“

Hasard junior funkelte ihn an.

Beredt tippte er auf seine eigene Brust. „Ali!“ fauchte er. Und mit einer Geste zu seinem Bruder: „Abu!“. Sein Zeigefinger spießte den Seewolf fast auf. Was er dabei sagte, war nicht zu verstehen. Aber freundlich klang es nicht gerade.

„Heiliger Bimbam“, stöhnte Philip Hasard Killigrew.

Seine Sprößlinge redeten immer noch auf Türkisch auf ihn ein. Unisono rutschten sie von ihren Stühlen und marschierten unter heftigem Nicken zur Tür. Der Seewolf war verblüfft und merkte fast zu spät, daß das eine neue, raffiniertere Form von Fluchtversuch war.

„Die schlagen ihrem Vater nach“, brummte Big Old Shane, als er die beiden wieder am Kanthaken hatte.

Diesmal brauchte er sie nicht hochzuhieven, da sie einigermaßen freiwillig in ihre Kammer zurückgingen. Das gegen den graubärtigen, knorrigen Riesen kein Kraut gewachsen war, hatten sie inzwischen gemerkt. Und so schlau, daß sie ihre Kräfte nicht unnütz vergeudeten, waren sie mit ihren sieben Jahren offenbar auch schon.

„Heiliger Bimbam“, wiederholte Hasard erschüttert, als die Tür ins Schloß fiel.

Big Old Shane grinste vielsagend.

„Was willst du?“ fragte er gelassen. „Das sind eben keine braven Sonntagsschüler, das sind zukünftige Seewölfe.“

Womit er zweifellos den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.

2.

Der portugiesische Hafenkommandant von Tanger, ein dicklicher Mensch namens Don Pedro Estrade, saß in seinem Amtszimmer und betrachtete stirnrunzelnd die Versammlung, die sich vor ihm aufgebaut hatte.

Ein hagerer, ziegenbärtiger Mann mit einem Habichtsgesicht, der einen schwarzen, mit geheimnisvollen Symbolen bestickten Umhang um die Schultern trug.

Ein schlanker, drahtiger Bursche, der seinen Gürtel mit einem Dutzend Messern geschmückt hatte. Zwei hünenhafte Muskelmänner, der eine völlig kahl, der andere mit einem schwarzen Zopf in der Kopfmitte. Und ein verwachsener Gnom, ein Zwerg mit dürren Beinen, zu lang geratenen Armen und einem zerknitterten Kretin-Gesicht, der aussah, als wolle er jeden Augenblick anfangen zu greinen.

Der Ziegenbärtige war der Wortführer.

„Salem aleikum“, grüßte er formvollendet. „Mögen die Mächte des Geschicks dir Söhne bescheren und die glücklichen Tage deines Lebens so zahlreich sein wie die Kiesel im Bache! Mein unwürdiger Name ist Kaliban. Mit meiner bescheidenen Kunst bemühe ich mich, die Bürger dieser Stadt zu erfreuen. Wenn ich die Kühnheit habe, deine ehrwürdigen Augen mit meinem bedeutungslosen Anblick zu belästigen, so hat das einen Grund …“

„Das will ich auch hoffen“, knurrte der Hafenkommandant, dem die blumenreichen arabischen Höflichkeitsfloskeln auf die Nerven fielen.

Kaliban, der Zauberer, schnappte nach Luft.

Das war ja wohl die Höhe, drückten seine Augen aus. Dieser hochnäsige Kerl hätte ihm mindestens wünschen müssen, daß Allahs Segen auf seinen nichtswürdigen Künsten ruhen möge. Mindestens! Und er hätte dem dringenden Wunsch Ausdruck geben müssen, die Namen der sehr ehrenwerten übrigen Anwesenden zu erfahren. Selbst von einem ungehobelten portugiesischen Dickwanst konnte man schließlich verlangen, daß er die primitivsten Regeln der Höflichkeit beachtete.

„Ich sehe mit tiefstem Bedauern, daß ihr nicht geruht, eurem geringen, jedoch ergebenen Diener das Wohlwollen eurer erhabenen und edlen Person zu schenken“, sagte der Zauberer mit Würde. „So sehe ich mich leider zu der fluchwürdigen Vermessenheit gezwungen, euch an eure Pflichten zu gemahnen. Ich bin beraubt worden! Der Freude meines Herzens und des Trostes meines Alters beraubt, edler Herr! Eines Schatzes beraubt, der …“

So wäre es wohl noch eine Weile weitergegangen, wenn der Hafenkommandant den beraubten Zauberer nicht mit der profanen Frage unterbrochen hätte, wieviel Geld ihm wo und von wem geklaut worden sei.

Worauf der Zauberer einen Schrei der Empörung ausstieß und die ganze Versammlung begann, einen nicht näher definierten Verlust zu beklagen, der sie aber auf jeden Fall alle an Leib und Seele gebrochen hatte.

Als der Kommandant endlich begriff, daß es sich um zwei verschwundene Jungen handelte, faßte er sich an den Kopf.

Als er dann noch erfuhr, daß kein Mensch etwas über den Verbleib der kostbaren Knaben wußte und daß sie genausogut ausgerückt sein konnten, schwoll eine Zornesader auf seiner Stirn. Und das Ansinnen, in Tanger nach den Verschwundenen Araberlümmeln suchen zu lassen, brachte ihn vollends um die Fassung.

„Raus!“ brüllte er. „Alle ’raus! Und laßt euch hier nie wieder sehen, oder ich werde euch Beine …“

Kaliban verneigte sich mit ungebrochener Würde.

„Wir weichen“, verkündete er. „Möge dir Allah in seiner Güte die Beleidigung verzeihen, die du deinen ergebensten Dienern angetan hast. Laßt uns gehen, Freunde!“

Die Abordnung zog sich zurück.

Der Hafenkommandant schüttelte fassungslos den Kopf. Diese Araber würde er nie verstehen. Die brachten es fertig, ihren Mitmenschen Pestilenz und Krätze an den Hals zu wünschen und selbst dafür noch ungeheuer höfliche, liebenswürdige Worte finden.

Noch einmal schüttelte Don Pedro Estrade den Kopf. Und ein paar Minuten später hatte er die Gaukler und die beiden verschwundenen Jungen schon wieder vergessen.

Mitten in der Nacht hinkte der alte Donegal Daniel O’Flynn durch das Achterschiff, um mal ein bißchen an der Tür seiner ungebärdigen Enkel zu horchen.

Man war schließlich der Großvater. Da durfte man sich ja wohl dafür interessieren, ob die Nachkommenschaft den gesunden Schlaf der O’Flynns geerbt hatte.

Überhaupt, was bildeten sich diese jungen Hüpfer von der Crew eigentlich ein, wie sich zwei halbe O’Flynns benehmen sollten, wenn sie geschanghait wurden? Noch dazu, wenn sie zur anderen Hälfte waschechte Seewölfe waren! Nein, die beiden Satansbengel waren schon richtig. Nur über die Stränge schlagen lassen durfte man sie nicht. Ab und zu anständig das Fell vergerbt, das hatte noch niemandem geschadet. Das fand wenigstens der alte O’Flynn, der bei seinen sieben Söhnen zu diesem Behuf immer sein Holzbein abgeschnallt hatte.

Täuschte er sich, oder hüpften die beiden Kerlchen tatsächlich noch in der Kammer herum?

Old O’Flynn wollte ein Ohr an die Tür legen – und knallte mit dem Kopf gegen das Holz, weil ihn eine Stimme in seinem Rücken erschreckte.

„He, Dad! Willst du etwa mitten in der Nacht den guten Großvater spielen?“

Dan O’Flynn grinste breit. Der Alte stampfte wütend mit seiner linken Krücke auf.

„Scher dich weg, du Milchbart! Womit habe ich bloß so einen mißratenen Sohn verdient! Man wird ja wohl noch mal nachhören können, ob die da drinnen nun endlich schlafen, oder?“

„Die schlafen nicht“, behauptete Dan. „Die schmieden garantiert finstere Pläne.“

„Nicht, wenn sie nach ihrem Großvater schlagen! Ich habe mich in meiner Jugend anständig benommen! Ich hatte noch Respekt vor meinem Alten, diesem schwärzesten Rabenaas, das je über die Meere …“

Dan kicherte erheitert. Der Alte verschluckte sich fast. Dann fiel ihm ein, daß sich Donegal Daniel junior ja vielleicht noch an seinen Großvater erinnerte, gegen den alle anderen O’Flynns Chorknaben gewesen waren, und er beschränkte sich auf ein verächtliches Schnauben.

Im nächsten Augenblick zuckte er zusammen.

Aus der Kammer drang ein Stöhnen. Ein wahrhaft jammervolles Ächzen, das sich bedrohlich steigerte – als winde sich jemand in den vorletzten Zukkungen. Auch Dan sah erschrocken aus. Rasch trat er an die Tür, legte das Ohr an das Holz – und wie auf ein Stichwort wurde das Stöhnen noch schauerlicher.

„Die werden doch nicht krank sein?“ fragte der alte O’Flynn unsicher.

„Einer von ihnen bestimmt“, murmelte Dan. „Himmel, das klingt ja furchtbar! Los, laß uns rasch mal nachsehen!“

Der Schlüssel steckte von außen.

Dan O’Flynn drehte ihn und öffnete vorsichtig die Tür. Halb und halb erwartete er, einen Kopf in den Bauch oder einen Fuß ans Schienbein zu kriegen, aber dem war nicht so. Das Bild, das sich ihm bot, ließ ihn erschreckt die Luft durch die Zähne ziehen.

Einer der Jungen lag in der Koje und stöhnte.

Es war Philip, wie Dan an der weißen Segeltuchhose erkannte. Er schien sich vor Schmerzen zu winden, seine blauen Augen rollten. Der kleine Hasard beugte sich über ihn, lockerte ihm den Kragen, murmelte beschwörend auf Türkisch – und fuhr herum, als er das Geräusch der Tür hörte.

Jetzt wirkte er gar nicht mehr wie eine gereizte Wildkatze.

Sichtlich erleichtert richtete er sich auf und trat zur Seite, damit die Männer nach seinem Bruder schauen konnten. Der röchelte jetzt, als kriege er keine Luft mehr. Dan stand mit zwei Schritten neben der Koje, und der alte O’Flynn hinkte so eilig hinter ihm her, daß er fast über seine Krücken stolperte.

„Verdammt“, murmelte Dan, während er sich über den augenscheinlich Kranken beugte. „Ich glaube, wir müssen den Kutscher …“

Genau das war der Moment, in dem der „Kranke“ urplötzlich gesundete.

Auf eine höchst explosive Art, wie Dan hinterher neidlos zugeben mußte. Jedenfalls sah er die kleine Faust nicht kommen, die mit beachtlichem Schwung auf seiner Nase landete. Nun ist das menschliche Riechorgan bekanntlich ein schmerzempfindliches Instrument. Dan O’Flynn sah Sterne, war für ein paar Sekunden verblüfft – und in diesen Sekunden vollzog sich eine schnelle, aber gründliche Umgestaltung der Lage.

Der kleine Hasard zog Old O’Flynn das Holzbein unter dem Körper weg.

Ehe der Alte Luft zu einem Empörungsschrei holen konnte, war er auch noch seine linke Krücke los. Hasard junior schlug sie Donegal Daniel junior auf den Kopf, und der brauchte immerhin ein paar weitere Sekunden, um den Treffer zu verdauen.

Als er wieder klar sah, flitzten die Zwillinge bereits über den Niedergang.

Dan flitzte hinterher. Ihm wäre es am liebsten gewesen, die beiden Flüchtlinge allein wieder einzufangen, damit ihn nicht hinterher die ganze Crew mit seinem Reinfall aufzog. Aber er beging den Fehler, im Eifer des Gefechts seinem alten Vater auf die Finger zu treten. Der schmiß prompt mit der Krücke nach ihm – und damit erreichte der Lärm ein Maß, das das ganze Schiff alarmierte.

Philip und Hasard liefen dem Profos in die Arme, der gerade nachsehen wollte, wer – zum Henker noch mal – derart die Nachtruhe störe.

Das heißt: sie wären ihm in die Arme gelaufen, aber wegen des Größenunterschiedes ging das nicht. Edwin Carberrys eiserne Fäuste griffen ins Leere, während ihm zwei kleine Gestalten um die Beine wirbelten. Eine Sekunde lang war der Profos verblüfft, dann wirbelte er herum. Ausnahmsweise hielt er sich gar nicht erst mit finsteren Drohungen Marke Hautabziehen auf. Mit drei Schritten war er da, wo die Zwillinge hinwollten: neben der außenbords hängenden Jakobsleiter. Unversehens zappelte der kleine Philip in einem eisenharten Griff und hörte eine Donnerstimme grollen, die er zwar nicht verstand, die aber ganz so klang, als bedrohe sie ihn mit sämtlichen Höllenstrafen. Sein Bruder prallte zurück. Von allen Seiten eilten jetzt Männer herbei – und Hasard junior wählte den einzigen Fluchtweg, der ihm noch offenstand: hinauf ins Steuerbord-Hauptwant.

„Himmel, Arsch und Zwirn!“ tobte der Profos. „Hörst du wohl auf zu beißen, du Sohn eines neunschwänzigen Satansbratens, du …“

„Meinst du mich mit dem Satansbraten?“ fragte Philip Hasard Killigrew grimmig.

„Ja! Ich meine, nein! O verdammt!“

Der Profos stöhnte und hielt den zappelnden Zwilling am ausgestreckten Arm von sich weg. Der Seewolf blickte seinem zweiten Sohn hinterher, der soeben den Hauptmars erreicht hatte. Er wollte auf die Plattform entern – und dann kam es, wie es kommen mußte.

Hinter der Segeltuch-Verkleidung schnellte urplötzlich eine wilde, behaarte, zähnefletschende Gestalt hoch.

Arwenack, der Schimpanse, kekkerte höchst ungehalten. Und der Junge, dem das Bordmaskottchen der „Isabella“ wie der Scheitan persönlich erschien, fiel vor lauter Schreck aus den Wanten.

Hasard fing ihn auf und stellte ihn vorsichtig auf die Füße.

„Nur keine Angst“, brummte er beruhigend. Aber was Hasard junior in seinem schnellen, sprudelnden Türkisch von sich gab, hörte sich ohnehin nicht nach Angst an, sondern eher nach höchster Erbitterung.

Ein paar Minuten später schloß sich hinter den beiden Ausreißern wieder die Tür der Kammer.

Hasard wischte sich den Schweiß von der Stirn, als er zurück an Deck marschierte. Ed Carberry betrachtete kopfschüttelnd seinen lädierten Daumen.

„Kanonensöhne“, murmelte er, und es klang gar nicht erbost. „Denen muß man als Babys Schießpulver in die Milch gemischt haben. Ein paar Jahre älter, dann segeln sie dem Teufel die Ohren ab und kriegen es fertig, die Hölle mit einem Eimer Wasser anzugreifen.“

Hasard schnaufte nur. „Hat jemand vom Kai her das Spektakel beobachtet?“ fragte er Ben Brighton.

„Ja“, sagte der Bootsmann in seiner bedächtigen Art. „Ein halbes Dutzend Burnusträger. Jetzt sind sie verschwunden.“

„Mist!“ fluchte Hasard.

„Verdammter Mist!“ erweiterte der Profos den Kommentar.

Sie hatten schon einmal erlebt, wie die Einheimischen reagierten, wenn man einem der ihren zu nahe trat, nämlich sauer. Als Dan O’Flynn nur versucht hatte, einen der Zwillinge in der Schenke zurückzuhalten, wo er Wein für die Gaukler holte, hatte es schon Zunder gegeben. Nun war zwar absolut nichts gegen eine schöne Keilerei einzuwenden, aber in diesem speziellen Fall konnte es mehr Ärger geben, als gut war.

Philip Hasard Killigrew hätte sich mal wieder am liebsten die Haare gerauft.

Der Himmel wußte, daß es nicht leicht war, Vater zu sein und zwei Söhne zu haben, die das Temperament so eindeutig von ihrem Erzeuger geerbt hatten …

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