Читать книгу: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 112»
Impressum
© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-436-4
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
1.
September 1584.
Die „Isabella VIII.“ befand sich auf der Höhe der Provinz Tiantai Shan und näherte sich dem Inselgewirr von Ningbo.
Der Wind blies denkbar günstig mit Stärke fünf aus Südosten. Es war ein sauberer raumer Wind, der das nordwärts segelnde Schiff an der Küste entlang mit Kurs Richtung Shanghai-Shi trieb.
In der Kuhl standen Ben Brighton, der Profos Carberry, Smoky und der Schiffsjunge Bill, der den narbengesichtigen Profos immer wieder verstohlen von der Seite anblickte.
Carberry tat so, als sähe er diesen verstohlenen Blick nicht. O ja, er wußte, weshalb der Bengel ihn so musterte, denn er war immer noch nicht richtig dahintergestiegen, daß der Profos mit dem Kutscher zusammen ihm einen ganz hinterhältigen Streich gespielt hatte. Aber der Bengel war selbst schuld gewesen, denn sein Benehmen hatte etwas gelitten. Er hatte sich plötzlich wie ein Ochsenfrosch aufgeblasen und ein verdammtes Imponiergehabe an den Tag gelegt, seit das Mädchen „Flüssiges Licht im beginnenden Sommer“ an Bord war.
Zwei handfeste Rum mit Rizinusöl vermischt, die der Profos leutselig „ausgegeben“ hatte, hatten den Bengel kuriert. Er hatte drei Stunden lang auf dem Freiluftabort gehockt und wußte jetzt wieder haargenau, wo sein Platz an Deck war. Jetzt versuchte er, dem Profos schon im voraus jeden Wunsch von den Augen abzulesen.
Der Bootsmann Brighton deutete nordwärts zum Horizont, wo es grau und wie ein großer trüber Schleier heranfegte.
„Eine mächtige Regenwand rast genau auf uns zu“, sagte er. „Wie sieht es mit unserem Trinkwasser aus?“
Carberry blickte den Bengel an und gab die Frage weiter.
„Du bist für das Trinkwasser verantwortlich, mein Junge, und du weißt, daß es eine verdammt verantwortungsvolle Aufgabe ist, denn vom Wasser hängt unser Leben ab. Wie steht’s also?“
Ein paar Spritzer Salzwasser klatschten übers Vorschiff, zerstäubten und bliesen durch die Kuhl. Die Männer wurden von einem feinen Schleier überzogen. Die „Isabella“ segelte mit Steuerbordhalsen über Backbordbug.
„Zwei Fässer sind noch voll, die anderen habe ich schon gesäubert“, sagte Bill. Mit der rechten Hand strich er seine schwarzen nassen Haare aus der Stirn.
Insgeheim beglückwünschte er sich dazu, die Fässer gesäubert zu haben, ohne daß es ihm einer gesagt hatte, denn wenn der Profos ihm eine Aufgabe zugeteilt hatte, die er nicht erfüllte, dann setzte es was, darin verstand Carberry keinen Spaß.
Er hatte ihm vor kurzem noch wortwörtlich gesagt: „Du kannst dein Maul aufreißen, wenn du im Recht bist, du kannst auch mal faul herumstehen oder sogar ein paar Rosinen klauen, aber wenn du etwas versaust, wovon das Wohl und Wehe der Mannschaft abhängt, dann kannst du dir mal die Muscheln unterm Schiff anschauen, und das meine ich verdammt ernst!“
„Gut, dann bring die leeren Fässer an Deck. Wir spannen Segeltuch auf und werden Wasser einfangen.“
„Aye, aye, Sir!“
„Der Bengel hat sich wieder gemausert“, sagte Ben Brighton lachend. „Wurde auch Zeit, er war ziemlich rotzig.“
„Ja, seit die See seinen Affenarsch drei Stunden lang gekühlt hat, ist er wieder ganz manierlich. Nur das Chinesenmädchen glotzt er immer so an, als sei es ein vom Himmel gefallener Engel, aber das geht den anderen ja auch so“, sagte Carberry anzüglich.
Smoky räusperte sich und sagte andächtig: „Ein jeder fasse an seinen eigenen Zinken!“
„Was soll das heißen?“ brummte Ed. Breit und mächtig stand er in der Kuhl und blinzelte mit einem Auge den Decksältesten Smoky an.
Smoky grinste, pfiff falsch und laut und marschierte zur Back, wo Bill gerade die Fässer an Deck wuchtete.
Die graue Wand näherte sich jetzt rasch. Schon von hier aus war zu erkennen, daß es inmitten dieser Wand finster wie im Sack werden würde. Das Wasser fiel buchstäblich wie eine Wand vom Himmel, jeder sah es überdeutlich.
Das Segeltuch wurde in aller Eile von Backbord nach Steuerbord gespannt und befestigt. Dort, wo das Segeltuch die tiefste Stelle bildete, stand das erste Faß, ein kleiner Riß würde dafür sorgen, daß der Regen die Fässer füllte.
Carberry blickte besorgt nach vorn, wo die graue tiefhängende Wand sich näherte. Diese Regenfront brachte mit Sicherheit einen Wetterumschwung mit sich, denn obwohl der Wind raum wehte, also fast achterlich, trieb eine höhere Windzone die Wolke auf sie zu.
Carberry spuckte über Bord, sah mit kritischen Augen nach den Segeln und nickte dann bedächtig.
„Hopp, an Deck mit euch, ihr vergammelten Seegurken!“ schrie er, als er sah, wie einer nach dem anderen klammheimlich verschwand.
„Runter mit den Hemden! Der kleine Guß schadet euch nicht, das ist immer noch besser, als sich in Seewasser zu waschen.“
„Batuti frieren, wenn Regengott machen Wasser“, sagte der Gambianeger. Ihn fror, als der Wind plötzlich kühler einfiel.
„Du wirst schon nicht anfrieren“, versprach Ed.
Nun wimmelte es an Deck von Seewölfen. Ja, so ein kräftiger Guß konnte wirklich nicht schaden, dachten sie, und diejenigen, die Hemden trugen, rissen sie sich vom Oberkörper und warteten auf das, was der Himmel ihnen bescheren würde.
Sie wurden nicht enttäuscht, es ging ganz schnell.
Der Küstenstrich des Großen Chan verschwand an Backbord, als habe es ihn nie gegeben. Gleichzeitig wurde es dämmerig, fast dunkel schon.
Die „Isabella“ segelte mitten in diese Wand aus Wasser hinein. Sofort ließ der Wind etwas nach, das Geräusch der an den Rumpf klatschenden Wellen wurde vom gleichmäßigen Rauschen des Regens überlagert. Das Wasser klatschte so dicht vom Himmel, daß man vom Vordeck aus nicht mehr das Achterkastell sah.
„Verdammt noch mal!“ schrie der Moses. „Da ersäuft man ja glatt an Deck!“
Seine Worte wurden von einem unaufhörlichen Klatschen und Rauschen verschluckt. Es hatte den Anschein, als segele die „Isabella“ mitten durch das Meer. Es ergoß sich in einem pausenlosen Getrommel und füllte innerhalb kürzester Zeit das erste Wasserfaß. Das aufgespannte Segeltuch vermochte die riesigen Wassermengen kaum zu halten.
Carberry schob das zweite Faß unter den Riß, durch den es wild hindurchgurgelte. Er konnte kaum atmen, so dicht fiel der Regen.
Dicht neben Carberry platschte etwas Buntes an Deck. Es zappelte, krächzte und versuchte sich aufzurichten, aber der Regen drückte das bunte Etwas immer wieder auf die Planken zurück.
Carberry grapschte danach, hielt es fest und legte es dann unter das Segeltuch. Unartikuliertes Gekrächze erklang, und der Profos lachte aus vollem Hals. Das Wasser troff ihm in Strömen vom Gesicht und lief über sein Rammkinn auf die Planken ab.
„Seht euch mal diesen Piepser an“, sagte er grinsend und deutete auf Sir John, den stolzen Aracanga-Papagei, der mit den Flügeln wild um sich schlug und lahme Kreise drehte.
„Pfui Teufel, ist der häßlich“, sagte Smoky kopfschüttelnd.
Das stimmte allerdings, und die Männer lachten noch lauter.
Sir John hatte eine ganze Menge seiner stolzen Federpracht eingebüßt. Er sah wie ein fast nackter großer Spatz aus, der in allen Farben auseinanderfloß. Sein jetzt riesengroßer Schnabel verlieh dem nackten Körper etwas direkt Abstoßendes. Klein und häßlich hockte er an Deck, ein nasser Lappen, den der Regenguß schlagartig vom Mast gewischt hatte.
Auf dem Achterdeck fragte sich der Seewolf vergeblich, was bei den Männern dieses Gelächter ausgelöst haben mochte. Durch den Regen sah er kaum etwas, aber die Kerle lachten, er hörte sie brüllen, lachen und toben.
Dann war der Schauer so schnell vorbei, wie er erschienen war. Sie hatten die Regenwolke durchsegelt, und jetzt sah auch der Seewolf, was die anderen so sehr belustigte.
Er lachte stoßartig auf, als er das Bündel an Deck sah, das vergeblich Anstalten unternahm, um wieder nach oben zu fliegen. Es ging nicht, der Vogel drehte sich im Kreis und das versetzte ihn anscheinend in hilflose Wut, denn als Carberry nach ihm griff, biß er ihn kräftig in den Daumen.
„Mann, siehst du aus“, sagte der Profos und setzte ihn auf seine Schulter.
Sir John hatte es die Sprache verschlagen. Mehr als ein wütendes grelles Krächzen brachte er nicht heraus. Aber er hackte nach allem, was ihm zu nahe geriet. Carberry vermutete, daß der Vogel sich schämte und durch das Gelächter beleidigt war, womit er der Wahrheit sehr nahe war. Er trug ihn noch eine Weile auf der Schulter, bis Sir John langsam, aber sicher wieder einem Papagei ähnelte, sein Gefieder putzte und sich nach einer weiteren halben Stunde laut zeternd aufschwang, um auf die nächste Rah zu entwischen.
Diesmal ließ er sogar seinen Erzrivalen Arwenack, den Schimpansen, in Ruhe, solange seine Farbenpracht noch nicht wiederhergestellt war.
Der Wind fiel jetzt ab und zu in kleinen Böen ein, und Pete Ballie, der am Ruder stand, paßte höllisch auf. Er lief in den Böen, die das Schiff hart nach Backbord krängen ließen, so lange mit, bis er auch den letzten Rest Wind genutzt hatte.
Die Regenfront wanderte, immer noch gut sichtbar, nach achtern ab und wurde schwächer.
Das Mädchen Ch’ing-chao Li-Hsia, das dem Flußgott Ho Po geopfert werden sollte und deren Name soviel wie „Flüssiges Licht im beginnenden Sommer“ bedeutete, erschien an Deck. Sofort blickte jeder unauffällig, wie er glaubte, in ihre Richtung, denn diese kleine zierliche Chinesin zog die Männerblicke magisch auf sich.
Auf ihrem zarten Mandelblütengesicht lag die Andeutung eines Lächelns, als sie mit einem Kopfnicken grüßte. Sie hielt sich immer sehr zurück, obwohl sie ihre anfängliche Scheu längst überwunden hatte. Zu einem Baumwollhemd, das Bill ihr geliehen hatte, trug sie Leinenhosen. Aus der Ferne wirkte sie wie ein etwas magerer Knabe. Für den Moses Bill war sie ständig ein Anlaß, tief Luft zu holen, seine magere Hühnerbrust hervorzurecken, den Kopf leicht zwischen die Schultern zu ziehen und sich wie ein alter Seemann zu gebärden.
Auch jetzt, als er sie sah, pumpte er sich wieder voll Luft, hütete sich aber, zu irgendeinem von der Mannschaft dämliche Bemerkungen zu sagen. Er gab bloß still für sich an, und um zu demonstrieren, was er für ein Mordskerl sei, lüpfte er das schwere Wasserfaß an, bis er einen knallroten Schädel kriegte.
Sie sah es zufällig und lächelte ihn an.
Sein Schädel glich einer reifen Tomate, er grinste etwas dümmlich, kratzte mit dem Zeigefinger über den Flaum an seinem Kinn und überlegte ernsthaft, ob er sich an Deck rasieren solle, so wie Carberry oder die anderen es immer taten. Aber das hätte ohnehin nur Heiterkeitsstürme ausgelöst, und so unterließ er es lieber.
Außerdem bemerkte er Carberrys scheinbar gleichgültigen Blick, aber dahinter erkannte er etwas Lauerndes, und er dachte wieder an den lausigen Rum, der so ekelhaft geschmeckt hatte.
Aber etwas mußte er tun, sonst würde er platzen, und so holte er den Faßdübel, setzte ihn aufs Spundloch und ergriff einen Hammer, der in Tuckers Kiste unter der Nagelbank lag.
Er holte aus und hieb zu, mit einer Wucht, die dem kleinen Kerl niemand zugetraut hätte. Selbst der Schiffszimmermann Ferris Tucker zuckte zusammen, als der Bengel zuschlug.
Es gab einen fürchterlichen Knall. Das obere Eisenband um das Faß zersprang, und die Dauben flogen auseinander: Gleichzeitig brach aus dem Faß ein Wasserschwall hervor, der so spontan herausschoß, daß er den Bengel von den Beinen riß und ihn bis zum Schanzkleid schleuderte. Eine Wand aus Wasser brach über ihm zusammen. Er prustete, schluckte und versuchte auf die Beine zu gelangen.
„Verdammt“, murmelte er und sah verächtlich auf den Hammer, „ich kann mir diesen harten Schlag einfach nicht abgewöhnen.“
Kopfschüttelnd und mit in die Hüfte gestemmten Armen besah er sich die Überreste des Fasses.
Carberry sah ihn völlig ausdruckslos an. Und Smoky musterte ihn genauso, wie er vorhin den Papagei Sir John gemustert hatte, als der triefnaß an Deck gefallen war.
„Tut mir leid, Mister Carberry“, stammelte der Bengel, „ich, äh, mir ist der Hammer ausgerutscht.“
„Hast du schon mal ein Faß repariert?“ fragte Ed.
„Jjjaaahh, Sir.“
„Dann repariere es“, sagte der Profos trocken. „Wasser haben wir trotzdem genug. Und in Zukunft haust du nicht mehr so kräftig zu, verstanden? Das Mädchen glaubt auch so, daß du ein Kerl bist, der das ganze Schiff mit einem Schlag zertrümmern kann!“
Bill nickte. Verdammt, bei dem Profos durfte er sich auf nichts einlassen, der durchschaute ihn immer sofort. Vielleicht war der früher auch mal in so ein hübsches Mädchen verknallt gewesen und kannte alle Tricks, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Während er sich mit dem kaputten Faß abmühte und kein brauchbares Ergebnis sah, weil die Dauben immer wieder zusammenfielen, erklang aus dem Großmars ein Ruf.
Blacky deutete nach Steuerbord voraus.
„Zwei Grad Steuerbord voraus!“ rief er laut. „Ein Schiff! Viermaster!“ setzte er hinzu.
Fast an der Kimm stand es, man sah nur die Masten wie hauchfeine Nadeln aus dem Wasser ragen.
Hasard blickte durch das Spektiv, setzte es ab und blickte noch einmal hindurch.
„‚Eiliger Drache‘ über den Wassern“, sagte er laut. „Dort vorn segelt die Korsarin, kein Zweifel.“
Er fühlte sich erleichtert. Die Ungewißheit, wo die Rote Korsarin Siri-Tong sich befand, war vorüber. Vielleicht hatte ihre Eile durch irgend etwas einen Dämpfer erfahren, überlegte der Seewolf. Oder sie hatte sich besonnen und war zu der Einsicht gelangt, daß sie allein doch nicht viel ausrichten konnte.
Das schwarze Schiff segelte langsam, es hatte nur zwei Segel gesetzt, und wenn den Seewolf nicht alles täuschte, dann kreuzte es sogar, denn gerade jetzt ging es auf den anderen Bug, und es hatte den Anschein, als segele es ihnen entgegen. Genau ließ sich das nicht erkennen, die Entfernung war noch zu groß, so daß man sich leicht täuschen konnte.
Unter der Crew verbreitete es sich schlagartig, daß der schwarze Segler sich vor ihnen befand, und nach einer Weile ließen sich auch mit bloßem Auge seine unverwechselbaren Konturen erkennen. Alles an dem Schiff war schwarz, angefangen von dem Rumpf über die Masten bis zu den schwarzen Segeln. Irgendwie erinnerte es aus der Ferne immer etwas an ein Geisterschiff, oder, wie Old O’Flynn es einmal ausgedrückt hatte: Wie ein Schiff, das in alle Ewigkeit dazu verdammt war, mit einer toten Besatzung über die Meere zu segeln.
„Das ist das Schiff, das wir suchen“, sagte Hasard zu der Chinesin, die klein, zierlich und zerbrechlich auf dem Deck stand.
„Ich freue mich, daß der hohe Herr es gefunden hat“, sagte sie mit einem freundlichen Lächeln.
Hasard konnte ihr den Ausdruck „Hoher Herr“ nicht abgewöhnen, er hatte es auch nach zwei Versuchen wieder aufgegeben. Für sie war er der hohe Herr, weil er das Schiff befehligte, und vielleicht auch, weil er sie gerettet hatte, als sie halbtot auf dem Bambusfloß von einem Fluß ins Meer getrieben worden war.
Ihre Augen lächelten mit, wenn sie etwas sagte, und das verlieh ihrem Gesicht eine gewisse Anmut, und man wußte immer, daß sie ihre Worte ehrlich meinte und daß sie von Herzen kamen.
Hasard beobachtete weiterhin den schwarzen Segler. „Eiliger Drache“ hatte gewendet und lief auf dem gleichen Kurs wie die „Isabella“, nur viel langsamer. An Bord des Schiffes mußte man sie ebenfalls längst bemerkt haben.
„Genau Kurs darauf halten, Pete!“ sagte der Seewolf zu seinem Rudergänger. „Nachher löst Stenmark dich ab, du hast jetzt lange genug am Ruder gestanden.“
„Aye, Sir. Gehen wir längsseits?“
„Ja, der Wind hat etwas abgeflaut, wir können es riskieren. Ich möchte wissen, was die Korsarin bewogen hat, hier tagelang auf uns zu warten.“
Er sah, wie Carberry die Rahen leicht herumholen ließ, und hörte die Kommandos, die Ben Brighton gab, damit sie später bei dem schwarzen Segler längsseits gehen konnten.
Hasard verschränkte die Arme auf dem Rücken. Ab und zu warf er einen Blick auf das schwarze Schiff. Er wollte nicht unken, aber er hatte so eine dunkle Ahnung, daß dort drüben nicht alles in Ordnung war. Etwas schien sich an Bord verändert zu haben.
Etwas später sah er, wie auf dem schwarzen Schiff die Segel ins Gei gehängt wurden. Wieder beschlich ihn das dumpfe merkwürdige Gefühl nahenden Unheils.
2.
Die Leinen flogen herüber und ein paar lahme Begrüßungsworte wurden laut, als die „Isabella“ anlegte.
Hasard hielt vergeblich nach der Roten Korsarin Ausschau.
Dafür stand der Wikinger Thorfin Njal mit einem Gesicht an Deck, als müsse er alle seine Freunde persönlich beerdigen. Sein Gesicht war grimmig verzogen, als er dem Seewolf zunickte und etwas vor sich hin knurrte, das kein Mensch verstand.
Hasard ahnte schon, was passiert war, noch bevor er seine Frage an den Wikinger richtete. Irgend etwas war mit der Roten Korsarin passiert, das spürte er. Seine Spannung griff auch auf die Crew über, die herumstand und Thorfin anblickte.
„Siri-Tong ist entführt worden“, sagte Thorfin schließlich in das lastende Schweigen hinein.
Der Wikinger gab eine kurze Schilderung dessen, was sich unlängst ereignet hatte. Der Seewolf hörte zu, ohne ihn auch nur einmal zu unterbrechen. Danach entstand eine kleine Pause.
Hasards Augen wurden ganz schmal. Er musterte den Wikinger, als sähe er ihn zum ersten Mal in seinem Leben. Thorfin reckte unbehaglich seine breiten Schultern.
„Es ging alles so verdammt schnell“, sagte er, „die Ereignisse überstürzten sich, wir konnten die Kerle nicht verfolgen. Jetzt weiß ich nicht, auf welchem der beiden Schiffe Siri-Tong sich befindet. Genausogut kann man sie auch an Land gebracht haben.“
„Prächtig!“ höhnte der Seewolf. „Da habt ihr euch wieder einmal selbst überboten in eurer verdammten Eile. Warum seid ihr davongesegelt, als wäre der Teufel hinter euch her! Und was hatte dieser plötzliche Kurswechsel zu bedeuten, Mister Njal?“
„Sie hat es befohlen“, murmelte Thorfin Njal. Er wich dem Blick der eisblauen Augen aus und sah auf die Planken.
„Sie hat es befohlen“, wiederholte Hasard verärgert. „Und wir Idioten segeln auf gut Glück hinterher, ohne zu wissen, was los ist! Mir reicht es langsam! Die verdammte Eigenwilligkeit der Korsarin bringt uns immer wieder in schwierige Situationen. Gerade sie ist es doch, die sich hier auskennt und einen klaren Kopf behalten müßte. Aber nein, Madam Siri-Tong weiß alles besser. Das fing damals auf Little Cayman an, das war schon auf Tortuga so, und hier ist es nicht anders.“
„Tu mal was dagegen“, murmelte Thorfin.
Hasards Ärger steigerte sich noch. Thorfin sah es an der Narbe im Gesicht des Seewolfs, die eine leicht dunklere Färbung annahm.
„Hoffentlich war euch das eine Lehre, Mann“, sagte Hasard. „Und ganz besonders wird die Korsarin es sich in Zukunft merken.“
„Bestimmt“, sagte Thorfin, „diesmal hat sie ganz sicher etwas daraus gelernt.“
Er war heilfroh, daß Hasard noch so ruhig blieb. Der Seewolf hatte ja recht, es war schon ein Kreuz mit ihr, die immer spontan und plötzlich handelte, wie es ihr gerade einfiel.
„Du weißt also nicht genau, wo sie steckt“, sagte Hasard.
„Nein. Die Bucht ist kaum einsehbar. Entweder befindet sie sich auf einem der beiden Schiffe, wie ich schon sagte, oder aber an Land.“
„An Land hat man sie sicher nicht gebracht“, meinte Hasard.
Er schritt unruhig auf den Planken hin und her und betrachtete aus schmalen Augen die verkniffenen Gesichter von Thorfins Leuten. Die Kerle standen so belämmert herum, als hätte man jedem einzelnen von ihnen einen Belegnagel über den Schädel geschlagen.
Dabei war Hasard sich selbst nicht darüber im klaren, was sie nun unternehmen sollten. Einfach in die Bucht hineinzusegeln, war ein sinnloses Unterfangen. Dabei kam nicht viel heraus.
„Erkundigungen an Land können wir auch nicht einziehen“, sagte der Seewolf laut überlegend. „Wir sind fremde Teufel, wir fallen überall auf, man wird uns keine Auskunft geben.“
„Außerdem kreuzt hier eine Kriegsdschunke vor der Küste“, sagte der Wikinger ärgerlich. „Die haben uns auch verboten, hier weiter herumzusegeln. Anderenfalls will man uns wie Piraten behandeln. Das heißt“, er fuhr sich mit der Hand an den Hals und deutete das Hochziehen eines Stricks an, „man wird uns aufknüpfen, wenn wir hier erscheinen. Natürlich decken sich diese schlitzäugigen Kerle gegenseitig.“
„Dann sitzt die Korsarin wirklich in der Klemme.“
Hasards Blick fiel auf „Flüssiges Licht“, die still und bescheiden im Hintergrund stand und sich zurückhielt. Die meisten der anderen Crew hatten sie noch gar nicht bemerkt. Er gab dem Chinesenmädchen mit den Augen einen Wink, das zögernd näher trat.
Carberry grinste sich eins, als er den Wikinger sah, auf dessen Gesicht sich ungläubige Überraschung malte. Und dann passierte das, was der Profos schon insgeheim befürchtet und erwartet hatte.
Thorfins gekrümmter Zeigefinger fuhr andächtig hoch, berührte den Kupferhelm und kratzte ihn ausgiebig – wie immer, wenn er äußerst verblüfft war. Er starrte von einem zum anderen, sah das Mädchen an, dann den Seewolf, dann Carberry. Dann kratzte er erneut seinen Helm, diesmal etwas mehr zur Mitte hin.
Sein Blick war eine einzige Frage.
„Das ist die Braut des Gelben Grafen“, erklärte Carberry dem verdatterten Nordmann trocken.
„Braut des Gelben Grafen?“ Thorfin staunte. „Eine Adlige etwa?“
Nach und nach begann jeder leicht zu grinsen, bis auf „Flüssiges Licht“, die von der englischen Unterhaltung so gut wie nichts verstanden hatte. Sie konnte sich allerdings eine ganze Menge zusammenreimen.
Auch sie hatte den gewaltigen Mann schon eine ganze Weile unauffällig gemustert. Seine Erscheinung beeindruckte sie. Die Felle, die seine gewaltige Brust bedeckten, der Bart, die Riemensandalen des großen Mannes und schließlich sein „Messer“, wie er es nannte, ein Schwert, das sich kaum in einer Hand bewegen ließ.
Er erinnerte sie an einen Riesen aus der Vorzeit, wie er in den alten Sagen beschrieben wurde. Dazu trug er diesen glänzenden Helm, der in der Sonne wie Feuer aufleuchtete.
„Wer ist dieser gewaltige Mann?“ fragte sie so leise, daß Hasard es nicht hörte. Aber der Profos hörte es, und er grinste.
„Ein behelmter Nordpolaffe ist das“, erklärte er sachlich. „Dort, wo er herstammt, laufen noch mehr von der Sorte herum. Die gehen mit ihrem Helm abends ins Bett und stehen morgens wieder mit ihm auf.“
„Hat immer Helm auf?“ fragte das Mädchen scheu.
„Immer“, versicherte Carberry treuherzig. Sein Spanisch war nicht so gut, und da sie nur Portugiesisch sprach, verstand sie nicht alles, was er sagte.
„Die züchten unter ihrem Helm große Nordläuse, manche brüten auch kleine Vogeleier aus. Kann sein, daß ein ganzer Schwarm Vögel davonfliegt, wenn er den Helm abnimmt.“
„Profos“, sagte Hasard ruhig, „ich denke, über das Thema unterhalten wir uns später ausführlich. Augenblicklich haben wir andere Sorgen, kapiert?“
„Aye, aye, Sir.“
Hasard erklärte ihr, was vorgefallen war. Er sprach langsam und deutlich, damit sie alles verstand.
Sie nickte mehrmals, schüttelte dann den Kopf und stellte ab und zu eine Frage.
„Wenn der hohe Herr es möchte, werde ich an Land gehen“, sagte sie, „und mich umhören. Ich werde Auskünfte erhalten, das weiß ich.“
Hasard hob die Schultern.
„Das kann gefährlich werden“, warnte er.
„Nicht für mich“, sagte sie entschieden. „Für einen Fremden ja, ich werde erfahren, was ich wissen will.“
Das Mädchen wird immer unentbehrlicher, dachte Hasard. Sicher, für sie war es viel einfacher, etwas in Erfahrung zu bringen, wenn sie es geschickt anstellte, und daran zweifelte er nicht. „Flüssiges Licht“ war intelligent und geschickt, er konnte sie mit ruhigem Gewissen an Land bringen lassen.
Er sah hoch zum Ausguck, aber da rührte sich nichts. Der Ausguck meldete keine Schiffe, also war auch keine Gefahr im Verzug.
„Profos, laß das Beiboot abfieren, das kleine natürlich, sobald wir keine Fahrt mehr drauf haben. Suche zwei Leute aus, die das Mädchen an Land pullen. Wir segeln ein Stück der Küste entgegen und gehen anschließend wieder auf den alten Kurs. Sobald ihr zurück seid, segeln wir euch wieder entgegen.“
Thorfin Njal wirkte erleichtert. Sein unbändiger Zorn hatte sich gelegt, und jetzt erfüllte ihn neuer Tatendrang. Allerdings fragte er sich, was sie ohne das Mädchen wohl getan hätten.
Die „Isabella“ lief kaum noch Fahrt. Beide Schiffe dümpelten nur ganz langsam dahin, und so war es nicht weiter schwierig, das kleine Boot auszusetzen.
Carberry hatte auch schon die erforderlichen Männer ausgesucht. Alle hatten sich gemeldet, aber er hatte sich für Donegal Daniel O’Flynn und Gary Andrews entschieden.
„Wie, bei Odin, will sie das nur herausfinden?“ fragte der Wikinger den Seewolf. „Sie kann doch nicht einfach hingehen und gleich drauflosfragen.“
„Die Chinesen haben da ihre eigenen Methoden. Die kriegen das heraus, was sie wollen, keine Sorge. Hier sieht und hört jeder alles, hier bleibt nichts verborgen – nur wir erfahren nichts!“
„Und wie ist sie zu euch an Bord gekommen?“ wollte der Nordmann wissen. „Ich dachte erst, es wäre euer Moses, aber dann sah ich das Gesicht, und – na ja!“
Hasard erzählte es ihm und fand einen aufmerksamen Zuhörer, der immer wieder den Kopf schüttelte.
Inzwischen war das Boot abgefiert worden. „Flüssiges Licht“ und die beiden Männer stiegen ein. An langer Leine zog die „Isabella“ es jetzt hinter sich her.
„Es ist besser, du verholst dich wieder in Richtung Horizont, Thorfin“, sagte der Seewolf. „Dieser Küstenstrich ist zwar kaum bewohnt, aber falls die Kriegsdschunke zurückkehrt, könnte es Ärger geben und unser Unternehmen wäre gefährdet.“
„Ja, ich verstehe, du hast recht, Seewolf. Je weiter ich von der Küste wegbleibe, desto besser ist es.“
Mit dem Daumen gab er dem Bootsmann Juan einen Wink, die Leinen wurden losgeworfen, „Eiliger Drache“ setzte Tuch und entfernte sich langsam von dem Rahsegler „Isabella“.
Hasard ließ im spitzen Winkel zur Küste segeln, das Boot immer noch hinter sich herziehend. Er hielt auf eine der kleinen unbewohnten Inseln zu. Dort konnten sie ihn in der Bucht nicht so leicht entdecken, und außerdem würde er auch gleich wieder abdrehen. Das Beiboot jedenfalls würde unbemerkt irgendwo landen, das sah man von der Bucht aus erst recht nicht.
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