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Franz Friedrich Altmann

TURRINIS HERZ

Kriminalroman

für Toni Wurm

(statt einer Grabrede)

I

„Hurerei, elendige!“, sagt man natürlich nicht. Weil man ja nicht flucht. Höchstens es rutscht einem heraus. Da gibt es sogar einen Witz zu dem Thema. Sagt ein Vater am Elternsprechtag zur Lehrerin: „Ich fluch nicht, meine Frau flucht nicht – ich weiß auch nicht, wo unsere gottverfluchten Hurenskinder das her haben!“

Jetzt aber interessant: Warum sind es ausgerechnet immer die Männer, denen so ein Hurerei, elendige herausrutscht? Haben ja eigentlich gar keinen Grund, dass sie sich über die Hurerei beklagen. Müssen ja nicht hingehen ins Puff, wenn sie nicht wollen. Die Frauen hätten da viel mehr Grund, dass sie Hurerei, elendige sagen. Zuerst einmal die Huren selber: Ist doch logisch, dass die auch einmal einen schlechten Tag haben und auf ihren Beruf schimpfen. Und dann natürlich die Ehefrauen, die bestimmt keine Freude haben, wenn die Männer das ganze Geld ins Puff tragen, statt dass sie ihnen endlich die neue Küche kaufen. Bei Frauen also absolut verständlich – bei Männern kein bisserl. Trotzdem extrem beliebt. Und noch dazu in allen möglichen Lebenslagen, die mit der Hurerei nicht das Geringste zu tun haben: Wenn die Motorsäge nicht anspringt, wenn ein Rehbock ins Auto hupft, wenn die Oma stirbt und das ganze Geld der Kirche vermacht hat – kurzum immer, wenn was nicht hinhaut, fällt einem Mann zuerst einmal Hurerei, elendige ein.

Trotzdem ist es jetzt ausnahmsweise einmal eine Frau, der „Hurerei, elendige!“ herausrutscht. Obwohl, eigentlich ist es genau genommen gar keine Ausnahme, weil sich die Gucki sowieso aufführt wie ein Mann: Kurze Haare wie ein Mann, angezogen wie ein Mann, raucht und sauft wie ein Mann und fluchen tut sie halt auch wie ein Mann.

Kein Wunder, dass sie da noch immer keinen Mann gefunden hat! Traut sich ja keiner. Weil eine Schönheit ist sie ja auch noch, die Gucki: nicht so eine zaundürre Kraxen wie die ganzen Fotomodelle – ein richtiges Weib mit allem Drum und Dran! Und bei einer wirklich schönen Frau, da trauen sich die wenigsten Männer drüber. Praktisch wie bei einem Auto: Angeschaut wird er schon, der Porsche, aber eine Probefahrt traut sich dann schon keiner mehr machen, weil man genau weiß, dass es sowieso nur für einen Skoda reicht oder allerhöchstens für einen VW.

Jetzt braucht aber keiner glauben, dass die Gucki „Hurerei, elendige!“ gesagt hat, weil sie keinen Mann findet. Mit dieser Tatsache kann sie leben. Nicht leben aber kann sie mit der Tatsache, dass sie ein E-Mail gekriegt hat, das vor Spott und Hohn nur so trieft:

Verehrte Frau Mag. Wurm!

Meine Gratulation zu Ihrer wahrlich fundierten Berichterstattung. Wenn Sie auch in der Eile vergessen haben dürften, die Bescheide der Baubehörde sowie des Gewerbeamtes und der Landessanitätsbehörde in Augenschein zu nehmen, so ist Ihnen doch ein verblüffendes Interview mit dem hochwürdigen Herrn Pfarrer gelungen. Wer hätte je gedacht, dass dieser sich gegen ein Puff in seiner Pfarre aussprechen würde?

Und dann erst die Headline? „Hurerei vergiftet Heilwasser!“ So was kann doch nur einer mit allen Wassern gewaschenen hochprofessionellen Journalistin einfallen, nicht einem einfachen Landpfarrer (und mag er noch so senil sein).

Den Glanzpunkt aber stellt zweifelsohne Ihr Leitartikel mit dem sinnigen Titel „Moralische Umweltverschmutzung“ dar. Mit unerschütterlicher Logik liefern Sie hier den Beweis, dass man die Realität verdrängen kann, wenn man nur wirklich will. So eine berührende Naivität habe ich zum letzten Mal in den Gymna­sialaufsätzen meiner lieben Mitschülerinnen erlebt. Da Sie sich nicht gescheut haben, diesen Leitartikel mit Ihrem Foto zu verzieren, aus dem Sie mich mit vorwurfsvollen Rehaugen anblicken, darf ich Ihnen ernsthaft das Angebot machen, in meinem Etablissement als strenge Herrin zu amtieren und unsere Kunden statt mit einer Peitsche mit einem Weihwassersprenger zu bearbeiten. Manche stehen da sicher drauf – womöglich sogar der hochwürdige Herr Pfarrer.

Ihr leidiger moralisch verschmutzter

Siegfried Schellhammer

Eh klar, dass da der Gucki „Hurerei elendige!“ herausrutscht. Aber nicht, weil dieser Puffbesitzer so goschert ist, sondern weil er leider Gottes recht hat. „Scheiße, Scheiße, Scheiße!“

Da sieht man, dass die Gucki schon auch noch andere Flüche auf Lager hat. Flexibel nennt man das heutzutage. Das ist momentan das Zauberwort in der Arbeitswelt. Wenn die Molkerei Freistadt zusperrt, weil sie von der Gmundner Milch aufgekauft worden ist, musst du als Arbeiter halt ein bisserl flexibel sein und eben nach Gmunden in die Arbeit fahren. Ist ja eh nicht weit!

Die Gucki ist jetzt aber gleich noch einmal flexibel und verzichtet auf ihr gewohntes Aspirin C. Weil Dienstagabend, vor allem aber Dienstagnacht ist Tarockieren in der Meierhansl-Hütte. Ist gleich: Bier, Bier, Bier! Da braucht die Gucki schon nichts mehr sagen: Sobald sie am Mittwoch die Redaktion der Mühlviertler Nachrichten betritt, serviert ihr die Renate auch schon ein Aspirin C. So wie jetzt.

„Un Aperol Sprizz, Signorina!“

„Grazie, no! Una birra grande, Signora Heiligenbrunner! Pronto, per favore!“

Wird leicht in der Redaktion der Mühlviertler Nachrichten nur Italienisch geredet? Quasi Amtsprache? Aber nein! Das ist nur so ein Schmäh zwischen der Renate und der Gucki. Weil sie voriges Jahr miteinander in Italien auf Urlaub waren. Und weil sich die Frau Sekretärin und die Frau Redakteurin überhaupt recht gut miteinander verstehen. Drum hat die Gucki auch im Nu kein grausliches italienisches Bier, sondern einen Freistädter Ratsherrentrunk in der Hand, während die Renate „Salute!“ sagt und auch schon mit ihr anstoßt.

Tät sie sich normalerweise nicht trauen, die Renate. Biertrinken während der Arbeit. Wenn die Hatzl da wär. Die Redaktionsleiterin. Die fleischgewordene Gemeinheit im Rüscherlbluserl. Dabei sauft die Hatzl selber. Whiskey im Kaffeehäferl. Die Gucki und die Renate haben sowieso den Verdacht, dass sie zurzeit nicht auf dem Jakobsweg herumhatscht, wie sie behauptet hat, sondern in der Trinkerheilanstalt Kalksburg herumliegt. Ist ihnen auch wurscht – Hauptsache sie ist sechs Wochen lang nicht da!

Trotzdem können die zwei nicht einfach in Ruhe ihr Bier trinken. Da ist nämlich noch einer da, der unbedingt mittrinken will und das auch lautstark zum Ausdruck bringt. Der Turrini nämlich. Also, wenn du mich fragst, der Turrini tät auch nach Kalksburg gehören! Dass jetzt kein Missverständnis entsteht: Damit meine ich natürlich nicht den Peter Turrini! Weil der ist ja der Theaterdichter, über den die Gucki ihre Diplomarbeit geschrieben hat. Damit meine ich den Turrini, der der Gucki ihr Hund ist. So ein schwarzer Spitz. Schaut aber dem Theaterdichter wirklich ähnlich. Klein, ein bisserl fester, schon ein bisserl grau. Und leider ziemlich versoffen. Seit er vierzehn Tage beim Leo Höllerer war. Wie die Gucki mit der Renate in Italien gewesen ist. Seither will er auch immer ein Schluckerl, wenn die Gucki was trinkt. Und was tut die Gucki? Sie gibt es ihm! Ist sogar noch stolz, dass er so ein gescheiter Hund ist. Weil er grundsätzlich nur Freistädter Bier trinkt. Jedes andere Bier lässt er stehen. Angeblich hat er sogar einmal mit der Schnauze sein Schüsserl umgestoßen. Weil ein Brau AG Bier drinnen war. Recht hat er!

Natürlich kriegt der Turrini auch dieses Mal sein Bier, und die Gucki und die Renate können endlich in Ruhe plaudern. Besser gesagt: Die Renate kann endlich ihre Neuigkeiten loswerden.

„Seit in der Früh läutet ununterbrochen das Telefon! Alles wegen der Puff-Geschichte! Als Erstes hat der Pfarrer von St. Moritz angerufen. Dass er sich recht schön bedanken möchte und dass du vorbeischauen sollst, weil er dir einen ganzen Karton von dem Messwein schenkt, der dir beim Interview so geschmeckt hat.“

„Kreuzsakrahaxen!“, rutscht da der Gucki heraus. Was die für Flüche draufhat!

„Als Nächstes hat dann der Bürgermeister angerufen. Hat sich zuerst einmal beschwert, dass du ihn nicht interviewt hast. Und hat dann gesagt, dass er dir das mit der Baugenehmigung ganz genau erklären kann. Wenn du ihn interviewen tätest. Und du brauchst ihn nur anrufen. Und er hat immer Zeit.“

„Aber Messwein will er mir keinen spendieren?“

„Pass auf, jetzt kommt ja erst das Beste! Der Zuhälter – der Zuhälter hat gleich drei Mal angerufen! Das erste Mal hat er gefragt, ob du da bist, das zweite Mal, wann du kommst, und beim dritten Mal hat er gesagt, ich soll dir ausrichten, dass er dir den Arsch aufreißt. Wortwörtlich: Ich reiß ihr den Arsch auf!“

Die Gucki ist aber anscheinend nicht sonderlich beeindruckt. „Also, erstens ist der Schellhammer kein Zuhälter, sondern Bordellbetreiber“, stellt sie klar, „und zweitens werden wir schon noch sehen, wer da wem den Arsch aufreißt!“

„Genau, den machst du zur Sau, Gucki! Auf das trinken wir! Salute!“

Und während jetzt die Bierflaschen scheppern – die Damen trinken selbstverständlich aus dem Flaschl – kein Wunder bei dem Spruch, den sie führen –, muss ich vielleicht doch einmal erklären, warum ich immer Gucki sag – und nicht Frau Magister Gudrun Wurm.

Bei uns hat praktisch ein jeder einen Spitznamen. Drum hat sich ja die Gucki am Anfang so hart getan, wie sie vor acht Jahren ins Mühlviertel gekommen ist. Weil sie sich bei jedem neuen Gesicht ja nicht nur den Vornamen und den Nachnamen merken hat müssen, sondern bei den Bauern auch noch den Hausnamen und bei den meisten Männern dazu auch noch den Spitznamen. Weil einen richtigen Spitznamen haben bei uns nur Männer. Ein abgekürzter Vorname – sagen wir einmal Rosi statt Ros­witha – ist ja noch kein Spitzname. Eine Frau kann höchstens den Spitznamen von ihrem Mann angehängt kriegen. So ist – zum Beispiel – die Spray-Anita keine Friseurin, sondern eine Krankenschwester, der ihr Mann vor Jahren einmal eine Spraydose in ein Lagerfeuer geschmissen hat und seither natürlich nur mehr Spray heißt, weil es die Spraydose gar so schön zerrissen hat.

Die Gucki ist aber eine Ausnahmefrau und hat daher auch bald einen Spitznamen gehabt. Das war so: Beim allerersten Mal Tarockieren in St. Anton hat sie ziemlich gewonnen. Hat der Fuzzi gesagt: „Eine, die rucki-zucki drei Tausender gewinnt, kann nicht Wurm Gudrun heißen! Das ist die Rucki-zucki-Gucki!“ Und das Gucki ist ihr dann geblieben. Obwohl mit den drei Tausendern Schilling gemeint waren – und nicht Euro.

Dabei hat der Fuzzi nicht die geringste Ahnung gehabt, dass sie sowieso schon seit ihrer frühesten Kindheit nur Gucki genannt worden ist. Ihr Opa hat diesen Namen aufgebracht, und der hat sie dann durch die ganze Schulzeit in Linz begleitet und ist zum Studieren mit ihr nach Wien übersiedelt. Und wie sie dann ins Mühlviertel gekommen und mit achtundzwanzig Jahren praktisch das erste Mal in ihrem Leben mit Gudrun angeredet worden ist, war das für sie, als wäre sie auf einmal ein anderer Mensch. Hat aber eh nicht lang gedauert und schon war sie wieder die Gucki.

Ich glaub ja nicht, dass das ein Zufall war, dass der Fuzzi so schnell auf Gucki gekommen ist. Ihr wacher, neugieriger Blick aus den großen bernsteinbraunen Augen ist halt einmal das Auffälligste an der Gucki. Und das ist ihm sofort ins Auge gestochen – so wie es 25 Jahre vorher dem Opa ins Auge gestochen ist. Wie es jedem Mann sofort ins Auge stechen müsste, wenn er sich nicht von den elendslangen Haxen, dem prächtigen Arsch und dem kecken Busen ablenken ließe.

Jetzt ist es aber genug! Jetzt hätt ich mich selber bald ablenken lassen. Ich wollt ja nur erklären, wie die Gucki zu ihrem Spitznamen gekommen ist und keine pornografische Schilderung abliefern. Da tät mich die Gucki schön zusammenstauchen! Der weibliche Körper als Ware – da kann sie sich grün und blau ärgern.

Das ist es ja auch, was sie dazu gebracht hat, diesem Bordellbesitzer in den Mühlviertler Nachrichten eine aufzulegen, ohne dass sie wirklich recherchiert hätte. Was für eine Blamage! Dass sie sich dann auch noch zu der populistischen Metapher von der moralischen Umweltverschmutzung hinreißen hat lassen. Der reinste Schwachsinn! Und trotzdem wird sie genau diese schwachsinnige Moralschiene weiterfahren müssen, wenn sie diesen Hurenbeutel erledigen will. Und das will sie! Eigentlich hat sie ja die ganze Geschichte nur gebracht, weil sie sonst keinen Aufmacher gehabt hätte. Praktisch Verlegenheitslösung. Ist ihr doch in Wirklichkeit völlig wurscht, ob in St. Moritz ein Puff aufgemacht wird oder nicht. Jetzt ist das anders. Jetzt geht es ihr wirklich darum, dass dieses Puff nicht aufsperren kann. Dass sie diesen arroganten Hund zur Sau macht. Und wenn sie sich auf das unterste Niveau des Journalismus begeben muss!

Dabei ist sie, wenn sie ehrlich ist, sowieso schon längst auf dem untersten Niveau des Journalismus angelangt. Bei den Mühlviertler Nachrichten nämlich. Packende Reportagen über Feuerwehrzeughaus-Einweihungen, nette Fotos von rüstigen Hundertjährigen samt Geschenkskorb und eifrig gratulierenden Bürgermeistern und leidenschaftliche politische Debatten über weltbewegende Fragen wie Braucht Pregarten eine öffentliche Toilettenanlage? Kurzum: eine Regionalzeitung. Also wirklich nicht das, was sich die Gucki erträumt hat, wie sie angefangen hat, Publizistik zu studieren. Hat aber keinen anderen Job gekriegt, wie auf einmal ihre Mama gestorben ist und sie dann ganz ohne Geld dagestanden ist. Hat sich aber am Anfang noch nicht viel gedacht, weil sie sowieso davon ausgegangen ist, bald bei einer anderen, einer richtigen Zeitung zu schreiben. Hat eine Bewerbung nach der anderen abgeschickt. Monatelang, jahrelang. Umsonst. Bis sie dann aufgegeben hat. Bis sie dann vor einem Jahr doch ihre Diplomarbeit in Theaterwissenschaft abgeschlossen hat. Sentimentale Motive im dramatischen Werk von Peter Turrini hat sie geheißen. Eh so ein schönes Thema, und trotzdem hat die Gucki bei keinem einzigen Theater eine Arbeit gekriegt.

So ist sie halt bei dem Mühlviertler Nachrichten picken geblieben und hat die Hoffnung fast schon aufgegeben, dass sie aus diesem Sumpf des Mittelmäßigen, vor allem aber völlig Uninteressanten jemals wieder herauskommt. Wobei sie aber eines bis jetzt immer gescheut hat wie der Teufel das Weihwasser: dass sie sich in diesem Provinzblatt als Stimme des Volkes aufspielt. Das ist ja die Spezialität ihrer verhassten Chefin, der Hatzl: dass sich die Frau Redaktionsleiterin auf jede populäre Forderung irgendeines Provinzdeppen draufsetzt wie eine Henne aufs Ei und laut gackernd populistische Schlagzeilen und Leitartikel ausbrütet.

Genau das hat die Gucki aber jetzt auch vor. Ist Dummheit wirklich ansteckend? Hat sie sich am Ende bei der Hatzl angesteckt? Ist es nur mehr eine Frage der Zeit, bis sie Rüscherlbluserl trägt und Whiskey aus dem Kaffeehäferl sauft? Nein, wirklich nicht! So tief ist sie noch nicht gesunken! Sie braucht ja nur ordentlich recherchieren, dann wird sich schon irgendwas finden lassen, das diesem Bordellbetreiber das Genick bricht. Zeit genug hat sie ja. Die Mühlviertler Nachrichten sind ja eine Wochenzeitung. Sprich: Redaktionsschluss am nächsten Dienstag.Und heute ist Mittwoch. Zeit über Zeit!

Sollte man meinen. Ist aber nicht so. Weil nämlich ununterbrochen das Telefon scheppert. Weil alle möglichen – besser gesagt: alle unmöglichen – Leute der Gucki zu ihrem Leitartikel gratulieren wollen. Die erste Anruferin ist noch dazu das Fräulein Aistleitner, eine ganz eine besondere Freundin von der Gucki. Sie ist nämlich die Ortsberichterstatterin der Mühlviertler Nachrichten in St. Anton. Und weil die Gucki halt einmal in St. Anton wohnt, muss sie „Das ist aber lieb, dass sie anrufen, Fräulein Aistleitner!“ sagen. Und nicht: „Halt doch sofort deine verlogene Goschen, du alte Tratschen!“

„Also wirklich sehr brav, Fräulein Gucki!“, lobt das Fräulein Aistleitner. Schließlich ist sie Oberlehrerin in Ruhe, und mit der Anrede Fräulein ist sie auch konsequent. „Das hätte ich mir gar nicht von Ihnen gedacht, dass Sie so fromm sind. Wo man Sie doch so gut wie nie in der Kirche sieht. Aber das ist jetzt alles vergessen und vergeben. Sie sind herzlich willkommen. Gleich heute Abend. Zur Probe. Vom Kirchenchor. Ein bisserl was anderes anziehen täten Sie halt schon müssen. Bei den Proben eh nicht. Aber in der Kirche schon. Ein Rüscherlbluserl tät Ihnen sicher gut stehen. Hat der Koller in Weißenbach jetzt im Angebot. Nur Neunzehn-neunzig! Um halb acht ist die Probe. Im Pfarrheim. Aber pünktlich! Und jetzt halt ich Sie nimmer länger auf, damit Sie fest gegen die Unkeuschheit schreiben können!“

Ist die Gucki natürlich so fertig, dass sie schon überlegt, ob sie sich nicht gleich ein zweites Bier holen soll. Da läutet aber schon wieder das Telefon. Na, schlimmer kann es nicht mehr kommen! Aber so kann man sich täuschen!

„Mühlviertler Nachrichten, Wurm, grüß Gott!“

„König Karl, Gemeinderat in St. Moritz. Also – FPÖ-Gemeinderat natürlich. Wir waren die Einzigen, die gegen das Puff gestimmt haben. Das gehört nämlich einmal gesagt! Also: geschrieben. In der Zeitung. Und natürlich auch, warum! Weil wir ja nicht einfach gegen alles sind. Wie die anderen immer behaupten.“

„Und …?“

„Was und?“

„Warum sind Sie gegen ein Bordell in St. Moritz?“

„Ja, eh klar! Nicht wegen der Moral und auch nicht wegen dem Heilwasser – wegen die Ausländer sind wir dagegen!“

„Der Herr Schellhammer ist doch ein Österreicher und noch dazu aus St. Moritz gebürtig?“

„Ja, er schon, aber seine Huren nicht! Schauen Sie doch einmal in Freistadt ins Puff: lauter Tschechinnen, Russinnen, Ungarinnen und Thailänderinnen! Da kann ich doch gleich die paar Kilometer über die Grenze fahren und in der Tschechei um das halbe Geld schnackseln!“

„Wie oft gehen Sie denn ins Puff?“ Das ist der Gucki jetzt herausgerutscht. Da hat sie beim besten Willen nichts dagegen machen können.

„Ha …?“

„Ich mein: nur so im Durchschnitt. Einmal pro Woche oder eher einmal im Monat?“

Aufgelegt. Gott sei Dank! Wenn das so weitergeht? Aber es geht so weiter. Wobei ein Lehrer und Jungscharleiter den Vogel abschießt, indem er nicht nur die wundertätige Heilkraft des Mariabrunner Wassers beschwört (fast alle seine Warzen im Gesicht sind verschwunden), sondern die Gucki auch noch zum abendlichen Maibaumaufstellen nach Lasberg einlädt (Dirndlkleid erwünscht) und ihr erklärt, dass ihm ihr Foto in den Mühlviertler Nachrichten so gut gefallen hat, dass er ernsthaft an die Gründung einer Familie denkt. Und treu ist er sowieso.

Nach zwei Stunden Telefonterror ist die Gucki dann so fertig, dass sie am liebsten selber ein Puff aufmachen tät oder zumindest dem Schellhammer mit einer Flasche Messwein zu seiner Idee gratulieren möchte. Drum holt sie sich jetzt wirklich noch ein Bier und schärft der Renate ein, kein einziges Telefonat mehr durchzustellen – und wenn der Bischof höchstpersönlich anrufen sollte.

Man wird es nicht glauben, aber der ruft wirklich an. Nur kann er seine liebe Tochter leider nicht mehr erreichen. Weil sie unterwegs ist.

II

„Du Heubodentürldepp!“, sagt man dann, wenn ein gewöhnliches Depp nicht ausreicht. Wenn einer wirklich brunzdumm ist. Zum Scheißen zu blöd. Ein richtiger Volkstrottel halt. Aber nicht, dass jetzt wer glaubt, dass ich mit den ganzen Schimpfwörtern so eine Freude hätt! Dass ich praktisch eine ordinäre Drecksau bin. Überhaupt nicht! Nur: Wie soll ich das Heubodentürldepp denn sonst erklären? Weil außer im Mühlviertel wird das ja keiner kennen.

Und dann tät keiner wissen, wie das gemeint ist, wenn die Gucki jetzt zum Herrn Bürgermeister sagt: „Du bist aber wirklich ein fester Heubodentürldepp!“

Ist er natürlich ein bisserl beleidigt. Praktisch Amtsehrenbeleidigung. „Das kommt aber nicht in die Zeitung hinein?“, fragt er die Gucki. Mit einem verzagten Blick auf das kleine Tonband, das auf seinem Schreibtisch liegt. Und außerdem versteht er überhaupt nicht, wie die Gucki auf das Depp kommt. Wenn das kein Argument ist? Arbeitsplätze ist doch das Zauberwort schlechthin. Mit dem kann man alles und jedes rechtfertigen. Egal, ob man jetzt Bundeskanzler von Österreich ist oder Bürgermeister von St. Moritz. Ein Bordell ist schließlich auch eine Firma – und eine Firma heißt Arbeitsplätze! Und das sagt er ihr jetzt auch, dieser Journalistin, die anscheinend absolut keine Ahnung von der Wirtschaft hat. Typisch Frau!

Aber die lacht sogar noch? „Wen willst du denn auf den Strich schicken: deine Frau oder deine Tochter?“

Die Gucki ist nämlich mit dem Herrn Bürgermeister per Du. Weil sie einmal beim Musikerball in St. Moritz Bruderschaft getrunken haben. Und weil er sie dann ein bisserl sexuell belästigt hat. Und weil sie ihm dann eine ordentliche Watschen gegeben hat. Hat aber nicht so weh getan wie die Watschen, die er jetzt kriegt: „Oder willst du selber den Türsteher machen und mit den Nutten einen Betriebsrat gründen?“

Ist das jetzt ernst gemeint oder will sie ihn pflanzen? Weil er ja wirklich Betriebsrat ist. In der VOEST. Also, Türsteher, das wär nix für ihn. Aber so eine Betriebsratssitzung mit ein paar feschen Huren, für so was wär er schon zum haben. Und für die Gucki sowieso. Wie sie da vor ihm sitzt in ihrer schwarzen Lederjacke – eine strengere Herrin findest du weit und breit nicht! Na, das war vielleicht eine Watschen! Damals auf dem Musikerball. Da wird ihm heute noch heiß und kalt, wenn er nur dran denkt. Ob sie es auch für Geld machen tät? Und was sie wohl verlangen tät?

Aber die Gucki macht es für ihn sogar umsonst. „Also, was ist jetzt mit den Arbeitsplätzen? Schlaf mir nicht ein, Egon! Du bist da mitten in einem Interview und nicht auf einem Parteitag!“, pfaucht sie ihn an.

Muss er sich wohl oder übel von seinen schrecklich schönen Fantasien losreißen und ihr in Gottes Namen die großen wirtschaftlichen Zusammenhänge erklären. „Also: Ein Puff bedeutet Schmutz und Dreck!“, beginnt er seine Ausführungen. Fast schon ein Ausflug ins Philosophische. Dabei meint es der Herr Bürgermeister ganz praktisch. „Brauchst du also eine Putzfrau und eine Frau zum Waschen und Bügeln. Das sind schon einmal zwei Arbeitsplätze. Die hat mir der Schellhammer garantiert. Und außerdem macht er den ganzen Umbau vom Mariabrunn mit lauter Moritzer Firmen. Der Baumeister nascht mit, der Zimmerer, der Installateur, der Elektriker und der Spengler. Das sind auch alles wieder Arbeitsplätze! Und dann natürlich auch noch der Fremdenverkehr. Kommt ein Fremder ins Puff und unterhält sich gut und sieht dann am nächsten Tag in der Früh, wie schön es bei uns ist, dann denkt er sich vielleicht: Aha, da könnt ich auch einmal mit der Familie Urlaub machen und ein bisserl Golf spielen, und die Frau soll mit den Kindern Schwammerlsuchen gehen!“

Kommt der Gucki das Lachen aus. Wieder einmal, muss man sagen. Weil das hat sie in den acht Jahren bei den Mühlviertler Nachrichten noch immer nicht gelernt, dass du als Journalistin bei einem Interview auf keinen Fall lachen darfst. Weil dann die Leute beleidigt sind und nichts mehr erzählen. Genauso kommt es auch. Der Herr Bürgermeister sagt kein Sterbenswort mehr. Obwohl er sonst wirklich gern redet.

Aber die Gucki weiß eh schon genug. Das mit der Baugenehmigung stimmt. Leider. Der Schellhammer darf das ehemalige Ausflugsgasthaus Mariabrunn direkt neben der Kapelle Mariabrunn und direkt neben der Heilquelle Maria­brunn zu einem Puff mit zehn Zimmern umbauen. Ob er das Puff auch Mariabrunn nennen wird? Das muss sie ihn als Allererstes fragen!

„Wird das Puff auch Mariabrunn heißen?“ Das fragt jetzt aber nicht die Gucki den Schellhammer, sondern der Leo die Gucki.

Das war nämlich so. Wie die Gucki vom Bürgermeister weggefahren ist und in Gedanken schon beim nächsten Interview war, da hat der Turrini auf einmal angefangen zu bellen. Und nicht mehr aufgehört. Dabei bellt er im Auto sonst nur, wenn er draußen einen Hund sieht. War aber weit und breit kein Hund da. Dafür dem Leo Höllerer seine Beiwagenmaschine. Eine Zündapp 650. Baujahr 1937. Mit einer Maschinengewehrhalterung am Beiwagen. Weil der Leo halt doch ein bisserl ein alter Nazi ist. Und der Turrini kennt natürlich die Maschine. Weil er ja im letzten Sommer vierzehn Tage im Beiwagen mit dem Leo von Wirtshaus zu Wirtshaus gefahren ist. Wie sein Frauli in Italien gewesen ist. Hat der Turrini natürlich alle Wirtshäuser von St. Moritz und Umgebung gekannt. Und natürlich sofort gewusst, dass der Leo nur in Frankys Bar sitzen kann. Ich mein: Nicht dass er ihn jetzt gerochen hätte – so eine feine Nase hat ein Hund auch wieder nicht. In dem Fall war es nicht Turrinis Nase, sondern Turrinis Hirn, was ihn darauf gebracht hat. Analyse der Situation: Großer, lauter und extrem stinkender Hund mit dem blöden Namen Zündapp steht vor dem Wirtshaus, Hund gehört dem Leo-Herrli, also sitzt das Leo-Herrli im Wirtshaus. Analyse der Motivation: Will ich lieber im Auto sitzen oder ein Bier schlappern? Keine Frage! Analyse der Aktionsmöglichkeiten: Analyse spar ich mir – Freudengebell!

Ist der Gucki natürlich nichts anderes übrig geblieben, als dass sie auf die Bremse gestiegen ist. Und hat auch schon direkt neben der Zündapp eingeparkt. Hat ausgeschaut wie bei einem Oldtimer-Treffen. Dem Leo seine Zündapp und der Gucki ihr VW Karmann Ghia. Den hat sie von ihrem Opa geerbt. Baujahr 1958.

Wär eh schon längst in alle Einzelteile zerfallen, wenn die Gucki nicht so einen begnadeten Mechaniker gehabt hätte. Einmal im Jahr fährt der Karmann Ghia zum Fuzzi auf Kur und wenn er dann zurückkommt, ist er wieder wie neu. Frage nicht, was das in einer normalen Werkstatt kosten tät! Aber erstens macht das der Fuzzi im Pfusch, und zweitens verlangt er bei der Gucki fast nichts. Sie hat ihn sogar im Verdacht, dass er dabei noch draufzahlt. Weil: Auch wenn die Gucki kein bisserl Ahnung von der Technik hat, dass die Ersatzteile bei einem Oldtimer sauteuer sind, das weiß sie schon. Nur: Der Fuzzi lässt sich einfach nicht mehr zahlen. Weil sie – wie soll man das nennen? –, weil sie Freunde sind. So unterschiedlich die zwei äußerlich sind – der Fuzzi ist kleiner als eins sechzig und hat eine Hasenscharte, die Gucki aber ist größer als eins achtzig und wunderschön – sie haben sich von Anfang an gut leiden können, und mit der Zeit sind sie wirklich Freunde geworden. Aber halt auch nicht mehr. Und wenn der Fuzzi wieder einmal bei der Gucki übernachtet, dann nur, weil er vor lauter Rausch nimmer fahren kann. Und bis 2,4 Promille fährt er noch anstandslos, wie sich bei der letzten Führerschein-Abnahme herausgestellt hat. Das hindert die Leute in St. Anton natürlich kein bisserl daran, dass sie sich über die Gucki und den Fuzzi das Maul zerreißen. Wobei das den beiden so was von wurscht ist. Im Gegenteil: Immer wenn sie wieder einen Dummen finden, reden sie ihm ein, dass die Hochzeit schon vor der Tür steht und noch dazu in der Brauerei Freistadt stattfinden wird. Nur glaubt das halt schön langsam kein Schwein mehr, weil sie den Hochzeitstermin schon mindestens zehn Mal im letzten Moment verschoben haben.

Jetzt bin ich aber komplett vom Thema abgekommen! Wo waren wir gleich? Beim Turrini? Nein, in Frankys Bar! Der Leo hat sich natürlich nicht lumpen lassen und den Turrini nach einer stürmischen Begrüßung auf ein Schüsserl Bier eingeladen. Die Gucki hat er ausnahmsweise nicht eingeladen, sondern mit den Worten „Weiche von mir, du volksverräterische Emanze!“ begrüßt. Dabei nimmt er ihr sonst die Emanzipation genauso wenig krumm wie sie ihm seine Nazi-Sprüche. Aber heute ist alles anders. Heute ist Frankys Bar voll mit lauter Männern in den besten Jahren, die normal alle auf die Gucki fliegen, heute aber bös auf sie sind, weil sie Angst um ihr Puff haben. Sogar einen Werbespruch für das Puff hat man schon erfunden. Und der Leo gibt ihn auch schon zum Besten:

„Fahr nicht fort – schnacksel im Ort!“ (Nur für den Fall, dass das wer nicht kennt: Das ist in Anlehnung an den Spruch Fahr nicht fort – kauf im Ort!)

Für so eine niveauvolle Unterhaltung ist die Gucki natürlich jederzeit zu haben. „Lieber Leo, fahr nicht ins Bordell – der Herzinfarkt derprackt dich schnell!“, reibt sie ihm unter die Nase.

„Mein Gott, Gucki! Wenn du es im Pfusch machen tätest, tät ich doch nie ins Puff gehen! Nur mehr zu dir! Wegen der Schönheit zwar nicht, aber wenigstens bist du keine Ausländerin!“

„Aber geh, Leo! Ich hab dir noch immer einen guten Preis gemacht. Was dir bei mir jedes Mal so teuer kommt, das ist doch nur die Familienpackung Viagra!“

Und so geht es hin und her und her und hin. Was sich liebt, das neckt sich! Aber nicht, dass jetzt wer glaubt, dass die Gucki da einfach in Frankys Bar versumpfen tät. Der Leo ist ja für sie – und das nicht zum ersten Mal – eine höchst ergiebige Informationsquelle. Weil er in seinem Leben viel herumgekommen ist und immer noch viel herumkommt. Erstens war er bis zu seiner Pensionierung vor zwei Jahren Zimmermann. Und als Zimmermann kommst du irgendwann einmal in jedes Haus. Weil jedes Dach irgendwann einmal kaputt wird. Zweitens ist der Leo so nebenbei Händler mit Waren aller Art. Von ihm kannst du praktisch alles haben – vom feschen HJ-Dolch mit der Aufschrift Meine Ehre heißt Treue bis zur ukrainischen EDV-Spezialistin mit sagenhafter Oberweite, die aber nicht abgeneigt ist, in eine Mühlviertler Landwirtschaft einzuheiraten. Der Leo hat einfach für jeden was. Der Gucki, zum Beispiel, der Gucki hat er den Hund angedreht. Und für ihr Turrini-Burli ist sie ihm ewig dankbar. Genauso wie für die Informationen, mit denen er sie seit acht Jahren versorgt. Dass das Gasthaus Mariabrunn in ein Puff umgebaut wird, hat sie ja auch von keinem anderen als dem Leo erfahren.

Mit allen brisanten Details: Bei uns im Mühlviertel ist es nämlich schon brisant, wenn ein Bordellbesitzer ausgerechnet der Sohn vom kürzlich verstorbenen Gemeindearzt ist. Ein angesehener Mann. Der Vater natürlich, der Herr Medizinalrat Dr. Schellhammer. Der Sohn weniger, der Sigi. Weil verkrachter Student und dann Schilehrer und Kellner und so. In Tirol drinnen. Ein richtiger Hallodri halt.

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