Читать книгу: «Der Junge mit dem Feueramulett: Der heilige Vulkan», страница 3
»Aber Flanakans Sinn für Humor hat in den letzten Jahren extrem nachgelassen. Ganz abgesehen von dieser Tsarr, die konnte uns eigentlich noch nie leiden. Wenn die lacht, dann stirbt meist irgendjemand. Und das ist wirklich nicht lustig.«
Nachdenklich kratzte sich Oiklihd am Kopf.
»Wie auch immer. Wir müssen jetzt in die Alte Stadt hüpfen. Wenn man uns auf den Booten nicht mitnimmt, dann geht es eben zu Fuß weiter. Vielleicht wollt ihr uns ja begleiten? Wäre doch lustig, oder?«
Warum nicht, dachte sich Kard und nickte ermunternd in Richtung Madad. »Ja, wäre vielleicht ein Spaß.«
»Wir haben zwei Kaninchen frei. Ich bin jetzt einfach mal der Despot in der Gruppe. Wir sind zu dritt, wisst ihr. Drei Narren und fünf Kaninchen. Und ich bestimme jetzt, dass ihr mitkommt. Die Meinung der anderen interessiert mich heute nicht. Lustig, oder?«
»Vielleicht?« Unsicher stimmte Kard zu. Auf jeden Fall wäre ihre Tarnung noch perfekter. Und mit den Riesenkaninchen wären sie schneller in der Alten Stadt als zu Fuß.
»Machen wir.« Auch Madad stimmte zu, und so liefen sie hinter Oiklihd und seinem Riesenkaninchen her, beäugt von den neugierigen Augen der anderen Reisenden. Ein Kleinwüchsiger, ein Riesenkaninchen und zwei zottelige Wahter – so etwas sah man in Haragor nicht alle Tage.
Oiklihd stellte ihnen seine zwei Kumpanen vor. Arschimaedes und Puetontagoras, ein Torak und ein Mensch, beide keineswegs so kleinwüchsig wie Oiklihd. Arschimaedes, Torak, Spezialist für schlüpfrige Witze, begann mit Oiklihd sofort einen deftigen Wortwechsel darüber, dass Despot zu sein nur für den witzig ist, der eben der Despot ist. Für die anderen konnte es bestenfalls als schadenfroher Dritter lustig sein. Aber bevor die Respektlosen sich darüber weiter streiten konnten, beschlossen sie, dass jeder einmal der Despot sein dürfte. Immer dann, wenn man auf dem Weg eine blaue Tür sehen würde, sollten die Rollen gewechselt werden. Irgendeine Regel musste es ja geben.
Kard war gleichzeitig fasziniert wie verunsichert. Die drei waren lustig, keine Frage. Aber dass Oiklihd auch keinen Respekt vor den Göttern hatte, gefiel Kard überhaupt nicht. Dass man entweder Branu oder Goiba oder einem der anderen Göttern mehr oder weniger zugetan war, verstand Kard. Er hatte es sich angewöhnt, sich mit allem Göttlichen auf guten Fuß zu stellen. Lieber mal ein Schälchen Winxbier zu viel geopfert, als sich dem Zorn einer vernachlässigten Gottheit zuzuziehen. Und der Gedanke, dass es neben dem Göttlichen noch etwas anderes geben sollte, diese Mathemagie, erzeugte geradezu einen Brechreiz in ihm. Am besten, er passte sich so schnell wie möglich auch diesen Gegebenheiten an, sonst würde er noch ganz wirr im Kopf werden.
Der Torak, Arschimaedes, hatte etwas Naives, Kindliches an sich, auch wenn er schon über siebzig Jahre alt war. Für einen Torak war er damit in den besten Jahren. In seinem Alter hatten die meisten Toraks gerade eine Familie gegründet und waren dabei, viele kleine Torakkinder in die Welt zu setzen. Und gerade davor lief der gute Arschimaedes auch davon, wie er unumwunden zugab.
»Da war dieses Mädchen«, er grinste in die Runde, als ob er einen tollen Scherz gerissen hätte, »wir arbeiteten beide auf den Winxfeldern, ihr versteht schon, oder?« Wieder grinste er in die Runde und machte mit seinen Hüften kreisende Bewegungen. Oiklihd hieb Tim/Kard in die Seite und meckerte ein leises Zwergenlachen in sich hinein und Puetontagoras hieb dem Buckligen grinsend auf die haarige Schulter. Pflichtschuldig setzte Kard, der sich die Haare aus dem Gesicht gestrichen hatte, sodass wenigstens Auge, Mund und Nase sichtbar waren, ebenfalls ein Grinsen auf. Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, was gerade so komisch ist.
»Und eines nachts«, berichtete Arschimaedes weiter, »als ich mal wieder durch die Winxfelder zu diesem Mädchen schlich, landete ich in einem kreisrunden Kreis mitten im Gras.«
»Kreise sind immer kreisrund, du Hirni.«
»Das kommt auf die Perspektive an. Von schräg oben sieht ein Kreis wie eine Ellipse aus.«
»Quadratquatsch.«
Bevor sich Arschimaedes und Oiklihd richtig in die Wolle bekamen, hakte Madad nach. »Yo, das mit den Kreisen im Gras, das kennen wir auch. Was hat es damit auf sich?«
Alle drei Respektlosen atmeten synchron tief ein und begannen alle gleichzeitig zu reden. »Kreisrund müssen sie sein…Winxbier…keine Ahnung wieso…hoppel, hoppel, hoppel…Neumond, Vollmond, egal…«
»Äh, ich verstehe kein Wort. Könnt ihr euch mal darauf einigen, wer erzählt? Vielleicht du, der Despot?« Madad schaute, auch wenn das niemand registrieren konnte, da sein gesamter Kopf unter seinen Haaren begraben war, fragend in die Runde.
»Nein, niemand fragt den Despoten, ob er etwas tun soll oder will oder kann. Der Despot tut es einfach. Daher bestimme ich, dass nicht ich, sondern Puetontagoras die Geschichte erzählen soll.«
Puetontagoras, Mensch, vielleicht um die vierzig, normale Statur, nicht zu groß, nicht zu klein, dunkler Vollbart unter kleinen blauen Augen und mächtiger Nase, atmete tief ein. Dann strich er sich die Krümmel weg, die auf seiner dunkelblauen, mit sinnlosen Buchstabenkombinationen (sin, cos, lim) bestickten Hose, gelandet waren. Er legte auch das Winxbrot, an dem er bisher geknabbert hatte, zur Seite. Dann wandte er den Blick zu den Riesenkaninchen, die versuchen, Grasbüschel herauszuziehen, die sich in den Fugen und Rissen des Platzes versteckten.
»Diese Tiere, ha.« Dann schwieg Puetontagoras eine Weile und schaute vielsagend in die Runde. Kard, jetzt tatsächlich neugierig, wollte dem vielsagend Schweigenden ein wenig auf die Sprünge helfen.
»Ja? Diese Tiere?«
»Ha, diese Tiere, ha, du denkst, ha, du siehst einfach nur große Kaninchen, ha, was, ha?«
Langsam dämmerte es Kard, wieso Puetontagoras bei den Respektlosen war. Das kurze Lachen, was er ständig von sich gab, hatte eine enervierende Wirkung auf seine Zuhörer. Die beiden anderen Respektlosen schienen sich aber schon daran gewöhnt zu haben. Sie zeigten auf jeden Fall kein Zeichen von Unruhe oder übler Laune. Ein Beispiel, dem Kard folgen wollte.
»Aber, ha, diese Tiere….«, langes Schweigen, »sind Kinder der Mathematik«. Vielsagender Blick in die Runde. »Dies offenbaren sie, ha, wenn sie zu viel Schoff getrunken haben.«
»Wartet mal«, in Madads Stimme konnte man ein gewisses Glucksen hören. »Die Kaninchen trinken Schoff?«
»Sie trinken Bier aus Winx,
dann drehen sie sich links,
und machen einen Kreis,
ganz ohne Scheiß.«
»Wieso…?« Kard schaute die Respektlosen fragend an.
»Ha, wieso, wieso. Ha! Das ist ein Zeichen. Ha. Sie senden Zeichen. Ha.«
»Na was denn jetzt? Was für Zeichen? Ein Kreis ist ein Kreis ist ein Kreis?« Madad schien fast ein wenig verärgert.
»Ha, ein Tier, das einen perfekten Kreis hüpft? Welches andere Tier macht das? Wir haben sie alle ausgemessen. Die kleinen Kreise, die großen Kreise. Alle sind perfekt. Es kann, ha, da nur eine Antwort geben, ha!«
Schweigen.
»Ja, und?« Kard war jetzt schon ganz unruhig. Puetontagoras machte es auch wirklich spannend.
»Die Riesenkaninchen stammen nicht von dieser Welt! Ha! Sie sind Außerharagorische! Ha. Und senden Zeichen an ihre Brüder und Schwestern. Ha. Eines Tages werden sie vom Himmel steigen und alle Riesenkaninchen Haragors wieder mitnehmen. Ha.«
Jetzt schwiegen erst einmal alle. Genau, dachte Kard. Außerharagorische Riesenkaninchen. Klar wie Kloßbrühe. Was denn sonst? Was für ein Riesenschwachsinn. Was für eine Respektlosigkeit gegenüber den Göttern! Ich glaube, Puetontagoras läuft nicht ganz rund.
»Also mit diesen Kreisen im Winxgras senden die Riesenkaninchen Zeichen an die Götter?« Madad versuchte sich auch einen Reim auf das Gesagte zu machen.
»Nein, ha, nein. Nicht an die Götter. An die Außerharagorischen. An ihre Brüder und Schwestern.«
»Aber da oben,« Madads Haarbüschel drehte sich und nur Kard ahnte, dass da gerade ein Cu mit seiner Schnauze in den Himmel wies, »da sehe ich Sonne, Mond und Sterne. Wolken. Regentropfen. Alles Elemente des Göttlichen, mag es nun Branu oder Goiba sein.«
»Ihr, ha, Ungläubigen.«
»Äh, wieso, ihr seid doch die Ungläubigen.«
»Nein, alles ist Mathematik.«
Kard, dem der Kopf brummte, und der seiner Verwirrung irgendwie Herr werden wollte, bat um einen Becher Schoff. Dies wirkte für die Respektlosen wie eine Zauberformel. Sofort war alles Außerharagorische vergessen, die Riesenkaninchen mutierten zu ganz normalen Transportkaninchen und man unterhielt sich fortan über den Weg, den man noch zur Alten Stadt bewältigen musste. Außerdem über das Wetter und, dank Arschimaedes, über die Schönheit gewisser Torakmädchen.
Am nächsten Morgen war es Kard ganz übel. Und das lag nicht an dem stetigen Auf und Ab, am Durchschütteln seines ganzen Körpers und insbesondere seines Magens, wie es der Ritt auf Riesenkaninchen notwendigerweise mit sich brachte. Schlimmer als diese körperlichen Strapazen war der Umstand, dass die Respektlosen ihre gottlosen Reden schwingen konnten, ohne sofort von Goiba oder Branu zermalmt zu werden. Hatten ihn die Govas im Waisenhaus nicht beigebracht, dass nur die Demut vor dem Willen der Götter einem das Überleben sicherte? Dass man, wenn man schon nicht wie sie selbst seine ganze Existenz im Dienste eines Gottes stellen wollte, den Göttern stets Opfer bringen musste, um sie gewogen zu halten? Und wie oft hatte Kard dankbar an Branu oder gar Goiba gedacht, wenn er mal wieder einer scheinbar ausweglosen Situation, etwa einem wütenden, zahlungsunwilligen Kunden, unverletzt entkommen war? Und was musste er jetzt ansehen? Da hoppelte der kleine Oiklihd da vorne auf seinem Riesenkaninchen und sang lauthals ein Spottlied auf Goiba. Er hatte zwar zugegeben, dass er das niemals machen würde, wenn eine Wache in der Nähe war, aber hatte nicht Goiba selbst ihre Ohren überall? Auch wenn er es Oiklihd nicht direkt wünschte, aber es wäre ungemein beruhigend gewesen, wenn genau in diesem Augenblick ein dicker, schwarzer Felsbrocken aus den Wolken geflogen käme, um den Sänger unter sich zu begraben. Aber es geschieht nichts. Einfach gar nichts. Waren die Götter gar nicht darauf bedacht, dass man sie ständig lobpreiste? Schliefen sie vielleicht auch mal oder kümmerten sie sich, Kard erschrak über diesen Gedanken, auch mal um Außerharagorisches? Diese und andere Gedanken schwirrten ihm zwischen den Ohren herum. Der innere Lärm, der so verursacht wurde, machte Kard derart konfus, dass ihm ganz schlecht wurde.
Plötzlich bemerkte Kard die Stille. Oiklihd hatte aufgehört zu singen, man hörte nur noch das leise Rauschen des Windes und das sich jetzt verlangsamende Gehoppel ihrer Reittiere. Kard strich sich die Haare aus dem Gesicht, beendete die Betrachtung seiner Innenwelt und schaute nach vorne. Das Herz rutschte ihm in die Hose. Vor ihnen hatten dutzende Wachen eine Straßensperre errichtet. Das schwarz-rote Banner Flanakans wehte im Wind und Kard konnte deutlich die Schwerter und Speere sehen, deren Metall das Sonnenlicht reflektierte. Oh Branu, Goiba, all ihr Götter, ist das Euer Zeichen? Madad musste seine plötzliche Nervosität bemerkt haben.
»Wir sind Wahter, vergiss das nicht, Kard. Ich kann keine Faolskis riechen. Wir müssen hier nur das übliche Schauspiel bieten, dann wird das schon gut gehen.«
»Gut, gut, gut.« Kard atmete mehrmals tief ein. Keine Faolskis, das ist gut. Das ist sogar sehr gut. Würde es etwas nützen, Goiba um Beistand zu bitten? Würde sie sein Gebet erhören, während sie sich noch wenige Augenblicke zuvor angesichts der Schmählieder taub gestellt hatte?
Inzwischen hatten sie sich bis auf wenige Schritte der Straßensperre genähert.
»HALT. ABSITZEN.«
Dass Soldaten auch immer so schreien müssen. Die Wache, die ihnen auf dem Weg entgegengetreten war, hatte die Hand gehoben, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Für einen kurzen Augenblick herrschte angespannte Stille. Das Kettenhemd der Wache klirrte leise. Er schlug sich bedrohlich mit dem gezogenen Schwert in die offene Handfläche. Ein dumpfes Klopfen dröhnte über den Köpfen der Reisenden.
Wie verhalten sich Respektlose angesichts dieser Situation? Kard überfiel eine kurze Panikattacke. Würden sie sich selbstmörderisch in die Schlacht mit den weit überlegenen Gefolgsleuten Flanakans werfen? Würde Oiklihd gleich ein Spottlied auf die Wachen anstimmen und sie damit alle ins Gefängnis bringen? Würde Arschimaedes etwa einen schlüpfrigen Witz zum Besten geben, in denen Wachen eine unrühmliche Rolle spielten? Panik. Panik. Panik. Aber nein. Oiklihd beließ es dabei, den Tonfall des Soldaten perfekt zu imitieren.
»HALT. ABSITZEN.«
Leider rührten sich daraufhin weder er noch seine respektlosen Begleiter. Nur Kard und Madad glitten von ihren Reittieren. Die Wache war etwas irritiert und es fiel ihr nichts Besseres ein, als ihren Befehl zu wiederholen. Ein wenig lauter diesmal.
»HAAAALT. AAABSITZEN.«
Oiklihd tat wie zuvor und wiederholte den Befehl. Ein perfektes Echo. Doch als die Wache einen Schritt vortrat und dabei das Schwert deutlich lauter in die Handfläche klatschen ließ, stiegen auch die drei Respektlosen von ihren Reittieren ab.
»Seid ihr schwerhörig?«
»Wie bitte? Können sie lauter reden? Wir sind etwas schwerhörig!«
Erneut war die Wache etwas verwirrt. Da stand dieser Winzling vor ihm, der ihm gerade mal bis zum Gürtel reichte und schien ihn nicht wirklich ernst zu nehmen. Während jeder muskelbepackte Torak vor einer Wache den braven Bürger spielte.
»WOHIN GEHT DIE REISE?«
Was für eine dämliche Frage, dachte selbst Kard, der noch ganz in Schockstarre war und das Geschehen vor ihm mit angehaltenem Atem beobachtete.
»ZUR ALTEN STADT, LIEBE WACHE.«
Liebe Wache? Der Soldat runzelte die Stirn, trat, das Schwert in eine Hand klatschend, noch einen Schritt auf Oiklihd zu, der aber milde lächelnd stehen blieb und dem Blick des großen Mannes standhielt.
»UND WAS WOLLT IHR IN DER ALTEN STADT?«
»WIR BESUCHEN MEINE GROSSMUTTER.«
»DIE GROSSMUTTER?«
»GENAU. LUDMILLA KAMILLA MARIONELLA. STUMPFGASSE 7.«
»AHA. DAS WERDEN WIR ÜBERPRÜFEN.«
Der Soldat drehte sich um und stapfte zu seinen Männern. Kard beobachtete, wie er zu einem Tisch ging, auf dem ein riesiges Buch lag. Dort sprach er mit seinem Kollegen, der daraufhin geschäftig in den Seiten blätterte. Irgendwann schienen sie gefunden zu haben, was sie gesucht hatten. Aber Kard bemerkte, wie sie sich kopfschüttelnd unterhielten. Kurz darauf kam die Wache zu ihnen zurück.
»LUDMILLA KAMILLA MARIONELLA. STUMPFGASSE 7?«
»GENAU. MEINE GROSSMUTTER!«
»IHR SEID NICHT DIE EINZIGEN, DIE EURE GROSSMUTTER BESUCHEN. VOR EUCH WAREN SCHON SIEBEN ANDERE GRUPPEN DA. WAS IST DA LOS?«
»SIE WIRD HUNDERT JAHRE ALT, LIEBE WACHE. EIN GROSSES FEST. DA KOMMEN ALLE KINDER, ENKELKINDER, URENKEL, URURENKEL AUS GANZ HARAGOR.«
»AHA. UND WIE ERKLÄRST DU, DASS LUDMILLA KAMILLA MARIONELLA EINE TORAK IST UND DU SO EIN KLEINER ZWERG?«
»ANGEHEIRATET, LIEBE WACHE. DER BRUDER MEINER GROSSMUTTER, DESSEN KINDER, DAVON WIEDER DER SCHWAGER. VON DEM DER SCHWIEGERSOHN. DAS IST DER BRUDER MEINES VATERS.«
Kurze Stille.
»AHA. VERSTEHE. NA DANN.«
Misstrauisch betrachtete er die Gruppe und erblickte dann die vermeintlichen Wahter.
»AUCH ANGEHEIRATET, WIE?«
Madad räusperte sich unter seiner Fellmatte. »VOM BESAGTEN ONKEL DIE TANTE. DAVON DIE SCHWESTER. WIR SIND DIE STIEFKINDER.«
Wiederum ein Moment vollkommener Lautlosigkeit.
»AHA. VERSTEHE.«
Erneute Stille. Scharrende Riesenkaninchenpfoten in trockenem Sand. Pfeifender Wind. Das hohle Krächzen einer Schwarzkrähe weit oben in den Wolken. Das Glucksen von Kards Magen.
»UND EURE PASSIERSCHEINE?«
Die Oberste Verwaltungsbehörde schien, was die Einreise in die Alte Stadt betraf, nichts dem Zufall zu überlassen.
»WIR HABEN NUR DIE EINLADUNG UNSERER GROSSMUTTER!«
Oiklihd holte ein Flugblatt heraus, auf dem für das Treffen der Respektlosen geworben wurde.
»NACH PARAGRAF 123 DER REISEGENEHMIGUNGSAUSNAHMEVERORDNUNG UND LAUT BESCHLUSS DER OBERSTEN VERWALTUNGSBEHÖRDE IM FALL HANSEN GEGEN KLATSCHMÜNDE IST DIES EINE OFFIZIELLE, ALLEN OFFIZIELLEN ANFORDERUNGEN GENÜGENDE REISEGENEHMIGUNG.«
Die Wache sah Oiklihd ausdruckslos an, drehte sich dann auf dem Absatz herum und ging zu seinen Männern zurück. Kard beobachtete, wie sie die Köpfe zusammensteckten und dann mehrmals mit den Schultern zuckten, als ob keiner wüsste, wie hier zu entscheiden wäre. Schließlich kam die Wache zurück und stellte sich in Position.
»PASSIEREN!«
Schweigend hoppelten die Reisenden erst an dieser Wache, dann an der versammelten Mannschaft der Uniformierten vorbei. Kard hörte die Wache leise vor sich hinmurmeln. »Paragraf wie? Onkel von wem?« Schweißtropfen hatten sich auf seiner Stirn gebildet und man konnte förmlich sehen, wie er sich den Kopf zermarterte. Kard war wirklich froh, dass der Uniformierte nun angestrengt Paragrafen und Verwandtschaftsgrade durchging und sie nicht weiter beachtete. Auch die anderen Wachen murmelten leise vor sich hin, während die Schar an ihnen vorüberzog. Wer hatte sie nun beschützt? Goiba oder Branu? Kard suchte nach einem Zeichen. Etwas, was ihm die Sicherheit gab, dass die Götter ihnen ihren Segen gegeben hatten. Aber das einzige, was er spürte, war das kalte Pulsieren des Drachenzahns auf seinem Brustbein. Also doch Branu?
Der Weg zur Alten Stadt war bei weitem nicht so gut in Schuss, wie die Straßen, die nach Conchar führten. Tiefe Schlaglöcher, vom Regen gerissene Rinnen und heruntergefallene Äste machten den Reisenden das Fortkommen schwer. Die Riesenkaninchen mussten im Zickzack springen, um die Hindernisse zu umrunden. So kamen sie langsam aber dafür stetig voran. Waren sie anfangs noch durch die Wildwiesen der Hochebene gehoppelt, veränderte sich bald das Landschaftsbild. Der Boden wurden steiniger, unfruchtbarer, das Gras verschwand langsam und machte weiten, karg bewachsenen Geröllfeldern Platz, in denen nur dorniges Gebüsch noch Nahrung fand. Die Kaninchen bewegten sich langsamer, da auch der Weg nun hart und steinig war. Das Drachengebirge schob sich immer näher und Kard konnte die dunklen Wälder sehen, in die sie bald eindringen würden, um den Onchu zu suchen. War das Gebirge bisher nur ein schmaler Strich am Horizont gewesen, oft nicht sichtbar, da die Luft zu trübe, die Wolken zu dicht gewesen waren, zeigte es sich nun immer mehr in seiner ganzen Mächtigkeit. Seit Kard denken konnte, war dieser Ort immer nur ein Sagengebilde gewesen, angereichert mit den Geschichten der Drachenkönige und der Fabel vom Großen Krieg. Und das, obwohl er die ersten Jahre seines Lebens doch im Waisenhaus unweit der Alten Stadt verbracht hatte! Aber in seiner Erinnerung spielte der Wald und das Gebirge keine große Rolle. Sein Leben hatte innerhalb der Mauern des Waisenhauses stattgefunden und nur zum Holz holen war man in den Wald gegangen. Die Govas hatten ihnen eingeschärft, die Wege nicht zu verlassen und sie vor den Schrecken des Waldes gewarnt. Die braven Waisenkinder hatten auf die Warnungen der Priesterinnen immer gehört.
Er konnte sich auch nicht erinnern, zurückgeblickt zu haben, damals, als die Alte und Wallas ihn mitgenommen hatten. Ein kleiner Junge, ängstlich aber aufgeregt, der sich gleich an den großen Torak gedrängt hatte und der neugierig nach vorne, in die Zukunft geschaut hatte. Erst jetzt, als Kard sich seiner alten Heimat näherte, nahm er das Dunkle und die Schwere des Waldes und die Weite und die scheinbare Unendlichkeit des Gebirges wirklich wahr. Und er empfand auch nicht gerade Wiedersehensfreude. Ganz im Gegenteil. Alles wirkte befremdlich und auch irgendwie feindlich. Selbst der Drachenzahn auf seiner Brust beruhigte ihn diesmal nicht wirklich, sondern sein Pochen erschien ihm fast schmerzhaft. Auch der Humor der Respektlosen hatte nachgelassen, vorsichtig, jeden Sprung bedenkend, bewegten sich die Riesenkaninchen mit ihren Reitern durch die Steinwüste.